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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 03.10.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-10-03
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192310036
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19231003
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19231003
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-10
- Tag 1923-10-03
-
Monat
1923-10
-
Jahr
1923
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Getzlers Sensurbefehl Dem gesunden demokratischen Bewußtsein ist die Diktatur in keiner Norm sympathisch. Wenn jetzt in Deutschland der Reichewehrminisrer mit diktatorischer Machtfülle ausgerüstet worden ist und seinerseits die ihm Nachgeordneten Kommando stellen mit außergewöhnlichen Befugnissen aus- gestattet hat, so wollen wir uns an die Tatsache halten, daß Dr. Geßler ein ehrlicher Demokrat ist. In ihr liegt eine Gewähr dafür, daß die Reiche wehr, die ja nicht wie die alte Armee dem Volke gegenüber als Volk-Heer legitimiert ist, nur al« Instrument der demokratischen Ltamsordnung ver- wendet werden wird. Da wir diese Zuversicht hegen, nehmen wir uns die Freiheit, offen auszu- sprechen, da» der Preßzensur-Bcfehl, der vom Reichswehrministerinm an die Wehrkreiskommandos ergangen ist, nach unserer Ueberzeugung grund sätzlich und praktisch verfehlt ist. Er weckt peinliche Erinnerungen an das Nachrichtenmonopol, wie es während des Krieges von den deutschen Militärbehörden ausgeübt wurde. Wenn damals die englische Regierung der Bevölkerung die Lage an den Fronten wahrheitsgetreu und oft genug sogar mit bewußter Verstärkung der Schatten ab bildere, so war sie besser beraten als die O. H. L., die bis -um bitteren Ende den Hellen Farben den Vor zug gab. Wahrheit und Klarheit tun dem deut schen Volke in diesen Wochen vor allem not. Man zeige ihm die Dinge, wie sie sind, und es wird seine Pflicht erkennen. Soll es aber wirklich den mili tärischen Instanzen Vorbehalten bleiben, die Oefsenilichkeit über eventuelle Unruhen zu unter richten, dann werden allenthalben die wildesten Ge rüchte aufspriesjcn und im Volke eben jene Gemüts verfassung erzeugen, die der Ncichswehrrainister mit seinem Befehl verhüten will. Die d mische Presse besitzt in ihrer überwiegenden Mehrheit genug Verantwortungsgefühl, um sich von sensationell übertreibenden Schilderungen peinlicher Vorgänge fernzuhalten, und wenn ein Blatt die erforderliche Gewissenhaftigkeit vermissen läßt, so kann cs zur Räson gebracht werden, ohne daß die Staatsgewalt zu Ausnahmcmitteln zu greifen braucht. Viel- regiere-ei ist vom liebel und steht im Widerspruch zum Geist der Demokratie. Oer „Justament net"!-ZtanüpUttttt «Justament net!" ist bayrisch und heißt auf deutsch: «Nun gerade nicht!" Es ist sonst der Aus druck des Eigensinns schlecht erzogener Kinder, hysterischer Frv.uen und kindisch gewordener Greise. In Boyern ober ist es auch ein uralter R e g i e r u n q s g r n n d la tz, aus den der echte Bayer stolz ill wie auf eine heilige Stammes- cigcntümlichkeit. Darum konnte Herr v. Kahr sein diktatorisches Regiment, vom bayrischen Standpunkt aus gesehen, nicht glücklicher beginnen, als mit einem urkriifriveu Bekenntnis zum „Justament net!". Eine Gelegenheit dazu war schnell gesunden: Der Reichs- wehrministcr verbot den „Völkischen Beob achter". Herr v. Kahr hatte das Hitler-Vlatt auch gern verboten, denn e. ist ihm sehr unbequem. Aber da ihm Herr Geßler mit dem Verbot zuvorkam, besann er sich