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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 18.05.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-05-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192305185
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230518
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230518
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-05
- Tag 1923-05-18
-
Monat
1923-05
-
Jahr
1923
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krettsg, 6en 18. LL«! ^a^esberickt Dokumente zum Frankfurter Parlament Eine interessante und dankenswerte Ausstellung veranstaltet das Stadtgeschichtliche Museum anläß lich der 75. Wiederkehr der Eröffnung des Frankfurter Parlament» am 18. Mai 1848. Sie offenbart bisher unbekannte Schätze der Museums sowie des städtischen Archivs und des Polizeiamtes. Die Ausstellung berücksichtigt auch die Sozialbewegung der Revvolutionszeit und die Widerspiegelung der Ereignisse in der Karrikatur und der Dichtung. Wir nennen von besonders interessanten Stücken die Dokumente, die sich auf das Vorparlament (31. 3. bis 3. 4. 1843), auf dem Haler-Putsch und die Ilebertragung des Neichsverwesersamtcs auf Erz- Herzog Johann von Oesterreich beziehen. Auch das Original der „Grundregeln des deutschen Volkes", die erstmalig die Vereins- und Versammlungs freiheit festlcgten, ist ausgelegt. Sehr interessant ist die Zusammenstellung der mannigfachen, teils ernsten, teils satirischen Stimmen aus allen deutschen Landen für und wider die Ernennung Friedrich Wilhelms IV. von Preußen zum „Kaiser von Deutschland" und die Anbietung der Kaiserwürde durch den Parlamentspräsidenten von Simson. — Besonders wertvoll dürften die ausgelegten Einblatt- drucke Freiligraths, u. a. seine stark umstrittene Schrift „Die Toten an die Lebenden" sein. Die zeitgenössischen Freiheitsdichter Herweg, Deck und Braß, sowie die Oesterreicher Castelli Franke („Die Universität"), Sophir und Rollett sind gleichfalls gut vertreten. — Die ersten ^kümmern des „Kaddera- datsch" von 18484 dürfen neben anderen Witzbält- tern der damaligen Zeit (u. a. das Leipziger „Reibeeiesn") nicht fehlen. — Geistvolle Karrikaturcn von v. Boddien und Pecht und die Darstellung von Abgeordneten (u. a. Karl Matt) als Hampelmänner schließen sich an. In der Ausstellung des Oberqescboffes erscheint, zumal für Leipziger besonders interessant, das reiche Material, das sich mit der Ernennung des Leip- zigers Robert Blum zum Nationalvertreter in Frankfurt a. M. und seiner Erschießung in der Wiener Brigittenau befaßt. U. a. befindet sich das Original seines im Leipziger Tageblatt von 1848 veröffentlichten Briefes, in dem er seine Wahl annimmt, unter den ausgeegten Schriftstücken. — Wer davon überzeugt ist, daß die unglückliche poli tische Entwicklung nach 1849 ihren Niederschlag in manchen Ereignissen der späteren und der Jetztzeit findet, wird mit ganz besonderer Anteilnahme viele Dokumente aus den Tagen des Frankfurter Paria- ments studieren. n—I. Große Spiele rprozesse in Altenburg. Die Alten burger Polizei hat vor kurzem in mehreren Nächten hintereinander große Spielklubs ausgehoben, denen neben kleineren Leuten auch reiche Kaufleute und Fabrikanten und selbst Polizeibeamte angehörten. 