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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 12.06.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-06-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192306127
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230612
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230612
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-06
- Tag 1923-06-12
-
Monat
1923-06
-
Jahr
1923
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vt«rrstLg, ckea 12. I«uU ^Egrdkrtt a»6 L»»6eI»««tt»GA » LVff SQtt«» I^L^esberickt Forderungen der Uinderreichen Mehr Rücksichtnahme d»rch die Gesetzgebung Aus einer Bundrstagung, die in diesen Tagen in Berlin stattfand, Kat der Bund der Kinderreichen Deutschland» sich über dir Sorgen all der Familien väter ausgesprochen, die mit dem Klapperstorch auf besonder» freundschaftlichem Fuße stehen, und feine Forderungen neu formuliert. Neunzig Hauptvertreter aus allen Teilen Deutsch lands waren anwesend, und man darf vor diesen würdigen Herren Hauptvertretern, von denen sich einer sogar einer stattlichen Familie von 19 Köpfer», ausschließlich Papa und Mama, rühmen darf, restlos Hochachtung haben. In der Bibel hat der liebe Gott zwar selbst das schöne Wort vom Fruchtbarsein und Sichmehren ausgesprochen, aber er hat dabei wohl nicht in Betracht gezogen, daß eines Tages das Pfund Butter 15 000 Mark kosten und ein Paar Schuhe für viele unerschwinglich werden könnte. Mit nm so größerer Bewunderung muß man auf die ehrenwerten Männer blicken, die nnoeachtet des Dollarstandcs sich hier zusammengefunden und Forderungen aufgestellt haben, um den Staat zu ver anlassen, ihre Tatkraft in gebührender Weise zu schätzen. Die Forderungen der Kinderreichen gehen dahin, daß ihre Vertreter zu allen gesetzgebrischen Arbeiten, Vie für sie von einschneidender Bedeutung sind, hinzu- gezogen werden und daß ihnen ausreichender Einfluß auf dre öffentlichen Angelegenheiten (Sitz und Stimme in den Wohlfahrts-, Jugend-, Arbeit«-, Wohnunys- und Mieteinigung»ämtern) eingeräumt werde. Sir fordern u. a. weiter, daß bei der Per- nnlagunq aller steuerbaren Einkommen und Ver mögen auf die Zahl der Familienmitglieder mehr als bisher Rücksicht genommen, daß das Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter sinngemäß auf Kinderreiche angewandt werde, ferner daß sie vom Schulggled befreit werden und Lehrmittel kostenlos geliefert erhalten, sowie Herabsetzung der Eisenbahn tarife für Kinderreiche. Diese Forderungen werden von ihnen gestellt, weil sie den Anspruch darauf erheben, da» Kernholz des deutschen Polksstammes zu sein. Die armen Familienväter, die mit dem Klapperstorch auf nicht so gutem Fuße stehen, bedeuten nichts und müßten sich eigentlich schämen; aber auch sie sollen getröstet werden. Der Bund der Kinderreichen hat viele tausend Familienväter in Deutschland zu Mit gliedern, und da niemand Mitglied werden darf, der nicht mindestens vier Nachkommen in die Welt gesetzt hat, braucht man den Kopf nicht allzu tief hängen zu lassen. Drei MAio»eu Mark Geldstrafe für eine Milch- pantscherin. Die 66jährige Hofbesitzerin Haar maua in Münster, die schon früher wegen Milch fälschung angeklagt war, wurde von der dortigen Strastammer zu drei Millionen Mark Geldstrafe oder einem Jahre Gefängnis verurteilt, weil sie von ihrem Hofe