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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 11.07.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-07-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192307119
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230711
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230711
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-07
- Tag 1923-07-11
-
Monat
1923-07
-
Jahr
1923
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Llttvock, S« N. )uU Lelprlger Isgedltttt uoä ÜLo6e1«re!tÜLg Ur. 1« Sette S ^«^esderickt Vir wecken ein Unter allen Ereignissen, die im Kreislauf des Kalenderjahre» da» deutsche Heim umkrempeln, liebe ich am allerwenigsten da» Großreinemachen und am allermeisten da» Großeinkochen. Schon der impo sante Weckapparat ist ein höchst fesselnde» In- strumrnt, dessen physikalische Geheimnisse ich nie begreifen werde, da ich in Physik immer schwach war. Der Apparat besteht u) au» einem kaputten Thermo meter, da» der fortgeschrittenen Hau»frau anzeigt, ob die Fruchtsaste und Gelee» die im Einkochbuch vor- geschriebene Temperatur erreicht haben; und d) aus einer nicht funktionierenden Druckvorrichtung, die stet» die spannende Frage offen läßt: Wird das Einweckgla» luftdicht schließen oder nicht? Schließt es nicht, muß man die Prozedur von vorne be ginnen. Schließt da» Gla», dann entdeckt die Haus frau erst eine» schönen Herbsttags zu ihrem Schrecken, daß es doch nicht geschlossen hat. Und dann ist es mit dem Eingekochten Essig, oder vielmehr Schim mel. Unsere Großmütter kochten ohne Weck apparat ein, ihr Eingekochte« war aber auch dem entsprechend rückständig. Mein Hauptinteresse aber gehört den Früchten, und ich muß sagen, daß ich auch ihren rohen Zustand höchst appetitlich finde. Im Vorjahr, beim Einkochen der Pfirsiche, lagen die Früchte, um noch etwa» weicher zu werden, drei Tage lang ausgebreitet da und dufteten, dufteten mit allem Raffinement der Verführung. Am dritten Tag duftete nur noch ein Bruchteil. Das Einkochen der Pfirsiche erübrigte sich schließlich mangels vorhandener Objekte. Aber sie haben auch so ganz wundervoll geschmeckt. Der .Schwund" ist eine höchst merkwürdige Eigenschaft des Einkochobstes, zumal der Pfirsiche. Mit ein paar Schüsseln Heidel- und Himbeeren, deren große fielt jetzt da ist, kommt der ganze Wald ins Har«. Heidelbeeren —: ich sehe barfüßige Kinder mit blau verschmierten Schnäbeln und gefüllten Krügen durch den Wald stapfen. Ich sehe an sonnigen Hängen, über denen die heiße Sommerluft flimmert, die Sträucher rotgesprenkelt von Beeren. Ich rieche die sonnengesogene, schwere Essenz von Fichten- nadeln und Harz, und ich höre die Grillen mit ihren winzig feinen, singenden Sägen raspeln: — alle» beim Anblick einiger Pfund Heidel- und Himbeeren. Billiger als im Einweckglas sind die Freuden der Sommerfrische wohl kaum zu haben. tztvk. Die Lrbensmittrluuruh«» bei Potsdam. Nach den Lebensmittelkrawallen am gestrigen Vormittag ist dir Lage in Nowawek bei Potsdam durch das Erscheinen einiger Hundertschaften Schutzpolizei wieder ruhiger geworden. Es kam zwar noch auf den Straßen hier und da zu Ansammlungen vor Lebensmittelgeschäften, jedoch wurden durch die zahl reichen Patrouillen der Polizei Ausschreitungen ver hindert. In den Verhandlungen versprachen die Gewerkschaftsführer