26 von den Spielern hatten Strafmandate von ;e 100 000 bis 300 000 Mark zu bezahlen. Die Leiter eines dieser Klubs, Gentsch und Weigel, die 5 und 7)4 Prozent des Umsatzes an den Spielaben den zu nehmen pflegten, wurden von der Straf kammer in Altenburg zu 5 und 4 Monaten Ge fängnis und je 100 000 Mark Geldstrafe verur teilt. Zwei Angeklagte erhielten je 2 Monate Ge fängnis, 16 Angeklagte Geldstrafen von 25 000 bis 1025 000 Mark. Weitere 50 Elücksspieler werden sich in einem zweiten Prozeß zu verantworten haben. Religiöse Duldsamkeit. Nach 25jähriger Unter- brechung ist es in S t o l p e n auf Ersuchen der katho lischen Glaubensgenossen durch das Entgegenkommen des evangelisch-lutherischen Kirchenvorstandes gelun- g.n, in der dortigen Gottesackerkapelle den katho lischen Gottesdienst wieder abzuhalten. Bestrafung eines Viehwucherers. Der Viehhänd ler Louis Wolf aus Lolditz hatte von einem Landwirt einen Dullen für 454 000 Mark gekauft und ihn auf dem Leipziger Dieb- und Schlacht hose für 664 000 Mark verkauft. Weiter kaufte er einen anderen Bullen für 405 800 Mark und ver kaufte ihn nach acht Tagen für 730 500 Mark. Wolf wurde zu vier Monaten Gefängnis und 90 000 I-elprlger rur<! Mark Geldstrafe verurteilt; die erzielten Ueber- gewinne werden eingezogen. Sin Waffenfuud in Erfurt. Uns wird gedrahtet: Am Mittwoch nachmittag wurde von der Erfurter Kriminalpolizei in einem Parkgrundstück im Steiger unter Dielen versteckt ein Waffenlager gefunden und beschlagnahmt. Gefunden wurden u. a. zwei schwere Maschinengewehre, ein Schulter-Maschinengewehr, 25 Gewehre, Modell 98, und eine größere Anzahl Handgranaten. Feststellungen zur Ermittelung der Eigentümer sind im Dange. Abermalige Verdoppelung der Postgebühren? Im Reichsposiministerium haben am Donnerstag die Beratungen über die neuen Tarife für die Post gebühren begonnen. Bisher steht weder der Zeit punkt für die Einführung der neuen Tarife noch die Sätze fest. Vermutlich werden sie im allgemeinen verdoppelt werden. Neue beschleunigte Personenzüge Dresden—München und Leipzig—Dresden—Breslau Für den Sommerfahrplan ist die Einlegung n-uer beschleunigter Personenzüge mit 2. bis 4. Klasse in Aussicht genommen, und zwar wie folgt: Richtung nach München: ab Dresden Hbf. vorm. 7.20, ab Chemnitz Hbf. 9.40, in Reichenbach 11.25 (ab Leipzig vorm. 9.20, in Reichenbach o. B. 11.35), ab Reichenbach 11.45, in Hof nachm. 1.25, in Regensburg 5.37, in München abends 8.56. Richtungvon München: ab München vorm. 11.10, ab Regensburg nachm. 2.01, ab Hof abends 6.31, in Reichenbach o. B. 7.59 (ab Reichenbach 8.19, in Leipzig 10.22), ab Reichenbach 8.09, in Chemnitz Hbf. 9.48, in Dresden Hbs. abends 11.50. Richtung Breslau — Leipzig: ab Bres lau abends 8.47, ab Liegnitz L54, ab Görlitz nachts 12.28, in Dresden-N. 2.45, in Dresden Hbf. 3.00, ab Dresden Hbf. 2.50, ab Dresden-Neust. 3.06, in Leipzig Hbf. früh 5.35 (Uebergang für Reisende Breslau— Leipzig in Dresden-N.). Richtung Leipzig — Breslau: ab Leipzig Hbf. nachts 12.40, in Dresden-N. früh 3.13, in Dres- den Hbf. 3.28. ab Dresden Hbf. 3.16, ab Dresden-N. 3.32, in Görlitz 5.56, in Lieanitz 8.13, in Breslau 9.22 vorm. l'.lÜbergang für Reisende Leipzig—Breslau in Dr-sd-.' N.). -* Väderzüge Die in den öffentlichen Fahrplänen verlautbarten Schnellzüge zwischen Reichenbach und Bad Elster/ Eger verkehren vom 15. Mai an. Es ergeben sich dann folgende Verbindungen mit Bad 'Elster und Bad Brambach: Ab Dreeden-Hauptbahnhof 10.47 Uhr vormittags, ab Leipzig-Hauptbahnhof 11.45 Uhr vor mittags, an Bad Elster 3.56 Uhr nachmittags und an Bad Brambach 4.27 Uhr nachmittags. In der Gegenrichtung: Ab Bad Brambach 1.58 Uhr nach