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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 28.08.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-08-28
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192308283
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230828
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230828
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-08
- Tag 1923-08-28
-
Monat
1923-08
-
Jahr
1923
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Leit« 2 Nr. 203 Ieitschriften-Rundschau Durchführung de» Mchrheitswillen» oder Dklta- 1 n r, da« ist die Frage, Uber di« viele seit 4 Jahre» vergebens Klarheit suchen. Der italienische Geschichte, sorschcr Guglielmo Ferrero untersucht im .Tagebuch" (Nr. vom 11.—18. August) den Grund dieser Unklarheit und kommt zu dem Resultat, daß e» sich überhaupt nicht um «ine politische Unterscheidung handelt, sondern vielmehr um „eine romantische Form der Mutlosigkeit". „Das Uebel ist, daß keiner genau weiß, was er will. Zn allen Par- teien, in allen Klassen, allen Einrichtungen, allen Staaten — ich möchte beinahe sagen: in allen Ge wissen (mit ganz wenig Ausnahmen) — treten Leh ren, Bestrebungen, Interessen einander gegenüber. Wir wollen den Frieden u.iü den Krieg, die Gewalt und di: Gerechtigkeit, die Tyrannei und die Frei heit, die Sichcrhctt und das Abenteuer. Was wollen wir? .Ls ist ein Geheimnis, das wir nicht in uns selbst klären können. Viele suchen nach einem Diktator, weil sie hoffen, daß er wisse, was alle nicht wissen. Der rote oder weiße Diktator, wie ihn die Menschen erträumen, müßte ein geheimnisvolles* Zauberer sein." Ferrero untersucht die beiden Diktatoren, die die Welt heute kennt, auf diese Zaub:rkraft hin: Lenin und Mussolini. Von Lenins Herrschergewalt bleibt für seine Betrachtung das Folgende übrig: „Wir wissen jetzt zuverlütz.g: Lenin ist ein Dik tator, dem der größte Teil Rußlands nie mals gehorcht hat, — ein Diktator, der eine Unmenge von Verordnungen aller Art erlassen hat. Sie sind aber größtenteils toter Buchstabe geblieben. Wer könnte Lenins Reden zählen? Doch die Ereig- aisse sind immer ihren eigenen Weg gegangen, ohne allzu sehr auf die Voraussagen und Anweisungen des Diktators zu achten. Was sich in Rußland Dik tatur des Proletariats nennt, das sind die Heber- bleibsel des alten zaristischen bureau- kratischen Despotismus, und den neuen er trägt das Volk, weil er schwächer ist als der «l t e. Don einem Diktaturzustand gibt es da nur die Kriegsgerichte, den Galgen, die vollstreckenden Truppcnäbteilungen und die Leichtigkeit, mit der die Gerichtshöfe massenhaft Todesurteile verhängen." Mussolini, der Vertreter der „weißen Dikta tur", ist nach Ferreros Schilderung schließlich nur im Krcise hcrumgelaufen. Hören wir, wo der Ueber- winder der Massen landet: „Lenins weißer abendländischer Kol lege ähnelt von Monat zu Monat mehr den parla mentarischen Häuptern alten Stils, die heute allge- mein verachtet sind und die der weiße Diktator hätte ersetzen müssen. Statt dessen: Verhandlung, Bruch, Wiederaufnahme, Feilschen, Sichfügen im Verkehr mit den Parteien, den Gruppen, den großen wider streitenden Interessen. Der weiße Diktator lernt die Kunst, die dem alten Parlamen tarismus so teuer war: es