Suche löschen...
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 20.05.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-05-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192305202
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230520
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230520
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-05
- Tag 1923-05-20
-
Monat
1923-05
-
Jahr
1923
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
8e1t« 4 Ur. IIS Leipziger Hgedlstt uo6 UKockelsrettuag 8onn1ag, 6en 20. LLa! papieren, die der Konjunktur unterworfen sind, immerhin bedeuten würde. Solange nicht der er wähnte Gesetzentwurf über Neubewirtfchaftung der Stiftungen Rechtskraft erhalten hat, wird an dem Zustande der Bewirtschaftung nichts geändert, ab gesehen davon, daß die Zinsen der kleineren Stif tungen zum Kapital geschlagen und aus den Zinsen der größeren Stiftungen wesentlich weniger Leute als früher bedacht werden, damit dem einzelnen eine irgend erhebliche Summe geboten werden kann. Äls Aendcrung des bisherigen Verfahrens ist nur noch das Unterbleiben der im Verhältnis zu oen verfüg baren Beträgen viel zu teuren Ausschreibungen zu erwähnen. Die Stiftungen werden vielmehr heute nur dann vergeben, wenn Gesuche würdiger Antrag steller vorliegen. In anderen Städten stellt die Mehrzahl der Stift tungen gleichzeitig Versorgungsan st alten dar, d. h. die Stiftungen bieten Männern und Frauen vorgerückten Alters freie Wohnung, Heizung, Licht, Wäsche, ärztliche Behandlung, zuweilen auch noch Frühstück und Mittagsessen, und schließlich Bar zuwendungen. In Leipzig sind solche Stiftungen wesentlich dünner gesät, wenn auch eine ganze An zahl vorhanden ist. Ihre Mehrzahl kommt dem Leip- ziger Iohannishospital in der Hospital- straße sowie in der Riebeckstraße zugute. Doch hat sich trotz der vorhandenen Stiftungen der früher ge übte Brauch der vollkommen unentgeltlichen Unter bringung und Verpflegung im Iohannishospital nicht ausrcchterhalten lassen. Die Pfleglinge müssen - ine nicht unerhebliche Summe Anzahlen, und auch bei ihrer Aufnahme eine Wohnung in Leipzig frei machen können. Für diejenigen alten Leute, die über die verlangten Mittel nicht verfügen, muß ge gebenenfalls das Leipziger Fürsorgeamt einspringen. — Im Iohannishospital in der Hospitalstraße wird dcn Insassen freie Wohnung, Suppe und Mittagbrot geboten. Freie Heizung sowie Licht werden durch Zuschüsse des Fürsorgeamtes bestritten, das auch bis- weilen noch etwas Zusatznahrung beisteuert. Die Insassen der Zweiganstalt in der Riebeckstraße sind ungünstiger gestellt, da dort eine Naturalverpflegung nicht stattfindet, sondern dafür ein Barzuschuß ge geben wird, mit dem angesichts der enorm gestiegenen Teuerung nicht allzu weit zu kommen ist. Gab es früher eine Stiftung, die ausdrücklich besagte, daß aus ihren Zinsen jedem Insassen des Iohannishospi- tals in bestimmter Folge ein Hering verabreicht werde, so ist diese Stiftung schon längst hinfällig ge worden, da mit allen anderen Nahrungsmitteln auch die Heringe im Preise gestiegen und, gemessen an den zur Verfügung stehenden Zinsen, unerschwinglich ge worden sind. Ein unerfreuliches Schicksal hat auch die bekannte Leipziger Lähne-Stiftung erlitten. Aus ihr wurden früher Damen besserer Stände bedacht, die nicht die Mittel hatten, ihrem Stande entsprechend zu leben. Einst ermöglichten die Zuschüsse diesen Damen, sich manche Erleichterung zu verschaffen, sich Theaterbesuche zu gönnen usw. Jetzt sind die ihnen aus der Stiftung zufließenden Summen praktisch fast gleich Null. Es ist daher auch von der früheren Praxis insoweit abgewichen worden, als die Zinsen dem Fürsorgeamt überwiesen werden und dieses die von der Lähne-Stiftung Bedachten von sich aus -amiüe/r Mrer'se/r /ür- e/r'e sm L. Ze/er-ZsA /r-ü/r/nortens er-scHer/ient/e können snr /. unck //. 