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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 07.10.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-10-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192310070
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19231007
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19231007
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-10
- Tag 1923-10-07
-
Monat
1923-10
-
Jahr
1923
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herbstliche Stanze« Don v»»lp K«I«nt»r Da« ist der Herbst. Er Hali uns kühl umfangen Und kränzt am Morgen uns mit Reif das Haar. Die goldnen Früchte hängt er in die langen Alleen und malt die Landschaft gläsern klar. Wer weiß noch Lust und brennendes Verlangen, Wer weiß noch, wie der wilde Sommer war? Wir wollen nun der Verse buntes Bildsein Zum Kranz verwinden und von Glanz erfüllt sein. Da funkeln Astern, dunkelblau und rote, Uid Georginen sind in Gärtner ein. 2 . leuchtet sich ein gelber Wald zu Tode. Ein Jüngling sinkt zu trüben Träumen ein. Gin Dichter schreibt auf etwas eine Ode. Am Abend kostet wer den neuen Wein. Man läßt sich von Gedanken gern beschwert sein Und ist bedacht auf mildes Abgeklärtsein. Ein Herr spricht ernst mit einem schönen Knaben. Auf Monti liegt schon etwas dünner Schnee. Ein Bankdirektor läßt sich schon begraben. Ein blasses Mädchen promeniert am See. Es ist sehr kühl. Die einen Mantel haben, Sitzen schweigsam im Garten vorm Taft. Aus den Platanen wehen hin und wieder Verwelkte Blätter auf die Wege nieder. Wenn uns die dunkleren der Stunden wiegen, Wissen wir erst, wie sehr wir einsam sind. Wir müssen in den kalten Zimmern liegen, Und. an den Fenstern weint der weite Wind. Wir möchten wieder in den Sommer fliegen, Indes der Herbst uns mehr und mehr umspinnt. Und Jahr um Jahr trägt weiter uns von hinnen. Mel seliger ist Enden als Beginnen. Herr, du wirst gerufen... Bon vttarkott« kttas» Wir lernten ihn in der Schwarz waldsommcr- frssche kennen. Ein alter Herr mit dem Titel Major uAd dem harten Deutsch der Schweizer. Allmählich erfuhren wir, daß er ein ehemaliger englischer Major wär, der in Indien gedient hatte und nun schon lange von seiner Pension lebte. Ein großer, magerer Mann, mit etwas rerknifsencm Gesicht, der nicht . ementlich menschenscheu war, aber doch Fremden au» Hyl Wege ging. E» war ein Regentag gewesen, man hatte nicht hinausgekonnt, und ein Trupp von Touristen regnete in unserem Gasthof fest. Es waren ältere, wenig redselige Leute, die an einen Nebentisch gewiesen wurden, während wir unsere Abendmahlzeit an einem langen Tische einnahmen. Sie sprachen englisch, und einer von ihnen, der der Aelteste der Gesellschaft schien, wurde von den anderen mit stiller Höflichkeit behandelt. Ein gutgebauter Herr, mit scharfgeschnitte- nein Gesicht und Hellen Augen, die gleichgültig über uns und unsere Gesellschaft dahingingeu. Bis sie sich plötzlich auf unseren Major richteten, der mir gcgenübersaß, und der zuerst gar keine Notiz von den Fremden genommen hatte. Aber nun sah er auch in die Augen des anderen, und seine leicht ge beugte Gestalt straffte sich unwillkürlich. Dann war es, als wollte der Fremde sich erheben, aber unser Major wandte den Blick ab, lehnte sich in seinen Stuhl zurück und begann mit seinem Nachbar zu sprechen, einem