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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 14.09.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-09-14
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192309140
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230914
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230914
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-09
- Tag 1923-09-14
-
Monat
1923-09
-
Jahr
1923
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Sette 2 Kr. 218 „Organisation G" 6i« bedeutsamer Areispruch vor dem Leipziger (Schöffengericht Vor dem Schöffengericht in Leipzig wurde gestern ein Urteilsspruch in einer Angelegenheit gestillt, die wegen ihres ergänzenden Charakters zum Rathenau- Prozeß von allergrößter Bedeutung ist und deshalb vollste Beachtung verdient. Die Anklage bezog sich auf einen mit „Organisation G" überschriebenen Artikel, der in den Tagen des Rathenau-Prozesse« non der „Neuen Leipziger Zeitung"' veröffentlicht wurde. Darin wurde dec Nachweis dafür erbracht, daß eines der Motive der politischen Verirrung der Jugend, die sich bei den Techows und Genossen bis zur Mordtat ausgewachsen hatte, ans dem Einfluß einer nationalistisch-monarchistisch gesinnten Lehrer» schäft beruhte. Der erwähnte Artikel, dem größten teils eigene Beobachtungen des Verfassers zugrunde lagen, bezog sich auf die Zustände des vj»)m«asi«rms Berlin Friede»,«« zur Zeit des Kapp-Putschcs. Der Direktor dieser Anstalt, reges Mitglied der Bürgerwehr, war nach dem Einrücken der Ehrhardt- Brigade ganz offen für Kapp eingctreten, hatte den Schülern Dispens zur aktiven Teilnahme am Putsch gegeben und war auch nach Erledigung dieser staats verbrecherischen Aktion warm für den entflohenen Kapp eingetreten. Diese eigenartige Stellungnahme entsprach durchaus dem Geiste, der an dieser Lehr anstalt obwaltete. Hierfür nur zwei Beispiele: Im Mai 1920, also zwei Jahre nach der Re volution» hingen die Kaiserbildcr noch in den Klaffen- zimmern. Zwei Oberprimaner, die im Mai 1920 die Hohenzollernbilder entfernten und somit nur die be kannte Verordnung des damaligen Kultusministers Hönisch zur endlichen Durchführung brachte», wurden wegen dieser Handlung schwer gerügt. Die Kaiser bilder wirkten wenige Minuten später von ihren alten Plätzen „erzieherisch" auf die Klaffe ein. In einem anderen Talle wurde das bekannte Titelbild der „Berliner Illustrierten", das den Reichspräsiden ten Ebert und den früheren Rcichswehrminister Noske im Secbadc wicdergab, und das seit langem als gefälscht erkannt worden war, in einer Klaffe auf gehängt. Als ein republikanisch gesinnter Ober primaner gegen die maßlose Verhöhnung des Reichs oberhauptes und somit auch der Etaatsform einschritt und das Bild zerriß, wurde er vom Direktor ver warnt, „weil er ein fremdes Klassenzimmer aus gesucht hatte". Das zerrissene Bild wurde zusammen geklebt und bekam wieder seinen „Ehrenplatz". Als der Vater dieses Oberprimaners diese Verhältnisse in Form einer Beschwcrdcschrift dem zuständigen Schulrat Michaelis, Bruder des früheren Reichs kanzlers, zusandtc, erfolgte eine in jeder Weise lächer- liehe Untersuchung. Das nicht genug: der Schulrat Michaelis erschien als Oberhaupt der Prüfungs kommission beim Abituricntenexamcn der Klaffe, welcher der gereizte Republikaner angehörte, und richtete an ihn die Frage: „Warum nennt Oswald Spengler die Revolution von 1918 „Die lächerliche?" Diese unhaltbaren Zustände und das Verhalten des Schulrates bildeten die Unterlagen zu dem