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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 27.09.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-09-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192309272
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230927
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230927
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-09
- Tag 1923-09-27
-
Monat
1923-09
-
Jahr
1923
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Sm,-*» ch-M »-—>»« Aufmarsch der bayerischen Nationalisten München, 26. September. (Eig. Lei) Die Aus- nähme de« Abbruche« de« Ruhrkampfe» in München ist ebenso verworren wie die Lage, Zn einer Führer sitzung de- Deutschen Kampfbundes haben die Führer der verbände „Oberland' und „Reichs- flagg«' beschlossen, Hit l er die politisch« Leitung zu überlassen. Dazu erklärt der „Völkische Be obachter", daß alle Gesinnungsgenossen, auch die in anderen nationalen Bcrbändrn organisiert seien, die Konsequenzen ziehen und sich um Hitler scharen müßten. Ls ist das wieder ein Versuch, die Einheit innerhalb des rechtsradikalen Bayerns herzustellen. Der „Völkische Beobachter" zeigt auch noch in großer Ausmachung das Bild Hitlers, damit da» bayrische Volk seinen Führer kenne. Anschläge an den Plakat tafeln berufen für morgen, Donnerstag, 44 nationalsozialistische Versammlungen ein. In sämtlichen wird Hitler selbst sprechen. Er irwartet von dem Münchener „Massenaufmarsch", daß die „Last ausgeht", d. h. daß Fie seit langer Zeit angekiindigte Aktion in die Erscheinung trete. Die Organisation Roßbach hat nach Mitteilung der „Münchner Post" einen Ge stellungsbefehl ausgegeben, wonach sich ihre An- cehörigen am Donnerstag morgen 8 Uhr am „Durzenrr Hoi" zu melden haben. Der Gestrllunas- befehl belagt: „Streng vertraulich! AK heute ist für Ei« jede Abreise non München sowie der Aufenthalt außerhalb Münchens streng verboten. Sie haben sich am 26. bereit zu halten Zusammenkunft vor dem Ltriegerwusenm, Eingang Hofgortcnstraße. Stichwort: Paula, g-z. Lamprecht, Batteriechef." Der Bund Oberland bat seine Leute. nach Angaben der .Münchener Post", für Freitag früh 4 Uhr alarmiert. Sämtlich: Wessen seien initzubringen. Di« „Münchener Neuesten Nachrichten", die e» nicht an offenen und versteckten Boshaftigkeiten an Stresemanns Adresse fehlen lassen, erklären, Deutsch land stünde vor einem zweiten Versailles, und be haupten, der Kanzler regiere nach sozialistischen Rezepten. Die . München-Augsburger Abendzeitung" vergleicht Strcsemann mit dem Prinzen Mar; von Baden, der die militärische Entwaffnung de» deutschen Bolles vollzogen habe, und erinnert den Kanzler an seinen Plan, den Persaillcr Vertrag für nichtig zu erklären, wenn Poinearö das deutsche An- gebot ablehnen würde. In einer geschloffenen Mitgliederversammlung der Demokraten in München erklärte Reichs- tagsabgeordveter Hamm: .Wir dürfen den deutsche» Namen nicht unter einen Vertrag setzen, der die Ge winnung des Rheins für Frankreich bedeutet." Der Landtagsabgeordnete Dürr stimmte dem bei. Ohne allgemeine Amnestie und Gestattung der Rückkehr der Ausgewicsenen sei jede Unterschrift unmöglich. Hitler schlug stärkere Tone an. Die sozialistischen Parteigruppen Greffen sich bei Stadclheim (Zuchthaus bei München). Im Ministerium de» Innern finden fortgesetzt Vorträge und Beratungen der Polizcigewaltigen statt. .Mit Gut und Blut!" Nürnberg, 