sofort und sagte: „Justament net!" Diernndzwanzig Stunden später hat er das Verbot doch vollziehen müssen. Durch dieses nachträgliche „Zusammenklappen" vor der Reicheantorität hat er sich, wie der Führer der bayrischen Sozialdemokraten, Landtagsabgcordneter Auer, im „Vorwärts" seststcllt, in seinem eigenen Lager sehr geschadet. „Sein Nimbus als Diktator," sagt Auer, „verblaßt immer mehr. Man fängt schon an, über ibn zu spotten, und das ist das schlimmste, was einem Diktator passieren kann." Wenn das zu trifft — und Auer wird schon recht haben —, dann bat m diesem Falle der bayrische Eigensinn in der Endwirkung dem Reichsgedanken gedient. Man spricht jetzt viel davon, daß sich die Reichs- gewalr Bayern gegenüber zu schwach und zu nach giebig zeige, und glaubt, daß das Verhältnis zwischen dem Reichsganzen und dem zweitgrößten Einzclstaae unter der kaiserlichen Regierung für das Reich günstiger gewesen sei. Wer hinter die Kulissen ge sehen hat, weiß es bester. Niemals wurde von Berlin aus zentralistischer regiert als während des Krieges. Und doch galt auch damals in Bayern da» „Justament net!" genau so wie heute. Nur wenigen ist bekannt, daß selbst das Königlich bayrische Kriegsministerium die von Berlin kommenden Preß- zensurbefehle sabotierte. Es erklärte den Redaktionen der Münchner Blätter, diese Befehle gälten für Bayern erst dann, wenn sie von der bayrischen Zcnsurstelle bekanntgemacht worden seien. Da nun die Münchner Redaktionen die Berliner Befehle telegraphisch einige Stunden früher erhielten, als sie in München amtlich heransgegeben wurden, konnten sie wiederholt die non der Berliner Zensur für das ganze Reich verbotenen Meldungen mit stillschweigender Billigung der Münchner Zensur ab drucken und so Nachrichten verbreiten, die die Oberste Heeresleitung unterdrücken wollte. Selbst die sonst allmächtige kaiserliche Militärdiktatur war gegenüber dem bayrischen „Justament net!" machtlos. Und da» Reich ist trotzdem nicht zerfallen. Es wird auch Kahrs „Justament net!" überdauern! K Lek. ttahr erläßt ein Streikverbot Münch«», 2. Oktober. Dir Korrespondenz Hoff mann teilt amtlich mit: Der Generalstaatskommissar erließ eine Verordnung, nach der Landesver- rat mit dem Tode be st rast werden kann. Wie aus dem Gcneralstaatskommistariot ver- lantei, wurde eine Streikverordnung ertasten zu dem Zweck, Sicherung für die Arbeit und die Be triebe zu schaffen. Durch die Verordnung werden Streiks und Aussperrungen ver boten, ebenso jede Art von Sabotage, d. h. wider rechtliche Stillegung und Hemmung öffentlicher und privater Betriebe. Als Strafe werden Gefängnis und Geldstrafen ohne Höchstmaß angcdroht, in be- sonder, schweren Fällen Auchthau». Wenn da» Ab leben »on Menschen dadurch verursacht wurde, kann auch auf Todesstrafe erkannt werden. Mit den glei- chcn schweren Strafen soll di« Arbeitswillig- keit geschützt werden. Alle Terrorakte wie Mißhandlung. Beleidigung, Bedrohung und wirt- lchaftliche Schädigung gegen Beamt«, Angestellte und Arbeiter wegen ihrer vaterländischen oder politischen Gesinnung fallen ebenfall» unter die Verordnung. * Di« Städte Nürnberg und Fürth haben deirn Generalstaatskommistar vor Kahr gegen di« von ihm innerhalb des Ausnahmezustandes verfügte Ausschaltung der städtischen Polizei in Nürnberg und Fürth und die Uebertragung der Polizeigewalt an den staatlichen Polizeidienst Einspruch er hoben. Ausbau der proletarischen Hundertschaften Dresden, 1. Oktober. (Eig. Tel.) Ueber die Ausgestaltung der proletarischen Hundertschaften