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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 12.08.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-08-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192308129
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230812
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230812
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-08
- Tag 1923-08-12
-
Monat
1923-08
-
Jahr
1923
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8ette 2 ITr. 19V Leipziger ^gedlsN uock Urmckelsreituag LoautLg, Ser» 12. Lligust Verfassungsfeier der Behörden Die städtischen, staatlichen und Reichsbehörden veranstalteten gestern II Ilhr vormittags in der Aula der Universität eine gemeinsame Persaflungs- feier, bei der Reichsgerichtsrat Doehn die An sprache übernommen hatte. Die Feier — so führte der Redner aus — könne keine Festlichkeit sein, sondern nur eine Stunde der Sammlung und Selbstbesinnung in der furchtbar schweren Gegenwart. Frankreich will Deutschland vernichten, und zwar — das ist das Teufliche dabei — unter dem Schein des Rechts. Der Kampf, den die von der Besetzung betroffene Bevölkerung an der Ruhr durchführt, ist den Heldenleistungen des deut schen Volkes im Weltkrieg ebenbürtig. Rach diesen einleitenden Worten ging Reichs- gerichtsrat Doehn auf das eigentliche Thema über. Bere is während des Kriegs erkannten die matz gebenden Stellen, das; das deutsche Volk mehr Anteil haben müsse an der Regierung. Der unter Dethmann eingesetzte Verfassungsausschutz sollte uns diesem Ziel naherbringen. Mit dem Gesetz vom 28. Oktober 1018, nach dem der Reichskanzler zu seiner Amtsführung des Vertrauens des Ncichsags bedarf, hielt die parlamentarische Regicrungsform ihren Einzug. Es ist ein großes Verdienst der Sozialdemokratie, datz sie, zur Macht gekommen, sofort die Wahlen zur Nationalversammlung aueschrieb und auf die Diktatur des Proletariats verzichtete. Die neue Verfassung beruht auf der Volkssouveränität im Ge gensatz zur alten, die nur das Gottesgnadentum der Fürsten kannte. Sie kennt vielerlei ethische Ziele, während die alte fast nur den Schutz des Bundes- gebleis kannte. Und vor allem: sie erlegt dem Staatsbürger als dem Glied der Volksgemein schaft Pflichten auf. Der Schwerpunkt der Reichs gewalt liegt beim Reichstag, dessen Mitglieder Ver treter des ganzen Volkes sind. Einen höheren, hei ligeren Beruf als den des Volksvertreters gibt cs in einer Volksgemeinschaft nicht! Diese ist der Kern punkt des ganzen Dcrsassungswerks. Nur wer das Weimarer Verfassungswcrk nicht kennt, kann sagen, es sei ein Abklatsch westlicher Demokratie. Ob sich die Verfassung bewährt, hängt davon ab, datz der Klas senkamps und Kastenhatz hinter den Gedanken der Volksgemeinschaft zurücktritt. Wenn jeder Deutsche sich als Glied dieser Volksgemeinschaft fühlt und auch im politischen Gegner den Menschen ehrt, wer den wir jedem äußeren Unglück gewachsen sein. Die Feier in Dresden Dresden, II. August. (E i g. Tel.) Vor ge ladenen Gästen fand heute morgen die Vcrsassungs- seier des Freistaates Sachsen und der Landes hauptstadt Dresden im Opernhausc statt. In der ehemaligen Königvloge saßen als Vertreter der Negierung Ministerpräsident Dr. Zeign er und Minister Fleiß ner. Als Vertreter der Stadt war der zweite Bürgermeister Dr. Külz erschienen. Der Dichter Heinrich Mann hielt die Fest ansprache: Man feiere in Zeiten, die sehr kritisch geworden seien, eine Verfassung, von der man nicht wisse, was aus ihr noch würde. Damals in Weimar seien Ideale mit in diese Verfassung hinein- aear'küntet morden und ihr Geist sei keineswegs der einer republikanischen Plutokratie. Die