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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 25.05.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-05-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192305256
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230525
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230525
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-05
- Tag 1923-05-25
-
Monat
1923-05
-
Jahr
1923
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Äea 2S. «Ll LKipKigGk Iftgrdlatt «a 8ücl»erscftsu Vas unbekannte Afrika Leo Frobenius, ein Forscher, der mit eigenen Augen zu sehen gewohnt ist, ein lebendiger Mensch, der Leben sucht und vom Leben seiner Zeit und seines Volkes aus lebendige Werte, will in seinem Buch „Das unbekannte Afrika " (Verlag L. H. Beck, München) aus der Klein- und Feinarbeit des IS. Jahrhunderts und aus 25 jähriger methodischer Forschung die Summe ziehen, die Kulturwclt Afrikas, des ganzen Erdteils, m einer großen Synthese einheitlich vor Augen stellen. Dem „Kraken Asien, der sich mit seinen Ten- takeln Magie, Rcligionslehre, Philosophie und Dichtung im bürgerlichen Hause einsaugt" und „morgcnländische Lethargie" erzeugt, soll der „Riese Afrika mit seinen plumpen Gliedern" gegenüber gestellt werden, der unserer Jugend Natur, unserer Kunst Einfachheit, uns allen Kindheitsfrische und -kraft wiedergeben kann. Afrika zerfällt nun in drei Kreise, einen äußeren, in dem Wüste und Stein herrschen („Sahara"), einen anschließenden aus Steppe und Savanne („Lega") und einen im Westen eingesckloffencn, der von Urwald bedeckt ist („Hylaa"). „Wo der Steinkern allzu häufig und entscheidend durch die dünne Erdschicht hervor- starrt", im Saharagebiet, findet Frobenius die Säger- kultur der Altsteinzeit mit ihrem Sonnendienst, ihren Grabbergen und Felszeichnungen. „Die Lega stellt den Streifen dar, auf dem die Erde entscheidend, ausschlaggebend, bedingend ist"; hier wächst dis „tellurische" Kultur mit ihrem Pfahlhaus, Ackerbau, Männerrecht und dem Glauben an die Wiederkehr der Seelen pflanzenhakt aus dem Boden auf; die „chthonische" Kultur mit Wohngrube, Viehzucht, Frauenrecht und Hadesglauben gräbt sich in den Boden ein; in der Kunst der Tonbearbeitung und in der Erdverehrung überlebt die Jungsteinzeit. Zn der Hylaa, wo der Urwald aus übermäßiger Frucht barkeit heraus „die Erde verhüllt, verpanzert, un zugänglich macht" bis zum „Erst-erobert-werden- müflen", haben sich neben verdrängten Resten ver- schiedcner Herkunft Nachlebende der etruskischen See- beherrsche! des 1. vorchristlichen Jahrhunderts, also der Metallzeit des vorgeschichtlichen Europas, er halten; bei den Poruba von Ise und ihren Epigonen in Benin gibt es große festgefügte Staaten, bedeutende Städte, eine systematisierte Götter- und Priesterwelt und eine Plastik, die das immer crneuerungsbedürf- iige Holz lebendig erhalten hat. So sehen wir ganz einfach, in wenig Gliedern übersehbar, den ganzen Erdteil vor uns liegen; auf dreierlei Boden drei Kulturen, in denen die Kultur- Entwicklung der Menschheit bis zum Beginn der ge schriebenen Geschichte und die ganze vielfältige Völkerkunde typisch erfaßt sind. Das ist eine Systematisierungsleistung ersten Ranges, voll leben- diger Beziehungen zu unserer Zeit und Lage, wie Spenglers „Untergang des Abendlandes"; Frobenius erobert die afrikanische Welt, die Vorgeschichte, die Völkerkunde für die