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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 16.12.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-12-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192312160
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19231216
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19231216
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-12
- Tag 1923-12-16
-
Monat
1923-12
-
Jahr
1923
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Vom Tage Ter Flammentod der Obdachlose« Gelt Monaten diene» die in der Umgebung Leip- z'ü» gelegt»«» Aetoicheuven al» SchcmumerstLtte» s»» Arbe»t»- und Obdachlose. WiederhoU hat die Po.izet die Slester ausgehoben, aber immer wieder r-.-ceu die Wohnuugs.o,eu in diese Stotquartiere zurück. So auch tu Eutritzsch. 3» der Stacht zu« Sonnabend hatten sich in der Feldscheune ein« größere Anzahl Per,onen e,«gefunden, wegen 1 Uhr wurde F«uer,chem bemerkt. Die Gohliser Feuerwache rückte >saet an, tonnte jedoch nicht» mehr retten. Die ge- ,..mte Scheune war eia Flammenmeer. Bet de» Auseuumung». und Loschung»ard«lten stieß man auf »wei vollständig vertohlt« und un kenntliche menschliche Körper. Drei ,:urge Burschen trieben flch in der Rahe der Brand stelle herum unü erboten sich, Bericht -u erstatten. S.e wurden nach der Polizeiwache gebracht. Ihren Eingaben nach haben in der Nacht zum Sonnabend etwa 20 bis 25 Personen in der Scheune genächtigt. EcgtN 1 Uhr soll einer der Obdachlosen Feueralarm geich.agen haben. Der größte Teil der Anwesenden glaubte ihm jedoch nicht, da derartige.Scherze* sich allabendlich wiederholten. Erst al» der Ernst der Lage erkannt wurde, flüchteten die aus dem Schlafe G.jchreckten. E» scheint, daß es nur der Hälfte der Personen gelang, sich tu Sicherheit zu bringen. Nach den weiteren Aussageu der drei Fest genommenen soll ein Arbeitsbursche de» Brand ver- u»,acht haben. Er wird von der Polizei gesucht. Oie Entstehung des Feuers lieber di« Entstehungsursache de» Brandes gehen die Armaden der bisher verhörten Personen weit auseinander. Jedoch vereinigen sie sich alle auf den gesuchten Arbeitsburschen. Nach einer Dar stellung soll er mit zu den Nächtigenden gehört und den Brand beim zigarettenrau chen verursacht haben. Er soll auch der erste gewesen sein, der sich in Sicherheit brachte. Bon anderer Seite aber wird behauptet, daß der Gesuchte, der schon öfters in den Scheunen genächtigt hatte, obwohl er eine feste Wohnung in der GörUtzer Straße besitzt, auch die letzte Nacht in der Lutritzscher Scheune zubringen wollte. Die wirklichen Obdach losen waren gegen sein Derweilen und prügelten ihn hinaus. Nun soll er das Feuer aus Rache angelegt haben. Welche Darstellung die richtige ist, muß erst die amtliche Untersuchung er geben. Die Polizei ist fieberhaft tätig, die Ursache des Unglücks zu erforschen und des mutmaßlichen Täters habhaft zu werden. Wieviel Personen bei dem Brande tatsächlich ums Leben gekommen sind, ließ sich bis Sonnabend mittag noch nicht fest stellen. An der Brandstätte Weit draußen in Eutritzsch, wo die Häuser schon sehr spärlich gesät sind und Aecker und Wiesen sich breiten, über die der Wind Schneeflocken und Aeßen- tropfen wirbelt, steigt dichter