26 September. <Eig. Tel) Die Arbeitsgemeinschaft der vaterländischen Verbände Nürnberg» gibt eine Erklärung ab, in der es heißt: „Di« derzeitige Neichsregierung Kat durch ihre deutschfeindlichen Maßnahmen nach unserer Auf fassung das Recht verwirkt, diesen Namen zu tragen. Heute liegt der Reichsgedn.cke nicht mehr in den Händen der Berliner Regierung. Bayern muß heute, bevor alles verloren ist, das Schicksal de» Reiches in seine Hand nehmen. Wir erwarten von dem bayrischen Ministerpräsi denten. daß er die in seiner letzten Rede gegebenen Versprechungen hält. Wir fordern die bayrische Re gierung auf, „u handeln. Jede Verzögerung be- schleunrgt das Verderben Deutschlands. Wir er warten nicht Worte, sondern Taten, und sind bereit, unter dieser Voraussetzung zur bäurischen Regierung zu steh-n mit Gut und Blut." Der „Aufmarsch" der bayrischen National sozialisten und „vaterländischen" .Kampforgani sationen läßt sich von hier aus nicht überblicken. Da aber schon ost die Wahrnehmung zu machen war, daß die nationalistischen Unternehmungen in ihrer Wirkung nicht entfernt dem Tamtam ent- sprachen, mit dem sie angetündigt wurden, so muß auch jetzt vor einer Ucbcrschützung der Münche ner Vorgänge gewarnt werden. Die Proklama tion der Reichsregierung, Form und Inhalt nach äußerst befriedigend, wird ihre. Drikung — auch in Bayern — nicht verfehlen, zumal ja elbst der bayerische Ministerpräsident ohne Widerspruch die Politik der Rcichsregicrunq als richtig und einzig möglich anerkennen mnßse. Vie Vereinigung „Deutsche Zlagge" verboten Dr«»d«>«. 26. September. (Eig. Tel.) Da» Ministerium de» Innern hat die Vereinigung „Deutsche Flagge" in Leipzig mit allen Ortsgruppen für das gesamte Gebiet Sachsens nach 8 14 des Schutzgesetzes verboten und aufgeIöst. Sachsens Kampf gegen den Neichswehrminifter Dresden. 26. September. (Eig. Tel.) Zu dem Beschluß, drn Landtag einzubrrusrn, keilt die sozial demokratische Presse folgendes mit: Am Sonntag abend gab der Gesamlvorstand der VSPD. Groß- Dresden nach einem Bericht des Landesvorsitzenden Eggert über die Beratungen der sächsischen Landes instanzen der VSVD. in der Angelegenheit sächsische Regierung und Geßler nach mehrstündiger Aus- spräche, an der auch Mikalicder der Landtags fraktion und des Landcsarbkitsausschuffes sich be- teiligten, folgende Erklärung ab: „Der Gesamt vorstand der VSPD. Groß-Dresdrn bedauert, daß in der Entschließung des Landerarbcitsausschuffe» der VSPD. zum Fall Geßler die Forderung nach der Beseitigung des Reichswehrm,nister« Geßler fallen gc lassen wurde. Der Gesamtvorstand ist jedoch der Auffassung, daß die Forderung auf Be seitigung Geßlers bcizubehalten und auf« entschiedenste durchzukämpfen ist. Dazu ist mech di« Tribüne de« Landtag-« zu benutzen. Der Borstand fordert, daß die Landrsinstanzen die fach- stsch« Regierung nachhaltig unterstützen Der Vor- stand druckt der Aeigner Regierlmg erneut da» Ver trauen au«." Unruhen In Sittau Zwei Tote, mehrere Verwundete Zittau, 36. September. Au außerordentlich be- daurrUchen Vorkommnissen, denen leider zwei junge Menschenleben zum Opfer fielen, ist e« gestern in Zittau gekommen. Im Verlaufe der Erwerbslos n- demonstrastonen, die am Montag begannen und gestern fortgesetzt wurden, spitzten sich die Verhält nisse so zu, daß die Landr«polizei oon der Schußwaffe Gebrauch machen mußte. Im Anschluß an eine Versammlung zog ein Zug von etwa 200 Personen durch die Straßen