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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 19.12.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-12-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192312192
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19231219
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19231219
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-12
- Tag 1923-12-19
-
Monat
1923-12
-
Jahr
1923
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8«Ne 4 Llttwcxd, 6 en IS. verbind er Lm Zeatralhavs des Muschik Die Erziehung de« russischen Bauern. Mr «ntneLmen das folgerrdc tiuereffaute Kapitel dem Werk des dänische» Pudttjiften -Inter «irked» .NnsftkdrS TagrlnuV. da« von Erwin Magnus aus dem Dänischen über setzt wurde und demnächst tm «erlag von Elena Gottschalk, Verlt», erscheint. Dis Revolution ist von den Industrie» i rbeite rn der großen Städte geschaffen. Sie wird ständig von ihnen gehalten. Aber der russische Aauer, der Muschi», wird ihre Zutun st entscheiden. Don den ISO Millionen Menschen Rußland» wohnen 130 Millionen auf dem Lande. Bor dem Weltkriege hatte der russische Bauer allein zur Aus fuhr einen Lrnteübevschuß von gegen 10 Millionen Tonnen Korn, ein Viertel der jährlichen Kornerzeu- gung und mehr al» die gesamte Ausfuhr aus Ka nada, den Bereinigten Staaten und Argentinien zu sammen. Oben ist der russische Bauer ein verfilzter Büschel von Haar und Bart, unten ist er ein paar graue Stulpen mit Schilfpantoffeln (Lapti), während die Beine in lange Bänder schmutziger Bandagen < Portianki) gewickelt sind. So watete er im Mittel- alter durch den fetten Morast der Felder, so watet er noch heute zum Bahnhof, wenn der Zug erwartet wird, um Neuigkeiten zu hören. * In seinen Bestrebungen, den Muschik zum mo- derncn Landwirt zu machen, hat da» Landwirtschafts kommissariat Millionen von Schriften, Heften, Almanachs und Plakaten verschickt. Ein besonderer Verlag ist eingerichtet, um kleine Bücher über Melken, Unkraut, Blaul- und Klauenseuche billig oder umsonst zu verbreiten. In allen größeren Städten Rußlands hat die Regierung .Bauernhäuser" als Zentralen kür die Aufklärungsarbeit unter den Bauern errichtet. In Moskau liegt die Hauptzentrale — das .Haus der Iranern". Mm» hat dazu einen größeren frühe ren Hotclkomplcx im Zentrum der Stadt nationali siert. Alle Läden im Erdgeschoß sind an private Geschäfte, darunter ein Kino, vermietet, und die Miete bezahlt den Betrieb des Hauses. Die übrige Aufsicht ist dem Muschik überlassen. Hierher kommen die Bauern mit Lapti (Schils- '-wuoffeln) und Portianki (Bandagen) und verfilz- i Bart aus allen Gegenden Rußlands gereist, er bringen sie ihre Fragen und Wünsche und .klagen vor. Die Regierung hat die tüchtigsten Sachverständigen engagiert, die umsonst Auskunft in allen landwirtschaftlichen Fragen, in juristischen und ökonomischen Dingen er- reilrn. Hier ist ein Muschik aus Simbirsk, der wegen einer Krankheit unter den Schweinen um Rat fragt, dort sind zwei aus Rostosf. die neue Sämaschinen kaufen und nun die Gelegenheit benutzen wollen, um einen alten Streit um einen Wasserlaus entscheiden zu lasten o-der um ihren Hans zu verkaufen. Ich be- ßch eine» Tage» den ganzen Betrieb unter Führung des Haucikommandanten: cs gab natürlich eine:. Lesesaal und eine Bibliothek, es gab Dorlesungs- säle, in denen die