Suche löschen...
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 24.05.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-05-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192305244
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230524
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230524
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-05
- Tag 1923-05-24
-
Monat
1923-05
-
Jahr
1923
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
voaoerslLg, den 24. Der echte und der unechte Chaplin In Berlin erreg« in den letzten Lagen »in Mann, der am Wttienbergplatz in der Ma«e Chaplin» -erumlirf, grobe Aufmerksamkeit und Heiterkeit. Erst als er einem Passanten ein« Weckeruhr stehlen wollte, und diese zu läuten degann, kam man darauf, datz es steh hier nicht nur um einen Tck»er, handelte. Chaplin dem Zwei«» sind bisher zahlreich« Diebstähle an lachenden Zuschauern nachgewiesen. Tierpsychologen behaupten: ein Hund läuft hinter dem geschleuderten Stein her, weil er sich darüber wundert, daß das bisher leblose Ding plötzlich zu fliegen beginnt; er sucht der Sache auf den Grund zu kommen, bringt den Stein wieder zurück, um sich das Ganze nochmals anzusehen. Dasselbe tut Chaplin. Er bringt Atem in die Dinge, die wir für tot und unbeweglich hielten. Möbel und sämtliche Zimmergegenstände, die bisher dem Willen des Menschen unterworfen schienen, wer den durch den Komiker ,u Lebewesen, die sich noch dazu als tückisch erweisen. So kämpft Chaplin buchstäblich mit der Tücke des Objekts, und der Zu- schauer lacht über ihn wie über den hinter dem Stein laufenden Hund. Nun muß man aber, um vollkommen Chaplin' zu sein, über das Ding auch den Sieg davontragen. Zn des Amerikaners Zimmer stellt sich wohl der Stuhl auf die Hinterfüße, der Teppich beginnt zu rutschen, der Tisch dreht sich und die Beine versagen den Dienst, aber Chaplin siegt schließlich doch über den seine Starrheit verlierenden Gegenstand. Kraft seiner menschlichen Ueberlegenheit zwingt er den Gegenspieler, wieder zu dem zu werden, was er eigentlich zu sein hat: zu einem Hut, einem Fenster, einer Tur usw. Die» aber ist dem Berliner zweiten Chaplin nicht gelungen. Er unterlag der Tücke des Objekt», dem Läutewerk einer Uhr. Das ist der Hauptvorwurf, der ihm gemacht werden kann. Denn: entweder... oder! Entweder ist man Chaplin, dann darf die Uhr nicht siegen, — oder man ist ein ganz ordinärer niaskierter Taschendieb. Und das war der Berliner Gauner, der ein amerikanischer Humorist sein wollce. Senulr Das alte Lied. Ein junges Liebespaar aus Mühlhausen i. Thür., beide kaum 18 Jahre alt, wurde erschossen in einem Steinbruche aufgefunden, in dem sie gemeinsam Selbstmord verübten, weil sie sich nicht heiraten konnten. Verzweiflungstat einer Mutter. Bei Grauingen in der Altmark warf sich ein junges Mädchen mit seinem Kinde vor den Personenzug. Beide wurden sofort getötet. Die Mutter ist die Tochter eines Landwirts und war mit ihren Eltern in Zwist ge raten. El« ungetreuer Diener. In Halle wurde der Diener eines Hamburger Großkaufmann» fest- genommen, der während der Ostertage aus Ham- burger Privatbesitz Tafelfilber im Wert« von meh reren Millionen Mark stahl, das au« dem Silber schatz der ermordeten Königin Draga von Serbien stammt. Der Hamburger Kaufmann hat es seiner zeit bei einer Versteigerung erworben. Mord und Raub. Auf dem Messingwerk der Mansfeld-A.