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8oll»LdLaä, ckeo 26. Nr6 Vie Genüsse eines chinesischen Diners Im „Algemeen Handel»blod" lesen wir in einer Korrespondenz aus Schanghai: Wenn wir in Europa jemanden charakterisieren wollen, -er ander» sich benimmt al» wir, so sagen wir: Das ist ein Chinese! Darin steckt viel Wahre», denn die Bewohner des fernen himmlischen Reiches machen vieles anders als wir. Ium Beispiel rudert der Chinese stehend und zimmert und sägt sitzend. Und wenn wir uns langsam auf Ostern vorberei ten, so feiert der Chines« Neujahr. Das ist ein gro ßer Festtag, weil es der einzige Tag im Jahre ist, an dem alle ganz frei sind und Hummeln. Wenn man bedenkt, daß dem arbeitenden Stande und den Ge schäftsleuten in China der Sonntag unbekannt ist, so wird man sich nicht wundern, daß an den Neu- lahrstag noch ein paar freie Tage angehängt werden. Für diese Festzeit wird monatelang gespart, denn es kostet viel Geld, die Feier würdig zu begehen. Tag und Nacht werden Feuerwerke ohne Unterlaß äbgebrannt, jeder ist aufs festlichste gekleidet, selbst der ärmste Kuli trägt ein Seidengewand und die Kinder sind in den hellsten Farben herausgeputzt. Es wird geschmaust und getrunken, doch sei gleich vorweg bemerkt, daß für uns Europäer die meisten chinesischen Leckerbissen keine Attraktion bedeuten. Ich war am Neujahrsabcnd zu einem Diner, das ein chinesischer Kaufmann in einem chinesischen Restaurant gab, eingeladcn. Für ein einziges Mal ist es wohl interessant, so etwas mitzumachen. Der Kuriosität halber gebe ich das Menü wieder. Es bestand aus folgenden Gerichten: 1. Geröstete Hai flossen; 2. gebratene Enten; 3. Pergularia odora» lissima mit Hühnerragout; 4. Taubeneier; 5. harte Spanferkelhaut: 6. Bogelnestsuppe; 7. Scheiben von rohem Fisch mit Tunke; 8. Fungus; 9. Mandeln und Milch. Das ist die wortwörtliche Uvbersetzung der Speisekarte und über Nummer 3 und 8 kann ich kein« Auskunft erteilen, denn die Namen lauten mir zu unsicher. Auch Nummer 4 ist nicht nach unserem Geschmack, denn je älter die Eier sind, desto teurer und begehrter sind sie. Ein garantiert fünfund- zwanzigjähriges Ei kostet etwa vier Dollar. Hai flossen und eßbare Vogelnester sind sehr schmackhaft und auch sehr teure Delikatessen. Ein Diner wie das oben beschriebene kostet sechs bis acht Dollar das Kuvert. Sündhaft, so viel Geld auszugeben, wird vielleicht mancher Europäer meinen. Ja, vielleicht für uns, aber für das chinesische Leckermaul sind das „wertvolle Genüsse". Für ihn bedeutet so ein Diner nicht eine gesellige Zusammenkunft, sondern einen seriösen Genuß, in dem er ebensowenig durch leichtes Geplauder gestört zu werden wünscht, wie wir beim Anhören einer Oper, derentwegen wir eine Handvoll Geld für einen Platz ausgeben. Wenn eine chinesische Dinereinladung lautet: 7 Uhr, dann bedeutet dies, daß das eigentliche Schmausen um 149 Uhr beginnt, und der Gast, der präzise 9 Uhr erscheint, kommt noch immer recht zeittg. Die vorangehenden anterthalb Stunden sind anregenden Getränken und der Plauderei gewidmet. Da kann man seine alten Bekannten begrüßen und alle» erzählen, was man auf dem Herzn hat, aber in dem Augenblick, in dem man sich zu Tisch begib*, ist es aus