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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 23.09.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-09-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192309238
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230923
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230923
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-09
- Tag 1923-09-23
-
Monat
1923-09
-
Jahr
1923
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S«ptE»der Vevisenrazzia In Leipzig Der Steueraußendienst beim Landesftnanzamt Leipzig is in den letzten Wochen tatkräftig und er folgreich dem wilden Devisenhandel zu Leibe ge gangen und hat durch planmäßigen Ucberwachungs- dicnst zahlreiche Einzelfälle von Devisensiebun gen aufged'eckt. Line große Anzahl Fest nahmen und Durchsuchungen förderten aue- ländisch« Zahlungsmittel im Werte von mehr als einer Billion 50V Milliarden Mark zutage. So wurde z. B. bei der Verfolgung eines wilden Devisen händlers entdeckt, daß in einem hiesigen großen Hotel Angestellte die Einwechslung frmnder Zahlungsmittel in unerlaubter Weise betrieben. Dieser Fall allein ermöglicht« eine Beschlagnahme von Devisen für etwa lüO Milliarden Mark. Sogar bei einem Bankgeschäft führten die Ermittlungen zur Aufdeckung groß- angelegter Hinterziehungen von Börsen- Umsatzsteuer und unerlaubter Devisengeschäfte. In den in de» letzten Wochen bearbei teten KLtter» wurden ». B. folgende aus ländische Zahlungsmittel be schlagnahmt: ISS 1,5 Dollar, 13S,8 eng- lrsche Pfunde, 12 830 tschechische Krone», 4 Millionen Ssterr. Kronen, 1867 holläu- drsche Gulden, V68 franz. Kranke«, 653 schweizer Kranke«, 305,5 dLnische Kronen, 335 schwedische Kronen, 505 Lire, 62« rumänische Lei, 337 bulgaische Leva, 250 filmische Mark, 1V4 belgische Kranken, 12,2 estländischc Mark, 101« 810 poln. Mark, 45 745 ung. Kronen, 162 nor wegische Kronen, 4V serbische Dinare, 50 spanische Pesetas, 10 griechische Drach men, 22 leitländische Rubel, 1 südafri kanisches Pfund, 5 türkische Piaster und vcle Millionen russische Lowjetrubel. Antzerdem wurde« von den Bekräufern rund 1 700 000 000 Mark hinterzogene Börseuumsatzstcueren eingezogen. Dieser Erfolg ist um so höher zu bewerten, als das Eingreifen der Steueraußendienstbeamten in sedem Falle zur Einleitung des Strafver fahrens führte, so daß. abgesehen von Freiheits strafen, noch hohe Einkünfte aus Deld- strafen für die Staatskasse zu erwarten sind. Die Tätigkeit der Außendienstbeamten gehört zu den be sonders schwierigen im öffentlichen Dienste und ist häufig mit schweren Gefahren für die Beamten ver bunden. deren verdienstrciche Tätigkeit geradezu der Ilntcröiitzunq durch das Publikum empfohlen werden muß, nachdem sich wiederholt gezeigt hat, daß es im Gegenteil Stellung gegen die Beamten nimmt, wenn nur von den Handlungen der Außcndienstbeamten Betroffene durch ihr Gebühren Stimmung gegen die Dcamten zu erwecken verstehen. * Wöchentlich« Gehaltszahlung an die Beamten. Diese von Regierungsseite beabsichtigte Maßnahme hat unter den Beamten aller Gruppen eine beispiel lose Erregung hcrvorgcrufcn- Nicht die finanziellen Nachteile allein sind cs, sondern auch die weitere Ge fährdung Les Bcrufsbeamtentums, die in der plan- mäßig versuchten Nivellierung der Beamtenverhälr- nisso mit denen der Arbeiterschaft liegen, welche die Leitung der örtlichen Organisationen