dafür zu sorgen, daß, wenn keine Wucherpreise mehr gefordert würden, die Tumulte sich nicht wiederholen werden. Römischer Attentat No», 10. Juli. In der vergangenen Nacht über fielen ein Diener und ein Chauffeur, die im Dienste der Prinzen Giustianini-Baldini standen, ihre Herren; sie narkotisierten sie und raubten dann Geld und Kostbarkeiten im Werte von über zwei Millionen Lire. Die Polizei ist auf der Spur der zwei Misse- täter, die nach verübtem Raub die Flucht ergriffen. Da» Attentat hat in der Hauptstadt große» Aufsehen erregt. Lor de» Sude de» Fischerstreik». Der in Ham burg seit beinahe acht Wochen andauernde und die Ernahrunoswirtschaft schwer schädigende Streik der Hochseefischerei scheint vor dem Abschluß zu stehen. E» haben in der letzten Zeit zwischen den Arbeit gebern und Arbeitnehmern schon Vorbesprechungen stattgefunden und heute nachmittag werden vor Ver tretern de» Reichsarbeitsministerium» offizielle Ver handlungen geführt, die aller Wahrscheinlichkeit nach eine Beendigung de» Streiks schon für den morgigen Tag in Aussicht stellen lassen. Mißglückte Gefangenen-Befreiung Tilleffen yor -em Leipziger Schöffengericht Al» im Oktober vorigen Jahres vor dem Staats gerichtshof der Prozeß gegen die Mörder Rathenaus verhandelt wurde, da stand im Mittelpunkt de» Interesses der frühere Kapitänleutnant Tilleflen. Er ist einer der Drahtzieher der Putschpläne, die unser Vaterland erschütterten. Im Gegensatz zu Techow, Stubenrauch und Genossen, jungen Bengel», die kaum die Tragweite ihrer Schandtat zu beurteilen ver mochten, zeichnete sich Tilleffen durch eine präzise Aussage und die Bestimmtheit seiner Antworten aus. Man fühlte deutlich, dieser Mann war ein Führer, dessen Einfluß die anderen unterlagen, und obwohl es ihm nicht zu beweisen war, hatte man das sichere Gefühl, das hinter der Stirn dieses Willensmenschen sich mehr Pläne verbergen, als den Behörden zu enthüllen gelungen war. Tilleflen wurde damals wegen seiner Mittäterschaft an dem Mordplan gegen Rathenau zu drei Jahren Gefäng- Angeklagt find außer Tilleflen der 23 Jahre alte Student der Medizin Johannes Wegelin, zurzeit in München, der Buchhändler Karl Edgar Seffner au» Leipzig, 21 Jahre alt, der kaufmännische Beamte Alfred Erich Krebs aus Leipzig, 27 Jahre alt, und ein Ingenieur Sundermeyer, der nicht er schienen ist, so daß da» Verfahren gegen ihn ab getrennt wird. Der Verhandlung wohnt im Auf trage seiner Regierung der englische Konsul in Leip- zig bei. vievernehmungder Angeklagten Nach Verlesung der Anklageschrift wirb al» erster der Angeklagten Wegelin vernommen. Er gibt an, über das Urteil des Reichsgericht» gegen Boldt und Dittmar erbittert gewesen zu sein. Es handle X »ostvtto »t-instLur-or (oben) älnE»IeI»s*«r (unter») nis verurteilt. Jetzt sind genau zwölf Monate verflossen, daß er im Gefängnis sitzt. An dem Tage seines einjährigen Aufenthaltes steht er nun vor dem Leipziger Schöffengericht, um sich wegen der am 10. August 1921 versuchten Gefangenenbefreiung der Seeoffiziere Boldt und Dittmar zu verantworten. Beide waren damals in der Anstalt in der Pcethoven- srraße untergebracht. Sic hatten auf der Aus- lieferungsliste gestanden und waren wegen der Ver senkung eine» englischen Hospitalschiffes vom Reichs- gericht verurtelt worden. Da» Urteil hatte damals namentlich in rechtsgerichteten Kreisen Mißstimmung