-G. in Hettstedt überfiel der 23 Jahre alte Kontorist Rösemann einen Bureauangestell- ten, der die Lohngelder gebracht hatte, in seinem Zimmer, schnürte ihm den Hals zu, raubte 3F Mil lionen Mark und floh. Da» Seil über der Elbe. Am 1. Pfingstfeiertage hatte ein Seiltänzer zwischen Pirna und Copitz ein Drahtseil über die Elbe gespannt. Als abends gegen S Uhr der von Leitmeritz kommende Dampfer „Karlsbad", dessen Mannschaft das Seil nicht sehen konnte, die Stelle passierte, stieß der Schornstein an das Seil und wurde umgeworfen. Durch das Zeltdach des Schiffes wurde der um brechende Mast, von dem der Schornstein durch eine Seilverbindung gehalten wird, aufgesangen und die darunter sitzenden Fahrgäste vor Schaden bewahrt. l-e!prjger rsgedlstt Tragischer Ende einer Theatervorstellung Englischer Blätter berichten von einem großen Dorftheaterbrand in Camden im Staate Süd- karolina, Nordamerika. Studenten hatten in einem kleinen Schulraum des Ortes eine Theatervorstellung inszeniert, zu der gegen 300 Personen erschienen waren. Plötzlich überschlug sich eine Oellampe und explodierte. Auf der Bühne entstand ein Brand. Die Zuschauer ergriff eine Panik, die Treppe, die zum Ausgang führte, brach unter der Ueberlastung zusammen. 42 Kinder, 18 Frauen und 16 Männer wurden zu Boden getreten und verbrannten. Da niemand darauf bedacht war, den Brand zu löschen, war das Gebäude binnen einer Stund« völlig ab- gebrannt. Die Umgekommenen sind bis zur Un kenntlichkeit verkohlt. Vie Polizeistunde in Sachsen bleibt bis l Uhr nachts Auf der Tagung des sächsischen Gastwirteverban des wurde von dem Vorsitzenden die Befürchtung ausgesprochen, daß trotz aller Bemühungen des Gast- wirteverbandes die Verkürzung der Polizeistunde in Sachsen durch die Regierung eingeführt werden wü-de. Demgegenüber erfahren wir von zuständiger Stelle, daß an eine Verkürzung der Polizeistunde nicht gedacht ist, sondern daß sie wie bisher bei 1 Uhr nachts verbleibt. Die nebenher laufenden Probleme vorausgenom men: an der neunjährigen Schuldauer ist festgehalten worden, auch auf die Gefahr hin, daß da durch a. u. die Gesamtschuldaucr von durchschnittlich zwölf auf durchschnittlich dreizehn Jahre verlängert wird. Die psychologischen, wirtschaftlichen und be völkerungspolitischen Gründe, die für eine Ver kürzung des Lehrganges auf acht Jahre ins Feld ge führt wurden, überzeugten den Neichsschulausschuß nicht. Auch der Hinweis auf Oesterreich, wo die höhe- ren Schulen nur eine achtjährige Dauer haben, und die Schweiz, wo die Maturität u. a. in noch kürzerer Frist erlangt werden kann, verfehlte seine Wirkung. Alle diese Gründe wurden ebenso wenig anerkannt, wie der wirtschaftliche, daß in der Zeit furchtbarster materieller Not eine weitere Verteuerung der Schul bildung auf alle Fälle vermieden werden müsse. Die Gegenseite verfocht mit Nachdruck und Erfolg die Mei- nung, daß eine Verkürzung auf alle Fälle auf Kosten oer Bildungshöhe gehen wurde, daß aber gerade diese keinesfalls preisgegeben werden dürfe, da die wissen, schaftliche Bildung fast das einzige Gut sei, was Deutschland aus dem Zusammenbruch gerettet habe, und gerade sie sei eine der wesentlichsten Bedingungen für den neuen Aufbau. * Die Verhandlungen über den elastisch eck Oberbau führten zu einem befriedigenden Ergeb nis. Der Vorschlag, den Unterricht auf der Oberstufe zu differenzieren, und dadurch den Sondcrbegabungen und -Neigungen der Schüler entgegenzukommen, ist durchgedrungen. In Preußen waren bereits seit 1905, in Sachsen seit 1907 Versuche mit einer derartigen Gruppenbilduna oder „Gabelung" gemacht worden, die Ergebnisse führten in Sachsen 1919 zu einer Ver ordnung, nach der in allen Gymnasien und Realgym nasien die Gabelung auf