des Deutschen Bcamtenbundcs veranlassen, am Dienstag, den 25. September, abends 7 Ilhr im Großen Saale des Zoologischen Gartens eine Protestversamm lung zu veranstalten, in der Direktor Renners vom D. B. B. in Berlin sprechen wird. Nachwahl für den 16. Synodalbezirk. Bei der Nachwahl eines geistlichen Abgeordneten für den 16. Synodalbczirk sind insgesamt 564 gültige und 12 ungültig« Stimmen abae-Hrn worden, von denen 1S1 auf Pfarrer Pierling (Wahren), 162 auf Pfarrer Vogel (Böhlitz^hrenberg), 1S4 auf Pfarrer Löwe (Magdeborn) und 37 auf Pfarrer Riedner Knauthain) entfielen. Keiner der gewählten Kan- didaten hat somit die absolute Mehrheit der ab- gegebenen gültigen Stimmen auf sich vereinigt, so daß nach 8 39 Abs. 8 der Kirchenvokstands- und Synodalordnung die Abstimmung wiederholt werden muß. Als anderweiter Wahltag ist Sonn- tag, der 30. September 1923, bestimmt. Wahl- kommissar für den 16. Wahlbezirk Ist Regierung«, rat Dr. Protze. Ein Veteran der preffe Heute vollendet Julius Heiland der Aeltere, der seit 39 Jahren Mitarbeiter des .Leipziger Tage- blattes" ist und jahrzehntelang den lokalen Teil unseres Blattes geleitet hat, sein siebzigste» Lebensjahr. Die ersten Beiträge, die Herr Heiland für da» .Leipziger Tageblatt" schrieb, wurden im Jahre 1884 gedruckt. Seitdem hat er al« Kom- munalpolitiker und Lokalredakteur unserem Blatte treu gedient und 35 Jahre lang allwöchentlich über die Sitzungen der Stadtverordneten berichtet, bis er am 30. Juni 1919 in den Ruhestand trat. Aber der Ruhestand bedeutete für ihn nur Entlastung von der täglichen Kleinarbeit innerhalb der Redaktion-, seine schriftstellerische Tätigkeit, bei der er aus seinem reichen Schatz an Kenntnissen auf dem Gebiet der Geschichte Leipzigs und de» sächsischen Staates schöpfte, war damit keineswegs beendet. Kaum hatte er die Redaktionsarbeit aufgegeben, so begann er sein Ivkalgeschichtlichcs Werk .Leipzig als Großstadt", das 1920 erschien. Auch jetzt noch verfolgt der Siebzig jährige die Vorgänge im Leipziger Gemeindeleben dauernd mit rastloser Aufmerksamkeit und betätigt sich in kommunalpolitischen und stadtgeschichtlichen Aufsätzen. Wir danken Herrn Heiland für die lang, jährige Treue, die er dem .Leipziger Tageblatt" ge halten hat und wünschen ihm, daß ihm die geistige und körperliche Frische, deren er sich erfreut, seine Regsamkeit und Arbeitslust noch lange erkalten bleiben mögen. * Hochherzig« Spende. Agnes Dels a r t o hat den Betrag von 1018 794 000 Mark, da» Teilerträg- nis ihrer beiden letzten Lautenabend«, zu gleichen Hälften der Armenspeisung und den Altersrentnern der Städtischen Theater überwiesen. * Jubiläen. Der Küfer Emil Ni «sch er friert am 24. September sein 40jährige« Dienstjubiläum bei der Firura 3- F- Brems L Co — Am Montag, 24. September, feiert der Putzmeister Johann Weid- mann mit seiner Ehefrau die silberne Hochzeit. Ueberdrnckte 20 VVO-Markschetn«. Au unserer Notiz, daß bei umlaufenden Einmillionenscheinen, die mit Hilfe des 20 OOO-Markscheinee hergestellt sind, Fälschungen aufgetaucht seien, wird uns von amt licher Seite mitgeteilt, daß dies nicht der Fall ist. Die im Verkehr befindlichen Scheine (die Zahl 20 000 ist an der linken Seitenleiste schwarz überdruckt) seien echt. * Die Allgemein« Ortskrankenkasse für die Stadt Leipzig gibt im amtlichen Teil der heutigen Zeitung den Multiplikator für die vierte Septcmbcrwoche be kannt. Freiwillige