kundigsten Agronomen über Haus tiere und Jucht sprachen, es gab ein besondere« Kino, wo die neuesten amerikanischen Mäh maschinen und die besten australischen Melkmethoden in lebenden Bildern gezeigt wurden. Am wichtigsten von allem war vielleicht .ine reichhaltige Museumsabteiltung, wo ?e Bauern im Anschauungsunterricht alles finden, as mit Landwirtschaft zu tun hat. Ein ganzes Stockwerk wurde als Schlafraum be- atzt. Hier wohnten die Dauern zu zweien oder , reien für wenige Rubel die Nacht zusammen. Hier i sfandrn sich Badezimmer, Wäscherei und Epeisesaal. I ffei der Ankunft sind die Bauern verpflichtet, zu -aden und ihr Zeug desinfi-ieren zu lasten; in der j >wischenzcit liefert man ihnen leihweise anderes , 'sug. llcbcrall sah man die Inschriften: Dieses l'aäello« «irr««!'' üdsrdSMlltzv voä jexllode LtzrrtzvtzkRtztzdtz o»ct> etrrkwew I<Ic>a1»xitew. Zentralhaus der Bauern gehört dem Volke! Achte gut auf alles, alles hier ist Eigentum des Volkes! Außerdem gehören zu dem .Haus der Bauern" zwei fünf Werst vor Moskau gelegene Muster Höfe; in dem einen betreibt man modernen Ackerbau und Viehzucht, in dem andern rationelle Obstzucht. Hier her kommen die Bauern und sehen die Theorie blühen und Früchte tragen. Die Konsulenten erzählten, daß sie täglich 80 bi 100 neue Besucher hätten. Man hat bereit« m Erweiterungsbauten begonnen und wir in einem Monat fünf Stockwerke mit 400 Betten ' Gebrauch nehmen. Nach einwöchentlichem Aufc> halt in der Hauptstadt reist der Muschik dann na Hause mit neuen Ansichten und mit einer neu Pflugschar als Gepäck. Dieser und jener laßt «" fein« Lapti und Portianki zurück, trägt statt dest ein Paar Schaftstiefel und hat das Hemd in die H, gesteckt. Selbstmordversuch durch Starkstrom. Line 20jährige Kassiererin beschloß, aus dem Leben zu scheiden. Sie erkletterte einen Mast der Starkstromleitung an der Landsberger Straße in München, um sich vom elektrischen Strom töten zu lasten, hatte aber nicht die Kraft, bis zum Draht zu gelangen, sondern stürzte ab und erlitt schwere, lebensgefährliche Verletzungen. Im Gefängnis statt bei der Hochzeitsfeier. In einem Münchener Kaufhause wurde eine Schreiners frau bei Ausführung eines Taschendiebstahls ver haftet. Die Frau hatte am gleichen Tage geheiratet; morgens war sic mit ihrem Bräutigam beim Stan desamt erschienen und getraut worden, abends sollte im Kreise einiger Freunde eine kleine Feier statt finden. Untertags verließ die Frau ihren Mann und ging in das Warenhaus, wo sie mehrere Taschen- diebstähle verübte. Als die Frau am Abend zur Hochzeitsseier nicht erschien, meldete sie ihr junger Ehemann bei der Polizei als vcrmißt an, wo er dann den Sachverhalt erfuhr. Die schnellste Lokomotive. Die amerikanische General Electric Company hat, laut Bericht aus New Bork, dieser Tage auf ihren Gleisen in New Jork Probefahrten m t einem neuen, von ihr konstruierten Loko motivtyp ausgeführt. Die Maschine wurde in ihren Werkstätten im Auftrage der französischen Eisenbahngesellschaft Paris- Orleans hergestcllt, die die Bedingung gemacht hatte, daß die Lokomotive eine Stundengeschwindig- keit von l30 Kilometer entwickeln müsse. Bei der Probefahrt zeigte d'e Lokomotive eine über diese Bedingungen noch weit hinausgehende Leistungs fähigkeit, indem sie in der Stunde 188 Kilo meter zurücklegtc. Don den Toten auferstanden. Ein unsolider Che- mann, von denen