4>Mg/7/er'ex/2Lk /e/e/>konr'sLft oc/ex /-exsonZr'ck unLerex 7e/e/)kon- ren^s/e uZ>er'nrr//e// melden. unterstützt. Pom rein menschlichen Standpunkt au» betrachtet, ist wohl da» Eingehen der aus den Zinsen der Bienerschen Blindenstiftung und städtischen Zu schüssen erhaltenen Bienerschen Blinden- nnstalt am meisten zu bedauern. Die Stadt sieht sich nicht mehr in der Lage, die notwendigen Zu schüsse für die Erhaltung der Anstalt zu leisten und > schließt seine Pforten. Die ganz blinden Kinder werden der Landcsblindenanstalt in Chemnitz über wiesen und fallen somit der Staatsfürsorge anheim. Die Stiftung bleibt indes insofern^rhalten, als ihre Zinsen zugunsten der blindtn Kinder nutzbar ge- macht werden sollen. Also Verfall der Stiftungen wohin man blickt! Ist keine Rettung möglich? Doch, es äibt einen Weg, und ihn zu beschreiten, müßte eine Ehrenpflicht der jenigen sein, die durch und nach dem Kriege zu Reichtum gelangt sind. Was dereinst den Vermögen den vor dem Kriege Ehrenpflicht gewesen tst, nämlich für ihre mit Glucksgütern nicht gesegneten Mit- bllrger in großzügiger Weise zu sorgen, sollte auch für diejenigen oberstes Gebot sein, denen heute ein günstiges Geschick Reichtümer in den Schog gewor fen hat. Möchte doch das Beispiel des Dresdner Großindustriellen, der zugunsten der Dresdener Technischen Hochschule 10 000 Dollar stiftete, in Leip zig Schule machen und auch hier Stiftungen zei tigen, oie ihrer Höhe und ihrem Zwecke nach zeit gemäß genannt werden können! Dr Nelsckivl. Ein Drama auf See Jin Hafen von Saßnitz traf die holländische Kufs „Vorwärts" mit einer Eisenladung auf der Reise von Stettin nach Nanders ein. Auf See hatte die Besatzung der Kufs Hilferufe abgegeben, worauf der Lübecker Segler „Dorothea" sich nahte und längsseits der Kuff legte. Die Besatzung rief schon von weitem um Hilfe, da sie von dem tobsüchtig gewordenen Kapitän mit dem Tode bedroht wurde. Ein Matrose hatte bereits blutende Wunden am Kopf, die ihm von dem Kapitän durch Schläge bei gebracht worden waren. Man hatte darauf den Kapitän über Bord gestoßen, doch wurde er von der Mannschaft der „Dorothea" gerettet. Die Kuff wurde in den Hafen geschleppt und die Mannschaft verließ das Schiff. Der Kapitän blieb allein an Bord. Von dort aus feuerte er mit seinem Revolver mehrere Schüsse ab und traf den gerade aus der Kajüte schauenden 20jährigen Kom Dabcl stein der „Dorothea", dem mehrere Kugeln in den Kopf drangen. Der Mann war bald darauf tot. Nun suchte der Kapitän mit seinem Fahrzeug aus dem Hafen zu entkommen. Er wurde aber ein geholt und fcstgenommcn. 180 000 Papiermark für ein Zwanzigmarkstück. Reichsbank und Post kaufen vom 21. Mai ab ein Zwanzigmarkstück zum Preise von 180 000 Mark, ein Zehnmarkstück für 90 000 Mart. Für Silber wird der ööOOsache Betrag des Nennwertes bezahlt. Die Kronjuwelen im Matrosengrab. Wie aus New Port geschrieben wird, wollen die Gerüchte noch immer nicht verstummen, daß im Marinekirchhof in Brooklyn ein Matrose begraben liege, in dessen Sarg die russischen Kronjuwelen verborgen seien. Mehr mals wurde in der Tat schon versucht, zur Nachtzeit das Grab zu öffnen. Schließlich entschloß sich die