oben erwähnten Artikel. Zum Prozeß kam cs, weil sich die vorgesetzte Schulbehörde, das Schulkollegium der Provinz Brandenburg, veranlaßt sah, wegen ver leumderischer Beleidigung gegen den Verfasser Straf antrag zu stellen. Nach eingehender Beweisaufnahme des Leipziger Schöffengerichts stellte der Staatsanwalt folgenden Antrag: Der Antrag des Staatsanwalts „Es ist nicht zu verkennen, daß die Verhältnisse, wie sie damals an dem Gymnasium Berlin-Friedenau beobachtet worden waren, nicht die erfreulichsten ge wesen sind, wenigstens soweit cs sich auf die Republik bezieht. Ich gebe zu, daß der Wahrheitsbeweis zu cincm großen Teile dem Angeklagten heute durch seine Darstellungen gelungen ist. Was die Frage des Schulrates Michaelis wegen de» Abituricntencxainrns mit Bezug auf die Schrift von Oswald Spengler „Preußentum und Sozialis mus" betrifft, so hat die Verhandlung ergeben, daß die Frage nur in dem Sinne gestellt ist. „Warum nennt Oswald Spengler die deutsche Revolution die lächerliche?" — Es ist also eine andere Darstellung, als in dem Artikel gegeben wurde. Daß eine gewisse Tendenz in der Frage des Schulrates liegt, daran zweifele ich nicht. Ich muß deshalb die Bestrafung erbitten, weil der Wahrheitsbeweis nicht in vollkommenem Umfange gelungen ist. Ich betone ausdrücklich, daß der Artikel einer wohlgcmeintenAbsicht entsprungen ist, Mißstände zu kritisieren, die unhaltbar sind nnd die zweifellos von einem antircpublikanischen Geiste zeugen. Rechtsanwalt Dr. Uh le, der Verteidiger des angeklbgten Artikclschreibers Heinrich Gut- mann, der damals Abiturient des Fricdenauer Gymnasiums war und des für die Veröffentlichung de» Artikels verantwortlichen Schriftleiters W a l t e r Rogatzky, kritisierte in bestellender Schärfe die Mißstände an dem Gymnasium Berlin-Fricdenau, so daß nicht der einzeln Angeklagte, sondern da» Sy stem, das zum Delikt geführt hat, vor Gericht stand. Die Schulbehörde, die einen in Wahrnehmung be rechtigter Stantsinteressen handelnden Redakteur zu treffen gesucht hatte, wurde selbst zum Angeklagten und nach dem Spruch des Gerichtes zur Verurteilten. Oer Freispruch Rtztch einftÄnViaer Beratung verkünvete ves Gericht folgendes Urteil: Die An geklagten werden freigefprochen, die «osten des Verfahrens auf die Staatskasse über nommen. In den Entschcidungsgrünoen lieißt es: Das Schöffengericht hat zunächst au» dem Artikel vom 10. Oktober 1S22 nur diejenigen Stellen vorqcnom- men, die sich tatsächlich auf die Schulreden Dr. Michaelis' beziehen. Hiernach behauptet der Ver käster, daß Schuldirektor Dr. Busch in die Ober prima hineinqernsen habe: „Meine Herren, ich ap pelliere an Ihr Vaterlandsgesübl, lasten Sie sich in die Ehrhardtbrigade einstcllen. Ich dispensiere Sir!" Diese Worte find in dieser Weise zwar nicht voll be wiesen. aber der als Zeuge vernommene Schuldirektor Dr. Dusch hat sich in einer auffälligen Weis« bei seiner eidlichen Vernehmung zurückgehalten, indem er sagte: „Ich glaube nicht, bei den Jungens an ihr Vaterlandsgefnhl apvelliert und fie zum Eintritt in die Brigade aufgefordert z« haben." Das Schöffen- Leipziger l'ggedlstt uaS »LuäelsreHuag kreltsg, äea 14. September Stresemann über Deutschlands Politik Opfer für den Staat — Mehr Produktion — Thiers' Lob für der nationalen Leidenschaften ««richt kann auf diese zweifelhafte Aussaqe kein Se- wicht lege». Ss ist bewiesen, daß der Schuldirektor Busch tat sächliche eine ausgesprochene antirepublikanische Ge sinnung bekundet, und zwar nicht durch Worte seinen Schülern gegenüber, sondern auch durch die Tat. 