etliche auch unter dem Sternen banner leben, verfiel, als er seiner Gattin über drüssig geworden war, aus eine Idee, die sogar im Lande der unbegrenzten Möglichkeiten starkes Auf- sehen erregte. Ld. Sailstad aus Wisconsin war sterblich in eine Kabarcttkünstlerin verliebt und be- schloß, mit rhr das Weite zu suchen. Um aber vor allen Nachforschungen sicher zu sein, verschaffte er sich aus dem Gottesacker der Stadt einen Leich nam, zog dem Toten seine eigenen Kleider an, setzte dann den Flügel des Hauses, den er bewohnte, in Brand und entfernte sich. Nachdem das Feuer gelöscht war, stellten die trauernden „Hinterbliebenen" fest, daß der unglückliche Sailstad erstickt war. Sic betrachteten den Leichnam nicht näher und Übergaben seine Reste der Erde. WLH- rend mehr als dreier Jahre war die ganze Stadt fest überzeugt, daß Sailstad im besseren Jenseits weile, bis eines TageS ein Bekannter den „Toten" Arm in Arm mit der bekannten Künstlerin antras. Mehr tot als lebendig flüchtete sich der ungetreue Ehemann nach Hause, wo er bereits einen Herrn von der Polizei atttraf, der ihm eine freundliche Einladung für einen Aufenthalt in einer „Staats wohnung" überbrachte, weil er der Bigamie an geklagt wird. Erdbebenkatastrophe in Südamerika. Wie aus Bogota (Columbia) gemeldet wird, sind durch das Erdbeben die beiden Städte Lumbal und Childcs voIlständig zerstört. Bisher wurden 94 Tote und 250 Verletzte gezählt. Die Verbindungen sind unterbrochen und alle Leitungen zerstört. Die beiden Vulkane bei Cumbal und Childcs sind ununter brochen in Tätigkeit. Aus -em Gerichtssaal Zwei Spione vor -em Reichsgericht Dor dem 8. Strafsenate de» Reichsgericht« wurden m Montag wieder zwei Spionagefäll« verhandelt, er schon mehrmals vorbestrafte 'lhrmacher Go» ulla hat versucht, den Kaufmann Max Seve» antzu veranlassen, für ihn au« einem Regierung«, bäude Akten zu stehlen, die er für ein französisch-« Nachrichtenbüro zu verwenden gedacht«, eine Tat- che, die von ihm bestritten wurde. Seoerant hat h wirklich abends nach Büroschluß in dieses Ge- iud« begeben, jedoch nur, um dort noch Anzeige zu statten. Da man nicht ganz sicher war, ob er dies« Meldung etwa nur au« Verlegenheit, weil er im Ge bäude gesehen worden ist, gemacht hat, mußt« auch cr mit auf der Anklagebank Platz nehmen. Der Reich», anwalt ließ jedoch die Anklage gegen ihn fallen. So wurde nur Godulla verurteilt. Und zwar zu einer Zuchthausstrafe von 12 Jahren, 500 Milliarden Mark Geldstrafe, Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf 10 Jahre und zur Zahlung der Kosten des Ver fahrens. Die zweite Verhandlung richtet« sich gegen den Büroboten Oskar Bartke, der als polnischer Staatsangehöriger im deutschen Teile Schlesiens wohnte. Er ist schon von hohem Alter und macht in seinem weißen Haar und Bart einen recht hilf- losen Eindruck vor dem Richtertisch. Mit einer pol nischen Organisation hat er einen schriftlichen Kon trakt geschloffen und von ihr einen Fragebogen über Ausrüstungsverhältnist«, Mannschaftsstärke der Reichswchrformationen usw. zur Beantwortung be kommen. Er behauptet, ihn nicht benutzt zu habe». Der Versuch, sich einen Helfer zu schaffen, hat ihn dann in die Hände der Polizei geliefert. Das Urteil lautete auf 2 Jahre 6 Monate Zuchthaus und 5 Jahre Ehrenrechtsverlust. 