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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 10.06.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-06-10
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192306101
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230610
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230610
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-06
- Tag 1923-06-10
-
Monat
1923-06
-
Jahr
1923
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8-i— L «r. »6 Militarismus E» scheint üblich zu »erden, -aß just der Augen« bUck einer diplomatischen Aktion Deutschland« ge wählt wird, um irgendeinen von Frankreich au»- gchcckten Stoß gegen Deutschland zu führen. So war die Note vom 2. Mai kaum veröffentlicht, al» sich d-e Franzosen zur Plünderung der Farbwerk» in Höchst und Ludwig»hafen aufmachten. Und heute ist es rin Beschluß der gleich dem Völkerbund zum servilen Werkzeug de» französischen Impertali»mus gewor denen Botschafterkonferenz, der da» damische Echo der neuen deutschen Bemühung um den Weltfrieden bildet. Die Botschafterkonferenz hat verfugt, daß die Tätigkeit der interalliierten Militärkontrolke in Deutschland wieder ausgenommen werden solle. Wir werden also wieder die auf unsere Kosten fett bezahlten Herrschaften sich breitmachen und ihre Nase in jede» NachtkSstchea stocken sehen, ob nicht etwa d e eia» oder andere Batterie schwerer Geschütze oder etwelche Divisionen heimlich au »gebildeter Truppen darin verborgen seien. Wir werden die säbelrasseln- dtn Inhaber der überflüssigsten Sinekuren von neckem die Geduld der Bevölkerung herau»fordern und sür jeden Blick der Verachtung, den man ihnen zuzuwerfrn wagt, profitliche Strafgelder anordnen sehen. Es unterliegt gar keinem Zweifel, daß der Be schluß der Votschafterkonserenz lediglich eine neue Auflage des bö»willigen Schlich» darstellt, mit dem Frankreich, um die Aufmerksamkeit und den Unwillen der Welt von der üppigen und nach neuen Leichen feldern riechenden Blüte de» französischen Militari»mu» abzulenken, den angeblich immer noch umgehenden Deist des deutschen Militarismus be schwört. Doch muß man leider zugeben, daß e» m Deutschland nicht an Leuten fehlt, die töricht genug sind, dem französischen Kniff unfreiwillige, doch des halb nicht weniger wirksame Helferdirnste zu leisten. Denn da» geschieht jedesmal, wenn irgendwo in Deutschland einer jener pseudoenilitiirischen Auf- marsch« und Schaustellungen mit oder ohne Feld- Marschall stattfindet, die da» Gewicht der deutschen Wehrhaftigkeit nicht um einen Deut zu vergrößern vermögen, dafür aber vollkommen ausreichen, um dem Franzosen immer wieder die Möglichkeit der an Europa und Amerika gerichteten Ausrufung zu geben: Seht die Militaristen! Der Franzose hat von dem schlechten Ruf, den der Militarismu» in der Welt genießt, allzu reichlichen Gebrauch gegen uns gemacht, um nicht die Gefahr zu erkennen, die heute ihm selber unter dem gleichen Titel droht. Und es ist durchaus charakteristisch, wenn kürzlich bei der Enthüllung eine» Kriegerdenk mal» zu Ehren der gefallenen Amerikaner der an wesende Botschafter der Vereinigten Staaten sowohl vom Ministerpräsidenten als auch vom Präsidenten der Republik zu hören bekam, wie weit Frankreich von jedem militaristischen Gedanken entfernt sri. Wenn es den Amerikanern zuweilen anders scheinen wosse, so sei das, meinte Poincare, nur die Folge der schlimmen „deutschen Propaganda". Di« geradezu ängstliche Bemühung, mit der man die Franzosen