der Stadt. Gegen Uhr nachmittag» sammelte sich eine große Menge hauptsächlich jugendlicher Erwerbsloser um das Rolanddenkmal, von dem herab Ansprachen ge halten wurden. Die Menge bildete dann einen Demonstrationszug, der durch die Straßen nach dem Rathaus zog, da» durch eine Abteilung Landespolizei geschützt war. Zunächst begann die Meng« unter Drohungen die Landespolizei aufzusordern, sich zurückzuziehen. Da diesem Ersuchen nicht statt- gegeben wurde, gingen einzelne Demonstranten tät lich vor, wurden aber von der Polizei mit Gummi knüppeln obgewehrt. Die Menge begann nunmehr, die Polizeimannschasten mit Ziegelsteinen zu bewerfen und mit Latten und Knüppeln zu schlagen. Meherere Beamte wurden dabei ernstlich verletzt und mußten vor dem Hagel der Seinwürfe Schutz im Toreingang des Rathauses suchen. Die Angriffe der Wenge nahmen einen so schweren Cha- rakter an, daß sogar Schüsse aus der Menge abgegeben wurden. In dieser ernsten Situation machte die Polizei in der Notwehr ihrerseits von der Schußwaffe Gebrauch. Kurz darauf führte die Menge einen mit Ziegel- steinen beladenen Wagen vor das Rat haus, um den Eingang zu verbarrikadieren und so die Polizei abzuschneidcn. Gleichzeitig wurden die Beamten mit einem neu:n Steinhagel überschüttet. Sämtliche Fenster der Polizeiwache wurden eingeworfen. Die Menge versuchte auch den Markt zu verdunkeln, indem sie Strine nach den elektrischen Beleuchtungskörpern warf. Die Ang-stf« wurden bis in die späten Abendstunden fortgesetzt. Nachdem weitere Verstärkung eingetroffcn war, konnte der Markt durch die Polizeimannschafren ge räumt werden. Kurz darauf begann ein Teil der Demonstranten ein auf der Bautzner Straße befind liches Waffengeschäft zu plündern. Auch anliegende Läden sind zum Teil auegeplünde.-t wor den. Leider fielen den bedauerlichen Vorgängen euch zwei Menschenleben zum Opfer; eine große Anzahl verletzter Zivilpersonen und Polizeimannich ften mußten ins Krankenhaus gebracht werden. Bei Ken beiden Toten handelt es sich um einen 'zwanzig Jahre alten Schuhmacher und eine junge Kontoristin. Heerschau der Chemnitzer Arbeiterwehr Lhewnitz, 26. September. (Eig. Tel.) Di« hiesigen sozialdemokratischen Hundert schaften veranstalteten heute in den Straßen der Stadt einen großen Aufmarsch, der anscheinend al» Drohung gegen etwaige Putschpläne von Rechts aufzufassen ist. Vie feindlichen Brüder Dresden, 26. September. (L i g. Te l.) Im Zusammenhang mit den Dresdener Unruhen wurde der kommunistische Unterbezirksleiter Schurig verhaftet. Das kommunistisch« „Volksblatt" bringt die Mitteilung mit der Bemerkung: „Die sächsisch« Regierung mag ffch gesagt sein lasten, daß die KPD. einen Noske-Severing-Kurs in Sachsen keinen Augenblick lang dul>- den wird. Wenn die sächsische Regierung glaubt, mit Noske-Methoden regieren zu können, dann wird sie von der Arbeiterschaft auch wie Noske behandelt werden." — Man darf gespannt sein, oh sich Ministerpräsident Dr. Zeigner diese neue Drohung der Kommunisten gefallen lasten wird. Im übrigen hat die kommunistische Presse auch vor einigen Tagen die Meldung verbreitet, der Innenminister Liebmann habe dem Bür germeister von Aue erklärt, er ermächtige ihn, beim geringsten Anlaß Militär anzusordern, das dann ohne weiteres binnen einer Stunde in Aue wäre. Wie die Nachrichtenstelle der Sächsischen Staats- kanzlei dazu mitteilt, ist an der ganzen Meldung kein wahres Wort. Der Minister habe nie