'Kaiserbildcr und Ebert-Noskc-AusnahmeI Das Gericht hat die Urberzeugung gewonnen, daß die Motivierung mit Disziplinlosigkeit nur eine leere Ausrede war, mit der Gutmann gemaßregelt wer den sollte. So ist da« Gericht zu der Ueberzeugung gekommen, daß eine Beleidigung für Busch nicht vor liegt. Was die Beleidigung gegen Michaeli» betrifft, so hat das Gericht als festgestellt erachtet, daß Michae lis den Angeklagten Gutmann vor dem Abiturien- tencxamen bereits gekannt hat, nämlich au» einem Disziplinarverfahren, das von dem Vater Gutmanns gegen den Direktor Busch beantragt worden war. Gutmann hat glaubhaft versichert, er sei von Michae- lis vernommen worden. Wenn dies Michaelis in § seiner Aussage so hingestellt, als sei ihm Gutmann nicht bekannt gewesen, so hat das Gericht Beden ken getragen, dieser Aussage Glau- ben zu schenken. Gegen Mill)aelis wird vor geworfen, er habe sich während der Prüfung zu dem Ausspruch verleiten lassen: „Warum ist die Revo lution von 1918 lächerlich gervescn?" In dieser Form ist, wie das Gericht nicht verkennt, die Frage wohl nicht gestellt worden, aber trotzdem hat das Schöffen gericht angenommen, daß diese Fragestellung offen bar einen ganz besonderen Nebenzweck hatte, näm- lich den, den Angeklagten Gutmann zu N effen. Er wollte offenbar dessen republikanische Gesinnung vor den Lehrern und der Klaffe bloßstellen. Pädagogen Im allgemeinen dringt aus der Abgeschlossenheit der Schulzimmcr nicht viel Kunde in die Oeffentlich- kcit. Was den Heranwachsenden Staatsbürgern von den durch den Staat bestellten Lehrkräften bei gebracht wird, das kontrolliert keine Außenstelle. Hätte die Revolution von 1918 keinen anderen Erfolg gehabt, als daß sie die Unzulänglichkeit mancher Pädagogen in dieser Hinsicht ins Licht rückt, sie wäre nicht unnütz gewesen oder gar „lächerlich". Denn was hat ein Staat noch für einen Zweck, wenn seine Jugend bereits auf der Schule in seelische Un freiheit verstrickt wird? Wie schlimm es aber in dieser Hinsicht auf manchen deutschen Schulen — und zwar höheren! — bestellt ist, hat bereits der Rathen au-Prozeß gezeigt, in welchem der verderbte Primaner Stubcnrauch seine furchtbare Veranlagung als eine Reife aufwies, die ihm unter der Pfiege von Lehrern geworden war. Heute nun hat das Leipziger Schöffen gericht den Beweis dafür erbracht, daß auf dem Gymnasium Berlin-Friedenau Anschau ungen gepflegt und den jungen Leuten beigebracht wurden, die nicht anders als das Gegenteil von „humanistisch" genannt werden können. Wenn Humanismus freie Menschlichkeit bedeutet, so fällt eine Schule, in der den Schülern historische Dinge und bestehende Staatscinrichtungen lächerlich und verächtlich gemacht und freimütige Jünglinge durch suggestive Fragen in die Enge zu treiben versucht wird, wahrhaftig nicht in diesen Rahmen. Auf dem Frirdenaucr Gymnasium haben Lehrer — keine Dors- schulmcistrr, sondern Männer mit universaler Bil dung — von den Staatsmännern der Republik vor den Schülern genau dieselben kitschigen und gehässi gen Bilder entworfen, wie der enge Sinn des Un gebildeten sie sich immer vorstellt, weil ein Nach denken über ihre Ziele und staatliche Daseinsberechti gung ihm zuwider ist. Das erbärmliche Bild, das den Reichspräsidenten in der Badehose darstellt, ist von diesen Pädagogen als Erziehungsmittel mit be- nützt worden. Denn da sie nun einmal schon die Revolution vor ihren Schülern als „lächerlich" hin- zustellcn bestrebt waren, mußten sie freilich auch auf dementsprechende Unterrichtsmittel