Revolution habe die Köpfe frei gemacht. Die Verfassung in Weimar, auf sozialer Gesinnung basierend, abhold jeder Kapitalsanhäufung, habe die Vereinheitlichung Deutschlands angcstrcbt und die Freiheit im Innern. Aber das Kapital sei erst jetzt wahrhaft über wältigend geworden. Es gebe einige Gründe zrre Entschuldigung dafür, datz man nun eine Ver fassung feiere, die diese Macht des Kapitals nicht gewollt habe. Deutschland gleiche einem ein- gcsponnenen Insekt, das nun von der Großindustrie ansgesogrn werde, die sich die allgemeine Erschöpfung zunutze mache. Für Geld kaufe man bei uns heute die Welt. Eine Diktatur müsse nicht erst kommen, sie sei schon vorlmnden in Form von Kapital kolossen. Die einzige Macht habe heute das Geld in einem Lande- wo kaum noch Geld sei. Echte Vaterlandsliebe sei auch Mensckxuiliebe. Frankreich leide heute ebenfalls an einer Erschlaffung des Freiheitssinncs. (Gelächter.) Der Ruhr einfall sei ein Ausdruck französischer Schwäche. (Gelächter.) Die wahre Frei heit im Weimarer Sinne dringe auf den Ausgleich im Innern auch in materieller Beziehung, auf inter nationale Gerechtigkeit. Weimar bedeute soviel wie nach frei erkannten Ideen leben. Aber die ersten und echten Republikaner seien mit der heutigen Republik nicht zufrieden. Daran ändere auch nichts, wenn eine Reichsexekutive gegen solche Staaten angestrengt werde, denen das gesamte Volkswohl noch oberstes Ziel bedeute. Den drohenden Verfall des Reiches habe nichts so deutlich aufgczeigt, als die letzten drei Tage des Reichstages. Man habe den Eindruck gehabt, als befinde man sich in einem Hause von Gespenstern. (Unruhe.) Eine tragische Ecspcnstersonate sei hier ge spielt worden, wie sie noch kein Theater aufgeführt habe. Ein Reichskanzler, den man empfangen habe mit dem Ausruf „Lebender Leichnam"', habe keine Miene verzogen dazu, habe Märchen erzählt und leere Versprechungen gemacht. (Große Unruhe.) Ein anderes Gespenst, ein kaiserliches Gcffpenst, habe ge quatscht (bei dem Ausdruck „gequatscht" geht eine große Welle der Bewegung durch das Haus und Rufe „Unerhört!" werden laut-, Türen werden krachend zu- geschlagen), als sei man im Reichstage noch geschützt von einem kaiserlichen 12-Millionen-Heer. Menschen pflege solle der Kern aller Politik sein, eine wahre Humanität im Sinne Weimars. Wenn das erst er reicht sei, atme man wieder geklärte Luft. Große Taten glühten auf wie Fackeln, die Geschlechter ein ander reichten zum letzetn Ziele, dem Frieden. Eine Fackel sei auch die Weimarer Verfassung. — Nach dem Dortrage setzte Zischen ein, das ebenso wie starkes Händeklatschen eine ganze Weile andauerte. Den Schluß der Verfassungsfeier bildete dann die „Egmont"-Ouvertüre. Oie Neichstagsfeier Berlin, II. August. (E i g. Tel.) Die junge Republik erlebt ihren Derfassungstog in einem Augenblick allertiefster Sorge. Kein Schimmer fest lichen Glanzes liegt auf den Straßen. Wohl sind die Linden belebt und wie immer, wenn ein Auf gebot von Cchutzinannschaftsn notwendigste Siche- rnngen vornimmt, haben sich Gruppen und Reihen von Neugierigen gebildet, aber die Not des Tages ist in fast jedem Gesicht ausgcdrückt. Spärlich ist der Fahnenschmuck. Nur in der Wilhelmstraße, dem Sitze so vieler Behörden, kommt es zu einem rau- schenken Akkord von schwarzrvtgold. Unter den Linden haben die Privathäuscr fast gar nicht ge flaggt — und selbst die beiden Fahnenstangen der Hapag, deren einstiger Generaldirektor heute Reichs- kanzler ist, sind leer. Das Reichstagsgebäude, von einem starken Schupoaufgebot geschützt, ist der Schauplatz der ein- »igen öffentlichen Vörfassungsfeier. Auf den Bänken der Abgeordneten sowie auf den Tribünen und in den Logen haben