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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 04.07.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-07-04
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192307044
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230704
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230704
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-07
- Tag 1923-07-04
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Monat
1923-07
-
Jahr
1923
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8«U- 2 Ur. ISS Stinnes und die Mark Man erinnert sich noch der Tragikomödie, die vor kurzem im Reichstage gespielt wurde. Ein parla mentarischer Untersuchungsausschuß hatte sich damit zu beschäftigen, die Gründe zu suchen, weshalb die Markstützungsaktion zusammengebrochen seL E» konnte keinem Zweifel unterliegen, daß man schließlich zu dem Ergebnis kommen mußte, es sei bei der gegenwärtigen Lage der Dinge eben unmög lich gewesen, den Dollarkurs länger stabil auf 20 000 zu halten. Aber, um zu diesem Ergebnis zu kom men, brauchte man wirklich keinen Untersuchung», ausschuß, dessen Sache es vielmehr gewesen wäre, diese »gegenwärtige Lage der Dinge" gründlich zu untersuchen und darin vielleicht Dinge zu finden, die einer Reform zugänglich gewesen wären. Aber soweit die Verhandlungen öffentlich waren, hoben sic sich kaum über das Niveau eines Bierbankgesprächs. Was hinter verschloßenen Türen zutage gefördert wurde, weiß man nicht; aber ein Ergebnis hat die Untersuchung jedenfalls nicht gezeitigt. Al» eine der Hauptpersonen stand vor dem Unter suchungsausschuß Hugo Stinnes, der ja kurz vorher dem Reichswirtschaftsminister Hermes mit- geteilt hatte, er könne die Stützungsaktion nicht mit machen. Das letztere ist nicht unbegreiflich: Geschäft ist Geschäft, und ein wirklich gutes Geschäft ist nur bei fallendem Markkurs zu machen. Benn weite Schichten de« Volke» in immer größerem Elend ver kommen, lassen sich am besten Unsummen zusammen- raffen, kann man auf Kosten von Millionen, die wehrlos dieser Katastrophe gxgenüberstehen, sein eigenes Vermögen festigen und erweitern. Und Stinnes kauft, was er kaufen kann. Im Inlands, im Auslande rafft er zusammen, vielfach — scheinbar wenigstens — ohne System. So hat er sich erst dieser Tage wieder über ein »freundschaftliches Zusammengehen" mit dem Dar- mer Bankverein verständigt. Der Barmer Bankverein wird nominal 250 Millionen Mark neue Aktien ausgeben, wovon die Firma Stinnes 200 Mil lionen übernimmt. Der Kursstand der Aktien an der Montagbörse war 140 000 Prozent, so daß eine Aktie nom. 1000 also 1^ Millionen kostete. Kurs- mäßig stellen die von der Firma Hugo Stinnes zu übernehmenden Aktien also ein Wertobjekt von 280 Milliarden Mark dar. Woher Herr Stinnes da» Geld nimmt? Dao Geschäft bei fallender Mark ist jedenfalls so ertragreich. Aber es ist nicht gesagt, daß man Stinnes zumutet, er solle den ganzen Kurs zahlen. Da» Lommuniquch das der Barmer Bank verein auegegeben hat, schweigt sich darüber aus. Wahrscheinlich wird dem Herrn Stinnes bei dem Ge schäft auch noch ein Milliardengeschcnk gemacht. Es gibt zwar auch noch Aktionäre, aber die Erfahrung hat bisher gelehrt, daß diese nicht sehr oft nein sagen. Und es wird ihnen ja si^er auch eindringlich genug vorgebetet werden, daß die Transaktion aus- schlicßlich in ihrem Interesse geschehe, bis sie es schließlich selber glauben. Ein anderes ist bei dieser Transaktion noch zu beachten. Bekanntlich hat sich Stinnes im vorigen Jahre in