der Oberstufe durchgeführt werden sollte. Im Neichsschulausschuß fanden diese Plane Zustimmung; sie machten natürlich eine an- dere Gestaltung der Reifeprüfung not- wcndig. Durch Vermittlung des Reichsministeriums des Innern ist dann unterm 19. Dezember 1922 eine neue, die Obcrstufengabelung berücksichtigende Verein barung der Länder über die gegenseitige Anerkennung der Reifezeugnisse der höheren Schulen zustande ge- kommen. Es ist dies der einzige praktische sich auf sämtliche deutsche Länder erstreckende Erfolg, den die Arbeit des Reichsschulausschusses bisher gehabt hat; denn in der Hauptsache, in der Schaffung eines neuen Schultyps, ist es leider bisher nicht zu einer durchgehenden Einigung gekommen. Die beiden am Anfang erwähnten Beweggründe ließen die Idee einer „deutschen Oberschule" heran reifen. Zunächst vermischten sich in den Erörterungen über sie die beiden Gesichtspunkte des Dildungspro» gramms und. des Schulaufbaues. Die deutsch» Ober schule wurde gedacht als eine sich unmittelbar an die Volksschule anschließende höhere Schule. Bald aber erfolgte eine Sonderung der Motive und damit eine genauere Begriffsbestimmung. Deutsche Ober« schule und „A n f b a u s ch u l e" wurden ihrettl Wesen nach geschieden; das der Aufbauschule liegt auf organisatorischem, das der deutschen Oberschule auf bildungstheoretischem Gebiete. Die Aufbauschule ist die verkürzte, sich an die Volksschule unmittelbar an schließende Form aller Arten der bestehenden und etwa noch zu begründenden höheren Schulen. Die deutsche Oberschule ist eine neue Art der höheren Schule, die, zunächst ganz unabhängig von der äußeren Schul- gl'eüerung, Deutschkunde und die deutschbetonten Fächer in den Mittelpunkt des Unterrichts stellen will. Die Aufbauschule kann also auftreten in der Form des Gymnasiums, Realgymnasiums, der Oberreal- schule und der deutschen Oberschule, alle diese Schul arten sind in der „grundständigen" Form und der ver kürzten Aufbauschulform möglich. Zu Versuchen mit Aufbauschulen sind die Länder ermächtigt durch die Vereinbarung vom 19. Dez. 1922. Nach ihr wird die Aufbauschulr bestimmt als verkürzte Form der zur Hochschule führenden höheren Lehr- anstalten. Entsprechende Begabung wird ausdrück lich zur Bedingung des Eintritts gemacht, außerdem der Abschluß des siebenten Schulpflichtjahres; der Arbeiterausschreitungr» in Hamburg. Um den Hamburger Arbeitern bequeme Verbindung nach den Arbeitsstätten in den Pterlanden zu verschaffen, wurden durch die Beraedorf - Gastharoer Eisenbahn gesellschaft Sonderarbeiterzüge eingelegt. Während man so den Wünschen der Arbeiter voll Rechnung trug, wurde dieses Entgegenkommen von den Arbeitern schlecht gelohnt. Schon oft waren die An gestellten der Eisenbahn von selten der Arbeiter argen Anrempelungen ausgesetzt, wobei vielfach Fensterscheiben in die Brüche gingen. Nunmehr kam es zu widerlichen Auftritten. Als der Fahrkarteti. kontrollierende Schaffner einen Arbeiter mit einem ungenügenden Fahrtausweis entdeckte, überfielen ihn die Arbeiter und verprügelten ihn, wobei auch der Eisenbahnzug demoliert wurde. Der Beamte liegt schwerkrank danieder. Nunmehr weigern sich die Eisenbahnbeamten, die Arbeiterzüge weiterfahren zu lassen und sind so lange geschlossen in den Streik ge treten, bis die Täter gefaßt und «in gesittetes Ver halten der Arbeiter gewährleistet ist. Die Arbeiter züge haben bereite die Fahrten eingestellt. Vor kurzem wurde auch ein Schachtmeister von Arbeitern verprügelt, weil er sie zur Arbeit anhielt. Die Täter entkamen unter dem Schutze ihrer