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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 18.11.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-11-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192311184
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19231118
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19231118
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-11
- Tag 1923-11-18
-
Monat
1923-11
-
Jahr
1923
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8»uat«q, «l«u Sinngedicht« Von l.l»EiwIs puIE« » G Auf sanftem Ruhekiffen Schläft süß das Weltgewiffen UnH hat, damit ihm nicht Bon Weltgemissensbiffen Der Schlummer werd' entrissen, Das Ohr sich fest verpicht. * Des Friedens Friedlichkeit, ne ward zur Fabel Und spottet unsrer Hoffnung tausendfach. Die Taube, die den Oelzwcig trägt in, Schnabel, Ist eine Daube auf Sem Dach. * istäm' einer heut von fernem Strande, Der dächte wohl, nran übertreibt, Wenn man den Nullpunkt hierzukrnd» Mit gar so vielen Nullen schreibt. Falls man noch lang die Denker speist, Anstatt mit Brot, mit Steinen, Dann wird gar bald der deutsche Geist Rur noch als Seist erscheinen * Der Frauen schönstes Wahlrecht ist'- auf Erden, Don einem Mann gewählt zu merken. Durch alle Störte Der Reflexion , Gelangt man so wenig zu einem Werte Wie zu einem Sohn. Der Dorsbarbirr B-, ztlss—I Aivtr -HausoumiU — Hausmann!' Hausmann naunl» « da» klein« Arbeitszimmer seines Chefs und stand lost militärisch vor ihm. .Hausmann, in diesem Nest wird es wohl «in« Friseur -eben. Schauen Sie, daß Ns ihn sind«, and dringen Sie ibn schleunigst her- oril' jawohl, Herr EMaksanwalt!' ,Ueorigens stöl wann tragen vis denu einen Spitzdoet?' .Schon Mt Fahr»», Herr Stüatsoawalt!' .Na, da» siel nür noch gor »icht ans. Ich finde «inen Spitzb,rt un- rsstUich. Also fix de» Friseu^!' Hausmann war tief : - bte Schlllsen hinaus rot geworden. Sr verbeugte sich l»d Gl»-. D« Staatsanwalt öffnete weit- das Fester uad sah auf das Dörfchen herab, wo er feinen zweimonatige» Urlaub nach angestrengter Tätigkeit verbring«! wollte. Der Dorfdarb er, ein etwa SOjähriger, belanglos au»seh«rd« Mensch, war bald zur Stelle und begann den Staatsanwalt «inzuseise». Erst jetzt bemerkte okestr, daß ihn der Bader mit seltsamen Augen an- iaH .Da» guckst du mich so an?' Doch der gab >rst keine Antwort, sondern setzte ein wenig unbe dächtig da» Mester äU di» Schläfe an. Dann grinste er dummdreist und sagt« unvermittelt: »Ich glaub«, » daß s» ein Staatsanwalt wie Hi« schon viel« Men- >chen unschuldig in» Gefängiris gebracht hat." Der Staatsanwalt war platt über dies« Frechheit. Er starrt« d«m Bader »»rnig in» Gesicht. Als er di« einfältigen Mienen vemerktt, sagt er nur: „Mach schnell!" Doch im gleichen Augenblick ärgert« er sich über sich selbst, daß er iym nicht ein« scharfe Antwort erteilt hotte: dann wieder lächelt* der Kerl so^ eigen artig und sing neuerlich respektlos zu sprechen an, In dem er sich am Kinn zu schaffen machte: „Ja, ja, da wollen Sie natürlich nicht» davon totsten. Freilich, aber so ist e». Gefängni» ist eine schlimm« Sachei" Der Staatsanwalt, auf» äußerste ungeduldig gcwor- den, wollt« ousbrausen, aber er fühlte in diesem Nlowent die Kling« an feiner Lippe. So mußt» er still sitzen, wollte er nicht geschnitten werden. Der andere aber fuhr fort: .Das Gefängnis ist, das