ein« solche Vollmacht gegeben. Hieran wird die Bemerkung geknüpft, die kommunistische Proste wisse sich nicht genug zu tun in Entrüstungen über den Minister, der einem bürgerlichen Bürgermeister solche Vollmachten gebe. kleine politische Nachrichten Nach dem „Berliner Tageblatt" soll das Kapital der neuen Währungsbank 3L Milliarden Mark betragen, und zwar 2,4 Mil liarden Grundkapital und 800 Millionen Neumark Reserven. Kredite sollen nicht nur der Staatswirt. schäft, sondern auch der Privatwirtschaft gewährt werden. * Aus Belgrad wird gemeldet: Der Attentäter Milutin Rajitsch wurde wegen des im vergangenen Sommer ausgeführten Anschlags gegen den Ministerpräsidenten Paschitsch zu 20- jähriger Zwangsarbeit verurteilt. . * Aus Konstantinopel wird gemeldet, daß die türkische Regierung bei dem amerikanischen Ober- kommiflar in Konstantinopel Schritte unternommen liabe, um di« Zurückziehung der ameri kanischen Kriegsschiffe vor Konstantinopel zu erreichen. * Nach einem Radio-Teleqramm wird allem An- schein nach der frühere Präsident Wilson einen bedeutenden Anteil an der Ausarbeitung de« Programms der Demokratischen Partei für die nächsten Wahlen nehmen. Man glaubt, daß er einen gewissen Einfluß auf diese Dablen ausüben werde, glaubt aber nicht, daß er wieder auf einer demokratischen List« kandidieren wird. Der „Matin" meldet aus London, daß Tele grammen aus Teheran zufolge die neuen Erdstöße !n Persien besonders in der Provinz Khorastan schwere Zerstörungen verursacht haben. Mehrere Dörfer feien vollständig zerstört. Den letzten Nach richten zufolge zählt man vorläufig 1S3 Lot« und mehrere hundert Verwundete. Man erwartet noch weitere Erdstöße in dieser* Gegend. In einem Bergwerk bei Glasgow stnd drosch Wastereindruch etwa 60 Bergleute um« Lebe« ge kommen. Bisher sind 20 Tot« Morgen. Da» Un glück ist do» größte, das sich seit 1613 i "-al^nd er eignet hat. Lin Nachspiel zum Scheidemann-klttentat Unter dem Vorsitz de» Reich»gericht«rat» Dr. Riedner fand am Mittwoch vormittag vor dem Staatsgerichtshof zum Schutze der Re publik eine Verhandlung gegen den Studenten -ahn aus Görlitz wegen Begünstigung der Scheide- mann-Attentäter statt. Die Anklage vertrat Ober staatsanwalt Klingsporn. Hahn wird zur Last gelegt, daß er den Kaufmann Oehlschläger, der mit Rüster zusammen las Blausäureattentat gegen Scheidemann verübte, in Breslau bei sich ausgenommen und ihn mit Geld und Kleidungsstücken versorgt habe. Oehl- schläger wurde dann bekanntlich später in Schlesien gefaßt und vor längerer Zeit zu einer Zuchthaus strafe von 11 Jahren verurteilt, die er im Zuchthaus Celle abbüßt. In der heutigen Verhandlung wurde Oehl- schläger als Zeuge vorgeführt. Der Vorsitzende versuchte wieder, aus ihm yerauszubekommen, woher er die Geldmittel erhalten hatte, die da» Attentat und seine spätere Flucht ermöglichten. Al» er aber fragte, ob Oehlschläger sie von der Organisation C erhalten habe, verweigerte er die Aussage. Da» Vergehen des Studenten Hahn wurde al» verhältnismäßig geringfügig angesehen, da au» der Beweisaufnahme nicht klar ersichtlich war, ob Hahn die Absicht hatte, die Attentäter der Verfolgung zu entziehen und ihnen zur Flucht zu verhelfen. Da zu jener Zeit ein Steckbrief hinter Oehlschläger noch nicht ergangen und vor allem auch seine Mittäter schaft beim Scheidemaunattentat noch gar nicht be kannt war, nahm der Oberstaatsamvalt in seinem Plädoyer nur ein« ideelle Begünstigung