deutsche allgemeine Bildung und Halbbildung, wie Spengler die Kulturgeschichte der großen Schriftvölker. ' Goethe ist das Vorbild dieser beiden, wie aller derer, die Kulturmorphologie treiben. Wie er wollen sie mir „Geistesaugcn" forschen, zusammcnschauen, wo tote Gelehrsamkeit dem Lebendigen ihre Pfähle ins Fleisch getrieben und es entseelt hat. Aber Goethe konnte sich nicht nur der Geistesaugen rühmen, sondern auch einer „exakten Phantasie" und einer Abneigung gegen alle Konstruktion, die ihn abhielt, die Wurzel der Pflanze in seine Metamorphose der Pflanze ein zubeziehen und die Metamorphose der Tiere als wirkliche Entwicklung der Tierarten zu fasten: an dieser Stelle fehlt cs seinen Nachahmern, ihre Phan tasie ist nicht exakt, ihre Arbeit ist, bei aller Betonung der Intuition, rein begriffliche Konstruktion, geist reich, anregend, zeitgemäß und so in vollem Maße des größten Erfolges bei den Zeitgenossen würdig, aber in dieser Zeitwirkung erschöpft. Der Wert der Lebensarbeit von Frobenius liegt zuletzt in den Sammlungen afrikanischen Kultur- gutes, die er angelegt, mehr als in der Zusammen schau, die er darauf gründet, der Wert seines neuen Buches mehr in den wundervollen 190 Tafeln, die eine einzigartige Auswahl afrikanischer Denkmäler bringen, cus in dem Text, der sie allzu einfach auf ein Ordnungsschema zwingt. pro«, Seftn»ltt»r-L«ipzig Erinnerungen der Malerin Lovis« Seidler. Sein eigenes Leben erzählen — da» ist eine Goldprobe, die nur wenige bestehen. Eitle« Sichherau»streichen oder falsche Bescheidenheit, schamhaftes Beschönigen der eigenen Schwächen oder schamlos-selbstgefälliges Prunken, mit Aufrichtigkeit sind Klippen, an denen Große gescheitert find: man denke etwa an Rousseau oder Richard Wagner. Louise Seidler aber, die schlichte, wenig bekannte Malerin, hat di« erforderliche Rechtwinkligkeit der Seele. Eie hat viel zu erzählen, und sie kann erzählen. Goethe und Italien find der Stoff, den sie zu schöner Plcftttk zu gestalten weiß. Goethe war 37, al» sie zu Jena al» Tochter eines Universitätrstallmeisters geboren wurde: bis zu seinem Tode hat er dem .wohlgelitte nen Frauenzimmer", wie er sie in den letzten Jahren einmal nennt, seine Huld bewahrt und auch Briefe mit ihr gewechselt. Nachdem st« die Schlacht von Jena und die Erhebung von 1813 leid- und freudvoll erlebt und inzwischen ihr Goethe-Bildnt» gemalt hatte, schuf sie in seinem Auftrage ihren „Heiligen Rochus" und erhielt von Karl August ein Stipen dium für München, wo sie bei den Schellings ver- kehrte, und dann ein weiteres für Italien. Und so zieht denn im zweiten Buch der Süden mit seinem Karneval, seinem Volksleben, seinen Künstlerfesten, mit den fein ausgeführten literarischen Porträt» von Thorwaldsen, Niebuhr, Overbeck und ihren Kreisen an uns vorüber. Die letzten vierzig Jahre ihres langen Lebens, die sie in Weimar verbrachte, u. a. mit dem Zeichenunterricht der späteren Kaiserin Augusta betraut, hat sie nicht mehr erzählt. 