Mitglieder werden zur Permei. ! düng von Nachteilen besonders auf diese Bekannt- machung hingewiesen, weil sie bei nicht sofortiger Zah- ! lung der Beträge für die rückliegende Zeit mit der Berechnung von Geldentwertung« - Zuschlägen zu rechnen haben. Die Geschäftsraum« der Reichsbanlhauptsteüe sind, wie aus einer Anzeige in dieser Nummer ersichtlich, vom Donnerstag, den: 27. d. M. an bi« auf wettere« täglich von 8^ bis 12 Uhr vormittag« für den Ver kehr mit dem Publikum geöffnet. Gewerbesteuer. Das Steueramt schreibt: .W^r die Abschlagszahlung auf die Gewerbesteuer nach^der Bekanntmachung de» Rates vom IH. September 1K3 bis zum 26. September nicht leistet,' hat' zwangsweise Einziehung zu gewärtigen." Fünf Monate in Peking Bon vrlnneo, Leipzig Bevor wir in dos nächste Land, nämlich Japan, übersiedeln, well ich versuchen, noch ein Bild rcn Peking zu geben. Wenn wir zu unseren Fenstern hiuaussahen, überblickten wir, eingebettet in Bäume und Srräu- chcr, mehrere Legationshäuser, ein großes Stuck der Tatarenmauer und zwei der Mauer aufgesetzte hohe Torbautcn mit übereinanderlieqenden grünen Dächern, womit wir schon ein recht charakteristische» Stück Peking hatten. Jrgenwo sind ja mnver Mauern in China. — Peking hat vor allem ein ganzes System davor:. Da ist also zuerst die Ta taren- oder Mandschustadt von einer hohen Mauer, auf der man spazieren gehen kann, umgeben. Diese 23 Kilometer lange Mauer hat zirka aller 2 Kilometer einen der schon erwähnten schönen Tor. türme aufgesetzt, manche mit vielen Fenstern, und alle sind massige viereckige Bauten, manche mit weh- reren Dächern übereinander. Die richtigen Durch- qangktore aber liegen tief unter den Aufbauten in der Mauer, immer von Fahrstraßenbreite. Jede« Tor hat noch ein Vortor, ebenfalls mit einem Auf- bau. Innerhalb der Tatarenstadt sind ober drei große Komplexe noch für sich ummauert. In der Südost-Ecke das „Legations-Quarter", in dem die größeren Gesandtschaften, auch die deutsche, liegen, und in der Mitte die Kaiserstadt und darin als Kern die „Forbidden-Eity" (Ver botene Stadt), in der bi« 1911 die verschieden sten Dynastien, abgeschlossen von der übrigen Welt, die Geschicke China« lenkten. — An die Tataren- stadt schließt sich im Süden die T h i n e se n st a d t an, die natürlich auch wieder ihre turmgekrönte Mauer hat. — Die Mauer der Kaiserstadt ist, weil eine innere, leichter gebaut al» die der Tataren- und Lhinesenstadt. Zum Teil ist sie sogar mit Arabesken durchbrochen und ohne Türme, die Mauer aber, welche das Innerste, sozusagen das Aller- heiligste der Kaiserstadt, die .Verbotene Stadt" umschließt, ist wieder etwas massiver. Besonders zeichnet sie sich durch ihre schöne dunkelrote Anstrich farbe ringsherum aus. Sic hat auch eine glasierte Ziegelüberdachung in der ockergelben Kaiserfarbe. Die Absverrung nach außen wird außerdem noch durch einen breiten Wassergraben markiert, dei um die rot« Mauer herpmläuft. Nur vier scböne weiße, mit Sknlpuren gezjerte Marmorbrücken führen über dieftn Graben. Di« Tore, durch die man in die „Berbptene Stadt" eintritt, haben besonders schöne Toraufbauten, obwohl etwas Leichter wirkend als die auf der Tatarenmauer, dafür aber farbiger und prächtiger, uyd die Pforten unHn darunter sind wie chinesische Ppjvathaustor«, rot lackiert mit leuchten- d^n Messingklopfern, und stets recht« nnd links ein sreinerner Löwe. — T>te Chinesen haben