Polizei, um den unsinnigen Gerüchten die Spitze ab- zubrecyen, auf eigene Faust das Grab zu öffnen. Eine riesige Volksmenge harrte nun der kostbaren Steine und sonstigen Wertsachen, die jetzt zutage ge fördert werden muhten. Die Enttäuschung war groß, als bekanntgegeben wurde, daß überhaupt keine Juwelen gefunden worden seien. Es steht zu hoffen, daß jetzt der Marinekirchhof im allgemeinen und das Grab des toten Matrosen von Grabschändern ver schont bleiben wird. Erstaunlich ist übrigens, wie die Legende entstand. Ein Matrose James Jones war in Sibirien gestorben', seine Leiche wurde in einen Sarg gelegt und der Sarg über Wladiwostok in seine Heimat gebracht, um dort bestattet zu werden. An Bord des Schikfes aber, das die sterblichen Ueber- reste des Matrosen heimführte, sollen sich drei Russen befunden haben; und diese drei hatten sich nach dem Mord an der Zarcnfamilie des Familien- schmuckes bemächtigt; während der Ozeanfahrt aber seien sie in Streit wegen der Teilung der Beute ge kommen, und derjenige, der die wertvollsten Steine im Besitz gehabt, hätte sie dann in dem Sarge des toten Matrosen heimlich verborgen, und so sollten die Juwelen, da der Russe später keine Gelegenheit mehr hatte, die Juwelen wieder herauszunehmen, mit dem toten Matrosen im Marinekirchhof von Brooklyn be erdigt worden sein. — Bis auf weiteres scheint die Legende von dem Schatz im Matroscngrabe widerlegt zu sein; aber wer solche Legenden kennt, weiß, daß sie zählebig sind, und cs darf nicht wundernehmen, wenn tünft-ze Geschlechter noch einmal den ganzen Kircbhof nach dcn angeblich versteckten Schätzen um- graben. Rüsten wir doch auch ganze Expeditionen aus, nm nach legendären versunkenen Schätzen zu fahnden. Ein Fraucnparlament in Amerika. Die Präsi dentin der amerikanischen Frauenpartci Mrs. Oliver Belmont kündet für dcn Dezember dcn Zusammen tritt eines Frauenparlaments an. Es handelt sich bei dieser Tagung nicht um eine der üblichen Frauen- rcchterundgcbnngen, sondern um ein ausgesprochenes Gcgenparlament der Frauen. Diese Bestimmung soll ihren sichtbaren Ausdruck schon darin finden, daß das Frauenparlamcnt in Washington in einem prächtigen Gebäude tagen wird, das gerade gegen über dem Sitze des Kongresses liegt, also des offi ziellen Parlaments der Vereinigten Staaten von Nordamerika. Die Anzahl der Teilnehmerinnen an diesem Frauenparlament wird genau der Zahl der Mitglieder des Senats und des Repräsentanten hauses entsprechen. Alle Fragen und Gesetzentwürfe, die im Kongreß zur Verhandlung kommen, werden auch in dem Gegcnparlament der Frauen eingehend erörtert werden. Natürlich werden auch Berichte über die Sitzungen des Fraucnparlaments heraus gegeben werden, so daß sich die amerikanische Öffent lichkeit auch darüber wird eine Meinung bilden können, wer cs mit dem Lande besser meint: die Männer oder die Frauen. „An die falsche Adresse." Eine Freundin des Leipziger Tageblattes in St. Louis schickt uns folgenden Ausschnitt aus der in Lincoln, Ne braska, erscheinenden Lincoln Freien Presse: „An die falsche Adresse. Leipziger Damen haben an Frau Präsident Har ding eine prachtvolle Handarbeit geschickt — aus Dank barkeit für alles das, was „Amerika für das not- leitende Deutschland getan hat" !!. Die guten deutschen Frauen in Leipzig haben vermutlich in ihrer frühen Jugend gelernt, daß aller Segen von oben kommt. Vom Kaiser oder König früher, — in einer Republik vom Präsidenten, dem Herr scher im Frack". In diesem Falle aber wandten sie sich an die fasche