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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 27.10.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-10-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192310276
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19231027
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19231027
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-10
- Tag 1923-10-27
-
Monat
1923-10
-
Jahr
1923
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Vie Angelsachsen und wir Londe», LS. Oktober. (Eig. Tel.) Da» eng lische Außenamt hat gestern abend den Wortlaut der Verbalnoten au»gegebrn, di« zwischen London rmd Washington in der Frage einer eventuellen Teil nahme der Bereinigten Staaten an einer Wirt- schaftskonferenz zur Lösung der Repara- tionsfrage ausgetauscht wurden. In einer Note vom 12. November fragt« Lord Curzon b«i der Bundesregierung an, ob die Union noch immer bereit sei, auf Grund de» Borschlage» von Staatssekretär Hughes an einer Reparations konferenz teilzunehmen, wenn England seine Bundes genossen veranlasse, «ine gemeinsame Einladung nach Washington zu richten. Curzon fragte weiter, oo Nordamerika eventuell bereit wäre, auf» neue einen Bertr «terin die Reparattonskommiffion zu ent senden, endlich wurde gefragt, ob Amerika, wenn eine Einstimmigkeit für die Einladung nicht zu- siandekommen sollte, bereit wäre, sich an einer Ab schätzung der deutschen Zahlungsfähig keit durch eine Mehrheit der Alliierten zu be teiligen. Der ameritanische Staatssekretär hat die An fragen dahin beantwortet, daß der Vorschlag von vorigem Dezember noch aufrcchlcrhalten wert^ und daß die Union einer gemeinsamen Einladung aller hauptsächlich an der Reparationsfrag« interessierten Mäche Nachkommen würde. Die Antwort weist dar auf hin, daß die Regierung der Zustimmung de» Parlaments bedürfe, um einen neuen Vertreter in die Reparationskommission entsenden zu können. Londo», 26. Oktober. (Eig, Tel.) Baldwin hielt gestern eine Rede auf dem konservativen Parteitag in Plymouth. Dor und nach der Rede kam es zu stürmischem minutenlangem Beifall. Auch während der Rede, als Baldwin sich direkt an PoinearS wandte, um ihn zu bitten, nicht nur einmal oder zweimal, sondern öfter» nachzudenken, bevor er seine Antwork auf die englische Anregung erteile, Amerika rinzuladen, äußerte seine Zuhörerschaft lebhaften Beifall. Der Höhepunkt der Begeisterung wurde aber erreicht, als Baldwin sich ohne jede Einschränkung für eine Schutzzollpolitik anssprach. Nach einem warmen Nachruf für Bonar Law verteidigte sich Baldwin gegen den Vorwurf, das englische Kabinett treibe kein« Außenpolitik. Jeder Staats mann in Europa kenne Englands fest umschriebene Politik in der Neparationvfrage, in der Schulden frage und in der Eicherheitsfrage. England habe der Note vom 11. August keine weiteren politischen An regungen folgen lassen, weil der Zusammenbruch de» passiven Widerstandes unmittelbar vor der Tür stand und England die Versicherung bekommen hatte, daß die Aufgabe des passiven Widerstande» den Anstatt zu Verhandlungsmöglichkeiten bieten werde. Während die Regierung aus diesem Grunde sich abwartend verhielt, sei der Zeitpunkt der Reichs- konserenz gekommen. Nunmehr müsse die Regierung abwarrui, was das Forum des gesamten Reiches be schließen würde. Baldwin faßte dann noch einmal den Inhalt des Notenwechsels zwischen London und Washington zusammen und richtete dabei den oben . erwähnten Appell an PoincarS. Baldwin stellte dann fest, daß England