bei dieser und unzähligen anderen Ge legenheiten den Vorwurf de» Militarismu» von sich weisen sieht, sollte uns Lehre genug sein, wie sehr wir alles vermeiden müssen, was irgend al» Wett bewerb mit dem französischen Militarismus wirken kann. Durch jeden Paradeschritt, jeden schnarrenden Kommandoruf, der in Deutschland gehört wird, wird da» Geräusch des französischen Säbelrasselns ab geschwächt. Daran sollte jeder Paterlandsfreund mehr al« je in diesen Tagen denken, da wir uns in offenkundigem, wenn auch unausgesprochenem Wett kampf mit Frankreich um die Sympathie der Welt ÜB» 10. bewerb«. Es muß auf da» strengste vermiede» m«den, der miedttwemeckte« MilitistkontraL« auch nur de» Schein eine» Rechtes zur Feststellung eine» deutschen Militarismus zu liefern. G * Der Bet" »'ar si— «* - lich Hingerichteten Schlageter seien Dokumente ge funden worden, die beweisen, daß eine vollkommene Organisation für einen Kleinkrieg' mit Attentaten und Bomben besteh«. Man hab« ferner durch Zufall erfahren, daß die deutschen Nationalisten» dit in Verbindung Mit der Reichswehr ständen, be sondere Schulen organisiert hätten, die dazu be stimmt seien, di» Offiz irre der früheren Armee und Marine für di« neuen Kampfmittel auszu bilden. So habe der Daily Telegraph mitgeteilt, daß in der Nähe von Potsdam und Bremen der artige Schulen beständen und daß Panzer wagen und besonders Lastwagen in diesen Unter richtsanstalten benutzt worden seien. Mehrere solcher Wagen seien kürzlich in einer Hütte des Rheinland«» beschlagnahmt worden während andere Panzerwagen dab«i Überrascht worden stten wir sie im Begriff standen, in einer Waldlichtung «ine Hebung abzuhalten. Enthüllungen über die Vrerdner Unruhen Leutnant Kr«Il al» Drahtzieher? Dresden, S. Juni. (Gig. Te l.) Die Rolle, die faschistisch« Elemente bei der Aufreizung drr Dresdner Erwerbslosen gespielt haben, hat einen viel größeren Umfang, al» die Öffentlichkeit bisher erfahren hat. Feststellungen darüber werden in den nächsten Tagen, vermutlich im Landtag bei der großen Generalaussprach« über die Teuerungs- krawalle, bekanntgegebrn werden. In der Presse wurden bereits di« ehemaligen Leutnants Krull und Killing » r erwähnt, die sich bei Dresdner Bs» Hörden unter der Angabe Eingang verschafft hatten, sie seien vom Reichskommissar für die öffentlich« Sicherheit beauftragt, sich über die Zustände in Dres den zu orientieren, um nach Berlin Bericht zu er statten. Nach Feststellungen kommt hier nicht der Leutnant Killinger in Frage, sondern ein Regierunz»- rat Dr. Dillinger. Insoweit liegt nur «ine Na- mensverwrchslung vor. Dagegen stimmt die Angabe, daß Krull, der bei der Ermordung der Rosa Luxem- bürg eine höchst verdächtige Rolle gespielt hat und deshalb vor Gericht gestellt war, sich in drr angegebe nen Weise in Dresden betätigt hat. Er wird vom Reichskommissar für die öffentliche OrdnungpKünzer, den er unter dem Namen Kunze von Dresden au» angerufen hat, aber abgeschüttelt. Wohl in diesem Zusammenhang teilt die Nach- richtenstelle der Reichskanzlei heute Näheres über die Anwesenheit des Reichswehrminister» Deßler in Dresden und seine Unterredungen mit dem Minister präsidenten Dr. Zeigner und dem Minister des Innern Liebmann. Diese Unterredungen ver liefen nach Mitteilungen der Staatskanzlei »n der freundschaftlichsten Weise. Der Reichswehrminister hat dabei allen Forderungen gegenüber, die die säch sische Regierung seit vielen Monaten vergeblich an da» Reichswehrministerium gerichtet hatte, da» weit gehendste Entgegenkommen