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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 13.12.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-12-13
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192312134
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19231213
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19231213
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-12
- Tag 1923-12-13
-
Monat
1923-12
-
Jahr
1923
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Vom Tage Zur Kroge des Rabatts bet wertbeständiger Zahlung Die Frage der Rabattgewährung bei wert beständiger Zahlung '.st von Preisprüfuntzssttllen und Privaten mehrfach in der Oeffentlichkclt behandelt und verschieden beantwortet worden. Um Unklar heiten und Beunruhigung zu vermeiden, teilt das Wirtschaftsministerium daher mit, daß bei Zahlung in wertbeständigen Zahlungsmitteln ein Preisnach laß — Rabatt — zwar gewährt werden kann, daß aber eine Verpflichtung des Verkäufers hierzu nicht besteht. Es steht also in seinem Ermessen, ob er Rabatt bewilligen will oder nicht. Zieht ^r bet Zahlung in wertbeständigen Zahlungsmitteln einen Rabatt ab, darf in der Berechnung des verbleibenden tatsächlich gezahlten Preises kein Ansatz für Geld entwertung enthalten sein. Soweit eine solche zu berücksichtigen ist, würde also eine R isi ko p rL m i e in angemessener Höhe nur auf die durch Papiermark beglichenen Verkäufe verteilt werden dürfen und dem gewährten Nabattsatze gleichkommen. Das Ent wertungsrisiko ist durch die Entwicklung der Wäh rungsverhältnisse in den letzten Tagen erheblich gesunken, denMmäß kann auch nur «ne Risiko prämie in geringerer Höhe wie früher als angemessen anerkannt werden. Bei welcher zitternmäßigen Höhe eine Risikoprämie noch als angemessen anzusehen ist, kann nicht allgemein festgestellt werden, da dies davon abhängt, wie rasch der Warenumschlag in dem betreffenden Geschäftszweig erfolgt: je schneller ein Warenumschlag stattfindet und je häufiger ein« Wiedevanlegung der vereinnahmten Papiermarkbeträge in Daren möglich ist, um so ge- ringer kann und muß demgemäß die Risikoprämie angesetzt werden. Lebhaftes Angebot Marlthallenwanderung. 2lm Mittwoch übertraf das Angebot bei weitem die Nachfrage. Die Preise hatten sich in der Haupt- sache nicht geändert. Unangenehm wurde das Fehlen von Molkereibutter empfunden. Dauern butter war vereinzelt zu 2,4 Goldmark das Pfund zu haben. Cier stellten sich wie an den Dortagen aus 30 und 35 Pfennige, Margarine schwankte zwischen 70 und 80 Pfennigen. Speck und Speck- s e t t wurde mit 1,6, Talg mit 1 Goldmark verkauft. Frischfleisch lag in genügenden Mengen zu bereits notierten Preisen zum Berkaus aus. Auch Gesrierkleisch und Wurstwaren hatten sich nicht ge ändert. Seefisch« konnten etwas billiger als am Dienstag abgegeben werden. Schellfisch sollte 90, Kabeljau 75, Seelachs 70, Goldbarsch 40, Rot- zunge 80, Heilbuttzunae 60, Bleie 75, Karpfen 180, Siskarpfcn 100 und Schleie 220 Goldpfennige kosten. Matjesheringe stellten sich aus 40 Pfennige das Stück, Salzheringe auf 30—60 Pfennige daS Psund. Die Wildhändler hattet, vor allem Hasen ausgelcgt. Das Psund sollte 1,50—1,80 Goldmark ketten. Für Gänsefleisch wurden 2 Goldmark, für Ncl, ebensoviel verlangt. Kartoffeln hielten den Vortaaspreis mit 65 und 75 Pfennigen. Gemüse war teilweise etwas zurückgegangen. Möbren und Kohlvabi stellten sich aus 7 Pfennigs das Pfund. Für Weißkraut wurden 8, für Grünkohl und Kohlrüben derselbe Preis ge fordert. Welschkraut kostete 12, Rotkraut 15, Blumenkohl 100—200, Rosenkohl 130 Pfennige. Zw'ebeln stellten sich aus 25, Sellerie aus 20 Dien- nige. Pilze schwankten zwischen 15 und 30 Psen» n'acn das Pfund. Tafeläpfel wurden mit 40—60, Musäpsel mit 40 Pfennigen angeboten. Leipziger Teuerungszahl ir. 12.: 10« «82 Milliarve«. 