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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 17.05.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-05-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192305170
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230517
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230517
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-05
- Tag 1923-05-17
-
Monat
1923-05
-
Jahr
1923
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^»^erberickt Vas Jugendgerichtsgesetz Don Dr. jur. Ld»rrn«>«r Gelt fast zwei Jahrzehnten erstrebt man in Fach kreisen eine Neuregelung der Behandlung Jugend- licher. In den letzten Jahren hat die Bewegung übergegriffen auf die Allgemeinheit, und auch in der Tagespreffe ist die Forderung nach einem Jugend- gerichtsgesetz immer wieder erhoben worden. Dieses Zugendgerichtsgesetz ist jetzt da. Bereit» 1920 wurde dem Reichsrat ein Entwurf vorgelegt. Drei weitere Jahre wurde noch an dem Gesetz gearbeitet, da» jetzt verkündet ist und am 1. Juli 1923 in Kraft treten wird. Dieses Gesetz darf in weitesten Kreisen Beachtung beanspruchen. Die jugendlichen Uebeltäter und ihre Behandlung durch den Richter und Erzieher sind nicht nur für den Juristen, Lehrer, Arzt und Geist, liehen von „Interesse* — jeder Dater und jeder, dem die Verbrechensbekämpfung wesentlicher erscheint als die Verbrecherbestrafung, wird sich mit den Grund- gcdanken diese» neuen Gesetzes vertraut machen müssen. Hcrvorzuheben find vor allem an Neuerungen: Die Strafmündigkeit ist vom 12. auf das 14. Lebensjahr heraufgerückt. Kein 12- und 13jähriger braucht also in Zukunft mehr eine richterliche Be- strafung zu befürchten! Das Gesetz hält diese Bestim mung für so wichtig, daß e» sie bereits mit dem Tage der Verkündung, am 27. Februar 1923, hat in Kraft treten lassen, während die übrigen Bestimmungen erst am 1. Juli Geltung bekommen. So wird in Zu kunft also die Arbeit des Richter» und des Lehrers nicht mehr kollidieren. Erst wenn das Kind der Hand des Lehrers entwachsen ist, untersteht es richter licher Bestrafung. Hiermit ist eine alte Forderung verwirklicht, die darauf ging, Kinder zwischen 12 und 14 Jahren dem Gerichtsbetricbe fernzuhalten. Das Kind, das sich als Mittelpunkt einer großen öffent lichen Verhandlung mit Vorsitzendem, Schöffen, Amtsanwalt, Gerichtsschreiber und Publikum sieht, wird sich in den meisten Fällen nicht nur nicht seiner Schuld bewußter, der Aufwand, der seinetwegen ge. macht wird, schmeichelt vielmehr der kindlichen Eitel- keit. Die Strafen, die häufig bisher im „Verweis* bestanden, und deren Vollstreckung meist durch „Strafaufschub* und „Bewährungsfrist* vermieden werden konnte, standen in keinem Verhältnis »u dem Zauder, den es für ein Großstadtkind bedeutete, Mittelpunkt einer Gerichtsverhandlung zu sein. Die Strafbarkeit eines Jugendlichen zwischen 11 und 18 Jahren wird künftig davon abhängig ge- »rächt, daß der Jugendliche zur Zeit der Tat nach seiner geistigen und körperlichen Entwicklung fähig war, das Ungesetzliche seines Tune einzusehen und seinen Willen dieser Einsicht gemäß zu bestimmen. Der Richter hat also immer zweierlei zunächst zu prüfen: Wußte der Jugendliche, daß sein Tun un- gesetzlich ist, und konnte von ihm, wenn er dies wußte, verlangt werden, daß er die Tat unterließ? Maß- stab für die Beurteilung dieser Fragen ist die In telligenz, die Gesundheit, das soziale Milieu des jugendlichen Täters. Nur wenn das Gericht beide Fragen bejaht, kann überhaupt eine Verurteilung in Frage kommen. Hat der Jugendliche die ihm zur Last gelegte Tat nicht begangen, so ist er freizusprechen. Das Jugend- yericht hat dann nichts mehr zu tun, wohl aber kann der Vormundschaftsrichter einschreiten, wenn der Jugendliche zwar die fragliche Tat nicht begangen hat, im allgemeinen aber sittlich oder körperlich'oer- wahrlost ist. Hat der Jugendliche die Tat begangen, und werden die beiden oben angeführten Grundfrage» be- jaht. dann hat der Richter die Dahl zwischen