mit keiner Partei zu verderben. Der weiße Diktator ändert so viel wie nichts, aber er verbessert oder be seitigt oft sein eigenes Werk, sobald der Widerspruch dagegen etwa« lebhafter wird, und verschiebt gern Sl^wierigkeiten auf morgen, wenn sic heute zu groß Ilnd Ferrero setzt hinzu: „Wer weiß, was heut zutage dem Haupt eines alten europäischen Staates möglich oder unmöglich ist, der wundert sich nicht hierüber." Dies« Möglichkeiten sieht Ferrero darin, daß „starke, einstige, aktive Regierungen Europa wieder zusammenfügen", was aber nur dann erreicht werden kann, „wenn sich in jedem Lande eine einzige, ent schlossene, zusammenhängende und mächtige Grupp« bildet, wie sie nötig ist, um sich selbst und anderen Opfer aufzuerlegcn". Und er verheißt einen Tag, wo sich die Dinge ausgleichen und der vernünftige politische Wille siegt: . „Da der Tag früher oder später einmal kommen muß, so darf man nicht dem intellektuellen Skeptizis mus Raum geben — einem Skeptizismus, der die menschliche Vernunft ihrer Herrscherrechte berauben möchte, weil heutzutage die Welt närrisch ist und da- her die Gemüter auf die kindlichen Erwartungen von ernem Diktator vorbereitet sind, wie es ihn niemals gegeben hat noch jemals geben wird." Solche Worte können gerade im heutigen Deutsch land nicht genug weitergesagt werden; sind sie doch ein Ansporn für Volk und Regierung, weil sie so klar und hoffnungsvoll klingen. Sie verscheuchen die blau dunstigen Träume von einer dem einzelnen alle Mühe abnehmenden „Diktatur" und stellen das Glied der Volksgemeinschaft auf die gesunden Füße opfer bereiten Woll?ns. s > Der Franzose Ren6 Marchand gibt in einem «Schwarzbuch" ein Bild von der Diplomatie, ! die -um Krieg fihrte, nach den Doku- s menten des russischen Archivs. Diese Zu- § sammenstellung wird m Frankreich totgeschwiegen, > enthüllt lie doch PoincarS ils den geradezu bi» zur Würdelosigkeit herabgesm kenen Diener Rußlands. Die „Preußischen Jahrbücher" bringen in ihrem Augustheft einen 1!cberblick über die in diesem Schwarzbuch gesammelt:» Dokumente. Für uns Deutsche ist besonders interessant, zu sehen, wie die fremden Staatsmänner über unsere damalige Politik an ihre Regierungen berichtet haben. Die Frage der Schuld am Kriege wird nie ganz geklärt «erden, werk sehr viele Momente — vielleicht die wichtigsten — überhaupt gar nicht dokumentarisch erfaßbar find. Daß Deutschland nicht aktiv an der Herbeiführung eine« Krieges gearbeitet hat, dürfte klar sein. Aber gewichtiger als akute Tatsachen dürften Stimmungen in die Wagschale gefallen sein, die die kaiserliche Re- oierung vielleicht mit etwa« zu weitgehender Selbst sicherheit ignorieren zu dürfen glaubte. Ls heißt da: Aus verschiedenen dieser Dokumente ist ersichtlich, daß einige Staatsmänner der Entente immer wieder die angebliche Absicht, Dcutschlauds nach der Welt herrschaft in den Vordergrund rückten, wohl nicht ohne den Nebengedanken, emander ein bißchen gruseln zu machen (z. B. Seite 809 und 314), daß dem aber auch von deutscher Seite Nahrung gegeben wurde. Au» der Iswolskt-Korrespondenz geht hervor, wie willkommen Poincars und Genosse« der „O>uo ck'.