die Berliner Handelsgesell schaft eingekaust. Nun weiß das Kommunique zu vermelden, daß durch das Eindringen von Stinnes in den Barmer Bankverein weder besten Verhältnis zu den übrigen Provinz-Konzernbanken (Abca, Baye rische Hypotheken- und Wechselbank) noch zur Dis- conto-Gesellschaft verändert werde. Gerade diese» Hervorheben gibt -um Nachdenken Anlaß. Man weiß, daß das Verhältnis dieser großen Provrnz- banken zur Disconto-Gesellschaft sich stark abgekühlt und eine Annäherung an di« Berliner Handels gesellschaft stattgefunden Hot, die allerdings äußerlich noch nicht sichtbar geworden ist. Sollte dem Herrn Stinnes, der sonst ziemlich systemlos — scheinbar wenigstens — zusammcnkauft, was er zusammen kaufen kann, in seinen Dank-Bcherrschungsgclüsten doch ein großzügiger Plan vorschweben? Der Leip ziger Geschäftswelt ginge ein derartiger Plan seyr nahe. Daß die Durchführung eine» solchen Plane» Geld kosten würde, spielt bei Stinnes wirklich keine Nolle, solange sich auf Kosten der übrigen Staats bürger so trefflich Geld verdienen läßt. An der Ruhr stehen Arbeiter kämpfend gegen einen mach- Vie Umstellung Don kkormann l.lnt. Meine Cousine Gertrud, eine sehr liebe ältere Junggesellin, die ich wie ein Familienerbstück be- treue, sah sich veranlaßt, »mit der neuen Zeit mit zugehen". Dies bestand nicht nur darin, daß sie ein Zimmer ihrer sehr eleganten Wohnung an eine Ausländerin abvermietete, daß sie sich mit Gesang- -Stundengeben" im Bekanntenkreis betätigte und ihre Einladungen zum Abendessen in solche zu »einer Tuffe Tee" umwandelte, sondern daß sie auch den ernstlichen Versuch unternahm, ihre »Festverzins lichen" in »Aktien" umzusetzen. Was letztere» noch mehr als die oben skizzierten Notstandsmaßnahmen zur Erhaltung ihrer Lebensweise beitragen sollte. »Du mußt dich umstellen," hatte ich ihr in bezug auf die Festverzinslichen gesagt, worauf sie mich zunächst mit einem sehr verlegenen Blick ansah, in jener Bemerkung eine jener -unpassenden" Pikan- terien vermutend, die sie leider an mir gewohnt war. Nachdem sie die praktische Seite der Umstellung einigermaßen rasch begriffen hatte, setzte ich sie mit einer Depofitenkasse in Verbindung und sie fing an, Aktien zu kaufen. Vereinzelte Damen — auch Rentieren genannt — sind bekanntlich der Schrecken aller Depofltenkassen- vorsteher. Nicht nur deshalb, weil ihre Courage ebenso wie ihr Konto zumeist nur dazu reicht, ein paar Tausend Nominal zu erwerben, nicht nur des halb, weil sie um eben diese .kleinen" Order« ein halbe Stunde herumdebattieren — immer mit dem Argumente, »sie verstünden selbst gar nichts davon" — und weil sie, von Angst und Reue befallen, ge wöhnlich eine halbe Stunde später alles wieder rück gängig machen wollen, nicht nur de»halb, sondern vor allem auch wegen der allgemeinen Gesprächigkeit a!» solcher. Wenn ich meine Cousine morgen» gegen halb zehn besuche, so winkt sie mir schon am Telephon, ge heimnisvoll, aufgeregt, ich solle sie ja nicht unter brechen. Ihr« Order» sollen heute noch... Ich hör, etwa da» folgende: »Glauben Eie, daß der Dollar noch weiter steigt? So . . . Sie wissen selbst nicht? . . . Schade . . . wenn ich wüßte, daß er steigt... Ja, ich meine jo nicht, daß Sie mir sagen sollen, wie hoch er noch steigen wird — ich weiß ja selbst, daß Sie da» nicht sggpr können. . . aber ob er überhaupt noch Ackat . . . Wissen Sie auch nicht? ... Schade . . . MM häft« ich noch etwa» gekauft .. . Glauben l eipriger LagektLtt unä ULaäeUrrettuag , LUtztvock, 4. )uU tigen Feind, bedroht von Gestchre» für Habe