sinnen. So wurde mn Primaner, der jenes schftbigq Bild zerr.ssen hatte, darob gerüffelt: das Friedenauer Gymnasium wollte ihn eben mit der Reife für einen Geschmack an Geschmacklosigkeit ins Leben hinausgehen lassen. Darum haben sich diese Pädagogen nicht ge kümmert, ob bei ihrer scharfen Ablehnung der Republik ihr Verbleiben in einer von der Republik besoldeten Stellung den von ihnen zu Idealen zu erziehenden jungen Leuten in Zweifel hätte ver setzen können. Tag für Tag sind sie mit der inneren Lüge vor ihre Klaffen getreten: bezahlter republi kanischer Beamter und Aufwiegler gegen die Re publik. Das Schlimmste mußte so der Pädagogik geschehen: sic wurde smart. Nach außen vor der vorgesetzten Behörde untadelig, fordertern diese Lehrer in der Abgeschlossenheit der Klaffe die Schüler auf, sich den Verschwörern gegen den Staat anzuschließen. Sie, die doch den Eid auf die Verfassung geschworen hatten, stellten die suggestive Frage: „Warum heißt die deutsche Revolution die „lächerliche Revolution?" Sie hätschelten den Haß gegen die legitime Verfassung, und die ihr dienenden Staatsmänner vor der ein drucksfähigen Jugend verächtlich zu machen, schien ihnen ein „humanistisches" Werk, also Pflege der Menschlichkeit. Der Prozeß vor dem Leipziger Schöffengericht hat dargetan, was kaum verwunderlich ist: die Seelen solcher Männer, die sich in derartigen Winkel- zügcn betätigen, sind verkrampft. Nachdem sie ver gebens bemüht waren, Schüler zu der Reife eines Stubenrauch zu bringen, setzen sie gegen die Ent- laffcncn — das Gericht der aus der „lächerlichen Revolution" hcrvorgegangenen Republik in Be wegung! Verführung, Zorn über Mißlingen, Ver geltung. Und dann? „Das Gericht kann auf die zweifelhafte Aussage des als Zeugen vernommenen Dr. Busch kein Gewicht legen, da er sich bei seiner eidlichen Vernehmung auffallend zurückgehalten hat", so sagt die Urteilsbegründung. Und einem Oder schulrat Michaelis — dessen Bruder sogar einmal da höchste Amt im Staate batte, und noch dazu, als dieser noch nichts „Lächerliches" an sich hatte — muß das Gericht sogar das Gedächtnis auffrischen. Um sich so recht al» gekränkte Unschuld hinzustellen, hatte dieser Pädagog ausgcsagt, er kenn« de« Beklagten, der ihn so gekränkt habe, ja gar nicht und könne ihm auch keinen Grund zu Beleidigtsein gegeben haben. Das Gericht aber hat Bedenken getragen, dieser Aussage Glauben zu schenken." Der beklagte ehemalige Schüler ist freigesprochen worden; die Lehrer sind die Verurteilten. Wer di« Techows gesehen hat — wer mit angehört hat, wozu Stübenranch ganz kalt bereit gewesen ist, der wird trotzdem diesen vor dem Leipziger Schöffengericht al« moralisch verurteilten Pädagogen Glück dazu wünschen, daß die innere Reinheit ihrer Zögling, sie, die Lehrer, davor bewahrt hat, an noch Schlimme rem schuld zu werden. ch. V, Bismarck — Beschwichtigung Berit«, 12. September. (Eig. Tel.) In der Presseabteil u NH der Reichsregierung sand heute abend aus Einladung ihres Leiters ein Empfang der Presse statt, zu dem auch der Reichs kanzler, die Reichsmini st er nnd eine große Anzahl hervorragender Persönlichkeiten erschienen waren. Nach einer kurzen Begrüßungsanspcache des Ministerialdirektor» Kalle ergriff Reichskanzler Dr. Glresemann das Wort zu einer längeren Rede: „Mein sehr verehrter Herr Ministerialdirektor! Darf ich Ihnen namens der Mitglieder der Reichs regierung meinen verbindlichen Dank sagen für die Worte der Begrüßung, die Sie an uns, und die Sie an mich insbesondere gerichtet haben. Ich freue mich, daß Sie