Genossen. Ferner wurde an der Umsteigestatwn durch Arbeiter aus den Gärten und aus den zum Versand nach Berlin bcreitstehenden Eisenbahnwagen Rhabarber und Obst gestohlen. Der bestohlene Zockei-Klub. Bisher noch un bekannte Täter brachen in die Kanzlei des Prager Jockei-Klubs ein und stahlen die ganzen Ein- nahmen der Rennen an den beiden Pfingsttagen in Höhe von etwa 120000 tschechischen Kronen. Jur Reform des höheren Llnterrichisweseus Don Seminardireittor Schulrat R«ri (Weimar) Da» Reichsministerium de» Innern hat kürzlich , eine Denkschrift über Maßnahmen der Reichsregierung I n.r Einvernehmen mit den Ländern zur Umgestaltung des höheren Schulwesens, besonders zur Einführung der Aufbauschule und der deutschen Oberschule ver- öffentlicht. Sie gibt einen lehrreichen Einblick in die Schwierigkeiten, die die Schulabteilung im Reichs ministerium de» Innern bei der Durchführung der Bestimmungen der Reichsoerfassung über die Neuge staltung de» Schulwesens zu überwinden hat. Gerade in der Entwicklung des Unterrichtswesens, und des höheren im besonderen, macht sich das Beharrung«, aefetz geltend. E» kommt dazu, daß die Länder viel fach gegenüber der Reichsinstanz mißtrauisch sind, weil sie von ihr eine zu weitgehende Zentralisation des Bildungswesen» befürchten. So hat die junge Orga nisation der Schulabteilung im Reichoministerium des Innern der festgefügten Lureaukratie der Länder schulverwaltungen gegenüber keinen leichten Stand. Die Denkschrift gibt in geschickter Gruppierung des Stoffes ein anschauliches Bild davon, wie sich in den Verhandlungen de« Reichsschulausschusses und in wiederholten Sachverständigenberatungen die Frage einer Umgestaltung des höheren Dildungswesens ent wickelt hat und welche Ergebnisse bisher dabei erzielt werden sind. Es waren in der Hauptsache zwei Beweggründe, die nach einer durchgreifenden Reform des höheren Schulwesens drängten: ein sozialer und ein im enge- ren Sinne pädagogischer und bildungstechnischer. In den Stürmen der Revolution war der Gedanke ge- boren, daß das höhere Bildungsgut künftig nicht mehr das Vorrecht einer kleinen bevorzugten Bevölkerung»- scbicht sein dürfte, daß man dementsprechend den Schü lern der Volksschulen einen geraden Wey zur höheren Bildung und damit zur Hochschule eröffnen müsse, , ohne den für sie zeitraubenden Umweg über die dis- Ker vorhandenen höheren Schulen. Und mit diesem sozialen Beweggrund berührte sich der bildungs- technische. Man emvfand, daß die scharfe Trennung zwischen Hohergebildeten und dem Volk vor allen Dingen auch dadurch herbeigeführt worden sei, daß die höhere Bildung bisher das deutsche Bildungsgut nicht ausreichend verwertet habe, daß sie stark an Ueverfremdung leide. Daraus entstand das Bedürf- ms nach einem neuen Schultyp, der die Deutschkunde, d. h. nicht lediglich Sprache und Literatur, sondern den Gesamtumfang des deutschen Geistesgute», in den beherrschenden Mittelpunkt stellt. Der deutsche Ger manistenverband, der sich nach dem Kriege in Erweite rung seiner Ziele zu einer „Gesellschaft für deutsche Bildung" ausgestaltet hatte, war schon seit einigen Jahrzehnten der Träger dieser Reformbewegung ge- wcsen. Mit diesen beiden Beweggründen kreuzten und verwoben sicy eine Reihe anderer Gedankengänge, von denen hier nur zwei herausgehoben sein mögen. Nach- dem das Grundschulgesetz die Grundschuldauer aus- nakmslos auf vier Jahre festgesetzt hatte, entstand die Schwierigkeit, daß dadurch unter Umständen die Ge- sumtdauer für die höheren Spulen um ein Jahr ver längert wurde; denn die bis dahin in den