Strafe und Erziehungsmaßnahmen. Todesstrafe, Zuchthaus und Verweis sind niemals möglich, regelmäßige Strafe wird Gefängnis sein, das getrennt von er- wachsen«» Gefangenen vollzogen wird. Erscheinen aber nach Lage des Falles Erziehungsmaßnahmen ausreichend, so»hat da« Gericht von Strafe abzu sehen. Nur Erziehungsmaßnahmen kommen dagegen in Frage, wenn da« Gericht die Grundfragen ver neint. Erziehungsmaßregeln sind: Verwarnung — deren Wirkung wir bezweifeln möchten —, Heber- Weisung in die Zucht der Eltern bzw. de« Vormundes I oder in die Zucht der Schule; als solche kann nur die höhere und di« Fortbildungsschule in Frage kommen. O) allerdings bisher die höhere Schule Strafgewalt über Vorfälle hat, die mit dem Schulbetrieb nicht im Zusammenhang stehen, und die auch da» Ansehen der Schule nicht gefährden, erscheint fraglich. Weiter können dem Jugendlieben verschiedene Der. pflichtungen auferlegt werden, so Zahlung einer Sühnesumme, Abbitte, Meldung zu bestimmten Zei ten und Orten, Untersagung de« Wirtshausbesuches und andere» mehr. Endlich kann der Jugendliche — außer der im Fürsorge-Erziehungsverfahren zulässi gen Unterbringung — auch noch in neu zu errichtenden Zugendbewahrunasheimen untergcbracht werden. Körperliche Züchtigung darf al» vom Gericht ausgesprochene Strafe und Erziehungsmaßregel nie angewendet werden. Dies die Grundzüge des Reichojugendgerichts- gesetzes in materieller Hinsicht, soweit sie die All gemeinheit interessieren. Jeder einzelne muß helfen, dieses Gesetz, das einen Schritt vorwärts aus dem Wege moderner Strafgesetzgebung bedeutet, als wirk- same Waffe zur Derbrechensvorbeugung zu gestalten. ver vamenspielklub beim Studlenrat Pusfi Uhl, unter den Namen Gräfin Treuberg und Frau v. Fischler in der Lebewelt Berlins be- kannt, und Motte Handwerk, eine nicht minder be kannte Erscheinung in diesen Kreisen, hatten sich zur Gründung eines Damenspielklubs zusammengetan. Sie fanden auch im Berliner Westcn Damen genug, die mit von der Partie waren. Ein Studienrat a. D. stellte den Mitgliedern des Klubs seine Wohnung in der Akazienstraße für die Zusammenkünfte zur Der- fügung. Das Jeu begann und blühte ungestört, bis das Spieldezernat der Kriminalpolizei „Lunte rach*. In der Nacht statteten Beamte dem Klub einen überraschenden Besuch ab. In dem Arbeitszimmer, dessen Wände studentische Erinnerungszeichen an die Heidelberger Zeit des Studienrats schmückten, saßen di« Damen um den Tisch herum, auf dem die Spiel geräte aufgebaut waren. Mit lautem Gekreisch stob die Gesellschaft auseinander, als die Beamten eintraten und alles beschlagnahmten. Nur Pussi und Motte empfingen den Kommissar in aller Ruhe, weil sie an solche Ueberraschungen schon gewöhnt waren. Alle Spielerinnen wurden fcftgestellt. Gtene^raphie al» Pflichtfach in Bavern. Nach Mitteilungen des bayerischen Kultusministers besteht - die Absicht, mit Beginn des nächsten Schuljahres das System Gabelsberger al» Pflichtfach an den baye rischen Schulen einzuführen. Der Schöpfer der Halligbautcn st. In Lübeck ist Geh. Baurat Hartwig Suadicani, einer der be- deutendsten Wafferbaumeister Deutschland«, gestorben. Er hat die Wasserbauten der Schleswiger Regierung bi» 1913 geleitet. Die sogenannten Halligbautrn, die Landgewinnungsarbeiten an der Westküste Schleswig. Holsteins, sind sein Werk. . Tod eines Hundertjährigen. In Husum ist der älteste Bürger Schleswig«, Boy Paysen, im Alter von hundert Jahren gestorben. Er war der letzte Veteran des 43er Krieges. Einbruch in ein Altertumsmnseum. Bei einem nächtlichen Einbruch in das Altertumsmuscum Burg (Schleswig) fielen den Dieben «ine alte Bibel mit Silberbeschlag und die außerordentlich wertvolle Münzensammlung des Museums in die Hände. Unter dem Verdacht der Täterschaft wurden ein Mädchen namens Marta Klau (!). «td ein junger Mann, namens Neumann, verhaftet. Verkauf de» Codex Borso d'Este. Wie dem Wiener Tag aus Rom gemeldet wird, hat Exkaiserin Zita den in ihrem Besitz befindlichen und zu den persönlichen Krongütern des Hauses