gezeigt, so daß all« Differenzen, dir zwischen dem Reichswehrmini- stertum und der Regierung bestanden haben, voll- ständig beigelegt wurden. Die Kassationsverhandlungen im Falle Krupp werden erst nach Erledigung der Revision de» Betriebsratsmitgliedes Müller, die dem nächst in Düsseldorf verhandelt wird, stattfinden. * Der frühere französische Ministerpräsident Viviant ist am Freitag, während er vor Gericht' al» Rechtsanwalt plädierte, von einem plötzlichen Unwohlsein befallen worden und mußte nach seiner Wohnung gebracht werden. Sein Zustand ist be sorgniserregend. v*r MüRchWer HochVerratspr-zeh Münch«. 9. Juni. (Liß. Tel.) Der Leutnant Friedmann gatz bei leftur tzoust fortgesetzt« Dernehmüng ausführliche tzkwvmft Übkv die Be- sprechungen auf dem Gute RokMttütch über die auch Meyer schon berichtet hatte. Nach Friedmann» Ans agen erklärte Richert damal», es handele sich, soweit eine Person in Frag« Ulme, nicht um eine offizielle, andern zunächst um eins offiziös» Sendung. Frank reich sei für die' nächsten 50 Jahre die stärkste Macht und würde seinen Willen gegenüber Deutschland durchführen, E» wr^'e die Rheinarenzr. Was aber Loucheur über die Pfalz gesagt habe, sei nicht so ernst zu nehmen. Wenn sie nur handeln, «erden sie be kommen, was sie wollen, aber sie müssen rasch handeln. In den Plan seien S Personetz eingeweiht: Degoutte, sein Generalstabschef, Le Nry, und noch zwei andere Personen, deren Namen aber Friedmann entfallen seien. Richert drängt» zur Aktion. Er sei ohne Urlaub kort, sei aber al» politischer Leiter zu Degoutte berufen und müsse in» Ruhrgebiet. Zudem seien Verhandlungen zwischen der französischen Schwerindustti« und der Gruppe Thyssen im Lang*. Wenn man sich nicht spute, käme man mit der Aktiv» zu spät. Richert schrieb dann einen Brief, den er dem Major Meyer zur Ueberretchung an Fuchs über gab, und einen anderen Brief, adressiert an Doppel in Saarbrücken. Friedmann und Meyer öffneten dies« Brief» abends, kopierten sie und verschlossen sie wieder. Dann beförderten sie dies« an ihr« Adresse. * Da» Reichswehrministertum teilt mit, daß der in dem Münchner Prozeß erwähnte Major Mayr bereits seit über zwei Jahren aus dem Heeresdienst ausgeschirden ist. , Bayern sagt Sachsen Zehde an Dresden, 9. Juni. (Eig. Tel.) Die Bayerische Dolkspartei hat im bayerischen Landtage eine An frage zu dem Vorgehen der sächsischen Regierung gegen die bayerischen Gerichte eingebracht, worin dieses gekennzeichnet wird als „wider sprechend den Bestimmungen de» Gerichtsverfassungs gesetze», vk» Verletzung' der deutschen Reichseinheit und unerhörter Eingriff eines der Bundesländer in die bayerische Rechts- frage". Es wird gefragt, ob die Pressenachricht zutrifft, und welche Maßnahmen die bayerische Staatsregierung dagegen zu ergreifen gedenke. Wie verlautet, will Bayern wegen dtese» Vor falles sogar seinen Gesandten in Dresden abberufen. Eine Bestätigung dieser Vermutung war b'-'-r noch nicht zu erreichen. Neur^eeung der Wochenfürsorge Berlin, 9. Juni. (Eig. Tel.) Der Haushalt ausschuß des Reichstages genehmigte die Vorschläge des sozialpolitischen Ausschusses zur.Erhöhung der Familie n wo ch e nhilfe und der Wochen fürsorge. Der Pauschbetrag bet Erstattung des Wer-, te» der freien Arztbehandlung, der bis letzt 10000 Mark beträgt, und voy der Negierung auf 16 000 Mark vorg<M)en war, wurde auf SO 00t) Mark erhöht; in gleicher Weise wurde der Pauschbetrag bei Ent bindungen auf SO 000 Mark gegenüber den von der Regierung vorgeschlagenea 20 000 Mark