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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 30.08.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-08-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192308305
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230830
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230830
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-08
- Tag 1923-08-30
-
Monat
1923-08
-
Jahr
1923
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Seite 2 Nr. 205 fes Parlament darf nie vergesssen, daß der ganze Sinn des Parlamen tarismus in dem Vertrauens»« häitnis zwischen Volksvertretung und Regierung ruht. Das ständige De- mißtrauen des freiwillig mit Vertrauen ausgc- statteten Kabinetts durch die Vcrtrauensgeber ist ein glatter Widersinn. Das Vertrauen kann jederzeit entzogen werden, aber so lange es ge- währt wird, muß das Kabinett in seinen ein zelnen Handlungen frei sein. Ls ist heute außerordentlich lehrreich zu sehen, wie oer Akt der Machtübertragung vom Parla ment auf die Negierung, als den die Regie rungsbildung sich darstellt, in dieser furchtbaren Zeit von der öffentlichenn Meinung so vollkom men und weitgehend wie nur möglich gefordert wird. Ls ist nicht nötig, in diesem Zusammen hang von Diktatur zu sprechen. Das Parla ment bleibt unangetastet in seiner dominieren- den Machtstellung als Vertreter der souveränen Nation. Aber Notzeiten wie die deutsche Gegen wart erzwingen die Machtübertragung auf die Regierung des allgemeinen Vertrauens in ganz anderem Ausmaße wie normale Zeitläufte. Hierin erweist sich eben die große und glückliche An passungsfähigkeit der Demokratie und des parla mentarischen Systems im besonderen. Reichs kanzler Stresemann hat dieser Tage von diktato- rischen Maßnahmen gesprochen, vor denen er nicht zurückschrecken wird, wenn die für das Reich lebensnotwendigen Devisen anders nicht zu er langen sind. Er kann der Zustimmung der Na tion und des Parlaments sicher sein, wenn er in letzter Stunde mit fester Hand die Zügel er greift, ohne in jedem einzelnen Fall die Partei führer zu bemühen oder sich hinter einer Sonder- ubstimmung des Reichstages zu verbarrikadieren. Man kann überzeugt sein, daß der Reichstag jene staatsmännische Selbstbescheidung üben wird, die den Parlamentarismus nicht etwa zerschlägt, sondern ihn adelt und im Bewußtsein der Na tion befestigt. Die Not mußte uns erst bis an den Hals steigen, um Volk wie Parlamennt diese Erkenntnis ins Bewußtsein zu hämmern. Der Nus nach dem starken Mann, den die oppositio nelle Rechte jahrelang angcstimmt hat, nach dem starken Mann, der sich zum Diktator aufschwin- ocn und das Parlament an die Wand drücken sollte, war ein politischer Unfug geworden. Solche Ausgeburten einer kranken politischen Phantasie haben nur dann Aussicht, Wirklichkeit zu werden, wenn das Parlament, im Formalen besangen, seine natürliche Elastizität einbüßt und also m litisch versagen muß. Ls ist nicht zu be zweifeln, daß ein solches Parlament vom Un willen des Volkes hinweggefegt würde. Das Kabinett Stresemann hat, so wenig Ur sache für den Demokraten besteht, ihm jubelnd znzusliegen, einen guten Anlauf genommenen. Ob es über die Kopfe verfügt, die notwendig sind, die schwieriae Situation zu meistern, steht dahin. Aber erfreulich und erfrischend wirkt in dieser Zeit der Drangsal der ernsthafte Ver- such des Kabinetts, wirklich zu regieren. Daß der Reichstag dieser Negierung der großen Koa- lition, die der Druck der Not erzwungen hat, in die Parade fahren wird, ist auch dann nicht zu befürchten, wenn die Regierung in Fällen, in denen die Verfassung ihr das Recht dazu gibt, auf dem Verordnungswege