^xiel'r" war, um die nationale Stimmung auf zupeitschen, und wie sehr die deutsche Wehrvorlage non IS>3 ausgenutzt wurde, um in Frankreich di« Wiedereinführung der dreijährigen Dienstzeit durchs zusetzen. Daß man die Pläne dazu bereit» vor de» deutschen Heeresvermehrung erwogen hatte, wurde dcm^ranziuischen Dolke natürlich verheimlicht, und ebenso die Tatsache, daß französische Sachverständige die Notwendigkeit Deutschland« anerkannten, für di« veränderte Lage am Balkan militärisch einen Aus- gleich zu schaffen. Recht üble Folgen hatte dann der Fall Zabern; seine Wirkung aus da« Ausland wird bei un» zu sehr übersehen. Auf jeden Fall ist die Arieg»literatur der Ententestaaten erschreckend voll davon, und wir müssen auch den peinlichen Dingen L«1prlger uarl HLochelstLEttuag vlealltsg, «I«» 2S. in» Gesicht blicke». S« schrieb Dmckendiff am 2b. F«b«M 191« «n S^onoff: „Die Ztzberner Affäre hat der deutschste Sqch» in England viel n»Lr Schade» gngcfüg^ lUOfamtltch« Hegmnonteoerstiche Berlin»." Das stimmt mit dm» überein, was wir aus den deutschen Archiven wissen: die kaiserliche Regierung, hat sich zu wenig darum bemüht, di« Wirkung ihrer Handlungen auf da» Luoland zu sondieren. So konnte eine Stimmung entstehen, die der Zusammen ballung gegen Deutschmud günstig war. * At der Krieg nur eine Begleiterscheinung einer di« Menschheit verachtenden Diplomatie, deren Ver treter sich fiir alle Fälle außerhalb jeder mögliche« Katastrophe wissen? Oder entspringt er aus der Un- Vollkommenheit der menschlichen Natur, ihrer Ein sichtslosigkeit, ihrer Tierverwandtschaft. Mit diesen Fragen, an denen in unserer Zeit kein Denkender vorbeigehen kann, beschäftigen sich in der „Friedens-Warte" (Verlag K. A. Schwetschke L Sohu, Berlin) die Pertreter de» Pazifismus. Soll man an die Unvollkommenheit der Menschennatur glauben, weil man hier steht, daß selbst di« „Pazi fisten", wenn sie untereinander sind, hart auf einander geraten? Das eine müßte di« zünftigen Pazifisten jedenfalls nachdenklich stimmen: Wie kommt es, daß ihre Lehren nicht populär werden? Allzu schwer verständlich ist do» nicht, wenn man Kurt Hiller» ätzende Anwürf« gegen all« die, welche nicht von seiner Sekte sind, liest. Ab«r auch Hellmut v. Gerlach scheint un» di« Be dingungen, unter denen der Pazifismus gedeihen kann, nicht recht zu fassen, wenn er in seinem Aufsatz „Sekte »der politischer Faktor (Juli- August-Heft) dem pazifistischen Utilita- r i s m u s das Wort redet. Er sägt: „Nicht, indem wir an die Menschen mit moralischen Anforderungen herantreten, zu denen sie sicher in ihrer Masse noch nicht reif sind, können wir den Pazifismus zu einem Machtsaktor machen. Wohl aber, indem wir ihnen klar machen, daß der Pazifismus nützlicher, angenehmer und vor allem billiger als der Militarismus ist. Wenn di« Menschen erst einsehen, daß sie vom Pazifismus Vorteil haben, dann kann er leicht zur Massenbewegung werden." Darauf läßt sich erwidern, daß der Mensch tag- täglich gegen seinen Vorteil handelt, weil es den nur nach rmrtschaftlichen Motiven handelnden Menschen nirgends gibt, außer in der klassischen National- ökonomie. 