mittags, ab Bad Elster 2.22 Uhr nachmittags, an Dresden-Hauptbahnhof 7.33 Uhr nachmittags, an Leipzig-Hauptbahnhof 5.55 Uhr nachmittags. Die dritte Rigaer Ausstellung wird von ita lienischen Industriellen umfangreich besucht werden. Zu diesem Zwecke ist eine mehrere hundert Quadrat meter große Fläche belegt worden. Unter anderen italienischen Industriellen werden auch die weit- I bekannte Autofirma „Fiat" sowie die „Societa An. Zt. Ing. Nicolo Romeo L Co., Milano" (landwirt schaftliche Maschinen) teilnehmen. Der Lettländische Zentralverband hat von sich aus auf der Ausstellung 1 Hektar Land gemietet, um daraus die ver schiedenen Kunstdüngemittel praktlsch aus- zuprobieren.Die Bevölkerung Litauen» wird sich in diesem Jahre in weit stärkerem Maße als bisher al» Einkäufer auf der Rigaer Messe beteiligen. In der Heimindustrie-Abteilung der dritten Rigaer Aus stellung werden die tschechoslowakischen Heim industriellen eine reichhaltige Kollektion ausstellen. Die lettländische Heimindustrie wird aufgefordert, sich ebenfalls mit ihren Erzeugnissen zu beteiligen, um die Kunst und den Volksstil Lettlands zu zeigen. Oer Geist -er pautskirche Zum 75. Jahrestag der Eröffnung der - ersten deutschen Nationalversammlung in der Paulskirch« zu Frankfurt a. M. er scheint im Verlage der Frankfurter Sozietätsdruckeret G. m. b. H. ein Gedenk buch unter dem Titel „Der Deist der Pauls- kirche", da» eine Auswahl von Reden ent hält. Al» Prob« darau» geben wir hier einige Stellen au» Reden über Völker bund und Abrüstung, di« heute wieder zeitgemäß erscheinen. Arnold Rüge von Breslau: Ich stelle den Antrag: „Da der bewaffnet« Fried« durch seine stehenden Leere den Völkern Europa» eine unerträgliche Bürde auferlegt und di« bürger liche Freiheit gefährdet, so erkennen wir da» Be dürfnis an, einen Völkerkongreß in» Leben zu rufen, zn dem Zwecke einer allgemeinen europäischen Entwaffnung." ... Da» System der Kongresse wird erst daun ein wahres, wenn die, welche den Kongreß bilden, vom Volke zum Kongreß gewählt sind; dir wahren Kongresse find nur die Dölkerkongresse, die falschen sind die Diplomatenkongresse... Ich schlage vor, daß da» denkende Volk der Deutschen, welche» e» sich zur Ehr« schätzt, da« einzige Volk zu sein, da» die Philosophie konsequent fortgebildet hat, ... die Initiative ergreife in dem großen Gedanken (der all gemeinen Entwaffnung) und daß e» den übrigen Völkern diesen Gedanken an» Herz lege . . . ...Daß da» Heer unter der genauen Kontrolle der givilmacht gehalten und von der Zivilmacht absolut beherrscht werden soll da» ist ein Grundsatz der amerikanischen Konstitutionen, welcher, von Washington eingeleitet, in alle Einzelverfaffunaen übergegangen ist: und es ist eine Maxime, welch» durchaus in die deutsche Konstitution und unter die Maximen des öffentlichen Verhalten» eingereiht, dir aber auch in da» europäische Dölkerrechtssystem hineingelegt werden muß. Denn wir müssen den be waffneten Frieden, welchen aufrechtzuerhalten ein« Unmöglichkeit ist, abschafsen, nicht nur, weil e» ein« Unmöglichkeit ist, sondern auch, weil er eine Barbarei ist, ein ganz verkehrter Weg gegen alle Ordnung der Freiheit, gegen die neue Ordnung, gegen die demo kratische und republikanische Ordnung, di« wir gründen wollen... Hermann v. Beckerath von Krefeld: ... Das den Antrag betrifft, welcher einen Völker kongreß veranstaltet wissen will, um zum Ziele einer europäischen Entwaffnung zu gelangen, so glaube ich, daß man diesen