Deutsch land gegenüber eine konsequente Politik verfolgt habe. Deutschland müsse Reparationen zahlen als eine gerechte Strafe für den Krieg, aber es müsse auch in die Lage versetzt werden, zahlen zu können. Dazu fei eine Prüfung der deutschen Leiftungs- fähigkeit und eine Neuordnung seiner Währung und Finanzen erforderlich. England könne eine Zer setzung Deutschlands nicht mit Genugtuung be obachten, da Deutschlands Vermögen, Reparationen zu zahlen, aufs neue hinausgeschoben würde. Auch die Loslösung eines Teiles von Deutschland könne England nicht gleichgültig sein, denn es stelle einen Bruch des Friedensvertrages dar. Daidwin, der eine weitere Erklärung über die auswärtige Politik nach dem Eingang der Antwort der Bundesgenossen in Aussicht stellte, beschäftigte sich dann eingehend mit der Arbeitslosigkeit. Er verteidigte die für die Rotftandsarbeiten in diesem Winter ausgeworfene Summe von 60 Millionen Pfund als ausreichend. Er erklärte dann, daß die Negierung diese Beihilfe noch ergänzen werde durch große Aufträge für klein« Kreuzer. Zu den wirt schaftspolitischen Mitteln übergehend, die geeignet seien, die Arbeitslosigkeit dauernd zu beseitigen, lehnte Baldwin ganz entschieden jede Inflations- Politik ab. England sehe sich der Tatsache gegenüber, daß cs nach dem Kriege mit einer stark vermehrten Bevölkerung als hochcntw'ckelter Industriestaat einem Europa gegenüberstehe, das auch, wenn in der nächsten Zeit eine Regelung der Reparationsfrage erfolgt, Jahre braucht, um wirtschaftlich wieder hoch zu kommen. In diesem Europa sei Deutschland nach dem Kriege durch den Verlust großer Teile seiner land wirtschaftlichen Bodenfläch« im Osten und seiner Roh stoffe im Westen darauf angewiesen, wenn e» leben und arbeiten wolle, mehr Rohstoffe und Nahrungs mittel einzuführen, al« vor dem Kriege. Deutsch land könne für diese große Einfuhr nur durch eine groß« Ausfuhr Bezahlung erwarten. Wolle man .. dann von einem erholten Deutschland Revarations- zahlungen in Höhe von 2L bis 3 M lliaroen Gold mark, so müsse man sich auf eine weitere künftige Steigerung der deutschen Ausfuhr gefaßt machen. verstärkte Gefährdung des Rheinlandes Köln, 26. Oktober. (Eig. Te l.) Die Gesamt lage im Rheinland hat seit Mittwoch ein un günstigere» Aussehen erhalten, und zwar infolge Eingreifens dsr alliierten Militärbehör- den, die sich, wir es scheint, überall gegenüber den Zivilbehörden, das heißt der Nheinlandkommiflion rmd ihrer „Neutralität", durchgesetzt haben. Die ersten Folgen waren die Verhängung des Be lagerungszustandes in einer Reihe von Orten und di« unter dem Schutz de» Belagerungs zustände» vollzogene Entwaffnung oder In ternierung der deutschen Polizei beamten. Unter ihrem Schutz, oder geradezu mit Unterstiitzung de» Militärs konnten die <sr p a- ratisten verschiedentlich in die Gebäude, aus denen sie von der Bevölkerung hinausgeworfen worden waren, wieder eindringen, so in Aachen Bonn und Krefeld. Noch besetzt sind öffentliche Gebäude in Wiesbaden und Trier. Pari», 26. Oktober. (Lig. Tel.) Dem .Vetit Parifien" »ird au» Koblenz gemeldet, daß gestern abend um N10 Uhr Koblen» von den Separa tisten besetzt wurde. Die Sonderbündler konn ten sich, ohne Widerstand zu finden, de« Schlosse«, der Post und des Trlegrapbenamtr» bemächtigen. Um II Uhr kam die provisorische Regierung unter Lei tung de» -errn Matthe» zu« Obersten Philim»«, dem Obrrdelegierten der Nheinlandkommiflion. Die provisorische Negierung — so heißt r» in der Meldung de» „Petit Paristen" — wird von zwanzig Personen