widerstrebende Dinge energisch anfaßt, die man auch vor den Reichstag bringen könnte. Gefahr der Hemmung droht nicht aus dem Parlament, kaum auch aus dem Volke — zu tief ist uns allen der Schrecken in die Glie der gefahren —, sie besteht nur in der Möglich, keit eines Ermattens der Energie im Schoße der Negierung selbst. Möge sich die Regierung be wußt bleiben, daß ohne eine gute Dosis Rück- sichtslosigkcit niemand der innerdeutschen Ver hältnisse Herr werden kann. Zwar vermag uns nur eine endgültige Rege lung der Rcparationsfrage zu retten, und die Staatskunst des Kabinetts wird sich allein in der kommenden Auseinandersetzung mit der Entente bewähren können. Aber unerläßliche Voraus setzung ist, daß bis dahin der deutsche Staat funk- tionsfährg erhalten wird. Dieser Notwendigkeit dienen die finanzpolitischen Maßnahmen der Ncichsregierung. Es ist der Lebenswille der Nation, der sich in den harten Steuerforderungen auswirkt, der im Notfall auch über Einzelexi- st en z en Hinwegschreiten darf. Das Schicksal der Republik, das Schick- sal Deutschlands hängt daran, daß die Neichsregierun'g ihren Be- ruf al» das Vollzugsorgan des immer noch ungebrochenen deut schen Selbsterhaltungstriebes er kannt und erfüllt. vorgehen Zeverings gegen die Kommunisten Berlin, 28. August. Nach dem „Amtl. Preußischen Prcs'eüicnst' hat derMinistcr des Innern auf Grund des Gesetzes zum Schutze der Repu blik den Zentralauoschuß der Groß- Berliner Betriebsräte, einschließlich seiner Leitungen, der Vollzugsausschüsse, der Werbe ausschüsse und der Industriegruppenansschüsse für das preußische Staatsgebiet, aufgelöst und v er boten. Weitere polizeilich« und strafrechtliche Maßnahmen sind eingeleitet. Wie der .Amtliche Preußische Pressedienst' dazu mittcilt, hat da» bei der polizeilichen Durchsuchung am 25. August in den Geschäftsräumen der Kommunistischen Partei beschlagnahmte Material den zwingenden Hinweis geliefert, daß der durch Verfügung des Minister» de» Innern auf- gelöste 15er Ausschuß durch andere Organi sationen weitcrgcsührt werden soll. Nach einem auf gefundenen Organisationsplan, der zum Teil schon vcrwirllicht ist, sollen die einzelnen Industricgruppen Betricbsvolloersammlungen cinberufen, die sich einen Industriegruppenausschuß wählen. Die Gruppen ausschüsse bestimmen aus ihrer Mitte einen Werbe ausschuß, und sämtliche Merbeaussibüsse sollen zu einem Zentralausschusse zusammenqesaßi werden, der Lelprlgre und SsadelsLeNuog in Zukunft die Arbeiten des verbotenen Iker-Au,schuss»» leiten soll. Aus dem Ma terial geht ferner hervor, daß der Beschluß, am 8. und S. September einen Betriebrätekongreß zu ver anstalten, auf Anweisung der Bezirksleitung der KPD. zurückzuführrn ist. Freiheit der presse Sin Nachwort zum Oehme-Prozeß Der Prozeß gegen den Berliner Journalisten Walter Oehme ist nach fünftägiger Verhandlung hinter verschlossenen Türen -u Ende gegangen und der Angeklagte zu einem Jahr Gefängnis unter An rechnung von fünf Monaten Untersuchungshaft ver urteilt worden. Außerdem wurde der tpaftbefehl gegen ihn sofort aufgehoben und Oehme oyne Stel lung einer Kaution aus dem Gefängnis entlassen. Wae hat Oehme getan? Der Verurteilte gilt als einer der fähigsten deutschen Journalisten im linken Lager. Er hatte sehr gute Verbindungen und genoß großes Vertrauen bei Politikern aller Richtungen. Er hatte Beziehungen in allen Aemtern und wußte sich Nachrichten zu verschaffen, die anderen Journalisten nicht ohne weiteres zugänglich waren. Nachdem er längere Zeit für sozialistische und links demokratische Blätter geschrieben hatte, gründete er ein Nachrichtcnbureau, das seinen Haupcavnehmer- kreis unter den sozialistischen Zeitungen und rm