jungen Menschen, den er sonst nie beachtete. Er verließ auch sehr bald den Tisch, und als dann die Fremden sich beim Wirt nach einem Wagen erkundigten, der sie nach der nächsten Eisen bahnstation fahren sollte, hörte ich, wie der ältere Herr sich nach dem Major erkundigte. Er sprach ge brochen Deutsch, und der Wirt kein Englisch; da rief der letztere mich zur Hilfe. Es war ein englischer General, der mir seine Karte reichte. Er wollte gern einige Worte mit dem Major wechseln. Aber der Major war nirgends zu finden. „Wenn Sie einen Gruß bestellen wollen —" sagre der Engländer zögernd. „Ich habe nicht vergessen, ich habe wirklich nicht vergessen. Vielleicht, daß wir uns noch einmal treffen —" Die Herren mußten abfahren, und ich hatte erst am anderen Tage Gelegenheit, die Karte und die Bestellung dem Major zu übermitteln. Er war den ganzen Tag nicht zu sehen gewesen, nun war die Sonne am Untergehen und er saß auf einem Platze, wo man weit ins Land sah, auf dunkle Berge und in Gold getauchte Wiesen. Schweigend nahm er die Karte und hörte auf meine Bestellung. „Also bis zum General hat cr's gebracht und zu einem Titel? Nun tut ihm alles besonders leid. Das ist ost so. Wenn man älter wird, so kommt die Besinnung, kommen die Gedanken, dann ist es zu spät." Einen Augenblick schwieg er und bohrte mit seinem Stock in braunen Tannennadeln, die den Boden bedeckten. „Ich kann es ja erzählen," sagte er plötzlich. „Es ist nicht» Döse» dabei. Dieser Mann, der einen so schönen Titel hat und englischer General geworden ist, würde lange in Indien vermodert sein, wenn ich nicht meinen Diener gehabt hätte, der die Stimme hörte. Wir dienten in einem Regiment, Edward und ich, und wir waren befreundet. Er war wegen Schulden in da« kleine Infanterieregiment gekommen, das in einem gottverlassenen Nest lag. Da« Leben war nicht angenehm. Besonders, als damals die Cholera kam und die Leute wie die Fliegen starben. Damals hatte ich einen Inder al« Burschen, er hieß Rana Sing und war ein Brahman«, der un« Eng länder im Grunde verachtete. Er war «in ganz be sonderer Mensch — rührte nichts an, wa» er nicht selbst für sich zum Essen bereitet hatte, und hatte die merkwürdigsten Augen, die ich je sah. Edward spate, er habe Gespensteraugen, und er möchte nicht mit ihm allein im Zimmer sein. Eiyes Tage» kam Unoord zu mir herausgeritten. Sehr bedrückt. Zttei t vfstziersfrauen waren an der Cholera gestorben und eine ganze Menge Soldaten. Edward war kein anregender Besuch. Wir saßen zusammen, tranken einen Whisky und Soda nach dem andern, wurden immer schlaffer, und al* mein Käme- rad endlich wegritt, war ich es zufrieden. E« war heiß, ich legte mich in mernen langen Stuhl, und Raya Sing ließ den Luftstrom der Punkah über mich gehen, bis ich in einen tiefen Schlaf fiel, und mein Diener wohl auch. Dann wachte ich mit einem Schreck auf. Raya Sing stand vor mir. „Herr du wirst gerufen!" Unwillkürlich richtete ich mich auf. Ls war noch tiefe Nacht, und von irgendwoher rief ein Nachtvogel, weiter hörte ich nichts. Aber Raya Sina wieder holte: „Sahib, du wirst gerufen. Ich habe dein Pferd schon gesattelt." Ich weiß nicht, wie ich auf das Pferd kam, aber ich saß im Sattel und mein Diener führte das Tier. Es war notwendig, daß der Gaul geführt wurde, stockfinster war es, und der Weg war schlecht. Ich war noch immer