gebildet, darunter Herrn v. Metzen. —. -- _ . Oie Hagener Kanzlerre-e Hagen, 25. Oktober. Der große Saal der neue» Stadthalle war di» auf den letzten Platz gefüllt und viele mußten noch umkehren, die gekommen waren, um, wie Reichsnnnister Sollmann erklärte, den Rechenschaftsbericht der Reichsregierung entgegen zunehmen. Di, Reichsregierung empfinde mit dem ganzen Volk di« furchtbare Rot de» Augenblicks, ab« trotz dies« Rot dürfe da» Volk und jeder ein- zelne nicht verzweifeln, sondern müsse sich mit aller Kraft zu neu« Arbeit und neuen Taten aufrafftn. Di» Schuld an dieser furchtbaren Rot laste in ihr« ganzen Wucht auf Frankreich» Schultern, da» sich al» unversöhnlicher Feind zeig«. Trotz aller Not halte die rheinische Bevölkerung treu zu Deutsch land. Der Minister für die besetzten Gebiet«, Fuchs, sprach den besetzten Gebieten den Dan! der Reichs regierung für ihr mutvolles Ausharren aus. Bon stürmischem Beifall begrüßt, betrat der Reichskanzler Dr. Dtresemau» da« Rednerpult. Er führte aus: Der Kamps um Rhein und Ruhr habe wohl jetzt den Höhepunkt er- reicht. Ein Kampf, der mit ungleichen Waffen geführt werde, wo unter dem Schutze der französischen und belgischen Bajonette die Separatisten den Ver such machten, ihre Herrschaft auszurtchten, um da« Rheinland und andere deutsche Gebiete unter ihre De- walt »u bringen Wenn die Franzosen und Belgier nicht dahinter ständen, so würde di« Bevölkerung de» Rheinlande» diesem Karnevalszug in 24 Stunden ein schlimmes Ende bereiten. Aber was an Rhein und Ruhr geschehen sei, sei nicht die einzige Not der Stunde. Noch größer ist das Gespenst der immer größer werdenden Arbeit»- lofigkeit, der Preissteigerungen und de» Währungs verfalls. Die Schuld für diese ganzen Leiden falle einzig und allein Frankreich zur Last, und die Mittel, die Frankreich gegen Deutschland anwende, seien gegen Gesetz, Vertrag und Recht, gegen die ge schriebenen Verträge wie gegen das ungeschriebene Menschenrecht. Wenn der passive Widerstand habe auf gegeben wenden müssen, so sei da» nicht geschehen, um die Gunst PorncarSs zu gewinnen, sondern weil sich Deutschland an dem passiven Widerstand verblutet hätte und weil es nötig gewesen sei, klare Verhältnisse in der internattonalen Politik zu schaffen- Der fran zösische Ministerpräsident, hat wiederholt erklärt, daß es nur der passive Widerstand sei, der ihn daran hin dere, mit Deutschland in Verhandlungen zu treten. Jetzt, wo alle Verordnungen, die sich auf den passiven Widerstand bezogen, von der deutschen Regierung aufgehoben seien, behaupte er, der passive Widerstand dauere noch an, weil die Unterstützungen bis zum 20. Oktober gezahlt worden seien und weil die Be amten ihre Gehälter weiter erhalten hätten. Diese Zahlungen seien doch selbstverständliche Pflicht der deutschen Reichsregierung gewesen. Wenn der französische Ministerpräsident jetzt ver lange, daß erst einmal der Zustand an Rhein und Ruhr wiederhergestellt werden müsse, wie er vor dem '11. Januar bestcknden habe, dann müsse man doch fragen, ob denn die französische Regierung auch ihrerseits diesen Zustand wieder her- stellen wolle. Der Reichskanzler wiederholte, was er letzthin im Reichstag ausgesprochen hatte: Unser ist der ganze Bade«, unser ist da» Land, unser ist der Besitz an diesen Eisen- bahne», und da» wollen wir uns nicht raube« lassen. Riemal» werden wir durch «tue Unterschrift von unserer Seite diesen Raub zu einem legalen machen! Seit Jahr und Tag werde das Rheinland wie eine französische Militärkolonie behandelt, nur daß in