die Eingeladenen Platz genommen, unten die Vertreter der Behörden, Arbeitgeber- und Arbeitnehmrrverbände, Handel und Industrie, Kunst und Wissenschaft. Eine besondere Vertretung der Ausgewiesenen aus den besetzten Gebieten hat in einer Loge Platz genommen. Um 12 Uhr mittags sind Saal und Tribünen ge- füllt. Der Reichskanzler hat mit dem Reichsministe rium auf den gewohnten Bänken Platz genommen. Der Reichspräsident, durch allgemeines Erheben be grüßt, erscheint, begleitet vom Reichsminister de» Innern, dem preußischen Ministerpräsidenten sowie dem Schöpfer des Verfassungscntwurfes, Professor Prcuß, in der Diplomatenloge. Nach einleitendem Gesang hält Prof. Dr. Ger- Hard Anschütz, der gegenwärtige Rektor der Heidelberger Universität, die Rede, die in ihrer nüchternen Art kaum eine Festrede, sondern mehr eine akademische Auseinandersetzung mit den Gegnern der Verfassung genannt werden kann. Anschütz be- tont in erster Linie das Verdienst der Wei marer Nationalversammlung, die durch Schaffung der Verfassung die Einheit des Reiches gerettet habe. Er bedauert, daß die Verfassung nicht einem Volksentscheid vorgclegt wurde, sie wäre einer großen Majorität sicher ge- wesen. Er wandte sich dann gegen den Vorwurf, daß die Verfassung den Parlamentarismus begünstigt habe. Eine Negierung sei durchaus nicht verpflichtet, einer Mehrheit willenlos zu dienen, und die Ver fassung gebe ihr Spielraum genug zur Führcrrolle. Demokratie und Vater- landsliebe seien wahrhaftig keine Gegensätze. Mehr akademisch setzt sich der Redner mit den Vorwürfen auseinander, die behaupteten, daß die Verfassung das Selbstbcstimmungsrecht der einzelnen Länder einenge. Näher an die Sorgen des Tages führt der zweite Redner, Oberbürgermeister Iarres-Duis- bürg, der Präsident des Rheinischen Provinzial landtages. Jarres betont: Wie der einzelne auch zu der Verfassung stünde, jetzt sei der Augenblick, wo alle Hände sich ineinanderlegen müßten. Wenn er selbst als Rheinländer wünsche, daß der Kampf gegen die Bedrücker, wie es vielleicht ein anderes Volk ge tan hätte, mit größerem Temperament geführt wor- den wäre, so sei doch das deutsche Volk unübertroffen in der Zucht und Disziplin, mit der es diesen furcht baren Kampf führe. Der Reichskanzler habe vor einigen Tagen mit Recht betont, welch bleibenden Haß die Franzosen im Rheinland säen. Von der Art, wie die Bedrücker dort auftreten, erzählt er eine Episode. Bekanntlich fordert die Besatzungsbehörde von der Bevölkerung Wachtdienst an den Eisenbahnen. Bisher haben alle Behörden und Gemeinden diesen Dienst abgelehnt. In einem kleinen Orte in der Nähe von Trier wurde auf diese Ablehnung hin der Bevölkerung gedroht, daß, wenn sie nicht sofort den Dienst aufnähme, sämtliche männlichen Einwohner ausgewiesen und die Wohnungen mit farbigen Trup pen belegt würden. (Heftige Pfuirufe im ganzen Saale.) Hierauf haben sich dann die Bewohner ent- schließen müssen, die geforderten Nachtdienste zu übernehmen. Aber der Zynismus der Franzosen werde im Rheinlande unvergessen bleiben. Zum Schluß richtet Oberbürgermeister Dr. Jarres eine dringende Mahnung an die Landwirtschaft, das Rheinland in seinem Kampfe durch schnelle Lieferung des Getreides zu unterstützen. Jarres brachte dann das Hoch auf das Vaterland aus. Das Deutschland lied schloß die Feier. Aufruf des Reichspräsidenten Berlin, 11. August. Der Reichspräsident hat an läßlich des Perfassungstages folgenden Auf ruf erlassen: „An das deutsche Volk! Zn schwerer De- drängnis, rückblickend auf ein Jahr des Leidens und des Duldens, vorwärts schauend in dunkel ver hangene Zukunft, begeht heute Deutschland seinen Verfassungstag. Jeder von uns kennt das ungeheuere