mir Gelegenheit geben, durch ein Zusammen sein mit den Vertretern der deutschen Presse diejenigen Beziehungen weiter zu pflegen, die ich vom ersten Tage ab versucht Hobe herzusteilen. Man hat ja angesichts der öffentlichen Erörterungen der letzten Zeit die Frage aufgeworfen, ob die großen Probleme, nm die wir gegenwärtig ringen, durch Reden, durch Aufsätze überhaupt, weiter zu fördern wären. Reden und Aufsätze allein schaffen gewiß keine Taten. Aber ich glaube, die öffentliche Meinung ist gerade dann ein Machtfaktor, wenn es sich um Zeiten handelt, in denen cs viel, wenn nicht alles, auf das Empfinden und auf den Willen eines Volkes ankommt. Deshalb benutze ich gern auch diese Gelegenheit, um über einige der schwebenden Fragen der inneren und äußeren Politik hier vor Ihnen zu sprechen. Erwarten Sie nicht, daß ich dabei irgendwie die Ab sicht habe, eine Programmrede zu halten. Was ich über den allgemeinen Stand der Dinge zu sagen habe, das habe ich vor kurzem anläßlich eines Be suches in Stuttgart zum Ausdruck gebracht. Ich kann bezüglich der allgemeinen Richtlinien nur auf das damals Gesagte verweisen. Meine Herren! Wenn wir gegenwärtig die Lage betrachten, so bietet sic ein Bild äußerster Span nung, Lukerster Spannung auch in» Innern. Unsere Finanzen sind in einer schlimmen Verfassung. Die Wirtschaft spürt die Folgen der Abschneidung von der Ruhr, und sic spürt die Folgen einer über stürzten Preis- und Lohnpolitik. Die Preise liegen teilweise schon über den Weltmarkt preisen, die Löhne sind vielfach schon über den Friedenslöhnen. Ohne Opfer sind diese Fragen nicht zu lösen. Ein Opfer für das Reich waren die Steuern, die unter der Regierung meines Amtsvorgängers vom Reichstag beinahe einstimmig bewilligt worden sind. Die Erhebung dieser Steuern fällt in schwierige Zeiten und bringt gewisse Unzu träglichkeiten mit sich. Die bayerische Staats regierung hat an die Reichsregierung den Wunsch gerichtet, daß in eine Prüfung über E r - leichterungcn, die auf diesem Gebiete zu ge währen seien, eingetreten werde. Diesem Wunsch werden wir willfahren. Ich darf aber darauf Hin weisen, daß bereits, bevor dieser Wunsch an uns herantrat, seitens des Reichsfinanzministcriums manches in dieser Richtung hin geschehen ist. An die Finanzämter sind bereits Anordnungen ergangen, nicht erträgliche Härten zu be seitigen, Stundung und Erlasse, namentlich für Leute kleiner Vermögens- und Einkommensverhält nisse, zu schaffen. Die Wirkung der Steuern wird dauernd überwacht. Wo Abhilfen unabweisbar sind, wird eingegriffen werden. Aber wenn das auch geschehen kann, so muß man sich darüber klar sein: Wir müssen vem Staate geben, was Ves Staates ist! Gewiß muß, wenn auf diesem Gebiete stark ein gegriffen wird — bei Regelung der außenpolitischen Fragen wird noch weit stärker in den Besitz und die Wirtschaft eingcgriffen werden müssen —, auch ge fordert werden, daß die Arbeitgleichfalls gesteigert wird. Das betrifft sowohl die Frage der Arbeitsintensität als auch die Frage der Ar beitszeit. Das Kabinett wird sich in den näch sten Tagen zunächst mit der Frage besäsiiftigeu, wie eine Erhöhung der bergbaulichen Pro duktion im nichtbesetztcn Gebiet zu ermöglichen ist. E» ist nichtz u ertragen, wenn in 17 Schächten des Steinkohlenbergbaues im unbesetzten Gebiet die Förderung eminent zurückgeht, anstatt der Mehr förderung, die wir brauchen, so daß wir durch das Zurückgeyen der Arbeitsintensität gezwungen sind, unser deutsches Geld hinzugcben, um mit fremden Devisen englische Kohle zu kaufen. Es ist