1866 ist sie gestorben, und 1873 gab Hermann Uhde ihre Erinnerungen heraus, die, von Hermann Grimm und Theodor Fontane warm empfohlen, schon im näch sten Jahr eine zweite Auflage erreichten. Dann freilich geriet das schöne Kultur- und Seelen dokument in Vergessenheit, und erst jetzt erscheint von Hermann Uhde-Bernay», dem Sohn des ersten Herausgebers besorgt, eine dritte Aus gabe (Berlin, Propyläen-Verlag), mit 33 Abbildun- gen, Anmerkungen und Register versehen, von fremdem Beiwerk jedoch entlastet. Der hohe mensch- liehe Wert der Verfasserin, der den Ouellenwert ihrer Aufzeichnungen fast noch übertrifft, sollte das würdig ausgsstattete Werk (gleich den Lebenserinnerungen ihres Zeit- und Zunftgenossen Wilhelm von Kügel- gen, mit denen man die ihren nicht ganz mit Un recht verglichen hat) zu einem deutschen Hausbuch machen. Prof. Sus«n Lchreft Hinter Gotte» Rücken, Roman von Zsigmond Moriez. (Ernst Rowohlt Verlag, Berlin.) Man muß auch diesen Roman „verschlingen", weil er einem nicht losläßt und wir ihn ebensowenig ver gessen wie seinen Vorläufer „Gold im Kote": beide sind Prachtexemplare einer Gattung, de» drama tischen Romans, beide außerordentlich gekonnt. Dieser spielt wieder in Ungarn, in einem Land städtchen; seine Figuren sind einfachste Menschen, Lehrer, Pfarrer, Richter, Gymnasiasten, ein paar Frauen, eigentlich nur eine, des Lehrers Frau, um die sich die ganze Geschichte dreht und in zwei knappen Tagen abwickelt — nicht ohne ländliche Gemütlichkeit, aber in einem atemraubenden Temvo. Es entstehen Szenen, in denen sich diese Menschen enthüllen und offenbaren, so endgültig und ohne allen Wort- und Milieuaufwand — eigentlich ohne daß etwas geschieht und passiert — daß man nur mit größter Bewunderung für den Autor an dieses Buch zurückdenken kann. Ganz von selbst und neben her ergibt sich eine Kulturschilderung dieses Ungarn, dessen Vertreter natürlich, wie bei jedem Dichter, in ihren Menschlichkeiten und Unmenschlichkeiten Bürger dieser Welt und Erde sind. v 8. 8. Die Führer der deutschen Friedensbewegung 18S0 bis 1923 von Dr. Hans Weh berg. Verlag Ernst Oldenburg in Leipzig. — Der Verfasser, selbst einer der bekanntesten Führer der Bewegung, gibt darin in knapper Form, scharfen Strichen und glänzendem Stil eine Geschichte der deutschen Friedensbewegung, wie sie sich in dem Dirken und Werdegang ihrer 22 klugen und mutigen Führer verkörpert. Bier Zahre find seit dem Abschluß der den Weltkrieg beendenden Verträge verflossen, und n-ch immer lechzt die Welt vergeben» nach Frieden. Da» ist nur verständlich, wenn man sieht, mit welch verbohrter Engherzigkeit diese Bahnbrecher einer großen Ide« in den verflossenen Jahrzehnten zu rümpfen hatten. Dieder hört man allerlei Unken- rufe, der Pazifismus hätte gründlich versagt. Nicht «r hat versagt, sondern die Dummheit derer, die nicht begreifen können oder wollen, daß « heute nur swqi Möglichkeiten gibt: entweder immer weiter yinabzuglelten in den Sumos von Blut, Eisen, Gift Und Dirtschastswahnsinn, oder entschlossen den Weg zu betreten, den jene Männer und Frauen uns ge wiesen haben. Edle Sittlichkeit, wahres Christen tum, heiße Vaterlands- und Menschenliebe und nüchterne Recht»- und Geschichtsauffassung sind die Leitgedanken, di« wir bei ihnen allen finden. Auch von ehrlichen Friedensfreunden hört man heute die Ansicht vertreten, daß die Zeit nicht angebracht sei, dem Pazifismus da» Wort zu sprechen. Gerade in einer Zeit aufgepeitschter Leidenschaften brauchen wir mehr denn je Führer, die nicht danach fragen, wa« populär ist, sondern allein danach, wie wir unseren Kindern und Kindeskindern wieder ein menschenwürdiges Dasein schäften. Niemand, der do» ehrlich wünscht, sollte versäumen, das lesens werte Buch, das nur 1 Mark plu» der Grundzahl kostet, in Andacht zu lesen». Or. d. o. Frhr. V. Sefto»n»Ieft, 1 Generalmajor a. D. > 3» Buddha« Land. Ein Bummel durch Hinter- indien