10. 12.: 112 «77 Milliarden. Der innere Wett der Mark ist am 12. 12., ge messen an der Teuerungszahl des Statistischen Amts Leipzig (106 982), gestiegen seit: 10. 12 um 2 Proz., 7. 12. 5 Proz., 8. 12. 13 Pro-., 3. 12. 21 Proz., Gute Bücher Aller hanL schöne Literatur Zu den wenigen Prosaisten, die heute sich nicht einem weltfernen Schwatz über Historie oder Bett ebenteuer hingeben, gehört Otto Flake, der wahr scheinlich auch wegen der geistigen Strenge, mit der er über seine Werke wacht, noch nicht die Popularität hat, die er eigentlich verdient. Denn es gibt heute kaum einen Zweiten, der sich so nahe dem Zentrum der Zeit fühlt, wie dieser deutsche Grübler, der solche romantische Erschüft der Vorfahren mit einem :is- kalten Amerikanismus verbindet. Neuerdings sind aus feiner „Stadt des Hirns", die er, als ihn nicht mehr befriedigend, unterdrückt hat, die eingeschal teten Geschichten neu als „Erzählungen" (Verlag, die Schmiede, Berlin) erschienen. Und ebenda dre nmgearbeitete Form seines Roman de» Zähre» von 1917, jetzt „Nein und Ja". Nichts Bessere« ist über dies« definitive Fassung zu sagen, als was Flake selbst im Vorwort ausspricht: Nein und Ja ist der Roman der Kris« im deutschen Denken, und der Held Lauda ist der, der diese nicht nur erleidet, sondern besteht! Die Idee der ganzen Produktion ist die Dar stellung des Menschen, der stärker bleibt als seine Erregungen. Und da sich diese Krise in jedem heute noch vollzieht, unnotwendigerweise in uns erst heute, während sie der stärker, und dem Weltgeschehen näher empfindende Dichter schon 1917 durchmachte, so wäre nichts mehr zu sagen, al« daß diese» Buch zu lesen «in klärendes Bad in seinen eigenen Gedanken zu nehmen' heißt, dem man verjüngt wieder entsteigt. Sinnlicher, vor tierhaftem Erleben platzender, rasender und fern noch der Bezwingung der eigenen Energien ist Arnolt Bronnen, der nach dem Vater mord und dem recht belanglosen Lustspiel „Exzesse" (Verlag Ernst Rowolt, Berlin) nun „DieSeptem- bernovelle" (ebenda) vorlegt. E« ist ein Buch, au« dem ein« Rauschlust aufschießt, bei der man erst ganz allmählich merkt, au» welchem tiefen Sieden sie kommt. Ein« ganz ungeformte, an einigen Stellen f st mythisch gewaltig anmutend« Kraft steckt in diesem Süddeutschen, der aber auch hier schon Szenen von stärkster visionärer Plastik hat. Ganz in sich versponnen, fern und uiGerührt hat Walter Georg Hortmann sein Vüchlein ^>i» Insel der Lier«" tDtzdM«i»«ela-) »o- 80. 11. 22 Pro-., 28. 11. 22 Pro-., 28. 11. 21 Proz, 23. 11. 18 Prozent. Der Wert de» Pfennig» für die Berech nung der städtische» Gebühren beträgt un verändert 10 Milliarden Mark. Wertbeständige Gemetndeabgabeu. Dem Land tag ist ein vom Gesamtministerium beschlossener Gesetzentwurf über wertbeständige Gemeindeabgaben zugegangen. Fall» Gemeinden oder Bezirksverbände Steuern oder sonstige Abgaben in Goldmark fest setzen, soll danach für da« Wertverhältni» zwischen Papiermark und Goldmark der vom Reichsfinanz. Minister bestimmte Gold Umrechnungssatz maßgebend sein. Der Zahressatz der Hunde steuer soll 9 Goldmark betragen. Soweit eine Ge- meinde oder ein Bezirksverband durch Steuerver ordnung al« Hundesteuersätze den jeweils zuge- lasscnen gesetzlichen