festgesetzt. Da» Wochengeld wurde von 100 auf 800 Mark er höht, gegenüber dem Rrgierungsvorschlaa« von 200 Mark, das Stillgeld von 200 auf 1200 Mark gegen über einem Regierungsvorschlage von 480 Mark. Das steuerpflichtige Gesamteinkommen, da» für die Bei- Hilfe notwendig ist, wird von 120 000 auf 300 000 Mark erhöht und erhöht sich bei jedem Kinde um 90000 Mark. Der Aufwand de» Reiches für je 100 Mark Pauschbetrag bei Erstattung de» Werte» für Arztbehandlung, beträgt 4 Millionen Mark, für je 100 Mark Pauschbetrag bei Entbindungen 40 Mil lionen Mark, für ie 1 Mark Wochengeld 28 Millionen Mark, für je 1 Mark Stillgeld 32,6 Millionen Mark. Epdan» wurde beschlossen, dir Bezüge der Sptzialrentner, die jHt 40000 Mark und 5000 für di» Fra« und j«he» Kind ausmachen, vom 1. Mat ab zu verdoppeln. vom 1. Juni ab zu verdreifache«. Vom gleichen Zeitpunkt ab werde« die Beträge für Frau und Kinver verfünf- facht, also auf je « 000 Mark pro Monat festgesetzt. Um Vie vrotverbiMgung Bisher 2« Milliarde« Zmemgmmstih« Berli«, 9. Juni. (Eta. Tel.) Im Volkswirt- schaftllchen Armschutz dr» Reichstage» erklärte heute der R«ich»ftnanzminist,r Dr. Herme», daß er bei der Zwnngsanleihe mit einem Gesamtbettage von 800 bi» SSO Milliarden rechn«, von denen bisher 22k Milliarden eingekommen seien. Wenn der städtische Grundbesitz, die festverzinslichen Wert- papier« und die Hypothekarforderungen von der neuen Zwangsanleiye für die Drotverbillignng der Minderbemittelten ausgenommen werden, müßte für die Brotverbilligung von den übrig bleibenden 250 Milliarden da» Lechs- bi» Siebenfach« auf- gebracht werden. Die Sozialdemokraten hielten eine zehnfache Erhebung der Zwangsanleiye für not wendig während anderseit» die Deutsche Dolkspartei und die Deutschnationalen glaubten, daß durch eine Vervierfachung der Zwangoanleihe genügend Mittel zur Erleichterung der Brotversvrgung für die be dürftige Bevölkerung geschaffen würden. Deutscher Reichstag Dor fast leerem Hause hat der Reichstag am Freitag die Besprechungen der sozialdemokratisch:,» Interpellation über den Mark stürz und di» er forderlichen Teuer*rng»maßnahmrn vor- genommen. Auch di» Auswahl der Redner zeigte, daß man nicht die Absicht hatte, eine große Debatte zu entfesseln. Von Bedeutung war in der ganzen Aussprache nur di« Rede de» demokratischen Abg. Dernburg. der mit scharfer Kritik und mit einem reichen Rüstzeug in sachlicher Weise die agi- tatorische Seit» der sozialdemokratischen Intc> pellatton und ihrer Begründung beleuchtete, auf die Wurzel de» liebel» mit klarer Deutlichkeit hinwies. und mit der Mahnung schloß, durch gemeinsame Anspannung all«r Kräfte gegen die Not anzu- kämpfen. Di« weitere Aussprache wurde schließ, lich auf Sonnabend vertagt. Unruhon im Zlse-Vergverk Berlin, 8. Juni. (Eig. Tel.) Auf der Grube Erika der 3lse-Bergbau-A.-D. ist es gestern zu Unruhen gekommen. Di« Gesellschaft hatte am Sonnabend den Bergleuten freiwillig »inen Dor- schuß von 50 000 llstark gezahlt, ihn aber bet der Lohnzahlung am Sonnabend vollständig wieder ab- gezogen. Die Erregung darüber wat sehr groß. Der Betriebsrat berief ein« Dersamlung «in, und die Belegschaft veranstaltete einen Demonsttations- zug nach dem Verwaltungsgebäude. Al» die Direktion jede Verhandlung ablehnte, zog die Meng« vor da» Kaufhaus der Ilse-Wohlfahrt, D. m. b. H., stürmte und plünderte es aus. Auch auf anderen Gruben der Ilse ist es sehr erregt. Line Verlin er Messe? Nach dem Berliner Tageblatt sind umsangrdiche Verhandlungen über die Veranstaltung einer Ber liner