Suche löschen...
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 18.12.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-12-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192312181
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19231218
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19231218
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-12
- Tag 1923-12-18
-
Monat
1923-12
-
Jahr
1923
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
r sich bei allen Schichten der Bevölkerung geltend machte. Es hat aber leider den An schein, als ob es in Oesterreich eine Sphäre gebe, die über der Regierung stehe. Dvc gegen wärtige Besuch des französischen Großindustriälen Schneider-Lveusot, der von Zeit zu Zeit einen Teil seiner österreichischen Industrien und Banken zu inspizieren pflegt, zeigt wiender ein- mal, wie weit Oesterreich von seinem ehemaligen Bundesgenossen, dem Deutschen Reiche, bereits abgerückt ist. Ls gibt nur mehr wenige Großbetriede im Lande, die einen rein öster reichischen Charakter haben. Die Mehrzahl ist längst im Besitz des Auslandskapitals, zum mindesten aber den französischen, englisch«* oder italienischen Interessen nähergerückt, und da muß hervorgehoben werden, daß es diese Be triebe vor allem sind, die aus der Art, in der die Sanierung vor sich geht, Borteile ziehen. Schnei der-Creusot und die übrigen „neuen Dienstherren" der österreichischen Republik sind es ja, die zur Aufsicht für ihre Einlagen und sonstigen Beteiligungen den Kontrolleur Dr. Zimmermann eingesetzt haben, vor .dem jede Eelbständigkeitsregung der gegenwärtigen Re gierung erlischt. Zur Ehre des österreichischen National rates, dessen Mehrheit ganz unter dem Diktat seines Bogtes Dr. Zimmermann steht, sei betont, daß die Staatsbeamtenschaft gegenüber dem Kanzler einen vollen Erfolg errungen hat, ob- wohl dieser »gebundene Marschroute" hatte. Ls hat sich gezeigt, daß die Kammer noch in der Lage ist, über die Eingänge in den Staatskassen, wenn auch freilich nur in kleinem Umfange, zu verfügen, sofern es die Not erheischt. Daß es so weit kommen konnte, daß die öfter- reichischs Republik in die Klauen der Entente geriet, daran trägt nicht zuletzt die Gro tz- deutsche Partei Schuld. Daß die großen Wühlcrmasscn von einer Entfremdung Oester reichs Deutschland gegenüber nichts wissen wollen, haben die letzten Wahlen genügend be wiesen. Die Großdeutsche Partei, die nur auf der Strickleiter des zweiten Erimttelungs-Ver- fahrcns und demgemäß in äußerst reduzierter Zahl in den Nationalrat gelangte und die ganz unter dem Einfluß des christlichsozialen Bundes kanzlers steht, mußte sich sogar dazu hergeben, gegen den Antrag des Tirolers Abram: man möge zur Linderung der Not in Deutsch, land 10 Milliarden Krone'* spenden, zu stimmen. Es sicht gegenwärtig in Wien so aus, als ob man daran ginge, sich französisch zu orientieren. Nach einem Ensenckle der Lomädie Fran;aii'e der Empfang des Pariser Filmstars Max Linder, in weiterer Folge das Auftreten des Pariser Schneiders Poiret, der in der Form einer Theatervorstellung bei den Klängen moderner französischer Meister seine Mannequins über die Bühne zappeln läßt, und n'cht zuletzt die „Zur-Verfügung-Stellung" einer großen modern«* französischen Bolksbibliothek durch den französischen Botschafter — all dies sind deutliche Zeichen des neuesten Kurses. Unter diesen Umständen wäre es wohl zu begrüßen, wenn die sozialdemokratische Opposi tions-Partei aus Staatsnotwendigkeit endlich an einer Negierung teilnehmen würde. Nur dann wäre die Möglichkeit