niemand berechtigt, den Staat durch Minderleistung in dieser Weise zu schädigen. Die Opfer, die das Reich vom außenpolitischen Gesichtspunkt aus von der Wirtschaft in Zukunft verlangen muß, können erst recht nicht ohne eine wesentliche Prcduktionssteigerung geleistet werden. Dazu gehört aber auch, wenn die Wirtschaft in Ordnung kommen soll, eine vernünftige Preispolitik. Heute steht alles unter dem Druck einseitiger Preis festsetzungen. Die Aufrechterhaltung der Verbindlich, leiten solcher Preisfestsetzung ist schließlich davon ab- hängig, daß eine normale Preisbemessung erfolgt. Die Regierung wird den Wünschen der exportierenden Kreise in bezug auf Erleichterung der Aus- fuhrkontroll« nnd der Auefuhrabgabe weit entgcgenkommcn. Aber entscheidend ist und bleibt für unsere Zukunft die Aufrcchterhal- tung der Konsumkraft, und nach dieser Rich tung kann die Lohnpolitik, kann die Frage der Arbeitsintensität auch nicht unabhängig von der Preispolitik betrachtet werden. Der Währ un «»verfall ist bei uns weiter fortgeschritten im Zusammenhang mit den Verhält nissen der deutschen Reichsfinanzen. Dir haben keine Angst davor gehabt, in bezug auf währungs- technische Mittel auch drakonische Maßregeln zu ergreifen. Aber damit wird das nicht getan. Richt allein mit Verboten, mit Bestrafungen kann diese technische Frage gelöst werden. Es handelt sich darum, daß daneben positive Maßnahmen erfolgen. Ich glaube annchmcn zu können, daß innerhalb der nächsten beiden Wochen die Frässe Des werttreftänvigen Geldes gelöst ist, damit wir in der Lage sind, namentlich der Landwirtschaft gegenüber die Fortbewegung der Auf- nähme der Lieferungen der Ernährung sicherznstcllcn. Man hat der Regierung Vorwürfe darüber ge- macht, daß sie diese Frage nicht schnell gelöst hätte. Diese Kritik geht vorbei an der großen Schwie rigkeit des Währnngsproblems über haupt. Auf keinem Gebiet sind die Meinungen über die Wirkungen irgendeiner Maßnahme so aus- cinandcrgthend wie auf dicsem Gebiete. In den Kreisen der Sachverständigen sind im engsten Kreise der Befragten die Auffassungen darüber, was der richtige Wca ist, am meisten voneinander verschieden. Bei all der drängenden Not der Gegen wart wollen wir doch an dem einen festhalten, daß wir nicht die Wichtigkeit durch die Fixigkeit leiden lassen. Wir dürfen nicht die Frage eines wert beständigen Geldes für Deutschland, von der un- endlich viel abhängt, zum Gegenstand eines un überlegten Experiments machen. Die Frage der Er richtung einer G o l d n o t e n b a n k, der Errichtung irgendeiner Währung auf der Basis der Berechnung landwirtschaftlicher Erzeugnisse ist für niemanden von uns im Kabinett ein Gegenstand parteipolitischer Einstellung gewesen. Es gibt keine Partei politik in diesen Währungsfragen. Es sollte überhaupt keine Parteipolitik in Wirtschafts- fragen geben. Diese sämtlichen Fragen, bei denen es sich um so unendlich bedeutungsvolle Entscheidungei', handelt, können nur rein sachlich gelöst werden, sind von uns auch nach rein sachlichen Gesichtspunkten gelöst worden. Wir hoffen, daß durch die Ein richtung von t^olv'onte»» bei vcr Reichsbank nnd durch wertbeständige Kredite auch dem Wunsche und dem Bedürfnis weiter Wirtschaftskreisc nach Sicherheit ihrer Anlagen Rechnung getragen wurde. Aber ich möckte das eine dabei betonen: Ganz fa l sch wäre es, diese Maßnahmen so aufzufassen, als wenn die Neichsrcgicrung nun die Mark als solche auf gegeben hätte. Die Mark muß Zahlungs mittel bleiben, und die sämtlichen Maßnahmen, die hier erfolgen, gehen