und Loben. Im Hinterland« schreitet die Verarmung mit Riesenschritten fort. Und au» der Verarmung erbebt sich immer übermächtiger do» Vermögen Ein zelner. Man beareift, daß Herr Stinnes die Mark stützungsaktion nicht nur deshalb nicht mitmachen konnte, weil sic von vornherein wirtschaftlich un haltbar war. lr. Sächsischer Landtag Beamten- und Schulfrage» Dresden, 3. Juli. (Eig. Tel.) Vor der Tages ordnung werden erst zwei kurze Anfragen erledigt. Abg. Börner fragt im Namen der Deutschnatto- nalen Partei die Regierung, warum den Ruhe gehaltsbeziehern die ihnen -»stehenden Be träge wiederum verspätet ausgezahlt wurden. E« sei allmählich Regel geworden, daß die Regie rung ihren alten Beamten immer da» Gehalt zahle, wenn es erst zur Hälfte entwertet sei. Oberregie- rungsrat Dr. Engelmann antwortete, daß be reits in der ersten Iulihälftc eine größere Teil zahlung erfolgen würde. Die fortgesetzte Erhöhung der Bezüge bringe es mit sich, da bisweilen Verzöge rungen eintrcten. Abg. Schiffmann (D. D.) fragt die Regte- rung, ob sie bereit sei, bi» zur gesetzlichen Regelu-H der Fürsorge für alle Beamten der sächsischen Be amtenschaft in gleicher Weise Notstands beihilfen zu bewilligen, wie sie den Beamten des Reiches und in Preußen gewährt würden. Ober- regierungsrat. S ch u l z antwortet für die Regie rung, man halte es für richtiger, die Unterstützung»- kaffe der Beamten durch laufende Beiträge de» Staates zu stärken. Es würde aber erwogen, in welcher Weise di« bisherigen Maßnahmen im Inter esse der Beamtenschaft weiter ausgebaut werden konnten. Die Gesetzentwürfe über Abänderung des Gesetze« zur Ausführung einiger mit dem Bürgerlichen Gesetz buch zusammenhängender Rechtssätze über Verein fachung des gerichtlichen Bekanntmachungswesen« und Ergänzung der Hinterlegungsvorschriften werden entsprechend der Regierungsvorlage angenommen. Ueber Kapitel 86 de« ordentlichen Haushalt planes, Volks- und Fortbildungsschulen betreffend, berichtet Abg. Krauß (Dem.). Er beantragt Auf hebung und Beseitigung des Kapitels. Im Ausschuß sei kritisiert worden, daß es heute noch zahlreiche Schulvorstände gäbe, die ihren Lehrkräften erlaubten, mit den Schulen oft tagelang Schul- führten zu machen. Eine Leipziger Schule sei beispielsweise sechs Tage unterwegs gewesen auf einer Wande rung durch Thüringen. E« würde hierdurch der eigentliche Schulbetrieb sehr gestört. Bei der Aussprache wendet sich der Abg. Voigt (D. Dp.) gegen die fortschreitende Entchrist- lichung der Schule, besonder» geaen die Ein schränkung der Reuaionsstundrn, und führt al» be- sondere« Beispiel hierfür die strengen Maßnahmen de» sozialdemokratischen Schulinspektor« und Land- tagsabgeordneten Arzt gegenüber der christlich sozialen Lehrerschaft des Dresdener Bezirks an. Abg. Röllig (D. Dpt.) spricht ausführlich über oie Beruf«, und Fachschulen. Lr bittet da» Finanzministerium, di« Gehaltszahlung für di« Lehr kräfte der Fachschule künftig in die Hand zu nehmen. E» sei d«n Vereinen und Körperschaften völlig un möglich, die notwendigen Gehaltssätze heutzutage selbst aufzubringen. Die dort al» Lehrer beschäftig ten Handwerker würden so schlecht bezahlt, daß r» ihnen bei allem Idealismus nicht mehr möglich sei, den Unterricht weiter zu leiten. Auch müßten durch das neu« Lehrmittelgrenzgesetz bei seiner strengen Durchführung zahlreiche Fachklaffen zum größten Nachteil der Schüler Einfach geschloffen werden, wett der notwendige Ersatz nicht so rasch zu beschaffen sei. Im Schlußwort bittet Abg. Klauß die Regie rung um Untersuchung des Falles