halb im Schlaf, schalt mit Rana und konnte nicht verstehen, was dies alles zu bedeuten hatte, bis wir uns der kleinen Stadt näherten, die im dichten Morgennebel vor mir lag. Dann hielt ich vor oem Eingang des Friedhofes und sah einige Soldaten, die einen schma len Sarg auf den Schultern trugen. Eilig, sehr eilig und sehr verdrossen. Raya Sing deutete auf den Sara. „Von dem, der darin liegt, bist du gerufen worden, Sahib, ich hab's die ganze Nacht gehört!" Nun «ar ich hell wach geworden. Trotz de« Murrens der Soldaten ließ ich den Sarg öffnen. Mein Kamerad Edward lag darin. Derselbe Edward, der noch vor wenigen Stunden bei mir gesessen hatte. Hazdan, sein Diener, der als einziger Leidtragender dem Zuge folgte, berichtete, daß sein Sahib gestern abend, gerade wie er vor den Baracken angekommen wäre, tot vom Pferde gefallen wäre. Der Arzt, der vor Arbeit nicht mehr aus und ein wußte, hatte eilig den Totenschein ausgestellt, und das übrige war schnell besorgt worden. Der Geistliche konnte nicht benach richtigt werden, weil er auch gestern gestorben war. „Dieser Sahib ist nicht tot!" sagte mein Raya, „er hat die ganze Nacht nach meinem Sahib gerufen!" Und Edward war nicht tot. Er ist englischer General geworden, wie auf seiner Karte zu lesen steht!" „Sie haben ihm also da« Leben gerettet!" sagte ich, als der Major schwieg. „Ich wohl eigentlich nicht, sondern mein Diener. Wer ich veranlaßte allerdings, daß er aus dem Sarge kam und ins Hospital, wo er einige Tage noch bewußtlos lag, um sich dann glänzend zu erholen. Mancher armer Teufel »st damals wohl auf den Kirch- Hof gepackt worden, der noch lange nicht tot war. Edward sagte später, er hätte, ehe er das Bewußt sein verlor, lebhaft an mich gedacht. Ich aber hatte nicht die feinen Sinne, um seinen unwillkürlichen Hilferiff zu vernehmen. Die Inder sind ander« ge artet als wir!" „Und nun wollten Sie den ehemaligen Kameraden doch nicht sehen?" - „Nein!" erwiderte der Major, und fein Gesicht wurde hart. „Edward hatte einen Beutel mit Gold rupien auf der Brust getragen. Der war verschwun den. Es kam nachher heraus, daß Hazdane Frau ihn genommen hatte, aber Edward glaubte zuerst, ich hätte es getan. Er sagte es nicht, aber ich merkte deutlich seinen Verdacht, und was dos Gemeine war, er teilte ihn auch anderen mit. Eie wurden alle frostig gegen mich, alle, die mir zuerst die Hand ge schüttelt und mich einen braven Kerl genannt hatten, weil ich Edward aus den Klauen des Todes gerettet hatte. Ich bildete mir wahrlich nichts auf diese Rettung ein, die ohne meinen Diener unmöglich ge wesen wäre, aber als es gegen meine Ehre ging, da bin ich wild geworden. Natürlich, als die Diebin gefaßt wurde, wurden die Herren alle wieder sehr liebenswürdig, ich aber hatte genug von ihnen. Ich habe mich dann in ein anderes Regiment versetzen lassen und meinen Abschied genommen, sobald die Pension einigermaßen anständig war. Um Edward habe ich mich gar nicht mehr gekümmert. Lr schrieb mir einige Male, ich antwortete niemals." Der Major schwieg einige Minuten, dann sprach er wieder. „Gerade diesen Menschen hatte ich gern, und ich hielt ihn für meinen Freund, aber er glaubte, daß ich ihn bestohlen hätte. Und das Merkwürdige war, daß ich später erfuhr, Edward hatte dieses Geld aus einer öffentlichen Kasse gestohlen. Also war er ein Dieb und traute anderen