Vorschlag zwar nicht eine Utopie, aber doch eine Antizipation nennen kann. Wenn ich auch die erhabenen Grundsätze br» Christenrums, auf die man sich berufen hat, nicht in eine so unmittelbar« Verbindung mit der Staatssorm »u bringen vermag — d.nn eine solche ist zwischen dem, wa» ewig uno was vergänglich ist, ni«mal» im engeren Sinne vorhanden —, so trete ich doch der Ansicht bet, daß diese Grundsätze immer mehr und mehr das Leben der Völker durchdringen, daß sie bas Bewußtsein der Nationalitäten veredeln, ihre Schroff heiten mildern und daß sie endlich eine höhere Voll endung der Menschheit, ich will sie einen allgemeinen Völkerbund nennen, herbeiführen werden. Aber, meine Herren, wenn wir, im Hinblick auf diese» Ziel der Humanität, da» wir in fernster Zeit erst zu er reichen hoffen können, wenn wir daraufhin jetzt unsere politischen Handlungen einrichten wollen, so würden wir abermals beweisen, daß wir, wie schon so ost gesagt worden, zwar ein philosophische», aber kein praktisches Volk sind, daß wir zwar den Ge danken der Zukunft vor allen anderen Völkern zu er lassen, daß wir aber im Boden der Gegenwart kein« festen Wurzeln zu fassen vermögen... Robert Blmu von Leipzig: Man sagt uns bei jeder Gelegenheit, die alte Zeit ist tot, die neue hat begonnen! Wa» war denn die alte Zeit in Beziehung auf den diplomatischen Verkehr oder vielmehr in bezug aus die so genannten völkerrechtlichen Verhältnisse? Sie war nichts anderes als eine Reihe von Dynasten- bündnissen, geschlossen höchsten» in zweiter Rück ficht mit dem Hinblick auf di« Böller, aber g»schloss, vor allen Dingen 1» Interesse derer, di« di, Dc schicht« gepachtet zu haben meinten, die in sich allein verkörpert sahen die Völler und Staaten, Bündnisse, di« nur dcau dienten, entweder der gegenseitigen Herrschaier Schrank«, zu setzen oder die gemeinsame Gewaltsteüuna zu erhalten und zu verstärken. Dies» unheilvollen Bündniss« haben uns in früherer Zen wie in jüngerer Resultat« geliefert, auf die wir merk lich nur mit dem tiefsten Schmerz zurückblicken, aus denen wir aber uns auch Lehren schöpfen müssen, dl« niemal» verlorengehen dürfen. Diese Bündnisse waren es, dir unser Vaterland eine undenkliche Zeit hindurch aufgehaltrn haben, ein Große» und Ganzes zu werben. Sie waren es, die seine Zersplitterung nicht nur genährt, sondern fi« auf künstliche Weise erhalten und verstärkt haben. Sie waren es, die die Feindseligkeit der Stämme und die Spannung der einzelnen Abteilungen des Volke» kervorriefen, die sogenannten Kirchturmintereflen in den Vordergrund schoben, um — die Blick« abrulenken von dem, was not tat, von dem Bewußtsein, daß Deutschland nicht eher Geltung im Bund europäischer Völker gewinnen könne, al» bi» es ein freie» Volk geworden; welche dir Stämme selbst teilten in bewaffnete und un bewaffnete Bürger, sie gegeneinander hetzten und in feindselige Stimmung brachten, damit die bewaffneten nur eine dienstbare Gewalt seien für dir Tyrannei, um di« einheimische Freiheit und dir Einheit damit zu untergraben. Sie waren es, die mit beleidigendem Hohne di« Grenzen de» Vaterlandes »«schließen und den inneren Wohlstand, die Gewerbe und den Handel vernichten ließen, um zu liebäugeln mit der Despotie, in der sie ihren Stützpunkt fanden. Sie waren es, die nach 33 Jahren de» Frieden» üns in den Zustand ge bracht haben, daß da» Elend herrscht im Baterlande ,md sein Mark aufgezehrt haben, unnötigerweise. Sie waren r», die etn Volk, welche» von