mit dem Schwatzen, da erwartet man von jedem, daß er sich ernst dem Genuß des Essens hin- gibt, jedem Gericht Ehre antut und so beweist, daß der Gastgeber keinen Unwürdigen eingeladcn und sein Geld gut aufgcwendet hat. Zur Abwechselung hat man Musik, natürlich Musik, wie die Chinesen sie verstehen. Die Geige mit einer Saite ist das beliebte Instrument, das den eintönigen Gesang der Sängerinnen — in Schanghai Singsony-Girls genannt — begleitet. Diese Sirenen gehören zur vornehmen Halbwelt und verdienen mitunter mehrere tausend Dollar im Monat, außer dem glänzende Diamanten und Perlen, die ihnen von entzückten Gastgebern oder Verehrern gespendet werden. Wenn sie nicht singen, sitzen sie auf einem Schemel hinter den Ehrengästen. Wenn sie besonders liebenswürdig sein wollen, nehmen sie dem Gast die. Zigarette aus dem Mund und machen einige Züge. Das wird als eine intime Gunst betrachtet, mag auch der Europäer nicht viel darauf geben. Jugendliche Wegelagerer. Am Pfingstmontag früh ließ sich ein Trupp von etwa hundert Berliner Knaben und Mädchen im Schloßpark zu Rheinsberg nieder und entsandte tagsüber nach allen Richtungen Fahndungspatrouil len, di« alle Passanten an sielen, von ihnen Legttimationspapiere verlangten und im Weige rungsfall« nut Knüppeln auf sie losschlugen. Sie gaben an, nach politisch verdächtigen Personen suchen zu müssen, die sich angeblich rm Park versteckt hielten. Al« der Trupp auch gestern noch die lieber- fälle und Schlägereien fortfetzte, wurde er durch Landgendarmerie verjagt. Gegen den An- führer ist eine polizeiliche Untersuchung eingeleitet worden, da viele Ueberfallen« angezeigt haben, daß ihnen Wertsachen abhanden gekommen sind. ISO Menschen Verbrannt Im Lhinesenviertel von Mexikali (Kalifornien) wütete eine furchtbare Feuersbrunst. ISO Men schen, in der Mehrzahl Chinesen, kamen in den Flammen um. Der Schaden wird auf 30 Millionen Dollar geschätzt. Die G««schlange! Radio meldet aus NewPork, daß man beiMiami, an der Südküste von Florida, ein Seeungetüm von bisher nie gesehener Art ge fangen habe. Das Ungetüm ist 13 Meter lang, 2H0 Meter breit und wiegt 18 000 Kilogramm. Man glaubt, daß es sich um ein Tier handelt, das in den Tiefen des Ozeans lebt und durch irgend einen Zu fall an die Oberfläche getrieben wurde. — Die See schlange taucht sonst immer erst in den Hunds tagen auf. Deutsche Buchdrucker in Göteborg. Zu dem Internationalen Buchdruckerkongreß, der vom 4. bis 7. Juni in Göteborg (Schweden) stattfindet, werden als Vertreter Deutschlands Stadtrat Hans Heenemann, 2. Vorsitzender des Deutschen Buch- druckervercins, und Rudolf Ullstein, 2. Vor sitzender des Vereins Berliner Buchdruckereibcsitzer, entsandt werden. Beide haben wichtige Referate über das deutsche Duchdruckgewerbe angemeldet. Eine ganze Familie vom Zug überfahren. Bei der Station Rieding i. Elsaß wurde die aus drei Köpfen (Vater, Mutter und Sohn) bestehende Familie Strahl aus Lixheim von dem Metzer Schnellzug überfahren. Die Verunglückten hatten, da der Personenzug, in dem sie saßen, hielt, um den Schnellzug vorbeifahren zu lassen, irrtümlich an genommen, ihr Zug sei schon im Bahnhof angelangt, waren ausgestiegen und auf da« Gleis des Schnell zuges geraten. Schwere