Ausmaß unserer Not und Bitterkeit. Und dennoch- Wir wollen den besonderen Sinn dieses Tages nicht vergessen! Das deutsche Volk hat sich seine Verfassung gegeben, einig in seinen Stämmen und von dem Willen beseelt, sein Reich in Freiheit und Gerechtigkeit zu erneuern und zu befestigen, dem inneren und äußeren Frieden zu d'enen und den ge- sellsck)aftlichen Fortschritt zu fördern. Diesen Willen wollen wir heute aufs neue bekunden gnd bekräftigen. Gerade auf den Tag sind heute sieben Monate vergangen, seit die Franzosen und Belgier in unser Land eingebrochen sind. Sie haben unsere fleißige Arbeit stillgelegt, schuldlose Menschen, jung und alt, verjagt, gepeinigt, gemartert und getötet. Sic haben unser redliches Bemühen, Unerfüllbares erfüllbar zu machen, in tiefe Er- bitterung verwandelt. Etwas Gutes für sich und für Europa haben sie nicht erreicht, es sei denn, daß sie dies eine erreicht haben: nie noch so felsenfesten, nie noch so innigen Glaubens wie jetzt sind wir Deutschen unserer Stammeszugehörigkeit bewußt geworden. Das Unglück verbindet: Mannesfaust schlägt ein in Mnnncsfaust, Frauenhand faßt Frauenhand: Deutsch sind wir und deutsch wollen wir bleiben! Wir blicken vergeblich in die Ferne; Schutz und Hilfe kommen nicht von dort. Die Begeisterung für das Recht scheint draußen schlafen gegangen zu sein. Wo sie wach ist, fällt sie willkürlicher Gewalt nicht in den frevelnden Arm. Wir müssen uns selber helfen. Deutsch an Rhein, Ruhr und Saar: Ihr seid uns ein Beispiel, das uns immer wieder erheben soll. Derzagt nicht: noch nie hat ein Sieger im Rausche seiner Macht recht behalten! Das lehrt uns die Weltgeschichte. Deutsche an allen freien Strömen des Vaterlandes: Laßt euch nich t von Kleinmut niederdrücken und von Selbst sucht leiten! Für Genußsucht und Luxus läßt die Not des Volkes keinen Raum. Fort daher mit all den häßlichen, heute besonders verächtlichen, die Darbenden aufreizenden Erscheinungen eines ge dankenlosen Taumels! Seid euch stets bewußt, daß 11 der Kampf an Rhein und Ruhr von euch ge - steigerte Opferkraft, daß die Not der Stunde von allen Gliedern unseres Volkes selbstlose und große Leistungen verlangt. Regierung und Reichstag sollen Muk und Tatkraft zeigen und Ent schlüsse finden, um durch eigene Kraftanstrengungen die Not dieser Tage zu meistern. Verzehrt euch nicht in Zwietracht, im Kampf der Sonderinteressen, in Markten und Feilschen, sondern helft! Für eure Brüder und Schwestern an Rhein und Ruhr ist heute ein« große Sammlung vorbereitet. Gebt auch hier mit vollen Händen und bedenkt, daß mit Geld wenigsten» um ein geringes unseren gequälten Volks genossen geholfen werden kann. Deutsche, laßt da» Ergebnis dieses Tage» mitten in der Not ein unerschütterliche» Be kenntnis sein, ein Bekenntnis zum einigen, un teilbaren, der Zukunft trotz allem ungebeugt entgegen- gehenden Deutschen Reiche, zur Deutschen Republik. Das deutsche Volk hat in seiner harten Geschichte schwerere Zeiten bestanden; cs wird auch diese trüben Stunden überwinden, wenn es standhaft bleibt in treuem Zusammenhalten, in Gemeinsinn, Ordnung, Arbeit und Opferwilligkeit. Berlin, am Verfassungstage 1923. Reichspräsident Ebert." Vie Steuergesetze vom Reichstag angenommen Im weiteren Verlauf der Freitagssitzuug des Reichstags sprach nach dem Abg. von Graefe der unabhängige Abg. Ledebour. Er führte u. a. aus: Die Ruhrbesetzung durch die französische Armee würde selbst dann ein Verbrechen sein, wenn sie sich aus irgendeiner Bestimmung des Versailler Vertrages rechtfertigen ließe. Die Sabotageakte werden von der Ruhrbevölkerung mit Entrüstung und Em> pörung abgewiclen. Der Reichskanzler aber sym pathisiert mit den Saboteuren