Suche löschen...
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 08.08.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-08-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192308089
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230808
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230808
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-08
- Tag 1923-08-08
-
Monat
1923-08
-
Jahr
1923
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Der Marksturz Der Reichstag tritt in einer schweren Zeit wieder zusammen. Vor kurzer Zeit erst war er frohgemut und überdrüssig der Etaatsgeschäfte in die Ferien ge gangen, den schwarzen Pessimismus eines Müller- Franken mit einem kühlen Lächeln abtuend. Aber selbst dieser Pessimismus ist von der Entwicklung, die die Verhältnisse tatsächlich genommen haben, noch Überboten worden. Die Flucht vor der Mark hat beängstigende Formen angenommen. Niemand will sie mehr haben, diese Scheine, die, auf immer höhere Beträge lautend, vom Staate auf den Markt ge worfen werden. Bor wenigen Tagen kam der ffünf- Millionen-Markschein heraus. Nach dem amtlichen Berliner Dollarkur« vom Dienstag sind da» nicht einmal ganz 4 Goldmark. Diese Banknote, die am Tage ihre» Auftreten» fast niemand wechseln konnte, hat also alle Aussicht, das Kleingeld der nächsten Tage zu werden. Inzwischen werden bereits Lin- Hundert-Millionen-Mark-Banknoten gedruckt, die nach dem Dienstagkur« aber auch nur mehr einen Goldwert von 33)4 Mark repräsentieren. Die Gründ«, die zur Markflucht führen, liegen auf der Hand. Seit dem 20. Juni ist die schwebende Schuld des Reiches gewaltig gestiegen. Am 20. Juni bglief sie sich noch auf 14M Billionen Mark, am 30. Juli waren e» K7PK Billionen. In der gleichen Zeit gingen an Steuern, Zöllen und Gebühren nur 3 Billionen Mark ein. Der Staat bestreitet also seine Ausgaben, die durch den Ruhrkrieg ungeheuer ge stiegen sind, fast ausschließlich dadurch, daß er die Notenpreffe in Bewegung setzt. Dies kann er nur mit Hilfe der Reichsbank tun; denn diese allein hat das Recht der Notenausgabe. (Die übrigen deutschen Zettelbanken spielen keine Rolle.) Er begibt also Wechsel an die Reichsbank, und diese zahlt ihm dafür Banknoten aus. Die Neichsschatzwechsel haben eine dreimonatliche Laufzeit. Wenn diese drei Monate um sind, muß sic der Staat einlösen, und er löst sie ein mit — neuen Wechseln, neuen Versprechungen zu zahlen. Diese Methode hat zu einer ungeheuerlichen Steigerung de« Banknotcnumlaufs geführt. Und c» scheint wenig Hoffnung zu bestehen, daß diesem Zu- stände ein Ende bereitet wird. Wir haben schon darauf hingewiesen, daß das dem Reichstage »u- gehende Steuerzinsgesetz keine Valorisierung der Steuern bringt. Bevor aber diese wichtigste Forde rung des Tages nicht erfüllt ist, ist wenig Hoffnung vorhanden, daß der Staat seine normalen Ausgaben aus dem Steueraufkommen wird bestreiten können. Auch wird es noch eine gewisse Zeit dauern, bis die neuen Eteucrgesehe einen Ertrag für den Staat abwerfen. Inzwischen aber lebt der Staat weiter von der Notenpresse. So ist allmählich die immer wieder getäuschte Hoffnung auf Besserung zur Verzweiflung geworden und treibt nun ihrerseits m der Form einer beängstigenden Mark flucht die Devisenkurse und damit die Aussen de» Staates in die Höhe. Die Steuergcsetze, die die Re gierung bisher ausgearbeitet hat, sind von den Ver hältnissen längst überholt, die lumpipen paar Papier mark, die der Staat