dasselbe zu, das er beging. Niemand hat ihn überführt; er ist hoch im Rang gestiegen und freut sich seines Lebens. Mag er, es werden nicht alle Menschen, die schlecht sind, auf dieser Erde bestraft. Vielleicht anderswo, wer weiß es, jedenfalls empfinde ich kein Verlangen, diesem einstigen Kameraden die Hand zu geben. Können Sie es mir verdenken?" „Vielleicht trägt er schwer an seiner Schuld," er widerte ich zögernd. Der Major hob die Schultern. „Das mag sein! Daran ist nichts zu ändern." Lr stand auf, um wegzugehen, als ich noch fragte, wie es mit dem Diener geworden wäre, dec die Stimme gehört hatte. „Mit Raya Sing? Ich weiß es nicht. Lr ist sehr bald, nachdem er die Stimme gehört hatte, desertiert, und die Behörden haben ihn laufen lassen. Lr wird vielleicht in einem großen Tempel Buddha dienen oder sonst einen Unterschlupf gesunden haben." Der Major «ar gegangen, und man merkte ihm an, daß er nicht mehr über die Sache zu sprechen wünschte. Es fiel mir auch nicht ein, auf sie zurück zukommen, aber nach vierzehn Tagen, als wir ihm wieder auf einem einsamen Wege begegneten, blieb er vor uns stehen. „Der General ist tot!" sagte er ohne Einleitung. „Hat sich erschossen. Niemand weiß, weshalb. Mir ist eine Anzeige geschickt worden mit der Mitteilung, daß der Verstorbene mir eine größere Summe hinter- lassen hab«. Ich habe die Annahme des Geldes ver weigert — was soll ich mit dem Geld? Ich habe genug zum Leben, mehr brauche ich nicht. Vor allem nicht dieses Geld." Ich wußte nicht, was ich zu dieser Mitteilung sagen sollte, und der Major verlangte auch keine Antwort. Lr blickte in den blauen klaren Kimm;!, der durch di« hohen Tannen schien, und sprach dann mehr zu sich als zu uns: „Ls gibt doch wohl eine Stimme. Line Stimme, die lange schweigt und dann wieder redet. Und dann nicht mehr aufyört, zu reden. E« ist sehr merk- würdig!" Ötzi« G«rß gch», «r »eiter. Der Spitzenrockr Bon ttlvv Di« blonde Ietty schreckte au» dem Schlafe aus und sah nach der Uhr. Zu spät! — Hatte man sie denn nicht geweckt? War fle wiedr eingeschlafen? Um zehn begann die Klavierstunde und jetzt war es Dreiviertel, gebn Minuten brauchte sie für den Weg. Und der Hans hatte versprochen, sie um bald zehn zu treffen und sie in die Stunde zu begleiten. Uebermorgen war Sonntag. Da wollte er zum Pater kommen . . . Wie dumm, daß fie die Zeit verschlafen hatte. Was sollte er denken! Der Schwamm flog in« Wasch- becken. Der Kamm knisterte in den langen blonden Haaren. Wo lag denn der Spitzenunterrock? Welche» Kleid sollte sie anzieh'n. Hans liebt« da« blaue. Aber der Himmel war bedeckt, und wenn e» z« regnen begann . . . Das braune also . . . Doch das Blaue. Der Kaffee in der Kanne war schon kalt. Das Frühstück kam in die Musikmappe. Hut und Schirm. Es konnte möglicherweise regnen. Und wenn Mama sie heute am Alltag im Blauseidenen sah... Klapp, machte die Haustür. Es war fünf Minuten vor Fehn. Ietty eilte die Dillenstraße hinunter und bog durch den Park zur Stadt ein. Man konnte drei Minuten gewinnen. Und vielleicht wartete Han» doch noch. Wenn er sie liebte, hatte er sicher Geduld. Ietty blickte sich um. Weshalb blieb die Höker frau denn steh'n und sah ihr nach. Kopfschüttelnd. Ja, entweder war das blaue Kleid zu kurz oder der Spitzenunterrock war zu lang. Lr sah hondspanne- breit unter dem Kleidersaum