ausgelöst, so u. a. auch bei Tilleffen und Genoffen, die ihm bet dem Besreiungsversuch behilflich waren. Punkt S Uhr wird Tilleffen in den Saal geführt. Er sieht gut ernährt und gesund aus. Zwar ist die Farbe seines Gesichts etwas verblaßt, doch im all gemeinen merkt man ihm den einjährigen Aufenthalt hinter den „schwedischen Gardinen"' nicht an. Die typisch lächerliche Miene, die er im Rathenau-Prozcß aufzusetzen pflegte, prägt sich auch heule bei ihm wieder aus. Neugierig mustert er die Zuhörer, die nur in begrenzter Zahl zugelaflen sind. Der Ein laßdienst ist durch Echutzvolizisten verstärkt worden und die Kontrolle über jeden Ankömmling wird sehr genau auegeführt. Die Verhandlung leitet der Amtsgcrichtsrat Beyer. Al« Schössen fungieren der Lisendreher Steinhäuser und Frau Schwede, die Gattin eines Arbeitersekretärs. Die Anklage vertritt Staatsanwalt Hiller. Der Zeuge Wiese ist nicht erschienen und wird in eine Geldstrafe von 100 000 Mark genommen. »«rdütetn ssrnu «akueaet« sich um zwei Marineoffiziere, die nichts weiter als Befehle ihrer Vorgesetzten ausgeführt hätten. Til- lessen sei zu ihm gekommen und habe ihn gefragt, ob er die Vefreiungsaktton unterstützen wolle. Er habe dies bejaht und T. Wickelgamaschen und Achsel stücke geliefert, damit die Befreier als Schupo- Offiziere auftreten könnten. Später will Wegelin, der früher der Organisation 0 angehörte, an genommen haben, daß der Plan nicht ausgeführt werde. Es folgt nun das Verhör Tilleffens, das sich ziemlich ausführlich gestaltet. Lr sagt u. a. aus: „Als ehemaliger Kapitänleutnant hatte ich ein besonderes Interesse an Boldt und Dittmar, die mir aus der Marinezeit bekannt waren. Boldt habe ich auch bei der Ehrhardt-Brigade näher kennengelernt. Nach der Verurteilung wollte ich beide besuchen. Ich schrieb an Wegelin, er möchte erfragen, ob mein Besuch genehmigt würde, da ich wegen der hohen Kosten nicht mehrere Tage in Leip zig bleiben wollte. Wegelin kannte ich von der Bri gade Ehrhardt Ker. Er begleitete mich zum Reichs gericht, wo ich die Erlaubnis zum Besuche erwirkte. Nachher gingen wir zu der ihm befreundeten Fa milie Krebs, um Kaffee zu trinken, nicht etwa, um dort den Plan zur Befreiung durchzusprechen. Nach dem Besuch bei Krebs habe ich mit der erst seit einem Monat verheirateten Frau Dittmar und auch mit der Schwester Boldts gespro chen. Dabei kam uns die Idee, die Gefangenen mit List zu befreien. An eine gewaltsame Befreiung haben wir nie gedacht. Ich wollte lediglich die Rolle -es Hauptmanns von Köpenick spielen. Don einem Kameraden, dessen Namen ich nicht nennen will, erfuhr ich, daß in Zwickau ein Kaufmann Wiesel, ein sehr jovialer und weinseliger Herr, mir da» Auto für die Fahrt nach Leipzig überlassen würde. Ich suchte den dortigen Rats keller auf, lernte Wiesel kennen und erreichte von ihm in angezechter Stimmung, daß er mir de» Wagen für einen Tag nach Leipzig überließ Auf der Fahrt dorthin hörte ich von einem See offizier, daß mein Plan verraten sei. Ich beschloß deshalb, davon Abstand zu nehmen, sagte die» auch Wegelin und änderte meinen Entschluß erst, als ich von den beiden Damen Boldt und Ditt mar hörte, daß ihre Männer trotz alledem den Augenblick zur Befreiung für günstig hielten. Ich wartete noch zwei Tage und habe dann am 10. August gegen 12 Uhr nachts den Befreiungs- versuch unternommen. Mit