aus ihnen seinerzeit erhalten wird, sind heute schon weniger noch als ein Tropfen auf einen heißen Stein. Der Staat bleibt weiter auf die Notenprcsse angewiesen. So dreht sich das Rad der Hoffnungslosigkeit immer weiter, immer schneller werden seine Umdrehungen, bis es — bricht oder eine stark« Hand Ordnung schafft. Wenn im Inlande niemand mehr Vertrauen zur Mark hat, so ist es im Auslande nicht besser bestellt. Der Verkehr der Wirtschaft mit dem Auslande voll zieht sich also ausschließlich in einer anderen Wäh rung als der, die das Deutsche Reich für sein Gebiet als ausschließlich geltend vorschrcibt. Auch im In lande wird irgendwie „wertbeständig", sei es auf einer Auslandswährung oder auf einem Index fußend, gerechnet. Nur der letzte Verkauf an di« Konsumenten vollzieht sich noch ausschließlich in Papiermark. Und während alles nach Waren drängt, kann der letzte Verkäufer heute, wo die Devisenpreise mangels jeglichen Angebotes in den letzten beiden Tagen sich verdreifacht haben, für seine verkauften Waren selten die gleiche Warenmenge wieder ein- kaufen. Dies führt dazu, daß die Schaufenster ge räumt werden und die Ladentür sich nur widerwillig dem Käufer öffnet. Der Kreislauf der Produktion, der Ware zu Geld und Geld zu Ware macht, stockt, weil die Reichsmark wertlos geworden ist. Reichsregierung und Reichsbank haben versagt. Am vergangenen Freitag hat die Reichsbank ihren Diskontsatz auf 30 Prozent erhöht. Havcnstein hat diese Maßnahme eingehend „begründet". Wir haben damal» gegen diese Begründung Stellung genommen und ausgcführt, daß die Neichsbankleitung die Ver hältnisse verkenne. Die Zeit hat uns schnell recht gegeben. Heute schon mutet diese Begründung an, al» ob sie einer fernen Vergangenheit angehörte. Der Reichstag allein hat noch die Möglichkeit, den völ ligen finanziellen Zusammenbruch des Reiches, der unabsehbare Folgen haben würde, aufzuhalten. Wird er sich dieser Aufgabe gewachsen zeigen? Da» ist die bange Frage, di« ihn in den Räumen de» Parla ment» erwartet. , Dreifache Postgebühren ab 1. September Berlin, 7. August. (E i g. Te l.) Das Reichspost- ministerium hat den Vcrkehrsbeirat für die zweite Hälfte August zur Beratung über die Einführung wertbeständigerPostgebühren einberufen. Um jedoch bereit» am I. September die durch die Geldentwertung entstandenen Mehrausgaben decken zu können, sollen von diesem Tage ab die Post gebühren zunächst um 200 Prozent er höht werden, so daß ein Fernbrief 3000 Mark und eine Postkarte 1200 Mark Porto kosten würde. Ein neuer Streik in -er Metallindustrie Berit», 8. August. (Eig. Tel.) Di« An- gestellten der Berliner Metallindustrie werden morgen m den Streik treten. Die Verhandlungen mit dem Reich»arbeit»ministerium — es handelt sich da bei noch um die Iuligehälter — sind zwar noch nichr abgeschlossen, haben aber bis in die späten Nacht stunden weniy Aussicht auf «in positives Ergebnis. In einer gleichzeitig tagenden Funktionärversamm lung, an der alle Gewerkschaften beteiligt waren, kam einheitlich die Entschlossenheit zum Ausdruck, die Forderungen mit allen gewerkschaftlichen Mitteln durchzusetzen. E» ist ein Zeichen der Zett, daß in dieser Der- smnmlung, an der auch leitende Beamte sich beteiligten, hei der Nachricht von dem ergebnislosen Lelprlgar l'agrdl»« Verlauf der Verhandlungen im Reichsardeitsministe- rium spontan die Internationale ange- stimmt wurde. Rücktritt vr. Gra-nauerr? Dresden, 8. August. (Eig. Tel.) Wie wir