gegeben, die Sanierung so zu gestalten, daß sich ihre Härten auf alle Sch chten in gleicher Weise verkitten, und daß der Staat, der um einen Bettel in die Gefangen schaft des internationalen Bankkapitals gebracht worden ist, wieder sein österreichisches Gepräge erhielte, bei dem es selbstverständlich wäre, daß das Land seine Anlehnung der Natur gemäß wieder beim Deutschen Reiche suchte. Zwei Bürgermeister von Separatisten verschleppt Frankfurt a. M 17. Dezember. (E i g. Tel.) Heber einen unerkörten Gewaltakt der Separatisten in der Pfalz wird der „Frankfurter Zeitung" aus Ludwigshafen gemeldet: Separatisten haben am 14. Dezember die beiden Bürgermeister Dr. But sch er und Müller verschleppt, unbekannt wohin. Der Stadtrat von Ludwigshafen, der am 1. Dezember in eindeutiger Weise sein« ablehnende Haltung gegenüber der separatistischen Regierung in Speier kundgetan hat, hat am 15. Dezember zu dieser unerhörten Herausforderung der gesamten Bevölke rung Stellung genommen. Er erhebt gegen einen solchen rechtswidrigen und gewaltsamen Akt, der die Stadt Ludwigshafen in ihrer jetzigen schweren Not- läge ihrer leitenden Männer beraubt hat, den schärf sten Protest. Eine Abordnung des Stadtratcs hat beim fran- zösischen Dezirksdelcgierten die Erklärung abgegeben, daß die Verschleppung der beiden Bürgermeister die Sanierungsaktion zugunsten der notleidenden De- völkerung unmöglich mache und deshalb die Stadt räte gezwungen sein würden, ihr Mandat nieder- zulegcn, falls nicht die Rückkehr der Verschleppten er folgen würde. Don den Separatisten ist ein Verbot erlassen worden, wonach cs der Presse untersagt ist, irgendwelche Beschlüsse der politischen Parteien zu veröffentlichen. Kundgebung der pfälzischen Parteien Frankfurt a. M., 17. Dezember. (Sig. Tel.) Die Deutsche Demokratische Partei, die Deutsche Vollspartei und di« Bayrische Pollspartei in der Pfalz haben einmütig folgende gemeinsame Kundgebung erlassen: „Die unterzeichneten Parteien der Pfalz leh nen die unter Mißachtung der staatsbürgerlichen Rechte und Unterdrückung der öffentlichen Meinung den Pfälzern aufgezwungene Gewaltherr, schäft der Separatisten unter schärfstem Pro test ab. Line staatliche Umbildung ist entgegen den Bestimmungen der Rcichsverfassung und kommt für sie nicht in Betracht." Au» der Mitte der Versammlung heraus wurde scharfe Kritik an den Verhandlungen mit den Regierungen von Berlin und München sowie na- mentlich an der bayrischen Fürsorgestell« in Heidelberg geübt, die ihrer Verpflichtung gegenüber der .schwerleidenden pfälzischen Bevölke- «img nur »>H»r»ich«»d nachgekonmwn sei». Da» Ganierungsprsgramm Schachts London, 16. Dezember. Der „Obseroer" ver- öffentlicht eine Unterredung, die der deutsche Wäh- rung»kommissar Dr. Schacht seinem Berliner Be- richterstatter gewährt hat. Dr. Schacht erklärte: Was wir in Deutschlanad wollen, ist, die deutsche Industrie auf eine gesunde Geldbasis zu stellen, wieder auf die Goldbasis; dann wird da» deutsche Wirtschaftsleben von selbst gesunden. Lin gesunde« Wirtschaftsleben bedeutet Gold st euer n, und diese bedeuten ein ausgeglichene« Budget. Ich bin daran, ein« Goldnoten- emissionsbank in Berlin zu schaffen. Diese soll gegründet werden mit Hilf« deutschen undau »- ländischen Goldes. Auf feiten Deutschland» wird jede Anstrengung unternommen werden, um den notwendigen Betrag zusammenzubekommen. Aber ich rechne ebenso auf di« Beteiligung de« eng- lisch en, französischen, holländischen, skandinavischen, amerikanischen und schweizerischen Kapitals. Diese Bank wird andern Ländern die