ist von den Organisationen im Auftrage des Innen- Ministers Liebmann ein ausführlicher Plan aus gearbeitet worden. Danach sollen die proletarischen Hundertschaften vor allen Dingen zur Unter stützung der grünen Polizei hcrangczogcn, aus den Beständen der grünen Polizei eingckleidet und mit Revolvern ausgcstattet werden. Außerdem sind eine oder zwei Maschinengewehr abteilungen geplant, die zur Verstärkung der jeweiligen örtlichen blauen Polizei dienen sollen. Wie in dem Plan ausdrücklich hervorqchoben wird, soll jedoch nach Möglichkeit verhindert werden, daß Mitglieder der proletarischen Hundertschaften außerhalb des Dienstes nicht in den Besitz von Waffen gelangen. Wie erst jetzt bekannt wird, haben in der Nacht zum Freitag Verhandlungen zwischen der VSPD.- Leipzig und der KPD.-Lcipzig stattgefundcn, die folgendes Ergebnis hatten. Die Leitungen der DEPD., der KPD. und der USPD, sind Donnerstag nacht zusammengekreten und waren sich darüber einig, daß die Gefahr für die Arbeiterklasse eine sehr bedrohliche ist, daß die Lage die höchste Alarmbereitschaft der Arbeiterschaft erfordert, daß die Selbstschutzorgani- sationen beider Parteien eins Leitung zu bilden haben, die die Kampfverbände einheit- l i ch führen sollen. Die Parteien einigten sich darauf, fortlaufend in Verbindung zu bleiben, um gegebenenfalls gemeinsam gegen die Gegner vor- zugchen. Den Parteien bleibt es unbenommen, ihrerseits die notwendigen Vorbereitungen für die Abwshrcktion der Arbeiterschaft zu treffen. Liebmanns Nan-idatur als Sivilkommlssar Zur Frage der Ernennung eines säch sischen givilkommissare wird durch das Wolffbüro folgendes Dementi vsrdreitet: Einige Blätter bringen die Meldung, daß die sächsische Regierung auf die Ernennung des Mi nisters des Innern Liebmann zum Zivilkom' misiar verzichtet und den Ministerialdirektor j Freund für diese Aufgabe vorgcschlagen Habs. Diese , Meldung wird für unrichtig erklärt. Die fach- fische Regierung laste die Forderung nicht fallen, daß ein Mitglied der Regierung zum givilkommiffar er nannt werden soll. Dresden, 1. Oktober. (Eig. Tel.) Der Landes arbeitsausschuß der Landtagsfraktion der VSPD. veröffentlicht einen Aufruf an die Mitglieder der VSPD. in der Frage des Ausnahmezustandes über Sachsen. In dem Aufruf, der gleichzeitig vom Ort»- ausschuß des ADGB. unterzeichnet ist, heißt cs u. a.: Der Ausnahmezustand über das Reich hat sür Sachsen einen besonderen Ausnahmezustand ge schaffen. Während Preußen einen Zivilkom- missar erhalten hat, ist ein solcher dem Freistaat Sachsen nicht zugestanden worden. Es liegen An zeichen dafür vor, daß sich die militärische Gewalt in Sachsen einseitig gegen jenen Teil des Proletariats richtet, der es bisher als höchste Aufgabe betrachtete, die Republik zu stützen und zu befestigen. Die ein gangs erwähnten Parteiinstanzen fordern daher mit aller Entschiedenheit, daß der Ausnahmezustand sich nicht zu einem SonderausnirhmvHustand gegen das sächsische Proletariat aus wirkt. Im besondere» fordern sic, daß ein Mitglied der sächsischen Regierung als givilkommiffar mit gleichen Rechten wie in Preußen für Sachsen ein' gesetzt wird. Ebenso verlangt sie mit größtem Nach druck, daß die wirtschaftlichen Kämpfe der Arbeiterklasse, besonders der Kampf um höhere Löhne und um die Erhaltung des Achtstundentages, in keiner Weise beeinträchtigt werden. Der Ausruf endet mit der Aufforderung, die Kräfte nicht vorzeitig und zwecklos zu vergeuden, da mit man kampfbereit sei, wenn die Führer es verlangten. Nur aus diese