einzelnen Ländern bestehenden Vorschulen hatten die Kinder in drei Jahren für den Eintritt in die unterste Klasse der höheren Schulen vorbereitet. Es drängt« sich die Frage auf, ob der bisher allgemein übliche Lehrgang der höheren Schulen nicht abgekürzt werden könne; weiter batten Psychologie und Erfahrung es mehr und mehr als Mangel erscheinen lassen, daß die höheren Scyulen ohne jede Rücksicht auf die besonderen Neigun gen und Fähigkeiten allen Alle» lehrte. Ls entstand das Bedürfnis, Einrichtungen zu schaffen, die den differenzierten Fähigkeiten Rechnung tragen. In dem Stichwort vom „elastischen Oberbau" ver dichteten sich die darauf gerichteten Bestrebungen. Es stellte sich alsbald heraus, daß die Probleme, die in diesen Dedankengangen liegen, nicht vereinzelt behandelt werden konnten; sie sind so eng miteinander verflochten, daß sie nur im Zusammenhang, als Gan- zes, einer Lösung entgegengeführt werden können. Die Verhandlungen darüber im einzelnen zu ver folgen, würde zu weit führen. Es möge genügen, die Ergebnisse kurz zu ftizzieren. Der angerichtete Schaden dürste kaum von den Seil- tänzern gedeckt werden können. E1»e blutige Ehetragtzhie spielt« sich im Hause Boyenstraße 11 sn Berlin ab. Die Ehefrau Klara de» Bäckers Martin Simon erschien auf dem Polizeirevier mit der Meldung, ihr Mann sei an- gerecht nach Hause gekommen, die Treppe hinunter- gefallen und habe sieb schwer verletzt. Die Beamten fanden Simon mit einer klaffenden Kopfwunde auf und ließen ihn nach der Charta bringen. Auf der Trepp« aber fand man keine Spur von Blut, in der Küche dagegen ein blutbefleckte« Beil. Frau Simon gab dann schließlich zu, daß sie ihrem Rian» di« Verletzung beigebracht habe. In der Notwehr habe sie do» Beil ergriffen und ihrem Manne einen so wuchtigen Hieb auf den Kopf versetzt, daß er be wußtlos zusammenbrach. Frau Simon wurde verhaftet. Lübeck Don chrno Volzl Ein alter Freund von mir, auch schon mit weg- gelcbtcn Haaren, aber ganz erfüllt vom Gedanken an den deutschen Wiederaufbau, heiratet hier oben und hat mich dazu eingeladen. Ich mache mich also auf die Reise zu dieser Hochzeit, und es ist etwa» sehr schönes um eine solche Hochzeitsreise ohne jede» Gepäck. Uebrigens — drolliger als die drei Kom- merztenbuben, die, den linken Iackenaufschlag über und über mit Abzeichen geschmückt, in meinem Abteil über „Politik" sprechen, konnte ein junges Weibchen auch nicht plappern. Aber schöner ist es schon, etn« Hochzeitsreise allin zu machen. Ich kann mich ganz dem Zuhören widmen. Die drei überschlagen sich ge radezu in Bocksprllngen politischer Weisheit, und jedesmal vurzelte ein jeder in ein bereitstehende» Schema hmein. Durch die holsteinische Landschaft dayinfahrend, erfahre ich, daß „es uns noch viel zu gut geht", daß „dem Deutschen der Patriotismus erst eingeprügelt werden muß", und „daß ein waffen loses Volk ein ehrloses Volk ist". Der Jüngling, der also klagt, hat sehr rote Hände, vielleicht vom Heringeeinpacken, und riecht stark nach seinem Gummimantel, um den er einen breiten Ledergürtel trägt, wie ein Offizier in Feldgrau. „Kommen Sie nur nach dem roten Sachsen", ruft er jetzt, „wie da alle Geschäftsleute klagen!" „Das kommt eben da von, wenn die Kommunisten meinen, ihre Apothesen verwirklichen zu können", nickt ernsthaft sein Freund, einen zärtlichen Blick nach unten werfend, wo da» Abzeichen de» „Stahlhelms" an der Jacke prangt. So ist es nun: wagt so einer, außerhalb der erlern ten Form zu denken und etwas auszusprechen, wao er nicht in einer Versammlung vernahm, so ver fällt er in