Möglichkeit geben, ihr Geld in einer vollkommen gesunden Einrichtung anzulegen. Ich sage: vollkommen gesund, weil sie vollkommen unabhängig vom Reich und der Regierung ist und unter der Herrschaft der Geldgeber selbst steht. Die Gründung einer Goldbank ist meiner Ansicht nach unabhängig von der Reparationsfrage. Sie wird durch privates Kapital finanziert und wird Goldkredit« nur denen geben, die ihrer Ansicht nach Goldkredite verdienen. Man muß unterscheiden zwischen dieser Goldnotenmissionsbank und der schwierigen Frag« der deutschen Währung. Die Währung steht in enger Verbindung mit der Reparationsfrage, und kann niemals stabilisiert wer den, bis cs möglich ist, dieses Problem befriedigend zu lösen. Die augenblickliche sogenannt« Goldmark, die Rentenmark, war niemals als ein inter nationales Zahlungsmittel gedacht; es ist sogar unt'ersagt, sie auszuführen. Eie dient ihrem Zweck im Inland«. Meine einzige Sorge ist das Rheinland, das außerhalb meines Wirkungs kreises liegt. Das Rheinland ist die große Wunde an Deutschlands Seite, die seine Stärke untergräbt. Schacht sprach äußerst skeptisch über den Erfolg einer Goldnotcnmissionsbank in einem kleinen Staat, der wirtschaftlich nicht unabhängig sei. Seiner An sicht nach würde ein derartiger Staat cs schwierig finden, seine Noten in der weiten Welt zum Nenn wert anzubringen. Der Berichterstatter fragte Dr. Schacht zum Schluß, ob seiner Ansicht nach andere Länder der neiren Bank ihr Goldgeld ohne scharfe Kontrolle geben würden, und wie es sich mit der Ansicht ver- halte, die beute in vielen Kreisen vorherrsche, daß nur der Völkerbund diese Kontrolle bieten könne. Dr. Schacht betonte erneut die Tatsache, daß die andern Länder den weitesten Spielraum und die weitestreichenden Rechte auf die Kontrolle infolge ihrer Beteiligung an einer internationalen Einrich tung haben würden. Wenn sich Deutschland bereit zeige, eine entsprechende Kontrolle des Völkerbundes anzunehmen, so werde es doch darauf bestehen, daß die Vereinigten Staaten, ebenso wie Eng land, an der Kontrolle teilnähmcn. Oie französischen WLHrungapiSne im besetzten Gebiet Essen, 17. Dezember. lEig. Tel.) Der Plan dec Ausgabe eines wertbeständigen Not geldes für das besetzte Gebiet ist auf Schwierigkeiten gestoßen, da die Be- satzungsbehörde der Verwirklichung dieses Planes ihre Genehmigung bisher ver weigert hat. Am letzten Sonnabend fanden in der Angelegenheit in Köln und Koblenz Verhandlungen statt. Diese Besprechungen führten zu keinem Ergebnis. Auf französischer Seite erklärte man vielmehr, au« Paris neue Anweisungen einholen zu müssen. Am Dienstag sollen die Ver handlungen wieder ausgenommen werden. Der Widerstand der Franzosen gegen die Einführung des geplanten Notgeldes für die be- setzten Gebiete stand in engem Zusammenhänge mit der Frage der Gründung der rheinischen Goldnotenbank, die bekanntlich auch von den Franzosen angcstrebt wird. Wenn fetzt nach Der- liner Meldungen damit zu rechnen ist, daß die Be- satzungsbehörde der Einführung der Rentenmark in die besetzten Gebiete keine Schwierigkeiten mehr machen werde, so ist solches Zugeständnis auf fran zösischer Seite wahrscheinlich davon abhängig ge- macht worden von der Zustimmung der Reichs regierung zu der Gründung der rheinischen Gold notenbank. Durch das Einführen der Rentenmark und die Gründung der rheinischen Goldnotenbank würde natürlich der Plan der Ausgabe des so genannten wertbeständigen Notgeldes für die Letzten Gebiete hinfällia. Die Gieuernoiveror-nungen Berlin, 17. Dezember. (Ltg. Tel.) Die bereits vor längerer