gelieferte Milch bis zu 17 Prozent mit Wasser verfÄscht hatte. Einbrach ia die Schioßkirche z« Kameui. Un bekannte Einbrecher sind nacht» in die Schloßkirche zu Kamenz eingedrungen und haben die Kirche aus- geplündert. Der wertvolle Silberschatz, bestehend au» Kelchen, Tellern, Kannen von großem künstlerischen Altertums- und materiellem Wert, wurde gestohlen. Auf di* Wiederbeschaffung der Gegenstände ist eine Belohnung von fünf Millionen Mark ausgesetzt worden. Eia zettgemäßer Tarif. Der Lehrerverein .Börse"' in Hildesheim hat beschlossen, einen zeitgemäßen Taäf für Privatstunden und andere außergewöhn liche Verrichtungen festzulegen. Danach kostet eine Stunde 5 Pfund Roggen. Für Orgelspiel bei Trauungen soll 1 Pfund Butter verlangt werden. Die Gewalt der Preßluft. Im Betriebe der August-Thyssen-Hütte in Hamborn wurden vier Arbeiter, die mit der Reparatur eines Oelkefsels be schäftigt waren, durch die entweichende Preßluft gegen die Wand geschleudert. Zwei Arbeiter wurden auf der Stelle getötet, dre beiden anderen erlitten schwere Quetschungen. Der Vesuv tu Tätigkeit. Nach einem Telegramm au» Neapel ist in diesen Tagen auch der Vesuv in Tätigkeit getreten, lieber einem Krater stekt Heller Feuerschein, und man hat festgestellt, daß die bisher fast geschlossene Oeffnung im Gründe de» Kraters aufgebrochen ist, und daß daraus reichliche, glühende Lavamassen hervorsprühen. Maßnahme» gegen Postgebührrneutziehung tu England. Der englische Deneralpostmeister brachte kürzlich im Unterhaus einen Gesetzentwurf ein, der -ie Postverwaltung ermächtigt, Anordnungen zur Verhinderung der Postgebührenflucht zu treffen. Da viele englische Firmen in zunehmendem Maße 'n großen Mengen in Deutschland oder Oesterreich Drucksachen Herstellen und versenden lassen, so wer den der englischen Postverwaltung Einnahmen ent zogen. Der Gesetzentwurf will die Postverwaltung ermächtigen, Zirkulare zu vernichten, die vom Fest- land in großer Menge »ingehen, wenn bewiesen wer- den kann, daß durch Auflieferung derselben im Aus lande der Staatskasse Gebühren entzogen sind. Reichsindexzifserrr (Mai 1923). Nach Angaben des Statistischen Tkichsamis. Monate Lebenshaltung Ernährung, Heizung, Beleuchtung. Wohnung, ohn 1920 e BeNe 1921 tduugSl 1922 osten 1923 etnstyi Bekleid 1922 »tnua» gskoste» 1923 Januar . Februar . März . . April . . Mai . . Juni . . Juli . . August . September Oktober . November Dezember Steige 700 817 916 S75 953 935 887 881 945 VW 1047 rung 1070 1033 1028 1022 1014 1048 1124 1192 1212 1808 1594 1746 im 1825 2209 2639 8175 3462 3779 4990 7029 11376 19504 40047 61156 Nai 1 1034^W 2409 2627 2764 3521 923 (g< 3486 3803 4147 5392 7765 13319 22066 44610 68506 genüb« 1120« 2643 ^4 r dem Vormonat): lohne DekleidungSkostenL7,4 V.H. für Lebenshaltung (einschließlich Bekleidungskosten f 29,2 d. H. Die Eröffnung der Innsbrucker Spielbank »er boten. Zn 14 Tagen sollte das Innsbrucker Spiel- kasino in den Stadtsälen eröffnet werden. Die Bundesregierung in Wien hat aber jetzt die Er öffnung des Betriebes untersagt. Die Anhänger der Spielbankidee greifen wegen diese» Verbots den Bundeskanzler und die Christlich-soziale Partei scharf an; denn da» Verbot bringt die Stadt Inns- druck in große Unannehmlichkeiten. Mit einem Kostenaufwand von vielen Millionen sind 5 groß« Säle luxuriös eingerichtet worden. Unmittelbar nach Abschluß