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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 25.10.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-10-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192310254
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19231025
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19231025
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-10
- Tag 1923-10-25
-
Monat
1923-10
-
Jahr
1923
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TagetderLrkt Vie rvohnvn-suchende Krau Ich besaß in einer Pension eia nette» Zimmer mtt elekttischem Licht, Bad, Telepkon. E« war im all- asm,inen für jeglich« Vequemlichkeit gesorgt, so daß ich mich hätte al» Dam« unbedingt wohlfühlen können, wenn nicht die dauernden Mieterhöhungen aewesen wären. Lines Tages teilte mir die Pension»« Inhaberin mit, daß sie ein „Internationale» Fremden- Helm* und keine gewöhnliche Pension besäße. Sie sähe sich gezwungen, ihre Zimmer nur noch gegen Devisen abzugeben. Eie verlange pro Tag fortan Dollar ohne Pension. Ich versuchte ihr klar zu machen, daß mir eine Devisenrahlung unmöglich wäre. Die Antwort, die ich erhielt, war kurz und bestimmt: .Ich sehe eln, daß Sie das Grld nicht be zahlen können. Ich darf also ab Montag über Ihr Zimmer verfügen.* Mit diesen Worten rauschte sie, in knisternde Seid« gekleidet, davon. Mein erster Weg war zu den Wohnungs vermittlern, deren es in Leipzig viele gibt. 3ch mußte überall viele Millionen bezahlen, um nur in das Buch der Suchenden eingetragen zu werden. Nachdem ich dies getan, erhielt ich den verblüffenden Bescheid, momentan wären Zimmer für Damen nicht g « meld'et: ich sollte nur jeden Tag erneut nachfragen, ilnd dann ging da» Suchen lo». Fast immer erhielt ich die Antwort: „Wir geben nur an Herren ab!" Ich wurde nach meinem Beruf gefragt, und wenn ich erwiderte, daß ich Privat- beamtin wäre, wurde ich mit einem spöttisch nach sichtigen Lächeln und Achselzucken verabschiedet. Warum wird es einer berufstätigen Dome so er- schwert, ein möblierte» Zimmer zu finden? Nach vielem Euchen fand ich endlich ein Zimmer, einen Raum von Meter Größe im Quadrat mit einem Fenster nach dem Hausflur. Mein neues Heim ist freilich nicht so elegant wie da» im „Internationalen Fremdenheim". Das Mobiliar besteht aus einem zu kurzen Bett, Stuhl, Waschständer und einer Kommod«, die gleichzeitig al» Tisch dienen muß. Das Tageslicht ist stets wie.' an einem grauen Novembermorgen, so aber auch die Stimmung, wenn ich mich abends nach meiner Arbeit darin aufhalte. Doch wa» nützt die stille Rebellion! Der Egoismus unserer Tage ist stärker al» wir unverheirateten Frauen, die noch für eine Rumpelkammer dankbar sein müßen... Lv Bi»tt Leipziger Teuerungrzahl Stichtag «4. Oktober: »86 592 Ott« NW «. sTtichtaa 22. O«.: 150 468 960 000 «.) Die innere Geldentwertung be trug am 24. Oktober, gemessen an der TenerungSzahl des Statistischen Amte- in Leipzig 1586 592 000 000), seit: 22. Okt. 2VN Pro,., 1«. Okt. 594 Pro,., 17. Okt. 1048 Pro,., 15. Okt. 1485 Pro,., 12. Okt. 194N Pro,., IN. Okt. 5196 Pro,., 8. Okt. 7668 Pro,., 5. Okt. 10 895 Pro,., 8. Okt. 14 86« Pro,. -ür die Berechnung der Dünger- abfuhr betrügt der Wert de- Pfennig- vom 25. Okt. an 106 NN« «90 M. Ein Liter Milch 740 Millionen Der Bollmilchprei» im Stadt- l»e,irk Leipzig wird vom 25. Oktober an je Liter auf 74NNNNNNN Mark ab Laden oder frei Haus bi- ans weitere- fest gesetzt. Die Mager, und Vuttermilchpreisc betragen