BootsunfLlle. Auf der Ostsee wurde ein bei Ahlbeck ein Boot durch eine Gewitterböa zum Kentern gebracht. Die Insassen, ein Buchhändler und ein bulgarischer Student aus Berlin, ertranken. — Auf dem Bodensee fuhr bei Friedrichshafen ein Ru derboot mit zwei Herren und einer Dame aus Pforz heim zu nahe an einen Dampfer heran. Durch den Wellenschlag kippte das Doot um und alle drei In sassen ertranken. Die „Konfereutiu der Reichskanzlei". Lebensmit telschwindel größten Stils betreibt eine angebliche Frau Dr. Margarete Mosel, eine 37 Jahre alt« frühere Hauslehrerin Wensiorski, aus Schöneberg. Sie erschlich sich eine Dauerkarte für die Pressetri büne des Abgeordnetenhauses und gab sich als Ab geordnete aus. Auf anderen gefälschten Ausweisen bezeichnete sie sich auch als Schriftstellerin und Kon- ferentin der Reichskanzlei. Daraufhin fand die Schwindlerin überall das größte Vertrauen. Laut ihren gefälschten Ausweisen ist sie „berechtigt", Ab schlüsse über Zuweisungen von Lebensmitteln aus Reichsvorräten vorzuneymen. Vor der Schwindlerin wird gewarnt. Hamburger Unglücksfälle. Eine Hamburger Bar kasse wurde beim Einlaufen in die Schwingemün dung von einer Bö erfaßt und auf die Seite gelegt. Von den acht Insassen fielen zwei Männer über Bord. Der eine wurde gerettet, während der andere ertrank und später als Leiche geborgen werden konnte. — Bei der Gasanstalt von Nordholz über schlug sich infolge Reifendefekts ein aus Geeste münde kommendes Auto. Die Insassen wurden herausgeschleudert. Zwei Herren waren sofort tot, die beiden anderen Insassen erlitten schwere Ver letzungen. . Tagung der Hirsch-Vunckerschen Gewerkschaften «IN Dienstag wurde in Jena der IS. ordentliche Delegiertenlaa o«S Getvettveretns Deutscher Metall- arbetter «röiinet. Im Mittelpunkt der Tagesordnung stand der Vortrag des demokrattschen Abgeordneten Anton Erkelenz üder „Volkswirtschaft und Achtstundentag-. Da der zweite Redner in letzter Minute avsagen mutzte, wurde es notwendig, die Frage der Kapttalkonzeniratton in der Schwer industrie soweit wie möglich in das Reserat ein» zubeziehen. Der Krieg und seine Folgen brachten für Deutschland ungeheure Veränderungen der Wirtschaft, die für die Weiterentwicklung und die nächste Zukunft von «ntfchetdender Bedeutung find. Di« revolutionärste Krisenerscheinung ist die Geld entwertung, von der alle Kleinrentner. Pensionäre, Sozialrcniner usw. bctrossen werden. Aber auch die Arbeitnehmerschaft hat gelitten. Zwar hat sie ihre Ver dienste einigermatzen der Geldentwertung anpasscn kön nen. Aber die Kaufkraft der heutigen Löhn« beträgt nur 50 Prozent der Vorkriegslöhne. Die unnormalen WirtschastSverhältnisse kommen vor allem rum Ausdruck im Konzentrationsprozetz. Hier kreuzen sich zwei Entwicklungstendenzen, l. Wir haben eine Vermehrung der Klein- und Mittelbetriebe, be sonders im Handel. Ein Selbständigmachcn unter Aus nutzung der Konjunktur, eine wachsende Individua- listerung der Wirtschaft. 