Zeit vom Reichsfinanzminister Dr. Luther angekündigte dritte Steuernotverordnung wird heute nachmittag dem Reichskabinett vorgelrgt. Sie bezieht sich auf di« Aufwertung der Hypotheken und ähnlicher Forde- rungen und auf den Finanzausgleich mit den Ländern und Gemeinden. Mit Rück- sicht auf den erstgenannten Punkt darf die Ver ordnung besonderes Interesse beanspruchen. Die Meinungen über den Vorschlag des Finanzministe riums, di« Gewinne, die aus der Wertverringerung der Hypotheken gezogen worden sind, ganz oder größtenteils für das Reich in Anspruch zu nehmen, und damit der Auswirkung des bekannten Reichs- gerichtsurteils zugunsten einer Aufwertung für die Gläubiger seine Bedeutung zu nehmen, sind, wie verlautet, innerhalb des Kabinetts geteilt, und es läßt sich deshalb nicht voraussagen in welchem Ausmaß diese Gewinne steuerlich werden erfaßt werden können, wenn auch angesichts de» dringenden Finanzbedarf» de» Reiches an der grundsätzlichen Annahme des Vorschlages kaum Zweifel bestehen dürften. Der Fünfzehner. Au»schuß de» Reichs tages befaßte sich heute vormittag wcitrr mit der zweiten Steuernotverordnung. Vie Aiahlen in Griechenland Athen» 17. Dezember. lLig. Lel.) Di« bi» fetzt bekannten Dahlresultate ergeben, daß ungefähr hundert Revolutionär« und Denise» listen gewählt worden find. Die Revolutionäre planen für S Uhr nachmittag» ein« MaHeaverstua»- lung, in der sie die Republik proklamieren wollen. Der König wird Veniselos auffordern, sofort nach Griechenland zurückzukehren. Nie Umgestaltung -er Reichsbahn Berlin, 16. Dezember. Ein Vertreter de» W. T.B. befragte den Reichsverkehrsministev, wie es um die F i n a nz l age der Reichsbahn bestellt sei und welche Pläne er für die Wiederherstellung gesunder Verhältnisse habe. Reichsminister Orser führt« dazu ungefähr folgende« aus: Bekanntlich hat seit dem 15. November diese» Jahres die Finanzierung der deutschen Reichsbahn au» allgemeinen Reichsmitteln aufgehört, ohne daß diesem Riesenuntern«hm«n mit einem Anlagewert von mehr als 25 Gold-Milliarden ein Betriebs- fonds mit auf den Weg gegeben worden wäre. Dazu kommt, daß da« Unternehmen, das während des ganzen Jahres 1922, das heißt bis zum Ruhr- kampf, in seinem Etat balancierte, in den letzten Monaten infolge der Aufgabe de» Rhein- und Ruhr kampfes mit Fehlbeträgen arbeiten mußte und heute ohne Deckung für seine Verpflichtungen für werbende Anlagen dasteht. Es muß deshalb vor übergehend dem Unternehmen auch an Barmittem zur Deckung dieser großen Gesamtverpflichtungen so lange fehlen, bis es sich eine neu« Kredit organisation aufgedaut hat. Die Personalkosten und di« laufenden sachlichen Kosten (z. B. für Kohle, O - l usw.) können bereits heute wieder aus den laufenden Ein- nahmen gedeckt werden. Ander» liegen noch die Verhältnisse bei den Kosten für Rhein und Ruhr und für werbende Anlagen wie neue Lokomotiven, Wagen, Bahnhofsanlagen usw. Ls ist selbstverständ lich, daß, nachdem der Finanzminister der Reichsbahn seine Kredite entzogen hat, es augenblicklich der Reichsbahn an Mitteln fehlt zur Finanziernug dieser Projekte, wie das bei einem Privatunternehmen nicht anders sein würde. Der Mangel an Betriebs- Mitteln ist leider eine gang allgemeine Erscheinung der heutigen deutschen Wirtschaft. Ueber die be- zeichneten Bauten und Beschaffungen laufen eine Reihe von Vertragen, die bis zum 1. April 1924 schätzungsweise eine Belastung von rund 200Mil- lionen ausmachen. Hinzu kommen für den gleichen Zeitraum rund 100 Millionen für Ausgaben, die mit dem Ruhr-Schicksal Zusammenhängen. Jur