des Vertrages hatte die Stadt Inn »druck von dem Spielbankkonsortium 1700 Millionen Kronen erhalten; das Geld hat die Stadt inzwischen für Wohnungsbauten ausgegeben. Die Spielbank will die Stadt auf Rückerstattung von Milliar den Kronen verklagen, wenn die Stadt ihr nicht das Recht zur Eröffnung de» Spielbetriebe» verschafft. Elektrisierung Amerikas. Einer Mitteilung der Chikago Tribüne zufolge hat die Dastinghouse Elek trizitäts-Gesellschaft einer in New Pork abgchaltenen Konferenz einen Plan vorgelegt, in dem eine Ver sorgung von ganz Amerika mit Elek trizität vorgesehen wird. Die Ausführung dieses Plane» würde ungefähr 5 Milliarden Dollar kosten. Dadurch würden sämtliche Eisenbahnlinien, Trans portlinien und Fabriken in ein einziges großes System einbezogen werden. Die meisten Elektrizi- tätsgcscllschaften haben diesem Plan ihre Unter stützung zugesichert. (Die Meldung klingt in dieser Form amerikanisch übertrieben.) Ei» -wette» Kabel von Colombo »ach P«ua«g. Kürzlich haben die Lastern Telegraphengesellschasten ein neues Kabel von Colombo nach Penang gelegt. Der Kabeldampfer .Colonia" legte da» rund 2360 Kilometer lange Kabel in etwa acht Tagen aus. Valuta und Auslandsreisen Kaum eine andere Nation bereiste früher die Länder Europa» in einem solchen Matze wie die deutsche. Es war nicht nur der Wander trieb, der hierbei mitsprach, sondern noch mehr ein gewisser Bildungstrieb. Der Deutsche liebt er, Vergleiche anzustellen. Er wollte im Auslande lernen, wollte sehen, wo e» etwa bessere Einrich tungen gab und wollte hiervon für sein eigene» Vaterland profitieren. Auch der Kunstsinn war e», der ihn nach manchen Ländern lockte, so namentlich nach Italien Daneben spielte auch da» Vergnügen seine Rolle, aber vielfach war e» doch geistiger Art, und es kam immer ein Gewinn für den Reisenden dabet heraus. Eine Auslandsreise war nun früher eine sehr einfache Sache So ungefähr konnte man am Inlandsbedarf auch den AuSland»bedarf abmessen. Kam jemand hier bei einfachem Leben mit 5 Mark für den Tag au», so konnte er daraus rechnen, datz er in der Schweiz, in Frankreich oder Italien mit 3 Franken oder Lire ebenfalls reichen würde. Denn, um ein Beispiel herauszugreifen, in den Städten der ebengenannten Länder speiste man sür 2 oder höchstens 3 Franken sehr gut zu Mittag und erhielt auck noch seine Flasche Wein dazu. In wohlfeilen Gasthäusern war e» sogar oft noch billiger. Das alles kam daher, weil der Preis der notwendigen Nahrungsmittel sich über all, in die Landeswährung umgerechnet, auf fast gleicher Höhe hielt. Dasselbe gilt für die Eisen- bahnfahrten. Die sogen, fashionablen Kurorte hatten allerdings immer ihre besonderen Preise, aber solche Orte suchte die große Menge der Reisenden selten auf. Sie kamen also nicht in Betracht. In diese angenehmen Verhältnisse brachte der Weltkrieg eine jähe Wendung. Je länger er dauerte, desto mehr galt es als ausgeschlossen, datz man die Länder der uns feindlichen Mäcbte würde wieder aufsuchen können. Alber dafür sollten die Länder der uns Verbündeten Mächte Ersatz bieten. Man wird sich noch erinnern können, wie von den deutschen VerkeyrSoeretnen immer wieder daraus hingewiesen wurde, daß namentlich Oesterreich und auch der Orient al» da» Reiseziel der Zukunft bezeichnet wurden für diejenigen, die ihren Wanderstab außerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches Hinsehen wollten. Da» galt um so mehr, al» ja „das schöne Land Tirol" schon immer viel von uns ausgesucht wor den war. Daneben die Tatra, die Karpathen und, wer weiter wollte, der Balkan — kurz, e» war für alle» gesorgt. So schien e» — aber cS ist alles anders ge kommen. Die Valuta ist es, die einen dicken Strich durch alles gemacht hat. Immerhin konnte man bi» in den Sommer 1920 hinein noch daran denken, Länder aufzusuchen, die, wie die Schweiz, jetzt derart hochvalutartsch sind, datz sie als un erreichbar gelten müssen, denn damals notierte die Mark noch ungefähr 14—15 Centimes. Aber ttr der Neuzeit hat die Valuta uns jedes Aus land verschlossen, selbst Oesterreich mit dem schönen Land Tirol So lange die Krone nur 3—5 Pfennig galt war Oesterreich für uns ein annehmbar wohlfeiles Land, trotzdem sich die Preise dort dem niederen Kronenstande angepaßt hatten, d. h. sehr in die Höhe geschnellt waren. Jetzt aber liegen die Dinge anders. Die Preise haben im wesentlichen die alte Höhe beibehalten, aber die Mark — steht tiefer als die Krone. Infolge dessen ist dort alles viel teurer als bei uns. So kostet in Wien ein Pfund Rindfleisch gegenwärtig 12 000 bis 15000 Kronen, ein Pfund Schweine fleisch 16 000 bis 22 000 Kronen, ein Pfund Schmalz 11000 bis 12000 Kronen, desgl. Kartoffeln 300 bis 350 Kronen usw. Da die Krone, wie schön erwähnt, jetzt der Mark gleich ist, sogar noch etwas mehr gilt, so ist daraus ersichtlich, daß auch Oesterreich für uns ein teures Land geworden ist. Unter diesen Umständen sind Gasthauspreise sür un» Deutsche in den meisten Fällen uner schwinglich geworden, und so manche, die da wähnten, sie werden in diesem Jahre eine Tiroler Reise macken können, haben diesen Plan aufgeben müssen. An hochvalutarische Länder, wie z. B. die Schweiz, ist natürlich gar nicht zu denken, denn selbst bei einfachstem Leben würden sich dort die täglichen Ausgaben auf mindestens 100000 Mark stellen, da» sind nur 7 Franken. Am billigsten erscheint noch Italien, wo man vielleicht mit 35000 bi» 40 000 Mark pro Tag au»kommen würde. So wird denn für SO Prozent aller Deutschen (wenn nicht noch mehr!) nur der Aufenthalt im eigenen Lande übrigbleiben. Und der ist schon teuer genug. Hört man doch davon, daß selbst in abgelegenen, durchaus nicht vom Strom der Sommerfrischler berührten Orten mindestens 15000 Mark pro Tag bei voller Verpflegung ver langt werden. Auch da» werden nur die wenigsten erschwingen können. Und wer weiß, wie noch die Preise in der Reisezeit steigen! Wenn aber alle Sträng« reihen r Den Genuß an der Statur wollen wir un» nicht nehmen lassen Hinan» in» Freie, muß die Parole sein. Auch die Umgebung bietet de» Schönen genug. Man mutz sich nur de» offenen Sinn hierfür wahren. Lisenbahnkatastrophe in Schweden Aus Stockholm wird gemeldet, daß sich auf der Eisenbahnstrecke bei Amir ein schweres Eisenbahn- Unglück ereignete. Die Lokomotive entgleiste, als sie eine Brücke überfuhr. Mehrere Eisenbahnwagen stürzten um, zertrümmerten das Geländer und stürzten in den hochgehenden Fluß. 26 Personen wurden getötet, 40 Reisende sind schwer ver letzt und eine gleiche Anzahl wird noch vermißt. Man befürchtet, daß die Fluten sie mitgerissen haben oder daß sie sich noch in den im Strome lie genden Wagen befinden. , »..... . / - General Iwan Katri» In Kopenhagen starb im Atter von 64 Jahren der russische General Iwan Katrin, durch Heirat ein Onkel der Großfürstin Olga. Bei Kriegsausbruch befand sich der General in Deutschland und wurde als Spion ver haftet, zum Tode verurteilt, dann aber zu drei Jahren Gefängnis begnadigt. 