Höchstsatz eingefiihrt hat, gilt der Betrag von 30 Goldmark so lange al» Zahressteuer- satz, als die Gemeinde nicht durch Steuerverordnung anders bestimmt. Die Iahressteuersätze der Aigtier- steuer betragen 48 bzw. 36 Goldmark * Die Ermäßigungen beim Steuerabzug. Die Derhältniszahl für die Ermäßigungen beim Steuer abzug vom Arbeitslohn betragen vom 9. Dez«mber an unverändert wie in der Vorwoche das 880 OOOfache der in der zweiten Septemberhälfte in Geltung ge wesenen Ermäßigungssätze. Die wöchentlichen Er mäßigungen berechnen sich hiernach für den Steuer- pflichtigen und seine Ehefrau auf je 146 880 Millionen Mark, für jedes minderjährige Kind auf 979 2l>0 Millionen Mark und für Werbungskosten auf 1274 Milliarden. Der im Wege des Steuerabzuges einzubehaltende Bettag ist in allen Fällen auf volle 10 Milliarden nach unten obzurunden. Soldmarkpreise für Musikunterricht. Die Orts gruppe Leipzig des Reichsverbande» deutscher Ton- künstler und Musiklehrer hat beschlossen, den Min tz e st p r e i s für eine Unterrichtsstunde auf 1 Gold mark festzusetzen. Bis zum Eintritt normaler Geld verhältnisse ist zwar jede Stunde einzeln zu zahlen, die beiderseitige Kündigung ist aber mindestens monatlich. Ferien werden voll bezahlt. * „Der Kampf um die Republik." Am Sonntag, den 16. Dezember, 11 Uhr, hält Reichsmintster a. D. Soll mann, Köln, auf Veranlassung des Kartell» republikanischer Studenten im Großen Saal des gentraltheaters einen Vortrag über das Thema; Kampf um die Republik. Rentner, Sllrsorgermpfinger usw. Lv Donnerstag, ben 13. Dezember, von » di« Kl Uhr in der Gerber- Nratzc (Glasrolonade» Ausgabe von Margarine: 1 Pfund 60 Pf-: Seife M>roz.: 200 Gramm 30 Pf. Perfonalabdaugesetz und voltüfLule. Donnerstag, 13- Dezember, nachmittag S Uhr spricht vor den Ellern- und LehrerrLten im Saale des Lehrervereinrhaufe», Kra. merstrahe 4. UinversitStSvrofesior Dr. Litt über »DaS Personalabdaugeseh und die Volksschule". * Dohltälißkeitsabend im Hotel Astvria. Auf Wunsch der Leipziger Winterhilfe findet am Sonn tag, den 16. Dezember, im Hotel Astoria ern Wohl tätigkeitsabend statt, an dem namhafte Künstler teil nehmen werden. Leipziger Winterhilfe. Am 14. Dezember findet in den Panorama. Künstlerspiel en unter Mitwirkung mehrerer bekannter Leipziger Künstler ein Abend zugunsten der Leipziger Winterhilfe statt. Ebenso wird das Reinertrag«!» des Lieder- abendsvon Agnes del Sarto am 18. De zember abends 8 llhr im Neuen Rathaussaal aus- .,ch dem Fonds der Leipziger Winterhilfe zu fließen. — Der Heilsarmee wurde von einem Leipziger Bürger anläßlich einer Familienfeier der zur Füllung einer Gulaschkanone nötige Betrag zur Verfügung gestellt. Jeder, der in unserer furchtbaren Zeit noch in der Lage ist, wenn auch nur in beschei dener Weis« zu feiern, sollte unserer Armen ge- denken. Kerzeusaoualimg. Zum Besten derjenigen Familien und Einzelpersonen, di« gänzlich obne Beleuchtung (Gas, Spiritus, Petroleum, elekk. Licht) sind, hat die Leipziger Winterhilfe (Ottsgruppe des Sächs. Dolksopfer») eine Kerzensammlung ins Leben gerufen. Freundliche Spender werden ge beten, Kerzen in der Geschäftsstelle der Leipziger Winterhilfe, Stadthaus, Untergeschoß, Zimmer 623, abzugeben. schnöben. Das ist Lyrik, die noch nicht die Decsform gefunden hat und die die Sterne ihrer Gedanken vom Himmel der Lörke, Werfel und anderer her- unterholt. Nicht bewußt. Aber aus derselben Ge- fühlsatmosphäre heraus. Bescheiden, franziskanisch, gut am Strand oder auf der Wiese in einer besinn lichen Stunde zu lesen. Die