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vooaerLtag, üsu 1H. Tragischer Umzug Das Versorgungs-Krankenhaus in L." Gohlis, das ehemalige Reservelazarett, in dem gegenwärtig noch neun Kriegrkrüppel unterge* bracht sind, soll aufgelöst und der Reichswehr zur Verfügung gestellt werde»- Am 15. d. M. soll die Auflösung erfolgen. Zu diesem Zwecke hat die Stadt Leipzig angeordnet, daß die Invaliden, Sieche, die teil» an sämtlichen Gliedern verstüm melt, teil» völlig gelähmt sind und bereit» fünf, sogar acht und neun Jahre daniederliegen, in da» Krankenhaus St. Jacob überführt werden Mit der Ueberführung droht aber den Krüppeln eine Einschränkung der bisherigen Lebensweise. So gaben die Neun die Erklärung ab, sie wären mit einem Aufenthalt in St. Jacob einverstanden unter der Bedingung, daß sie, wie gewohnt, männ liche Pflege wegen der mit der Verstümmelung verbundenen peinlichen Verrichtungen erhielten, daß sie in Räumen, die von den Kassenkranken getrennt sind, untergebracht würden, schließlich die bisherige Kost zuerteilt bekämen, sowie freie Besuchs- und AuSgangSzetten. DieStadt ver weigerte diese Wünsche und drohte den Verstümmelten zwangsweise Ueberführung nach dem Krankenhaus St. Jacob an. Am Dienstag vormittag trafen denn auch zwei Kranken-Automobile der städtischen Feuer wehr vor dem BersorgungSkrankenhauS «in, um die Kranken abzutransportieren. Die Beamten der Wehr, denen das Ansinnen gestellt wurde, mit Gewalt vorzugehen, lehnten strikte derartige Maßnahmen ab. Auch da-Pflegfprsonal weigerte sich, etnzugreifen. Daraufhin wurde den Siechen mitgeteilt, daß sie am folgenden Morgen von der Wohlfahrts polizei abgeholt würden. Am Mittwoch ließen sich die Invaliden ip einen Raum de» BersorgungshauseS zusammen tragen. Dort beratschlagten sie, wie sie sich gegen das Vorgehen der Stadt verwahren könnten. Sie richteten einen Dringlichkeits-Antrag an die Stadtverordnetenversammlung. In diesem An trag legten sie die Gründe ihrer Weigerung dar, die sich ja nicht gegen eine Aufnahme in da» Krankenhaus St. Jakob an sich richte, sondern dagegen, daß sie in ihrer gewohnten Lebensweise beschränkt werden sollten. Dieser Fall, Kriegskrüppel, die aus^ihren nur allzu billigen Rechten bestehen, durch Gewalt- Maßnahmen in der geschilderten Art zu behandeln, steht wohl einzig da. Niemals wird ein fühlender Mensch begreifen können, daß das Vaterland auf solch« Weise seinen Dank an seinen Kämpfern abstattet. X. S—n. «rotzfeuer in verli». Am Mittwoch brach um 3 Uhr mittags in einem Hause an der Ecke der Alexander- und Landwehrstraße in Berlin ein Feuer au», das bei dem herrschenden Winde da ganze Haus rasch in Flammen setzte. Da- Personal der Detektei Müller mußte durch die Feuerwehr aus den oberen Stockwerken herunter geholt werden. Drei Personen bei einem -auobrande umgekom- men. Aus Medow bei Anklam wird gemeldet: Zn der letzten Nacht brach in dem Gebäude de» Kaufmanns und Postagenten Engelhardt ein Feuer au«, das da« Grundstück vollständig in Trüm- mer legte. Leider sind auch drei Menschen leben de mwütenden Element zum Opfer gefallen. I-elprlger ?ngedlLtt vrr6 l und zwar der Malermeister Andersen mit Frau und Ivjährigem Knaben. Man glaubt, daß der Brand in der auf dem Boden befindlichen Räumer- kammer ausaebrochen ist. Da» Feuer wurde zu spät bemerkt, so daß ein Retten unmöglich war. Sin traurige» Lebeu»schtcksal entrollte sich