stet« spür viel von ihren Mauern gehalten, aber eigentlkH ihre gynzc Ge- schichte hindurch irgmer wieder di« Er- fahrung machen müssen, daß auch die stärkste Mauer ernstu^-»: Angreifern nicht stand ¬ haften konnte. Desond-rs "nschaul'ch wird einem die« an der „Großen Mauer", die, wie w'r gleich nach der „Heimatstunde" in der Schule schon lernten, das ganze enorme Chinesische Reich von Nordosten in einem Halbkreis bis Südosten um schließt und nur die östliche und südliche Meersront offen läßt. Ich sag« gleich hier noch ein paar Worte über sie. Wir sahen sie uns also bei der Station Nan-Kai (2 Stunden Bahnlinie von Peking nach der Mongolei) an. So weit da« Auge reicht, klettert und fällt d-'ese« mühsamst« aller Menschenwerke über kahle, einsame Berge und Täler hinweg, und an mehreren Stellen kann man wahrnchmen, wo einst ! Mongolen und Mandschus ins Land cinbrachen. Auch auf der Großen Mauer in Intervallen auf gesetzte Türme, alles, Mauer sowie Türme, aber roher als die architektonisch schönen Stadtmauern. An den von den Feinden beliebtesten Stellen sind noch große Mauer- und Turmvorbauten angebracht. Oft ist es den Chinesen ja auch gelungen, die Feinde an einer Stelle hinter die Mauer zurückzudrängen: e« wurde aber meist nur erreicht, daß diese um so hartnäckiger sich an die Oeffnung einer anderen Stelle heran- nlachten, dort endlich durchkamen, schließlich »m Zentrum von Peking landeten und da für einige Jahrhundert« ihr« Herrschaft aufrichteten. Auch di« bi» 1911 regierenden Mandschus waren, wie bekannt, ein« solch« Fremdherrschaft. Di« 1911 in einer Woche fallenden Zöpfe — viel« Millionen im ganzen Reiche —, waren Mandschu-Zm- port. — Di« Mina-Dynasti«, di« di« Mandschus verdrängt«, war di« letzt« chinesische gewesen, aber vor ihr haben sich in China im Lauf« der Jahr tausende wiederholt innerasiatischc Herrscher mit chinesischen abgewechselt. Die Ming-Dynastie resi dierte seinerzeit zuerst in Nanking, weshalb dies auch oft al« „die alte Kaiserstadt" bezeichnet wird. Später siedelten aber auch die Minas nach Peking über. Di« berühmten Gräber der Ming-Kaiser mit den Steintieralleen liegen deshalb zum Teil in Nankings und zum Teil in Pekings Umgegend. Das Merkwürdigste ist nun aber, daß die ver schiedenen Dynastien, also auch die der fremden Pölkerschaften, sich stets in die vorhandene chinesische Kultur einreihten. Bauten also die jeweiligen Herr- scher neue Tempel und Paläste, so hielten sie den Stil fest, den sie vorfanden, und so kommt es, daß man in Peking, ja in ganz China, eine fast einheitliche Archi tektur vorfindet. Natürlich gibt es Verschiedenheiten in der Ornamentik, dann sind die Dächer in Süd china an den Ecken nach oben gebogen, während sie in Peking und im ganzen Norden nach unten, wie europäische Dächer, auslaufen. Im Norden sind auf jedem Dach, auf den vier Fristen, 7 bi» 9 Dachreiter, die sogenannten Höllen. Hunde, nette kleine Kerlchen, unentbehrlich, während der Südchinese offenbar weniger Vertrauen zu ihnen l>at, höchstens zwei ganz unscheinbare in dis Ecke der Dachkurve setzt, bevor sie nach oben strebt. — Trotz dieser Verschiedenheiten würde man aber in China vergebens Unterschiede suchen- wie sie z. V. unsere Gothik- und Renaissancebauten zueinander aufweisen. Wir wollen uns nun die hervorragendsten Paläste und Tempel von Peking ansehen und gleich in me- ,lias rc>, in dir „Verbotene Stadt" hineinspazieren. Als