de» Ange klagten Hahn an. Er beantragte daher sechs Mo nate Gefängnis unter Anrechnung von drei Monaten Untersuchungshaft. In der Urteilsbegründung erachtete da» Gericht für voll erwiesen, daß Hahn die Absicht ge habt habe, Oehlschläger der Strafverfolgung zu ent ziehen. Der Angeklagte habe die Straftat Oehl- schlägers im vollen Umfange gekannt. Das Vergehen des Angeklagten falle in eine Zeit, als die Verord nung des Reichspräsidenten zum Schutz der Republik noch in Kraft war. Diese Verordnung sei jedoch ein Zeitgrsetz gewesen und überholt worden durch dos Gesetz zum Schutze der Republik, bei dem man sich gesagt habe, daß die Verordnung in verschiedenen Punkten korrigiert werden muffe. Der Angeklagte könne daher nicht auf Grund der Verordnung, die für Begünstigung «ine schärfere De- strafung Vorsicht, als das Gesetz, verurteilt werden, sondern es müsse der Paragraph 257, Absatz 2 des Strafgesetzbuches für seine Tat Anwendung finden. Zugunsten des Angeklagten nahm dos Gericht an, daß zwischen Oeklschläger und ihm ein Freund- schaftsbund bestanden habe, weshalb man dem An geklagten zu einem Teil das Pflichtgefühl nicht ab- sprechen könne, seinem Freunde in höchtter Not zu helfen. Das Gericht erkennt dann in Anbetracht der Verwerflichkeit der Handlung des Angeklagten, der sa die abscheuliche Tat Oehlschläaers gekannt hat, wegen Begünstigung auf sechs Monate Gefängnis unter Anrechnung von drei Monaten Untersuchungs- haft. Neue Schwierigkeiten im korfu-konsiikt Italien verzögert di« Räumung Paris, 36. September. (Eig. Tel.) Die heutige Beratung der Botschasterkonserenz wird mit gro ßer Spannung erwartet, nachdem die gestrige Sitzung hatte abgebrochen werden müssen. Wie ver bautet, hat der englische Botschafter gestern die Auf- faffung vertreten, Italien müsse nach der bekannten Entscheidung der Botschafterkonferrnz Korfu am 27. September ohne Rücksicht auf da» Ergebnis der Untersuchung räumen. Der italienische Botschafter berief sich dagegen auf gewisse Vorbehalte, die er bei früheren Beratungen der Konferenz formuliert hat. So will Italien die Räumung namentlich von der vorherigen Auszahlung der 60 Millionen Lire Buße an Italien abhängig machen, da die Lässigkeit Griechenlands bei der Verfolgung der Mörder von Janina durch den ersten Bericht der Untersuchung« - kommission ausreichend bewiesen sei. Der franzö sische Vertreter machte verzweifelte Anstrengungen, eine Zuspitzung der Korsufrage zu verhüten. Da gestern noch keine Einigung erzielt werden konnte, scheint es ausgeschlossen, daß Italien überhaupt in der Lage ist, den morgigen Rämnungotermin inne zuhalten. In französischen politischen Kreisen wird da» Verhalten Italiens stark kritisiert. Die Presse vermeidet es — vermutlich aus Ersuchen der Regierung — die Frage eingehend zu kommen tieren. Die kurzen Berichte der Morgenblätter be sagen, daß alles von den neuen Instruktionen ab hänge, die der englische Botschafter au» London er warte, doch hört man anderseits die Ansicht äußern, nur aus Rom könne das entscheidende Wort kommen. Auf jeden Fall muß mit einer kurzen Verzögerung der Räumung von Korfu gerechnet werden. * Der italienische Militärgouverneur von Fiume, General Giardini, hat eine Proklamation erlassen, in der die Einberufung derFiumer Kon stituante für den 1. Oktober angekündigt wird. Nussisch-perfischer Grenzzwischenfall Lauda«, 26. September. Wie Reuter aus Eimla meldet, kam es dort zu einem