Adresse, denn Frau Hardiug hat für das notleidende Deutschland so wenig übrig wie ihr Herr Gemahl, — nämlich gar nichts... Wenn die guten, deutschen Frauen in Leipzig statt der prachtvollen Handarbeit für Frau Harding den Deutsch'-Amerikanern einen Dank geschickt hätten, wäre dieser an die richtige Adresse gekommen." Wir wissen nicht, ob jene Leipziger Frauen nicht einen besonderen Grund gehabt haben, der Frau Harding ein Geschenk zu machen. Wenn sie aber wirklich nur ihrer Dankbarkeit für Amerikas H lfe Ausdruck geben wollten, so haben sie sich in dec Tat an die falsche Adresse gewandt, denn die Frau d.s Präsidenten ist in der Republik keine offizielle Per sönlichkeit. Es ist deshalb auch ganz gleichgültig, ob sie deutschfreundlich ist oder nicht. Ucbrigcns schulden wir nicht nur den Deutsch-Amerikanern, sondern auch den Quäkern und vielen anderen ame i- kanischen Bürgern großen Dank für die Hilfe, die sie dcn Notleidenden in Deutschland geleistet haben. Bombenanschlag gegen eine Krakauer zionistische Zeitung. Aus Krakau wird gemeldet: Abends explodierte in dem Hause, in dem sich die Redaktion des zionistischen Blattes Nowy Dziennik befindet, eine Bombe. Das ganze Treppenhaus wurde zerstört und der Dachboden stark beschädigt. Ein Wächter, der sich gerade im Stiegenhause aufhielt, wurde ver- schüttet. Es ist dies innerhalb kurzer Zeit der dritte Bombenanschlag in Krakau, ohne daß cs gelungen wäre, die Urheber auszuforschen. Qericktssssl Strafanträge im Prozeß wojak Nach mehrwöchiger Verhandlung im Prozeß Wojak und Genossen beantragte der Staatsanwalt gegen Wojak wegen einfachen Betruges in sechs Fällen, fortgesetzten Betruges in zwei Fällen, Ur kundenvernichtung in zwei Fällen, Anstiftung dazu in einem Fall, Unterschlagung und Diebstahl sow e fortgesetzten unlauteren Wettbewerbes eine Gesamt strafe von vier Jahren drei Monaten Gefängnis und 50 Millionen Mark Geldstrafe. Weiter beantragte er Abtrennung Les Verfahrens im Falle Foerfch. Für Echapire und Tick forderte er Freisprechung und gegen die übtigcn Angeklagten kurzfristige Gesang- nisstrafen. Die Unterschlagungen beim Magistrat Neukölln. Vor der Strafkammer des Landgerichts II in Berlin hatte sich jetzt der frühere Stadtinspcktor Fritz Lietzmann vom Bezirksamt Neukölln wegen Unterschlagung amtlicher Gelder in Höhe von 1872 000 Mark sowie wegen Urkundenfälschung zu verantworten. Die unterschlagenen Summen hatte Lietzmann u. a. dazu verwendet, sich eine neue Woh nungseinrichtung anzuschaffen und eine Badereise zu unternehmen. Eines Tages legte er dem Stadtrr.t Schneider eine Zahlungsanweisung vor, die dieser anstandslos unterzeichnete. Später fälschte der An geklagte eine ganze Reihe von Geldanweisungen mit der Unterschrift des Dezernenten. Die angewiesenen Betrüge lauteten auf eine von ihm ebenfalls ge täuschte Krankenschwester Zinke, für die der An geklagte bei einer Bank ein Konto eingerichtet hatte. Merkwürdigerweise waren die gefälschten Anweisun gen an der Kasse ohne Kontrolle lange Zeit durch gegangen. — Vor Gericht war der Angeklagte in vollem Umfange geständig. Das Gericht bewilligte ihm mildernde Umstände und verurteilte ihn zu einem Jahr Gefängnis, wovon zwei Monate auf die Untersuchungshaft ungerechnet wurden. Nachklänge zum Franz Prozeß. Im Zusammen- Hang mit dem Schwurqerichtsverfahren gegen den Ingenieur Franz und dessen Ehefrau in Berlin, das mit der Freisprechung der Angeklagten endete, hatte der Geh. Regierungsrat Prof. Dr. R. gegen Franz eine Schadenersatzklage eingeleitct, die