weiß so einer wie Sic gar nicht. Wer es noch nie gesehen, begreift das L«id gar nicht, das sich in den Mauern, die der Blick des Wanderer» nur scheu streift, ver gräbt. Und «vcnn Sie selbst von den finsteren Reihen der Zellen angestarrt werden, können Sie immer noch nicht den Jammer verstehen, den der stumme Stein birgt. Wer draußen lebt und lustig ist, wer glaubt schuldlos und glücklich zu sein, der ahnt niemals, welch Entsetzen hinter Gittern gähnt. Lr kümmert sich eben nicht. Keine schwanke Mit- leidsbrück« führt zu jener Welt, solange der eigene Lebensweg durch Sonnenschein und Frohsinn führt. Denn käme für Sie, Herr Staatsanwalt, einmal der Tag, da Sie das Geschick zwingen würde, das ver hüllte Weh mitzumachen, wäre Ihr Berufssinn er storben. Ihr Lebensmut zerbrochen. Sehen Sie zum Beispiel: Mein Lachen ist tot, mich friert in der Sonne." Das Gespräch wurde dem Staatsanwalt uner- träglich. Er wollte eben den Menschen anbrüllen, machte aber bei dem Versuch eine winzig« Kopf bewegung und schon fühlt« er an der Livv« einen heftigen Schmerz. Er biß di« Zähn« aufeinander. „O, nur ein bißchen Blut,' meinte der Barbier, „wa» macht so ein bißchen Blut? Da ist da» Hous, wo man eingejperrt wird, schon schlimmer. Da» Hau», das so still und schweigsam dosteht, so weit» abgeschieden, wo kein Jammern hinausdringt. Wo drinnen solch« Grabesstille lastet, so stumm und so eisig. Nur der Tritt de» Wärters erschallt da durch di« Flucht der Gänge. Wissen Sie: Tür an Tür ent lang st e» z« hören. Hier kreischt «in Schlüssel, dort kreischt et» Riegel. Und hinter jeder Tür hofft und harrt verzweifelt «in banger Mensch Zitternd zählt er all« Stunden und zaghaft lauscht er ans jeden -Laut. Nacht für Nacht quält er sich fiebernd im Grau«n vor dem nächsten Morgen. Da ist einer, den die Reue fress«« will, dort ist einer, der gegen die Erinnerung ankämpft und e» gibt dann solche, dt« immer «einen. Aber «» gibt auch welche, die schwören auf Roche, auf blutige Roch« — da» jkd dt« un schuldig Eingesperrten. Die geben sich aber nicht mr? einem Tröpfchen Blut zufrieden, wie es Ihnen do herunterriunt!" Der Staatsanwalt hatte mit emem» mal sein« Fassung verloren. Er hatte ganz deutlich das Gefühl, daß dieser Mensch verrückt war und ihm an das Leben wollte. Er sah ganz nahe an seinem Gesicht ein paar unstät flackernde Augen, ein heißer Atem wehte ihn an und das Messer zitterte an seiner Kehle. Sein Herz begann toll Hu schlagen, Schweiß- tropfen rannen ihm von der Stirne in die Augen und blitzschnell überlegte er sich, wie er sich retten könne. Aber er erblickte keine Möglichkeit. Er wußte, daß er sich weder rühren, noch daß er schreien durste Er schloß die Augen, und halb verschwommen hörte er noch folgenpes: „Es war vor sieben Jahren, da haben S i e mich auf Grund eines Indizienbeweises unschuldig ins Gesängnis gebracht, ja, Sie! Sie wissen das nicht :nehr? Haha, Sie wissen das nicht mehr, sehr gut! Und wenn wir jeden Tag unseren Spaziergang ach, Sie wissen auch nicht, wie ein solche: Spaziergang ist? Wie wenig Sie doch al» Staatsanwalt wissen! Bei w einem Spaziergang haben alle das Haupt ge beugt und den Blick gesenkt. Die blassen Zuge sind matt und unbeweglich. So schleppen sie ihre aus gehungerten Körper aus engem Hof im Kreis herum. Keiner wagt ein heimlich Wort. Denn der Waner gibt acht. Schweigend trotten sie ihre