Weise könne man Sieger im Kampf öl-.iben. Markentwertung und Steuern In der Oefsentlichkeit wurde bemängelt, daß der > für Oktober festgesetzte Multiplikator für die I Steuernorauszahlung die seit August ein getretene Markentwertung wesentlich ! übersteigt. Hierzu verbreitet das Wolff-Büro folgende halbamtliche Mitteilung: Dieser Vorwurf wird den Tatsachen nicht gerecht. Der Dollarmittelkurs betrug am 26. September 126 Millionen, am 18. August 2,7 Millionen und am 11. August 3,9 Millionen. Der Großhandels index am 26. September 36,2 Millionen, am 16. Au- gut 663 880 und am 11. August 483 461, der Leben». Haltungsindex am 26. September 28 Millionen, am 15. August 436 Y35 und am 11. August 149 531. Vergleicht man die Zahlen vom 26. September mit denen vom 15. August, dem ursprünglichen Tage der Fälligkeit der Einkommensteuervorauszahlungen, so ergibt sich beim Dollar da« 47fache, beim Großhan delsindex da, 54fache und beim Lebenshaltungs index da« 64fache, im Durchschnitt da» dkfache. Hier nach würde sich allerdings der Multiplikator auf 55 mal 400, also auf nur 22 000 stellen. E» erscheint aber geboten, die Zahien vom 11. August, dem Tage der Festsetzung de« Multiplikator» von 400, zum Vergleich mit den Zahlen vom 26. September, am Tage der Entschließung über den neuen Multipli kator beranzuztehrn. Lier ergibt sich beim Dollar da« 32fache, beim Großhandelsindex da« 7kffache und beim Leben»haltung»index da» 187fach«. durchschnitt, lich da» V8fachr. Hiernach würden 39 200 für Ein- kommenstcuervorauszahlungen und 58 800 sür K2rperschaft»steuervorau«zahlnngen gerechtfertigt sein. In weitgehender Berücksichtigung der gegen- wärtigcn Wirtschaftslage sind die Multiplikatoren aber nicht in dieser Höhr festgesetzt worden, sondern e» ist mit 30 000 für die Einkommensteuer und mit 45 000 für die Körperschastrsteuer eine mittlere Höh« gewählt worden. Auf da» große Entgegen kommen, da» ü-erbie» in der Zulassung der Zahlung wahrend de» ganzen Oktober liegt, sei besonder» hingewiesen. Vie neue währungsbank Kenderrmgen an der Vorlage Berlin, 1. Oktober. (Eig. Tel.) Der Reiche- r a t beschäftigte sich in seiner öffentlichen Vollsitzung von Montag abend mit dem Gesetzentwurf über die Errichtung einer Währungsbank. Ueber die eingehenden Beratungen der Ausschüsse berich- tete der bayrische Staatsrat von Wolf. Die Ausschuss« des Reichsrate» haben folgende Aenberunzen an der Vorlage vorgeschlagen: 1. Das Recht des Unternehmens, sich von der Belastung durch Gold oder Devisen zu be freien, wurde auf den Besitzeigentümer ausgedehnt. 2. Die Bestimmung, wonach die Papiermark bis auf weiteres als gesetzliches Zahlungsmittel in gesetzlich festgelegter Höhe bestehen bleibe» kann, wurde ergänzt durch einen Zusatz, durch den klar gestellt wird, daß diese Bestimmung auch für Schulden gelten soll, die vor Inkrafttreten der Vorlage gegründet und in Reichsmark ausgedrückt sind. Der Betrag der Reichsmark ist in Neu mark umzurechnen. 3. Der Entwurf der Regierung sah vor, daß die Währungsbank lediglich berechtigt sei, mit dem Reiche und der Rcichsbank Geschäfte zu machen. Die Aus flüsse des Reichsrates haben in der Absicht, Kon- flikte auszuschließen, eine Bestimmung ausgenommen, wonach die neue Währungsbank verpflichtet wird, zur Gewährung von Krediten an die Wirt schaft einen Betrag von 12 Millionen zur Ver fügung zu stellen, und zwar der Reichsbank und den Privatnotenbanken. Als Gegenleistung soll die Währungsbank lediglich einen Verwaltung», kostenzuschlag erhalten. Maßgebend für diesen Be schluß war, daß die Wirtschafts, und Dis- kontpolitikin den Händen der Reichs bank verbleiben soll und die neue Bank darauf keinen Einfluß hat. 4. Die privaten Notenbanken, über die der Entwurf nichts enthielt, sind von den Ausschüssen ausdrücklich einbe^ogen worden. Sie werden ebenfalls an der Neumark beteiligt mit einem Darlehen der Währungsbank, und zwar im Verhältnis der steuerfreien Noten- kontingente, wie sie am 1. April 1914 für die Privat notenbanken bestanden haben. 