1917 kehrte er nach Rußland zurück und wurde wenig später durch die Revolution aus dem Lande vertrieben. Er lebte einige Igit in Konstantinopel und dann in Kopen hagen, wo er jetzt in größtem Elend starb. Vor dem Kriege war Iwan Katrin einer der reichsten Männer Rußlands; er besaß ein Vermögen von 25 Millionen Rubel, prächtige Paläste und ungeheure Metall werke. Sine wertvolle Perlenkette gestohle». Aus dem verschlosseuen Zimmer eines Homburger Hotel» wurde einem Kurgast eine Kette mit S21 auserlesen schönen Perlen mit Brillantverschluß gestohlen. Der Wert der Kette und der Perlen beträgt 300 Mil lionen Mark. 7SS5Z i«t ckie neue 7etexäon .^ammcknu»»«ne^, äee- atte -Idter'kunFe» äer Le/pÄger Vettögustitchettl i L /ü-- Spoe-t u. Lik»-« Lad«»" unck 's <L Lureten ckur-eL l'ennrttekunL unee»-«- ^enterüe ru eieren »rnck. Zeuge Ern-e-b ei-nache wahr« Geschichte Bon Auel (München) Als ich vor geraumer tzeit durch die nächtliche Therefienstraße ging, hörte ich plötzlich einen lauten K/all, als ob ein Automobilreifen geplatzt sei. Es war aber nur eine Watsche. Erschrocken sah im mich um und gewahrte am Boden eine Art in» Raufen geratene Laokoonaruppe. Alsbald löste sie sich in zwei Männer aus, »inen kleinen Dicken und einen längeren Schlanken, von denen der eine rief: „Komm nur her, wann d' no oane magst! I hab' no mehra dabei!" Ich wollte nicht stören und entfernte mich. Denn es sollen bei solchen Gelegenheiten schon öfter» Der- Wechslungen vorgekommen sein. Einige Tage später las ich in der Zeitung eine Anzeige: „Jener Herr, der der nächtlichen Ausein- andersetzung in der Therefienstraße beiwohnte, wird im Interesse der Gerechtigkeit gebeten, sich bei Rechts anwalt Meier XVIN. zu melden." Der Herr war ich. Und daß es sich um eine Aus- einandersetzung gehandelt hatte, hatte ich mir gleich gedacht. Ich habe für so etwas einen Scharfblick. Und da ich al« guter Deutscher stets auf das Stich wort „Gerechtigkeit" hineinsalle, meldete ich mich. Im Wartezimmer de» Anwalt» saß eine Menge Leute, die entweder schon Auseinandersetzungen ae- habt hatten oder sie noch zu haben wünschten. Ich la» anderthalb Stunden m den alten juristischen Fachblättern, die das Wartezimmer zierten, dann war ich genügend geistesabwesend, um empfangen werden »u können. Der Anwalt ließ sich alle» von mir erzählen, wa» ich über die Laokoongruppe wußte, schrieb e» auf und richtete etwa hundert Detektiv fragen an mich. Ob ich gehört hätte, wie die Gegen- Partei gesagt habe: „Dsckerter Rammel, ganz gscherter?" Ob ich bemerkt hätte, daß der Gegner in der Hinteren Hosentasche eia Messer, es könne aber auch eine Mauserpistole gewesen sei», gehabt habe? Hm, — «her den »erbrochenen Spa-ierftock im Rinn stein müsse ich doch gesehen habe»? Der Anwalt schien sehr unzufrieden »ft mir z» Pin. Ob ich vielleicht mit der Geegnpartti verwandt Eder verschwägert sei, erkundigt» er sich. 