beigegebenen Holzschnitte von Konstantin Nitschke-Collande wirken in ihrer oft nicht ursprünglichen Naivität und auch in der nicht gemeisterten Flächenbehandlung nicht als un- bedingt notwendige Beigabe. Zwei Neger-Romane erregten Aussehen, ohne dessen Ausmaß zu rechtfertigen. Der weitaus be deutendere, „Batokala", von Renö Ma rau" (Rheinverlag Basel), dessen Autor ein eingeborener Abgeordneter in Frankreich den Prix de Goneourt bekam, ist erfüllt vom Geruch und der ganzen rauhen und ursprünglichen Welt de» afrikanischen Dusche», erdnah, tnmultuös, in der Sittenschilderung ethno graphisch wertvoll, in der moralisierenden Betrach tungsart antieuropäisch. Al» erster Roman eine» Schwarzen ist er im tatsächlichen Inhalt interessanter als im thematischen, sowie psqcholloqisch wertvoll. Der andere Roman, „Baß, Bassina Bulu" (Iunckk'-Perlag Berlin) stammt von dem Belgier Franz Hellen» und ist von Stefan Zweig über setzt. Aber in ihm ist der Neger — ein Negergötze kommt nach Frankreich und erlebt hier Guropa — nur der Anlaß, im Spiegelbild eine» Urwesen», so wie der Ind'aner für die Aufklärung-Philosophen war, die eigne Zett zu spiegeln. Hellens, der einer der jüngsten der nach neuen Stilproben strebenden belgischen Literatur ist. gelingt aber doch vorläufig di« von ihm gewollte und hier und da auch durch geführte innerlich vertiefte Satire noch nicht ganz. Zwei großzügige Unternehmen hat der Verlag Kurt Wolf, München, begonnen. Er bringt die ge sammelten Romane und Novellen von Guy de Maupassant in neuen, must-gültigen Ueb«r- setznngen heraus und vefo'gt damit konsequent d!« Linie, di« «r mit der deutschen Popularisierung Anatol France und Eharl. Louis Philipp begonnen hat. Für un» Deutsch« ist dieser Franzose im »rund, «ft heut« «tdsLt. Bisher fristet, « s,m Gin Mittagessen mtt Rasputin Sm Berliner .»lull' verüfsemltch, Professor A. Brandt «tne interessante Erinnerung an »en Mann, der im Larenhos, dank seine« heilsamen Einfluge« aus d«n Gesundhettszusianv de« r-ro». folger« Alexei — eine« Bluter« — einen deispiel- losen Stnslutz hatte. E» war zu Anfang des Jahre« 1916 im Februar oder März. Als ich beim Morgenkaffee saß, läutete der Apparat und eine bekannt: Damenstimme lud mich zum Mittagessen «in. Raiputln würde dabei sein. Ich lehnte dankend ab. Nicht ohne ein derbes Wort dabei zu gebrauchen. Aa;r nach ttner Viertel stunde änderte ich meine Absicht da meine Familien- glieder mir zuredeten, hinzug-hen. Damals war Rasputin gewissermaßen ein ' bi sterische Per sönlichkeit. Das reizte wich, ibn zu sehen und zu beobachten, was für ein Bogrl er d.'un eigentlich sei. Ich stellte der Gastgeberin t lepyomsch zwei Be- bingungen für mein Erscheinen: Rasputin solle mir gegenüber bei Tisch sitzen, und daß er mich nicht mit „Du" anrede. Beide Bedingungen wurden erfüllt, und mir fiel später die außerordentliche Geschicklich keit auf, mit der Rasputin mii gegenüber eine direkte Anrede überhaupt vermied, um die Klippe des „Du" zu umschiffen. Als ich um 6 Uhr zu meiner Bekannten kam, waren alle Gäste anwesend, nur dl; Wirtin des Hauses nicht. Eie war in einem Automobil zu Rasputin gefahren. Er erschien nämlich nur in dem Falle zu geladenen Mahlzeiten, wenn man ihn abholte. Zudem bevorzugte er Daurengesell- schäften. So waren denn außer mir noch sechs Damen geladen: drei Schwiegertöchter und drei Freundinnen. Nach etwa einer Viertelstunde er schien Rasputin in einem hellzimtfarbenen Seiden- Hemd mit Stehkragen über dem Hemd, aber einem dünneren Kaufmannsüberrock. Die