1914/1918 sind Millionen Menschen, die vom Krieg nicht den geringsten Vorteil hatten, an. der Kriegsstimmung nicht herausgekommen. Es scheint uns, als ob der Boden für den Pazi- fismus viel eher in der ethischen Erziehung liegt. Alle moralischen und rechtlichen Normen, di« wir täglich beobachten, sind uns in der Langen Kette unserer Ahnen schließlich erst anerzogen worden. Sehr richtig sagt Franz Carl Ender» in dem selben Heft: „Es gibt keine ander« Lösung, als di« Menschen zu dem Rechtszustand zu zwingen, und Lurch einen Generationen übertmerndrn Zwang eine Art Ge- wöhnung zu schaffen, so daß dieser Rechts" zu st and der überwiegenden Anzahl aller Menschen als ein selbstverständlicher Zu stand vorkommt, und jeder, der Len Rechtszustand verletzt, als Verbrecher gilt, der aus der menschlichen Gesellschaft zu entfernen ist." Da» scheint auch un» der springende Punkt: die Menschheit muß daran glauben, daß sie nicht zur Selbstvernichtung bestimmt ist, sondern zum „Fortschritt, zur Kultur, zum Dollmenschentum." (John Mez, New Pork a. a. O.). Di« sogenannte heroische Geschichtsauffassung ist er ledigt, zumal in der Zeit der Technik. Auf einen elektrischen Knopf drücken, zehn Kilometer hinter der Front, und schon werden Tausende von Menschen lebendig begraben — was ist da» für ein Helden stück? Wenn aber der Knopfdrücker dafür einen Ehrensold bekommt, so wird er dem Krieg ewig treu ergeben bleiben. Wenigstens nach Hellmur von Gerlach. Vie Notverordnung Am 1ö. August wurde eine Wertbeständige Anleihe des Deutschen Reiches aufgelegt. Diese Anleihe hat den Zweck, dem Reiche möglichst Devisen zuzuführen. Man kann die auf Goldmark lautenden Stücke der Anleihe zwar auch gegen Hin gabe von Papiermark erstehen. Dgch kann auf diese Art nur ein ganz verschwindender Teil der Anleihe gezeichnet werden, da so viel Papiergeld gar nicht in Umlauf ist. Da» Schwergewicht der Anleihe lag also von vornherein darin, die devisenbesitzenden Staatsbürger zu veranlassen, einen Teil ihrer De visen dem Staate zu überlassen. Wie viel auf di« Wertbeständige Anleihe (Geldanleihe) bisher ge zeichnet worden ist, weiß man nicht. Hilferdtng sagte in seiner letzten Rede, daß»bas bisherige Zeichnungs ergebnis beledigend sei: doch ist dies ein relativer Begriff. Jedenfalls hat sich die jetzige Regierung be müßigt gesehen, die Goldanleihe nachträglich zum Teil mit Zwangscharakter auszustatten, um nicht den gleichen Mißerfolg zu haben, wie die Regierung Euno mit der Dollar-Schatzanleihe. Dieser teilweise Zwangscharakter wird der Doldanleihe durch eine Notverordnung gegeben. Da es sich, wie schon gesagt, darum handelt, dem Reiche Devisen zuzuführen, kann natürlich nur derjenige zur Zeichnung verpflichtet werden, der Devisen besitzt. Aber nicht jeder Devisenbesitzer schlechthin ist zur Zeichnung verpflichtet, sondern nur der, der seinerzeit Zwangsanleihe -eich- nen mußte. Maa knüpft zu diesem Zwecke an da» Gesetz zur Verbilligung der Brotversorgung an. Al» erste Rate der Brotversorgungsabgabe ist bekanntlich im August der zehnfache Betrag der Zwangsanleihe zu entrichten. Die Notverordnung bestimmt also: für je 10000 ^l, die als erst« Rate der Brotversorgungsabaabe zu entrichten war«», hab«» Deoiseubesitzer I voldmark bzw. Erwerbs - gesellschaften 2 Goldmark bi» spätesten» IS. Septem ber dem Reich« abzüliefern. Dev tsenb esttzev im Sinn» der Notverordnung find Per" sonen, di« ausländische Geldsortrn, Papiergeld, Banknoten u. dgl., Auszahlungen, Anweisungen, Scheck», Wechsel und Forderungen in ausländischer Währung oder deutsch« Retchsgoldmünzen