5. Ucbcr die Verpflichtung der Währungsbank zur Einlösung ihrer Noten ist in dem Entwurf nichts gesagt. Es ist ober Vorbehalten, darüber bis zur Verabschiedung noch Bestimmungen aufzu- nehmen, weil es notwendig erscheint, mit den Privat- Notenbanken darüber vorher zu verhandeln. 6. Die Regelung einer etwaigen Verteilung de» Gewinn» durch das Notcnausgaberecht der neuen Währungsbank soll einem späteren Rcicys- gesetz überlasten werden. Die Möglichkeit, daß die Währungsbank später mit einem anderen Gesa-asts- betrieb fortbestehen soll, wie es im Entwurf vor gesehen war. ist von den Ausschüssen beseitigt worden. Die Vollversammlung schloß sich den Beschlüssen der Ausschüsse an. Thüringen enthielt sich der Stimme, Sachsen stimmte dagegen. Vas währungsprovisorirrm Am Montag hat sich der Reichsrat mit dem Ge setzentwurf über die Errichtung der Währungs bank beschäftigt. Außer einigen Aenderungen an der Vorlage, dre wir bereits mitteilten, ist endlich einmal klar und eindeutig die Erklärung gekommen, daß di« Gründung der Bank lediglich eine Ueber- gangsmaßregel darstellen soll. An sich bringt diese Erklärung nichts Neues. Voraussetzung jeder Währung ist ein geregelter Staatshaushalt. In unseren zerrütteten Staatshaushalt Ordnung zu bringen, ist wiederum unmöglich, solange der Ver fall der Staatefinanzen täglich fortschreitet. Mill man sich daher bei allen Resormversuchen nicht nutz los im Kreise drehen — nach dem berühmten Motto: „Die große Armut kommt von der großen Powertä" —, so ist es nötig, den Kreislauf Währungsverfall — Wirtschaftsverfall irgendwo ob zubremsen. Immer wieder haben wir daher darauf hingewiesen, daß gegenwärtig nur eine Ueber- gangswährung unter Umstanden aus dem Strudel herausführen könne, nachdem Stützungs- aktionen und Steuerreformen nutzlos vertan sind. In einem Teil der deutschen Presse ist dieser Ucbergangscharakter allerdings nicht mit der nötigen Schärfe heroorgehoben worden, und au» Unter- rcdungen mit Bank- und Handelskreisen konnten wir weiter entnehmen, daß man der neuen Bank deshalb skeptisch gegenüberstand, weil man annahm, daß das neue Geld ebensowenig wie di« Mark wertbeständig sein könne. Das mag vielleicht zutreffcn; aber auch bei solchen Ueberlegungen wird der Uebcrgnngscharakter der Reform außer acht ge lassen und der Weg zur Sanierung mit der Sanie- rung selbst verwechselt. Darum muß es noch einmal gesagt werden: Das Ziel der Wahrungsbank ist zu nächst, eine Atempause zu schaffen. Wenn diese planmäßig ausgcmeht wird, um Sch ütt für Schritt Boden unter die Füße zu gewinnen, dann erst sind di« Voraussetzungen gegeben, die zur Schaffung einer endgültigen Währung unerläßlich sind. So betrachtet, erscheint es als ungerechtfertigt, die Ueber- gangswährung schon von vornehercin als verfehlt abzulehnen. Die Sanierung Deutschlands wird viel Arbeit und Zeit bei shrittweisem Vorwärtsgehen er- fordern. Niemand kann glauben, daß e» ein Allheil mittel gebe, dnr' die Ding» über Nacht zum Besseren gewandt werden könnten. Lin Hirtenbrief der