einer solchen vielleicht noch mehr Freiheit herrsche -ls an Rhe n und Ruhr. Für das Rheinland bestehe das Nheinlandabkommen. Das sei schon Eingriff in die deutsche Freiheit genug, aber es könne sich Miller Vertrag stützen, wenn auch der Ausdruck „VertrkSg" für die Art, wie dieser zustande gekommen sei, kaum der richtig? sei. ocb etwas von der deutschen Souveränität bei dem Vorschlag übrig, der jetzt der deutschen Regierung zur bedingungslosen Annahme unterbreitet worden sek: daß sich die Regie an die Stelle der deutschen Reichsbahn im be setzten Gebiete substituieren solle, und der noch die Abtretung weiterer wichtiger Eisenbahnlinien, 'so Frankfurt—Darmstadt und der einzigen Linie nach Holland, verlangt hab«? Nun, die deutsche Regierung habe keine 24 Stun- den zur Ablehnung gebraucht. (Stürmischer Beifall.) Mit Nachdruck betonte der Kanzler: Einmal müsse die Zeit vorüb« sei», wo man glaub«, daß man mit Deutschland nur ans de» Wege der Diktate sprechen könne. (Wiederholter stürmischer Beifall.) Deutschland möge zu schwach sein, sich zu wehren, man könne es ver gewaltigen, aber man könne es nicht zwingen, seine Unterschrift unter diese Vergewaltigung zu setzen. Die Regierung habe da» Letzte getan, die Wirt- schäft im Ruhrgebiet wieder in Dang zu bringen. Sie habe die Wirtschaft-Vertreter ermächtigt, mit Frankreich zu verhandeln und habe sich trotz der furchtbaren finanziellen Rot de» Reiche» zu weit gehenden finanziellen Opfern für die Zukunft be reit erklärt, um di» Summe zu garantieren, die die Wirtschaft mit Hilfe au»ländischer Kredite auf- bringen sollt«, um di« Reparattopsliefe- rungen an Frankreich au»zuführ«n. Di« Ver handlungen hätten ein Ergebnt» nicht gehabt. Aber bi» zum letzten Augenblick wolle er, der Reichs- kanzler, hoffen, daß sie doch noch zu einem Abschluß führen würden, denn wenn da» nicht geschehe, so sehe er furchtbare Folgen: Hungersnot, Wirrwarr und Chaos. Wenn e» zu keinen Abmachungen komme, so würden in kurzer Zeit 550000 Berg arbeiter mit ihren Familien ohne Brot sein. Deutschland stehk am Ende seiner wirtschaft lichen Kraft. E< könne dieser Rot nicht steuern, und «ch Frankreich säst« di« ganz« Verantmortung für dies« furchtbar, Elend. Di« deutsche Regierung hab« sich in dies« furcht baren Katastrophe an di» charitativen Ver bünde 1» allen Lindern, an da» Rote Kreuz in der ganzen Welt gewandt, damit dies« bei der bevorstehenden Hungersnot im besetzten Gebiet eingriffea, und di« deutsche Regierung hoffe, daß dieser Appell an die Liebe nicht ungrhört ver holen werde. Deutschland hab« viclleicht schon mehr an Re parationen geleistet, als cs mit Rücksicht auf sein Volk hätte tun dürfen. Aber die deutsche Reai«ung wär« zu weiteren Opfern bereit gewesen für die Freiheit der deutschen Erde. Kein materielle» Opfer sei zu hoch, als daß es nicht gebracht werden könnte und müßte für die Frei heit de» deutschen Volkes und des deutschen Bodens. Bei der Wahl zwischen Freiheit und Besitz werde sich ein ehrliebende» Boll für die Freiheit entscheiden. Aber im Augenblick könne Deutschland ferne weiter«: Leistungen au» dem Versailler Vertrag schwer erfüllen, solang« Rhein und Ruhr von ihm abgeschnitten seien, und Deutschland werde auch keine weiteren Leistungen mehr ausführen, weil die Besetzung des Ruhrgebietes unzulässig sei. In dieser Auf fassung sei ein großer Alliierter Frank reichs mit Deutschland einig. Aber, so könne man wohl fragen: was tue England, um dies« Rechtswidrigkeit arm dem Wege zu räumen in einer Angelegenheit, in der die moralische