vor dem Schöffengericht Berlin-Mitte anläßlich einer An- klage wegen Hehlerei gegen die Witwe eine» einst sehr bekannten Berliner Justiz rat». Nach dem vor etwa 20 Jahren erfolgten Tode ihres Mannes war Frau 3. in Not geraten, so daß sie all ihre Mö bel verpfänden mußte. Geschäftstüchtige Leute brach ten sie schließlich um ihr gesamtes Hab und Gut. Darauf sank die Unglückliche immer tiefer. Jetzt haust sie mit einem Schuhmacher zusammen in einer Kel lerwohnung. Ihren Lebensunterhalt erwirbt sie durch Klaoierspiel in Lokalen niedrigsten Ranges. In einer dieser Kneipen, in der auch dem Glücksspiel gehuldigt wird, hatte sie von einem der Spieler eine Tasche mit Kriegsanleihe in Pfand genommen und dann weiter verausgabt. Es wird ihr nun zur Last gelegt, unbedingt gewußt zu haben, daß es sich um gestohlene» Gut gehandelt habe. Reumütig be kannte die alte Frau ihre Schuld. Das Gericht er kannte gegen sie auf drei Wochen Gefängnis, die durch die erlittene Untersuchungshaft als verbüßt er- klärt wurden. v Neuer Zremdenzustrom Di« Einkäufe in Deutschland lohne« nicht mehr Der neue Marksturz hat eine neue große FreM- dsnwelle nach Berlin gebracht, besonders aus der Tschechoslowakei und Skandinavien. Ziemlich zahl reich sind auch die Engländer gekommen. Die frem den Kaufleute und Touristen mußten jedoch fest- stellen, daß die Preise in Berlin noch immer, oder schon wieder für lohnende Einkäufe zu hoch sind. Die» gilt besonder» für Webwaren, Konfektion, Schuh- und Lederwaren. In diesen Gegenständen sollen die Preise höher sein als in der Tschechoslowa kei oder fast ebenso hoch, wie in den hochvalutarischen Ländern, so daß sich die immerhin sehr beträchtlichen Kosten einer Deutschlandreise nicht mehr lohnen. Früher gab es in der Markentwertung periodische Stillstände, die es dem Ladenbesitzer ermöglichten, den Preisangleich allmählich und staffelweise vorzuneh men. Heute ist er bei täglich sinkender Mark ge- zwungen, auch täglich mit den Preisen zu springen. Abschied Eericht»saal. Erregte Szenen spiel- ten sich am Schluß einer gegen den au» Galizien stammenden Metallhändler Naphtali Tuchmann a, der von der Strastammer in Berlin wegen gewerbsmäßiger Hehlerei zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt und auch sofort in Haft genommen wurde. Nach der Urteilsverkündigung überstiegen die im Zuhörerraum befindlichen Söhn.' und Töchter des Angeklagten die dem Gerichtshof von dem Zuhörerraum trennenden Schranken, und stürzten sich laut aufschluchzend ihrem Pater in die Arme. Nur den Bemühungen von drei Justizwacht meistern gelang es, die Gruppe auseinanderzu bringen, den Angeklagten in die Haft abzuführen, nnd die Angehörigen aus dem Saale zu entfernen. V coutr« Z. Ein seltsamer Plagiatprozeß wird bas Neuköllner Schöffengericht beschäftigen. Dort hat der Filmautor und Kriminalschriftsteller Paul Ro sen Hayn den früheren Mädchenschullehrer und jetzigen Kriminalschriftsteller Paul Rofenhatn wegen Plagiat», Betrüge» und unlauteren Wettbe werbe« verklagt. Rosenhayn behauptet, daß Rosen- Hain nicht nur seine Namensgleichheit ausnutze, um aus den Verwechselungen Gewinn für seinen Bücher absatz zu erzielen, sondern auch in einem Falle seinen Roman abgeschrieben, in anderen Fällen seine Titel für seine Arbeiten verwertet hätte. Einmal hätte Rosenhain sogar einen Roman al» »Paul Rosen- Hayn* erscheinen lasten. Ei» r«sstsch-fiu»isches