Messe jetzt bi» zu einem gewissen Ab schluß gekommen. Die Stadt Berlin hat sich bereit erklärt, ein Gelände zur Verfügung zu stellen. Auf Einladung des Ausschusses zur Vorbereitung der Berliner Messe hat sich eine große Anzahl Vertreter der Industrie- und Handelswelt zusammengefunden, um über die Beschaffung der Mittel zu beraten. Nach 20 Plenarsitzungen wurde am Freitag in Bern di« internationale Tisenbahrr- konferenz geschlossen. Di, Delegierten unter zeichneten noch den Entwurf zu einem Uebereinkom- men über den Personen- und Güterverkehr und einen zweiten zu einem Uebereinkommen über den Eisenbahnfrachtverkehr. Elise Lensing Das Bild einer Verkannten Von G««»es Pfttkonentel Wer es mit den Frauen gut meint, soll sie warnen: Laßt euch von keinem Dichter lieben! Allem fall» von einem Musiker, einem Maler, sogar von einem Schauspieler, obwohl jede Künstlerltebe ihre argen Bedenken hat; aber ja von keinem Dichter. Fällt ein Strahl seiner Sonne auf euch und leiht er euch die Unsterblichkeit, wie es auf dem Grabstein drr armen Friederike Brion heißt, bann findet ihr nimmer Ruh«. Bi» zum jüngsten Tage sind di, Spürhund« euch auf den Fersen, durchspüren di, Geheimnisse eure» verlassenen Gemach» und suchen auf dem längst erkalteten Lager nach jeder verräte rischen Haarnadel. Gewiß: auch Raffael» Fornarina und Rembrandts Saskia, Mozarts Constanze und Deetbovens unsterbliche Geliebte, find verwandtem Schicksal nicht entgangen. Aber was die Meister de» Pinsel» und der Töne von ihnen aekündet haben, verklärt ihre Gestalten za überirdischen Erscheinun gen, bei denen man nicht mehr nach Mann und Weib fragt, während das Wort des Dichters dazu reizt, uv seinem Kunstwerk da» Erlebnis herauszuschälen und hinter seine« Geschöpfen die Urbilder zu suchen. Um Shakespeare» schwarze Geliebte, um Molieres vngetteu« Madeleine, um Charlotte von Kalb und Iharlotte von Stein lagert sich ein unaufhörlich stei fender Wall von Forschung, auch vor dem Intimsten nicht zurückschreckend. Stet» handelt es sich dabei um die Antwort auf die Frage: Welche Eigenschaften 'mtst diese Frau, daß der Dichter sie auf feurigen Armen zum Himmel «mporhob, daß sie ihm Spen derin seiner großen Freuden und Schmerzen wurde? Zuweilen fällt di« Antwort nicht schwer. Solch -in klares, innerlich heiteres Geschöpf wie Lotte Buff, die vornehme Weiblichkeit einer Marianne von Wil- lamer stel't t« .Wertoer", in den Suleika-Dedichten de» „Wcsröstlichen Divans" ganz unproblematisch vor uns. und milde Tageaklarheit liegt über ihren Herzen-' »iebungen. Aber weit häufiger deckt nächt liche» D ikel, kaum von Blitzen unwillkürlicher Ge stände - hier und da zerrissen, da» Sueben und Finden, >rn Kampf der Geschlechter, Beginn und Lösung l r Dichterlieb». Nur u leicht führen die schriftliche« Zeugnisse irre. lbsttänschung, bewußtt» und unvewußst» Verhüll ', die steigernden «ad mindernden Phanta- fiegebildc verführe« den Rvchgeborenm zu falschen Vorstellungen von dem Wesen der Frauen, von der Art der Gunst, die dem Geliebten gewährt wurde, von dem Verlauf de» Erlebnisses. So haben noch jüngst die neu geschenkten Diotima-Briefe gezeigt, daß Hölderlin und die angebetete Frau einander mit weit irdischeren Blicken betrachteten al» man bisher annehmen durste. Schwerlich können wir ähnliche glückliche Meh rung der Zeuanisse an einer anderen Stelle erwar ten, wo wir ihrer dringend bedürfen: für das Ver hältnis Friedrich Hebbels zu Elise Len sing. Auf den ersten Blick scheint es, al» mangle e» nicht an zuverlässigen