und hat erst jetzt zu spät leise vor sinnlosen Gewalttaten gewarnt. Die Sozialdemokraten waren nach ihrer bisherigen Taktik durchaus verpflichtet, der Luno-Regierung das Fortwursteln unmöglich zu machen. Bei der Abstimmung über das kommunistische Mißtrauens' votum werden wir sie hoffentlich auf unserer Seite als Gegner dieser Sabotageregicrung sehen- An die Stelle der Luno-Regierung muß eine sozialisti sche proletarische Regierung treten. Staatssekretär Freiherr von Maltzahn kommt auf die gestrigen Anfragen des Abg- Stresemann wegen der Ausweisungen deutscher Staatsangehöriger aus Polen zurück und erklärt, daß die Ausweisungen polnischer Staatsangehöriger aus Deutschland in den Fällen, wo von der polnischen Regierung Be schwerden erhoben seien, zurückgewiesen seien. Wegen der von der polnischen Regierung als Repressalien erfolgten Ausweisungen Deutscher seien Vor stellungen erhoben worden. Auch gegen die lieber- nähme der Memelbahn durch die litauische Re gierung habe die deutsche Regierung Protest ein- gelegt. Reichsminister für Landwirtschaft und Ernährung Dr. Luther: Lebensmittel sind in erforderlichem Umfange vorhanden, und wir würden Schwierigkeiten überhaupt nicht erleben, wenn nicht auf anderen Gebieten, nämlich bei der Zahlungs- mittel- und Kreditwirtschaft, so außerordentliche Schwierigkeiten beständen. Wir befinden uns in der Periode, wo immer eine gewisse Not beim Uebergang vcm alten ins neu« Jahr zu verzeichnen gewesen ist. Aber davon hat das Publikum sonst nichts gemerkt, weil wir diesen Hohlraum durch ausländische Lebens mittel ausfüllen konnten. Kartoffeln haben wir in dieser Zeit immer aus dem Auslande beziehen nnissen. Dafür fehlen uns eben diesmal die Devisen, die im wesentlichen für das Ruhr- und das übrige besetzt« Gebiet benötigt werden. Für die Versor gung mit Fett, Speck und Schmalz ist die nötige Vorsorge durch uns getroffen. Sie wissen aus den Erklärungen der Regierung, daß Schritte überall eingeleitet und zum Teil schon durchgeführt sind. Die Schwierigkeiten für den Gelddruck sind überwunden; die Reichsdruckerei arbeitet seit heute nachmittag wieder. Sie wissen ja auch, welche cscyritte im einzelnen erfolgt sind, um größere Men gen Devisen in die Hände des Reiches zu bekommen. Wir werden der Devisenfrage durch- nus Herr werden. Eine weitere Schwierigkeit bildet die Kreditfrage. Bei der plötzlichen Markent wertung muß ganz offenkundig der Wirtschaft der Kredit fehlen. Die große Bedeutung der Gold anleihe muß darin liegen, daß einzelnen, beson ders auch dem Landwirt, der seine Ware nur einmal im Jahre verkauft, die Möglichkeit gegeben ist, das Geld, das er bekommt, wertbeständig anzulegen. Nach der Gestaltung der Dinge kann die Devölke- rung die bestimmte Hoffnung haben, daß es in der nächsten Zeit gelingt, die Kartoffelzufuhren erheblich zu verbessern. Schwierigkeiten bei der Derkehrsver- waltung bestehen auch nicht. Die Zahl der angefor- derten, aber nicht gestellten Waren ist außerordent- l'ch gering. Die für den Notbedarf an Margarine, Speck und Schmalz erforderlichen Devisen sind in der letzten Zeit herausgegeben worden. Die Schwierig, leiten liegen noch im wesentlichen im Kreditproblem. Damit ist die erste Lesung der Steuer gesetze beendet. Angenommen wird ein Antrag aller Parteien, wonach Ersatzmünzen aus Alu- minium nicht nur bis zum Nennwert von 1000 Mark, sondern bis zu einer Million Mark ausge- prägt werden dürken. Um Ilhr wird darauf die Sitzung unter- krochen, damit die Fraktionen noch einmal zu den Steucrsragen Stellung nehmen können. * Erst nach 8 Ilhr eröffnete Präsident Loebe die Sitzung wieder und stellte die Eteuervorlaqen zur zweiten Beratung. Abg. Odersohren (Dntl.) äußert für da« Zentrum, die Deutschnationalen, die Demokraten, die Deutsch« und die Bayrische Dolkspartet die gemeinsame Bitte um debattclose einstimmige Annahme der Kompromißvorschläge, die im Ausschuß einstimmig mit Zustimmung aller Parteien gegen die Kommunisten angenommen worden sind. , Abg. Keil (So-.) stimmt für seine Fraktion der Kompromtßvorlage zu und bedauert, daß erst die katastrophale Erschütterung der Währung nötig war, um die Reichstaqsmehrhcit zur Annahme der alten sozialdemokratischen Forderungen zu bewegen. Abg. Koeuev (Kom.) erklärt, seine Fraktion lehne nicht alle Teile der Vorlage ab, wenn sie sie auch als ungenügend betrachtet. Die Besitzenden kämen bei diesem Kompromiß noch viel zu billig weg. Die Lr- Höhung der Vorauszahlung auf da» 400fache genüg« nicht. Damit schließt die allgemeine Aussprache. Da« Rhein- und Ruhropfer wird in S. und 3. Beratung einstimmig endgültig angenom men, ebenso die übrigen Steueroorlagen und die erhöhte Bicrsteuer gegen die Stimmen der Kom- munisten. Die nächste Sitzung findet wegen de» Per- faffung»tage» erst am Montag statt. Am Montag wird auch di« Abstimmung über den Mißtrauen»- antrag der Kommunisten erfolgen. Ieitschriften-Runvschav. Von Narr? ü. Nach der Meinung vieler, die im politischen Lebcn stehen, sind die Tage der jetzigen Neichsregierung ge zählt. „Am Sterbebett", so überschreibt der sozialdemokratische Neichstagsabgcnrdnete Breit- scheid im ersten Augustheft der „Glocke" eine Art von Nekrolog, den er schon jetzt dem Kabinett Cuno- Rosenberg pränumerando widmet. Von den Hoff nungen, die das deutsche Volk auf den „ehrbaren Kaufmann" mit den guten Verbindungen in der angelsächsischen Welt gesetzt habe, sei nur eine für die begeisterten Anhänger Cunos in Erfüllung gegangen, nämlich die Festigkeit gegenüber Frankreich, die Cw o nicht nur zu einem Nationalhelden, sondern beinahe auch zu einem Held der Nationalisten gemacht habe. Alle anderen Leistungen des Kabinetts könne man am Dollarkurs, am Stand der schwebenden Schuld und des Notenumlaufs, sowie am Lebenshaltungs index erkennen. Daß Luno-Rosenberg noch immer am Ruder sind, schreibt Breitscheid dem Mißtrauen der Parteien in die eigene Kraft zu, da niemand den Anfang zum Frontalangriff machen wolle und jede Partei sich ängstlich hüte, irgendein Odium au, zu laden. Dreitscheids Vorwurf trifft auch seine eigene Partei, der als stärkste Fraktion im Reichstag und mächtige Führerin der Opposition vor allen anderen die Rolle zukäme, den Anstoß zur Entspannung der innerpolitischen Lage zu geben. Anscheinend zieht sie es aber vor, Kommunisten mit ihrem Mißtrauens antrag im Reichstag den Vortritt zu lassen. * Auf die hauptsächlichsten Fehler der Innenpolitik des Kabinetts Cuno weist unter dem Hamlet-Wort: „Wirtschaft, Horatio!" der Hamburger Se nator Dr. Stubmann in der demokratischen Wochenschrift „Deutsche Einheit" hin. Vor allem wird die Tätigkeit des Reichswirtschafts ministers Dr. Becker einer scharfen Kritik unter zogen. Die Maßnahmen dieses Ministers seien im Sinne der Großindustrie getroffen, in deren Bann sich Dr. Becker befinde, wie er auch das Reichswirt- schaftsministerium zu einem Ministerium für Handel und Industrie gemachte habe. Die Landwirtschaft Hobe sich seinem Einfluß ebenso entzogen, wie auch die Lohn- und Gehaltsfragen und andere wichtige finanzpolitische Angelegenheiten ohne den Neichs- wirtschaftsminister ihre Erledigung fänden. Wo aber Dr. Becker einqegriffen habe, seien seine Vorschläge wenig glücklich gewesen. So sei das Angebot, durch das Deutschland wertvolle Monate verloren habe, gerade in den von den Alliierten als absolut un- annehmbar abgelehnten Punkten