Schifiahrt»abkoau»e». Auf Grund eine» Abkommen« zwischen Finnland und Rußland, das in Moskau unterzeichnet wurde, und das am 18. Juni in Kraft tritt, haben die finnischen Handelsschiff« und Transportdampfer freie Pastage auf der Newa zwischen dem finnischen Golf und dem Ladogasee. Oer erhöhte Mieterschutz t nun die Gesetzgebung nem gewissen Abschluß etz werden die Mieter Kurz vor Pfingsten hat der Reichstag mit raschem . Entschluß das Gesetz über Mieterschub und Miet- einigungsämter durch die 2. und 3. Lesung gebracht, nachdem cs im Ausschuß allein über ein halbes Jahr Gegenstand der Beratungen war. Die Schwierig keiten, die berechtigten Interessen der Hauseigcn- tümer und der Mieter gegeneinander abzuwägen, war hier noch größer als bei dem hartumstrittenen Reichsmictengesctz. Damit i über dos Mietswesen zu e gelangt: im Reichsmietenge gegen die Bildung übermäßig hoher Mietszinsen geschützt, in dem neuen Gesetz vor einer gegen ihren Willen erfolgenden Beendigung des Mietsverhält- nistes, soweit die» die Rücksicht auf die Belange des Vermieters gestattet. Ein solcher Schutz bestand bis her auch schon, er stellte aber beide Teile nicht zu- frieden und bot ihnen nicht die erforderliche Sicher heit. Besonders haben die Mieteinigungsämter, denen in der Hauptsache die Entscheidung übertragen war, die auf sie gesetzten Erwartungen aus vrr- schiedenen Gründen nicht erfüllen können. Darum ist in dem Mieterschutzgesetz die Regelung der Streit- frage auf einen ganz neuen Boden gestellt worden. Zn dem Gesetz wird zwar nicht offen ausge sprochen, daß eine Kündigung des Mietsverhältnistes durch den Vermieter nicht stattfinden darf, tatsächlich aber ist das einfache Kündigungsrecht beseitigt und dafür bestimmt, daß an seine Stelle eine sogenannte Aufhebungsklage vor dem Amtsgericht ein geleitet werden muß. Diese Aufhebungsklage kann nur aus drei Gründen angestrengt werden: 1. Wenn der Mieter sich einer erheblichen un provozierten Belästigung des Vermieter« oder eine»' Hausbewohner» schuldig macht oder durch unangemessenen Gebrauch oder Nachlässigkeit den Mietsraum oder das Gebäude ernstlich gefährdet, oder wenn er unbefugt einem dritten den Ge- brauch des Mietsraümes überläßt (die angemessene Wahrnehmung der Befugnisse eines Mieterver- treters ist als Belästigung nicht anzusehen); 2. wenn der Mieter bei monatlicher Miete mit der Miet« für zwei Monate, bei vierteljährlicher Miete mit der Miete eines Vierteljahres im Rück- stand ist; 3. wenn der Vermieter ein dringendes berech tigte» Interesse an der Wiedererlangung des Mietsraums hat. In diesem letzten Falle greifen aber verschiedene Bestimmungen zugunsten des Mieters Platz. Das Gericht muß berücksichtigen, ob er auf eigene Kosten die Mieträum« baulich ausgestattet hat, ferner, ob bei gewerblichen Räumen der Vermieter nicht etwa nur eine Filiale seines Hausbetriebe» einrichten will. Sodann kann unter Umständen da« Gericht die Auf hebung des Mietsverhältnisses auf einen Teil des Mietsraume» beschränken. Wird die Aufhebung aus gesprochen, so kann das Gericht dem Vermieter auf erlegen, die Umzugskosten ganz oder teilweise zu er setzen. Aber auch dann kann der Mieter aus der chlrrn Wohnung nur entfernt werden, wenn für ihn ein anderer, sofort beziehbarer, angemessener Ersatzraum vorhanden ist, mit dem sich der Mieter nachweisbar einverstanden erklärt hat. Außerdem ist -er Mieter auch