Beweismitteln. Unmittelbar vor der Bekanntschaft mit Elise hat Hebbel sein Taaebuch begonnen und es bi» zu seinem Tode mit geringfügigen Unterbrechungen fortgeführt. E» sollte das Notenbuch seine» Herzen» sein und dessen Töne zu seiner eigenen Erbauung aufbewohren, zugleich aber auch seinem künftigen Biographen dienen. Hier aus entsprang die erste Fehlerquelle, dir zweite, noch stärker da» reine Bild trübende floß au» der Eitel- kett Hebbel», nicht selten bi» zur bewußten Lüge, vor anderen in Briefen und Gesprächen, auch vor sich selbst. Noch dazu haben fremde Hände au» den Tage büchern gerade die Stellen entfernt, die von Schwä chen und Mängeln des Dichters zeugten. Und so find schon diese eigenen Berichte trotz ihre» äußere« Um fang,» sehr lückenhaft und versagen gerade an ent- scheidenden Wendepunkten. Völlig fehlen die ergänzenden Aussagen der anderen Partei. Kurz vor ihrem Tode hat Hebbel» Gattin Christine die Briefe Elise'» vernichtet. Ihr, Aeußerungen find uns zumeist nur durch Zufall er halten. di« meisten in Hebbels gewiß nicht immer zutreffender Wiedergabe. Somit kommt es auf einen Indizienbeweis an und diesen führt mit dem Aufgebot aller Hilfsmitt-l und liebevollstem Eifer das neue Buch „Friedrich Hebbel und Elis, Lensing, Ein Kampf um Leben und Liebe von Wllhelm Rutz." (C. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung, Oskar Deck,, München 1922.) Rutz verbraucht für seine Prozeß-' führuna den stattlichen Raum von fast 500 Druck seiten; trotzdem kann er selbst nicht sagen, alle Dun-, kelheittn seien geklärt. Vorsichtig schreitet der For scher die Etappen des Verhältnisse» ab. er setzt den Schritt nicht weiter, ehe er jeden Fußbreit des Do- dens, auf dem er gerade strbt, gewissenhaft geprüft hat, und sorgsam zeichnet er jeden neuen Zug in die Seelenbildnisse der beiden komplizierten Menschen ei«. Es ergaben sich viele schöne gesicherte Berei cherungen. zu» Teil »it feinster Kritik aus der Dich-. tung Hebbel» gewonnen. Aber ich kann nicht sage«, daß die Grundlinien sich anders darstellten, als ich sie schon früher zu ziehen versucht habe. Elise Lensing hatte die höhere Töchterschule und da» Pensionat des Pädagogen Her>se besucht und später als Lehrerin, wenn auch nur für Handarbeiten, gewirkt. Sie besaß ein kleine» Vermögen und lebte mit der Mutter und dem Stiefvater Ziese in Ham- bürg, hielt sich dabei ein eigenes Dienstmädchen, wohl deshalb, weil sie durch Vermieten ihre Ein- nahmen zu mehren suchte. Bald nach seiner An kunft in Hamburg zog der 22jährige Hebbel zu der fast 31jährigen Frau. Sie wurde seine Geliebte und blieb cs auch, als er eine andere Wohnung in der Nähe bezog. Zwei einsame Menschen stillten gleichartige» Verlangen Jahre hindurch in engster Gemeinschaft. Drr Mann von vornherein, zu mindest nach dem Verfliegen de» erste« Rausches, nicht gesonnen, dieses Band unzerreißbar »u knüpfen, die Frau, ihrem Geschlechtscharakter gemäß und als Alternde um so zäher die Illusion »iner künftig«« Ehe wahrend. Deshalb opferte sie alles, was sie besaß, um Hebbels Leben während der Studienjahre in Heidelberg und München zu stiften, deshalb nahm sie auch den verlumpten Bruder de» Geliebten in dessen Abwesenheit in ihr Hau», deshalb suchte sie Erwexb, zwar nicht al» arme Nähterin, wie die Fabel sagt, aber doch durch »inen Tabakladen. Ohne Erfolg, ohne Hoffnungen kebrst Hebbel zu Elise heim. Er verzweifelte an fernem Talent und um so stärker wird da« Gefühl der Verpflich tung, d« Elise die einzige ist, die mit hilfsbereitem