hören, sind zwischen der Regierung Dr. Zeigners und dem Berliner Gesandten Dr. Gradnauer schon seit einiger Zeit Meinung»verfch1eden- heiten entstanden, weshalb auch die letzten Noten der sächsischen Regierung direkt der Reichsregierung übermittelt worden sind. Man darf vermuten, daß durch den direkten Verkehr mit der Rcichsrcgierung eine Demission Dr. Gradnauers erreicht werden soll. — Eine amtliche Bestätigung dieser Nachricht ist vor der Hand nicht zu erreichen. vr. Iesgner gegen -en „völkischen Beobachter" Dresden. 7. August. (Eig. Tel^ Verschiedene bürgerliche Zeitungen berichten nach dem „Völki schen Beobachter" über eine Veröffentlichung der Moskauer „Istwestja" vom 1. Mai, die von einer Besprechung zwischen dem Ministerpräsidenten Dr. Zeigner und ihrem Berichterstatter, Herrn Solsky, handelt. Ministerpräsident Dr. Zeigner erklärt hierzu: Ob die im „Völkischen Beobachter" er- schienen«! Uebersetzung des Berichtes der „Istwestja" richtig ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Die be treffende Nummer der „Istwestja" ist mir seinerzeit mit den deutschen Ucbersctzungen zugegangen, die dem Wortlaut wie dem Sinne nach von der Uebersetzung, die der „Völkische Beobachter" bringt, in einer gan zen Reihe sehr wichtiger Punkte abweichen. Welche Uebersetzung die richtige ist, vermag ich nicht zu be urteilen. Auf jeden Fall gibt die Uebersetzung, die der „Völkische Beobachter" bringt, den Inhalt meiner Besprechung mit Herrn Solsky nicht richtig wieder. Verfassungsfeiern in Preußen Berlin, 6. August. Durch Verfügung des preußi schen Innenministers sind die Oberprasidenten und der Polizeipräsident von Berlin ermächtigt worden, für Versammlungen unter freiem Him. mel und Umzüge, die für den 11. August, den Ver- fassungstag, geplant sind, Ausnahmen vom Versammlungsverbot zuzulassen, unter der Voraussetzung, daß jede Irreführung der Behörden über den gekennzeichneten Zweck der Veranstaltung ausgeschlossen und keinerlei Demonstrationen für - andere Wünsche oder Ziele mit den Versammlungen oder Umzügen verknüpft werden. Gegen die Ausweisung -er Deutschen aus Polen Berlin, 4. August. Die polnische Regierung hat in den letzten Monaten als Repressalie gegen die Ausweisung polnischer Staatsangehöriger au» Deutschland mehrere hundert Reichsdeutscher aus Polen ausgewiesen. Die Maßnahme war als Re pressalie keineswegs sachlich gerechtfertigt noch völkerrechtlich begründet. Die deutsche Regierung hat sich bemüht, eine Verständigung mit der pol- nischen Regierung in der Ausweisungsfrage herbei- zuführen. Die polnische Regierung hat aber die eintägige Ueberschreitung einer von ihr gesetzten unangemessen kurzen Frist in einer Sonderfrage als Grund benutzt, die Verhandlungen abzubrechen und sogar bereits getroffene Vereinbarungen ein seitig zu annullieren. Die deutsche Regierung hat nunmehr durch den deutschen Geschäftsträger in Warschau am 3. August eine Note überreichen lassen, in der erklärt wird, sie könne sich nicht des Eindrucks erwehren, daß die polnische Regierung überhaupt kein Einverständnis in der Ausweisungsfrage anstrebe, sondern die Deutschenausweisungen nur dazu benutzen wolle, um die von dem vorigen polnischen Ministerpräsi denten Sikorski am 10. April in Posen al» Pro gramm der polnischen Regierung verkündete Ent- deutschung Polen» durchzuführen. Die deutsche Re- gierung müsse sich Vorbehalten, hieraus die ent sprechenden Folgerungen zu ziehen. Ein Anschlag in Dortmund vereitett