sich 19ll die Tore der „Verbotenen Stadt" für die Bürger der chinesischen Republik öffneten, war das ein Ereignis von mehr als nur nationaler und politischer Bedeutung. Die unsichtbare Schranke siel, die in nicht parlamentarisch organisierten Monarchien stets Herrscher von ihren Völkern trennt, und die schließlich stets das Verhängnis der Dynastien geworden sind, wenn die Fürsten und ihre Ratgeber nicht klug genug waren, st« beizeiten freiwillig zu entfernen. * Folgen der Vergeßlichkeit. Am Montag gegen t(10 Uhr abend« hat ein Reisender bei der Ankunft de» Eilzuge» aus Chemnitz «ine dunkelbraune, rind lederne Aktentasche mit Mustern von Handschuhen, ferner einer Untertaille, verschiedenen Toilette artikeln, einem russischen Journal und einem Rechnungsbuche in einem Wageyabteil 3. Klasse liegen gelassen. Ein anderer Reisender, der am Dienstag zwischen 2 und 3 Uhr nachmittags auf dem " Bahnhose in Coswig bei Meißen auf den Leipziger "N Zug gewartet hatte, ließ auf dem Bahnsteige von zwei Paketen eines neben einer Bank stehen und be merkte den Verlust erst später. Das zurückgelassene Poker enthielt einen großen dreieckigen, mit Crepe de Laine-Seide gefütterten Maulwurfsschal, etwa 2 Meter lang, im Werte von 30 Dollar. Das PakA bestand aus einem verschnürten Pappkarton. Djzr Verlustträger hat 500 Millionen Mark ass Belohnung ausgesetzt. — — 1 rriicci. mmoi Oes „Bonvivants" Glück» und Ende Bon Kueloi» uowur Vor einigen Tagen war der Direktor eines großen deutschen Theater« bei mir zu Gaste. Er klagte mir sein Leid: Zn ganz Deutschland ist kein Bonvivant ouszutreiben. Ls gibt jugendliche Helden, jung« Liebhaber, es gibt einen Nachwuchs für alle Facher, nur der Bonvivant stirbt aus. E« gab eine Zeit, da war in Wien der Liebhaber am Burgtheater das Vorbild der vornehmen Welt. In allem, was gnt« Manieren, vornehme Haltung, elegante Kleidung, weltmännischen Ton be- ti as. Diese Rolle des Meister« im guten Ton hatte erst Fichtner inne, und dann brachte sie Sonnen- tbal zu souveräner Wirkung Er war in Wien ein Menschenalter hindurch der Mann, nach dem sich all« Männer richteten. Man trug Zylinder ä l.i Sonnen thal (und noch heute greifen tief in der Provinz manche Mimen mit Stolz an die Evnnenth,lisch ge- schweifte Krempe). Man rrug wie er den Frack, knöpfte das Jackett zu wie :r. oder trug cs vifen, wenn er es offen trug, man knöpfte die Krawatten wie er: und kein Elegant hätte eine andere Kragen- iorm getragen, als dis auf d r Bühne von Sonnen thal zur Nachahmung empfohlene. Sonnenthal spielte in der kleinen Welt der Großstadt Wien dieselbe Rolle, wie der Prinz von Wales später in London. Aber da« Amt des vornehm:., Liebhabers im Burgthealer, das Amt, ein gute, Beispiel zu geben, beschrankte sich nicht aus^die Kleidung allein. Alle Operngläser waren auf die Bühne gerichtet, um genau feststellen zu können, wie Sonnenthal eine Tasse Tee handhabte, wie er einer Dam« einen Fächer überreichte, wie er sich verabschiedete, wie er grüßte, wie er ging und wie er sich setzte. Cs war der Ehr geiz aller Weltleute, gute Manieren zu haben. Gute Manieren zählten zur Kultur. Es ist traurig, fest stellen zu müssen, wie sehr der Kurswert der guten Manieren heute gesunken ist. E» gibt keine tadellosen Kavaliere mehr, und die Kava lier«, die tadellos sein möchten, finden kein Vorbild jrednfall» keines auf der Bühne. E« ist nicht ganz richtig, wenn man immer