Qualm zum trüben Himmel empor. Als wir uns nähern, sehen wir hier und da noch gelbrote Flammen aufzüngeln. Ein beizender Qualm dringt in di« Nase. Don der Straße gegenüber dem Gasthof „Goldener Helm* sind ueit über das Feld bis zur schwelenden Brandstätte Gummischläuche gelegt, aus denen noch zahlreich an wesende Feuerwehrleute Wasser auf die noch nicht abgelöschtrn Ueberreste geben. Wir wandern auf dem Schuttfcld umher. Hier und da liegen verkohlt« Balken und Sparren. Völlig durchnäßte», zum Teil versengtes Heu liegt in wirren Haufen. Unter gelben Strohbündeln befindet sich ein schwarz verkohltes undefinierbares Etwa». Wir müssen es schon sehr genau in Augenschein nehmen, um zu erkennen, daß es sich um mensch liche Körper handelt. Die Identifizierung der beiden bisher gefunden Leichetn dürfte sehr schwer- halten. Die Feuerwchrleute gehen bei ihren Ablöschungs und Aufräumungsarbeiten mit größter Vorsicht zu Derk«, da mit Bestimmtheit damit zu rechnen ist, daß sich »och Tot« unter den verkohlten Trümmer» befinden. L» gilt, diese heraus zufinden und auch di« Möglichkeiten ihrer Zdentifi- zierung nicht gänzlich zu verstören. Soweit wir au» dem Gehörten feftstellen, sind in den Angaben der festgenommenen Burschen gewisse Widersprüche vorhanden. Immerhin scheint sich al« Kern au» den verschiedenen Erzählungen herau»- »uschälen, daß ziemlich sicher mit einer fahr lässigen Brandstiftung gerechnet werden muß. Auch die Behörde glaubt bisher nicht, daß ein Racheakt de» ursprünglich au» der Scheune aus- gewiesenen und nachher doch noch hinetag'laflenen Ader in Betracht kommt. — Bemerkenswert erscheint, daß auch die bei dem Brandunglück verletzten und vielleicht auch bei dem Spruna in» Frei« zu Schaden gekommenen Personen mit dem Haupttrupp der Ge retteten, nach den Angaben der Festgenommenen etwa 15 Personen, bis zum Hauptbahnhof gelangt sind. Die mit Brandwunden und mit anderen Verletzungen behafteten Personen wurden auf der Sanitäts- wach« des Hauptbahnhofe» verbunden und dann entlassen, beziehungsweise dem Kranken. Haus St. Jakob -»geführt. Schwere Der- letzungen hat indes keiner erlitten. Der im Kranken- Haus St. Jakob mit Brandwunden an Händen und Füßen eingelieferte jung« Mann sagt aus, das Feirer sei seiner Ucberzeugung nach von einem Nach zügler, der um ein Uhr nacht» die Scheune auf- sucht«, verursacht worden. Dieser habe eine Kerze angesteckt und diese an der Wand be festigt. Durch die brennende Kerze sei Stroh in Brand geraden und gleich lichterloh aufgeflammt. Auf den Schreckensschrei de» Nachzügler« „Alles rau», di« Scheune brennt I* seien etwa 15 Personen, darunttr auch er, ins Freie gestürzt. Ueber das Leben und Treiben -er Obdachlosen gab der Besitzer der Scheune uns folgendes anschau liche Bild: Das Gebäude bestand durchweg aus Holz. Die ein« Hälfte war mit Brettern verschalt. Hier waren etwa 1000 Zentner Preß st roh auf gespeichert. Die andere Hälfte der Scheune diente al« Lagerplatz für etwa 700 Zentner Kleeheu. Beide Abteilungen waren durch eine offene Tenne getrennt, auf der mehrere Wagen, Maschinen und sonstiges landwirtschaftl che» Geräte standen. In der Strohabteilung herrscht« seit Monaten ein munteres Treiben. Allabendlich fanden sich hier eine größere Anzahl