Bahn. Sie sind von Schicksal und von Unschuld erdrückt. Die meisten gehen still und stumpf mit müden, kranken Augen. Ganz wenige schauen nach oben, wo über düsterem Mauerwerk der Sonnenhimnwl blaut, wenn sie im ausgetretenen Kreis wandern. Aber ich, sch habe mein« hagere Hand verstohlen geballt. Ich hab« mir gedacht, wem, der, der mich ins Unglück gebracht hat, einmal unter mein Messer kommt, dann erzähle ich ihm erst von der Nacht und dem Grauen, die ich mitmacht«, und dann, wenn ich ihn ko den Hols rastere, dann um Gottes willen, ist Ihnen übel? —' Der Friseur wusch den Ohnmächtigen sorgfältig ab und ging. Der Staatsanwalt kam nach einer Mertelstunde wieder zu sich, war aber noch immer stark benommm. Erst die Stimm« Hausmanns brachte ihn wieder zum Leben. Hausman» erkundigte sich noch Desehlen. Nach längerer Pause meinte der Staatsanwalt: „Sie kommen mir so verändert vor!' „Ich habe mir meinen Bart wegrasiert.' „Aber, lieber Freund, meine Aeußerung haben Sie falsch aufgefatzt. Zn d«r Stadt gefällt mir ein Spißlmrt nicht, aber aus dem Lande kann man sich russig ein bißchen gehen lassen. Auch ich lasse mich, 's» ,ange wir hierbleiben, nicht mehr vasiernr!' Oer Abendzug Bon Aiallsr v. Rummsi Miß Alice Sutter in El Paso, der amrrikanisch- mexiranischen Grenzstadt, erwartete nut dein Abend zuge ihren Bräutigam, Mr. Robert Whitman. Er war auf einige Tage nach Concepcion im mexikanischen Staate Chihuahua in geschäftlichen Dingen verreist, hatte gewandt und geschickt als Zeitpunkt für diese Fahrt eine kleine Atempause in den Wirbeln der mexikanischen Revolution benutzt. Am Morgen hatte Alice Sutter einen Brief von Robert bekommen, in dem er ihr erfreut mitteilte, daß er alles, was zu tun gewesen sei, wider Erwarten rasch und gut habe er ledigen können, und daß er daher am Tage nach der Absendung seines Briefes Heimreisen werde. Robert mußte demnach mit dem Abendzuge beute in Gl Paso eintreffen. Kurz vor 6 Uhr ging Alice von zu Hause weg. Langsamen Schrittes. Sie konnte sich Zeit lassen. Denn der Zug hatte jeden Tag seine regelmäßige Per. spätung. Außerdem war es immer noch drückend heiß. Selbst der Rio Grande del Norte, der seine gelben Wogen schäumend dahertrieb, brachte nicht die mindeste Kühlung mit sich. Ab und zu wurde die Straße von einem aus der Prärie kommenden, eilig dahcrgalappierenden Reiter oder einem daher ratternden Fuhrwerk in dichten Staub gehüllt. Alice überschritt den Strom und warf einen Blick auf die Wasser, die weißlich an die Brückenpfeiler an- donnerten, einen Strudel bildeten und dann in scharfem Talfall weitrreilten. Auf mex.konischem Ge biete angclangt, verfolgte sie zwischen verschiedenen casch und neu emporgeschossenen, barockenhaft an mutenden Bauten ihren Weg weiter. Nach einer Weile erreichte sie die Endstat on der von Süden kommenden Bahnlinie. Wartend ging sie im Bahn hof auf und ab. Jemand grüßte sic. Es war der ihr wohlbekannt« Stationsvorstand Senor Ronda. Ex trat auf sie zu und wechselte einige höfliche Worte mit ihr. „Kann ich mit irgend etwas dienen? Wollen Sie morgen südwärts reisen oder erwarten Sie etwa Gepäck?" Miß Alice vcrne'nte und gab den Grund ihres Kommen» an. a „Ihren Bräutigam erwarten Sie, Miß Sutter? Mr. Whitman? Mit dem Abendzugc?' Der Stationsvorstand schmunzelte. „Ja mit dem Abendzuge, der schön jetzt da sein müßte, aber wie gewöhnlich auf