hervor. Die blonde Ietty ahnte aber nicht, was das alte Weib so be- schäftigte. Und wenn sie's gewußt hätte! Ls war schließlich kein Unglück, wenn ein feiner Spitzen- unterrock unter dem Kleide sichtbar ist. Gin ganz wundervoller Spitzenunterrock, den sie zu Weih- nachten bekommen hatte. Feinste Handarbeit. Vor dem Schillerdenkmal im Park begegnete fie einer Schulklasse, die mit einem langbärtigen Stu- dienrat einen Ausflug in die Stadt gemacht hatte. Sie hörte den Bärtigen dozieren: Wir schreiben morgen einen Aufsatz darüber! Paßt also aus! Friedrich von Schiller, neben Goethe . . . Worte verflogen im Winde ... Wurde geboren .. . Stimmt, dachte die blonde Ietty und lachte. Wurde geboren . . . Der würdige Herr Studienrat war aber nicht mehr bei der Sache, seitdem sein immer forschender Blick hinter der goldenen Brille das eilend? Mädchen geseh'n. Nicht mehr beim Schttlausflug, nicht mehr beim Denkmal und nicht mehr bei Friedrich von Schiller. Lr sah nur die handbreite Svanne eines weißen Spitzenunterrocks und sagte, kleinstadtgrimmig: Die Lockeru»b der guten Sitten nimmt in der Großstadt jetzt derart überhand . . . daß . . . Und es war gut, daß seine vierundzwanzig Schülerinnen nur nach den Marmor- locken Schillers sahen. Hans, der Bräutigam vom nächsten Sonnrag, liebte die blonde Ietty Und so hatte er Geduld gehabt und gewartet. Bis um zehn. Als die Uhren von den Kirchtürmen schlugen, ging er. An der nächsten Straßenecke blieb er nochmals stehen und blickte zurück. Eben kam Ietty. Sie sah ihn nicht. Lr eilte ihr nach. Wollte rufen. Wenn er gepfiffen hätte. Aber ein anständiger junger Mann pfeift doch keiner anständigen jungen Dame. Bis aus zwanzig Schritte hatte er fie schließlich ein. Da iah cr den Spitzcnuuterrock. Line Handdreit unter dem Kleidersaum. Der gute Han» war nicht priidc. Er wünschte sich schon eiyx fesche Frau, mit dec man ihn bewundern konnte. Aber diese Ietty! . . . Nein, er hatte sich doch wohl in ihrem Charakter getäuscht. Das war schlampig. Jetzt vor der Ehe war es nur ein Spitzenunterrock. Er say Ietty schon in ausgetretenen roten Plüschpantoffeln. Wenn man in der Kleidung nicht peinlich war. . . Hans machte kehrt und ging zur Dank. Am nächsten Sonntag war übrigens Rennen. Und ganz fest hatte er es Ietty ja nicht versprochen. Eine ganze Handbreit unter dem Rocksaum . . , Ietty war unmöglich. Ietty lief ahnungslos weiter. Donnerwetter! An der Haltestelle der Straßenbahn stand S. Meycr. S. Meyer sah vor sich einen blitzend weißen Streifen, über dem weißen Streife,, ein blaues Seidenkleid und in dem Kleide eine ganz entzückende junge Dame. Da griff er den Klemmer aus der Westentasche, hauchte ihn flüchtig an und ließ ihn aus der Nase reiten. S. Meyer hatte einen glücklichen Tag. S. Meyer war Inhaber des größten Spitzengeschäfls in der Stadt, aber die Geschäfte gingen seit Wochen einfach miserabel. Und da mußt« ihm dies blonde, ahnungslose Mädchen über den Weg laufen. Er hatte einen genialen Gedanken. Die Echuhmode wechselte mit jedem Neumond, die Sjrumpfmode wechselte, die Kleidermode wechselte mit den Jahreszeiten. Nur die Spitzen . . . Die Spitzen .. . Man saß auf Spitzen, man stak bis über die Ohren in Spitzen wie andere Leute in Schulden. S. Meyer war «in tüchtiger Mann. Ein Funke hatte sein Gehirn entzündet. Das war ja einfach entzückend. Eine neue