Ehre aller Alliierte» engagiert sei, und bei einem Vertrage, der doch die Unter schriften aller trage? Deutschland bettel« nicht um Gnade, aber cs fordere sein Recht aus dem Vertrage, ganz gleich, ob England in einem Punkte für oder gegen uns sei. Die Entscheidung darüber, ob Rhein und Ruhr zu Deutschland gehörten, müsse bald fallen. Da» wolle die Regierung nicht nur für ihr Volk, sondern auch um der Welt willen. Wenn man von französischer Seite au» klar erkennbaren Gründen immer wieder den Ver such mache, Deutschland die Alleinschuld für den Weltkrieg aufzubürden, s» weift er die Kriegsschuldlüge mit aller Ent schiedenheit zurück. Deutschland habe seine Archive aller Welt geöffnet und sich bereit erklärt, sich einem internationalien Gerichtshof zur Be urteilung seiner Kriegsschuld zu unterwerfen. Wenn alle so ein gutes Gewissen hätten, so sollten sie erst einural dasselbe tun. Der Reichskanzler kam dann darauf zu sprechen, daß man ihm in der letzten Zeit öfter dcn Vorwurf gemacht habe, er verfahre undiplomatisch, weit er mit aller Offenheit über dcn furchtbaren Ernst der deutschen Lage sich geäußert habe. Dem gegenüber müsse er betonen, daß er sich allerdings vorgenommen habe, lieber dem Volke die volle Wahrheit zu sagen, als es in Illusionen zu wiegen, aus dcuen es dann ein furchtbares Er wachen gäbe. So müsse er auch heute sagen, daß wir mit fremder Hilfe nicht zu rechnen hätten: Das deutsche Dokk stehe allein. Es solle auch nicht bald rurch dieser, bald nach jener Hauptstadt spähen, als ob von dort Hilfe kommen würde. Jeder deutsche Wiederaufbau müsse vom sittlichen Empfin den des deutschen Volkes ausgehen. Tech nik und Wirtschaft allein könnten uns nicht retten. Das wichtigste sei Lust und Freude an der Arbeit, und nur das Pflichtgefühl könne uns retten und noch etwas anderes, denn in diesem Augenblick, wo Deutschland von außen so schwer bedroht sei, sei nichts gleichgültiger und überflüssiger als Par teiprogramme. Jetzt, wo die Karre im Dreck stecke, sei nur der wahrhaft national, der ohne Zögern mit zufasse, um sie aus dem Dreck wieder herauszuziehen, nicht aber der, der dabei stehe und erkläre: Ihr seid nicht die richtigen Leute! Er, der Kanzler, sei gewiß ein alter Parlamentarier und wisse, daß es im politischen Streit hart auf hart gehe. Aber es könne nicht so weitergehen, daß die Leute, die ihr politisches Ansehen, ja vielleicht ihr Leben aufs Spiel gesetzt hätten, als sie in die Regierung eingetreten seien, sogar persönlich angegriffen und verunglimpft würden. Es sei auch ein unerträglicher Zustand, daß in einem Augenblick, wo die deutsche Regierung durch ihre diplomatischen Vertreter im Auslande eine Er klärung habe abgebcn lassen, daß die volle Verant wortung für die zukünftigen Ereignisse im Ruhr gebiet auf F r a n k r ei ch laste, inncrpolitisch»- und innerstaatliche Streitigkeiten sich er höben. Nach der Besprechung der deutschen Mini sterpräsidenten, die gestern in Berlin stattgefunden habe, hoffe er, daß da« Mißverständnis zwischen Bayern und dem Reich zu Ende sei und es sei selbstverständlich das wolle er nach drücklichst betonen —, daß in dem Kampf um die Er haltung der deutschen Pfalz die deutsche Reichs- regierung Seite an Seite mit Bayern stehe. Unter dem Schutze französischer Bajonette könnten solche Dinge wie in der Pfalz nicht gemacht werden. Da müßten die Wege gegangen werden, die die Ver fassung weise. Gegen das unerhört« vertrags widrige Verhalten des Generals de Metz in der Rheinpfalz habe di« deutsche Reicrung bei Frank- reich