2. Gleichzeitig findet eine sehr starke Äonzentrationsbewegung vor allem in der Grobindustrie statt. Typisch stir dies« Treibhausentwicklung ist Stinnes, der überall Wälder, Papierfabriken, Zeitungen usw. kauft. Trusts, die einen so gewaltigen Teil des deutsctzn Nationalvermögens verwalten, können nicht mehr als Privatbetriebe angesehen werden. Wenn grobe Kon zerne die deutsche Presse in ihrer Hand haben und so die öffentliche Meinung ihrer Unabhängigkeit berauben, so ist das eine grotze Gefahr für Demokratie und Repu blik. Hinzu tritt noch das Kartcllwesen, durch das ein« Preisgestaltung derart vorgcnommcn wird, datz der schlechtes« eingerichiete Beirieb noch rentabel ist. Der Kampf um den Achtstundentag ist noch nicht entschieden. Vielleicht wäre es bester ge wesen, die Einführung des Achtstundentages nicht so plötzlich vorzunchmen, doch wenn man nun immer und immer wieder im Kamps um den Achtstundentag sagt, er habe die Produktivität erheblich geschwächt, so ist das nicht wahr« Wenn eine derartig« Behauptung nicht politischen Ärotiven entspringt, dann beruht er aus Denksaulheit der Köpfe und Scheu vor Neu organisation. Im Schlußwort kritisierte Erkelenz mit scharfen Wor ten die Finanz- und Steuerpolitik des Reiches, die ein Skandal sei und d«n Steuerdrückebergern Schutz biete. Drei Resolutionen wurden angenommen, eine pro testiert gegen den französisch-belgischen Rechtsbruch an Rhein und Ruhr, die zweite bekennt sich zum Achtstundentag, eine dritte wen det sich gegen den Konzentrationsprozetz in der Schwerindustrie. (lericktsLÄA? Das neue Verfahren gegen Manie Gegen Max Klante ist wegen der neuen Grün- düng eines Wettbüros abermals ein Gerichtsver fahren eingeleitet worden. Staatsanwaltschaftsrat Dr. Horn, der in dem großen Prozeß die Anklage vertreten hat, äußerte sich zu dem Gerichtsbericht erstatter der B. Z. a. M. in folgender Weise Die Staatsanwaltschaft ist der Ansicht, daß Klonte mit seinem neuen Unternehmen gegen das Buchmachergesetz verstoßen und sich dadurch strafbar gemacht hat. Die Vermittlung von Wetten ist nach dem Buchmachergesetz Personen, die keine Konzession besitzen, verboten. Eine Konzession aber hatte Klante natürlich nicht und deshalb ist sein Beginnen straf- bar. Die von ihm eingenommenen Einnahmen be trugen nach seiner eigenen Angabe in der kurzen Zeit bereit» mehrere Millionen. Es sind, um Klar heit zu schaffen, die Bücher und Belege soweit sie vorhanden waren, beschlagnahmt worden. Die Tat bestandmerkmale des Betrugs hat Klante diesmal vermieden. Klante kann zur Verbüßung seiner Strafe noch nicht angehalten werden, da das von der Strafkam mer gegen ihn gefällte Urteil noch nicht rechtskräftig ist. Die Revision beim Reichsgericht schwebt noch. Es ist. auch kaum anzunehmen, daß das Reichsgericht noch vor den Gerichtsferien in die Lage kommt, eine so umfangreiche Sache in Angriff zu nehmen. Kante ist von der Strafkammer als der Haft entlassen wor den, weil ihm die volle Untersuchungshaft angerech net wurde und für den Rest der von ihm »u ver- bllssenden Strafe nach Ansicht de» Gerichtshofes kein Fluchtverdacht mehr vorlag. Vie perlen der Barbara Remp Dor der Strafkammer des Landgerichts IBerlin wird in der nächsten Woche der Iuwelendiebstahl bei der kürzlich au» Amerika zurückgekehrten Opern sängerin Barbara Kemp, der seinerzeit großes Aufsehen erregte, zur Aburteilung kommen. Wegen Diebstahls und Hehlerei werden sich das Dienst mädchen Frieda Kröner, der Elektrotechniker