ur sprünglich auf 500 000 Mark bemessen, später aber im Hinblick auf die Geldentwertung auf zwei Mil lionen Mark erhöht wurde. -Diese Schadenersatz- klage ist nunmehr vom Landgericht Berlin kosten pflichtig abgewiesen worden. — Der Detektiv Rein hold Pichl, der die Verhaftung des Ehepaares Franz eigenmächtig vorgenommen und in dem Schwurgcrichtsprozeß gegen Franz als Belastungs zeuge ausgetreten war, wurde vom Schöffengericht Charlottenburg wegen Anmaßung eines öffentlichen Amtes zu einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten verurteilt. EiiekEr-LnLSisen. Lin kÄkrer für S0O.— — reich illustriert — öcacliiea 8ie bitte meine Ichausenrter b. Anti<sU3N2t, I^ürnberxer Ltrasie 32 Fernsprecher 21496. Reise Don Rottt Die fremden Länder blühen erst hinter den Grenzen auf, von Zollrevisoren bewacht, umrandet von Paßgesetzen, und die Ferne, nach der die Sehn sucht zielte, ist auch nur ein Staat mit Oberhaupt und Schutzpolizei, Bevölkerungszuwachs und Steuer deklaration. Hielt man einen exotischen Laut für den Schrei der Sehnsucht, so war's bestimmt nur ein Pfiff der Lokomotive. Alle Bahnhöfe der Welt riechen gleichmäßig nach Steinkohle und nicht nach Versprechungen. Der Exprcßzug ist stickig, von schnarchenden Menschen erfüllt, die nicht aussehen wie Reisende, nicht den Duft fremder Geheimnisse tragen, sondern Butterbrot in fleckigen Taschen, und Seßhafte sind, alle Schwächen ihrer erbärmlichen Menschlichkeit in dem Quadratmeter Coup6 aus packen und so nebeneinander häufen, daß der Be trachter erschrocken in der Korridor zurückprallt. Ich iah "ine wunderschöne Frau in mein Abteil steigen, und meine Seele erbebte. Am nächsten Morgen schlug sie die Augen gegen das Gepäcknetz auf, und ich blickte nüchtern auf ein Wesen in weiblichen Kleidern, dessen Gesicht alle Folterqualen einer durchritttclten Nacht in seinen Zügen trug. Der Wind, der durch das offene Fenster kam, mischte Ruß und Puder durcheinander, und der Schlaf lag wie Kleister in ihren Augenwinkeln. Wie mußte i ch erst nussehen! Ich kam in ein fremdes Land und drückte einein unbekannten Portier mein Billett in die ausgestrccktc Hand, statt einer Visitenkarte, wie cs sich eigentlich gehört hätte. In der fremden Stadl sah ich grün- vatinicrte Kirchcnknppeln sich wölben und Kirch- türme. die gotisch in den Himmel turnten. Bettler lauerten vor den Kirchentüren und Bettlerinnen mit Bartstoppeln, sozusagen schlecht rasierte Bettlerinnen. Sie lauerten den Gläubigen auf und überfielen weiche Seelen mit einer frommen Litanei. Kinder, Greise und Frauen warfen den Bettlern Geld in den Schoß und dachten sich dabei: Gott sieht cs. Ich schaute in fremde Bureauraume, und die Leute, die dort arbeiteten, trugen Schutzärmel, schwarze, genau wie bei uns daheim. Blonde und anders gefärbte Mädchen saßen über Schreib maschinen und dachten an die sechste Stunde, welck)c die Stunde der Erlösung für die Frauen diese» Jahr hundert» zu sein pflegt. Aber es war erst kaum nach zwei. Don einem nahen Glockenturm fiel ein Viertel'tundenschlag in den Bnrcauraum, und die Mädchen horchten auf, denn es konnte, wer weiß, ein Wunder sich ereignen und sechs schlagen. Aber, als wäre cs bei une, blieb es hartnäckig ein Viertel nach zwei, und die Mädchen klapperten rüstig weiter. Auel; in dcn fremden Ländern sind die Uhren seelen lose Maschinen. Und die Mädchen werden cs auch... Ich kam in ein Spital, und es roch nach Kampfer und Jodoform, wie alle Spitäler der Welt. Die Krankenschwestern llatterten mit breiten, weißen