6 Monate gelten durch die Unter- suchunqshaft als verbüßt. * Nachspiel zu -en Ores-ener Unruhen ki. Dresden, 18. Dezember. Am 24. September war gelegentlich ernster Un ruhen der Kommunist und Erwerbslojcnführer Ar beiter Kennecke erschossen worden. An diesem Tage übten die radikalen Erwerbslosenelemente in Dresden ein reines Schrcckensregiment aus. So zog eine große Menschenmenge durch die innere Stadt. Die Straßenbahnen wurden ungehalten, Polizei beamte mißhandelt und großer Sachschaden ver ursacht. Vor dem Dresdner Hauptbahnhofe wurde der Polizciwachtmeister Krause unmenschlich miß handelt. In der Haupthalle des Dresdner Haupt bahnhofs griff die demonstrierende Mengte den Polizeikommissar Metzner an. der gleichfalls schwer mißhandelt wurde. Bei dieser Gelegenheit wurden die Scheiben der Türen und Fenster eingeworfen und mit Steinen die Bahnhofswache der Sicherheits- Polizei bombardiert. Drei der Hauptbeteiligten konnten ergriffen und verhaftet werden. Es waren dies der 20 Jahre alte Arbeiter Emil Quietzsch, der 30 Jahr« alte Händler Gustav Wuntke und der 21 Jahre alte Arbeiter Wilhelm Ender, die jetzt vor dem Dresdner Schwurgericht standen. Das Urteil lautete bei Wuntke auf 2)4 Jahr«, bei Quietzsch auf 1)4 Jahre Zuchthaus und bei Ender auf ein Jahr Gefängnis. Kurz zuvor waren ein angeblicher Artist Thelen, der demnächst gesondert verhandelt wird, ferner der mit zehn Jahren Zuchthaus vorbestrafte Bauarbeiter Emil Riemer und dessen Bruder, der Maurer Karl Riemer, in der inneren Stadt herumgelaufen, um scheinbar für die Erwerbslosen freiwillige Spenden bei den Geschäftsleuten einzusammeln. Bei dieser Gelegenheit erklärte das Kleeblatt: „Die Namen und Beträge der Spender würden in der Erwerbslosenversammlung bekanntgegeben. Wenn Demonstrationen stattfindcn, werden dann Posten vor das Geschäft gestellt; es passiere da nichts. Es würden aber auch die Namen derjenigen Ge- sckMsleute bekanntgegeben, die nichts für Erwerbs- lose übrig hätten!" Unter diesem Drucke der Straße wurden große Summen geopfert und von Thelen und den Gebrü dern Riemer unter sich verteilt. Die Handlungsw'ise stellte sich als gemeine Erpressung dar. Das Schöffengericht verurteilte Emil Riemer zu einem Jahr sieben Monaten Zuchthaus und seine.» Bruder zu sechs Wochen Ge fängnis. * Oie unsichttaren Liebesbriefe Ein interessanter Prozeß in London. Dor einem Londoner Gericht wird fett einigen Tagen ein interessanter Prozeß verhandelt. Der Ankläger ist ein sechsundzwanzigjähriger Ehemann, der Inhaber eines großen Wirkwarengeschästes, namens Harold Bottom; die Angeklagte seine junge Frau Phyllis, die gerade an dem ersten Tag der Gerichtsverhandlung ihr zwanzigstes Lebensjahr überschritten hat. Harold Bottom reicht gegen seine Frau, die er des Ehebruches beschuldigt, eine Ehescheidungsklage ein. Seine Frau soll ihn mit seinem besten Freund, einem Kaufmann aus Hud dersfield, der den klassischen Namen Kenworthy führt, betrogen haben. Der erste Vcrhandlungstag gestattete sich sehr dramatisch, da der Ehegatte, als er die Geschichte seiner zerstörten Che erzählte, vor den Richtern und vor dem zahlreichen Publikum in Tränen ausbrach. Harold Bottom hat seine Frau im Jahre 1921 geheiratet. Er hat sie anläßlich eines Wohltätig keitsballes in London kennen gelernt. Zwei Jahre lang lebten sie in glücklichster Ehe. Kenworthy, ein Geschäftsfreund und Schulkollege Bokkoms, verkehrte sehr oft im Hause. Dem jungen Gatten fiel es n cht im Traume