sich warten läßt." „Gewiß tut er das. Warum sollte er nicht? Heute hat er sogar noch größere Verspätung al» an anderen Tagen." Seüor Ronda lachte. „Was lachen Sie? Ich finde das gar nicht zum Lachen,' erwiderte Miß Alice etwa» mißmutig. „Warum ich lach«? Ja nun, man ist froh, wenn man einmal etwas Lust ge» in der traurigen Zeit weiß." „Und diese lustige Sache hängt mit dem Ange zu sammen, den ich erwarte?" „Aber sicherlich.' „Mit seiner Verspätung?' „Ebenfalls!' „Gas ist denn nur da wieder einmal los, Setior Ronda? Bitte, spannen Sie meine Ungeduld nicht a»f eine zu lange Folter- Erzählen Sie!' „Erzählen?" Da» ist nicht so einfach, wie Sie da setzt glauben. Ich weiß nicht recht, wie ich Ihnen da» aueinandersetzen soll. Jedenfalls muß ich weiter ausholen soll. Also hören Sie: Zwei Stationen vor - EI Paso, wie un» eben ein Telegramm meldet, de- gegnetc dem Zuge etwa» ganz Unerwartete». Un- erhörte», möchte ich fast sagen. Lr wurde nämlich kurz nach dem Auslaufen aus der Station.. „Sekior Ronda!' Ein Bahnangestellter rannte auf den Vorstand zu und holte ihn in einer eiligen Angelegenheit a, da« Diensttelephon. „Ich fahr« später in meinem Berichte fort," verabschiedete sich Senor Ronda kurz und folgte dem Unterbeamten. „Ist cs etwas Böses?" rief Al-xe Sutter ihm nach. „Böses?' schrie Ronda zurück, „würde ich da lachen? Aber Sie werden schauen, Sie werden schauen! Mein Kompliment an Herrn Whitman." Fort war er und kam nicht wieder. Alire Sutter schüttelte unwillig das hübsch« Köpfchen und horchte nun, neugierig geworden, unter den Leuten umher, die, wie sie, auf den Zug warteten. Aber sie vernahm nichts, was Grund zu irgendwelcher Beunruhigung gegeben hätte. Kein Mensch zerbrach sich den Kops darüber, warum der Zug statt seiner gewöhnlichen und ortsüblichen Verspätung heute eine etwas größere haben würde. Warum sollte er auch nicht? Ein Expreß, der von der Hauptstadt Mexiko weg seine zwei Tage schon unterwegs war. Zn den endlosen Steppen konnte der schon ein wenig müde werden. Senor Ronda, der al« Spaßmacher bekannt war, hatte wohl mit ihr seinen Scherz haben wollen. Es war säst 8 Uhr geworden, als die gelben, funkelnden Augen der Maschine in der finkenden Nacht sichtbar wurden. Langsam, pustend wie ein ver wundetes vorsintflutliches Tier arbeitete sie sich heran, lind dann ftano der Zug endlich bewegungslos, starr da. Die, die da irgend jemand erwarteten, standen ebenfalls starr und erstaunt. Kein einzige» Licht im ganzen Zuge, keine Menschenseele zu sehen, kein Kopf in Tür oder Fenster. Es sah aus, als ob das leuter unbenutzte Wagen wären, die eben von einem Rangiergleise hereingeschoben worden waren... Eine wartende Dom«, von Ungeduld nach ihrem Manne oder Kinde verehrt, riß eine Tür auf, stieg auf das Trittbrett hinauf, sah in ein Abteil, sprang, fiel mit einen: lauten Entsetzensschrei sofort wieder zurück. Irgend jemand in die Arme. Lin Herr löste sie ab, trat in die Bresche, stieg in -en Wagen, verweilte dort länger als die Dame, kam auch nicht mit dem Ausdruck irgendwelchen Schreckens zurück. Im Gegenteil. Er lachte, lachte unbändig über das ganze Gesicht, lachte so ähnlich, wie vorher Senor Ronda, der eifrig mit dem Zugführer und einigen Rurale«, Len. mexikanischen Landgendarmen, konferierte, ge lacht hatte. Der wagemutige Herr wurde von jenen, die endlich Aufschluß haben wollten, halb