Habsburg ge- hörigen Codex Borso d'Este aus dem Jahre 14.10 durch einen Pariser Agenten an die italienische Re gierung für 4 550 000 Lire verkauft. Die Dermin- lung des Kaufes besorgte ein italienischer Groß industrieller, namens Treccani, der auch der Kaise rin die Summe vorgestreckt hat. Der Codex besteht aus zwei großen Foliobänden von je 770 Seiten, die prächtige Miniaturbilder aufweisen, und gehört zu den bedeutendsten Denkmälern der Kostiimkunst des 15. Jahrhunderts. I Irrwege bei Neuordnungen deutscher Gemeindeverfaffungen Don Oberbürgermeister vr. RVI» (Zittau), M. d. R. In Preußen und. in Sachsen stehen jetzt neue Gemeindeordnungen zur parlamentarischen Behand lung. Uebcr das endgültige Ergebnis in Preußen läßt sich zurzeit ein Urteil noch nicht gewinnen. In Sachsen hat es aber die Entwicklung mit sich ge- bracht, daß man auf Irrwege bedenklichster Art geraten ist. Die neue sächsische Regierung hat näm lich zu dem seit langem vorliegenden Gesetzentwurf eine Reihe von Abänderungsvorschlägen vorgelegt, die in ihrer grundsätzlichen und praktischen Fehler- Hastigkeit auch für außersächsische Verhältnisse ekn sehr lehrreiches Beispiel dafür geben, wie man nicht Vorgehen darf. Da auch in anderen Staaten die Gefahr besteht, daß der Gesetzgeber den gleichen Irrungen verfällt, so gewinne? diese Vorgänge all gemeine Bedeutung. Zunächst wird in weitestgehendem Maße in da» kommunale Leben der Volksentscheid ringe- führt, und zwar in doppelter Form. Wenn min destens ein Drittel der bei der letzten Gemeinde wahl eingetragenen Gemeindebürger e» schriftlich bantragt, ist in einer Volksabstimmung darüber zu befinden, ob sich die Gemeindeverord- neten einer Neuwahl zu unterziehen haben. Be jaht mehr als die Hälfte der Gemeindebürger die Frage der Neuwahl, so ist sie alsbald anzuberaumen. Cs wird also die Möglichkeit der vorzeitigen Ab berufung der Gemeindevertreter durch Dolksent- scheid geschaffen. Weiterhin können die Ge- meindeverordneten ganz nach Belieben einzelne Angelegenheiten, die' zu den eigenen Ge- schäften der Gemeinde gehören, zur unmittelbaren Entscheidung durch dis Gemeindebürger bringen. Der Gesetzgeber erstrebt mit diesen Vorschriften in Anlehnung an die neue Thüringische Gemeinde- nnd Kreisordnung eine dauernde Uebereinstimmmrg zwischen dem Willen der Wählerschaft und den Be schlüssen der Gemeindeverordneten und eine un mittelbare Einwirkung der Wähler auf die Tätigkeit der Gemeindeverordneten. Diese Absicht erscheint zu nächst gar nicht so übel, bei näherer Prüfung aber ergeben sich aus einer solchen Regelung für die Praxis die verhängnisvollsten Konsequenzen. Die Möglichkeit vorzeitiger Abberufung der Gemeinde verordneten sowohl, wie die Möglichkeit, schwer- wiegende Entimeidungen nicht selbst zu treffen, son- Lern sie der Volksabstimmung zu überlassen, muß naturgemäß die Eelbstverantwortlichkeit der Ge- meindeverordneten auf das schwerste beeinträchtigen, dcnn die Gemeindeverordneten werden damit dauernd unter den Druck der gerade in kommunalen Dingen leicht wandelbaren und durch Eigenrücksichten stark beeinflußbaren Tagesströmungen gestellt. Unruhe und Unstetigkeit der Verwaltung müssen hieraus mir Naturnotwendigkeit resultieren. Weitere Bedenken kommen hinzu. Die von den Gcmeindeverordneten der Volksabstimmung über wiesenen Entscheidungen können sich auf persönlichem und sachlichem Gebiete bewegen. Auf persön lichem Gebiete insofern, als die Dahl der Ge meindevorsteher und der berufsmäßigen Gemeinde- ratcmitglicder der Gesamtheit der wahlberechtigten Einwohnerschaft überlassen werden kann. Die hier gegen bestehenden Bedenken hat selbst die frühere sozialistische Regierung anerkannt. Der kleinere und geschultere Kreis der Gemeindeverordneten ist viel eher in der Lage, Personen von starker Initiative und Personen, die nach Charakter, Wissen und Können die nötigen Bürgschaften geben, für die leitenden Stellen in der Gemeinde herauszufinden, als dies bei einer von den wechselnden Tages strömungen zweifellos niemals unbeeinflußten