ein, daß die Besuche des Freundes viel leicht nicht ihm, sondern seiner Frau gelten könnten. Kenworthy lud das Ehepaar zu Ausflügen ein; seinen Einladungen hat meistens nur Frau Bottom Folge geleistet. Im April 1922 erhielt Frau Bottom einen Vries von Kenworthy. Durch einen Zufall fiel der Brief in die Hand ihres Gatten. Er las die Adresse nicht und erst, als er bereits das Kuvert geöffnet hatte, bemerkte er, daß es sich um einen Dries an seine Frau handle. Er erkannte sofort die Schriftzüge seines Freundes; in dem Briefe stand jedoch nicht das geringste, was geeignet gewesen wäre, seine Eifersucht zu erwecken. Es war eine Einladung zu einem Autoausslug. Als nun Bottom den Brief einige Minuten in der Hand hielt, geschah plötzlich etwas Unerwartetes. Cs war ein heißer Apriltag, und Herr Bottom schwitzte. Ein Schweißtropfen fiel aus den Br'ef, und der Ehegatte entdeckte zu seinem größten Er schrecken, daß sich unter den mit gewöhn licher Tinte geschriebenen Buchstaben noch eine Schrift befinde, die mit chemischer Tinte aufs Papier gebracht worden ist. Der sichtbare Dries mit der höflichen und zeremoniellen Einladung barg einen mit unsichtbarer Tinte geschriebenen Liebesbrief, dessen Buchstaben erst durch Einfluß der Wärme sichtbar geworden sind. Der Schweißtropfen, der zufälliger- weise aus das Papier fiel und die chemische Tinte zum Vorschein brachte, verriet das Geheimnis des Briefwechsels. Bottom zündete nun eine Kerze an. Einem alte» Schauspieler Am Dienstag hat man in Leipzig einen alten Sckmuspieler begraben, um den in Deutschland viele dankbare Herzen trauern. Er war ein Mime und ein Grandseigneur. In Leipzig hatte er, und da« paßt sehr gut zu ihm, seinen Wohnsitz im Schloß Dölitz aufgcschlagen. Don dort datierte er in der letzten Lebenszeit seine Briefe an Theater und Re daktionen. Noch im Anfang dieses Jahres/»!» er dir Siebzig vollendete, sind in mancher Redaktionspost solche Briefe gewesen, unterzeichnet Carl William Büller auf Schloß Dölitz. Darin lagen dann ziemlich leichtfertige aber sehr harmlose Theater- erinnerungeu au» seiner Wanderzcit, da er mit Lharleys Tante und dem Emanuel Striese durch alle Städte und Städtchen zog und Städte und Städtchen fröhlich machte. Wenn irgendeiner, so gehörte er, nicht nur den Jahren, sondern dem Wesen nach, der Porkrieg«. generation an, jenem Deutschland, da» siegreich und selbstzufrieden war, jenem Deutschland, da» erwarb und gründete, arbeitete und lachte. Wir arbeiten ja heute nicht weniger und lack-en wohl auch, aber wir lachen anders. Vielleicht leiser, wenn wir glück lich sind, und bestimmt bitterer, härter, wenn wir die Welt verkehrt finden. Er, der alte Büller, fand sie im Grunde nicht verkehrt, sondern gut eingerichtet. Und wenn er mißbilligte, schob er wohl seine Greisen unterlipp« vor und »nachte große, beleidigte Glotz augen. Es waren die unvergeßlichen Höhepunkte seine» tausei»dfach gespielten Striese, wenn er da- stand und halb betrübt, halb beleidigt vor sich hin und in sich htnetnglotzte. Wenn Büller den Tartuffe gespielt hätte — viel leicht hat er es wirklich getan —, man wäre, da« möchte ich schwören, mit dem alten, niederträchtigen Heuchler irgendwie versöhnt worden. E» wäre ge wiß »in schlechter Kerl geworden, aber ein behag- sicher, schlechter Kerl. .Die Welt ist so und ich bin so, also paffen wir beide zusammen," so * te di« Maxime