erdrückt, kam aber nicht mehr zum Reden. Denn ein Bahn- Angestellter machte mit einer Glocke einen Teufels- lärm und gebot allgemeines Schweigen. Senor Ronda, auf ein Trittbrett sich schwingend, begann zu sprechen. Unvorhergesehene Ereignisse, die den Zug betroffen, erforderten außerordentliche Maßnahmen. Er bitte daher alle nuf dem Bahnsteig befindlichen Herren, sich sofort in den Wartesaal dritter Klaffe zu begeben. Staunen, achselzuckendes Zögern, in das die drei Rurales und die Bahnbeamten tatkräftig eingriffen In kurzer Zeit war die gesamte Männer welt im Warlesaal dritter Klasse, ein Rural? be wachte den Ausgang. Ein Zeichen Seüo: Rondas, und alle Lichter des Bahnhofes erloschen, nur zwei matte Lampen brannten weiter. „Alle Damen anssteigen!" rief Seüor Ronda mit lauter, befehlender Stimme. Nichts rührte sich im Zuge. „Ausstsigen oder es kommen die Rurales," gebot Ronda von neuem. Zögernd schoben sich einige weiße, nackt« Arm« herau» und öffneten die und jene Tür. Dann stiegen die Damen au, die weißen Damen im Gewände von braunen Südseeinsulanerinnen, nur daß an Stelle des dort landesüblichen Pflanzenfasern- Hüftenschurze« irgendein Zeitungsblatt getreten war. Mit der einen Hand diese Zeitung kramvfhast fest haltend, die andere vor das errötende Gesicht drückend, eilten die. Damen barfuß dem für ihre Unterkunft bereits geöffneten Wartesaal zweiter Klasse zu... ckesr ^Ii<-e!' Ellen Wood, eine Freundin Alixes, di« „Evening Sun' um die Hüfte geschlagen, fiel dieser schluchzend um den Hol--. „Ist es nicht schrecklich, Alice?' „Schrecklich?" erwiderte diese starren Auges, „ich verstehe nicht das geringste. Ich glaube in einer Fieberphantasic zu leben!" „Keine Phantasie, liebe Alice, Wirklichkeit, furcht- bare Wirklichkeit. Wir wurden unterwegs von mexi kanischen Banditen überfallen. Sie nahmen un« alles, selbst das Hemd rissen sie uns vom Leibe herab. Wenn nicht der Zeitungsverkäuser im letzten Wagen große Vorräte an alten Blättern gehabt hatte, war« es noch schauderhafter geworden.' „Du Aermste! Und, verzeih', Robert, mein Bräutigam?" „Er ist noch im Zuge, laßt dich bitten, du mögest sofort seinen Diener mit Kleidern und Wäsche schicken. Besorge, bitte, auch mir alles Nötige. Tu es rasch, Alice. Es ist kalt in der dünnen Zeitung!" Ihre „Evening Sun" fröstelnd fester an sich pressend, be gann si? Einzelheiten des entsetzlichen Ereignisses der Freundin ins Ohr zu flüstern, hielt ober in ihrem Per-chtc plötzlich inne. Denn in ihrer nächsten Nahe ließ sich Senor Rondas sonore Stimme vernehmen: „Nun die Heren ausstc gen!'... Mit einem Schreckensschrei und einigen raschen Sprüngen ver schwanden Alice Sutter und Ellen Wood eilig im Wartesaal zweiter Klasse... Hulda, di« perle Bon V»v»rl«ln Ja, wir haben sie, die Perle. Hulda heißt sie. Schön ist sie eigentlich nicht; klein, rundlich, da» hellblonde Haar straff aus der Stirn -urückgetämmt, gleichsam blonkgewichste rote Pausbacken und genüg- som, gutwillig und fleißig. Ach was, fleißig! Hulda ist schlechthin arbeitsuüitig. Aber sie hat auch die nötigen Kräfte dazu. Und sie geht nie aus, niemal« au». Und sie ist billig. ' Bekommen haben wir Hulda folgendermaßen. Vor eia par Jahren waren wir auf de« Land« zur Som merfrische. Dem Zuge der Zeit solg«nd, hatten wir weniger auf schöne Gegend al« auf gute Verpflegung gesehen und waren denn auch bei eigentlich