die Hülste dc- Vollmilchpreise-. Kreisaurschuß Die nächst« Sitzung de» Kreis- ausschuffe« M Leipzig findet Freitag, vormittag« 11 Uhr, statt. Leipzigs Blumengüriel Lstzt« Lichtblick - Leipzigs Anlagen eine Kustnrnoiwendigleit - Schutz de« Blum«, »in Rundgana durch die Straßen der deutschen Großstädte ist heute überall gleichmäßig betrübend. Man steht verhärmte Gestalten, denen Rot und Hunger au« den Augen blicken. Und man schaut allenthalben Schilder mit Preisen von schwindelnder Höhe, trostlo». In Leipzig ist ,» nicht besser und nicht schlechter al» in den andern deutschen Groß- städten, und doch, wenn irgendwo sich dem Auge er- quickend« Abwechslung bietet, dann ist e» in Letpzig mit seinen ausgedehnten Grünflächen der Fall. Ja, der Blumenschmuck, der während der Frühling»- Sommer- und Herbstmonate Leipzig» Straßen und Plätze und Parks ziert, kann sich sogar noch mit dem Vorkriegsbilde vergleichen. Jedenfalls entspricht der klein« Rückgang in der Pflanzenausschmückung de» Leipziger Stadtbildes durchaus nicht dem Bilde des Elends und der Not zwischen den Häuserzeilen. Um so mehr und um so vorteilhafter hebt sich die bunte Zier von ihrem trüben, grauen Hintergründe ab. Au» dieser Tatsache der Stadtverwaltung indes den Vorwurf der Oberflächlichkeit zu machen, wäre durch aus verfehlt. Die leuchtenden Blumen in dem Knopf- loch de» sonst so arg verschlißenen Rockes, mit dem da» Stadtbild von heute verglichen werden kann, sind au» einer durchaus zu billigenden Ueberlegung herau« angeordnct worden. Die Bevölkerung hat heute mehr denn je das Bedürsni», von der Trost- losigkeit de« Alltagleben« kurz« Zeit, und sei e» nur für Sekunden, Gedanken und Blicke abzuwenden und sie auf grünem Rasen und lieblichem Blumen flor Erholung suchen zu lassen. In jedem Groh- stadtmenschen, sei er noch so abgehetzt und von seiner städtischen Beschäftigung in Anspruch genommen,, lebt die Sehnsucht nach Freiheit und der Drang, einmal nur wieder der Natur sich freuen zu können. Darum ist auch der „Naturersatz", den die Blumen beet« in den städtischen Anlagen bilden, ein kleines, aber nicht zu unterschätzendes Hilfsmittel, selbst in den heutigen furchtbaren Zeiten durchzuhalten, das wir nicht misten möqey. Der Blumenschmuck drängt zudem manchem Fremden di« Ileberzengung auf, daß eine noch immer lebensbejahende Bevölkerung den Willen hat, di« Vcrfallerscheinungen, die heutzutage überall unverkennbar sind, so weit wie nur möglich zu verwischen. Die Geschichte per Anlage« Leipzig besitzt erst seit der Mitte de» vorigen Jahrhundert» blumengeschmückte Anlagen. Bürger meister Müller, besten Denkmal den Platz vor dem Hauptbahnhof ziert, ist c» gewesen, der mit der Bepflanzung der au« den ehemaligen Wallanlagen geschaffenen Promenade begonnen hat. Aber erst der bekannte Berliner Gartenbaukünstler Lenn4 hat in Leipzig öffentliche gärtnerische Anlagen in be deutenderem Umfange geschaffen. Ihm verdankeu wir vor allem die Ausschmückung des Iohannaparkes. der von dem Leipziger Mitbürger Seyffert Leipzig geschenkt worden ist. Die Anlagen in ihrer heutigen Bollen düng sind ein Werk de» kunstverständigen Naturfreunde» Koch, der sich von Lennäschen Motiven hat leiten lassen. Leipzig muß den Schöpfern seiner Anlagen dankbar sein. Zwar haben viele deutsche Städte au« ehemaligen Wallanlagen Promenaden mit Anlagen geschaffen. Keine aber besitzt einen solch geschloffenen Ring von in Grün und Blumenschmuck prangenden Anlagen wie Leipzig. den Pnlurengarte» Hoffentlich