von dem Gesichtspunkt aus, dadurch auch irgendeine Stabilisierung dec Mark wiederherzustellen. Sie gehen aber nicht davon aus, den Einzelnen zu veranlassen, nun seiner seits die Mark zurückzuwcisen und sich nur auf neue Wcrtmittc! einzustellen." .Aber auch positive Mittel zur Behebung des Ver falls der Währung, wie die Errichtung der Gold- nntenb a n k, bringen diese Frage nicht zur Heilung. Offenheit ist Lesser als Illusion, und deshalb wallen wir es offen anssprcchen: ohne Lösung des a u ß e n p o l i t i s ch e n Konfliktes ist die Fi» nanzfrage nicht in O r d nn n g zu bringen, der Verfall der Mark nicht aufzuhalten, eine wirtschaft liche Gesundung nicht herbcizuführen. Die Regierung hat sich vom ersten Tage ihres Amtsantrittes an die Löfnna Ves Rnhrkonsrikts zur Aufgabe gestellt. Es war klar, daß diese Lösung nicht allein durch die Fortsetzung des passiven W r i) e r st a n ö e s er folgen konnte. Machtpol-.tisch, wie ein führendes rcichshauptslädtisches Blatt cs dnrstclltc. war diese Frage nicht zu regeln. Auch der ehemalige Reichs kanzler Cuno hat, wie er wiederholt versichert hat, niemals davon gesprochen, daß Verhandlungen über die Reparationssrage erst nach Räumung des Ruhr gebietes erfolgen sollten. Das Ziel des pas siven Widerstandes konnte nur sein, das Ruhrgebiet zu befreien. Eine interessante historische Parallele hat Kronprinz Rupprecht in München an läßlich einer Zusammenkunft eines dortigen Offi- zicrsverbandes gezogen. Mit vollem Rechte betonte er, daß Selbstvertrauen nicht Selbst überhebung sein dürfe. Er erinnerte daran, daß Friedrich der Große sich die Maxime Nichelieus zur Richtschnur gemacht habe, daß dem Sieg zur Seite stets Verhandlungen mit dem Feinde laufen müßten, ebenso wie er den Ausspruch des großen Prcilßenkönigs zitierte: „Bei widrigem Wind muß man die Segel reffen". Von demselben Gesichtspunkt ausgehend, hat die Regierung gehandelt. Sie würde sich das größte Ver dienst erwerben, wenn sie den Ruhrkonflikt soweit als möglich abkürzen könnte. Aber die bisherige Fühlungnahme zeigte sogleich die bestehen den Schwierigkeiten. Für uns ist entscheidend die Frage der LouvcrönitLt über Vas Rheinlanv und die Wiedergewinnung der Freiheit des Ruhr- gebiete». Der französische Ministerpräsident hat kürzlich in seiner Rede ausgesührt, er zöge die positiven Sicherheiten, die Frankreich in der Hand habe, den schönsten theoretischen Rech ten vor. Er beabsichtige nicht, Pfänder gegen all gemeine Garantien einzutanschen, nnd er hat weiter betont, daß die Garantien, die ich in Vorschlag ge bracht hatte, zu den Hypotheken gehörten, welche der Versailler Vertrag den Alliierten auf den gesamten Besitz des Reiches und der Län der gebe. Diese Auffassung des französischen Mi» nistcrpräsioenten muß ich als irrtümlich be- zeichnen. Nach dem Bersailler Vertrag haftet für die Verbindlichkeiten Deutschlands das Vermögen des Reiches und der Länder. Was ich in meinen Darlegungen vorqeschlagen habe, betraf die unmittel, bare Heranziehung des privaten Be sitzes. Ich gehe deshalb in diesem Punkte über den Versailler Vertrag hinaus. Ebenso ist aber die Heranziehung des Privatbesitzcs ein realisierbares Pfand, während die Sicherheiten des Ver sailler Vertrages alle derzeit nichts sind. Wenn auf Reichsbesitz und Privatbesitz der Wirtschaft als Pfandrecht an erster Stelle .Hypotheken pissunsten ves Reiches eingetragen werden, und zwar in Höhe eines bestimm ten Prozentsatzes dieses Besitzes, so können diese
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