Mode war geboren. Vorerst nur in ihm. Im Frühjahr würden alle Damen der Stadt seiner Tyrannie gehorchen. Wenn es Mode war . .. Eine Handbreit weiße Spitze unter dem Kleider saum. Weiße Spitzen mußten es sein, und die kühnsten Muster. S. Meyer schob den Klemmer wieder in die Westentasche und ließ die erwartet« Straßenbahn vorbei. Lr eilte in» Geschäft zurück und zeichnete erst mal die Spitzen höher. Und dann lieh er feine Musterzeichner kommen. Im nächsten Frühjahr war die neue Mode ge» baren. Line Handbreit Spitze unter dem Rockiaum hervor. Und die blonde Ietty ahnte nicht, daß fie, wenn sie die Klavierstunde nicht verschlafe« hätte . ., »ir missen schon. v, Aber al» e» Mode wurde, kam Han» doch zum Pater. Und er bewunderte Ietty sogar. So mußte es ausgeh'n, denn es sollte eine fröhlich? Geschichte fein. Vie Todesstrafe Don E« gab einmal ein Land, dessen Gesetze überaus streng waren. Nicht nur der Raubmörder, Ein brecher und Dieb wurde dort mit dem Tode bestraft, sondern auch der Bursche, der ein Mädchen küßt«. Aber nicht bloß das Gesetz war streng, sondern auch ' dessen Vollstreckung. Unbarmherzig und ohne Gnade wurden die Frevler enthauptet, besonders aber die küssenden Burschen, deren Zahl sehr groß war. Der alte, sittenstrenge König kannte keine Schonung, wie fie auch seine Tochter nicht kannte, die ihm auf dem Throne folgte. Das Königin-Fräulein ist in einem Kloster strenge erzogen worden, und al« sie au« dem Kloster direkt auf den Thron stieg, war sie von der selben Denkart und ebenso sittenstreng, wie es ihr Pater, der alte König war. Sie glaubte derart an die Größe der Sünde und an die Gerechtigkeit einer unbarmherzigen Derael- tung, daß sie sich bei den Hinrichtungen auf den Erker ihres Schlosses hinausstellte und der schreck lichen Arbeit des Henker« von dort aus zusah. Sie zuckte nicht mit der Wimper, ihr Herz blieb kalt und ihre Augen drückten kein Entsetzen aus. Sie schaute der Szene zu, als wäre es irgend ein Spiel ge wesen. Es geschah im ersten Jahr der Regierung der hübschen Königin, daß der alte Statthalter starb und seinen Platz ein junger Offizier einnahm, dessen erste Tat war, daß cr die Abschaffung der Todesstrafe aufs Tapet brachte. Nachdem ihn die Königin angehört hatte, sprach sie: „Du würdest verdienen, daß ich dir sofort den Kopf abhauen lasse, damit nicht ein Frauenhsrz unter dem Offiziersrock schlage. Ich verzeihe dir aber in der Hoffnung, daß du mir mit solch einem dummen Antrag nicht mehr kommen wirst. Solltest du es aber dennoch tun, unterschreibst du damit dein Todesurtel." Der Statthalter erwähnte die Sache nicht wieder, doch schreckte er nicht vor andersartigen Neuerungen zurück. Unter diesen Neuerungen war nicht dir letzte, das zum Dienste bei der Königin sehr hübsche und junge Offiziere beordert wurden. Sie waren aber immer nur eine Woche im Dienste, um dann anderen den Platz zu übergeben. Die Königin nahm i diese Neuerung in der ersten Zeit mit Befremden auf, weil aber darin eine gewisse Abwechslung war, er hob sie dagegen keinen Einspruch. Zn der letzten Woche des vierten Monat« ccher, als ein überaus hübscher Kerl den Dienst versay, und als die Königin diesem stattlichen Jüngling fast in jeder Stunde irgendeine rasch zu erledigende Weisung erteilte, beorderte sic den Statthalter zu M und sprach zu ihm: „Ich l-abe den ewigen Wechsel