bleiben die Leipziger Parkanlagen der Stadt für alle Zeiten erhalten. E« ist die» um so wünschenswerter, als Leipzig in seiner nächsten Umgebung ja wesentlich weniger Abwechslung und Naturschönheiten bietet als andere deutsche Groß- städte. Außerdem sind Leipzigs Grünflächen außer halb de» Weichbildes einigermaßen gefährdet. Der Hardtwald soll in absehbarer Zeit der Kohlenaus beute geopfert werden. Auch die Gärten von Rötha find wegen der von Jahr zu Jahr fortschreitenden Entwässerung de» Boden», der sich in dem steten Sinken de« Grundwasserspiegel, auswirkt, arg be droht. Angesicht» dieser bevorstehenden Verringerung der Grünslitchen in Leipzigs Umgebung sollte die Stadt alle» tun, um wenigsten» den Palmen- garten und da» Palmen hau», die in dieser Berbindung nahezu einzig dastehrn und in Deutsch land höchsten» in Hannvoer-Herrgnhausen und Berltn-Dahlem Gegenstücke finden, in ihrer jetzigen Gestalt zu erhalten. Di« Pflege der städtischen Anlagen obliegt in Leipzig der städtischen Gartenverwaltung. Haupt- abnehmer der städtischen Gärtnerei ist der Güdfried- Hof. Aber alle», wa» vom Güdfriedhost und den Leipziger Blumengeschäften nicht verbraucht wird, findet zur Ausschmlickung de» Straßenbilde» Ver wendung. In hervorragendem Maße betreut werden von der städtischen Gärtnerei die Anlagen am Mende- drunnen, der obere Park ring» um da» Müller' denkmal gegenüber dem Hauptbahnhof, dir Anlagen am Kickerlingsberg und der» Parterre am Bassin im Albertpark. Auch hinter dem Museum, am Rathause sowie über den ganzen Ring verstreut, befinden sich anmutige Blumenbeete, die ihren Schmuck an» der städtischen Gärtnerei beziehen. Man mutz sparen Während früher in jedem Herbst ein genaue» Programm der im kommenden Jahre beabsichtigten Bepflanzung entworfen wurde, muß sich die Stadtgärtnerei jetzt Zurückhaltung auferlegen. Sie weiß nicht, welch« Summen ihr zur Verfügung stehen werden, und sie muß sich mich danach richten, wie die in den Gewächshäusern befindlichen Blumen pflanzen den Winter nberdairert haben. Auch die besonder» stark« Beanspruchung einer lnsonoeren Dlumenart durch den Südfriedhof oder durch die Blumengeschäfte könnte einen Strich durch das vor eilig festgesetzte Programm machen. Für das nächste Jahr ist darum bisher nur geplant, die Bepflanzung der städtischen Anlagen möglichst in dem gleichen Rahmen wie bisher vorznnehmen, vorausgesetzt, daß der Rat in der Lage ist, die notwendigen Mittel da» für zu bewilligen. Lediglich für dir Anlagen am Mendebrunnen hat man eine bestimmte Be pflanzungsart ins Ange gefaßt. Die Beete sollen durch reichliche Verwendung von Stiefmütterchen i m Fruhjahrin blau und gelb gehalten werden. Da- wechselnde «leid Reubepflanzungen werde:: im allgemeinen zwei mal im Jahre, im Frühjahr und i» Sommer vor genommen. Ergänzungen finden im Spätsommer statt. Das Frühjahr beschert uns in erster Linie Stiefmütterchen, Vergißmeinnicht, Tausendschön und Pqrothrum, eine schöne, dauernde Staude, die gleich nach der Blüte wegqenommen und weiter kultiviert werden muß. Auch die sogenannte Schleifenblume und da« Gänsekraut, deren zahlreiche kleine Blüten den Eindruck von lila Blinnenpolstern hervor'ufen, werden gern gepflanzt. Wenn die Frirhjahrsblumen >mch ihrem Mblnhen weeder in die Gärtnereien zurückgeschafft find, be ginnt die Sommerbepflanzung, die alljähr lich kurz nach Johanni ein zusetzen pflegt. Dir sommerlichen Beete werden vornehmlich mit Geranien, Betunien, Männertreu, Rosen und Glockenblumen