Personen, männlichen und weiblichen Geschlechts, ein. Aus auf- getürmten Strohballen, di« sie mit Latten u"d Brettern stützten, hatten sie sich Unterstände ge baut. In diesen Nestern ging es recht gemütlich >u. Licht wurde gebrannt und Karten gespielt- Es wurde gegessen und getrunken, was sich die Insassen in den Häusern der Umgebung zusammengebettelt hatten. Di« Bewohner dieser Höhlen rekrutierten sich zumeist aus Arbeitslosen und Leuten, di« sich obdachlos in Leipzig aufhielten. Aber auch eine Menge lichtscheue» Gesindel, da« sich sonst in den Räumen de» Hauptbahnhofes Herumgetrieben hatte, fand hier draußen Unterschlupf. Der Besitzer der Scheune hatte schon wiederholt versucht, ihrem Treiben zu steuern, und di« Polizei hatte das Nest mehrmals geräumt. Aber immer wieder fanden stcy die Besucher ein. Mit schärferen Mitteln gegen sie vorzugehen, wagte der Besitzer nicht, da er damit rechnen mußte, daß ihm die Ausgcwiesenen oie Scheune abbrennen würden. Das nächtliche Treiben wurde aus diesem Grunde stillschweigend geduldet. Auch ein« Anzahl weiblicher Personen be fanden sich unter den Asylisten. St« bliebe« tags über tn der Scheune und führten da» „Hauswesen*. Der männliche Teil durchzog bettelnd die Umgebung und sorgt« für da» leibliche Wohl. Erst am ver gangenen Mittwoch holt« die Polizei 21 Personen au» der Scheune h«rau». E» war«n 15 Männer und 8 Frauen. Darunter befanden sich Mädchen m jugendlichem Alter. Ob auch tn der Sonnabendnacht weiblich« Per sonen unter den Bewohnern gewesen find, konnte bk»her mit Sicherheit nicht sestgestellt w«rden. Preiserhöhungen zu Weihnachten Dom Presseamt der Stadt Leipzig wird uns ge schrieben: Die Preisprüfungsstelle Kat, wie tn früheren Jahren, auch jetzt wieder festaestellt, daß Erzeuger und Händler angesichts der größeren Nach frage der Derbraucherschaft nach bestimmten Nahrungsmitteln zu den bevorstehenden Weihnachtstagen die Preise wesentlich heraufsetzen. Ein solches Verfahren ist um so mehr zu mißbilligen, als e» den notwendigen wcit-ren Preisabbau hemmt und dazu beiträgt, die Stab li- sierung der Mark zu gefährden. Die Preisprüfungs- stelle wird durch die Wohlfahrtspolizei (Wucher- polizei) die Preisgestaltung in den nächsten Tagen besonders scharf überwachen lassen und Er zeuger und Händler wegen sestgestellter unberechtigter Preiserhöhungen zur Rechenschaft ziehen. Ern Pfund Brot IT Pfennige Dom Presseamt der Stadt Leipzig wird uns ge schrieben: Die Preisprüfungsstelle hält auf Grund ihrer Feststellungen über die Höhe des heutigen Mehlpreises eine weitere sofortige Herabsetzung des Brotpreises für notwendig. Sie erachtet einen Preis von 17 Pfennig für das Pfund Roggenbrot erster Sorte (70prozentig) für Montag, den 17. d. M., für angemessen. Jede an gezeigte Ucberschreitung wird auf ihre Berechtigung nachqeprüft werden. Im Inseratenteil der heutigen Nummer wendet sich die Väckerinnunq Leipzig in der Frage der Fest- setzung der Brotpreise an die Einwohnerschaft. 