recht« wohlhabenden Bauersleuten gut unt-rgekommen. Au» diesem Hyfe stammte Hulda. Damals «ar st« dreizehn Jahre alt, körperlich ein derbe» Mädel schon, aber geistig — o jeh! Zn einer Großstadt wäre sie sicherlich in die Schwachbefähigtenschul« «en- gereiht wo^en. Sie konnte kaum lesen und schreiben und wurde namenlos von ihren Geschwistern und den Dienstboten des Hofe» geneckt 'und gepeinigr. Meine gutmütige Frau nahm sich de» Kinde» an, und c» zeigt« sich, daß »» weit besser vorangrkommen wäre, meng nur irgend jemand mit ihm Geduld ge- habt hätte. Jetzt lernte «» bftme» kurze» gan- ordentlich lesen und schreiben und sogar ein wenig rechnen, und während es vorhe» schär und geduckt im Dinkel gesessen hatte, ging es jetzt bisweilen munter au» sich heraus. Die Mutter, deren Lieb ling im Grunde Hulda gewesen war, die sich ober nie recht um das Mädchen hatte kümmern können, verliebte sich daraufhin sozusagen aus Dank in meine Fvou, und das sollte seine Früchte trage». Kurz nach Ostern erschien fi« eines Tage» und machte uns den Vorschlag, Hulda, die inzwischen eingesegnet war, al» Dienstmädchen aufzunehmen. Die Sache wurde abgemacht, nicht ohne Bedenken seitens Meiner Frau, aber da die augenblickliche Domra gerade „reis' war, trat Hulda ihren Dienst an. Und siehe da! Mit der Geduld glückte «. Das Mädchen war meiner Frau vom ersten Augenblick an au» der Erinnerung heraus geradezu inbrünstig ergeben; es gewöhnte sich zwar nur langsam und Schritt für Schritt an seine Obliegenheiten, aber was es einmal begriffen hatte, saß unverbrüchlich fest. Hulda wurde mit der Zeit ««ine richtiggehende Perle und ist es noch. „Beneidenswerte Frau!' werden jetzt die Lese- rinnen sagen. „Warum wird un» der Mund wässerig gemacht? Oder sollt« die Geschichte doch irgend einen Haken haben?" Erraten, erraten! Nämlich da» U«bermaß auch an sich guter Eigenschaften vermag Schaden zu stiften, und gar «in so ursprünglicher, so ehrlicher n»d mit welcher Kraft gepaarter Arbeitswille wie der Huldas mußte Gefahren zeitigen. Und er hat sie auch ge zeitigt. Und sogar Katastrophen heraufgeführt. Der Reihe nach! Erstens: Hulda bekommt di» Parkettbürste oder vielmehr ihren Ettel in di« Hand. Er ist — ich habe ihn selber gemessen — i« Durch- Messer fünf Zentimeter stark und dient bereits seit dreißig Jahren. Hulda aber! Kaum hat sie ihre Arbeit begonnen, so ist drr Stiel auch zerbrochen, zweimal zerbrochen. Wie sie das angestellt hat, bleibt ein Rätsel. „Aus einmal," sagte si«, „beim Bürsten." Der neue Stiel kostet Milliarden. Zweitens: in unserem Badezimmer klemmt das Fenster. Bei feuchtem Wetter draußen' läßt es sich oft tagelang nicht öffnen. Wir wißen das längst. Aber Hulda bekommt cs auf! Nur al» der Glaser meister nachgemeflen und seinen Zollstock wieder ein gesteckt hat, meint er: „Tja, gnädige Frau, zwei große Scheiben! Und das Glas ist unmenschlich teuer!" Drittens: in unser» — Verzeihung! — Klosett ist ganz oben eine Lüftungsavlage angebracht, die mit einem durchlöcherten Messingtürchen verschlossen ist. Es konnte bisher nie geputzt werden; smn gelangt nämlich des bewußten Deckens halber schlechter dings nicht hin. Hulda jedoch! Sie baut di« Küchen treppe auf dem Decken auf und beseitigt den jahre langen Schandfleck. Plötzlich gibt es einen entsetz lichen Plumps. Meine Frau stürzt herzu. Nun, nun! Hulda ist heil und das