noch dadurch geschützt, daß die Prozeßkosten dem Vermieter ganz oder teil- weise auferlegt werden können. Uebrigens kann das Gericht zur Vermeidung unbilliger Härten auch in den Fällen -u 1 und 2 dem Vermieter die Stellung eines Ersatzraumes auferlegen. Beim Tode eines Mieters können seine Erben ohne röeiteres kündigen, der Vermieter jedoch nicht, wenn der Erbe der Ehegatte de» Mieters oder xein volljähriger Verwandter bis zum zweiten Grade ist und beim Tode de» Mieters zu dessen Hausstand gehört har. Auch wenn der Erbe ein Dritter ist, können Ehegatten, Kinder oder Geschwister des Per- storbenen die Wohnung behalten. Bei den sogenannten Werkwohnungen gilt das Mietsverbgltnie. auch über die Dauer des Ar beitsverhältnisses hinaus, es sei denn, daß der Mieter gesetzlich begründeten Anlaß zur Auflösung de» Dienstverhältnisses gegeben hat (wozu Streik» nicht gehören), oder daß der Mieter unbegründet das Dienstverhältnis aufgelöst hat. Die Verfügung über die vermieteten Werkwohnungcn erhält der Ver- Mieter nur zurück, wenn er dem bisherigen Mieter eine andere Wohnung nachweist oder ihn lmft dessen Einwilligung) durch Geld entschädigt. Das Gesetz findet auch auf die Untermieter Anwendung, doch kann der Vermieter hier, wenn es sich um bloße „Chambregarnisten* (ohne Küchen- benutzung) handelt, eine Aufhebungsklage schon er heben, wenn er ein „begründetes Interesse* an der Freimachung des vermieteten Raumes hat. Bei dem Amtsgericht, das über die Aufhebung», klage entscheidet, müssen die Beisitzer und deren Stellvertreter zur Hälfte Hausbesitzer, zur Hälfte Mieter jein; sie werden auf Grund von Vorschlags listen der betreffenden Organisationen auf die Dauer von einem Ighre ausgewählt. Das Verfahren vor Gericht lehnt sich in mehrfacher Hinsicht an die Vor schriften des Gewerbegerichtsgcsctzcs an und enthält auch sonst Pereinfachungen gegenüber dem gewöhn lichen Perfahren. Das Micterschutzgesetz erstreckt sich aus Räume jeder Art, also auch auf gewerbliche und geschäftliche Räume; es gilt jedoch nicht für Neubauten oder durch Um- und Einbauten neugeschaffene Räume. Ebensowenig findet es Anwendung auf die Räume gemeinnütziger Bauvercinigungen und auch nicht auf die Gebäude des Reiches, des Staates, der Gemein- den und ähnlicher öffentlicher Körperschaften. Dies der Hauptinhalt des Gesetzes. Die Praxis muß erst zeigen, ob sich die auf die Neuregelung ge- setzten Hoffnungen einer Eindämmung der Miet streitigkeiten erfüllen werden. Vorläufig ist die Geltungsdauer des Gesetzes bis zum 2. Juli 1920 beschränkt. * Vie Wohnungsbauabgabe Von Steuersyndikus «lok. Vozft-Apvlda Das Jahr 1V23 bringt noch andere Steuern, als der Steuerzahler bisher glauben mochte. Mit dcu Steuersorgen, die uns der April gebracht hat, ist die Besteuerung noch nicht abgeschlossen. Jetzt kommt eine Erhöhung und Neufassung der Mietssteuer. Die Grundlage für diese Besteuerung ist gegeben durch das neue Gesetz über die Erhebung einer Woh nungsbauabgabe vom 28. März 1V23. Die Besteuerung geht aus von dem sogenannten Iohresnutzungswert. Dos lst der Mietswert nao> dem Stande vom 1. Juli 19'4. Die Wohnungsbau abgabe beträgt für die Zeit vom 1. Januar 1923 ins 31. Dezember 1924 das löfache dieses Iahresnutzungr- wertes. Diese Mietssteuer wird also für den Verlaus von zwei Jahren nur einmal erhoben. Die Ge meinden erheben Zuschläge m derselben Höhe, so daß die gesamte