geschmückt. Auch die sehr farben schönen Sommrrblumen, eine einjährige Pflanze, sowie Zinnien, Löwenmaul und Moschusblumen kommen vielfach in Anwendung- Der Spät sommer bringt dann noch Dahlien, Malven in allen Farben, von leuchtendem Weiß bi» zu schwärz lichem Rot, und Fuchsten. Früher wurden im Herbst endlich noch Astern, besonder» di« Staudenaster, an- gnfflanzt, fetzt aber muß man wegen der allzu hohen Kosten von der Astcrnbepflanznng leider Abstand nehmen. Nest«, dieser mehrmaftgsn vepfiangrmg im La- . de» Jahves muß sich di« städtisch« Gartenverwaltung hier und da «ich mit der Vevwenduna von Jahres- pflanmn bvgnügen, erzielt aber beispielsweise an der Russischen Kirche mtt perennierenden Stauden- rabatten hübsch, Wirkuaavn. Recht anmutig find dort auch die kleinen Schlingrosen an der Friedhof», mauer Leipzig» Grund und Boden setzt der Bepflanzung mit Blumen zwar verhältnismäßig wenig natürliche Hindernisse entgegen. So neigt die Erde der Leip- zig« Gegend wrntger zatt rastngefährdenden Moos- bildung. Trotzdem aber bleibt es ein mühselige, uno kostspieliges Unterfangen, die städtischen Anlagen Leipzigs stets auf der gewünschten Höhe zu erhalten. Die Bevölkerung sollte dies mehr als bisher be herzigen, und mit Rücksicht auf die Allgemeinheit cr- fvlgreicher al» bisher dem Triebe, di« zarten Ge schöpf« Flora« für da« sigpa« Heim zu .mausen", widerstehen! 0r. Harseftnl Markthallen-Wanderung Am Mittwoch morgen waren nur wenig Käufer in der Markthalle erschienen. Die wenigen Ne- fiektanten wurden durch dir wiederum erhöhten Preise zum größten Teile vom Kauf -urückgehalten. Die Steigerung betrug rund 200 Prozent. Gefrierfleisch wurde nicht gehandelt. Frische» Schweinefleisch war für 10 000, Rind- fleisch für 8000, Kalbfleisch für 0000, Hammelfleisch für 8000, Gehackte» für 4400, Mettwurst für 12 000, Blutwurst für IS 000, Leberwurst für 14 000 und Knackwurst für 10 000 Millionen Mark ausgestellt. Der Gemüse markt verkaufte Blumenkohl für 1000, Rotkohl für MO, Weißkohl für 200, Tomaten für 600, grüne Bohnen und Pflaumen für 800, Zwiebeln und Möhren für WO, Salat für 40, Tafel äpfel für 800, Musäpfel für 700, Tafelbirnen für 850, Kochbirnen für 750 und Kartoffeln für 400 Mil- lionen Mark pro Pfund. Da» Angebot an Seefischen war gering. Seelachs kostete 2000, Goldbarsch und Karpfen 2000, Schell fisch 2500 und Schleien und Rotzunge 2800 Millionen Mark. Bücklinge wurden für 4000 Millionen Mark abgegeben. Grün« Heringe fehlten. Ans der Fettgalerie wurde gute Butter mit 16 000, Fett mit 10 000, Margarine mit 8000, Tilsiter Käse mit 5000, Holstein« Kugelkäse mit 4000, Eamembert mit 2000, ein Stück deutsch« Quarkkäse mit 200 und Backsteinkös« mit 1200 Millionen Mark gehandelt. An den Kolonialwareustänben kosteten Graupen, Haferflocken und Nudeln 2000, Gerste 1800, Makkaroni 3000, Dollrei» 2600, Bruchreis 2200, Kakao 24 000 und eine Büchse kondensierte Milch 16 000 Millionen Mark. Verdoppelung der Lrwerbrlosenunterstützung Der Rat gibt bekannt: Infolge der eingetr«tenen ungeheueren Preissteigerungen wird allen unter stützten Vollerwerbslosen al» Bor- schnß auf die Erwerbolosennntcrstützung für die Woche vom 21. bi» 27. Oktober 1923 der doppelte Betrag des für die Woche vom 14. bis 20. Oktober 1923 zuständig gewesenen Untersttitzungsbeträge^ ausgezahlt. Die Betrüge werden aus kassentechni schon Gründen auf volle Milliarden ab gerundet. Da die Reichs- und Landesmittcl nicht früher zur Beifügung stehen, kann mit der Auszahlung erst