deutschen Episkopat» Berlin, 2 Oktober. Von allen Kanzeln d«r katholischen Kirchen des Reiche» ist ein Hirten, brief dr« deutschen Episkopat» verlesen worden, der sich u. a. auch gegen die Kriegshetzer und Unruhestifter in Deutschland wendet. In dem Hirtenbrief heißt e«: „Wieder andere entbrennen in heißer Rachsucht und möcht.» da» Feuer vom Himmel kerabrufen über die Bedränger. Sie schädigen durch unbesonnen« Taten Volk und Vater land und machen sich mit ihrem ohnmächtigen Grimm nur lächerlich und r rächtlich. Sie sind ebenso Ge- meinschadlinge wie die, die von neuen Kriegen und Revolutionen träumen und durch Aufruhr und Meuterei sowie neues Blut vergießen bessere Zeiten brrbeiführen wollen." Weiter betont der Hirtenbrief da« Gebot der Nächstenliebe und führt au»: „Wir entsagen allen Gedanken und Plänen de» Haffe» und der Rach«. Mr sinnen nicht auf Wiedervergeltung. Dir «ollen nicht die Feinde vernichten, sondern die Feinde ver söhnen und nicht die Völker entz»eien, sondern die Völker verbrüdern, nicht den Frieden stören, fondera Frieden stiften." Mitteldeutscher veamtentag Der Rrich*beamtcnau»schuß der Deutschen Demo kratischen Partei veranstaltet am S. und 7. Oktober in Eisenach einen Mitteldeutschen Veamtentag. Aus der Tagesordnung sei erwähnt: Sonnabend, 8)4 Uhr vormittags, Vertreterversammlung. Dor- trag von Gerhard Vogt (Berlin): „Die Beamten innerhalb der Partei". Abend» 8 Uhr, öffentliche Versammlung, Redner: Senotspräffdent Dr. Groß- mann (Berlin): „Republikanisierung der Vermal', tnng" und Gerhard Vogt (Berlin): „Beamtenschaft und Politik". Sonntag, 9)4 Uhr vormittags, Per- treterversammlung, Redner: Reichstagsabg. Schuldt (Steglitz): „Beamtenfragen der Gegenwart". An- Meldungen und Ouartierbestellung an das Partei büro: Eisenach, Waldhcnrsstraße 10. Baldwins Nebe auf der Reichbkonfereuz London, 2. Oktober. (Eig. Tel.) Die gestrige Rede Baldwins auf der Reichskonferenz enthielt nach dem über die Konferenz ausgegeben'n amt lichen Bericht wenig Neues. Soweit seine Rede sich mit der europäischen Frage befaßte, stellte er noch einmal fest, daß England und Frankreich noch immer verschiedener Ansicht seien über die Zweckmäßigkeit der Ruhraktion. Baldwin betonte weiter, England und Frankreich wären bei der Pariser Besprechung einig gewesen, daß jeder Bruch der Entente geeignet sei, die Wiederherstellung des Friedens in Europa noch weiter hinauszu schieben. Angesichts der neuen Phase, die in de: Reparationsfrage durch di« Aufgabe des passiven Widerstandes eingetreten sei, seien er und Poincarä der Ansicht, daß nur die engste und vertrauenvollste Zusammenarbeit zwischen den Alliierten eine Rege lung der europäischen Probleme ermöglichen könne. In längeren Ausführungen, die sich mit dem Ianinaer Konflikt befaßten, setzte Baldwin dann auseinander, daß der Völkerbund in diesem Falle zweifellos das Verdienst hat, einen Krieg, der unter Umständen unvermeidlich gewesen wäre, verhindert zu haben. Die heutige Morgenpreffe läßt keinen Zweifel darüber, daß Baldwins Zurückhaltung über den In halt seiner Unterredung mit Poincarö lebhaft ent täuschte. Noch größer ist die Enttäuschung über die Inhaltlosigkeit des mündlichen Berichts über die Rcgierungsvorschläge zur Bekämpfung der Ar beitslosigkeit und zur Ausbreitung des Han dels innerhalb des britischen Weltreiches. Der „Daily Lhronicle" nennt die Rede: nicht die ge ringste Andeutung einer selbständigen Politik. Die „Westminster Gazette" spricht von Baldwins Kapi tulation. Der konservative „Daily