Aus- land hatte und auf da» auch die Missionen der Ententestaatcn in Berlin abonniert waren. An sich ist dabei nichts Bedenkliche», denn die Ver- Lffentlichungen eines Nachrichtcnbureau» können von jedermann bezogen werden, der sich dafür interessiert. Außerdem war Oehme Berliner Vertreter des Trans- atlantie News Bureaus, das im Fcchenbach-Prozcß eine bedeutende Rolle gespielt und das, wie man jetzt erfahrt, ein gwitterdinz zwischen journalistischen Unternehmen und Spionagcburcaus sein soll. Es scheint fest zu stehen, daß das Bureau während des Krieges eine der wichtigsten Spionagezentralcn ver Entente gegen Deutschland war. An seine Abneh mer hat Oehme Nachrichten geliefert, die er dank seiner zahlreichen Verbindungen allein erhielt, und die gerade deshalb besonders wertvoll waren. Ader das ist ja gerade der Ehrgeiz jeder Nachrichtenver mittlung, noch nicht in allen Gaffen bckannre Mit teilungen zu verbreiten. Von Oehme uettergegcbene wortlichkeitsgefühl keine Zensurstelle dulden, die ihr die Grenzen ihrer Veröffentlichungen vorschretbt, selbst wenn diese Zensurstelle au» allen Leitern und Kapazitäten der Politik bestehen würde. Lr. Erhöhte Reichrarbeiter-LSHne Berlin, 2S. August. Die Verhandlungen mit den Spitzcnorganisationen der Reichoarbeiter führten heute zur Festlegung der Lohn maß zahl auf 18 000 mit Wirkung vom 26. August ab. Hiernach wird in der Ortsklasse A der Stundenlohn de» Hand- wcrker» 881000 ^l, der des ungelernten Arbeiter» 540 000 .4t betragen. Die Einzelheiten ergroen sich au» dem Reichsbesolduugsblatt. Uebertriebene Gerüchte Richtigstellungen Lurch die Sächsische Negierung Dresden, 29. August. (Eig. Tel.) Nachdem trotz der Auslassung des Ministeriums des Innern vom 20. August immer wieder übertriebene D a r st e l l u n g e n der in Sachsen, in den Industrie gebieten und auf dem flachen Lande stattgefundenen Vorgänge gegeben werden und überdies die Dar- tellung derartiger Fälle gewünscht worden ist, sieht ich das Innenministerium veranlaßt, über einige be- anders charakteristische Fälle in der Oeffentlichkeit zu berichten. Oie Vorfälle in Lichtenstein «Eallnberg Am 22. August vormittag» wurde da» Mini sterium von dem Verband sächsischer Industrieller durch dessen Syndikus, Dr. Meißner, von dem Eingang eines Telegramms aus Lichtenstein-Lallnberg in Kenntnis gesetzt. Das Telegramm hatte folgenden Wortlaut: „Arbeiter schaft droht mit Zerstörung des Betriebe» und Tot schlag, weil wilde Forderung abgelehnt. Was tun? Ico.' Die sofort eingeholten Erkundigungen beim Polizeiamt Lichtenstein ergaben, daß dort nichts über die Sache bekannt war. Das Polizeiamt erhielt den Auftrag, sich alsbald zu informieren und, wenn an der Sache etwas von Bedeutung sei, tele phonisch zu berichten. Dr. Meißner wurde von den eingeleiteten Maßnahmen des Ministeriums unter- richtet. 24 Stunden später ging beim Innenminister ein Telegramm mit folgendem Wortlaut ein: „Verband sächsischer Industrieller hat von Braune-Irmscher vorui«AlLg, des so. Lagvrt wirtschaft hiesigen Kresse» ist durch fortgesetzte Plün derungen ihrer Getreidefelder hart bedrängt und findet bet keiner Behörde Schutz. Sofortig« Abhilfe dringend erforderlich.' — Damit wird gegenüber der Reichsregierung den sächsischen Behörden bewußt unterstellt, mit Absicht Schutzmaßnahmen zur Ver hinderung von Straftaten unterlassen zu haben, ob wohl der Bezirksverband Döbeln die sächsische Regierung gar nicht um Schutz gebeten hatte. Oie lte-erlrei-ung -es -lr-eiige-erver-an-es von Meerane Zn Meerane traten am 18. August die Arbeiter in einen dreistündigen Generalstreik und verlangten von den Unternehmern die Zahlung einer Wirtschaftsbeihilfe von 15 Millionen