davon spricht, daß die Bühne ein Spiegelbild des Leben ist. Der Bühnenspiegel gibt nämlich meisten» ein Bild der Sitten, wie sie waren oder wie sie sein werden. Der Schauspieler ist entweder ein Schüler der Vergangenheit oder ein Künder kommender Zeit. Auf der Bühne wird die Tradition am längsten ge wahrt und werden die Neuerungen am schnellsten eingeführt. Ilnd zwischen Tradition und Ahnung des Kommenden spielt dis eigentliche Gegenwart die kümmerlichste Rolle. Das klingt zwar paradox, aber man kann den Satz mühelos auf seine Richtigkeit prüfen. Am besten vielleicht, wenn man die Tot ketten der Damen in Betracht zieht. Der Ehr geiz feder Schauspielerin ist es. in Toilettenfragen eine Vorläuferin zu sein. Sie will nicht tragen, was alle Welt trägt, sie will in ihrer Kleidnag so originell, so neuartig w'e möglich sein Ebensogern wie das Kleid der Zukunft trägt sie natürlich das Kleid der Vergangenheit: bas Kastüm. Nnr da« Kleid der Gegenwart verschmäht sie, weil es eben dos Aller weltskleid ist. Die eleganten Lieb haber non einst wollten nicht Kopien der Herr-n im Parkett sein, sondern ihnen Richtlinien für morgen geben. Die Liebhaber von heute haben einen solchen Modenehrgeiz fast völlig aufqegeben. Sie wirken in allen Nlodedingen farblos und indolent; sie denken nicht daran, neuartige Formen zu tragen. Sie sftben nickt über dem Sckn-ider. sondern nnter ihm. Wir haben heute in Deutschland keinen Schau spieler, der die Aufgabe, »in Weltmann zu sein, wie eine Aufgabe der Kunst betrachtet. Der ideale Weltmann aber beißt in der Bühnen sprache der Bonvivant. Das Wort klingt recht alt väterisch Cs scheint aus dem Framösischrn zu kommen und ist doch kein französische» Wort. Man sucht es vergebens in den französischen Wörter büchern. Cs steht auch nicht im Larousse (dem sran- zösischen Konversationslexikon). Ich habe alle fran zösischen Rcmlwörterbücher nackgescklagen, ahne eine Spur des Worte» entdecken zu können. Der Bon vivant ist auf deutschem Boden gewachsen. Ls ist nicht der Viveur, der Lebemann es ist auch nicht die mode'-ne Inkarnation de« Don Juan (Don Juan gehört immer ins Lharakterfach), es ist der Mann, der durch sein« outen Manieren dir Frau-n besticht und berückt. C» ist der Genießer, der die Lebensfreude in vollendeter Form zu predigen weiß. Er ist immer etwa» leichtsinnig und lebt wohl selten in ganz geordusten Verhältnissen, er «acht Schulden und trinkt gerne Sekt. Er hat sehr viel Herz und sehr viel Geist, aber man kann schwer eins vom andern unterscheiden, denn Herz und Geist sprechen bei ihm meist dieselbe Sprache. Sein Beruf ist, ein Lebenskünstler zu sein. Man erfährt selten, ob er nebenbei noch Arzt, Advokat oder Kauf mann ist. Er ist es, von den: die jungen Mädchen träumen, wenn sie einmal in die Eh« getreten sind, denn bis dahin war der Lükbhaber der Inhalt ihrer Schwärmerei. Der Bonvivant setzt nämlich dort ein, wo der Liebhaber aufhört. Er hat die Erfahrung, di« jenem fehlt, di« Ueberlegenheit, dis jener sich erst er obern muß. Der Bonvivant ist der Liebhaber im Relfezu stand. Auch seine Manieren sind gereift. An Stelle der stürmischen Jugend ist die Ruhe, die Zurückhaltung getreten. Weil das Aben- teuer, die Liebe ihn nicht mehr ganz ausfüllt, hat er eben Zeit, on Mode und Eleganz zu denken, ein heitere« Gebäude der Lebensphilosophie zu errichten, in dem er wohnt, wie ein Kunstfreund in seiner Villa. Der