Esse», 7. August. (Eig. Te l.) Auch in Dort mund ist, wie erst jetzt bekannt wird, in der Nacht zum Sonnabend ein Explosioneattentat versucht worden. Vor einem französischen Regi- mentsburcau wurden Sprengkörper gefunden, die über das Gitter des Vorgartens geworfen waren. Die Ladung war jedoch nicht zur Explosion gekommen. Die Versuche der Franzosen, die Koksproduk- tion in Gang zu bringen, erstrecken sich bisher auf 13 Zechen. Von deutscher Seite wurden die Franzosen gewarnt, da es bei den Versuchen leicht zu Unglücks fällen und Explosionen kommen kann. Die Fran zosen haben jedoch ihre Versuch« trotzdem bereit» ausgenommen. Vorläufig studieren sie noch da» Snstcm der deutschen Koksöfen, die bedeutend kom plizierter gebaut sind al» die französischen. Immer hin ist es möglich, daß die Wiederaufnahme der Kokereibetriebe den Franzosen gelingt, da ver- schiedene deutsche Systeme von Koksöfen Aehnlich- keit mit den einfacher gebauten französischen haben. Allzulange werden die Franzosen die Kokereien je- doch mit Hilfe deutscher Kohlen nicht durchführen können, weil fast gar keine Kohle mehr da ist. In ein kritische» Stadium werden die französischen Der- suche erst dann treten, wenn die von den Franzosen gedungenen fremden Arbeiter Kohlen zu fördern be ginnen werden. vochum ohne Gas Bochum, 7. August. Durch die Besetzung der Zeche Hannover 3 und 4, von der Bochum mit Gas beliefert wird, ist die Versorgung der Bochumer Bevölkerung mit Ga» unterbrochen. Die Belegschaft der Zeche beschloß, so lange der Ar- beit fernzubleiben, bi» die Besetzungstruppen sich so weit entfernt haben, daß eine Berührung mit den Belegschaften nicht mehr möglich ist. Die Franzosen brachten gestern 100 Arbeiter mit Familien heran. Die Arbeiter sollen versuchen, den Kokereibetrieb mit Kohle, die von der Zeche Holland angrfahren wird, aufrechtzuerhalten. Wann die Belieferung mit Ga» wieder ausgenommen werden kann, steht noch nicht fest. Krankenhäuser, Bäckereien und andere lebenswichtige Betriebe geraten in die allergrößte Bedriingni». Denn tatsächlich, wie die» leider zu erroarten ist, eine Massenau»weisung der Ruhrbergleute uall Rrurtlelsreitiurg etnsetzen würde, wäre dadurch ein« Loge «schaffen, der das wohnungsarme Deutschland kaum Herr wer den kann. E» liegt auf der Hand, welche hygie nischen und moralischen Folgen diese Wohnung», not haben muß. Die Familien werden auseinander- gerissen, die Kinder von den Eltern getrennt, ein Haushalt ist ein Ding der Unmöglichkeit. Wenn dieser Zustand monatelang andauert, entsteht aber trotz aller Fürsorge eine solche Verelendung und Demoralisierung von tausenden Familien, daß sich die Folgen für da« Leben de« gesamten Volkes über kurz oder lang bemerkbar machen müssen. Gemeiner Nau- Karlsruhe, 7. August. (Eig. Tel.) Auf dem Werkplatz der im Karlsruher Hafengebiet gelegenen Zweigniederlassung der Firma Martin Eichrlgrün L Lo. holte sich ein französisches Kommando unter Mißachtung des Einspruches des Firmenvertreter» mehrere hundert Meter Schmalspurglets und ver weigerte die Ausstellung einer Empfangs bescheinigung. (Anmerkung der Redaktion: Im Privatleben pflegt man eine derartige Wegnahme von Privateigentum unter Verweigerung einer Empfang»- bescheinigung als Raub zu bezeichnen.) O- Wie der „Frankfurter Zeitung" gemeldet wird, haben die Franzosen im Okkupationsgebiet — nun schon in einigen Fällen — Zucker und Kartoffeln beschlagnahmt. Englische Warnungen an veutfchlan- Amerika» Haltung