Mark. Es wur- den verschiedene Unternehmer veranlaßt, den Der- bandlungen über diese Forderung beizuwohnen. In den Verhandlungen selbst kam man auch zu einem Ergebnis. U-ber die Vorgänge selbst richtete der Ver band Sächsisch-Thüringischer Webereien an den Innenminister am 16. August folgendes Telegramm: „Haben vorgestern mit Gewerkschaften Tarifvertrag abgeschlossen mit 170 Prozent Lohnerhöhung bis 15. August und einmalige Deschaffungsbeihilfe von sieben Millionen Mark in der Spitze. Gestern hat Arbeiter- schäft Meerane unter kommunistischer Führung dor- ti.ge Perbandsmitglieder gezwungen, Auszahlung von 15 Millionen -uzustimmen. Im Einverständnis mit Gewerkschaften find unsere Mitglieder angewiesen, nur Tarif auszuzahlen. Ersuchen Ministerium dringend um Unterstützung und Schutz unserer Mitglieder bei Durchführung des Tarifver trages, andernfalls ordnungsmäßige Aufrechterhal tung der Betriebe unmöglich und unserer Ueberzeu- gung nach nicht nur der Einfluß der Arbeitgeberver bände, sondern auch der Gewerkschaften unrettbar verloren.' Daraufhin hat am 17. August ein Vertreter der sächsischen Regierung mit den Vertretern der Arbeit geberverbände als auch der Gewerkschaften in Mce- rane Verhandlungen gepflogen, die ebenfalls einem Ergebnis führten. Trotzdem es also möglich ge- wesen ist, durch Verhandlungen der Schwierigkeiten Herr zu werden, hat es der Arbeitgeberverband für notwendig gehalten, auch an die Reichsregierung ein Telegramm, und zwar folgenden Inhaltes zu richten: Meerane, 16. 8. Unter Terror erzwun gene, nicht mit Gewerkschaften verein barte Löhne ruinieren hiesige De- triebe gewaltsam. Entführung des Vorsitzenden und zweier anderer Fabrikanten bedrohen Existenz der Betriebe. Einfluß der Gewerkschaften ebenfalls untergraben. Wertbeständige Anleihe -es Deutschen Reiches Sie sichert dem einzelnen Kapital und Sinr entsprechend dem jeweiligen Stande des Dollars. keine vorsenumsatzsieuer — Keine Erbschaftssteuer für das selbftgezeichnete Stuck. Veste Anlage auch fü? kleine Betrage. Nachrichten werden uns vom Reichsgericht als zum Teil das Wohl des Landes gefährdend bezeichner, und Oehme ist aus diesem Grunde verurteilt worden«. Das Reichsgericht hatte in diesem Fall über eine Frage zu entscheiden, deren Bedeutung über den rein juristischen Rahmen weit hinausgeht. Wenn Journa listen über Oehme zu Gericht gesessen hätten, so wäre der Verurteilte höchst wahrscheinlich mit einem Ver weis davongekommen, weil er sich die Abnehmer seiner Nachrichten nicht genau genug daraufhin an- gesehen hatte, ob einer von ihnen, wle z. V. das Transatlantie News Bureau, nicht übelbeleumdct war; und man hätte Oehme wahrscheinlich den Rat gegeben, diesem Kunden den Dienst auszukündigen. Denn in der Weitergabe von Nachrichten, die im Parlament oder von amtlichen Stellen der Presse oder einzelnen Berufsjournalistcn mitgete-.ll werden, kann an sich niemals ein Landesverrat oder eine Spionage erblickt werden, es sei denn, es handelt sich um Dinge, die unter dem Siegel des Geheimnisses mitgeteilt wurden, und das war in der Angelegen heit Oehme nicht der Fall. Es ist auch schwer der Judikatur des Reichsgerichts zu folgen, wenn es sagt, daß einzelne Staatsbürger nicht das Recht hätten, selbständig zu prüfen und zu entscheiden, ob einzelne Nachrichten für die Staatswohlfahrt schädlich oder nützlich seien und veröffentlicht werden könnten oder nicht, sondern daß diese Entscheidung nur den Leitern der Politik zustehe. Wenn dieser Satz zur Norm würde, so würde damit nicht, wie das Reichsgericht meint, ein Hindernis einer „gründen Politil' beseitigt, sondern die Gefahr der nackten Willkür in der politischen Leitung heraufbeß?