'Hwei -W» späte» «schien in »ein« WvßaMA Mittelding zwischen stoss, so daß ich wehr- Noch nie in meinem Leben bin ü vorgekommen. Al» ich erklärte, ick hätte meiner Au» sage nichts hinzuzufüqen, hatte ich einen Heiterkeitr iten Lustspieldichter sttzende machte einen Mittag» ma halb «in» wurde „mein Fall" auf- gerufen. Der Rechtsanwalt »ar wieder sehr nett und ftigte bei jedmu Dich hin»»: „Wie unser da- Auf dem Gang sagte der eine Laokoon zu mir: „Sie san a ganz an Au»g schämt«! Eie, wann nöt gwen wär», nachher hält' i »ein Prozeß glatt gwunna! Ab« mir zwoa reden no mitanandl" Und der ander« Laokoon sogt«: ,A»f Wiedersehn! stätigen wird." Dann machte ich meine Aussagen und dann kam der Gegenanwalt dran. Au» seinen Ausführungen erfuhr ich zunächst, daß der Vorfall sich gar nicht nachts, sondern am Hellen Mittag abgespielt habe. Und zwar auf der Platt form der Elektrischen. Die Parteien hätten sich schon längst versöhnt gehabt, da hätte ich mich hinein gemischt und durch meine Hetzereien den Streit auf» neue entflammt. „Oha!" rief ich. Der Vorsitzende sah mich streng an und drohte mir mit einer Ordnungsstrafe. Dann hielt der Gegenanwalt eine kteine wissen schaftliche Vorlesung über die Psychologie der Zeugen- aussagen. Auf Zeugenaussagen sei überhaupt nichts zu geben, besondere nicht, wenn der Zeuge schon große Mengen berauschender Getränke zu sich genommen hätte. Ein Mensch, der sich so wenig in der Gewalt habe, daß er die ernste Pflichtarbeit des Recht- sprechens durch erregte Zwischenrufe unterbreche, sei wohl überhaupt wenig geeignet zu objektiver Be obachtung und Aussage. Er beantrage, mein Straf register zu verlesen. „Unverschämtheit!" rief ich, und schon war ich zu zwanzig Mark Ordnungsstrafe verurteilt. Nun kam wieder „unser" Anwalt an die Reihe, und ich freute mich schon darauf, wie er dem gegne rischen Frechdachs Heimleuchten werde. Aber er sagte nur, er fände es merkwürdig, daß der Zeuge sich heute absolut nickt an Dinge erinnern wolle, die er bereits in seiner Kanzlei zu Protokoll gegeben habe. Ins besondere an denl Hund Alarick, der auf leinen Man danten gehetzt worden sei, hatte ich mit aller Be stimmtheit festgehalten. Noch nie in meinem Leben bin ich mir so angeklagt " , '' hätte meiner Au»- >oe" nichts hinzuzufiiqen, hatte ich einen Heiterkeit«- :st»lg, um den mich die bekanntesten Lustspirldichter hätten beneiden können. Der Vorsitzende machte einen Brrgleichsvorschlaa, die beiden Gegner erklärten sich gegenseitig für vollwichtige Ehrenmänner, teilten di« Kosten und verbeugten sich. Dann gingen sie zu sammen zum Frühschoppen. Ich wartete, ob man vielleicht mich al» Zeugen zu irgendetwa» verurteilen würde, ab« nein: der Prozeß war au». - - „Sie s«n a ganz an eine Frau mit sieben Kindern, die sie sich in der l Umgegend zusammengepumpt hatte. Dies seien ihre unschuldigen Würmer. Ich habe noch nie so wohl- dressierte Kinder gesehen. Kaum wurde»! sie meiner ansichtig, da hingen mir auch schon an jedem Hosen bein drei Stück und jammerten herzzerreißend. Die Alt« aber schluchzte: „Sie haben kein Herz! Sie haben kein Herz in der Brust!" Vergeblich bemühte ich mich, ihr diese anatomische Unmöglichkeit auszureden; sie kreischte: „Dann wür den Sie doch nicht unsere arme Familie ins Unglück stürzen wollen!" Ich erklärte ihr, daß ich grundsätzlich nie jeman den in etwas stürze, aber sie war nicht zu beruhigen. Sie werde sich da» Leben nehmen, wenn ihr unschul diger Mann verurteilt würde, und mir alsdann nächtlich als Geist erscheinen. Mir gruselte; denn ich war auf ihre nächtliche Erscheinung nicht neu gierig, ich