Arzt. Di« Neu tralität der Konferenzen müsse unter allen Umstän den gewahrt werden. Es ginge nicht an, daß em sozialdemokratischer Schulinspektor «inseitige Lor- schriften erlasse» kämtte. Da» Kapitel wird daher antragsgemäß und einstimmig geuehmißt. ' (Die Sitzung dauert fort.) * Dresden, 3. Juli. (Gig. T«l.) Im sächsischen Unterrichtsministerium fand eftre Besprechung statt, die über die Stellungnahme Üer thürin gischen und sächsischen Regierung zu wichtigen Fragen der Schul- und Kul turpolitik ein« weitere Klärung hcrbeiführen sollte. Die Zusammenkunft, an der die Unterricht», usinister der beiden Länder persönlich teilnahmen, hätte besonders ddn Ausbau de» E i n h e i t«s ch u l- wesen» und di« damit zusammenhängenden Aufgaben der Lehrplangestaltung der verschiedenen Schul gattungen zum Gegenstand. Detter wurde das Per- hältnis der sächsischen und thüringischen Dolksschul- politik zum Reichsschulgesetz, die Lehrerbildung»- frage sowie da» Hochschulwesen eingehend behandelt. Die Zusammenkunft hatte das Ergebnis, daß die Pläne der beiden Regierungen über die ein zuschlagenden Wege »war in Einzelheiten von- einander abwichen, daß jedoch in allen grund sätzlichen Gesichtspunkten und in der Auf- stellung der erstrebenswerten Ziele durchaus Ueber- einstimmung herrschte. Die Besprechungen sollen auch fernerhin weiter abgehalten werden. Kus den Ausschüssen Dre»den, 3. Juli. (Eia. Tel.) Der Recht», ausschuß de» Landtage» bettet über einen Antrag der Kommunisten, die von der sächsischen Regierung verlangten, daß bei der Reicharegterung eine Reihe von Steuerforderungen gestellt wür den. Auf Antrag der Sozialdemokraten wurde gegen di« Stimmen der Kommunisten der Beschluß gefaßt, im Plenum zu beantragen, die kommunistischen For- derungen als durch die im Reichstag vorliegenden Anträge der politischen Parteien für erledigt zu erklären. Ferner befaßte sich der Ausschuß mit der Vorlage über di« Bekämpfung der Bisamratte. Die Vorlage wurde mit der Aenderung angenommen, datz die Verwendung der Schußwaffe besonders geregelt werden müsse. Ferner wurde die Vorlage über die Abände- rung einiger A u »f u h r u n g s v o r sch r t s- ten - um B. G. B. angenommen, wogegen verschte- dene andere Punkte von der Tagesordnung abgesetzt wurden. Um die wertbeständigen Löhne Berlin, 3. Juli. (Eig. Te l.) Im Reichsarbeits ministerium begannen nach dem gestrigen Abschluß der Dorbespvechungen heute nachmittag di« Bera tungen der au« Arbeitgebern und Arbeitnehmern ge» bildeten kleinen Kommission, die eine endgültige Klärung in der Frage der wertbeständig«» Löhne herbeiführen soll. Nachdem gestern die wöchentliche Veröffentlichung der Indexziffer beschlossen worden ist, handelt es sich jetzt nur noch um die Kernfrage, ob auf Grund der Indexziffer oder einer sonstigen Wertmessers di« Berechnung der beweglichen Teue- rung^uschläge zu den festzusetzenden Grundgehältern und Löhnen erfolgen soll. Sollte in diesem Punkte, in dem die Auffassungen der Arbeitgeber und Arbeir- Nehmer noch recht weit auseinandergehen, nicht in Kürze eine Einigung erzielt werden, dann wird die Regierung angesichts der Unruhe unter den Gehalts» Und Lohnempfänger sich über die Frage einer ge setzlichen Regelung des Problems end- gültig schlüssig werden müssen. Für den Fall, daß weder das eine noch das andere erfolgt, wäre, für di« nächste Zeit mit noch nicht absehbaren Lohn kämpfen zu rechnen. * Äie Siebenerkommiflion der Spitzenverbände ist im Relchsfinanzministerium vorstellig geworden, um die bevorstehende Einleitung neuer