41OVV Vollerwerbslose in Leipzig Der Arbcitsmarkt in Leipzig hat sich in der ersten Dczemberwoche weiter erholt, wenn auch die Be lebung des Geschäftes sich in engen Grenz n gehalten und nur auf einen Teil der Gewerbe erstreckt hat. Im allgemeinen ist der Zugang an Arbeitsuchenden durch die Dermittlungstätigkeit des Städtischen Arbeitsnachweises ausgeglichen worden, so daß die Zahl der Erwerbslosen etwa unser- ändert geblieben ist. Gebessert haben sich di« Arbeitsverhältniffe in der Metallindustrie, in der Textilindustrie im Buchbindergewerbe, in der Möbel industrie, im Süßwarengewerbe, im Tabakgewerbe, in Teilen des Bekleidungsgewerbes (Wäsche und Schuhwaren) und im Transportgewerbe. Der An laß zu der günstigen Entwicklung ist zum Teil ich Weihnachtsgeschäft zu suchen; es bleibt ab zuwarten, ob die Belebung auch nach Weihnachten anhatten wird. Im Rauchwarengewerbe war die in der Vorwoche gemeldete Besserung der Arbeitsvcr- hältnisse nicht von Dauer. Auch in der Landwirt schaft, in Teilen des Hol.zgewerbes, im Nahrungs- mittelgcwerbe, im Gastwirtsgewcrbe, im Schneider gewerbe, im Baugewerbe und im graphischen Ge- werbe sind die Aussichten für Arbeitssuchende wenig günstig. Hoffnungslos bleibt, trotz erhöhter Ver- ksntsnmarkeinlsgen bi» auk vsiterss »ds koIZI: IVir verzinsen 4"/, iür» ^sbr bei kügliebsr VerküßunF, 6"/. » » » 1 monatiger Kündigungsfrist oder auf 1 Klonst fest und kübren ß» HentemuLrlL ?u grinst. Bedingungen. WiMlne lleßtlllie vrMLiiM, I-eißriz Aktienkapital: Kl. 1.200.000.000 Reserven rd.: kl. 900 000.00^ ^WWWWWMWWMWWUWWW ß Iß MM PNtlINlM! ver vriektrklger vird 1» den vöedsta» Poge» deo ka«i«r«o. v» sieb bei »vioer k^tssttung Lod« klovemdvr dvieits «in» 8e»»erung der OeldvordSItoi»»» dsmvrlrd»r maedt«, ist sr auk ß li«Il»«1l lllNlMlttt vordso. Vv ckls postalischen Vorsedriktsn vvrlaugvn, d»L dis veränderten korugs- kreis» einen Klonst vorder onrumelden sind, vird ovsntueilsn weiteren Lreis- ssvllungeo kür ksdruar Keednrmg ge tragen werden nnttlungstätigkeit des Städtischen Arbeitsnachweise« in der Berichtswoche, die Lage des Arbeitsmarktes für kaufmännische, technische und Büro-Angestellte. Hier steigt die Zahl der Erwerbslosen noch immer. Da für den 1. Januar 1924 einem erheblichen Teile des Personal» der Banken gekündigt worden ist, ist ein Ende dieser Entwicklung noch nicht abzu sehen. Die Zahl der unterstützten Erwerbslosen betrug in Leipzig in der ersten Dezemberwoche 41 220, in der Vorwoche 40 680. An Unter- stlltzungen wurden 237712 Billionen Mark ge zahlt gegenüber 297 230 in der Vorwoche. Der Rück gang der ausg zahlten Unterstützunysbeträge steht im Zusammenhang mit der Abnahme der unter stützten Kurzarbeiter auf 49 200 nach 63 400 in der Vorwoche. Die Gesamtzahl der Kurz arbeiter (unterstützte und nicht unterstützte) ist in Leipzig erheblich höher und betrug in der ersten Dezemberwoche rund 70 000. Steuer vom Arbeitslohn Vom Landcsfinanzamt Leipzig wird uns über den Lohnabzug für die Woche vom 16. bis 22. De zember 1923 geschrieben: Die Derhältniszahl, mit der die in der zweiten Septemberhälfte in Geltung gewesenen Ermäßi gungen beim Steuerabzug vom Arbeitslohn „U ver- vielfachen sind, beträgt für die Zeit vom 16. bis 22. Dezember 650 000. Vei der Berechnung des Steuerabzuges von dem in der Zeit vom l6. bis 22. Dezember 1923 fällig gewordenen und gezahlten Arbeitslohn sind die Ermäßigungen der zweiten Septemberhälfte mit 650 000 zu vervielfachen. Unter Zugrundelegung der Verhältniszahl 650 000 ergeben sich z. B. folgende Wochenermäßigungen: für die Zeit von... bi» .. für Steuer pflichtigen und Ehefrau je Mt !