>worcn werden. Die Politik wird im demokratischen Staat nicht von „Leitern', sondern vom Volke selb?: gemacht, und die deutsche Presse, die wie in jedem anderen Kulturstaat der Welt die öffentliche Meinung ver tritt, muß für ssch da» Recht in Anspruch nehmen, das zu veröffentlichen, was sie im Interesse des Lande» für gut befindet und dafür die Verantwortung zu tragen. Die Richtigkeit dieser Regel kann nicht da durch widerlegt werden, daß einzelne amtliche Stellen un», wie es nunmehr scheint, auch Reichsgerrchtsräte noch immer die dem reinen Obrigkeitsstaar ange messene Meinung vertreten, über gewisse Mechanis men in der Staatsmaschine müsse der Schleier de» Geheimnisse» ausgebreitrt werden. Aufgabe der Presse und der Journalisten im heutigen Deuljkhland ist, olle Vorgänge im politischen Leben Wahrheit»- gemäß zu registrieren, und die deutsche Presse kann daher außer ihrem eigenen Gewissen und Derant- L Eo. aus Lichtenstein-Lallnberg Telegramm er- halten. Da Arbeiterschaft mit Zerstörung de» Be- triebe» und Totschlag droht, weil wildeForderungen abg-lrhnt, ersuchen um umgehende Mitteilungen des Sachverhaltes. Reichsinnenmini st er.' Das Ministerium setzte sich nach Eingang dieses Telegramms sofort mit dem Polizeiamt Lichtenstein in Verbindung und erhielt folgende Darstellung: Die Arbeiter der Fabrik Braune, Irmscher L Co. hatten Lohnzuschläge nach dem Auertarif verlangt. Herr Braune hatte die Forderung abgelehnt und darauf ist es zu einer erregten Betriebsversamm lung gekommen, nach welcher der Betriebeobmann dem Herrn Braune erklärte, die Stimmung sei so erregt, daß er bei weiterer Ablehnung nicht wisse, ob er für die Sicherheit des Betriebes und der Personen garantieren könne. Herr Braune hat daraufhin nach Dresden telegraphiert, ohne es ab-r für notwendig zu erachten, die örtlich« Polizei behörde zu benachrichtigen oder um Schutz an zugehen. Die örtliche Polizeibehörde ist der Mei nung, daß nach Lage der Dinge keinerlei Be drohungen zu erwarten waren. Sie führt die Ver schärfung der Situation vielmehr auf die Erregung des Herrn Braune selbst zurück, der gerade von einer Neise zurückkam und bald nach der Betriebs versammlung einen anderen Standpunkt ein genommen hat, nämlich zu bewilligen, wenn auch die Gewerkschaften sich für den Auertarif aus sprechen würden. Oer Hilferuf -er Bauern von Döbeln Am 4. August fanden in der Amtshauptmann schaft Döbeln Besprechungen statt, an denen Ver treter des Landwirtsck)afts-Bezirksverbandes, der Ortsgruppe des Verbandes sächsischer Industrieller, des Kontrollausschusse», de» Bezirksausschusses für Handwerk und Gewerbe, der Gewerkschaften unL der politischen Parteien teilnahmen, um Stellung zu dem Ueberhandnehmen der Felddieb, stähle zu nehmen und Richtlinien für die Sicher- ftellung der Ernährung der städtischen Bevölkerung auszuarbeiten. Die Veröffentlichung der in jenen Besprechungen getroffenen Vereinbarungen hatte auch den Erfolg, daß diese Diebstähle sich merklich verminderten. Am 18. und 16. August fanden dann in Leipzig unter Hinzuziehung der land- wirtschaftlichen Bezirksverband« von Wurzen und Döbeln nochmals Besprechungen mit dem gleichen Ziele statt. Dabei ist den Vertretern der Behörden vom Landbund Leipzig bestätigt worden, daß die Polizeibehörden nach Lage der Dinge getan haben, wa» möglich war, um die Bandendiebstähle zu ver- bindern. Trotzdem richtete der landwirtschaftliche Bezirksverband Döbeln am 18. August an den Reich«Innenminister folgend« Telegramm: „Land „Unerhörter Terror" in Sachsen Wir lesen in der „Deutschen Allgemeinen Zeitung' folgende Notiz über Sachsen, die „Sächsische Parität' überschrieben ist: Das Dresdner Polizeipräsidium hat den söge- nannten