oder Gold oder Silberbarren besitzen. Ein« Au»führungover- »rdnung kann al» Devisenbefitzer ferner erklären Personen, die Anteile an ausländischen Erwerb»- gesellschaften, Deschäftsbeteiligungen jeder Art i» Äiwlande oder an inländischen oder ausländischen Börsen gehandelt« Wprtpapi« besitz» Um ei« Ablieferungopflicht zu begründ«, nstWen dich» Wert» in der Zeit vom 10t bi» >0. A»guß besessen worden sein. Don der Ablieferung befreit ts^ wer nicht mehr al» 10 Goldmark abzuliefern hat, derjenige also, der seinerzeit nicht »ehr al» 10 000 -K Zwangsanleihe gezeichnet hat. Die Notverordnung sagr nicht, bah derjenige, der in ihre» Sinn« Devisen bepcht, damit'Goldanleihe zeichnen müsse. Die Verbindung -wischen Gold- anleihe und der Devisen-Zwangsanleihe der Not-' Verordnung ist keine vollständige. An Stelle von Stücken der Goldanleihe kaun der Abgabepflichtige den Gegenwert in Papiermark auszahlen oder sich ein „wertbeständige» Steuerkonto" eröffnen lassen. Für je eingezahlte 100 Mark er folgt hierbei eine Gutschrift von 128 Mark. Allzu großer Gebrauch dürft« von diesen Konton jedoch kaum gemacht werden, da die Summe der jetzt ab zuliefernden Steuern nicht gering ist und es der Ab- gabepflichtig« vorziehen wird, einen Gegenwert zu erhalten, der wertbeständig und doch leicht verwert bar ist. Dies trifft nur bei den Stücken der Gold- anleihe -u. In der Praxi» wird die Derb in- düng »wischen Goldanleihe und De- visen-Zwangsanlethe ziemlich eng sein. Es kann vorkommen, daß jemand, der nach der Notverordnung zeichnungspflichtig ist, verschiedene Arten von Devisen besitzt. Daher scheidet man die Währungen i^n zwei Gruppen. Die Zeichnungspflicht ist zu erfülle» in der Währung einer der nachfolgenden Staaten: Argentinien. Bel gien, Brasilien, Chile, Dänemark, England, Finn land, Frankreich, Holland, Italien, Japan, Kanada, Kuba. Mexiko, Schweden, Schwei-, Spanien, Tschecho- slowakei, Türkei oder Vereinigte Staaten. Erst dann, und soweit der Abgabepflichtige Zahlung»- mittel dieser Staaten nicht besitzt, find die Wich- rungen von Bulgarien, China, Deutsch-Oesterreich, Estland, Griechenland, Indien, Lettland, Livland, Peru, Polen, Rumänien, Serbien. Ungarn oder Uruguay -ur Zahlung -u verwenden. Dabei wird 1 Dollar gleich 4L Goldmark gerechnet; die Grund- sätze für die Berechnung der übrigen Wahrungen werden in Durchführungsbestimmungen geregelt. Wer erklärt, keine Devisen zu be- sitzen, kann eidlich vernommen werden. Auch eine Prüfung der Bücher und Betriebe ist zu lässig. Darüber hinaus behält sich die Notverord- nnng vor, alle nicht devisenbesitzenden also von der Devisen - Zwangs-Anleihe befreiten Brotabgabe- Pflichtigen auf eine andere Art heran- zuziehen. „Bezahlt oder wir bleiben" Pari», 20. August. (Gig. Tel.) PoincarL hat heute zwei Reden gehalten, die eine in Ehancey vor dem Kriegerdenkmal, die andere in Gondrecourt bei der Einweihung eine» Denkmals -ur Erinnerung an die Ankunft der ersten amerikanischen Truppen an der Front. In der ersten Rede ging PoincarL davon aus. daß er die Orschaft Frankreich im Jahre 1870/71 in Erinnerung rief und gleichzeitig darauf hinwie», was für ungeheure Veränderungen in der Welt vor sich gegangen wären, wen» Deutschland den Krieg gewonnen hätte. „Frankreich," so führte er