Verhandlungen über die Erhöhung der Grundgehälter für die Beamten und Staatsarbeiter zu fordern. Siegerfeier in Vien Die Wiener Korrespondenten berichten von einer gewaltigen Kundgebung, die von den österreichischen Katholiken unter der Führung de» Kardinal- Erzbischofs Ptffl und des Bundeskanzlers Prä laten Seipel vor der neuen Hofburg veranstaltet wurde. Etwa hunderttausend Katholiken au» den österreichischen Andern waren zu der Feier ge kommen, bei der der Kardinal die Zukunft de» Lande» Oesterreich der Kirche widmete und die damit endete, daß der Kardinal mit den Bischöfen und hohen Geistlichen, unter denen vor allen der Pralat-Dundeskanzler im festlichen Ornat bemerkt' wurde, auf der Schloßterrasse, von der sich dem er- staunten Blick eines der großartigsten Städtebilder Europas bietet, den Segen erteilt«. Der Vorgang verdient nicht nur um de« male rischen Reizes willen, daß man einen Augenblick bei ihm verweilt. Was da festlich begangen wurde, ist in der Tat eine Art Steg e»fe i e r., mit der die Kämpfe abschließen, die um die Macht im neuen Oesterreich geführt wurden. Die Revolution hatte auch dort di« Sozialdemokratie rur Herr schaft gebracht, die sich jedoch nicht am Ruder zu be haupten vermochte. Trotz der unbestreitbaren Ver dienste, die sie sich um die gesamte Bürgerschaft er warb, indem sie das eine Zeitlang von Ungarn und Bayern her vom Bolschewismus bedrohte Land auf der Dahn der bürgerlichen Ordnung hielt, sah sie sich doch mehr und mehr von ihren Regierungspartnern, den Christlich'Sozialen, an die Wand ge drückt und endlich des Einflusses auf die Leitung des Staat«« fast ganz beraubt. Der Grund davon lag zum Toil wohl in dem naturgemäßen Rückschlag der revolutionären Unruhe und in der sozialen Schich tung de» noch in bedeutendem Umfang bäuerlichen Volkes. Doch nicht gering war auch das eigene Ver schulden der? sozialdemokratischen Führer, die weniger mit den klaren Tatsachen der politischen Wirklichkeit al» mit schattenhaften Theoremen rechneten, unter denen die .Abwirtschaftung der bürgerlichen Par teien" eine bevorzugte Rolle spielte. Di«s namentt lich von dem Augenblick an, wo die Wahlen zur Nationalversammlung da» ziffernmäßige Verhältnis zwischen Sozialisten und Lhristlich-Sozialen zu gunsten der letzteren umkehrten und die Sozialdemo kraten sich nun in den Schmollwinkel zurückzogen und unter Berufung auf die abgedroschensten Lehren von der Nicht-Zusammenarbeit mit den Bürgerlichen die Teilnahme an den Regierungsgeschäften ablehnten. Die zwangsläufige Folge war, daß die im Prinzip gegenrevolutionären Lhristlich-Sozialen sich mehr und mehr des Regierung«, und Berwaltungsappa- rate« bemächtigen konnten, während sich die Sozial demokraten und ihre Führer, unter denen man ohne Frage di« besten Köpfe des Parlaments zählte, in einer unfruchtbaren Opposition erschöpften. Was dem Land einfach als Flucht vor der Verantwortung erschien, galt den Häuptern der Sozialdemokratie al» besonders kluge Taktik, — bis sie zu spät einsahen, daß die .Bürgerlichen", d. h. in Oesterreich di» Reaktionäre, ganz gegen die Theorie keineswegs ab wirtschafteten, sondern sich im Gegenteil immn mehr in der Macht befestigten. Im Sommer -es vorigen Jahres war es glücklich so weit, daß die von bett - Sozialdemokraten endlich kundgegeben« Bereitwillig keit zur Mitarbeit an der Regierung von dem in der Hauptsache christlich-sozialen Ministerium schroff »u- rückgewiesen und im Einvernehmen mit den Deutsch- Nationalen der Weg der Seipelschen Sanierungs politik beschritten wurde, der da» Land Oesterroich der Entente zu Füßen legte. Der hauptsächlich von den Sozialdemokraten gepflegte Anschlußgedanke. Ker dem habsburgisch gesinnten Dr.