Abgabe das Mache der Friedensmiete -etrLzt. '.'7'"^' Wer hat die Steuern zu zahlen? Das Gefttz' findet keine Anwendurcg auf Wohnungen, die nach dem 1. Juli 1918 neu errichtet sind oder die durch bauliche Veränderungen nach diesem Zeitpunkt so verteuert worden sind, daß die Mietsprsise denen in Neubauten gleichkommen. Im übrigen hat der Mu ter die Steuerschuld zu tragen. Bei Untervermietung oder Unterverpachtung ist Abgabeschuldner derjenige, der von dem Gebäude eigentümer oder sonstigen dinglich Nutzungsberech tigten unmittelbar gemietet oder gepachtet hat. Ueberläßt der Gebäudeeigentümer oder Nutznngs berechtigte mit dem Gebäude oder Gebäudeteile auch die Wohnungseinrichtung zum Gebrauche, so ist er der Abgabcschuldner. Bei Dienst- und Mietwoynungen sowie bei unter vermieteten Räumen in Gebäuden, welche dein Reiche, den Ländern, Gemeinden und anderen ösfenl- lich-rechtlichen Körperschaften gehören oder von ihnen ermietet sind, ist in jedem Falle der Wohnung»- Königin der Nacht Von p«ul Gutmann „Die Frauen," so sagte der junge Maler mit seiner behutsamen Stimme, „erinnern mich häufig an Pflanzen, ja, ich habe da« Bedürfnis, Wenn mir eine von ihnen nahesteht, sie als solche mit Namen zu bezeichnen. Den Mann sehe ich immer nur als Ge- sellschaftswesen, aber die Frau, die in der Natur noch tiefer verwurzelt ist, erscheint mir als lebende Pflanze oder mitunter auch als Tier. Da gibt es harlmose Wiesengewächse, üppige Zentifolien, Kirsch, bluten, gifthauchende Treibkausorchideen. Wie ich darauf komme, weiß ich nicht, aber Frau Emilie erscheint mir stet« unter dem Bilde jener „Königin der Nacht" genannten Blume, die im Tageslicht schlaff und wie verdorrt herabhängt und erst liebe- sehnsüchtig erwacht, wenn die ersten Fledermäuse Über die Gärten huschen." Und während wir näher an ihn heran rückten, fuhr er, in Erinnerung vergraben, fort, zu erzählen: „So viele Vormittage im Winter hatten wir damit verbracht, sie und ich, daß wir uns über die gleich gültigsten Dinge, die c» auf der Welt gibt, unter- hielten. Sie hatte nach dem Tod ihre» Mannes eine kleine Pille in einer der Vorstädte gekauft, wo sie mit ihrer jüngeren Schwester ein ziemlich einsames Leben führte; denn sie liebte nicht viele Besuche. Gewöhnlich saßen wir in dem kleinen Salon mit den dunklen Möbeln und dunklen Vorhängen, dessen Stimmung so ganz unfern Reden entsprach, daß es schien, als wären sie für ihn oder er für unsere Gespräche geschaffen worden. Fast glich er mit seinem Schreibtisch au» schwarzem Hol», mit dem wuchtigen, viereckigen Tisch vor dem Diwan, den plumpen kostbaren Pase» auf dem Kamin, mehr der Behausung eine »alten Junggesellen, al» dem Heim einer jungen und reichen Witwe. Sie batte sich meist halb auf den Diwan gelegt, wo sie etncm gelassen zuhört«, bi» man ausgesprochen hatte. Selten unterbrach sie die Rede. Ihre dunklen braunen Augen hatten dabei einen müden, beinahe verachtenden Ausdruck, und mit ihrem schwarzen Haar und den schweren goldnen Ringe« in den Ohren erinnerte sie fast an da« Bild einer verschlafenen Odaliske. Die Gleichförmigkeit uerfcrer Gespräche, dazu ßrtche Müdigkeit macht« «Te Gebärde schn«, »nd wenn man lange bei ihr verweilte, kam e», daß das Einerlei schließlich wie ein schlaferregende» Mittel wirkte- Trat dann ihre Schwester in» Zimmer — es geschah nur selten —, so war es wie ein Erwachen au« langer Ruhe und ein Verwundern, daß