Messingtürchen oben ist blank geputzt. Aber das Becken ist von der Kuchen- leiter zerschlagen. Teufel auch! Und viertens: Meine Frau besitzt eine Wäsche ¬ mangel, «ine private Wäschemangel, ein sauberes Gerät aus der alten soliden Zeit, ein kostbares Wert stück heutzutage. Natürlich darf sie nicht zuviel auf einmal zwischen ihr« Walzen bekommen. Ein Blinder sieht, daß so etwas dumm ablaufen muß. Aber Hulda! Wie fteht es? Die Wäsche soll und muß gemangelt werden, uird ebenso muß der Tisch ein Viertel nach ein Uhr gedeckt sein. Also! Der Schlosser meister indessen sagte: „Wenn ich sie überhaupt wieder zurechtkriege — denn das Modell ist alt und die Achsen der Walz« müssen ganz neu geschmiedet werden, — unter 18 Goldmark nicht.' „Hulda, hörst du? 18 Goldmark!' stöhnte meine Frau. Dann lacht Hulda verschämt. Sie hat keinen rechten Begriff von Geld. Und vorderhand letztens: ich habe viel Büch«». Das eine Brett reicht fast bis zur Decke; oben hat gerade noch eine Goethcbüsle Platz, «in« Goethebüste aus wahrhaftem Marmor. Ich habe das Bord vor» meinem Vater geerbt, und es ist ein bißchen wackelig. Deshalb werden auch beim Großreinemachen (ver fluchte Einrichtung das!) die Bücher nur der Reihe nach herausgenommen, abgcstaubt und wieder ein gestellt. ' Das Brett aber wir- nie von der Stelle gerückt. Aus guten Gründen. Hulda jedoch! Da! Da!! Ist da» nicht ein« Spinnwebe hinter dem Bord? Ra wart! Häuserweit hat man d«n Sturz gehört. Na ja, da« schwappend volle Brett ergießt sich mit seinen Büchern über das Mädchen. Hulda aber erleidet wiederum keinen ernstlichen Schaden. Sie scheint ein«n Schutzen-«! zu haben. Ab«r da ehrwürdige Möbelstück hat sich in sein« Bestandteil« ausgelöst. „Bei den heutigen Holzpveisen. . Mein« gut« Frau erkundigt sich: „Hulda. Unglück«, mädchen, säst du dir auch nicht Schaden gern«? Tut dir« nirgends weh?' „Doch, ein bißchen,' erwidert die Perl«, „hier.' Dabei reibt sie sich hinterrücks, unterhalb de» Rücken«. Da ist ihr — gottlob! — der Marmorgoethe drauf gefallen. Er ist ganz unverletzt geblieben. Sonst—l Dagegen meldet sich noch der Mieter, der die Woh nung unter uns inne hat, und ersucht mich, ihm acht fünfkerzige Glühbirnen zu vergüten, di« ihm bei dem Fall an seinem Kronleuchter kaputgegängen find. Ich kann es nicht abschlagen. Nun, man muß sich für all« Lebemelagen einen Plan bereitstellen. Für den Fall Hulda ist es dieser: ich hab« mich »u prüfen: „Was kann nun noch ge schehen?' Rach eingehendem Umherschauen in der gesamten Wohnung bleibt mir nur noch der Flügel verdächtig, mein schöner großer Flügel, der Freund und- Tröster in sorgenvollen Stunden, u»d, wenn e» mir gelingt, ihn bis dahin zu behalten, vermutlich einmal da» wertvollst« Lück mein«» Nachlasse». Er ist s«hr schwer. Aber e^st möglich, immerhin «2g- lich, daß Hulda (sie hebt ihn allwöchentlich beim oben erwähnten Parkettbürsteu ganz alleta von fein'« Dla»süßen herunter und auf fi« wieder hknauf) ihn «ine» Tage» reliriomegshalber auf irgend et»« Weis» auf die Sott»« stellt, daß er dann hinfällt, den Fuß- baden durchbricht und da» ganz« Hau» zum Einsturz bringt. Dann ad«r find wir ja alle mit in de» gähnenden Abgrund begraben, «nd auch der Lebens- plan erübrigt fich. Immerhin hangt ein Schwert de» DamoNe» über unserm Dasein. Aber man gewiißM sich daran. , . -
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