hatte schon von ihrer taghellen Erscheinung genug. Nach diesem Besuch batte ich da» Gefühl, al» überließe ein kluger Mensch die Gerechtigkeit immer am besten sich selbst. Solche gescheite Gedanken kommen mir oft hinterher. Frau Justitia ist weder Fräulein, noch schön, kann ungeleitet nach Hause gehn. Bald darauf kam der kleine dicke Laokoon zu mir. Ich sollte nur ruhig alles beschwören: wie der Herr- gottssakramrntsbazi von hinten über ihn heraefallen kei mit dem Ruf „Hin mußt wernl", wie die zwei Leute auf seinen Pfiff aus dem Hinterhalt hervor gebrochen seien, und wie er dann in der Notwehr argen die Menge Menschen seinen Arm ausgestreckt habe und der andere mit seiner Wange gegen sein« Hand gerannt sei, — nun, da» hätte ich ja alle» ge nau gesehen. Der Mann rauchte rin 1 Buchcnlaub und Schwefelwasserstoff, . _ , los gegen ihn war. Dann kam der Tag der Verhandlung. Auf neun Uhr vormittag» war ich bestellt. Ich traf pünktlich ein, aber da war eine ganze Menge Menschen, di« alle nock vorher verurteilt werden wollten. Wenn man auf neun Uhr vormittag» auf« Gericht bestellt ist, soll n»n nie vergessen, sein Abendessen mitz»- Ich ging nach Hause. Passiert ist mir später nichts mehr. Denn der Hut, der mir ueuiich eingetriebcn wurde, al» ich nacht» um die Ecke bog, — bas wird wohl der Wind gewesen sein. Wenn ich jetzt zwei Menschen sich hauen sehe, prügle ich mit. Als Beklagter kann rfian sich immer hin später vergleichen, als Zeuge kann man das nicht.. Pierre Loti s. Aus Paris wird uns gedrahtet: Dec Romanschriftsteller Pierre Loti ist heute nach längerer Krankheit gestorben. Pierre Loti, der mit seinem bürgerlichen Namen Julien Biand heißt, war Mitglied der Akademie, und hatte in seiner Jugend als Marineoffizier weite Reisen unternommen, von denen er die entscheidenden Eindrücke für seine spätere literarische Laufbahn empfing. In die fran- -ösische Literatur führte er die Exotik, das Interesse an der Gegend de» hohen Nordens und des äußer sten Ostens ein. Pierre Lott gewann seinen ersten großen Erfolg mit dem Roman „Die Island fischer" (der auch in deutscher Sprache sehr viel gelesen wird), „Vom hohen Norden". In den Osten führt dann lein berühmter Roman „Madame Chry santheme", der das Japan der zarten Farben und der verfeinerten Kultur entdeckte. Lotis eigentliche Liebe gehörte aber dem nahen Osten. Und sein Hauptwerk „Die Entzauberten" schildert da» Kon stantinopel der Gegenwart mit seinen Gegensätzen zwischen der modernen Diplomatie und den Be- ziebungen de» Orient». In dies« Hinsicht hat der Romanschriftsteller auch «ine politische Rolle gespielt. Von ihm gingen jene Richtungen au«, die in der französischen Politik die Türkei von englischer Be vormundung ia ein anderes Fahrwasser lenken wollten. In seinem Buch« „Indien ohne di« Eng länder", hat « den Er»anzipation»gedanken de» Orients von der englischen Vorherrschaft noch mehr erweitert. Die Teilnahme der Türkei an dem Welt krieg« auf deutscher Seite war für die TÜrkophilen Frankreich» ein harter Schlag. Di« später« Zu neigung der französischen Außenpolitik für die Re- glerung von Angora schlug jedoch wieder ihre Wur zeln in die von Loti begünstigte geistige Richtung. Gauß» - »ourths-Mahl«. Ler Laute-Verlag t» Budapest kündig ein« »ugartsch« Gesamtaus gabe der SaaiUM Mourtbs-MaLl« a»
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