Hauben, wie mit gesteiften Flügeln, von Bett zu Bett, und die Kranken stöhnten so bekannte Laute, daß cs mir heimatlich wurde. Offenbar, dachte ich, sprechen die Menschen nur dann fremde Sprachen, wenn sie gesund sind. Aber der Schmerz ist die größte und siegreichste Internationale und sein Aus druck überall verständlich, wie Musik. Auch in den Gärten der fremden Stadt war ich, wo die Liebe blühte. Frauen und Männer gingen hier und saßen zusammen auf dcn Bänken und ver- sichcrten einander, daß sie sich liebten, was höchst überflüssig war, denn man merkte es ohne weiteres. Der Abend ging in den Alleen hin und her und wartete auf die Nacht wahrscheinlich. Ein Schutz mann stampfte einher und bemerkte ihn gar nicht, obgleich es doch seine Pflicht ist, alles Verdächtige kofort auszuschreiben. Die Menschen sprachen anders. Die Häuser sahen anders aus. Es war kurzum ein fremdes Land. Aber, was maßgebend ist und die Nationen der Welt eigentlich repräsentiert, nämlich die Grenzgendarmco und die Zollwächter — sie sind hier und dort einander gleich. Sie haben alle Pentehände und tastende Blicke, die körperlich sind. Ich weiß nicht, was jemand zu erzählen hat, wenn er eine Reise tut. Ich konnte jahrelang zu Hanse sitzen und zufrieden sein. Wenn nur nicht die Bahn böse waren. Man glaubt, sie riechen nur nach Braunkohle, aber es sind eigentlich Versprechungen der Ferne. Und man glaubt, ein schriller Laut, der die Nacht durchschanert, sei nur ein Pfiff der Loko- Motive. Und es ist ein §chrei der Sehnsucht. Und wunderschöne Frauen steigen gelegentlich zu einem ins Abteil... Scherenschnitte Von Erich Eisbein (Leipzig) zeigt das Museum für Buch und Schrift (Zcitzer Straße) etwa fünfzig Scherenschnitte. Die Arbeiten, aus den Jahren 1920—23 stammend, geben eincn guten Ueberblick über die Entwicklung des Künstlers, der noch in jugendlichem After steht und doch schon rin mannigfaltiges Schaffen aufzuweisen hat. Soviel sich erkennen läßt, ist er vom Ornamentale« «u»- gegangen, für das ja gerade in jenem Moment die Kunstcer eine exzessive Vorliebe bekundeten. Es war in diesem Falle aber ein guter Instinkt, der den Silhouettcnzeichner zunächst am Abstrakten den S nn für Kraft, Eigenart, Ausdrucksfähigkeit der Linie und das Ausbalancieren der Heu- und Lunkelwrrte erproben ließ. Die Eigenschaften, die er hier ent wickeln konnte, sind ihm nicyt verloren geg .ngcn, wenn er auch in Zukunft dem Figürlicyen viel Spiet- raum ließ. Er entdeckte nämlich sehr vald, was d.n Kern seiner Begabung ausmacht und sich aufs glück lichste mit seinem Liniengefühl verbindet: Erzayler- tatent und Humor. Dieser Lust am Fabulieren, an der poetischen Erfindung, an der grotesken Umgestal tung der Wirtlichkeit hat er sich mit einer gesunden Naivität, unbekümmert um zeigemiißc Theorien, überlassen. Wir beobachten an diesem Beispiel nicht ohne Genugtuung, daß Kräfte, die von alters her in der deutschen Kunst wirksam waren, auch heute noch lebendig sind und immer wieder ans Licht kommen. Besonders gern schöpft die Phantasie Eisbeins aus dem Quell volkstümlicher Vorstel lungen. Legenden, Balladen, Märchen und Schnurren haben in ihm diese Schar von Teufeln, Hexen, Waldgcistcrn und Ungetümen wachgerufen. Dem Kampf in den Lüften und der Walpurgisnacht widmet er große Blätter, der Geschichte von Schnei ders Höllenfahrt eine ganze Serie, den Drachen, die in ihrer gewichtigen Plumpheit allerlei Kurzweil treiben, Szenen von einer piontierten Komik. Weniger glücklich ist er, wenn er sich dem