unverändert London, 7. August. (Eig. Tel.) Alle politischen Kreise sind sich hier über hie Berechtigung der War nung einig, Deutschland soll sich nicht aus- schließlich auf England verlassen. Der „Daily Lhronicle" bedauert es, daß amtliche deutsche Krerie sich an die geringsten Anhaltspunkte klammern und immer noch hoffen, es werde sich eine weitgehende Meinungsverschiedenheit unter den Alliirten offfen- baren, die England veranlassen könne, Deutschland zu unterstützen. Eine solche Ansicht ermutige Deutsch land nur zur Fortführung de» passiven Widerstande« ins Blaue hinein. Die „Times" setzt heute ausführ lich aus-' der, daß sich Frankreich das Verfahren, das Volk durch Druck zahlungswillig zu r .>, infach vorgegcllt habe. Es sei nicht ge- ku,.g^.., .re deutsche Politik zu ändern. In seinem Leitartikel verwirft das Blatt eine selbständige eng lische Neparationspolitik mit folgenden zur Geduld mahnenden Worten: „Wir freuen uns, daß sich die Regierung entschlossen hat, die Verhandlungen mit den Alliierten fortzusetzcn. Die Lage wird nicht ge bessert durch waghalsige Sprünge ins Leere." Unter „waghalsigen Sprüngen ins Leere" versteht man hier eine selbständige Reparationspolitik, die den Alliierten in der Form eines Ultimatums vor zulegen wäre. Die Mahnung Keynes, einer ernsten englischen Reparationspolitik Beachtung zu schenken, ist ein- druckslo» geblieben, da sie eine Reparations regelung unter der Mitwirkung Amerikas in Aussicht nehme. Der neue amerikanische Präsident hat aber nach hier vorliegenden Mitteilungen be reit» bekanntgegeben, daß Amerika nur dann an der Lösung der Reparationsfrage mitwirken wird, wenn cs von allen beteiligten Staaten, auch von Frank reich und Belgien, dazu eingeladen würde. Ministerkonferenz in Paris Part», 7. August. Der „Matin" kündigt an, spätestens am Freitag werde eine Beratung der belgischen mit den französischen Ministern über die Maßnahmen abgehalten werden, die ergriffen werden sollen, um di« Aktton im Ruhrgebiet wir kungsvoller und produktiver zu gestalten. Das Blatt verlangt in diesem Zusammenhang, daß Frankreich und Belgien im Interesse der alliierten Gläubiger die Einnahmen aus Zöllen, Steuern und andern Einkünften des Staates im besetzten Gebiet organi sieren tollen. Die beiden Staaten sollen sich an Stelle des Deutschen Reiche» setzen; alle Einnahmen sollen nicht mehr an da» deutsche Budget abgeführt werden, sondern für Konto des Reiches unter Kontrolle der Alliierten durch rheinische Beamte verbucht werden. Hierdurch könne man eine politische Grundlage für di« rheinlsche Wäh rung und Sicherheit für künftige Anleihen schaffen, durch die man einen Teil der deutschen Schuld nach Maßgabe der steuerlichen Tragfähigkeit der besetzten Gebiete «inbringen könnte. Vie englischen Noten im Druck London, 7. August. Wie das Reutersche Bureau erfährt, kehren heute verschiedene Minister nach London zurück, um am Mittwoch an der Kabi nettssitzung teilnehmen zu können. Dieser Kabinettsrat wird sich ausschließlich mit den Repa rationen und der Ruhrfrage befassen. Der Entwurf der britischen Note an Deutschland und die Mantel- not« an die Alliierten befinden sich gegenwärtig im Druck. * Die Blätter bestätigen die Ablehnung Mae Ken na», den Schatzkanzlerposten anzunehmen. Oie (Sarantiefrage im VSlkerbuu- Dart», 7. August. Der zeitweilige gemischte Aus schuß des Völkerbundes für Abrüstungsfragen hat gestern wiederum über die Dcfensivabmachungen