der Natur dazu bestimmt scheint, diesem Weltteil« Gesetze zu diktieren, ausgestrichen haben au» dem Rate der Völker und e« herabgebracht haben bi» dahin, wo e» nicht» mehr gilt. Diese alte Zeit, sagt man un», ist untergegangen, und ich glaube, sie ist e». Allein sie ist untergegangen in einer Weise, wie man e» un» ein Menschenalter lang al» unmöglich gepredigt hat, daß sie unteroeheu werde; sie ist untergegangen durch das Mittel, durch welche» sie sich geschaffen und erhalten hat, durch die Gewalt, durch eine stärkere Gewalt, als sie selbst hatte und der sie Kat erliegen müssen. Ist es ein Wunder, wenn sich nach dem allgemeinen Bruch dessen, wa» sich für unzerstörbar au»gege n, der Blick und di« Herzen hinwenden nach dem Pu inte, wo man zuerst den Mut hatte, die alte Zeit zu brechen, und wo man an die Stelle der Gewalt da» Evangelium der Neuzeit, die Freiheit setzte? Wahrlich, man Di« cür ^«ipr^er 7a-«ö!att«s s Vck-e Stt/. inooack^bsit Lnp/ebiunp so» SaetetStt«^ Lmcue^mAv^abac«, «ea-., tza-e» Leoktssiti-e ckse- tte-t i« Ms ich Bismarck porträtierte. . . Bon «cksn» Settsrlov, Au4 dem sehr interessanten und wohlauS- ricslallcien Mcmoirenbano. den der Künstler unter dein Titel „Mit Pinsel und Palette durch dic grotze Welt" soeben bei tt. S. Koehler in ».'cip-iq erscheinen ließ. Bei den „Sitzungen" ging Bismarck meistens auf und ab und sprach dabei unablässig zu mir, zumeist über Politica. Ich habe nie in meinem doch recht rvcchselreichen Leben einen Menschen getroffen, der mit solcher Meisterschaft wie er es verstanden hätte, auch im behaglichsten Gespräch, ohne daß der andere es merkte, diesen auf das zu bringen, was den Fürsten interessierte, anderseits ihn gar nicht erst auf ein Thema kommen zu lassen, über das er eigentlich sprechen wollte, über das sich zu äußern der Fürst aber keine Lust hatte. Als ich ihn fragte: „Wie finden Durchlaucht das Bild?" sagte er: „Ich sehe mich nur in dem Spiegel, wenn ich mich rastere, und dabei schneide ich Gesichter, und ich würde Ihnen höllisch auf den Kopf spucken, wenn Sie mich malten, wie ich Gesichter schneide." Solche Till- Eulcnspieael-Bemerkungcn machte er oft. Da ich im englischen Auftrage dort war, sprach er oft englisch mit mir, merkwürdigerweise ohne jeden amerikanischen Akzent, obgleich er sein Eng lisch in jungen Jahren von seinen amerikanischen Freunden gelernt hatte. Lebhaft interessierte er sich für die politischen Verhältnisse in England und fragte mich viel danach, z. B., wie die große Menge der Wähler („des Stimmviehs") die Führer und deren Politik beurteile. Versehentlich besaß ich nämlich sogar selbst das Parlamentswahlrecht in England, obgleich ich nie daran gedacht hatte, mich dort naturalisieren zu lassen. Aber mein Name (wenn man das „c" ausläßt, was auch kein Eng- länder je schrieb) klingt ja englisch, und Englisch sprach ich wie die, die in Oxford studiert halten. „Sie haben dieses Jahr drüben schon da» alte Weib gemalt?" fragte er eines Tage«. Ich fiel dar auf rein, indem ich erwiderte, aus dem Porträt der alten Queen wäre bis jetzt noch nichts geworden. „Die meine ich nicht, sondern die Persönlichkeit, die acht Stunden lang im Parlament in wohlgesllgten l Sätzen sprechen kann, ohne einen einzigen politischen I Gedanken dabei zu äußern." Er meinte damit Mr. I Gladstone, der viermal englischer Premierminister gewesen war. Don der auswärtigen Politik hat er mir vieles erzählt, was er dann im zweiten Teil seiner „Ge danken