Freitag begonnen werden. Die Auszahlung geschieht in folgender Weise: Freitag: Reg. I Buchst. A-Bl, Reg. »I Biuhst. Dr-Fris. Reg. V Buchst. Ha—-e, Reg. VII Buäfft. Ab—Kn, Reg. IX Buchst. Lk-Mük, Reg. XI Buchst. Be-Rich, Reg. DU Buchst. Schmk—Se, Reg. XV Buchs«. Dho—Wech. Sonnabend: Reg. U Buchst. Bo-Dau, Reg. IV Buchst. Frit bi» Gz, Reg. Vl Buchst. Hf—Ka, Reg. VIII Buchst Krl—Li, Req. X Buchst. Mül—Pd, Reg. XII Buckch. Keine Zlucht! Don Mnx Aral« Di« Abwanderung der Intelligenz hat begonnen, die durch zunehmende Häufigkeit zur Gefahr werden kann. Man verteidigt sie mit der Be hauptung, der verengerte Raum de» Reichsgebiets, die ungenügenden Lebensbedingungen, die rapid sich vollziehend« Wirtschaftrkataftrophe werse den geisti- gen Arbeiter in Deutschland förmlich auf die Gasse-, es erfülle sich in dieser Auswanderung nur der rein« Trick der Selbsterhaltung. Daran ist zweifel los viel Richtige«. Und um es gleich zu unterstreichen: gemeint sind hier selbstverständlich nicht jene Wissen schaftler, die einer zeitlich begrenzten Berufung auf einen Lehrstuhl ins Ausland folgen oder vorüber- gehend eine Werkleitung übernehmen: dies« Männer fördern einen internationalen Zusammen- halt, der nicht wertvoll genug anzuschlagen ist. Sondern gemeint sind jene, sagen wir „Flüchtlinge", di« kein Bedenken tragen, die verliehenen geistigen Kräfte dem Durzelbvden zu entziehen, und un bekümmert darum, ob diese» Deutschland in der Lähmung erstarrt und vergeht, an nicht» anderes drnken, al» an die eigene Existenz. Für die Gesamt heit bedeutet diese starke Abwanderung Fahnen flucht. Wilhelm IX konnte im Krisenaugenblick den Posten verlasten; er hatte nicht» mehr einzusetzen, wa» von Nutzen gewesen wäre, und seine Flucht bleibt lediglich ein moralischer Zusammenbruch, über den man heute die Achseln zuckt. Hier ab« zeigen Leut« ihrem Land« die Schulter, die sehr wohl noch ihren Platz und ihr e Energie ein zusetzen hätten. Amerika saugt rin, lockt vampqrisch die besten Kräfte au» dem alten Kontinent, um sie im Techni- sterungsprozeß aurzunutzen. Dafür zahlt es an ständig und gibt Lebensbedingungen, die vielleicht menschenwürdig« sind als die, denen der Deutsche gegenwärtig ausgeliefert ist. Man geht al» Techniker, Arzt, Kaufmann, Agent hinüber, gehorsam allein der Parole: dort wird meine Leistung vollgültig bezahlt: und daß ich Leistung kraft meine» Inge nium» habe, das ist mein Kapital und mein Einsatz. Dogmen an sich ist nicht» einzuwenden. Internationalist ist da» schönst, Vorrecht des Geiste» — solang« sein Extrakt allen Ländern und Parteien zugrrte kommt, und nicht durch »in Ueberschrauben nach der oder jener Seit« entwertet wird, und so- lange ein Ueberschuß an Intelligenz in dem «wen Gebiet, ein Kräftemangel im andern zu konstatieren ist, die er ausqleichen kann. Ls kommt also, grob ge sagt: auf eine Wirtschaftlichkeit des Geistes an, über der freilich die ideellen und moralischen Momente nicht vernachlässigt werden dürfen. Indessen wartet diese» Amerika gar nicht so un bedingt auf da« Kräfteabstoßen au» Europa; die Be- schränkung der Einwanderung zeigt, wo» man drüben davon kält; es ist eine sehr einseitige Liebhaberei, di« in einem etwas väterlichen Gefühl des alten Konti nents ihre Ursache hat, aber überlebt ist. In den Vereinigten Staaten hat man Ueberfluß an geistigen Energien: der zugewanderre Techniker wird eine Spezialitkr dort vielleicht vervollkommnen helfen, ein sehr winzige« Glied in der Gesamtkette: er wird auf gesogen