au», „hätte mindesten» Dünkirchen, Calais und das Er-becken von Brie, ebenso wie seine Kolonien verloren. Es wäre ge zwungen worden, eine ungeheure Kriegsentschädigung -u zahlen. Deutschland hat im Laufe der Feindselig, leiten diese seine Absichten nicht verheimlicht und hat mehrmals seine Kriegsziele veröffentlicht. Bi» auf den Tag, an dem es seine Hoffnungen zusammen- brechen sah, hat es die AbMt gehabt, un» auf ewig zu vernichten. Es hätte sich übrigens, darüber kann kein Zweifel bestehen, auch den Alliierten gegenüber in keiner Weise entgeaenkommender gezeigt. Ich spreche nicht nur vonWelgien, welches durch Deutschland Antwerpen und der Seeküste beraubt worden wäre, auch England wäre, davon darf man überzeugt sein, nicht besser behandelt worden als wir; denn der Kaiser hat ost genug England gegenüber seinen heftigen Haß zutage treten lassen. Italien hätte nicht nur die Vergrößerung nicht erhalten, die es auf Kosten Oesterreich-Ungarnr jetzt erhielt, es wäre nicht nur nicht in den Besitz von Triest und des Trentino getreten, sondern es ist im Gegenteil wahrscheinlich, daß es neue Abtretungen an die österreichisch-ungarische Monarchie hätte machen müssen. Die Tschechoslowakei wär« unter dem Joch geblieben, da» jahrhundertelang schon auf ihr lastete. Serbien und Rumänien wären zerstückelt und al« Vasallenstaaten behandelt worden. Polen wäre nie erstanden, Posen und ganz Oberschlesien waren noch in den Händen Deutschlands. Die Bereinigten Staaten wären vielleicht für den Augenblick den Wirkungen des deutschen Siege» entgangen, aber sie hätten nicht lange der Erstehung einer kolossalen Macht gleich- gültig gegenüberstehen können, die die Herrscherin von Europa geworden wäre, bereit, ihre Klammern um den ganzen Erdball zu legen. Kurz, die ganz« angelsächsische Zivilisation ebenso wie die lateinische Zivilisation waren in ihren Grundlagen erschüttert worden." Im Kriege von 1870/71 — so fuhr PoincarL weiter fort — habe Deutschland einen großen Teil Frankreich» besetzt gehalten. E» habe keinerlei Schäden im eigenen Lande erlitten und hab« sich trotzdem die Kriegskosten in Höhe von SMtlliar- den Franken bezahlen lassen. „Dies war für damals eine enorme Summe. Aber wir haben sie nicht nur bezahlt, sondern in Loyalität gegenüber unserem Gläubiger alles versucht, da» Geld zu sammenzubringen, um di« Schulden abzuzahlen. Aber die» war nicht di« einzige Ausgabe, die auf un» infolge de» Kriege» lastete. Der Krieg hatte un» etwa 2 Milliarden an außerordentlichen Aus gaben gekostet. Wir hatte» mehr al» 200 Milliarden Steuern und Einkünfte verloren, wir hatten mehr al» 840 Millionen Franken für Okkupation»kosten der feindlichen Armeen zu zahlen, davon 7 Mil- lionen für die Leben»mitt«lv«rsorgung von Paris während de» Kriege», mehr al» H Milliarde für Milttärpenstonen, 212 Millionen für die Entschädi gung der durch de» Krieg geschädigten Staatsange hörigen, 62)4 Millionen al» Rückerstattung aus Steuern, die von den Deutschen erhoben worden waren, 1ö)4 Millionen al» Rückzahlung für Requi- sitionen, ferner 40 Millionen al» Entschädigung für die Stadt Pari», 19 Millionen an di« Gesellschaft der Ostbahnen, und ich übergeh« noch zahlreiche an- dere Ausgaben." Poinearä erinnert daran, daß da zu noch der Verlust von zwei Provinzen