bürgerlichen Ordnungsdienst aufgelöst. Es handelt sich hier um eine ganz Harm- lose Vereinigung von Geschäftsleuten, Laden besitzern und Dillenbewohnern, die sich zum gemein samen SchutzeihresEigentums gegen Ein brecher zusammengeschloffen und dabei auch schon recht schöne Erfolge erzielt hatten. Das Verbot eines solchen Ordnungsdienstes erscheint um so un verständlicher, als nach wie vor kommuni- stische Hundertschaften ihren unerhör- ten Terror ausüben und außerdem noch die Plünderungen auf dem Land« teilweise noch an dauern, die sogar selbst in offnen Raub ausgeartet sind. Es ist natürlich ganz ausgeschlossen, daß der Staat sich die Aufstellung privater Polizeiorgan», bieten lassen kann. Die Versicherung der „Harm losigkeit' kommt hier überhaupt gar nicht in Betracht. Die Republik weiß überdies ein Lied von solchen Harmlosigkeiten zu singen. Und wie der Staat den Geschäftsleuten und Ladenbesitzern keine Konkurrenz macht, so mögen diese es ihrerseits nur ruhig dem Staat überlassen, im Schutz des bürgerlichen Eigen tums „recht schöne Erfolge zu erzielen'. Schutz se» Eigentums außerhalb des Gesetzes ist nichts anderes als Anarchie. Hat rcohl schon einmal jemand aus dem Munde „eines solchen Ordnungsdienstes' das Lob der neuen Verfassung gehört? Es sind ausschließ lich Verächter derdemokratischen Repu- blik, die hier ihren eigenen Ordnungsdienst auf- stellen, und ihre Harmlosigkeiten laufen nur zu leicht darauf hinaus, die Weimarer Verfassung hier und da ein wenig anzusetzen. Wie wenig solcher „Ordnungsdienst' angebracht ist, ersieht man am besten daraus, daß seme Mit glieder für seine Berechtigung erst mühsam eine fik tive Grundlage errichten müssen. Stets werden die „kommunistischen Hundertschaften' zitiert, und wenn es sich nun gar um Sachsen handelt, bann fehlt s>rtürlich auch der „unerhörte Terror' nicht. Auch die „Deutsche Allgemein« Zeitung' pfeift diesen Gassenbauer mit. Aber eine Zeitung, die Anspruch auf Bedeutung erhebt, sollte tatsächlich etwa« zurück- haltender sein. Hängt doch für Deutschland allerlei davon ab, erstens einmal ob sich das Ausland von der Mitte unseres Vaterlandes da» Bild eines Hexenkessels macht; denn vom Arrsland kann einer immerhin nicht so leicht nach Sachsen fahren, wie von Berlin aus, sofern ein Berliner die Reise in dieses finstere, wilde, kannibalische Land wagt. So- dann aber sind solche Pressenachrichten gerade in An- betracht des ausländischen Publikum», da» in Deutsch land reist, sehr bedenklich. Der Ausländer liest die Schauergeschichten von dem bolschewistischen Sachsen; er ist, wenn er nach hier kommt, überrascht von der Ordnung, die genau so ist wie überall. Was er mit in» Ausland nimmt und seinen Landsleuten be- richtet, das ist nicht die Erinnerung au ein „rotes Sachsen' und den dort herrschenden „unerhörten Terror' — das ist vielmehr die Ueberzeuaung von unerhörten Lügenzeschichten der Presse. Und wenn die deutsch« Presse schon so lügt, sofern « nur Deutschland» eigene Angelegenheiten betrifft — um wieviel weniger wird sie zuverlässig und anhörens würdig sein, wenn sie über die ausländisch« Politik spricht? Da» sollten Blatter, wie die „Deutsche Allgemeine Zeitung' endlich einmal bedenken. Aber « ist nun einmal so: da« bißchen moralische Einbuße vor dem Ausland nimmt man schon mit in Kauf, wenn nur die Länder, die der neuen Staat»form mit Energie Respekt verschaffen, bloßgestellt werden. Darum blerbt es halt beim roten Sachsen und s»'nem „unerhörten Terror'. V Der Reichskanzler Dr. Stres»e»mann wird am Eonnlag zu einem privaten BHüch des wSre »- ber^z-ksch-en Staad»p«rAss1deirEeM in Stuttgart eintreffen.
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