Otto Wenzel, dessen Ehefrau Marie, der Goldschmied Walter Piiritz und Her Installateur Fritz Lutgart zu verantworten haben. Die Angeklagte Kröner war seit Weihnachten 1921 als Hausangestellte bei Frau Barbara Kemp an- gestellt. Sie war mit dem mehrfach vorbestraften Ehepaar Wenzel befreundet, und da» Kleeblatt faßte, nachdem die Kröner erzählt hatte, daß die Operndlva in ihrer Wohnung reichen Schmuck aufbewahre, den Entschluß, sich in den Besitz der Reichtümer zu setzen. Zunächst hatte man, um jeden Verdacht von der Haus- angestellten abzulenken, einen Einbruch unternehmen wollen. Eine Besichtigung an Ort und Stelle über zeugte das verbrecherische Trio jedoch, daß der Ein- bruch infolge der starken Sicherheitsschlösser nicht so leicht stu bewerkstelligen sei. Günstige Gelegenheit zu dem Raub bot sich aber, als Frau Kemp auf einer Gastspielreise war. Der zur Ueberwachung der Wohnung zurückgebliebene Bruder der Frau Kemp hatte emes Tages die Schlüssel zu dem Schreibtisch stecken lassen. Die Kröner wußte, daß sich in dem Schreibtisch die Schlüssel zu dem Safe, dem Aufbewahrungsort des Schmuckes, befanden. Schnell bemächtigte sie sich der Schlüssel und raubte aus dem Safe eine Platrn- kette mit etwa 40 echten Perlen, mehrere Ohr- ringe, zahlreiche Brillanten und andere Edelsteine, eine goldene Handtasche, mit Rubinen und Brillanten besetzt, und 28 Goldstücke. Die Goldsachen wurden an Piiritz verkauft, der die Steine enrsernte und das Gold einschmolz. Der Angeklagte Lutgart hatte aus den Zeitungen von dem Diebstahl erfahren und seinem Bekannten Wenzel die Tat auf den Kopf zu gesagt; er erhielt dann neun Goldstücke als Schweigegeld. Die lieben Nachbarn. Die durch die Wohnungs verhältnisse hervorgerufenen Unzuträglichkeiten und Streitigkeiten der Mieter sind eine alltägliche Er scheinung vor dem Schöffengericht. Eine seltene Er scheinung ist aber der vorliegende Aall, der sogar zu einer Anklage wegen versuchter Tötung geführt hat und die Hausbesitzersfrau Marie Richter aus Herms- dorf, eine 50 Jahre alte Frau, vor das Schwurgericht des Landgerichts lll in Berlin brachte. Es handelt sich bei dieser Anklage um einen Mieterstreit. Die Parteien hatten einen gemeinsamen Flur, und die Schwester der Angeklagten, Frau Mückstein, batte mit ihrer Tochter eine Stube in einer Wohnung, die im übrigen ein Ehepaar Hintze innehatte. Es ist öfter zu Streit gekommen, der die Hausbewohner in zwei Parteien teilte. Im April vorigen Jahres kam es sogar zu einer Revolverschießerei. Die Folge davon war eine Anklage gegen Frau Mückstein wegen unbefugten Waffenbesitzes untz gegen ihre Schwester Frau Richter wegen des Schießens mit dem Revolver. Das Schöffengerichtt hatte auch beide An- geklagte verurteilt. Aus die Berufung der Frau Richter kam die Sache nochmals vor die Strafkammer und diese kam auf Grund der Beweisausuahme zu der Ansicht, daß nicht gefährliche Körperverletzung, sondern der dringende Verdacht der versuchten Tötung vorliege, so daß die Strafkammer unzuständig sei, und es wurde daher die Anklage an das Schwur gericht verwiesen. Die Verhandlung ergab heftige Widersprüche in den Zeugenaussagen. Die Ge schworenen kamen entsprechend dem Anträge des Staatsanwalts zu einer