ür fedcS min- deriühr. Kind Ml. für Wer- vungslosten Mk 15. bi« 80. S. 1923 cSruntnahli 9. bis 15. 12. 850 000 iacv 16. bis 22.12 1923 650 000 fach 172800 116 880000 000 112 220000000 1152000 979 2000t« 000 748800000 000 14400M 1224MUliard 936 , Der im Wege des ZteuerabzugS einzubehaltend« Retrag ist in allen Fällen auf volle zehn Milliarden Mark nach unten abzurunden. * Pensiourzahluug. Das Dersorqungsamt teilt uns mit, daß nächster Zahltag für Ruhegehalts- usw. Empfänger am 17. Dezember 1923 ist. 'Ermäßig«»«» der Preis« für Schüler-Ferienkarte» ia de» Weihnachtsferien. Die Schüler-Ferienkarten werden anläßlich der Wcihnachtsferuen um die Hälfte des Preises ermäßigt. Die in einem Teile der Tages- zeitungen enthaltene Mitteilung, daß auch die Zeit karten weiter verbilligt werden sollen, trifft nicht zu. Jacob Grimm in Leipzig Reue» zur Geschichte der Göttiuger Siebe«. Don 0r. «armsnn tz/IlelH»! Am 16. Dezember 1837 überschritt ein hagerer Mann von etwa fünfzig Jahren mit langem lockigen Haar und klugen, traurig bl-ckenden Augen die grenze von Hannover und Hessen. Ein kleiner Bube wich scheu vor ihm zurück. Da sagte die Großmutter, die den Mann wohl kannte, zu ihrem Eiuel: „Gib dem Herrn ein« Hand, er ist ein Flüchtling.* Es war Jacob Grimm. Er kehrte in sein Geburtsland zurück, das ihn am Abend ungern w.eoer auinahm. Bcnnen drei Tagen hatte er wat- l.ngen, die Stätte seiner achtjährigen Wirksamkeit, verlassen müssen. Auf allerhöchsten Befehl. Einer der größten Gelehrten, d - " gebracht hat, zudem ein Mann von heißer Vater landsliebe, war ausgew.. Landstreicher. Was war geschehen? Ein König hatte die Verfassung gebrochen. Hatte bald nach seiner Thronbesteigung das Staatsgrund- gesetz von Hannover kurzerhand aufgehoben. Jacob Grimms Nechtsqesühl war durch das königliche Machtgebot empfindlich beleidigt worden. Auf die Verfassung hatte er einen Eid geschworen, und die Stimme des Gewissens sprach so laut in ihm, daß er l.cber alles verlieren als ein Meineidiger werden wollte. „Denn wozu sind Eide*, rief er in verhal tenem Zorn noch viel Jahre später aus, „wenn sie unwahr sein und nicht gehalten werden sollen?* Mit seinem ihm innig verbundenen Bruder Wilhelm und fünf anderen Professoren der Göttinger Uni- versität, die eben damals ihr hunderjährige» Stif- tungsfest beging, erhob er gegen den Verfassungs bruch feierlich Einspruch. Daraufhin wurden die tapferen Göttinger Sieben sämtlich ihrer Bemter entsetzt. Obendrein erhielten Jacob Grimm und die beiden Historiker Dahlmann und Gervinu» -inen Ausweisungsbefehl, weil sie zur Verbreitung de» Proteste« beiqetragen hatten. In Hannover flammte keineswegs allenthalben Entrüstung auf. Man war zaghaft bis zur Feig heit und wollte die eigene Existenz nicbt auf» Spiel setzen. Ein höherer Beamter tat den klassischen Aus- spruch« „Wir habe« es nicht gewaat. dem König« zu widersprechen, und sieben Professoren nehmen sich'» heraus.