mit ihren finanziellen Einkünften getreten sei, und -qß die von ihm angeführten Zahlen offiziellen Dokumente, entnommen mord« sei«», di» sofort nach dem Aetege «Mestellk Wochen. „Sie bildeten — snhr er »Artlich fort — et»»» mehr Garantien al» dteiachge». die gestern dar »mm Kanzler ge- lrgentlich der Aufzählung tzpe Zahlungen anführte, die Deutschlgnd schon geleistet haben soll. Wir wollen uns nicht al» Beispiel hinstellen, nicht einmal unseren Feinden von gestern gegenüber, aber was wir vor 83 Jahren getan haben, können sie heute versuchen. Wenn sie sich dazu nicht entschließen, so werden sie un» zwingen, ihnen gegenüber die Drohungen in die Tat umzusetzen. die sie damals an un» richteten, nämlich: Bezahlt, »der wir bleiben!" An englische K-reffe Park», 27. August. (E i g. Tel) Dir Rede, di« PoincarS gestern in Ehassey gehalten hat, ist, wie hier betont wird, nicht al» Antwort auf die letzte Rede Stresemann» zu betrachten. Eine richtige Beantwortung der Kanzlerr«Le konnte gestern schon deshalb nicht in Frage kommen, weil der vollständige Wortlaut der Erklärungen Strese- mann« hier noch gar nicht vorlag, al» Poincarö seine Rede zu Papier brachte. Der französische Ministerpräsident hat allem An schein nach die schnelle Zurückweisung der durch Str«semann vertretenen Thesen von der unzu- reichenden Wertung der bisherigen Leistungen Deutschland» für geboten erachtet, damit in England nicht der Eindruck entstehen könne, daß auch die fran zösische Regierung gegen die Nachprüfung de» Werte» der deutschen Leistungen nichts einzuwenden hätte. In französischen politischen Kreisen hat die Rede Stresemann», wie schon gemeldet, einen gewissen Eindruck gehabt, der auch in den der Presse am Sonnabend übermittelten Aeußerungen zum Aus- druck gekommen ist. Poinearö wollte deshalb offen" bar England möglichst rasch di« abermalige Der- sicherung geben, daß Frankreich nicht im Ernst an eine Wiederaufrollung dieser Frage denkt. Die Rücksicht auf England spielt gegen wärtig für das amtliche Frankreich überhaupt eine Rolle, die bei Bewertung der Haltung Frankreichs gegenüber Deutschland nicht unterschätzt werden darf. PoincarS, der die Verständigung mit Eng land auf einer für Frankreich annehmbaren Grund- läge ernstlich erstrebt und diese franzöfisch-englische Einigung offenbar als ein unerläßliche Vorbedingung für eine Verständigung mit Deutschland anfieht, ver- meidet ernstlich alles, was in England den Verdacht erregen könnte, Frankreich versuche zu «iner Sonder verständigung zu gelangen. Die letzten Reden Pvin- ear^s waren daher in erster Linie auf die Wirkung in England berechnet. Bei der Beurteilung der gegenwärtigen Haltung Frankreichs darf weiter nicht außer Acht gelassen werden, daß die Kreise der fran- zösischen Großindustriellen natürlich au» anderen Er- wägungen heraus vor einem übereilten Entgegen kommen gegenüber der neuen deutschen Regierung warnen. In den Organen, die dem Komitee des Forges als Sprachrohr zu dienen pflegen, waren in den letzten Tagen seltsame Widersprüche zu konsta- tieren. Poincars wurde aufgefordert, dem Kab nett Stresemann irgendwie den Verzicht auf den Wider stand im Ruhrgebiet zu erleichtern und gleichzeitig, wurde der Ouai d'Orsay vor den Illusionen gewarnt, die durch die Ernennung Stresemanns