Beinkleider staken in Etiefelschäften. Mir fiel die Arynlichkeit mit den vielen Photographien auf, die in den illu strierten Blättern erschienen waren. Lange, schon undicht werdende Haupthaare, die in der Mitte ge scheitelt waren, eine hohe Stirn, ein langer, sich zu spitzender Bart» ein längliches Gesicht, ausdrucksvolle Augen. Im allgemeinen ein ausgesprochen russisch,, r Typus, wie er bisweilen auf Heiligenbildern zweiten Ranges erscheint. Ich erinnere mich, daß bei der gegenseifigen Vorstellung eine der Damen sich an »hn mit der Frage wandte, wer ihm „das wundervolle Hemd ausgenäht" habe: er antwortete, er erinnere sich dessen nicht mehr genau, es wäre wohl eine Fürstin Ki—ku—ka gewesen. Auf den Einwurf, wohl eine Fürstin Kurakin, sagte er: „Ja, ja, so hieß sie wohl. Sie verehrt mich und verhätschelt mich immer!" Als man sich zur Tafel setzte, bekreuzigte er sich. Bei der Tafel trank er Schnaps und Wein, aber in sehr mäßigen Mengen. Dafür sprach er dein Kwas (einem gesäuerten russischen Nationalgetränk) um so mehr zu — sechs bis sieben Glas. Mehrere Male schnuckte er infolgedessen. Anfänglich bcwegte sich das Gespräch im gewöhnlichen Rahmen. Raspu tin unterhielt sich mit seiner jungen Tischnachbarin. Man sprach irgend etwas von Liebe, und daß, wer viel liebe, dem auch viel vergeben werd«. Ich hörte nicht sehr aufinerksam zu, nur das fiel mir auf, daß Rasputin das Gespräch so doppeldeutig führte, daß nicht zu verstehen war, ob er die Liebe zu Christus meinte, oder aber die gewöhnliche irdische Liebe. Nach einiger Zeit brachte eine der Schwiegertöchter Leben ins Gespräch, da» sich Haus tieren, Hunden und Katzen zuwandte. Sie rühmte den Verstand der Hunde und gab der Ueberzeugung Ausdruck, daß auch sie ins Himmelreich kommen würden. Rasputin erzählte im Anschluß daran eine Parabel, auch hier Zweifel lassend, ob er sich leise lustig machte oder ob er sie ohne Hintergedanken zum besten gab: Im Solojetzki-Kloster lebte vor langen Jahren ein Mönch, der ein großer Hundeliebyabrr war. Ein« kleine Hündin begleitete ihn auf allen seinen Gängen. Einmal schien es dem Mönch, als ob seine Begleiterin hungrig geworden sei. Er er innerte sich, daß er in seiner Tasche eine Abendmahls hostie habe. Er nahm sie heraus, brach einige Stückchen ab und warf sie der Hündin zu. Aber zu seinem Erstaunen und Schrecken sah er, daß, ehe sie sie noch verzehren konnte, sie in himmlischem Feuer verbrannten. „Daraus schließe ich," — endete Rasputin — „daß Hunde nicht in da» Himmelreich gelangen werden." Beim Braten sagte er: „Bor kurzem konnte ich ein gutes Werk tun. Sie Haden wahrscheinlich alle von den Odessaer Zahnärzten gehört, die zu Zwangsarbeit und Gefängnis verurteilt wur den, weil sie Dokumente gefälscht hätten. Es handelte sich um 100 Personen und ebensoviel Familien. Jetzt haben wir böse Kriegszeit und die Familien würden ohne Ernährer zugrunde gehen. Da habe ich denn für die Verurteilten gebeten, und sie sind alle begnadigt worden." Rtcinc Tischnach barin flüstert« mir ins Ohr: „Für jeden Den- Listen hat er 1000 Rubel erhalten." Als eine Dame ihn fragte, ob viele Bittsteller zu ihm kämen, antwortete er: „Ach, dies« Bittsteller! Vom frühen Morgen an sind sie bei mir. Die eine bittet mich, einer Nichte eine Stelle zu verschaffen, dtr andere will Geld, die dritte Aussteuer für den Sohn. Aber auch Minister kamen zu mir — und was sie sich einbilden, daß ich ihnen Helsen kann!" Und in der Tat nannte mir die Gastgeberin eine Reihe sehr angesehener Männer der Beamten welt, die im Gasthof