Protest eingelegt rmd sie werde diesen Pro test auch noch bei allen übrigen Staaten erheben. Die öffentliche Meinung der ganzen Welt müsse immer und immer wieder auf diese Dinge gestoßen werden. Gebe es bei dieser furchtbar ernsten Lage noch eine Möglichkeit, optimistisch zu sein? Man könnte daran zweifeln, und doch wäre der Weg durch dieses Dunkel der Gegenwart unmöglich ohne einen Glauben, der Berge verfitze, einen Glau ben. der ans di« Zukunft Deutschland» vertraue. Die Geschichte sei da« Weltgericht. Sei Deutschland» sittliche Kraft nicht groß genug gewesen, um sein Schicksal zn wenden, wolle die Weltgeschichte wirk lich, daß Deutschland ein hungernde» Sklavenvolk werdc? Da» wolle er nie und nimmer glauben! Gewiß sei die Gegenwart Not, Elend und Ilnter- drückung, »b»r im Vertrauen auf ein« bessere Zu- kunft müsse diese Gegenwart ertragen werden. Er glaube an -r-» kentt-»-- Zukunft auf die das deutsche Volk ein Recht habe. (Langanhaltender brausender Beifall.) Noch der Rede des Reichskanzler» sang di« Ver sammlung das Deutschlandlied. An die Darlegungen des Reichskanzler», denen der preußisch» Ministerpräsident für die preußische Staatsregierung in vollem Ilmfange beitrat, schloß sich eine mehr stündige Aussprache. Dor allem wurde dabei von den Vertretern dr» besetzten Gebiet» auf L— L7 vklod« die mit der ungeheuren Erwerb»lofigk»it und der Leben » mittelnot für die besetzten Gebiete ver- bundenen Gefahren btngewiesen. Die Schaffung eine» wertbeständigen Zahlungsmit tel» für da» besetzte Gebiet vmrd« al» besonder» dringlich bezeichnet. Die Vertreter der Reichsregir- rung sagten möglichste Hilfe zu. Ein vorläufiges wertbeständige» Zahlungsmittel werd« nach Mit teilung des Vorsitzenden der Städtevercinigung von den rheinischen Städten mit Genehmigung der Reichsregierung geschaffen werden. Es wurde weiter mitgeteilt, daß die Parteien de» besetzten Gebietes zur Sicherung einer ständigen engen Fühlungnahme untereinander und mit der Reichsregierung und zur Mitwirkung bei den notwendigen Verhandlungen auf wirtschaftlichem Gebiet einen Ausschuß von 16 Personen bereit» eingesetzt hält»«. „veurlaubungen" aus frauzSfifcher Haft «öl«, 25. Oktober. (Eig. Tel.) Di« .Köl nische Volkszeitung" meldet: Herr Krupp von Bohlen-Halbach sowie drei iry Düsseldorfer Gefängnis befindliche Direktoren wurden zur Er- ledigung dringender geschäftlicher Angelegenheiten für sieben Tage au» der Haft nach Essen beur laubt. Wie verlautet, fänden am Montag Ver handlungen über die Haftentlassungen weiterer politischer Gefangener statt. Dfirn nimmt an, daß die .Beurlaubung" der Krupp-Direktoren dir Ein- Iritung für ihre endgültige Freilassung sein soll. Sum Uapttel Selbstbeftimmungsrecht Wien, 26. Oktober. (Eig. T«l.) Wie au» Triest gemeldet ward, haben die Präfekten der Pro- vinzen Triest und Udine-Dörz eine Verord nung erlassen, in der mit Wirksamkeit vom 24. Ok tober diese» Jahre» unter Androhung der Be schlagnahm, bei Zuwiderhandlungen die in Italien in nicht italienischer Sprache er scheinenden Zeitungen angewiesen werden, ihrem Terr eine vollständig« italienische Uebersetzun« beizufügen, .um eine größere Vermischung der Elemente in den beiden Pro vinzen zu erzielen und mit Rücksicht darauf, daß ein Hindernis einer solchen Vermischung u. a. auch die Zeitungen in nichtitalienischer Sprache sind, die nur von einem Teil der Bevölkerung verstanden werden." Die dalmatinischen Abgeordneten in Italien haben, da ihr Triester Organ .Ed in ost" wegen der technischen Schwierigkeiten, die diese