-Seipel von jeder zuwider gewesen war, sah sich auf absehbare Zeit in» Reich der Fabel verwiesen. Die» in kurzen Zügen die Entwickelung, der bst Siegesfeier vor der Hofburg galt. Sie enthält, uü« un» scheint, ein« nicht nur für die österreichisch« Sozialdemokratie beherzigenswerte Lehre. ' . . !m I Sie nicht, Lloyd George sagte doch . . . Immer wieder die alte Geschichte? ... E« muß doch aber mal anders werden . . . Was halten Sie von Arie- denshütte? . . . .Ein Bekanntet sagte mir . . Nein, ihm hat es ein Freund gesagt, der in der Bank ist . . . Schon zu spät? . . . Schad« . . . W« standen denn gestern meine . . . So? . . . Soll ich sie lieber verkaufen ... Noch nicht? . . . Aber wenn sie sinken . . ." Und so geht e« weiter. Vermutlich bis dem Herrn Vorsteher eine .Trennung" de» Gespräche» zu Hilfe eilt. Dann stößt meine Cousine zunächst mehrere Seufzer über die Schwierigkeit au», al» alleinstehend« Frau sich bet allen diesen Sachen zu rechtzufinden, und bittet mich an ihre« .beschei denen" Frühstückstisch. Sie überflutet mich mit einem Schwall von Namen, welche Aktien bezeichnen. Ich muß dauernd verbessern. Indische Optik, sagt sie zum Beispiel. .Wie?" frage ich. .Da» Papier kenne ich nicht." Sie holt sofort den Kurszettel. .Hier," sagt sie. Da steht: Optische Ind. .Da« heißt ja Op tische Industrie," sage ich lachend. So in der Art muß man ihr erklären. Und da ist allerlei: wie z. B. die Herausgabe junger Aktien und dergleichen. Aber wie firm sie schon ist! .Dann gibt es junge," sagt sie, .auf drei alt« zwei neue für die Stammaktionäre und auf fünf alte Vorzugsaktien eine neue . . . Aber die Bezugs- rechtstcuer. . . Mein Gott, was sie alle« weiß. Weiß? Niemand möge sie fragen, was junge Aktien sind oder was die Dezugsrechtssteuer bedeutet. Sie spricht .dörfisch" so in der Art, wie Kinder von fünf Jahren mit ihrer Miß englisch sprechen, ohne sich im geringsten über ihre Sprache klar zu sein. Eine Zwischenfrage und meine Cousine liegt am Boden, hat keine Ahnung mehr. E» Hot übrigen» eine ganze Zeit gedauert, bi» sie da» alle» lernt«. Ai» in den ersten Wochen ihrer Umstellung ein Bankbeamter sie anrief und, nachdem sie wohl nicht mehr verstanden hatte, wer am Telephon war, zu ihr sagte: .Gnädiges Fräulein, wenn Sie die Thüringer Leinenbrzüge verwetten wolle«, müssen Sie eine Spitze dazukaufen," rief st« gan- entsetzt: .Ich bin ja mit Bettwäsche reichlich ver- sehen," hängte ab und schimpfte über die miserablen ffehlverbindungen. Da» waren ihre Lehrzeiten. So etwa» kommt jetzt nicht mehr vor. Sie ist, wie gesagt, firm ge- worden. Sie hat da« neue Sprachlrxikon gelernt. Sie kann ohne da»s«kb« gar nicht exjstierrn. Sie lebt nur noch von hept« auf «bermorM ., »Dyn wieder Börse ist. Der«, Ruhetag« find auch 'die ihrigen. Aber selbst diese Unterbrechungen sind an strengend genug. Denn sie muß Tips sammeln, ehe e» zu spät ist. Sie muß .disponieren", prüfen, ob die .Aufgaben" stimmen, ob die .Stornierung" in .Ordnung ^eht", und wie hoch ihr .Kredit"-Saldo ist (lange Zeit sagte sie .Kredit", indem sie da» „dit" betont«, bi» sie begriff, daß die Betonung auf der ersten Silbe zur .Umstellung" gehöre). Da« alle» ist doch recht ermüdend. Man wirb ferienbedürftig. St« wird sich entschließen müssen, zu verreisen. Und wenn sie auf der Fahrt nach Oberbayern durch das sächsische Textil-Land über Leipzig an Reichenbach und Hof vorbeifähtt