und dann verschwinden. Ich verdenke es dem durchschnittlichen Arbeiter nicht, daß er heute seine Fabrik in Chemnitz oder Esten verläßt, um auf einem Auswandrrerschisf das zweifel hafte Paradies zu erreichen: bei ihm kommt e» weit mehr auf Arbeitrmechanik an, die von vielen hier in Deutschland geleistet werden kann, die Moste der Mit leidenden und Mitschaffenden hindert ihn, .sich zu ent wickeln und zu einem befriedigenden Lebensertrag zu kommen. Denn der Arbeiter in den Betrieben kämpft nicht so sehr um ein Durchsetzen seiner höchstpersön- lichen Energie: er arbeitet säst lediglich um die Scheibe Brot und den Fetzen Hemd. Hingegen der Kopfarbeiter, in geringerer Zahl vorhanden, hat neben der Pflicht gegen das Material, neben der Pflicht der Selbstbehauptung auch noch die besondere Pflicht, seine entwickelten geistigen Kräfte gemäß seinem Ueberblick über da« Ganze einzuschalten. Er hat verantwortlich im letzten Sinne zu sein (wofür freilich Volk und Staat ihn auch nicht zum Kuli machen sollen, sondern ihm in gleicher Weile wie jedem Kohlenschipper oder Stallschweizer ein anständige» Existenzminimum zu schassen hätten). E» darf von ihm verlangt werden, daß er nicht nur die Zusammenhänge seiner spezifi schen Wissenschaft überschaut, sondern daß er begreift, wie durchgreifend sie in der nationalen Oeksnomie verflochten ist. Der Au»sall etlicher Handarbeiter macht für die Gesamtleistung relativ wenig au», die Mast« wirft den Nachwuchs in die Lücken. Der Aus fall de» geistigen Instrukteur», de» erfindenden Tech- niker», de« «egrweisenden Laboranten kann Löcher -»deuten, die sich in der Progressio^u tiefen Klüften erweitern. Die feine Organisation Hirn» vermag man nicht au» einer reichen Füll» zu ersetzen; denn diese Fülle ist nicht da, noch auch durch Toylori«mu» wettzumochen-, denn in geistigen Dingen »erstört er den auefchlaggebenden Zusammenhang. Der Fried« von Versailler ließ un» stark geschwächt zurück: der Friede von der Ruhr, der kommen muß, wirst un» al» einen Blutenden und Zerfetzten auf die Gaffe von Europa. Ihn zu verbinden und in eine gute Rekonvaleszenz kinzuleiten, dazu bedarf e» der Zusammenfassung unserer besten Intelligenzen. Was soll au» diesem fast verdorrenden Lande werden, wenn die Ichsucht solcher Flüchtlinge ihm die Inspi ration und d-- leidenschaftlichsten, ausschlaggebenden Energien wegnimmt! Man versiehe recht: Ich schreibe nicht gegen die Auswanderung an sich. Niemand verkennt, daß Raum und Möglichkeiten in Deutschland nicht mehr für die Millionenfülle deutscher Menschen ausreichen. Aber ich schreibe gegen di«, denen Viffen und Intuition eine Eignung zur Führerschaft gegeben haben, und die allein au« dem Trieb zur Bequemlichkeit sich akwenden. Dem physischen Verlust von 1914—18 darf nicht der Verlust starker geistiger Potenzen fol- gen. Nicht au» übertriebenem Nationalismus soll man diese Abwanderung aufhalten, sondern weil die innerste Bedachtsamkeit, die konsequente Arbeit un serer Geistigen, die ohne Hochmut sich der Handarbeit verbinden mag, allein eine Wiederherstellung gewähr leisten. Es handelt sich heute nicht darum, dem Singholesen di« Segnungen der Radioteleqravkie und des Dakuumreinigerr ouqgerechnet unter deutscher Flagge zu bringen und unaufhörlich bedacht zu sein, daß di« billigsten Packungen eine schwarzweißrote Schleife tragen, sondern rund und einfach darum, daß in Mitteleuropa Leute wieder zu Existenz und menschlichen Bedingungen qelanqen. Als Messina in« Lleer stürzt«, haben