die „Apothese". So straft Uebermut sich selbst. Kirchenstühle, Zunfthäuser, Klubgebäud« vereinen die Menschen und trennen sie. Wie mancher wackere Schiffer mag die Weltmeer« durchkreuzt haben — hier im Lübecker Schifferkau« aber hat er sechs Jahrzehnte lang immer in der Schranke seiner engeren Gilde gesessen und nie an einem andern Tisch. Unerhört wäre es gewesen, wenn einer beim Beten den lieben Gott nach einem andern Platz hin hätte bemühe« wollen al» in den Kirchstuhl, in de« bereit« der Urgroßvater saß. Der Nachbarolatz oder gart eine andere Kirche der Stadt war ikm nicht minder fremd al« da» rote Sachsen dem Apotkeser. Trinkt man in einer Kneipe «inen Schoppen (Bor- deaux wird nicht gereicht wegen der Ruhr; es gibt nur „Kalifornischen Rotwein", der ähnlich schmeckt wie PauillacI —), so hört man die Leute stets nur gedampft reden. Weil ja im Nebenzimmer der Chef sitzen kann. Aber auch der Chef scheint ein Ke- scheidener Herr zu fein; man hört kein laute» Wort durch die Tür. Vielleicht argwöhnt er, nebenan sitze ein Konsul. Vielleicht ist auch wirklich ein Konsul da mit seiner Gemahlin; aber er lispelt nur, denn es gibt Senatoren, die mitunter gleich nebenan sitzen. Ueber die zu fürchtenden Senatoren selbst aber waltet der Bürgermeister. Und wenn der Bürger- meister in den Ratsweinkeller geht, so bückt er sich unter der Düste Wilhelm« II. hindurch, die hier noch prangt, herrlich wie am ersten Tag. O Das Schabbelhau» ist eine Art Bürger museum: reich und fröhlich, von der Diele bi« zum Boden mit echt lübischem Hausrat eingerichtet. Da siehst du alle», was die alten Lübecker so zum Leben brauchten: Rokokostuben, eine riesige Küche, Kontore, behagliche Biedermeierzimmer und Herr- liche Schränke mit Eßgerätrn. Du kannst sämtliche Räume hundertmal von oben bi» unten durchstöbern — du wirst nicht «in einzige« Buch finden. Als Thoma» Buddenbrook zum erstenmal in seinem Leben «in Buch durchstlwierte, war sein Untergang besiegelt. Wo du hinblickst, ist irgendeine „Stiftung". In niedrigen Hofgevauden, an die sich ein Gretchen- garten anschließt, wohnen alte Mütterchen, und wenn du mit ihnen sprichst, lächeln sie unter dem dünnen weißen Scheitel zu allem: „Tja, dat mößt ja wull allen» so finl" Manchmal ist mit der freien Woh nung sogar etn« Rente verbunden, z. B. zehn Zwan zigmarkstücke im Jahre ISIS, die beute in zehn Zwanzigmarkscheinen ausaezahlt werden. Tja. dat mößt ja wull allen« so stn. Im Heiltgengesstsoital gab e» früher dreimal wöchentlich Lesegottesdienst, von Lehrern abaehalten. Run aber kann da» Spital, da» den alten Mannern und Frauen längst weder Fleisch noch Fett zu liefern vermaa, auch den zeit gemäßen Ansprüchen der Predigtleser nicht mehr genüge«. Darum «erden die alten Herrschaften, die hier schlurfen, wackeln und auf den Tod warten, jetzt nur noch einmal in der Woche des geistigen Trostes zuteil und ermahnt, nicht etwa ihr Herz an Silber und Gold zu hangen, weil dieses Motten und Rost zerfressen. Andächtig hören sie zu und werden immer weniger. Die Krankensäle sind über- voll gestopft. Tja, dat mößt ja wull allene so sin. — „ von einem unbekannten Meister", das ist der Refrain bet allen Erklärungen der Kunltschätze Lübecks. Der Totentanz, die schwerfarbiaen Altar- schreine, die fröhlichen Werke der Holzschnitzerei und der Metallbildkunst, die Grabplatten, alle» von unbekannten Meistern. Das sind wohl die ganz Großen, die zum Ruhme Gottes arbeiteten, ihre Arbeit al» „Amt" auffaßten, Meisterwerke hinstellten und in ihre stillen Gräber verschwanden. Das Größte ist in Lübeck