und Erinnerungen" niedergelegt hat. Immer wieder kam er auf das Thema der Allianzen zurück, weswegen schon Graf Schuwalow zu ihm gesagt hatte: „Vous aver Io cauokemar äes sllisnoes." Das Aufgeben des Nückversicherungsvertrages mit Rußland drückte ihm das Herz ab. „So überlegen wir auch jedem einzelnen Gegner sein werden, wenn es zum Klappen kommt — und das wird e» in ab sehbarer Zeit bei dem Neid der anderen Nationen auf unser rapides Wachstum —, so haben wir doch eben nur Oesterreich als Bundesgenossen, und das langt nicht. Der einzige Vorteil, den uns Oester reich bietet, wird der sein, daß es große Mengen der russischen Armee auf sich zieht." Als ick er widerte, der Rückversicherungsvertrag sei ein so komplizierte» Instrument, daß nur er allein es meistern könne, und keiner von seinen Nachfolgern imstande sei, damit fertig zu werden, sagte er: „Das ist richtig, aber es ist schlimm, sehr schlimm. Denn der Rückversicherungsvertrag ist die einzige Möglich keit, daß England sich nicht einmischt aus Angst vor Rußland, das durch den Kaibar-Paß in Indien ein marschieren könnte, und daß Rußland sich nicht ein mischt aus Furcht vor einem Angriff der Eng länder." Wir schwiegen beide und dachten wohl beide dasselbe. Ob er gefürchtet hat. daß die Un fähigkeit seiner Nachfolger eine Koalition fast der ganzen Welt gegen un» zustande kommen lassen würde, wie wir es im Weltkriege erlebt haben? In der inneren Politik beschäftigte ihn am meisten da» Heranwachsen der Sozialdemokratie. „Alle», wa» Sie hier sehen, dieser uralte Wald, den mir die deutsche Nation geschenkt hat, mein Sohn wird ihn nicht besitzen; er wird sozialistisch in kleine Parzellen aukaeteilt werden." Daß seine beiden Söhne, Herbert und Dill, damals noch keine Söhne hatten, war ein Punkt, der ihn sehr bewegte, und auf den er im Gespräch mit mir wiederholt zurück kam. „Nun habe ich in meinem Leben vielleicht mehr erreicht al« irgendein Mensch in den letzten hundert Jahren, ausgenommen höchsten» den ersten Napoleon; aber ein« hat mir da» Schicksal doch ver- saat, wa» e« fast jedem Briefträger gewährt: daß sich mein Name in meiner Familie fortpflanzt.' Meinen -inwei» auf die Enkel seine» Bruder» Btzrn- Hard ließ er nicht g«ltm„ »Das find uicht mein« Nachkommen!" Mich frappierte da», aber e» zeigt, daß auch der gewaltige Staatsmann, dessen De- danken die Welt umfassen, darüber nicht den aus- geprägten Familiensinn verliert. Damals, drei Jahre nach seiner Entlassung, be schäftigte er sich mit der Politik nur noch kritisch, um so intensiver aber mit der Verwaltung seiner Güter und der Verwertung ihrer Erzeugnisse. So zeigt« er mir die Fabrik, wo aus den Stubben (den aus gerodeten Wurzeln der gefällten Baume) die Klötze zum Holzpflaster der Stadt Turin hergestellt wur- den, und erklärte mir lackend: „Da« haben di« guten Turiner bestellt, nicht gerade, weil e» da» allerbeste Holzpflaster gibt, sondern weil es von den Bismarckschrn Bäumen kommt." Die ungeheure Popularität nach seinem Sturz tat ihm wohl. E» war ein ewige» Kommen und Gehen von Leuten, die am sausenden Webstuhl der Zeit saßen und den alten Kanzler aussuchten wie die Griechen da» delphische Orakel. Ich entsinne mich noch de» russischen Botschafter», Grafen Schuwalow; des ehemaligen Statthalter» von Elsaß-Lothringen, Fürsten Chlodwig Hohenlohe: des Fürsten Henckel Guido von Donnersmarck und einer Menge anderer, die ohne amtliche Stellung in ihren Län dern eine führende Rolle spielten. Noch