Bejahung der gefährlichen Körperverletzung, und das Gericht verurteilte Frau Richter zu drei Monaten Gefängnis, billigte ihr aber eine dreijährige Bewährungsfrist gegen Zahlung einer Buße von 600 000 zu. Die Rote Fahne beschwert sich nicht mehr. Die Rote Fahne in Berlin, die wegen ihrer Einstellung vom 8. bis 14. April 1923 eine Beschwerde beim Stoatsgerichtshof zum Schutze der Republik ein- gereicht hatte, hat diese jetzt zurückgezogen. Der für den 8. Juni angesetzte Verhandlungstermin ist des- halb aufgehoben worden. Kugust Schmarsow Zum 70. Geburtstag des Gelehrten Am 26. Mai 1923 vollendet August Schmarsow sein siebzigstes Lebensjahr. Auch wenn es nicht ge rade die Universität Leipzig als Stätte kunsthistorischer Forschung wäre, mit der sein Name eng verbunden bleibt, so ziemte es sich doch, bei dieser Gelegenheit hier seiner zu gedenken als einem der bedeutendsten Vertreter der deutschen Kunst wissenschaft. Sein eigentliches Fachstudium begann er im Ver ein mit Philologie und Philosophie, und bezeichnet selbst den Straßburger Positivisten Ernst Laos als denjenigen, der die tiefste Wirkung auf die wissen schaftliche Organisation seines geistigen Lebens ge habt hat, während er als seinen eigentlichen Lehrer in der Kunstgeschichte Carl Iusti in Bonn anerkennt. Der Doktorpromotion mit dem Thema „Leibniz und Schottelius" sollte die Staatsprüfung folgen, da kam zur rechten Zeit die Aufforderung, ins Berliner Kupferstichkabinett als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter etnzutreten, und es beginnt jetzt die lange Reihe kleinerer und größerer Werke zunächst über italie- nische Kunst, von denen hier vor allem der 1886 er schiene „Melozzo da Forli" hervorgehoben sei, der in Iustischem Sinne auf breiter kulturgeschichtlicher Grundlage gearbeitet, eine Meisterleistung an Selb- standigkett der Anschauung, des Forschens und der Materialkenntnis darstellt. Bereits 1881 Privat- do»ent in Göttingen, dann in Breslau, wurde Schmarsow 1893 als Nachfolger Hubert Ianitschek» an die Universität Leipzig berufen, der er bis zum Jahre ISIS anaehört hat. Au» der außerordentlichen Zahl seiner Arbeiten auf den verschiedensten Gebieten der Kunstgeschichte können hier nur ganz wenige namhaft gemacht werden: Masaccio-Studien, 1898 bi» 1899; Beiträge zur Aesthetik der bildenden Künste, 1896 bi» 1899; Grundbegriffe der Kunst wissenschaft am Uebergang vom Altertum zum Mittel- alter, 1905, sein theoretisches Hauptwerk; Kompo- sitionsgesetze in der Kunst dr» Mittelalters, 1915 bi» 1928. Die letzten 30 Jahre der Kunstwissenschaft standen im Zeichen de» Uebergang« von einer kulturaeschicht- lichen Betrachtungsweise zu einer formalistischen. Di« Kunstgeschichte wurde Formengeschichte, stellte Ent wicklungsgesetze dieser Formen und systematische Zu- sammenhänge auf, ein Vorgang, der das wichtigste Entwicklungsmoment in der Heranbildung der mo- derneu Kunstwissenschaft ausmacht. Schmarsow hat vollen Anteil daran. Da» Hauptwerk vom Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn, der „Melozzo da Forli", ist freilich noch ganz im Sinne jener kultur geschichtlichen Auffassung gearbeitet, während in den späteren Werken die Konzentration auf da» Formale, die