von Alice Schalek. Rikola-Derlag. Die Reise durch Birma, Zava und Siam, die Alice Scha- lek, die temperamentvolle Wienerin, in diesem Buche beschreibt, hat sie schon vor dem Kriege gemacht. Seit dem hat sich da» Verhältnis der Europäer zueinander vermutlich auch in diesen fernen Ländern verschoben, im übrigen aber wird sich dort nicht viel geändert haben, so daß ihre in flottem Plauderten gehaltene Beschreibung von Land und Leuten im wesentlichen noch für den heutigen Zustand gelten dürfte. Aber auch wenn manches darin überholt sein sollte, so verliert da» Buch dadurch seinen Wert ebensowenig, wie der früher erschienene „Indienbummel" derselben Verfasserin, denn bei Büchern dieser Art kommt es überhaupt weniger darauf an, was der Verfasser gesehen hat, als wie er es ausgenommen und ge staltet hat. Den Erlebnissen Alice Schaleks verleiht es einen eigenen Reiz, daß sie allein gereist ist. Auf einen Sultan auf Java machte dies einen so tiefen Eindruck, daß er ihr unaufgefordert erlaubte, an einer intimen Hoffestlichkeit tetlzunchmen, zu der sonst Europäern der Zutritt verboten ist. Auch an anderen Stellen verhalf ihr eine entzückende Frech heit zu Einblicken, die nur wenigen zugänglich'sind. Leider bleiben ihre Beobachtungen meist an der Ober fläche. In die Seele der Völker, die sie besucht hat, ist sie nur wenig etngedrungen. Sie hat wohl „Bud dhas Land" gesehen, aber von dem buddhistischen Geist, der dort lebendig ist, hat sie kaum einen Hauch verspürt, und auch der Kunst dieser Länder steht sie innerlich fremd gegenüber. Sie bewundert sie, aber sie begreift sie nicht. ft. Heft. Märchenbücher de« Rtkolaverlaa». Rotkäpp chen und die Hexe. Ein deutsches Märchenspiel von Hans Seebach. Das Märchen vom Rotkäppchen, ist hier in erweiterter Form zu einem Marionetten spiel verarbeitet, das, vorgelesen oder aufgeführt, mit seinen lustigen Derschen Mädchen wie Knaben jedes Alter» gleich erfreuen wird. Für die reifere Jugend ist eine klare Anleitung zur Herstellung estres Marionettentheater» gegeben, die mit Hilfe von vorgedruckten Figuren auf einem beiliegenden Ausschneidebogen erleichtert wird. Bunte Szenen bilder sollen nach vorzüglichen Vorlagen selbst an gefertigt werden, was auch den Erwachsenen Ver gnügen bereiten wird. Die Vorführung des Mär- chenspiels im selbsthergestellten Marionettentheater wird jung wie alt viel Freude machen. — Das Märchen vom Zittergras. Don Helen Fidelis Butsch. Die bekannten Füllhornbüchlein der Jugend schriftstellerin Frida Schanz sind um «in nette« Märchen vermehrt worden: das Märchen vom Zitter gras erzählt vom Tanz der SSS Elfen, denen die List eine« Raben das Herz wiederbrinat. Ein reizen de« kleines Büchlein mit mehreren Federzeichnungen, das sich der ansprechenden und doch preiswerten Ausstattung wegen vorzüglich al« gelegentliches kleine» Geschenk eignet, kt. k. ft Xr. 1« S Ver vorletzte Sand der neuen vrockhaus Deutsch« Tatkraft hat in diesen schweren Tagen einen neuen Sieg errungen. Der Zeiten Ungunst trotzend, schreitet der vierbändtge Brock- Hau«, da« erste und einzige größere Friedens lexikon, unentwegt und sicher seinem vom ganze» deutschen Volke erwarteten Ziel« zu. Schon liegt v« dritte Band des unentbehrlichen Berater» in all» Wissensnöten vor; er umfaßt die Buchstaben l. bi« st Nur noch ein Band, dann ist der Schlußstein eingefügi in den bewundernswerten Bau, den diese» Wahr zeichen einer neuen Zeit darstellt. Hart