Expreß" ist un zufrieden darüber, daß Baldwin sich damit begnügt habe, die alte Kontraverse über die gweamäßigkeir der Ruhrbesetzung wiedcrzugeben, während das Land und vor allem die Arbeiterschaft positive Vor schläge erwartet hätten. Die „Morningpost" schreibt, Baldwin begnüge sich festzustellcn, daß angesichts der Arbeitslosigkeit etwas geschehen muffe. Not wendig sei auch ein starkes Bekenntnis zum SchuZ- zoll. Die „Times" läßt in ihrem Kommentar er kennen, daß nicht Baldwin, sondern Smuts der englische Politiker sein werde, der der neuen Außenpolitik des Weltreiches die gründ- legenden Gedanken verleihen werde. Smuts' Rede, die das Wort „Wir muffen Himmel und Erde in Bewegung setzen, um der Welt einen wahren Fric- den zu geben" zum Leitmotiv hatte, fand :m liberalen Lager gute Ausnahme. Die konservative Presse ist über das Interesse, das Smuts dem euro- päischcn Problem und dem Völkerbund entgegen bringt, weniger entzückt. Sie gibt es aber nicht offen zu erkennen, da sie erwartet, daß Smuts, um seinen Schutzzollplan durchzusetzen, Wasser in seinen euro- päischen Wein mischen werde und daß cs so noch möglich sein werde, zu einer Kompromiß- forme! zu gelangen, die England wohl das Recht wahrt, in Europa einzugreifen, es aber der eng- lischon Politik überläßt, sich nur dann mit euro päischen Fragen zu besaßen, wenn lebenswichtige englische Interessen auf dem Spiel stehen. poincares innerpolitische Sorgen Part», 2. Oktober. (Eig. Tel.) Poincares Verzicht auf die Berührung der inneren Poli tik in seiner gestrigen Generalratsrede hat in parlamentarischen Kreisen großes Aufsehen errrcgt. Allem Anschein noch bat Poineare gewißen rechts- republikanischen Kreisen, die wegen der Linke freundlichkeit eines Teiles der Präsekten beunruhigt sind, versprochen, in dieser Rede den Präsekten den Verzicht auf Wahlbeeinsluffung erneut zur Pflicht zu machen. Al» dieses Versprechen gegeben wurde, glaubte PoincarL offenbar damit rechnen zu kön- nen, daß bi» 1. Oktober eine gewiße Entspannung in der Außenpolitik, besonders zwischen Deutschland und Frankreich eintreten werde. Da diese Erwartun- gen sich nicht erfüllt haben, halt Poinearö an seinem alten Grundsätze fest, daß die innere Politik vor der äußeren zurücktreten müße. In rechtsrepublikanischen Kreisen wird nun aus^ neue der Verdacht laut, daß Poincorä auf die er- wartete Absage an den linken Flügel verzichtet habe, weil er e» nicht mit der Linken verderben wolle. L» ist anzunehmen, daß der Kampf dieser Kreise gegen Poincarös Stellung zur inneren Politik in der nächsten Zeit wieder beginnen wird. Man darf aber nicht, wie gleich betont sei, von diesem Kampfe, der sich hauptsächlich hinter den Kulissen abspielt, eine Rückwirkung aus die Außenpolitik erwarten. Jede ernste Erschütterung der Stellung PoincarLs erscheint ausgeschlossen, solange nicht mindesten» eine vorläufige Einigung in der Reparationsfrag« zwischen den Verbündeten und Deutschland erzielt wird. Diese Einigung kann zur- zeit, wie die hiesigen politischen Kreise bemerken, nur durch eine deutsche Initiative beschleunigt werden, da PoincarS zum Abwarten entschlossen ist und aus innervolitischen Gründen kein Interesse an einer schnellen Regelung hat, so sehr ihm au» den gleichen Gründen an einem persönlichen Erfolg liegen müsse. Die Gerüchte über den Abschluß einer Militär, konvention -wischen Frankreich und Tschechoslowakei werden vom franzofischen Außenministerium al» absoluter Unsinn bezeichnet.
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