und dazu Zeit findet, au« dem Fenster zu sehen, so wird sie sicherlich beim Anblick der großen Spinnereien ein über das anderemal ausrufen: .Ach, da» ist ja die Aktiengesellschaft, die neulich Junge gegeben hat," oder: wenn sie bei München di« hohen Vorrichtungen der Ueberland- zentralen gewahrt, so wird sie sagen: .Ja, diese wertbeständigen Anlagen . . . das sind Gesell- schäften, deren Aktien man kaufen muß." Sie wird die schöne Gebirgskette im -nnterorund- kaum mehr bemerken —, alle» Folgen der .Umstellung". Fritz Mauthuer« Bestattung. Au« Meersburg am Boftnsee wird gemeldet: Fritz Mauthner wurde Montag nachmittag in Meersburg von einer kleinen tieferschütterten Freundesschar zu Grabe getragen. Der Schweizer Pfarrer Weidenmann, ein naher Freund de» Verstorbenen, und Wilhelm von Scholz sprachen Abschiedsworte in der für die Feier zur Verfügung gestellten protestantischen Kirche. Jeder kirchlich« Ritus war vermieden; die Behörde war durch den vberamtmann und den Bürgermeister vertreten. Staegemau» Intendant tu Kiel. Au» Kiel wird uns gedrahtet: Zum Intendanten de» Kieler Stadt- theater» wurde Kammersänger Dr. W. Staege- mann, Regisseur an der Dresdner Staat»oper, gewählt. Amott «Oft »ach Amerika beruf»». Professor Arnold Rofö, der bekannte Wiener Geigenkünstker, !mt einen Ruf al» Konzertmeister an die Music-School in New Pork erhalten. Ao» der Leipziger llufterfttät. Dr. phil. Charlotte Krause-Hall« ist die Lehrberechttgung für indische Philologie und vergleichend« -SprachwHttrschaft an der philosophischen Fakultät der Universität Leipzig erteilt «orb«. ver kommende Zpielplan der Leipziger Oper in der Bearbeitung von Professor leg zur Sonn^ von Jean M« hmte Lachen" vonCortol von Zahlreiche Neuengagement» Von der Intendanz wird uns mitgeteilt: H Die Intendanz hat für die kommende pielzeit folgende Kräfte neu verpflichtet: Eva ugendlich-dromatische und jugendliche Estin vom Stadttheater Nürnberg), Matta Zwischeufachsängerin (vom Stadttheater Aw Anna Karasek, hochdramatische Sängerin Nationaltheater Mannheim), Marie-Luffe Werner, erste Spirlaltistin und dramatische (vom Stadttheater Münster), Max Krtener, bariton (vom Stadttheater Bremen), Heinz B lyrischer Tenor, Max Spilcker, lyrischer und bariton (vom Stadttheater Dortmund), Anton? Töpitz, jugendlicher Helden- und lyrischer Tenor Opernhaus Graz), Willy Zilken, Heldentenor (yM Landestheater Karlsruhe), Erich, Zimmermann, Tenorbuffo (vom Landestheater Draunschweitz). Felix Fleischer-Ianczak wurde ab 1. September dieses Jahres auf 7 Monate nach Basel beurlaubt und kehrt dann in sein hiesige« Engagement z Kammersänger Walter Soomer wird gleichaeittg Han» Müller da» Baßfach vertreten. Mars Bergen tritt an Stelle der ausgeschiedenen Färber-Straßer in da» erste dramatische mit der Verpflichtung für Spielpartien, k Elschner ist ab 1. Juli al» Gänger au» de« band der Städtischen Theater ausgeschieden übernimmt die Oberspielleitung der Oper. Für die kommende Opernspirlzeit find folgend« Werke in den Arbeitsplan vorgesehen: Uraufführungen: »Alke st> Gluck, s " .Der W. .Das ver. Erstaufführungen: .Zaid« zatt, .Liebestrank" von Donizetti, ft schen Bearbeitung, .CugenOneatn" von .Vögel" von Walter Braunfelvr, «Arche von Erwin Lrndvat. Neueinstudierungen: ,Di von D'Alberk, .Der Schauspieldire zart, .Figaro» Hochzeit" von Mozar von Mozart, .Die versunken, Glock Zöllner, .Tannhauser" von Ri .Rienzi" von Richard Wagner, »Der lunstßn" MM Rtzchärb Wvgmer »i neue« Rahmen erscheinen,
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