Forde rung zeitigt, nicht erscheinen kann, ein energische» Protesttelegramm an Mussolini ge richtet. Die sächsische Notverordnung Dresden, 20. Oktober. (E i g. Te l.) Di« sächsisch« Regierung hält nach einer Mitteilrmg des Arbeits ministeriums auch gegenüber den Auslassungen in der Presse über die Rechtsbeständigkeit der Arbeiter entlassungsverordnung vom 8. November an ihrer Auffassung fest, daß diese Verordnung auch nach Er laß der Reichsverordnung vom 13. Oktober zu Recht bestehe. Das gelte auch gegenüber dem die gegenteilige Ansicht vertretenden Telegramm des Reichsarbeitsmmiskers an den Zentralausschntz Leipziger Arbeitgeberverbände. Wie wir erfahren, hat das sächsische Ministerium an den Derbanv sächsischer Industrieller durch den Arbeitsminister Graupe folgenden Brief schreiben lassen: „In einer Pressenotiz versuch: der Verband sächsischer Industrieller darzustellen, daß trotz der Darlegung der Rechtsauffaffung der sächsischen Re gierung die Verordnung des sächsischen Gesamt» Ministeriums zur Erhaltung der Arbeitnehmer in den Betrieben vom 8. Oktober 1923 durch die Ver ordnung des Reichswirtschaftsministers und Reiche arbeitsministers vom 13. Oktober 1923 aufgehoben sei. Das sächsische Arbeitsministerium macht den Verband sächsischer Industrieller darauf aufmerksam, daß die sächsische Negierung ihre Rechtsauffaffung arrch bereits der Reichsregierung gegenüber zum Ausdruck gebracht habe und ihren Standpunkt nach- drück lichst zu wahren wissen werde, da die Durchführung der Verordnung bei der maßlos steigenden Arbeitslosigkeit im Interesse der Auf rechterhaltung der Ruhe und Sicherheit im Lanoe nötig sei. Das sächsische Arbeitsministerium seke sich zu dieser Mitteilung veranlaßt, um die Arbeit geberschaft vor den Nachteilen einer Nichtbearyiung der Verordnung zu bewahren. Aus dem gleichen Grund« wird der Verband auch gebeten, seinen Mitgliedern Kenntnis von diesem Schreiben zu geben. Falls durch künftige Presse notizen die Unsicherheit über die Auslegung der Verordnung vom 8. Oktober vermehrt werden sollt«, muß die Verantwortung dafür ausdrücklich den Ein sendern überlassen bleiben. Arbeitgeber und Arbeitszeitgesetz Berli», 25. Oktober. (Eig. Tel.) Die Der- einigung der deutschen Arbeitgeberverbände hat zum Entwurf de» vorläufigen Arb«it»zeitgesetze» Stellung genommen und einen Beschluß gefaßt, in dem es heißt, daß der Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft nur möglich sei, wenn die Wiederherstel lung der vor dem Kriege üblichen Arbeitszeit er- möglicht werde. Der Regierung»rntwurf aber trage dieser Notwendigkeit keine Rechnung. Vie Verhaftung -er Negierungrratr Hauste Dresden, 26. Oktober. (Eig. Tel.- Zu der Ver haftung des Regierungsrat» Hausse erfahren wir, daß di« Verhaftung de, Regterrmgrkommissar» von feiten der Reichswehr anscheinend darum erfolgt ist, weil er zusammen mit Poltzeihauptmarm Reitzel und dem Chauffeur Mittenzwet in ^nen Ort gefahren sei, in dem die Reichswehr die Beschlag nahme von Waffen vornehm« wollte, um di« dor tigen Waffenbesitz«« zu warnen. Die sächsische Regierung hat beim Wehrkreiskommando durch d« Oberregieruäasrat Günther gegen dir Verhaftung der drei Personen Einspruch erhöh«». Hm«1- mann Olbrich, der de» Oberrrgierungsrat Gunther empfing, teilte- mit, daß die Verhaftung dennoch zu Recht bestehen bleib«. Der verkeyr mit den Ver- hafteten ist unterbunden. Bor den gellen steht ein Doppelposten der Reichswehr mit Stahlhelm und aufgepflanztem Bajonett.
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