man so müde gewesen. Ihre Schwester war ein Geschöpf von sechzehn Jahren, munter wie Schlittengeklinael im Winter, ein Köpfchen saftftrotzend, appetitlich — ihr kennt es von Teniers chen Bildern —, aber doch etwas Durchgeistiger, Vornehmer, mehr nach der Salon- dame hin. Häufig durchtönte sie unsere ernsthaften, dummen Gespräche mit einem Lachen, daß es einen hätte verleiten können, darin einzustimmen aus vollem Herzen. Doch bald kam wieder die dumpfe Trägheit hervor, au» allen Ecken und Enden, aus der kleinen venetianischen Uhr mit dem silbernen Ticken, aus den plumpen chinesischen Vasen, und mit ein» war man wieder in alten Banden. Heute nun vor vierzehn Tagen, war nach langem Regen und heftigen Winden zum ersten Male wieder ein strah- lender Himmel. Die Sonne glanzte auf di« Wege herab und in den Gärten grünte es bereits aus schüchternen Knospen. Es gab wieder Farbe und Leben. Natürlich, bei zu ihnen war der Frühling noch nicht gekommen. E» war fast dunkel im Zunmer. Nur durch schmale Spalten der Vorhänge drang das Licht hindurch in grauen Streifen, wahrend im Kamin das Feuer noch glühte, stechend rot m dem dunklen ^kaume. Dieses offene Saminfeuer, das sie trotz anderer Heizung bevorzugte, erhöhte in meinen Augen, namentlich, wenn sich die Flamme auf ihrer elfenbeinfarbenen Haut spiegelte, den Eindruck ihre« glühenden verhaltenen Wesens. Sie war heut« nervöser al» sonst, das merkte ich bald; denn sie unterbrach mich mehrmals, und wäh rend sie sprach, zupfte sie unaufhörlich an den grünen Blütern, die aus einer schwarzen Vase auf den Tisch hcrabfielen. Aber als ich mich gefetzt hatte, sagte ich rkr sogleich, daß ich heute viel zu lustig sei zu ernst, haften Reden, viel eher verlangte e» mich nach de» tollsten Streichen. Sie betrachtete mich nur von obenhin, ibr« Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln, plötzlich aber fuhr sie au» ihrer Ruhe empor, legte die Arme verschränkt ans den Tisch und sah m,ch mit ihren matten, dunklen Augen mißtrauisch ckst, halb schmeichelnd. Wie abstoßend war mir dieser Blick! Zum ersten Make war mir ihre Nähe -«wider. Mich Werkam es, wie die Empfindung von einem widerlichen betäuben den Dufte. Zum Glück trat ihr« Schwester ins Zim- mer. Sie wunderte sich, daß wir es in der Schwüle hatten aushalten können, und ohne die Worte der anderen zu beachten, zog sie die Porhänge aus- einander, daß die Sonne mitten ins Zimmer strömte und sie gebadet stand in einer Fülle von Licht. Dann schüttelte sie ihre goldnen Locken und lachte uns närrischen Leute recht herzhaft aus. Maul würfe nannte sie uns, die im Dunklen Hausen. Sie war so anmutig, so bezaubernd frisch. Frühling! Frühling! wollte ich rufen. Ich wußte nicht, was ich tat. Ich war auf- gesprungen, hatte ihr Köpfchen umfaßt, auf ihre Lippen drückte ich einen dankbaren Kuß. Ihre Schwester hatte sich, bleich und verfallen, erhoben. Mit beiden Händen hielt sie die Pase fest, die auf dem Tische stand. Sie suchte nach Worten. Wißt ihr, weshalb ich kinauszuog aufs Land? — Um mich von der Liebe diese» Weibes zu befreien .. .