waren oil Zeiten, al« ein Brockhau«, der Gründer de« Welt hause«, vor 120 Iabren sich entschloß, da« Kon- versationslerikon zu schäften, so wie e« (einem hoch gemuten Geiste vorschwebte. Schwer war da« Wagnis aber der Wurf gelang. Fast noch härter sind di, Zeiten, in denen die Firma Brockhau« nach der Kriege den Mut fand zum geistigen Wiederaufbau, um so höher dürfen wir es bewerten, daß dem Werke, da» in ehrlichem Stolz den Namen „Brockhaus" trägt, da» Vollenden und Gelingen nach menschlichem Ermessen gesichert ist. Wenn man den dritten Band durchblättert, hat man den Eindruck, vor einem recht lebhaften Aus schnitt aus dem Jahrmärkte de» Lebens zu stehen. Der Band enthält nicht nur da» gefährliche Stichwort „Politik", er koppelt durch den Zwang de» Alphabets die Sterne der Entente, Lloyd George, Mussolini, PoincarL, mit Lenin, dem Träger des Sowjet gedanken», zusammen, und auch die Hauptstädte dieser politischen Wettermacher, London, Rom, Paris, Moskau, Petersburg, werden gerade in diesem Bande behandelt, der noch andere Millionenstädte, wie New Port und Peking, enthält. In enger Ver bindung damit stehen die mit trefflichen Karten und Abbildungen ausgestatteten Länderartikel, unter denen vor allem auf die Artikelreihe Rußland auf merksam gemacht sei. Text, Karten und Bilder geben in großen Zügen einen Begriff von der Seele des Landes. Dasselbe finden wir vei den ausführlichen Artikeln über Preußen und das neue Oesterreich. Die Schaubühnen der Politik, die Parlamente, führ: der dritte Band in einer hübschen Uebersicht vor, aus der wir auch das Alter der Verfassungen von 84 Staaten erfahren. Die englische Verfassung, die Magna Charta, ist schon über 700 Jahre alt; die nächste im Alter, die der Vereinigten Staaten von Amerika, zählt erst 136 Jahre; nicht weniger als 40 Verfassungen sind al» Folgen des Weltkrieges an zusehen. In einer Übersicht licken graphischen Dar stellung zeigt uns der neue Brockhau» sogar das Uhr- werk der deutschen Republik, wie es die Weimarer Verfassung geschaffen hat. Dem Wendepunkte des Weltkrieges, der Marneschlacht, ist ein wichtiger Artikel mit zwei instruktiven Karten und einer aus- gezeichneten synoptischen Uebersicht gewidmet. Ein Beweis der Objektivität des neuen Brockhaus isf osr Schluß des Artikel«, in dem gesagt wird: „Der deutsche Rückzug, den die Entente mit Unrecht als Erfolg ihrer Waffen in Anspruch nimmt, ist veranlaßt worden durch das Fehlen einer einheitlichen Führung der Obersten Heeresleitung, die es nicht verstanden hat, die entgegengesetzten Tendenzen in der Führung der ersten und zweiten Armee auszugleichen." In« Innerste der Natur geleiten die Stichwort« Leben, Mensch, Mendelsche Regeln und vor allem die ein gehende Uebersicht „Relativitätstheorie". Durch sic gewinnt man einen Begriff von der immensen Dc^ dsutung dieser Theorie, durch die alteingewurzelt», Anschauungen beseitigt werden. Der neue Brockhau« dient aber nicht nur der Ge lehrsamkeit, er ist auch auf Schritt und Tritt ein nie versagender Führer durch da« praktische Leben. Er macht mit „Neppern" und „Pachulken" bekannt, sagt uns, wie Rübezahl eigentlich heißt und was Namen überhaupt für einen Zweck haben. Die Zusammen- setzung der Nahrungsmittel, die Benennung der Fleischstücke beim Rinde werden der sorgenden Haus frau erklärt, und dem, der deutschen Rebensaft zu schätzen weiß, bringen eine Reihe reichhaltiger Karten Ausschluß darüber, in welchen