ver- handelt. Hava» berichtet, daß die Sonderkommission Verträge al» Mittel zur Amrcndunz de» allgemeinen Garantievertrage» im Prinzip in erster Lesung an genommen habe. Der allgemeine Vertrag soll erst nach Feststellung der Haltung de» Völkerbundrate» in Kraft treten. Di« Defensivobmackungen würden also gegebenenfalls, fo fügt Hava» hinzu, di« ange griffene Ration instand setzen, mit großer Sicherheit ihrer Angreifer Herr zu werden, ohne daß die Ent scheidung de» Völkerbünde» abgewartet werden müsse. E» müsse bemerkt werden, daß di« Sonderabmachun- gen, bevor sie gültig würden, dem Dölkerbundsrat zur Genehmigung zu unterbreiten seien. Gegen di- sozialistische thüringische Regierung ist im thüringischen Landtag sowohl von den Rechtsparteien und den Demokraten als auch von den Kommunisten ein Mißtrauen»«»- trag eingebracht worden. Da sich bi« beiden An- i-riqe die geaen die Gesamtreyierung gerichtet stnd^ inhaltlich decken, ist ihre Annahme gesichert. LUttvock, ckea 8. Vie Tragödie von Versailles Von vr tialan» Stüekar Eben in dieser Zeit höchster Spannung zwischen Frankreich und Deutschland erscheint der 2. Bant» der „Wilson sch en Memoiren und Doku* mente", herausgegeben von Baker (Uebersetzung: Kurt Thestpg, Verlag Paul List, Leipzig). Schon der 1. Band hat gezeigt, daß für den Glauben, e» könne au« dem Kriege am Ende doch eine ver nünftigere Völkerordnung hervorgehen, immerhin eine gewisse Berechtigung bestand. Wilson war gewiß kein Revolutionär, noch weniger ein Deutschenfreund. Die Spuren der Ententepropaganda wie eine» durch aus in liberal-konservativem Denken befangenen Geistes lassen sich bei ihm nicht verkennen. Aber soweit von diesem Standpunkt au» «in loyaler Ver such einer Welt-Neuordnung unternommen werden kann, ist er von ihm jedenfalls aufrichtig erstrebt worden. Die ersten Hauptkapitel de» 2. Bande» über die sogenannte „dunkle Periode", die französische K'rtse, zeigen, mit welcher Hartnäckigkeit und Ent schlossenheit Frankreich von Anfang an auf sein Ziel losaegangen ist. Der Verfasser des Buches, Baker, war während der entscheidenden Monate von Ver sailles der Vorsitzende der amerikanischen Pressedxlegation und täglich in Verbindung mit Wilson. Auch Baker ist alles andere 'als ein Deutschenfreund. Aber dennoch muß er, mit seinem Meister Wilson, immer wieder bekennen, daß an der Starrheit, mit der die Franzosen nach „Sicherheit" verlangten, eigentlich jeder wirkliche Wiederaufbau plan gescheitert ist. Die» Verlangen war so stark, daß es sogar immer wieder ihre eigenen Forderungen nach Reparationen übertönte. Dem Anschein nach hat keiner der französischen Delegierten Wilson» Programm sehr ernst genommen. Schon in das An fangsprogramm der Franzosen, ja, schon in die Waffcnstillstandsverhandlungen hatten sie Forderun gen hineingeschmuggelt, tue von vornherein die Situation in ihrem Sinne stark beeinflußten. In dem Programm vom 10. Januar 1919 verlangte Foch u. a., daß der Rhein zur militärischen Grenze gemacht würde. Die Franzosen wünschten aus dem Völkerbund eine militärische Allianz zur Sicherheit Frankreichs zu machen, anderseits war ihnen die Schwächung der deutschen politischen Zentralgewalt („Wir sind daran interessiert, den Föderalismus zu begünstigen," sagte Pichon ein mal) ein wichtiges Ziel. Und der Finanzminister Klotz erklärte, er würde nie zusttmmen, daß Deutsch land mit Rohmaterialien versehen würde, bevor nicht Frankreichs eigene Industrien wiederhergestellt