Deckung dieser 300 Millionen und zur Bildung eine« Betriebsfonds, den ein so großes Unternehmen wie di« Reichsbahn nicht entbehren kann, müssen Kredite in Anspruch genommen werden. Es ist nur natürlich und dankenswert, daß die In dustrie, der die gesamten Bestellungen der Reichs- bahn zugute kommen, ihren Wechselkredit zur Verfügung gestellt hat. Wenn in einer Mitteilung von Verpflichtungen der Reichsbahn in Höhe von 550 bis 600 Millionen di« Rede ist, so entbehrt diese Angabe der Grundlage. Es scheint sich hier um eine Verwechslung mit Beträgen zu handeln, die unter Umständen einmal für Znvestitionsanleihen in Betracht kommen könnten, wenn die Reichsbahn wieder an Bauten und Beschaffungen in größerem Stile Herangehen kann. Der Boden für diese Kre ditaufnahme und für eine durchgreifende Sa- nierung des Unternehmens ist vorbereitet. Der eingeleitete Personalabbau und die schärfste Einschränkung in allen sächlichen Ausgaben werden sich bereits in allernächster Zeit finanziell günstig auswirken. Darüber besteht kein Zweifel mehr, daß — das Dringlichste — die Be triebsform der Eisenbahnverwaltung wesent lich geändert werden muß. Ls müssen neue Wege eingeschlagen werden, um den Leistungsgrad des Unternehmens weiter zu steigern, als es heute in den Formen der Staatsverwaltung möglich ist. Di« Umstellung des Reichsbahn-Unternehmens wär« längst erfolgt, wenn nicht der Ruhr-Einbruch dazwischengekommen wäre. Jetzt ist die Durch- führung eingeleitet. Der Reichsfinanzminister hat den neuen Vorschlägen grundsätzlich schon zugcstimmt, und baldigst wird sich auch das Kabinett mit der Frage beschäftigen. Vorher werden selbstverständ lich die Länder, di« am Staatsvertrag b-teiligt sind, gehört werden; ebenso werden der Reichs- rat und der Fünfzebner-Ausschuß des Reichstages damit befaßt werden. Es ist ein« Notverordnung geplant, deren Ablösung durch endgültiges Gesetz zum 1. April nächsten Jahres er- folgen soll. Die Reichsbahn hat di« innere Kraft und ebenso den festen Willen, diese Organisation selbst zu ge- stvlten; sachkundigen Rate» wird sie sich dabei gern bedienen. * Dor dem 15. November hat die Reichsbahn, die bis 1. November mit ihren Tarifen der Geld entwertung regelmäßig weit nachhinkte, so viel Geld bekommen, al» sie nur haben wollte. Ob das Reich ein paar Schatzwechsel mehr oder weniger an die Reichsbahn begab, darauf kam es nicht an. Wer aber braucht kein Geld, wenn er es sich ebne viel Schwierigkeiten beschaffen kann? Die Reichsbahn hatte also immer großen Geldbedarf. Mi» dem 15. November ist das anders geworden. Der Diskont von Schatzwcchseln bei der Reichsbank hat aufgehört und da» Reich selbst Hot mit argen finanziellen Nöten zu kämpfen. Don ihm kann die Reichsbahn kein Geld mehr erhalten und muß wohl oder übel versuchen mit ihren Einnahmen aus zukommen. Zur Ehre der Reichseisenbahnverwaltung sei es gesagt, daß sie diese Schwierigkeiten rechtzeitig voraussah und schon vor dem 15. November versucht hat, die Ausgaben möglichst herabzumindern. Sonst wäre der letzte Versuch d«r Schwerindu strie, die Reichsbahn in ihren Besitz zu bringen, oder sich wenisten» einen kräftigen Einfluß zu sichern, nicht so leicht abgeschlagen worden, daß schon am nächsten Tag« das Stinnesorgan, die „Deutsche All gemeine Zeitung", erklärt hätte, Etinn«« habe nie irgendwelche Absichten auf di« Reichsbahn gehabt. Gewiß, auch wenn di« Not noch tausendmal größer gewesen wäre, so hätte doch niemals davon di« Rede sein können, daß die Reichsbahn der Schwerindustrie ausgeliefert werde, aber so schnell hätten diese Herren