Gegenden die besten Tropfen wachsen. Unter den der Kunst gewidmeten Artikeln sei auf di« Hauptdaten der Musikgeschichte hingewiesen und auf die dankenswert« Uebersicht der Opern und Operetten. Di« rasch orientierenden Uebersichten find überhaupt ein Glanzpunkt der Stoss- konzentrterung im neuen Brockhau». In wenigen Monaten wird da» Werk vollständig sein und dann seine volle segensreiche Wirkung aur- üben können. Lebensroman 44j Don ftoela A-ichdrnck verboten.) Graf Iastremski war kinderloser Witwer. Lehmann Junggeselle — seine Nichte fühlte sich berufen, so etwas wie repräsentative Weiblichkeit zu spielen. Sie „weihte die neue Säge ein", wo- . bei sie ein Gedicht aufsagte und dem Grafen Salz und Brot auf einem silbernen Teller überreichte, j Der Graf ließ das Fest gutmütig über sich ergehen < — und die Heger wunderten sich: „Warum gerade Salz und warum Brot? ! Braten ist doch besser?" Einmal hörte sie vom Pfarrer, es stehe „in der ungarischen Zeitung" etwas über den Grafen. „War es denn wäre?" fragte sie. „Nun," meinte der Pfarrer und trat von einem Fuß auf den andern — „im ganzen genommen ist es ein Lob . . . eine Art Verherrlichung des hoch gräflichen Edelsinns . . ." „Hach!" jauchzte Fräulein Lehmann, „det wolln wa nu aber feierlich vorlesen." Und es geschah. Die Beamten des Grafen wurden geladen mit ihren Frauen — Pfarrer und Kaplan — hinten stand angereiht die Dienerschaft. Alle nichtsahnend. — Der Graf selbst hielt sich fern. Die Zeitung schrieb: wie freigebig Iastremski die Künste fördere, indem er eine arme, begabte Schülerin im Gesang ausbilden lasse auf seine Kosten . . . Nämlich Gärtners Tonja. . . Fräulein Lehmann gab in ein paar hübschen Worten der Erwartung Ausdruck: dies schöne Beispiel sollte auch „uns Niedrigstehende an eifern, Iutes zu tun". Der Graf aber nahm Tonja sofort aus der Hauptstadt weg und reiste mit ihr ins Seebad. Dort geschah etwas Merkwürdiges. Man legte ihm das Fremdenbuch vor, damit Dr sich eintrage. Graf und Gräfin Iastremski wollte er nicht schreiben. Einen beliebigen bürgerlichen Namen? Erst recht nicht. Er meldete sich und Tonja als „Baron und Baronin Bechtolsheim". Das Hotel brannte ab, ohne daß jemand weite« Schaden nahm an Leib und Leben. Unter den Mrretteten: Baron und Baronin Bechtols heim. Der Yorpskommandant in Agram erhielt zahllose Glückwunschdepeschen, und ungefähr ganz Europa hegte den Verdacht: er, der Ballei des Deutschen Ritterordens, hätte sich in schöner Gesellschaft eine Eskapade an der Nordsee ge leistet. Eines Tages kam Leutnant Lehmann auf die Pußta zu Vater und sagte: „Jeden Sie mr mal det Viehrejister!" Er sagte cs kurz zwischen den Zähnen. Vater holte das Register — er hptte es mit unendlicher Geduld angelegt — Kanzleiarbeit war seine ganze Liebe: da streckten sich, dicht wie ein Haarsieb, sauber ausgerichtet Strich bei Strich die Linien und Doppellinien — kalligraphisch runde Aufschriften darüber. Lehmann prüfte, durchblätterte, knüllte die schönen Bogen und sprach: „Nu zeigen Se mr den Milchausweis!" „Milch, Herr Leutnant??" rief Vater. „Das Vieh ist doch auf der Weide." „So. Und wo bleibt die Milch?" „Nun ... die Rinderhirten werden ja hie und da wohl melken — für ihren Bedarf - . . Im allgemeinen saugen die Kälber die Milch." „Hören Se" — Lehmann fletschte die gelben ne — „det is doch keene Ordnung: det Vieh janze Jahr uff der Weide — woher hat da der Acker seinen Dünger?" Lehmann hatte ja