seien. Wenn Wilson in seinem Kampf gegen die französische Politik nicht viel zu erreichen vermochte, so lag das nicht nur an der Zähigkeit und Ge- schicklichkeit der Franzosen. Es laa auch daran, daß Wilson zugleich gegen Amerika selbst zu kämpfen hatte, wo man sich plötzlich wieder auf die alte amerikanische Abgeschlossenheit von Europa und europäischer Politik, auf die Monroe-Doktrin, zurückziehen wollte. Seine weitgehenden Garantt-- pläne für internationale gegenseitige Unterstützung billigte man nicht. Es lag ferner an Llocho'' George, der stets nur von Fall zu Fall handelte und dem amerikanischen Präsidenten in entscheiden- den Situationen nicht mit der nötigen Energie zur Seite trat, so daß Wilson fast ganz allein stand. Der Kampf gestaltete sich so schwer, daß eine Zeitlang sogar der Friedensschluß selbst bedroht war. Wilson hatte bereits den „George Washington" zur Rückfahrt bestellt. Einzig die Sorge, was aus der durch Hunger, Elend, Verzweiflung zermürbten, in Re volutionen zuckenden Welt werden sollte, einzig die Furcht vor Chaos und Anarchie in der ganzen Welt war es, die dann zu jenem traurigen Kompromiß geführt hat, den wir heute als Frieden von Ver sailles kennen. Es ist hier nicht möglich, auf alle wichtigen und interessanten Einzelheiten der sehr eingehenden Dar stellung hinzuweisen. Baker kommt schließlich im Sinne Wilsons zu dem Ergebnis: alle die Vorteile, die Frankreich in seinem hartnäckigen, leidenschaft lichen und geschickten Ringen erreicht»» haben glaubt oder erreicht hat, können ihm in Wahrheit die er strebte Sicherheit dennoch nicht verbürgen. Wie läßt sich, fragt Baker, die Ohnmacht einer im Wachsen begriffenen, erfindungsreichen und entschlossenen Nation dauernd verbürgen? Wenn überhaupt, dann nur durch derart ungeheuerliche, auf Waffen gewalt beruhende Abkommen, daß dadurch jeder sitt liche Fortschritt und die wichtigsten Kulturerrunaen- schaftcn durch Generationen zurückgedrängt würden. Und selbst diese Abmachungen würden zu ihrer Auf- rechterhaltung einer ständigen Anstrengung und an dauernder Verstärkung durch neue Maßnahmen be dürfen. Auf diesem Wege, das hat Wilson vom ersten Tage anerkannt und betont, und das ist die furchtbare Lehre dieser Jahre, ist Sicherheit für Frankreich und Ruhe für die Welt niemals zu er- reichen. E» gibt nur einen einzigen Ausweg: die Aufrichtung einer neuen Ordnung internationaler Beziehungen au« einer neuen Gemcinschaftsgesinnun^. in einem neuen Geist. Meine politische Nachrichten Die sozialdemokratische Reichstagscchgeordnet» Tont Sender, die in Pari» auf einer Ver sammlung zum Gedächtnis Jean Zaurd»' gesprochen hatte, wurde von der Sozialdemokratischen Partei Frankreichs zum Ehrenmitglied ernannt. * Al» Nachfolger de» zurückgetr^tenen belgischen KrieG»ministers Ddvbze ist der liberale Abge ordnete Forthomme zum Minister für nationale Verteidigung ernannt worden. Er hat dem Könitz bereit» den Eid geleistet. * Nach einer Blättermeldung au» Washington hält man den baldigen Rücktritt de» amerikanischen Botschafter» in London, Harvey, von semeur Posten für wahrscheinlich. * Zwischen der Türkei und den Vereinigten Staaten ist, wie au» Lausanne gemeldet wird, «ine Derständtgung erzielt worden. Der Der« trag wurde am Montag nachmittag unterzeichnet. * Die nach Konstant inopel fahrenden rusn fischen Schiffe haben Befehl erhalten, »ulgaa rische Häfen nicht anzulaufrn. ... > >4 ,
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)