* Um dieselbe Zeit und in derselben Angelegenheit schrieb der preußisch« Minister von Rochow, es zieme sich für den Untertanen nicht, an die Handlungen des Staatsoberhauptes den Maßstab seiner beschränkten Ein sicht anzulegen: woraus dann das Wort vom be schränkten Untertanenverstand erwachsen ist. Alle deutschen Regierungen stießen in das gleiche Horn. Nach der ersten Bestürzung raffte sich indes wenigstens das Bürgertum auf, und eine Bewegung von solcher Einmütigkeit entstand, wie sie bis dahin in deutschen Landen selten zu verzeichnen war. Leipzig übernahm die Führung. Hier bildete sich ein Göttinger Verein mit dem Zweck, jedem der Sixben das volle Gehrlt, das er in Göt- tingen bezogen, bis zu seiner Wiederanstellnng aus- zuzahlen. An der Spitze standen unter anderen Gustav Harkort, A. Dufour, Otto Wigand und die beiden Inhaber der Weidmannschen Buchhandlung Karl Reimer und Salomon Hirzel. Einiges Neue über diesen Verein, dessen segens volle Tätigkeit bisher wohl Anton Springer in seiner prächtigen Dahlmann-Biographie am eindringlichsten geschildert hat. erfahren wir au, der kürzlich er schienenen reichhaltigen Sammlung von „Briefen der Brüder Grimm*, die Albert Leitzmann aus dem Nachlaß des frühvollendeten Hans Gürtler herausgegcben hat (Jena, Frommannsche Buchhand lung, Walter Biedermann). Mehrfach dankt Wil- Helm Grimm für Geldsendungen d«s „Leipziger Eomitös*. Dor allem aber gewihren diese Briefe näheren Einblick in die Stimmung der Brüder Grimm zur Zeit ihrer unfreiwilligen Muße, und auch ihr äußere« Leben läßt sich danach etwas ge nauer verfolgen; zudem fallen auf ihr« Schicksals- g«nossea manche Streiflichter. Ursprünglich bestand der Plan, sicher bei den Stiftern de» Göttinger Verein», vielleicht auch bei der sächsischen Regierung, di« sieben Professoren alle» Männer von größtem wissenschaftlichen An- sehen, nach Leipzig zu verpflanzen und so der all gemach ein wenig altersschwach gewordenen Hoch- schule neue» Blut »uzuführen. Zunächst kam Dahl- mann nach Leipzig. dann der Jurist Albrecht im Juli 1838 Jacob Grimm. Dem gar nicht welt- läufigen Gelehrten wollte es aber hier nicht recht behage», wi« wir au» einem Pries seine» Bruder« erfahren: „Das geräuschvolle, unruhige Leipzig, der sächsische Zuschnitt der Universität und der Geist, der dort herrscht, haben Jacob nicht gefallen, wie dani- bar er auch die wohlwollende Gesinnung vieler red lichen Menschen anerkennt." Der Entschluß, nach Leipzig zu ziehen, wäre also ausgegeben worden, auch wenn die starke Teuerung nicht davon abge- raten hätte. Ucbcrdies scheint der Mut der sächsischen Negi«. rung sehr bald in die Brüche gegangen zu sein. Dahlmann, der Leipzig bald wieder unwillig ver lassen hatte, war wohl im Recht, wenn er meint«, alle deutschen Regierungen seien von Berlin au» und der Wiener Hofburg angewiesen worden, keinen der sieben Professer vorläufig ein Amt zu über tragen. Am ehesten gelang es dem Orientalisten Ewald in Tübingen eine Professur zu erhalten. R> ch einer Mitteilung Wilhelm Grimms sagte der König von Württemberg zu Ewald: „Ich habe Sie ange- stcllt, nicht paroe que, sondern quoique*. aber selbst zu einem solchen quoique scheine weit«r kein großer Herr sich entschließen zu wollen . . . Später ist übrigens die Courage de» Württembergers offenbar gewachsen. Al» er mit dem König von Hannover in Berlin zusammentras (Treitschke berichtet das), fragte der Welse grob: „Warum haben Sie einen Professor angestellt, den ich fortgejaqt hab«?