satt und ich be fehle, daß damit aufgehört werde." Der Statthalter verneigte sich sehr untertänig mch sehr tief, als aber sein Antlitz gegen den Teppich gekehrt war und die Königin dieses nicht sehen konnte, blinzelte er sehr unverschämt mit den Augen. Jener hübsche Jüngling blieb also ständig im Dienste der Königin. Er führte sich so brav auf, er konnte derart vielseitige Dienste erfüllen, daß ihn die Königin später nicht für eine Stunde entbehren wollte. Der stattliche Gardcoffizier las ihr die Zeitungen, Briefe und Bücher vor; er erstattete Be richt in allen Regierungsangelegenhciten; cr mußte vertraulich über Hoftratschereien und Hofbegeben heiten referieren. Einmal fragte ihn die Königin, ol> er Klavier- spiele» könne? Und als er bejahte, siel ihm das Königin-Fräulein vor Freude fast um den Hals, denn fie spielte sehr gerne vierhändig. So begannen denn die Klavierübunqen, zu zweit, in duftender Atmo sphäre. Ihre Hände berührten sich ost, wobei die Königin immer zusammenzuckte und errötete. Und sehr, sehr oft zuckte sie zusammen und errötete sic, da die Hand des Offiziers immer öfters Pie ihre be rührte und oft auch auf derselben ruhen blieb. Während dieser überaus kurz scheinenden Stun den wurde der Jüngling immer kühner und kühner. Er nahm die kleine Hand der Königin in seine Hande, streichelte und drückte sie. Später breitete er seine zwei starken Arme ans und nahm sie nm die Taillh. Er zog sie an sich, so, daß die Königin fast vor Schayr verging und von einem Erröten ins andere fiel. Es kam manchmal vor, daß der Jüngling sich mit glühenden Wangen ganz nahe zu ihrem Gesicht neigt?, als wollte er sie küssen. Dann aber stieß er sie, ob wohl ihvl die Königin ihre nach Küssen dürstenden Lippen gleichsam schon entgegenhielt, plötzlich von sich und entfernte sich rasch. » Die verlassene, erregte Königin blickte ihm er schrocken nach und sie horchte hinaus. Was ist denn geschehen, daß cr davongestiirmt ist? Ist ein Aitfnchr ausacbrochen? Nach solchen Szenen trat im Idyll gewöhnlich eine Pause ein. Der Offizier zeigte sich zaghaflig, usid das Spiel begann non vorne, tagelang andauerttd. Ls begann beim Berühren der Hände und nur Augen blicke anhaltend und setzte sich fort, ober sehr langsam. Als cs dann bis zum Ausbruch der Leidenschaft kam und al» er mit seinen Lippen tast schon den Mund der Königin berührte, um auf diesen einen feurigen, heftigen Kuß zu drücken, sprang cr wieder auf und rannte davon. Als das Idyll zum sünftenmal von vorne begann, war die Königin ruhiger als sonst. Es umgab sie ein eigentümlicher Glanz und Schimmer, Vrr Tage hindurch anhiclt. während aller Phasen de» sich ent wickelnden Idylls. Die schöne Königin war so froher Laune, daß sie, als sie der Offizier auf seinen Schoß nahm und ihr wunderschönes Haar aufläste, hell auflachte. Und fie lachte auch dann noch, als sich der Jüngling ganz nahe zu ihrem Gesicht neigte und fie ihm wieder ihre Lippen entgegenhielt. Da wurde fie aber plötzlich ernst und sie schob ihn halb von sich. Dann sagte sie: „Ich habe ja ganz vergessen, Ihnen eine in teressante und wichtige Neuigkeit zu erzählen." „Und die wäre?" fragte der Jüngling gierig. Mit gesenktem Blick, zitternder Stimme, über und üb« errötend, flüsterte die Königin: hab« bk — Lod-ftraft «dWschafft.»
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