Rasputins, in dessen Empfangs stunden darauf warten, vorgelassen zu werden. Rasputin klagt« dann weiter über die Damen, die ihn vom Morgen bis zum Abend überliefen. „Tee trinken und schwatzen!" Zweimal während des Essens kam Rasputin auch auf denKrieg zu sprechen. Als er von feinen Schrecken redete, sayte eine der Damen: „Za, Sie Grigori Timofejewitsch, sind immer gegen den Krieg gewesen." Er erwiderte: „Za, Mütterchen, wenn du nur em wenig nachdenken wolltest, so würdest auch du gegen ihn sein!" Er redete sie alle mit „du" an, ob wohl er mehrere von ihnen zum erstenmal sah und sie nicht zu seinen unbedingten Anhängerinnen ge- hörten. Als eine der Damen ihn dann weiter fragte, wie es mit seiner Gesundheit stände, ob er noch Folgen der Verwundung spüre, die er 1914 in Tobolsk erlitten hatte, antwortete er, die Wunde sei völlig geheilt, aber er sei damals lange krank ge wesen. „Denn jenes Luder mich mit dem Messer nicht verwundet hätte, wäre ich nach Petersburg ge fahren, und der Krieg wäre um ein Jahr verschoben worden." Er war sichtlich von der Kraft seines Einflusses voll überzeugt, und wahrlich hat er schon bei früherer Gelegenheit den Krieg ver hindert. Nach dem Mittagessen ging Rasputin ins Boudoir, wo mehrere Damen saßen. Ich folgte lhnr nach etwa zehn Minuten, fand ihn aber nicht mehr vor. Die jüngste Schwiegertochter, die allein dort war, erzählte mir, Rasputin habe sie, als die anderen Damen ins Nebenzimmer gegangen seien, unter das Kinn gefaßt und gestreichelt. Sie war sehr ungehalten und sagte, Rasputin habe schmutzige Finger und „Trauer unter den Nägeln" gehabt. Professor Brandt schließt seine Aufzeichnungen mit dem Bemerken, Rasputin habe auf ihn den Ein druck eines klugen Bauern gemacht. Er habe es sichtlich verstanden, die Umstände geschickt auszu nutzen. Sein Einfluß auf das Schicksal Rußlands und die Iarenfamilie wäre nicht so verhängnisvoll gewesen, wenn die ganze Gesellschaft gesünder und die garenfamilie nicht von einer Atmosphäre skla vischer Unterwürfigkeit umgeben gewesen wäre und verschiedene Würdenträger nicht vor Rasputin ge krochen hätten. * Zufchußnoterstützuug für Sozial- und Kapital- kleinreutuer. Die Unterstützungen für Sozial- und Kapitalkleinrentner werden auf die zweite Dezember- Hälfte Sonnabend, den 16. Dezember, nachm., wieder in den bekannten Schulen der einzelnen Stadtteile aus gezahlt werden, und zwar für die Rentenempfänger mit den Anfangsbuchstaben A—H von 141 bis 142 Uhr, I—O von 1L2 bis >43 Uhr, R—A von 14-3 bi» 144 Uhr. Beim Fürsorgeamte können an den jeweiligen Zahltagen nur besonders dringende Geschäfte erledigt werden. Leben in kleinen, schmierigen Heften, die fast sämt lich nur ganz schludrige Uebertragungen enthielten, und galt al» eine Art besserer Geheimlektüre für faule Kommerzienratsfrauen und lüsterne Gymna siasten. Nun endlich, da seine Hauptwerke an un» herangebracht werden, werden alle in ihm den Meister des Stils, der Erfindungpkunst und der technisch vollendeten Form erkennen. Das Gleiche, nur mit dem Zusatz, daß die Kenntnis Frankreichs für einen Deutschen in ganz bestimmter Weise auch von der Kenntnis dieses Schriftsteller« abhängt, gilt von Emile Zola, der ebenfalls, und zwar das gesamte Werk „Die Rougon-Marquart", bei Kurt Wolf herauskommt. Al» Uebersetzer zeichnen Lucie von Jacobi, Max und Elsa Brod, Rosa Schaptre, Franz Blei und andere. ..euerdings werden wieder im großen Ausmaß Reisebücher geschrieben. Wesentlich davon ist vor allem da« Skizzenbuch „Argentinien" von Alfons Goldschmidt (Ernst-Rowolt-Derlag Ver tin) ein starkes, sozial-polemisches Buch, da» di« Ein drücke des berühmten Nationalökonomen in diesem gelobten Lande schildert. Aber dieser Nationalöko nom ist zugleich Seher und findet für sein« Gesichte Worte stärkster dichterischer Kraft au» kurzen Kapi- teln ein grandioses, lebensvolle» Bild mit allem Licht und Schatten zusammen, die über diesem jungen Lande l egen. In der Ehrlichkeit de» Bekenntnisses und der Schicksalserfülltheit des Erleben» grenzen die mit rascher Feder hingeworfenen sozialen Pano- ramen oft ans Erschütternd«. Ein Reisender von bestem Schrot und Korn »st der ewig jung« Weltfahrer und Abenteurer Noroert Jaques, der die Hochzeitsreise mit seiner jungen Frau in einem Segelschiff durch den stillen Ozean machte. Da» Buch, das er nach dem Scyoner „Sturmbock" nannte, ist kein schöntuettsche» Ahoibuch, sondern die Wut und dis Herrlichkeit de« Meere«, da« erhebende und tötlich Erdrückende drr Einsamkeit, da« große und tierische aus sich selbst ge stellter Menscben, kl'ngt in seiner Urmelodi« durch all« Seiten. Ein prachtvoll echte», bi» in« Bitterste wahre» und aufrechte« Bekenntnis eine» Reisenden, das die gesamte Seebärenlittratur routinierter Ofen- schriftsteller aufwiegt. Jaques ähnlich, aber niel primitiver find dir «me Erich Scheur»«>« ftnn deutschen Tramp Karl Eteinhöfl, nacherzäblten Wan- derungen durch die Vereinigten Staaten „Als Landstreicher durch Amerika" (Seeverlag Konstanz). Auch dies ein Buch von Ursprünglichkeit und ohne sentimentale oder heroische Schminke. Notizen eines lebenstüchtigen Kerls, der sich nicht mit einer Karl May'schen Wunderbüchs«, sondern mit schwieligen Fäusten und einem oft hiebgegerbten Rücken durch dos wilde Land jenseits de« Ozeans schlug. Weniger bedeutend sind die schon etwas trodioneüen Aufzeichnungen von Aage Kvarup Ni«lss « n „Durch di« Tropen -um Südpolarmeer." Das übliche Reisebuch, aber flott geschrieben und willkommene Lektüre für eine langweilige Eisenbahn- fahrt. 0». M. S. Wiedereröffnung de» Wiesbadener Theater«. Donnerstag, den SO. Dezember, wird in Wies baden das Staatstheater mit „Loh engrin" wieder eröffnet. Da die neue Bühne noch nicht in allen Einzelheiten fertiggestellt ist, können vorläufig noch keine täglichen Vorstellungen festgesetzt werden. Durch Faulheit zu» Nobelpreis. Die Auszeich nung des Kieler Prof. Dr. Otto Meyerhof mit dem medizinischen Nobelpreis gibt An laß zu einer kleinen politischen Erinnerung, die Erich Kuttner im neuesten Heft der „Glocke" ver öffentlicht. Im Jahre 1908 begründete Otto Meyer hof, damals Student an der Berliner Universität, mit einer Gruppe sozial gesinnter Studenten die studentischen Unterrichtskurse für Arbeiter. Di» Universitatsbehörden hatten gegen die« Unter nehmen einen Sack voll Bedenken, deren hauptsäch lichstes darin gipfelte, daß die soziale Betätigung di« Studenten zu Unfleiß in ihrem Studium verleiten würden. Ein Bedenken, da» gegrn- über den Gaus-, Pauk- und Dummelgepflogenheittn gewisse farbent-ogenber Verbindung»!, me kwür- digerweise niemals aufgestiegeu war Meyerhof be. stand, trotz rcger sozialer Betätigung, sein medizini sche» Examen m-t der Note I, s-ine wissenschaftlichen Erfolge lassen gleichfall» keine EGLd'qungrn setm» Geister, durch persönlichen Verkehr mk» den Arbeitern erkennen. Immerhin kann reckst verschwiegen werben, daß dieser Mann, der Deutsch, land» Ansehen durch Erringung des Robelprrift» schstdigt, wie Einstein jüdischer Abkunft ift.
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