* Darauf der Württemberger: „Eben deswegen!* Schon bevor Jacob nach Leipzig kam, hatten die Inhaber der Weidmannschen Buchhandlung den Plan gefaßt, durch eine große wissenschaftliche Arbeit, die sich gleichwohl auch an die Allgemeinheit wenden sollte, di« Zukunft der Brüder Grimm einigermaßen sicherzustcllen. Karl Reimer war selbst nach Kassel gepilgert, begleitet von dem jungen Leipzig«« Privat dozenten Moritz Haupt, den die Grimm» sehr schätz ten, um die Sache mit Jacob genauer zu besprechen. Es handelte sich um die Abfassung eine» Deut schen Wörterbuch«, da» den unendlichen Reichtum unserer Sprache von Luther bi» Goethe in sechs oder sieben starken Bänden verzeichnen und ge- schichtlich erklären sollte. Jacob war erfreut über den Vorschlag, äußerte nur gewisse Bedenken, die sich aber rasch zerstreuen ließen. Im Laufe de» Som- mer» gewann der Plan festere Gestalt, und bald nach seiner Rückkehr au» Leipzig sandte Jacob einen kleinen Artikel über da» Wörterbuch « Reimer, -en dieser der vor kurzem »o» Brockha»» begründete» „Leipziger Allgemeinen Zeitung* zur Veröffentlichung übergab. In dem Begleitbrief ge- denkt Jacob auch des mit Reimer verschwägerten Salomon Hirzel: „Hätte ich noch irgend Zweifel ge hegt über Ihres Schwagers Beruf zum Buchhandel, so würde mich die Wahrnehmung davon zurück gebracht haben, wie er einen günstigen Handel in Auerbachs Keller anzuknüpfen und nach einer theatralischen Vorstellung glücklich zu voll führen versteht.* Mit welck>er Energie sich die Brüder Grimm von Anfang an dem großem Unternehmen zuwandten, geht aus den neuen Briefen deutlich hervor. Und doch währte es noch manches Jahr, bis die erste Lieferung und dann der erste Band erscheinen konnte, nunmehr im Verlag von S. Hirzel, der mittlerweile eine eigene Firma begründet hatte. Am 2. März 1854 unterzeichnete Jacob di« wundervolle, weit aus- schauende Vorrede zum Deutschen Wörterbuch, in der er zu Beginn die merkwürdige Entstehungsgeschichte de« Werks schildert und die er mit den heute fast noch mehr als ehedem zu beherzigenden Worten schließt: „Deutsche geliebte Landsleute, welches Reichs, welches Glaubens ihr seiet, tretet ein in die euch allen aufgrtane Halle eurer angestammten, uralten Sprache, lernet und heiliget sie und haltet an ihr, eure Volkskraft und Dau-r lwnat in ihr.* Die allererste deutsch« Op«r. Als die erst- deutsche Oper galt bisher die Oper „Daphne*. Text von Martin Op'tz, Musik von Heinrich Schütz die im Jahre 1627 im KerpenfeSsrr Schloßtheater zum ersten Male aufgeführt wurde. Prof. Dr. A tur Kutscher von der Universität München hat jetzt bei Nochfor- schungen im Museum der Stadt SaUbu'-g festgestellt, -aß die erste deutsche Oper schon zehn Jahre früher aufgeführt worden ist und zwar im Felsentheater in Hellbrunn bei Salzburg E» handelt sich um das am 81. August 1617 aufgeführte Legendenspiel mit Musik „Sankt Katharina*: di se« Werk dar? unzweifelhaft al, die erste in d«'i'scher Sn ache zur Aufführung gebrachte deutsche Oper bezeichnet werden. Der Hebbel.Prei» 1923 wurde dem Dichter Hugo Wolfgang Philipp für fein Lustspiel .Da» glühende Einmalelle«* und seine Ko»»»«' sophl« „Die Welt tm Blickpunkt* zuerkannt.
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