Glauben zu ihm aufschaut, flm ihrer künftig.,« ge sellschaftlichen Stellung willen bringt si« ihr erstes Kind nicht in der gemeinsamen Hamburger Woh nung, sondern in Ottensen, wo sie unbekannt ist, »ur Welt. Und etwa seit 1842 nennt sie sich, in ein» andere Stadtgegend verzogen, Frau Dr. Hebbel. Alles deutet auf di« gleiche Grundtatsache hin: Elise lebte in der Vorstellung, daß der Dichter sie, vor der Welt zu seiner Frau machen würde, und was sie erwartet«, dem hat er mindestens »in« Zett lang nicht widersprochen, wohl weil er di« moralische Verpflichtung damals stärker als die sittliche Ps icht gegen sich und sein Schaffen empfand. Nach dem Erfolg der „Judith", al» er zum Be wußtsein seiner. ungebrochenen Kraft gelangt »ar, da wurde ihm di« Unebcnbllrtigkeit Elisen» immer bewußter, und so trat Dankbarkeit und Verlangen nach Schonung hinter dem seelischen Selbsterhal tungstrieb zurück. Trotzdem darf man fragen, wie r» wohl gekommen wäre, wenn Hebbel wo« seiner zweittihrtyen Auslandsreise nach Hamburg zurück- gekehrt wäre. Weder konnte er auf die Dauer in der auf seinen Namen gemieteten Wohnung ungetraut mit der Frau -usammenhausen, die sich längst Frau Dr. Hebbel nannte, noch wäre er selbst von neuem zu der alten Boheme-Existenz fähig gewesen. Ei» fürchterliche» Phantasirbild! Sie hätten sich durch ein eisernes Band aneinandergekettet und im ewigen Zerren und Reiben ihre Seelen todwund gerieben. Durch einen Zufall ist es nicht Wirklichkeit ge worden. Im letzten Augenblick vor der Abreise in Wien festgehalten, verlobte sich Hebbel mit der Schauspielerin Christine Enahan». Er erlangt mir der würdigsten Lebensgenossin Befreiung von dem Drucke der Not. Drr heimgekehrte Jason, froh de» erlangten Asyl», verläßt die Mutter seiner Kinder, die Le- nosstn der Leidrnsjahre, und ergreift di, rettende Hand der vornehmen Kreusa. So etwa erscheint un» Hebbel, al» er Christine Cnghau» heiratet, und al» verlassene Medea steht Elise zur Seite. Gleich Jason verleugnet er vor sich selbst seine Verpflich tung gegen die alte Geliebte. („Sie hatte mir immer gesagt und geschrieben, daß ich frei sei, daß sie keinen Anspruch auf mich mache, sondern un- bedingt zurückttete, sobald sie meinem Glücke im Wege stehe.") Gleich Jason verteidigt er seinen Entschluß mit dem Rechte der Selbsterhaltung und vockt auf. di« Ruhe seine» Gewissen», wohinter sich doch nur zu deutlich da» schlechte Gewissen verrät. Elise-Medea muß ihre getauschten Hoffnungen, den Zorn über den verrat des Mannes an der- Ne- benbuhlerin au»lass«n. Sie schrieb Hebbel, wie er berichtet,. über Christine die ärgsten Schmähungen, und in der Tat mochte sie wohl so manche» von der Schauspielerin wissen, die einige Jahre der Liebling der Hamburger gewesrn war und bereit» einem Kind« da» Leben geschenkt hatte. Daß sie den Ton tteukerziaer Warnung wählst, um den Mann viel leicht noch zu sich -urückzulocken, wer wird es ihr ver- denkens Er aber verleugnet vor sich die Lieb« zu dieser Frau, di« «in Jahrzehnt die sein« war, und zu ihren gemeinsamen Kinder«, was «iederum al» Akt der Selbstverstidiauna nur zu begreiflich ist. Es kommt Ni den deftigsten Briefen und Hebbel droht, solche Elisen» ohne ihre Erklärung, daß der Inhalt nicht ehrenrührig sei, ungelesen zurückzusenden. Im »ai 18Ä heiraten -Äbel und Christine. Ein Jahr darauf stirbt Hebbel» und Elisen» zweiter Sohn Ernst, nachdem der erste ihm schon im Lode voraus gegangen ist« Christin« faßt gleich den Plan, di»
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