sich wohl nicht damit abgefunden, auf ihren Lieb lingsplan zu verzichten. Die finanziellen Schwierigkeiten der Reichsbahn erzwingen ein« Lenderung der Betriebs form. Man fühlt sich versucht, au» den Dorten, daß di« Reichsbahn sich ihre Organisation selber schaffen werde, eine Absage an bi« schwerindustriellen Pläne herau»zul«sen, so daß der Verzicht der Stiane» und Konsorten wohl al» nunmehr endoültig anzu sehen wäre. E» wär« jedoch zu wünschen gewesen, dach der Seichseijendahmainiper sich in diejer KrnM vienning, ckea 18. venrmd« klarer ausgedrückt hätte. Man könnte sich sonst z. Bi denken, daß die Reichsbahn in Zulunit in Form einer Aktiengesellschaft betrieben werd«, und daß die Staatsverwaltung über kurz oder lang sich zu einem ehrlichen Geschenk an die Börse bereitfindeu könnte, wie dies bei den Deutschen Werken geschehen ist. Und da» wäre bei der Reichsbahn noch weniger wünschenswert al» bei dieser. Klar ist, daß der staatsbürokratische Betrieb fallen muß. Der Eisenbahnbetrieb ist die Do- mane des Ingenieurs und Kaufmanns nicht aber der Derwaltungsbeamten. Um das jedcch, was geschehen soll, hat der Reichseisenbahnminister zunächst vorsichtig drum herum gesprochen. So wird man, so sehr die bevorstehende Umstellung zu be grüßen ist, doch zunächst di« Bekanntgabe näherer Einzelheiten abwarten müssen, bevor man dem Plan der Reichseisenbahn vorbehaltlos zustimmen kann. Oie Herabsetzung der Kohlenpresse Während sich in letzter Zeit der Preisabbau auf vielen Gebieten der Wirtschaft durchgesetzt hat, ist der Ruf nach Ermäßigung der Kohlenpreise bisher wirkungslos verhallt. Die deutschen Kohlenprcise liegen seit geraumer Zeit beträchtlich über denen des Weltmarktes. An die Möglichkeit des Absatzes nach anderen Ländern ist nicht zu denken, und die inländische Industrie sucht ihren geringen Bedarf im Ausland« zu decken. Bei Angeboten, die sich nur 40 Prozent niedriger hielten, als für heimische Kohle gefordert wnrd<-, ist es England nicht schwer g - fällen, große Teile seiner Steinkohlenförderung in Deutschland abzusetzen. Jetzt ist die Frage des Ab- baue» der deutschen Kohlenpreise aber brennender denn je geworden. Um gegenüber der fremden Kohle in Zukunft aber wettbewerbsfähig zu sein, haben die Zechcnbesitzer des Ruhrgebietes beschlossen, die Preise der Ruhrkohle an die englischen Kohlen- preise anzugleichen, also entsprechende Herabsetzungen vorzunehmen. Wenn die Zechen- besitzer auf einmal betonen, daß die Ermäßigung notwendig gewesen sei, um die weiterarbeitende In dustrie dem Auslande gegenüber wieder konkurrenz fähig zu machen, so versteht man nicht, weshalb man im Interesse der Volkswirtschaft diestn Schritt nicht schon früher unternommen hat. In Wirklichkeit wird das Abkommen über die verlängerte Arbeitszeit in preissenkendem Sinne gewirkt haben. Die neunstündige Arbeitszeit im Bergbau laßt eine erhebliche Mehrleistung erwarten; daneben bringt sie aber eine Verminderung der Entstehungskosten mit sich. Der Lohn- abbau, wie er sich jetzt allenthalben vollzieht, scheint ebenfalls, bei der Herabsetzung der Kohlen preise nicht ohne Einfluß gewesen zu sein. Man kann wohl jetzt schon ohne Uebertreibung feststellen, daß aus dem Abbau im Kohlenbergbau dem Unternehmer keine Opfer entstanden sind, und diese Herabsetzung in erster Linie auf die Konzessionen der Arbeitnehmer zurückgeführt werden, muß. Trotz- alledem ist es aber zu begrüßen, daß mit der An- gleichung der deutschen Steinkohlenpreis« an die englischen wieder Exportmöglichkeiten für die Förderung selbst und weiter für die verarbei