Liebhaber ist in allen Genüssen ein Ver diener, d?r Bonvivant ist in diesen Dingen ein Rentner. Beim Liebhaber steht das Feuer an erster Stelle, beim Bonvivant muß oft der Humor da« Feuer ersetzen. Cs gibt so wenig humorlose Bon- vivant», wie es Liebhaber ohne Feuer gibt. Aus dieser kleinen Charakteristik de? Bonvivant» mag man erkennen, warum es heute keine Darsteller diese» Fache» gibt. Und di« wenigen, die man noch auf der Bühne begrüßen kann, stammen au» längst rergangener Zeit. Die Eigenschaften de» typischen Bonvivant» sind nicht zeitgemäß. Deutschland ist verwildert, wie es nach dem Dreißigjährigen Kriege verwildert war. In der neuen Gesell- schäft, die sich jetzt gebildet hat, spielt der Welt mann keine Rolle. Erft die Enkelkinder der heutigen ncuen Reichen werden wieder Manieren haben und Wcltleut« sein. Uns erscheint heute di« Herrrninode in ihren Ver feinerungen sehr nebensächlich. Wir haben andere Sorgen. Das gelten heute Aeußerlichkeiten? Und doch kann man erst bann von einer wirklichen Kultur reden, wenn auch die kleinst« Vernachlässigung einer Aeußerlichksit unser Gefühl verletzt. Denn die Kultur setzt «den die größte Verfeinerung unsere» Gefühl« voraus. Und wenn auch ein Schau- svieler imstande wär«, heute al» Weltmann verbild, lich zu erscheinen, fände er «in Publikum, das ihm nacheifertf Der Weltmann auf der Bühne setzt Deltleute im Parkett voraus. Gewiß werden wir wieder einmal eine Kultur baden und gute Manieren und Sinn für alle Fein heiten des Lebensgenusses. Ob aber dann der Bon vivant von gestern wiedcrkehren wird, möchte ich be zweifeln. Lr war eine typische Erscheinung des 19. Jahrhunderts. Der Weltmann von übermorgen wird ganz anders sein als der Weltmann von vor gestern. Und die Viihnensvrache wird ein neues Dort für ihn erfinden. Drr Bonvivant ist endgültig tot. Er ruhe im Frieden. Ferdinand Kvenarius s Au» Berlin wird uns gedrahtet: Der langjährige Herausgeber des „Kun st wart»" Dr. b. c. Ferdinand Avenarius ist, 67 Jahre alt, auf der Insel Sylt gestorben. In Berlin geboren, studierte Avenarius in Leipzig und Zürich erst Naturwissenschaften, dann Kunst und Literatur, und ließ sich dann in Dresden nieder. Seine Lebens aufgabe iah er in der Popularisierung der bildenden Kunst, und zu diesem Zwecke gründete er den .Kunst wort*. Er führte den Kamps gegen den Kitsch im Wandschmuck sDürer-Biind) erfolgreich durch Heraus- nabe ftiner K ü n st l e rm a p p e n, die sich schnell überall Eingang verschafften, durch. Auch literarisch hat sich Avenarius durch mehrere Gedichtbände, eine Anthologie „Hausbuch der deutschen Lyrik" und eine Monographie über Max Klinger betätigt. In letzter Zeit hat sich Avenarius der Friedens- und Völker- bundidec zugewandt und die Leitung des „Kunst- wart»" seinem Mitarbeiter Paul Schumann über laden. Bachhtvdterschftisselzahl »5 «Lion«. M Wirkung vom 22. September wurde di« Scklsissel- zahl von 30 auf 35 Millionen heraufg^etzt. »Di« Freier", ein romantisches Lustspiel von Joseph v. Eichendorfs, da« jetzt im Leipziger Schauspielhause gespielt wird, ist in Reelam, Univer- salbibliothek in der neuen Dühnenboarbeftung von Otto Zoff erschleuen. Klei»« kheateruptitz. Frl. Irmgard Richter (früher am Alten Theater, Leipzig) wurde ssach er- solgreichem Gastspiel als Luis« Millerin an da» VrÜnmer Stadttheater al» erste Sentimentale verpflichtet.
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