recht. Doch im ganzen Lande hielt man es nicht ander« —und um es ander» zu machen, hätte man müssen Stallungen, Futterböden, Keller und Molkereien bauen Alpenvieh, Maschinen und Meier einstellen — doch vor allem: mußte man Absatz für Milch, Butter und Käse Hecken; dazu eine Eisenbahn. Dies freie, weiße ungarische Rind taugte nun ein mal nur als Zugtier, dazu aber vortrefflich, denn es schritt fast so flink wie das Pferd. Mcht einmal das wollte Lehmann wahrhaben: „Vier Ochsen — bei Leutemangel und tiefen Wegen, im Winter sechs vor eenen Karren — is doch keene Oekonomie." Lehmann begann die Wirtschaft zu reformieren. Feldbestellung und Fruchtfolge. . Schmollend trug es mein Vater. Seine Ge walt war geknebelt — da verlor er auch die Sicherheit und bald alle Lust am Schaffen. Immer verwirrter, scheuer zog er sich vom Feld zurück — in seine Kanzlei — dahin wenigstens folgte ihm Lehmann nicht — und erbittert, mit sich und den Menschen zerfallen, liniierte er seine Tabellen. Mutter, die immer schon den inneren Dienst im Hof versehen hatte — im Stall, auf der Kammer, beim Dreschen und Rebeln — sie ver- doppelte ihren Fleiß, vierfältig besorgt, Lehmann- Anordnungen durchzuführen, den Preußen nicht lnerken zu lassen, wie Vater versagte . . . Denn was. sollte aus uns allen werden, wenn . . .? Sie, die uns alle unaufhörlich zwang, uns auf die Fußspitzen zu recken — die uns mit einer unsichtbaren Peitsche antrieb zu steter Arbeit — die keine Freude kannte, nur Streben und Ent- sagen — beharrlich, gereizt mahnte sie den Vater: „Was sperrst du dich in die Kanzlei? Führst Buch über die Kuhschwänze?" Vater wollte nicht hinaus. Oder konnie er nicht mehr? Er war stumpf geworden in einem preußi chen Jahr, müde, träg . . . „Und alt," bemerkte Lehmann eines Tages ... Da» Dort war gefallen. Vater wurde es nicht mehr ßp«. Zum nächsten Iahresviertel bekam ec di« Kündigung. Cs wa eine Folge winziger, empfindlicher Tragödien: wie da Stund um Stunde die Macht stückweise aus meines Vater« greisen Händim in andere, neue Hcnde glitt — wie Kn»chte auf- muckten, den Gr uß versagten und kleiner Undank zu kleiner Rache gerann. Graf Iastremski benahm sich so vor nehm wie nur möglich; er beließ seinem alten Poldi alle (vebührnisse an Getreide, Hol» und Schweinen und erhöhte ihm für Lebenszeit aus- giebig das Gehalt. Mutter packte die Möbel und ließ sie nach der Stedr verfrachten. Im letzten Wagen fuhren wir: vernichtet. Als wir an der Station ausstiegen, wandte sich Vater noch einmal nach seinen Pferden um, halste sie, küßte sie und vergoß Tränen wie ein Kind. Nur den kleinen Rappen Iani nahmen wir mit ins Exil. Zwei Jahre später hatten die Preußen völlig abgewirtschaftet. Mit dem Abschied des jungen Roda Roda von dem väterlichen Gut, dem Tummelplatz sei ner Jugend, beschließen wir vorläufig die Lebens- geschichte des Autors, der sich augenblicklich auf einer Amerika-Reise befindet. veraniworilich für der, redakttonelle» D«U: Lhefredak- terrr Dr Kurt Dchmidi: Mr Anzeige«: oswald Müllrr. Seid« in Seivtta. — Berliner Dienst: LSefredatteur Dr. «rich «Verth. Verlt», Dün-off »<X>-S«S. Dresd ner Dienst: Heinrich Aerk-rUen, Dresden. «abelSderaer- stratze »4. yernwrecher 84 7V8. — Druck und Verlag: Sei»». verlazOvrirckerei, «. m. ». Seivtta. Jo-annMg. 8. Unverlangte Beiträge ohne NSckvvrio «erben nicht zurück- «fandi. Vta »arÜagOchh« Avtgab« LV Setten
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