mir fuhren Leutnant Kern, Leutnant Roerer und ein Chauffeur. Als ich dann merkte, daß unsere Absicht der Befreiung von der Gefängniswache erkannt war, fuhr ich kurzerhand mit dem Auto davon. Lors.: Wir war cs mit dem telephonischen An- ruf aus Berlin? Angekl. Ttllesseu: Ja, es war verabredet, daß von Berlin au» getagt werden soll»?, e» käme ein Auto aus Berlin, das die Gefangenen Boldt und Dittmar abholen werde. Lors.: War der Chauffeur ein gewisser Sundrr- meyer von der Technischen Nothilfe in Chemnitz? Angekl. L.: Das weiß ich nicht. Lors.: Wer hat Ihnen diesen Chauffeur be schafft? Angekl. T.: Das möchte ich nicht sagen. Bors.: Wo haben Sie während Ihres Aufent haltes in Leipzig gewohnt? Angekl. T.: Im Hansa-Hotel, wo ich mich mit meinem richtigen Namen eintrug. — Der nächste Angeklagte Krebs gibt zu, daß in seiner Wohnung der Plan besprochen worden sei. Das Urteil des Reichsgerichts habe er für einen Rechtsbruch gehalten. Er habe sich wegen eines Auto» an Seffner gewandt und ihm gesagt, daß er e» für eine „qute nationale Sache" brauche. Da er später aber sah, daß es unmöglich sei, einen Wagen zu erhalten, so habe er den gan zen Plan al» gescheitert betrachtet. Der Angeklagte Seffner, der ebenfalls brr Organisation L angehört hat, erklärt, er habe Z/eöe o/r/re Dorurer-skaA beArxne/t 1^7 mit ck-m «nseres n-rt-n Äowrans „Diebe obne 6^-neen" von //ans La/rck Der bekannte Drzukier, liessen Domäne nnci Dorellen stets srn großes babsn, /tllrri uns rn seiner neuen Arbeit an «ien t?en/er Kee. ssrr -rieben tire Kekreksaie cies ^unAen, s^mxatirrscken HHioFkerrn von Mmrchros. llsr nack bitteren Dnttausc/runASn in lisr Diebe nci Dreunciscba/t, naeb /rr/akrten einer stürmischen DuFSnll enliiic/t cias rbm bestimmte, treue Ziere /inllet. Frauen Skizze von Vielt! »«um Die Kaiserstraße hinab wandeln zwei gutge formte hellgraue Seidenbeine. Die Kaiserstraße hinauf bewegt sich ein etwa» abgenützter Kinderwagen. Die Seidenbeine sind Eigentum de» Fräulein» Alice Leichsenring; der Kinderwagen hingegen ge hört Frau Eva Liebtritt, Gattin des Doktor Liebtritt. Fräulein Leichsenring ist dreißig Jahre alt, sieht wie achtundzwanzig aus, fühlt sich wie zweiund zwanzig. Sie ist Kunstgewerblerin, hübsch und ohne große Vorteile. Frau Ltebtritt ist gleichfalls dreihia Jahre alt, sieht wie dreißig Jahre au» und fühlt sich wie zwei undvierzig. Sie ist, wie bereit» erwähnt, verheirate: mit ihrem Mann, dem Doktor Liebtritt. Fräulein Leichsenring trijgt in der Hand ein Deil- chensträußchen und ein Leihbibliotheksbuch. Frau Liebtritt schiebt den Kinderwagen, im Kinderwagen liegt das Halbjährige und schlaft, ferner sitzt nahe dem Griff auf einem höchst praktisch erfundenen Bänkchen da» Zweijährige, ferner liegt im Wagen die Handtasche und ein Paket mit Schellfisch, ferner baumelt über dem Wagengriff ein Marktnetz mit unterschiedlichen Lebensmitteln; ferner hängt an ihrem Arm da» Fünfjährige. Beide Damen find vergnügtt und lächeln in den Morgen hinein. Fräulein Leichsenring hat einen netten Dries mit der Morgenpost bekommen, ist frisch massiert, onduliert, frisiert und hat ein Ge sichtsdampfbad hinter sich, was alle» zusammen aus gezeichnet auf Stimmung, Lebensfreude und Selbst gefühl eiuwirkt. Frau Liebtritt ist seit sech» Uhr aus den Beinen, hat die Kinder angezvqen, mit dem mehrfach erwähnten Doktor Liebtritt