tende Industrie geschaffen werden. Unserer passiven Handels- und Zahlungsbilanz kann damit endlich wieder etwas aufgeholfen werden. Aber auch auf die Warenpreise sollte diese erste Kohlenprcis- ermäßiqung, der sich hoffentlich die übrigen Reviere umgehend anschließen werden, nicht ohne Einfluß bleiben. Ist doch die Kohle einer der Faktoren, die in erster Linie die bisherige Preissteigerung ver- ursacht haben. Eine stürmische Versammlung Reichsminister a. D. Sollmann sprach am Sonntag mittag im Großen Saale des Zentral theaters in einer sehr gut besuchten Versammlung der republikanischen Jugend über di« Deutsche Republik. Die Rede enthielt keine besondere» Gedanken, sie sollte mehr das Ideal einer künftigen sozialen und demokratischen Republik aufzeigen. Der Geist, der heute in der Republik noch herrsche, kci nicht immer der Geist der Weimarer Verfassung. Zn der Republik dürfe es kein anderes Gesetz geben, als das des Volkes. Der Reichswehreinmarsch in Sachsen sei ein schwerer Fehler gewesen, der sich heute schon innen- und außenpolitisch räche, das Der- bot der kommunistischen Partei sei eine Unklugheir gewesen; man könne zwar di« Organisation, aber nicht den Kommunismus verbieten. Das Ziel d:r Sozialdemokratie sei eine freie Republik innerhalb der großen Pölkerfamilie. Das Land der Dichier und Denker sei auch das Vaterland des Sozialdemo kraten, und er, Sollmann, liebe dieses Vaterland über alles; er bekämpfe dagegen das Land der Mo- narchisten und Militaristen, die im Laufe der Jahr- Hunderte das Vaterland wiederholt verraten hätten. Auch die Republik brauche ein« Wehr, und der Soldat und Offizier, der seinen auf die Verfassung geleisteten Eid heilig halt«, verdiene Achtung. In der heutigen Reichswehr seien gewiß auch Republikaner, an sich sei aber die Reichswehr heute nicht das Instrument, Lus sich die Deutsche Republik wünschen müsse. Ebensowenig rü'.e die Jugend des Fabrilproletariats nur aus Materialisten bestehe, seien die Hochschulstudenten lauter Hakenkreuzler und Rechtsbanditen. Hei: würde der Deutschen Republik widerfahren, wenn ce gelänge, die studierende und arbeitende Jugend unter der republikanischen Fahne zu einigen. Sollmann wurde wiederholt von stürmischem Bet fall der republikanischen Jugend, aber von Anfang an auch von albernen und unflätigen Zurufen der (unter Führung Paul Böttchers) anwesenden Koni- unmisten und Anarchisten unterbrochen. Einigemal« schien es, al» ob die Versammlung überhauvt be sprengt würde, solchen Lärm machten einige lang haarige Anarchistenjünglinge. Man warf dem Redner das Ermächtigungsgesetz vor, wenn er von einer ganz anderen Materie sprach, man schrie „Hitler und Ludendorff", wenn es sich um den Untergang des Mittelstände» handelte. Zuruf« wie: „Dir wollen überhaupt keinen Staat". „Soldaten sind keine Menschen", kennzeichneten da» Niveau dieser Leute. Sollmann gab ihnen meisten« sehr schlagfertige Ant worten, worüber aber die „geistig Unterernährten" nur höhnisch lachten und sich so selbst verspotteten. Al» zum Schluß di« Kommunisten, nachdem sie die International« gesungen hatten, versuchten, di« Ver sammlung für sich in Anspruch zu nehmen, löste sie der wachhabend« Beamte auf. —v— Da» Gerücht, daß Lenin sich in Pistytn, dem slowakischen Moorbad, aufhalte, entspricht, wie un» von unterrichteter Stelle gemeldet wird, der Wahrheit. Lenin ist mit seiner Frau und einem Sekretär in sternqstem Inkognito gereist und bleibt in Pistysn für die Bevölkeruog wie für Ioerrna- listen unsichtbar.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)