ernsten Zusammen stoß zwischen Persern und Russen. Nach einem Streit, der wegen der Absteckung der russisch-persi schen Grenze entstand, überfielen und töte ten di« Russen die kleine persisch« Garnison von sechs Monn. Di« es weiter heißt, Haden die Russen gegen die Bestimmung de» russisch- persischen Uebereinkommen« von 1922 Enzeli be setzt mit der Begründung, daß sie von neuem die früheren russischen Konzessionen erhalten wollten. Defterreich imwahlkampf In einigen Wochen wird Oesterreich seinen neue« Rationalrat wählen. Die Dor- bekeitungea der Parteien hierzu sind schon seit langem in» Gange, zumal da dem Ausgang der Dahl dies mal eine besondere Bedeutung betgemessen wird. Die Ehristlichsoziale Partei hat sich nun, um sich den Wahlersolg zu sichern, mit den Monarchisten ver- dunden, von denen es heißt, daß sie ihr« Direktiven au» Budapest nud München beziehen. Durch dieses Kompromiß geben die Lhristlichsozialen offen zu er- kennen, daß sie nicht auf dem Boden der Republik stehen. Ursprünglich war geplant, dem Block der So zialdemokraten eine geeinigte Liste der bürgerlichen Parteien entgegenzustellen, doch konnte nur in Kärn ten eine solch, Liste aufgestellt werden. Trotzdem sind die Chriftlichsozlalen und die Sozialdemokraten die beiden Hauptgegner, wie schon seit mehr al» zwei Jahrzehnten. Ueber den Ausgang der Wahlen dürfte daher wohl kaum noch ein Zweifel bestehen. In der eigentlichen Wahlbewegung sind die So zialdemokraten unbedingt tonangebend, während die Ehristlichsoziale Partei sich darauf beschränken muß, zu antworten. Als Agitationematerial der Sozia listen zählt in erster Linie da» vom Finanzreferenten der Stadt Wien Breitner aufgestellte Wohn bauprogramm. das den Dau von 25 000 Woh nungen innerhalb fünf Jahren vorsieht. Da die Wahlen in den Nationalrat und in den Wiener Ge meinderat am gleichen Tage stattftnden, ist die Frage von ausschlaggebender Bedeutung. Die Christlich sozialen, al« bürgerlich« Ordnungspartei, möchten den Wiener Hausbesitzern, die mit ihr« verläßlichste Stütze darstellen, wieder zu ausreichenden Zins einnahmen verhelfen, während die Sozialdemokraten an den bestehenden Mieterschutzgesetzen nicht rühre» lassen wollen. Zn den Wahlversammlungen wird den Christlich, sozialen von ihren Gegnern vor allem vorgeworfen, daß unter ihrer Herrschaft das Volksvermögen in die Kassen der Banken und Industrien gewandert sei, während die Negierung nur noch Schulden besitze. Dr. Seipel» Verdienst, durch die Sanierungsmaß. nahmen eine Stabilität der österreichischen Wahrung herbeigeführt zu haben, wird zwar nicht bestritten, doch wird hervorgehoben, daß die Sanierung bi» jetzt lediglich auf Kosten der unte ren Schichten durchgeführt worden sei. Mit der letzten Steigerung der Indexziffer wird auch die For- derung der Staatsbedier steten nach Erhöhung ihrer Bezüge in Zusammenhang gebracht, die der Regie rung gegenwärtig große Verlegenheit bereitet. So wohl der Generalkommissar Zimmermann als auch die Staatsverwaltung rechneten mit einein Fallen der Lebensmittelpreisc. Aber gerade in den letzten Wochen traten in den lebensnctwendigsten Ar- tikeln Preissteigerungen ein, und zwar trotz der sta bilisierten Krone! Lin leiser Zweifel an dem Gelingen der Sanierung in der vom Völkerbund vorgeschriebrnen Frist, die bis Ende 1924 läuft, scheint daher nicht unberechtigt. Um sanieren zu können, spart die Regierung un- glückseligerweise gerade dort, wo