maßgeblich von Becker beeinflußt worden. Ebenso unglücklich sei Dr. Deckers Widerstand gegen die für den wirtschaft lichen Ausgleich zwischen Einkommen, Reallohn und Preisen unerläßlich gewordene Indexwirtschaft ge wesen. Geradezu bedenklich jedoch sei das Gewähren lassen hinsichtlich der Preispolitik der Landwirtschaft, das bei einer stärkeren Fühlungnahme nach links nicht möglich gewesen wäre. An Hand der amtlichen Preise weist Dr. Stubmann nach, daß der Getreide- preis in viel stärkerem Maße gestiegen ist, als der für die wichtigsten Düngemittel, wofür Dr. Becker mitverantwortlich zu machen sei. Die Ausführungen Dr. Stubmanns sind erfreulich klar und zutreffend. Es bleibt nur zu bedauern-daß die Demokraten in ihrer praktischen Politik nicht immer »benso klar und ziclbewußt vorgehen. Das gilt namentlich auch von der Haltung, die die Reichs tagsfraktion bis jetzt gegenüber dem Ministerium Cuno eingenommen hat. * Lin jedes Volk wird mit der Regierung „ge- straft", die es verdient. So entnehmen wir aus einem Aufsatz von Peter gingen. In der „Deutschen Rundschau" findet Peter Zingen. daß sich das deutsche Volk durch „die Politik der Entmannung" nicht nur wehrlos, sondern auch ehrlos gemacht habe. Nur am Rhein und an der Ruhr gebe es noch Männer, die einen „Kampf um den echten deutschen Geist, um verlorenen Mannes- sinn und Mannesmut" kämpfen, obwohl „der Ge ruch eines faulenden Dolksbürgers, der nur zum Ekel und zur Verzweiflung reizen kann", in die Kampfgebiete hinüberziehe. Das deutsche Volk aber ducke sich und nehme die Prügel mit, gebogenem Rücken hin. Offenbar ist ein Gebot des „völkischen" Patrio, tismus, das eigene Volk in der ungeheuerlichen Weise, in der es hier geschieht, zu beschimpfen. „Soziale Wirtschaft". Monatsschrift für deutsche Polksgemeinscl)ost, nennt sich eine neue Zeit schrift, die unter der Regie von Dr. Gerhard Kutz- scher-Berlin im Derlaa des Gewerkschaftsbunves der Angestellten, Berlin-Zehlendorf, jetzt zum ersten- mal erschienen ist. Unter dem Titel „Was wir wollen" legt Dr. Kutzscher die Ziele der Zeit- schrift dar. Als erste Aufgabe wird es bezeichnet, sich auseinanderzusetzen mit „der durch Weltkriegs- und Friedensdiktate hervorgerufenen Wirtschafts, und Scelenzerrüttung; der schon au» der Vorkricgs- zeit stammenden Weiterentwicklung der volkswirt schaftlichen Organisation, die durch den Weltkrieg und seine Folgen einen starken Auftrieb erhalten hat; die Krisis der marxistischen Lehre und Politik und dem schon zur Ausbildung eines wissenschaft lichen Neuliberalismus führenden Kampf des Unter- nehmertums und weitester Kreise der Wissenschaft gegen Arbeitnehmerbewegung, Sozial, und Wirt- schaftoreform." Was sich in so verschrobenen Wen- düngen kundgibt, ist offenbar ein Organ der poli tisch und sozial gleich reaktionären national, sozialistischen Kliquen. 12'/, Millionen Wochen-Spitzenlohn Berit», II- August. (Eia. Tel.) Die Streik- leitung der Berliner Buchdrucker teilt heute im „Vorwärts" und in der „Roten Fahne" mit, daß über die in den Verhandlungen mit den Unter- nehmern zustande gekommene Regelung in einer heute vormittag stattfindenden Versammlung de: Buchdruckerfunkttonare entschieden werden soll. Für die gestern abgeschlossene Woche wird danach de: Spitzenlohn auf fünf Millionen Mark erhöht, während sich nach dem in dem Abkommen vor- gesehenen Indexlohn für die Woche vom 11. bi» 17. August ein Spitzenlohn vo» 12M4 Millionen Mark ergibt- , Die Interalliierte Rheinlandkommission hat für den Verfassung »tag, den II. August, jede Beflaggung und jede nach außen hervor- tretende Kundgebung im besetzten Gebiet verboten.
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