wir mit outen Kräften Hilfe nach Italien aeschickt. Da» war natürlich. Heute sind wir zrrmürbt, ohne den geringsten Ueberfluß. Wir bedürfen der Intelligenzen um so mehr, als durch die durstigen Berhältnisie fast allen «in Teil des alten Elan», der alten Konzentratton und Sicherheit abhanden gekommen ist. E» ist im Interesse der ver wundeten Gesamtheit notwendig, daß die geistigen Kräfte sich energischer verflechten, hier bleibrn, auch wenn di« ökonomischen Bedingungen ein wenig kärglich find. Allerdings — und hier kämen wir zu der bereit» ongedeuteten Kehrseite — diese ökono mischen Bedingungen erträglicher zu gestolten für einen Stand, der in tiefstem Grunde die Verant wortung für den Kontinent trägt, do» ist ein Problem, besten Erörterung unserer Nation wie auch jeder anderen diktatorisch abznringen ist. An» dm hemerAHe» Wett- Do» Auditorium Maximum d»r Lelptzl-er Unä»,r1tstt reichte kaum aus. die Menge derer zu fasten, die sich am Dienstag abend von Wilhelm Dörpfeldüber seins in Troja sowie auf Korf» und Lenkas vor genommenen Ausgrabungen und deren Beziehun gen zu den homerischen Epen berichten lkflen woll ten. Der Altmeister der deutschen archäologischen Forschung — von Prof. Bet he im Namen dcr Deutsch-Griechischen Gesellschaft nird de» Leipziger Pereirw der Freunde der humanistischen Bildimg eingesüh'-t — vergalt das ihm erzeigte Intereste mit zwanglosen, doch dauernd fesselnden Darlegungen, die in ihrer Gesamtrichtung dem Nachweis galten, daß die homerischen Gesänge nicht nur als ewig schöne dichterische Schöpfungen, sondern zugleich auch al» aufschlußreiche und zuverlässige Urkunden über einen bestimmten geschichtlichen Zeitabscl>nitt (Dörp- seld fixiert diesen auf das 12. vorchristliche Jahr hundert) zu bewerten seien. Mit besonderer Spannung verfolgte man die Wege, auf denen Dörpfeld zu der Uebcrzeugung gelangte, daß Homers Ithaka nicht etwa mit der Insel, die heute diesen Romen trägt, sondern mit dem nördlich gelegenen Leukas identisch sei, und auf denen er schließlich eine bündige Bestätigung seiner These gewann. Dcr durch Lichtbilder wirksam unterstützte Vortrag wurde nach Gebühr mit herzlichem Beifall belohnt. —«II. Klassisch, Erzählung«« spricht Otto Bern stein so anständig, daß man ihm gern dir noch 11 Uhr zuhört (denn der 1. Sonderabend des Schiller- verein» sing wegen Zuqverspätung erst nacht 9 Uhr an). Es wäre sogar zu wünschen gewesen, daß mehr Leute zugehört hatten, a's sich entschlossen hotten, die Goldvfennigpreise zu bezahlen. Goethes „N o - velle" hatte oft einen Wüllnerton, Schillers „Ver brecher aus verlorner Ehre" eine Schärfe und ethische Entschiedenheit, die an Ludwig Hardt er innerte. Nur bei einigen ganz lauten, wütend oder höhnisch gepreßten Stellen kam ein leicht grotesker Pallenbergton auf, der eine deutschböhmisch, Her kunft de» Sprecher» zu verraten schien. Aus Wielands Perserzählung „Das Urteil des Paris" hätte wohl Hardt einen noch dreisteren Ulk, etwa» noch Heurigeres machen können. Bern stein» Stimmführung ist sehr intelligent und an- genehm, nur hin und wieder ist der Ton ein wenig nasal; aber di« Goethischen Strophen in der .Novelle" sangen und klangen recht lieblich und gütevoll. Und er baute die langen, vollkommen frei erzählten Prosa stücke so schlicht und fest auf, daß man keinen Augen blick ungeduldig wurde. Für di« Zukunft kann sich Leipzig merken, daß Otto Bernstein einen Saal voll Menschen wert ist. Vst «. «st
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