klassischen Altertum zuwendet; Orpheus und Eurydik z. B. erhalten in seiner Darstellung etwas Täppisches, ohne daß man cs doch als Offenbachiadc nehmen könnte. Was die Bilder zeichnerisch so reich und fesselnd macht, ist ebensosehr der charakteristische Schattenriß im einzelnen, wie Zusammenhalt und Schwung d:r ganzen Komposition. Wie entzückend etwa die kleinen Figuren der Leidenschaften, die auf Kranichen durch dcn Raum segeln; welche Mannigfaltigkeit der Bildgestaltung in den verschiedenen Blättern der Schneiderserie! Kleine Unebenheiten kommen da neben kaum in Betracht. Daß manchmal zu viel massives Schwarz stehen bleibt, in seltenen Fällen der Maßstab zu groß gewählt wird oder das Laub der Bäume eine Zeitlang etwas Gestriegeltes hat, sind Dinge, die der Künstler selbst bald wieder kor rigiert. Bedenklicher erscheint mir ein Versuch, der in dem letzten Zyklus „Gestalten des Todes" ge macht wird. Abgesehen davon, daß das Th ma seinem Temperament nicht besonder» liegt, stört hi« da» Experiment, landschaftliche Motive mit Raumillusion darzustellcn. Die Silhouette ist ihrer Natur nach auf das Flächenhafte angewiesen, und wepn sie die eine Ebene, auf die die Schatten proji ziert werden, aufgibt, läßt sie sich auf eine Konkur renz mit dem Holzschnitt ein, bei der sie unter liegen muß. Nicht nur, daß das Verfahren der ihr eigentümlichen Technik widerspricht — Gelände- streifen und Figuren erhalten auch, wie mehre « Beispiele zeigen, leicht etwas Verschobenes und Unbestimmtes. Hoffen wir, daß dieser Versuch, der heute ja viele lockt, bei Eisbein nur eine Epi sode bedeutet. — In einem benachbarten Zimmer findet man eine Anzahl Aquarelle, Zeichnungen, Holzschnitte, Ra dierungen von Kurt Wild-Wall aus Drrs- dcn, überwiegend Arbeiten, die vorerst wenig eigene Phhysiognomic erkennen lassen. 0r Vif Sakrsr Der Freiheitspreis der Universität Heidelberg. Die Universität Heidelberg schreibt zum erstenmal den „Deutschen Freiheitspreis an der Universität Heidel berg" (Eerhard-Anschütz-Preis) aus. Als Preis- aufgabcn wurden zur Wahl gestellt: 1. Macht und Freiheit als Ziele der deutschen nationalen Bewegung von 1848. 2. Listenwahlsystcm und Führerauslese. Maximilian Harden, der sich zur Er holung von den Folgen des Attentats in dem hol ländischen Badeort Nordwijk on Zee aufhält, hat einem Vertreter des Handelsblad mitgeteilt, er werde noch in den nächsten Tagen nach Berlin zurückkchrcn und bald wieder seine Zeitschrift Die Zukunft erscheinen lassen. Außerdem wird er in Buchform eine Anzahl Aufsätze über Sarah Bernhardt veröffentlichen, die er während seiner holländischen Erholungszeit geschrieben hat. «uS den Theatcrbureaus. (Atlidttsche Bühnen.) An de» Kassen der drei srttdtiscben Theater werden von lebt ab Eintrittekarten sür die folgenden Tage auch abends nach Beginn der Vorstellung vertäust. Mit dieser Einrichtung bösst die Tbeaterleitung, vielen Wünschen Rx-nung zu tragen. Im Neuen Opercrientveater gelangt wegen alftu großer Naebtragc auch DicnStag, den 22. Mat, .Madame Pompadour- zur Ausfirhrung. Walter Grave, dessen Vortrag nach 14>ährtger Büh- neniMigleit «m Herbst 1W3 endet, löst seinen «ertrag, nm sich von der Bühne zurück',uftehen und eincn anderen Berus zu «rgreisen. Er wird sich in der am Sonnabend, den 2V. Mai. stattsindenden Ausführung .Di« Fleder maus- als Eisenstein von seinem großen Freunde-trel^ verabschioden. An discm Abend baben einig« Opernkrafle tdrc Mitwirkung sür deg 2. Akt zugesagt.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)