sie für die Sanie rung große Erträgnisse erzielen könnte: nämlich an der Finanzierung des Ausbaues der Mass er- kraftwerke. Aus diesem Gebiete hat die Ge meinde Wien unstreitig Verdienste; die für die Stadt gemeinde in Arbeit genommenen Anlagen gehen rasch der Vollendung entgegen, so daß Wien bald in die Lage versetzt sein wird, sich von der teuren Aus- landskohle, die das 26 000fache de« Friedenspreises kostet, vollständig sreizumachcn. Trotz der Investi- tionserfordernisse von 900 Goldkronen vro Pferde kraft l>at die Verwaltung des Bundesstaates Wien die notwendigen Geldmittel durch vernünftige, wenn auch zum Teil harte Desteuerunq auszubringen ver- standen. Ilm sich mit ihrer Sanierungsaktion in? rechte Licht setzen zu können, kommt den Christlichsozialcn und den Großdeutschen der Zusammenbruch der deutschen Währung im gegenwärtigen Zeit- punkte sehr gelegen. Eie weisen in ihren Wahl- Versammlungen auf die» Währungschaos hin und hoffen, wegen ihres rechtzeitigen Abrückens vom ehe maligen Dnudesgenossen gleichsam als Netter Deutsch österreichs belobt zu werden, wobei sie so tun, als rb Oesterreich schon gerettet sei. Int ffen muß eine Ge sundung der Staatofinanzen bei kranker Volkswirt schaft eine Unmöglichkeit bleiben. E« wird daher wohl mit zu den ersten Pflichten des neuen Parla ments gehören, die Zolltarife einer gründlichen Reform zu unterziehen. Die gegenwärtig noch au- gewendeten Tarife datieren aus dem Jahre 1906 «vd schützen eine Reihe von Industrien, die längst nicht mehr in Oesterreich vertreten sind. Di« christlich, sozial« Mehrheit hatte ollen Grund, während der ab gelaufenen Legislaturperiode eine Abänderung des Zolltarifs zu verhindern, solange ein Gesetz auf Ein- führung von Getreidezöllen nicht Aussicht auf An- nähme hatte. Man kann da« leicht verstehen, wenn man bedenkt, daß 80 Prozent der Christlichsozialcn Agrarier sind. Die Einführung von Getreidezöllen ist aber gleichbedeutend mit der Erhöhung sämtlicher Lebens- und sonstiger Gebrauchsartikel, wodurch be sonders die städtische Bevölkerung getroffen werden würde. Da die sozialdemokratische Fraktion, die stch zum größten Teil aus Vertretern der Städte zu- sammensetzt, auf die Einbringung der neuen Zolltarife ohne das Getreidezollgesetz besteht, kann der gegen wärtige Wahlkampf leicht die Form eine» Kawvfcs zwischen Stadt und Land annebinen. K. 8. Vie AustLnbigkettsfrag« bleibt ungelöst Se«f, 26. September. (Eig. Tel.) Der Streit um denArtrkkel 10 desDölkerbunds- pakte« konnte auch in der heutigen Sitzung der Bölkerbundsversammlung nicht beendet werden. Die von der ersten Kommission vorgeschlagene Ent schließung fand bei der namentlichen Abstimmung nur 20 Stimmen, während 13 Delegationen sich der Sitmme enthielten und eine die persisch« Delegation, dagegen stimmte. Da die notwendige Einstimmigkeit somit nicht er-zielt war, wird die Entschließung einfach al« Meinung der Mehrheit der Völkerbunds. Versammlung dem Rate zur Kenntnisnahme über- wiesen. Der ganze Streit um die Zuständigkeit«- frag« bleibt aber offen und dürfte in der nächsten Völkerbimdesoersammlung seine Fortsetzung finden. Da» Büro der Völkerbundsversammlung hat beschlossen, die Verhandlungen, wenn irgend möglich, am Sonnabend zu Ende zu führen. Um diese» zu ermöglichen, wurde beschlossen, die Redezeit einzuschränken und di« Vollversammlungen zweimal täglich abznhaltea.
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