mehr Freude machten ihm aber die kleinen Leute. Wenn die ihn recht zahlreich um 11 Uhr an der Ausfallspforte er- warteten, dann nahm sein Gesicht einen väterlich freundlichen Ausdruck an. Oefter» „kontrollierte" er mich beim Landschafts malen im Park. Dabet sagte er mir einmal: „Don hier au» malen auch junge Hamburger und Lübecker Damen oft Landschaften, aber deren Landschaften laufen gewöhnlich den Berg rauf. Die Damen sind meisten» viel hübscher al» Sie, aber von ihren Bil dern kann man da» nicht behaupten." Er war übrigen» ein recht strenger Kritiker. Eine» Tage» nahm er einen meiner Pinsel und zeichnet« mir mit dem verkehrten Ende ein paar Daumlvitzen in mein Bild, di, ich ausgelassen hatte. „Da» haben Sie wohl der Komposition wegen getan? Darauf pfeif' ich: hier bin ich der Grundherr, hier verlang» ich, daß jeder einzelne der Bäume, di« mir an» Herz gewachsen find, auch auf» Bild kommt!" Leider ist mir diese» Bild, in dem ich natürlich Bismarck» Pinselspuren unverändert ließ, und da« ich al« eine teur, Reliquie bewahrte, bei einem Einbruch ge- stehle« morden. Für die Kunst selbst hatte Bismarck, wie schon gesagt, nicht» übrig. Ich habe selten in meinem Leben «In so geschmacklos eingerichtete» Zimmer ge sehen wie da», in dem ich ihn malte. Das Prunk- stück war eine enorme Chaiselongue von fast drei Meter Länge, bedeckt mit einem türkischen Teppich au» — Wurzen, mit einer ffarbenzusammenstellung, daß jeder Orientale ausgrbrüllt hätte vor Augen- schmerzen. Dann ein große» Büfett, wie es die Vereinigten Möbeltischler Berlin» damals für tod schick hielten, auf dessen vielen Konsolchen abwech selnd wundervoll» alte Bronzen und Blumentöpfe mit Papiermanschetten standen. Dann etn riesiger Buddha, ein Geschenk, da» die in Ostafien wohnen den Deutschen ihm zum Grburt»tag gesandt hatten; die dem europäischen Schönheitsideal nicht gerade entsprechend« Physiognomie diese» hinterindischen Götzenbildes entsetzte den Fürsten so, daß er die Statue im Schloßteich ersäufen lassen wollte. Ich machte ibn aus di« wundervolle Qualität und die unglaublich schön, Patina der Bronze aufmerksam und riet ihm, sie dann doch lieber dem Völker museum in Berlin zu stiften. „Na, daß es in seiner Art etwa» ganz besonder» Köstliche» sein muß, kann ich mir ja denken, denn sonst würden mein« lieben Landsleute au« Siam es mir ja nicht geschenkt haben. Denn es wirklich wa» Wertvolle» ist, dann wollen wir'» mit den übrigen Sachen, dir ich nicht brauchen kann, in Schönhausen verstauen. Die liebsten Geschenk« find mir doch immer di», di, man essen und trinken kann." Uutoa Sinclair verhaftet. Wie au» New Dark gemeldet wird, ist Upton Sinclair verhaftet worden. Ueber die Gründe verlautet noch nickt». E« ist nicht da» erstemal, daß Sinclair, dessen Ehicagoer Roman „Der Sumps" wir sein« späteren Werke bi» zu der kürzlich veröffentlichten Schrift „Religion und Profit" auch in Deutschland viel gelesen werden, in» Ge- Änani» wandert. Einmal ist er wegen verschiedener Verstöße gegen da» Sonniagsgesetz (er hatte Sonn tag» Eennt» gespielt) eingesperrt worden. Ein andermal zoa er, al» während «ine» Streik» di: Einigungsverhandlungen an dem Starrsinn Mr. John Rockestller« jun. scheiterten, an der Spitze von Tausenden von Arbeitern vor da« Office der Stan dard Oil Co., um Rockestller »um Linlenken zu und mußt«, damit Rockestller von der kloLde befreit werd« km«M> mrhasttt »«den.
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