in französischen Regierungskreisen geweckt worden seien. Diese Wider sprüche erklären sich allem Anschein nach durch den Mangel an Vertrauen der industriellen Kreise zu dem wirtschaftspolitischen Verständnis Poincares, und durch die Ueberzeuaung, daß Stresemann für Frank reich ein viel gefährlicherer Derhandlungsgegner sei al« irgendeiner seiner Vorgänger es gewesen wäre. vaskalow ermordet Prag, 26. August. (E i g. Tel.) Der frühere bul garische Gesandte in Prag, Dr. Rajke Daskalow, wurde heute auf offener Straße von einem jungen Studenten um die Mittagstunde durch zwei Revolver schüsse ermordet und starb kurz darauf in einer Klinik, wo man ihn durch eine sofortige Operation zu retten versucht hatte. Der Täter, der Nikowel zu heißen behauptet und aus Sofia zu stammen angibt, wurde verhaftet. Der Begleiter Dafkalows, Dr. Bo- jadew, wurde durch einen der Schüsse leicht ver wundet. Daskalow war Gesandter der Regierung Stambulinski in Prag. Nach dem Sturz des Kabinetts Stambulinski war er der einzige diplo matische Vertreter, der die in Sofia vollzogene Revo- lution und den Regierungsumschwuyg nicht an erkennen wollte. Er blieb in seinem Prager Gesandt- schaftsgebäude und gewahrte auch Anhängern Stam- bulinskis, die au» Belgrad geflüchtet waren, Zuflucht. Bei der Sympathie der tschechoslowakischen Regie- rung für das Regime Stambulinski und aus poli- tischen Gründen verhandelt« man in Prag mit Daskalow noch weiter. Schließlich machte man ihm, al« der diplomatische Vertreter der neuen Regieruyg in Prag erschien, jedoch begreiflich, daß er dar Ge sandtschaftsgebäude räumen müsse. Daskalow gilt als einer der entschiedensten An hänger der Stambulinski-Partei und des Gedankens der Verständigung Bulgariens mit der Kleinen Entente und de» Beitritt» zu ihr. Ob der Mord au» politischen Gründen erfolgt ist, wird die Unter suchung ergeben. , Tarif für LehrNngsarbeit Dresden, 27. August. (Eig. Tel.) Das Arbeits- Ministerium hat an die Schlichtungsausschüsse und die Demobilmachungskommissare folgenden Erlaß ge- richtet: Bei dem Arbeitsministerium mehren sich die Bitten um eine Stellungnahme zu der Frage, ob Lehrlinge in Tarifverträge ein. bezogen werden können. Da» Arbeitsmtnisterium bejaht dies« Frage durchaus Es befindet sich hierbei in Uebereinstimmung mit dem preußischen Minister fiir Handel und Gewerbe, der ausführlich zu dieser Frag« Stellung genommen hat. Jeder Lehrvertrag begründet eiu« Arbeit-Verpflichtung de» Lehrling» mit der Bedingung, daß diese im Sinne einer Berufsausbildung gehandhabt wird. Di« Arbeitgeber rechnen auch durch«u« mit den Arbeit»- letstunaen der Lehrlinge, die sie auch ihren Kunden dielfach sogar al» Arbeitsstunden ausgelernter Arbeiter in Ansatz bringen. Anderseits find auch di« Lehrling« bzw. deren Eltern ganz überwiegend auf Lie Geaenleistungen des Arbeitgebers angewiesen. Auch die Gesetzgebung steht dl« Lehrlinge grünte sätzlich al» gewerbliche Arbeiter an. Aller dings haben die Innungen und Handwerkskammern innerhalb ihrer gesetzlichen Anständigkeit das Recht, di« Lehrling »Verhältnisse zu regeln. Sofern fi« die» jedoch nicht umfassend und vollständig tun, ist die Bahn fiir «ine tarifliche Regelung der Lehrlings- Verhältnisse frei.
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