diese« Tartufse gelautet. Seinen hrhahn im „Biberpelz", den er in Wien um di« Mitte der neunziger Jahre Hera umbracht«, hab« ich auch ndht gesehen, ab« e» muß ein sehr kiebtiwwtzrdi^r f Wochen sM. Die beste Rolle des ganz alten Büller war der I gütige Hausfreund im .Störenfried" von Be- nodix. Nur durch ihn war das Stück noch möglich. Denn sein Großpapa war ein ganz wirklicher Groß papa. Sein Mund war eines sehr alten Mannes Mund. Aus ein bißchen Trottclhaftigkcit und vie'cr Güte des Alters brach die vergnügte List eines alten Kinde» hervor. Er stand schon an der Schwelle zur anderen Wett und machte sich doch noch einmal über diese lustig. Vielmehr: er machte sich gerade des halb über die närrische Welt lustig, weil sie ihm nicht mehr viel anhaben konnte. Und so ist er nun auch, das »vollen wir hoffen, auf die beste Art von der Welt mit der Wett fertig ge worden. Uiesttur Amerikanische« New Jork, im Dezember. Die .Unsittlichkeit" Er ist in ein neue», verschärfste» Stadium ge- treten, dieser Kampf de» amerikanischen Muckertum» gegen die angeblich in erschreckendem Maß« zu nehmende „Unsittlichkeit auf der Bühne". Der „Ver band der Religionsgemeinschaften", der „Bund für di« Unterdrückung des Lasters", die „Temperenzler-Liga" rind verschiedene methodistische Gesellschaften haben sich nunmehr, unterstützt von einem Poltzei-Ausschuß, einträchtiglich zusammen- getan, um der vom Theater ausgehenden Sitten- Verderbnis einen Krieg bi» auf dos Messer zu liefern. St« erklären, nicht rasten zu wollen, bevor nicht un moralisch« Stücke und .Entkleidung«. Revuen" grundsätzlich verboten seien. Don ihrer anmutigen Art, sich auszudrücken, zeugt, daß sie eines dieser Stücke als eine „Mischung von Dreck und Diamanten, Roheit und Raffinement und Hunwr" bezeichn«». Gan- besonderen Zorn hat diesen wür- digen Genossen tm Streite ein harmlose», nach der vttlgettsenen Erzählung von Somerset Maugham „The Rain" („Der Regen") bearbeitetes Schauspiel verursacht, weil darin ein Prediger vorkomm«, der al» ein so heuchlerische», verlogene« Subjekt dar- gestellt sei, wie man im geistlichen Stand« vergeblich suche« würde. In diesem Punkt« wird man den Dor- kämpfern -a^n di« .Ansttttichkett auf der Bühn," allerdings eine gewisse Sachkenntnis nicht absprechen können, — freilich ohne ihnen beizupflichten. Geraldine Farrar Geraldine Farrar — wohl in Deutschland als Künstlerin noch in gutem Andenken — hatte di« Absicht, in der Stadt Atlanta, im Staate Deorgra, ein Konzert zu geben. Derweilen es in der Stadt Atlanta ander« für einen solchen Zweck geeignete Lokalitäten nicht gibt, wollte sie gern ein« Kirche dazu benutzen und, selbstverständlich, dabei der Armen der Gemeinde nicht vergessen. Jedoch die Vorstände der drei großen, allein in Frage kommenden Kirchen von Atlanta erteilten ihr eine gleichlautende und schroffe Absage. Aus welchem Grunde? Weil Geraldine Farrar vor drei Jahren in David Delascos frivolem Stück „Zaza" in Atlanta aufgetreten sei! Diese Tat- fache mache es völlig unmöglich, daß man sie nun in einer Kirche singen lasse. Geraldine Farrar hat, als Erwiderung, den frommen Kirchenvätern eine Klage wegen Ehrenbeleidigung angedroht und ihnen zu- gleich angekündigt, sie werd« ihr Kon-ert geben: „und wenn sie auf der Straß« singen müsse." 