immer unbekannten Ursprung». Es ge hört nicht denen, die es schufen; es gehört Lübeck, der großen, mächtigen Herrscherin. Durch die Halle der Marienkirche flutet süßer Geigenton, irgendwoher. Die Bürger sitzen steif und schwer in den Kirchen- stühlen ihrer Vorfahren, die auch steif und schwer dagesessen haben. Denn was heute in Lübeck ist, das ist schon immer so gewesen in Lübeck. Mit gravitätischer Würde steht alles da, die Hau ser, die Speicher, die Kirchen; wie John Gabriel Dorkmann, wenn er meint, es müsse jemand bei ihm anklopfen, um abzubttten. Aber da» Leben, die Zeit bitten nicht ab. Und was darauf wartet, bleibt stehen. „Eine recht nette kleine Stadt, da» Lübeck, sagte der Berliner, mit dem ich zurückfuhr. Fritz Reiff hat einen Ruf an da» Züricher Schauspielhaus für den Beginn der nächsten Spielzeit angenommen. E» sind gewiß nicht nur die Schweizer Berge und die Schweizer Valuta, die dem Leipziger Stadttheater diesen wertvollen und kulti vierten Darsteller entfremdet haben, sondern mehr al« die» die Tatsache, daß Fritz Reiff in den letzten Jahren und vor allem in dem letzten so überaus un- ergibigem Theaterwinter sich hier ungenügend be schäftigt fühlte und fühlen mußte. Denn «in so eigen artiger, geistig beweglicher und durchaus nicht ein seitiger Künstler wie Fritz Reiff in einem ganze» Jahr« nicht «ine tragend« Roll« in Ur- oder Erstauf führungen spielt, dann kann es ihm niemand ver- denken, daß er es vorzieht, anderswo die Rolle und die Rollen zu spielen, die man ihm bietet. Man müßte nicht erst in den letzten Tagen seinen liebens würdig-täppischen Professor Higgins und gleich dar auf seinen großartig-exakten, beinahe mathematisch demonstrativen alten Faust gesehen haben, um Herz- lich zu bedauern, daß wir diesen Darsteller verloren haben. Prof. Dr. Rille, Direktor der Leipziger Universi tätsklinik für Hautkrankheiten, wurde zum Ehren- Mitglieds der Dermatologischen Gesellschaft in Moskau gewählt. Personenwechsel l» der Leitung der Berliner Staatsoper. Au» Berlin wird uns gedrahtet: Wie die B. Z. erfährt, stehen große Der- änderungen im Betriebe der Berliner Oper bevor. Generalmusikdirektor Leo Blech verläßt die Staatsoper, um Direktor des Deutsche» Opernhauses zu werden. Der Intendant der Staatsoper, Max v. Schilling, will die Der- waltungsgeschäste an einen neu zu wählenden Intendanten abgeben, um nunmehr, und zwar au erster Stelle, zu dirigieren. Von Wien her soll der junge Clemens Krauß an die Berliner Staatsoper gerufen werden. Liue Spargelgeschichte. Die Spavgelzeit stellst diesmal an den Geldbeutel der Liebhaber diese« Ge müse» hohe Anforderungen, aber der leidenschcrft» liche Spargelesser wird sich auch durch die größten' Summen nicht von dem Genuß abhalten lassen. Wie lebhaft di« Lieb« zutzn Spargel unter den Fein schmeckern oller Zeiten gewesen ist, dafür gibt es viele Anekdoten. Eine der bezeichnendsten wird von dem Naturforscher Düvier erzählt. Cuvier, ein großer Sparaelfreund, hotte einen Abb4 zum Sparaeleflen eingeladen. Doch aß dieser da« Gemüse am liebsten in Butter, während es Cuvier in Oel vorzog. Die Hälfte de» Spargel« sollte daher in Oel, die ander» in Butter zuvereitet werden. Dem Hauptgericht gin gen einige ander« Speisen vorau», und während man angeregt plauderte, wird der AbbS vom Schlag ge rührt. Cuvier eilt zu den zusammengesunkenen Freunde und kann nur noch schmerzbewegt seine« Tod feststellen. Dann aber ermannt er sich, läuft spornstreichs in die Küche und ruft: „Alle Spargel in Oel!" __.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)