gefrühstückt, war bereit» in der Markthalle, wo sowohl der Schell- fisch wie die anderen unterschiedlichen Leben»mittel .billig" und in bester Qualität zu erstehen sivd. Auch hat da» Halbjährige heute di, ersten selbständigen Sitzversuche gemacht... Zn der Mitte der Kaiserstraße treffen die beiden Damen zusammen und find sichtlich erfreut. Die hübsch, daß man dich einmal fieht! Und wie gut du au»schaustl Dich macht jedes Kind ein Jahr jüngerl Wirklich! Ach ja, die Kinder! Ader was hast du für ein entzückendes Kostüm an! (Fräulein Leichsenrings Kostüm ist hellgrau, mit einem kecken Einschlag von Kornblumenblau, es ist von einem ersten Schneider gemacht und steht ihr ausgezeichnet.) Es geht — sagt Fräulein Leichsenring. Mich darfst du gar nicht ansehen, sagt Frau Lieb- tritt; ich bin noch in der Linkaufstoilette, weißt du — (Mein Gott, wie kleinbürgerlich — denkt sie er schrocken.) Mein Gott, wie kleinbürgerlich — denkt Fräulein Leichsenring gleichfalls und sieht nunmehr Frau Liebtritt genau an. Frau Liebtritt hat jenen Regenmantel an, der nun schon bei drei Kindern weiter, noch weiter und nachher wieder enger ge macht wurde. Er sieht so modernisiert aus, der Mantel... Frau Liebtritt hat immer gefunden, daß der Mantel noch sehr, wirklich sehr hübsch ist; jetzt spürt sie ihn plötzlich — Nun aber muß folgendes gesagt werden: Frau Liebtritt ist verheiratet mit Doktor Liebtritt. Fräulein Leichsenring hat ein Verhältnis mit Doktor Liebtritt gehabt oder hat es am Ende noch. Frau Liebtritt weiß, daß Doktor Liebtritt mit ihrer ehemaligen Freundin, Fräulein Leichsenring. ein Verhälrnis gehabt hat oder es am Ende noch hat. Fräulein Leichsenring weiß, daß Fran Liebtritt weiß, daß sie mit Doktor Liebtritt — Man sieht, es ist eine jener Situationen, wie sie Frauen über alles lieben. Deshalb auch lachen beide, sind angeregt, haben glänzende Augen, lauschen Liebenswürdigkeiten, bewundern gegenseitig Kleidung, Aussehen, Kinder, Kunstgewerbe und hundert andere Dinge. Da führt der Teufel Doktor Liebtritt die Kaiser straße herbei. Doktor Liebtrttt ist ganz ohne Indira- dmrlität, schwingt rin Spazierstöckchen, pfeift und begibt sich in» Ministerium an seine Arbeit. Doktor Liebtritt erblickt die beiden ihm nahestehen, den Damen im Gespräch und benimmt sich so korrekt, wie ein Mann ohne Individualität, ein im Mini- fterium beschäftigter Mann, sich stet» benimmt. Er küßt beiden Damen ohne jede Nuancierung die Hand, »acht dem Fräulein Leichsenring rin Kompliment über ihre letzte kunstgewerbliche Arbeit, streichelt die drei Kinder zärtlich, lobt das Wetter, küßt wieder die Hände und begibt sich seines Weges, ein Bild der Harmlosigkeit und des Zufriedenseins. Die beiden Damen sehen etwas fieberhaft aus und so, als würden sie Zahnschmerzen verbeißen. Sie trennen sich eilig — Fräulein Leichsenring muß pünktlich bei einem Vortrag über ostasiatische Kunst sein, Frau Liebtritt hat die Fütterungsstunde des Halbjährigen genau einzuhalten. Adieu. Auf Wiedersehen. Die Seiiienbeine wandeln die Kaiserstraße hinab: Fräulein Leichsenring denkt: Die hat's gut. Die hat den Mann, die hat ihn. Die hat ihn immer, die darf für ihn sorgen, die bringt ihm Opfer, die ist glücklich. Und die Kinder! Kinder hat sie, jedes zweite Jahr rin Kind, lauter Bionotöpfe, füße, warme. Unsereiner erfriert beinah vor LeVce. Kunstgewerbe. Ha! Ostasiatische