* Paul Paefchke, einer der jüngeren Vertreter des Berliner Impressionismus, gibt im Salon Mit te n tz w e y (Grimmaische Straße) eine Auswahl aus der Graphik und Malexei seiner letzten Jahre. Die Vorzüge seiner flotten und gewandten Kunst bedürfen nicht mehr der empfehlenden Worte. Wie kaum ein anderer seiner Generation versteht er, das Straßen leben der modernen Großstadt im Bilde festzuhalten. Es ist nicht die differenzierte malerische Kultur der französischen Meister, die ihn bei der Wahl der Motive bestimmt, mehr ein natürlicher Hang zum Journalismus. Berlin, London, Venedig mit ihren volkreichen Straßen und Plätzen, der unabsehbare und doch so sicher funktionierende Wagenoerkehr der Boulevard«, die heitere Festlichkeit besonnter Park- und Strandanlageu finden in ihm einen stets vigi- lanten Berichterstatter. Auf bestimmten Lokal charakter kommt es ihm wenig an, wenn er natürlich auch charakteristische Bauwerke nicht absichtlich bei seite läßt; sondern sein auf Massenbewegung ge- schulte: Blick wird immer zuerst von den Zusammen- ballungen und Auflockerungen der Menge und von ihrer Einordnung in den licktdurchfluteten Raum an- gezogen. Wo da» Motiv besonder« dazu drängt, wie in den Hafen- und Wafferbildern, geht tr wohl auch atmosphärischen Problemen eifriger nach und sichert seiner, auf di« Dauer etwa« gleichförmigen Dar- stellvng dann »MW nochhattsGM N,MrStz«g, liebt er es, die merkwürdigen Stadtbilder Süd deutschlands auszusuchen, Ulm, Nördlingen, die figurenreichcn Barockbrücken alter Mainstädte — doch spürt man hier am ersten die Grenzen seiner etwas seuilletonistischen Bravour. Die Besonderheit seines Talents bestimmt ihn vor allem für die Graphik, deren Mittel er als sicherer Könner beherrscht; vor den farbigen Sachen dürften, soweit sich bei den un günstigen Lichtverhältnissen darüber urteilen läßt die Aquarelle und Pastelle de» Vorzug verdienen .V 0. Mount Everest eine französische — nicht eine englische Entdeckung Der höchste Punkt der Erde führt seit IM7 den Namen Monunt Everest, nach dem englischen Oberst Everest. Allgemein glaubt man deshalb, daß der Gipfel von einem Engländer entdeckt worden sei. Das ist jedoch ein Irrtum, den Sven Hedin in seinem neuesten, soeben bei F. A. Drockhaus in Leipzig erschienenen Werlc „Mount Everest* berichtigt Sven Hedin weist zunächst nach, daß der Mount Everest von den Tibetanern Tfchomo- lnngma genannt wird, und stellt dann fest, „daß der Mount Everest unter seinem richtigen tibetanischen Namen Tschomo-Iungma, nur in ge ringe»! Maße entstellt, sich auf Karten eingetragen findet, die mit Hilfe einheimischen Materials im Jahre 1717 in Peking von französischen Jesuiten ge zeichnet wurden, und daß diese Karten in Paris ge stochen md im Jahre 1733 herausgegeben worden sind". Am Schluß seiner Untersuchung, die übrigen? nur riimn kleinen Teil seines interessanten Werkes bildet, gelangt er zn dem Ergebnis, daß der höchste Berggipfel der Erde, den die Engländer 1852 ent deckt zu haben beanspruchen, 119 Jahre früher auf französischen Karten eingetragen war, »nd daß der richtige tibetanische Name des Mount Everest, den zn finden den Engländern nicht vor 1tX)7 glückte, den französischen Jesuiten in Peking !9O Jahre früher bekannt war. Der Kuriosität wegen erwähnt Sven Hedin noch, daß er einen Aus zug aus diesem Kapitel seines Buches im vorigen Sommer an die Times in London schickte. Der Artikel wurde ihm umgebend „vvitst tste compsimenis ok tke I-!<sitvr os tsto Tiino?" zurückgcstellt. Er sandte ihn dann an den bekannten Geographen Vounghusband zur Veröffentlichung im Geo- graphical Journal, erhielt darauf aber keine Ant- wort, und veröffentlicht wurde der Aickkkel apch dort mich». T