systematisierende Durchdringung des Stoffe» im- mer stärker hervortritt. Ein Formproblem vor allem ist es gewesen, das Schmarsow al» einziger auf den verschiedensten Gebieten der Kunstgeschichte immer wieder aufgesucht hat: Die Komposition, genauer, das Gesetzmäßige in der Komposition. In seinem letzten großen Werk hat er alle Eisizeluntersuchungen darüber zusammengefaßt und die Betrachtung auf Kompositionsgesetze hin in umfassender Weise auf die Haupterscheinungen der Kunst de» Mittelalter» an- gewandt, ein Vorgang, zu dem innerhalb der Lite raturwissenschaft die Sieversschen Untersuchungen über Versbau und Sprachmelodie auch in ihren Kon- sequenzen für die Erkenntni» historischer Zusammen hänge eine Parallelerscheinuna bieten. Der Kern der kunstphnosophischen Gedanken Schmarsow» ist der, daß alle Kunstgesetzc Ausfluß unserer gesetzmäßigen Organisation sind, nicht aber nur der rem geistigen, sondern — und darauf liegt der starke Nachdruck — der körperlichen, zu der aber keineswegs bloß Auge und Ohr gehören, sondern Ortsbewkgung, Tastempfindungen und da» Körper gefühl. da» unsere Atmung und unseren Herzschlag begleitet. In der menschlichen Organisation liegt es auch begründet, daß sich die Künste scheiden in die zeitlichen, di« musischen, die unsere Innenwelt offen baren, und in die räumlichen, die bildenden, die der Spiegelung der Außenwelt dienen. Beiden Reichen gemeinsam ist vor allem die rhythmisch« Ordnung, denn Rhythmus ist da» Hausgesetz unsere« psycho physischen Organismus. Am fruchtbarsten hat Schmarsow seine Grundgedanken auf dem Gebiete der Architektur entwickelt, die nach seiner gesiiale« Definition Raumgestaltung ist, eine schöpferische Auseinandersetzung de» menschliche^ Subjekt» mit seiner räumlichen Umgebung. Dergson sagt einmal, wenn man den Menschen vom Tier unterscheiden wolle, so müsse man nicht vom komo sapien», sondern vom nowo kader reden; denn Verstand habe auch da» Tier, aber erst die Objektivierung der Verstandes tätigkeit im Werkzeug sei der Anfang zur Kultur. Dies: nicht komo sapiens, sondern homo kaber meint im Grunde auch Schmarsow, wenn er die Kunst definiert als eine schöpferische Auseinandersetzung des Menschen mit der Welt, in die er gestellt ist. Auch darin bexührt er sich mit Bergson, daß er vor allem Eindringen ins einzelne, die Anerkennung des Kunst- Werkes al» eine» Ganzen fordert, das vor seinen Teilen da ist. Es kann gar nicht versucht werden, von der Viel seitigkeit seiner Forschertätigkeit, von der Fülle seiner Gesichtspunkte hier auch nur einen annähernden Be griff zu geben. Unvergängliche Ruhmestitel werden ihm bleiben, was er für die Kenntnis der italienischen Malerei und für die Erkenntnis des Wesens der Architektur und ihre Entwicklungsformen getan hat, und gar manche seiner Gedanken, die sich die Forschung heute noch nicht genügend assimiliert hat, werden ihre Fruchtbarkeit in der Zukunft erweisen. Vr. ckoftsnns» Professor Dr. Heinrich Borutta«, der bekannte Berliner Physiologe und Abteilungsvorsteher im Krankenhau» Friedrichsheim, ist, wie uns au» Berlin gedrahtet wird, im Alter von 64 Jahren plötzlich gestorben. Geboren zu Leipzig, worein Vater Arzt war, studierte er in Würzburg und Ber lin, habuitierte