Kunst. Ha! Da- von soll man nun leben . . . Der Kinderwagen bewegt sich die Kaiserstraße hinauf. Frau Liebtritt denkt: Die hat's gut. Aus sehen wie eine Zwanzigjährige. Gepflegt, hübsch augezogen, nichts zu tun den ganzen Tag. Kein Wunder, daß da dir Männer drauffliegen. Seiden strümpfe! Keine Sorgen! Und ich mit dem alten Gummimantel und dem ewigen Kinderkriegen, da soll er dann noch treu bleiben! Hätte ich nicht ge heiratet, dann wäre er jetzt in mich verliebt und tch wäre die Schönheit und ich hätte die Seidcnftrümpfe und alles andere . . . Fräulein Alice Leichsenring weint vor Neid. Frau Eva Liebtritt weint vor Reid. Doktor Liebtritt schwingt sein Spazierstöckchen und pfeift . . . Buchschlüssel 15 000. Die Schlüsselzahl für den deutschen Buchhandel wurde mit Wirkung von heute Mittwoch von 12 000 auf 15 000 erhöht. Sin Lolk»stück von Georg Kaiser. „Neben einander", ein Volk»stück 1S23 in fünf Akten, hat Georg Kaiser seine neueste Schöpfung ben-nnt, die im Anfang der Winterspielzeit gleichzeitig an Bert hold Viertel» Theater „Die Truppe" und am Schau spielhaus in Frankfurt a. M. zur Uraufführung ge langen wird. Ein frühere» Werk des Dichters, die Komödie „Die jüdische Witwe", hat Ientendant Leopold Ießner für das Staatstheater in Berlin zur Aufführung erworben. Hunderttausend Dollar sür den Weltfrieden. Wie aus New Bork gekabelt wird, hat der reiche frühere Perlagsbuchhändler Dock aus Philadelphia einen Preis von 100 000 Dollar für denjenigen Amerikaner ausgesetzt, dem e» gelingt, einen Plan zu entdecken, auf dessen Grundlage die Vereinigten Staaten die Möglichkeit erhalten, zum Zweck der Sicherung des Weltfriedens mit anderen Nationen zusammen- zuarbeiten. Die Hälfte der Summe soll zur Aus- zahlung kommen, wenn der Plan von emem be sonderen Schiedsrichterkollegium angenommen wird; der Rest ist fällig, wenn ihn der amerikanische Senat seinerseits gebilligt hat. Sine Musikhochschule in Bien. Nachdem bereits mit diesem Eommersemester mit der Einrichtung von musikalischen Hochschulkursen ein erster Schritt getan war, ist durch einen Beschluß des Unterrichtsau», schufses des Nationalrates die Errichtung einer Staatlichen Musikhochschule gesichert, für die sich auch der Direktor der Staatsoper, Dr. Richard Strauß, der wahrscheinlich die Lehrkanzel für Kompositionslehre übernimmt, sehr eingesetzt hat. Die Organisation der neuen Hochschule wird wahr- scheinlich nach dem Muster der Charlottenburger Musikhochschule erfolgen. Literarisch« Notiz. Der Friedr.-Lintz-Perlag, Trier, bereitet zum 80. Geburtstage de» Dichters Her mann Stehr eine zehnbändige Gesamtausgabe seiner Werke vor, Die Max Tau herausgibt. Außer allen bereits erschienenen Dichtungen enthält diese Ausgabe den soeben vollendeten Roman „Brindeise- ner" sowie die Gedichte und Tagebuch-Aufzeichnungen de» Dichters. (Bisher erschienen Hermann Stehrs Bücher im S. Fischer-Verlag, Berlin.) «n« den rheaterbnreau«. («euer LH «ater.) In Ergänzung unserer Notiz über Versonalverstnderungen an der «Over ist noch mtizittetlen, daß der Vertrag Heb- wia vorcder« Mr da« Nach der Kotoratursängert» unv Koloratursoubrette verlängert wurde, ebenso «»red Voigt« Vertrag al« renorbusso. — Ernst Vosson- ver abschied«, sich am D»nnrr««ag, den iS. Juli, al» Rtgo- letto in Verdi« gleichnamt^r vper.
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