8 i e transit xlori» muocli. In den Warenhäusern von New Bork ist e« üblich, einen Angestellten zu besolden, der die ausschließliche Obliegenheit hat, sich in Gegenwart unzufriedener Kunden als der verantwortlich« Schuldige Grob heiten sagen zu lassen. Man nennt diesen Angestell, ten, dessen Beruf nicht anstrengend, doch einiger, maßen unerfteulich ist, den .Goat", d. h. den Sünden- bock, des Warenhauses. Glaubt ein Kunde oder eine Kundin schlecht bedient oder übervorteilt zu sein, und beschwert sich bei dem Geschäftsleiter, dann rüst der Geschäftsleiter den „Goat" herbei und beschimpft ihn nach allen Regeln der Kunst Der .Goot" senlt rcirevoll das Haupt und gelobt Besserung. In einem der allerersten New Harker Warenkäuser funktioniert seit kurzem als „Goat" ein früherer ruisi- scher General, der al» Adjutant zur unmittel, baren Umgebung de« Aaren Nikolau» Ü. gehört«. Mr. Stoker. Wochenlang ist von dem Obersten Gerichtshof de« Staate« New York der Prozeß verhandelt worden, den Mr. W. L. D. Stoker, ein hochbetagter Multimillionär, tttaentümer de» Ansonia- Hotel» und eine» RennftaÜ», -egen sein, jugendlich« Gattin angestrengt hat, um nicht nur auf Grund von Ehebruch die Scheidung von ihr herbeizuführen, son dern auch ihr Kind für einen Bastard erklären zu lassen. Er beschuldigt sie, ihre Gunst ihrem Chauffeur zugewandt zu haben. Sehr plausibel klang das von vornherein insofern nicht, als Mr. Stokes eine un- gewöhnlich hübsch, zarte und elegante Erscheinung, der Chauffeur hingegen ein plumper Geselle mit Mischlingoblut in den Adern »st. So war von An- beginn des Prozesses die Sympathie des Publikums auf feiten der Frau, die mit Leidenschaft ihre Un» schuld beteuert« und ihre Ehe verteidigte. Eine Zei- tung hat den Mann, der um jeden Preis für gehörnt gehalten zu werden wünschte, in einer Weise charak- terisiert, die sehr bezeichnend für die hiesig« P e. richterstattung bei Sensationspro. zess« n ist. Da heißt cs zum Beispiel: .Nicht eine Linie in Stokes starrem, düsterem Antlitz verzog sich. Dor sich sah er seine Frau, die empört auf -hre Füsse sprang und die behandschuhten, winzigen Fäuste ballte, die schönen Augen voll von Tränen. Er hörte sie laut ausschreien, ihr Mann habe seine Zeugen für sein« schurkische Lüge bezahlt, und ihre Brüder wür den ihren guten Namen gegen derartigen Schmutz schützen. W«nn da ein Herz war, da- von diesem Anblick nicht bewegt wurde, so war cs das ihres Gatten. Hervorstehende Backenknochen, aber eine niedrig« Stirn — ein klein wenig »urechtgemacht, .so könnte er als Mephistopheles im .Faust' auf- treten . . Bayer 208 gegen Schlafkrankheit. Geh. Regie- rungsrat Prof. Kleine, Abteilungsleiter im In stitut Robert Koch, ist von einer Forschung», reife nach Afrika zurückgekehrt. Dor zwei Jahren ist er von der deutschen chemischen Industrie als Leiter einer Erpedition dorthin entsandt worden, um da« von den Farbwerken Bayer-Elberfeld her- gestellte neue Mittel „Bayer 208", dessen Heil- Wirkung auf die Schlafkrankheit hier fest gestellt war, in Versuchen an Ort und Stelle zu er proben. Nach seinen Feststellungen übertrifft das neue Mittel weitaus die bisher bekannten. Es ver mag nicht nur beginnende, sondern kn den meisten Fallen auch wettcr fortgeschritten« Falle von Schlaf, krankheit zu heilen. Kleine glaubt danach, daß die gänzliche Ausrottung dieser furchtbaren Krankheit i« Grund« nur noch ein« Frage der Organisation sei.
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