sich 1894 in Göttingen und wurde 1899 zum Professor ernannt. Seit dem Jahre 1907 wirkte er in Berlin. Poruttau hat namentlich Forschungen über die Beziehungen von Medizin und Physik angestellt und sich besonders mit der An wendung von Elektrizität in der Medizin beschäftigt. Zusammen mit Mann, Levy-Dorn und Krause hat er ein Handbuch der gesamten medi zinischen Verwendung der Elektrizität herausgegeben. Verschiedentlich hat er auch über die Wirkungen des Starkstroms auf den Menschen, besonder» auf da» menschliche Herz, gearbeitet. Don besonderem Wert sind seine Lehrbücher der Physiologie und der medi zinischen Physik. Als gründlicher Kenner der psycho-physiologischen Problem« erwies er sich u. a. in seinem Buch „Leib und Seele" von 1911. Ehrten» i» Rarkeubtld. Aus Anlaß des drei hundertjährigen Jubiläums der von Papst Gregor LV. im Jahre 1623 in Rom gegründeten „Congregatio de Propaganda fide", der Gesellschaft zur Verbreitung des Katholizismus unter den Hei den, wird die italienische Postverwaltung demnächst einen Satz wedächtnismarken herausgeben. Sie be anspruchen schon aus dem Grunde besondere Beach tung, weil hier zum ersten Male Christus im Marken- bild erscheint. Die vier Werte haben alle dasselbe Bild, den Heiland, umgeben von seinen Jüngern; nur die in den beiden Ecken des oberen Randes angebrach- ten Köpfe wechseln. Richard Alexander, der frühere Intendant des Münchner Residenztheaters, ist, wie uns aus München gedrahtet wird, 70 Jahre alt, cm einem Herzschlag gestorben. Der Verstorbene war schon längere Zeit herzleidend, und ein hinzutretender Bronchial- katarrh führte den Tod herbei. Alexander war noch vor einiger Zeit in Berlin und feierte dort sein 50jähriges Bühnenjubiläum. Kunst und Politik. Wie schon berichtet, wurde Ernst Smigelski« Operette „Die Königin vom Naschmarkt" mit starkem Erfolge vom höllischen Publikum und der höllischen und aus wärtigen Presse ausgenommen. Merkwürdigerweise aber verschwand das Werk nach der ersten Auffüh rung vom Spielplan. Die Höllische Zeitung schreibt dazu: „Bemerkenswert ist, daß die Ktttik de» Polks- blatte» vollständig ablehnend war und einen Tag nach der Uraufführung wußte, daß die Operette nicht mehr gespielt würde. Die linksorientierten Künstler sollen gleichfalls die Absetzung gefordert haben." Eine Klä- ri,ng der Angelegenheit von kompetenter Seite wäre sehr erwünscht. An» de« Dheaterbureau». (StSdtlsche Bü - » « n.) Nach längerer Pause wird im Alten Theater Dienstaa. den 29. Mat. zum letzten Mal« tn dieser «Piet,eit Grill parzers „Des Meeres und der Lied« Wel- len- gegeben. Di« Vorstellung findet ander An- recht statt. — In der am Sonnabend, den 26. Mat. ftattfindenden Abschiedsvorstellung für Walter Grave al« Eisenstein tn der .Fledermaus' haben stch «eben«- ivllrdigsi Emmv Mreng. Han« Litzmann, Rudols Bockel- mann von der Vtstdttschrn 'Lper beritt rrNütt, im 2. Akt Gesangsetnlagen zu bringen. Am Montag, den 28. Mai. beginnen di« Operettrnferien. und findet als letzt« Vor stellung Sonntag, den 27. Ma« .Madame Pompadour' statt. — Weam, der Renntage beginnen die Ausführungen im Neuen Theater am Sonnabend, den 26. Mai .Tie »auberftöt«' und Sonntag, den 27. Mot „La Traoiata' erst 7'-, Uhr statt.