Wahl durch die ganze Gsmeindebevölkerung denkbar ist. Auch bei der Entscheidung sachlicher Fragen durch Volksentscheid bestehen die gleichen Bedenken; hier aber noch weitere. Wenn man den Gedanken eines Volksentscheides, den wir in der Rrichsver- fassung und in den Verfassungen der Gliedstartcn verkörpert sehen, auch in da« Gemeindeleben ein- führt, so entsteht dadurch in der Praxi» de» öffent lichen Leben» eine Häufung von Fällen, in denen die wahlberechtigte Bevölkerung angerufcn wird. E'n.' solche Häufung hat ohne weiteres eine Beein trächtigung des Wertes dieser Einrichtung und da) Interesses für sie zur Folge. Es schwindet die An teilnahme an den Abstimmungen. Das Ergeb»!» eure» Volksentscheides wird dann nicht die Belun düng de» Mehrheitswillens, sondern entartet zur Willensmeinung nur eines Bruchteils der Gemeinde bevölkerung. Die' schon im bisherigen Gesetzentwurf recht be achtliche Verwirrung in der Zuständigkeits- bestimmung für die Gemeindeverordneten und den Gemeinderat wird durch die neuen Vorschläge wesentlich vergrößert. Der Gemeinderat ist ausführendes Organ der Grmeindeverordneten, aber er hat auch ein Einspruchsrecht gegen Be schlüsse der Gemeindeverordneten. Gleichwohl sollen nun die Gemeindeverordneten zugleich Mitglied::- des Gemeinderates sein können. Dieselbe Person also, die al» Gemcindcvertreter einen Beschluß ge faßt hat, soll dann als Mitglied des Gemeinderates zur Prüfung berufen sein, ob dieser Beschluß aus rechtlichen oder anderen Bedenken zu beanstanden ist. Daß das Widersinn ist, bedarf keiner näheren Begründung. Ebenso zweckwidrig ist der andere Vorschlag, daß die Gcmeindeverordneten ermächtigt werden sollen, die Vorbereitung und Ausführung ihrer Beschlüsse dem Gemeinderat zu entziehen und anderen Stellen zu übertragen. Einheitlichkeit und Kontinuität der Verwaltung scheinen dem Urheber dieses Vorschlages überlebte Erfordernisse zu sein. Drückt man den Gcmeinderat in eine solche Stellung herab, wie sie der sächsische Gesetzentwurf vvrsteht, so werden Personen von starker Schaffenskraft nicht da» Bedürfnis haben, in einem solchen Gemeinderat der Zukunft tätig z« sein. Das Einspruchsrecht Üxs Gemeindcrates aber legt ihm eine Verantwortlich keit in Angelegenheiten auf, in denen er selbst keilte sachliche Entscheidungsmöglichkeit hat. Das ist ein völlig unorganisches Arbeiten der beiden Körper schaften, das in der Praxis zu Reibereien und Iln- zutriigtichkeiten führen muß. Die neuen Vorschläge der sächsischen Regierung sehen schließlich noch eine andere Gestaltung des Aufsichtsrechtes vor. Auch bei diesen Vor schriften hat die neue Gemeindeordnung von Thü ringen Pate gestanden. Die Grenzen der staat lichen Aufsicht wurden enger gezogen, und jwvar Ni- cke« ü-ipriA-r T'aAeölakte» /re-/ s Vs-e av/, rtvonckerkei'ö von ^ommera«-)?«A«roLa/en urio., haben - /Allere,»- Lrcker nnck /Vaefernn^. Sur Situation r>«r Dramas Don Die Enttäuschungen einer Spielzeit geben noch kein Recht, an dem Versagen und der Sterilität der gegenwärtigen dramatischen Produktion zu verzwei- feln oder den Niedergang der deutschen Bühne zu beklagen. Das Theater ist von der augenblicklichen dramatischen Produktion unabhängig, solange es sich nicht törichterweise von ihr abhängig macht. Der literarische Ehrgeiz, von den Jüngsten um jeden Preis da« Neueste zu spielen, ist erfreulicherweise im Schwinden. (Womit die Pflicht der Theaterleiter, der zeitgenössischen Dramenproduktion wache Aufmerksamkeit zu widmen, nicht im mindesten ge lockert werden soll.) Es ist keine neue Erkenntnis mehr, daß da« Theater nicht von Gnaden der Lite- ratur, am allerwenigsten der jüngsten, lebt. Der- sagt sich ihm das geitdrama, so schafft es sich kraft der Erneuerung der Dühnenkunst sein ewig junges Drama au» der zeitloftn Literatur. So unfruchtbar in der Politik der Schrei nach dem großen Mann ist, so leer ist auch das Gerede, daß uns das neue Drama großen Stils fehlt. Ansätze dazu find vorhanden: in Unruh, Kaiser, Toller, Brecht. Anstatt zu raunzen, frage man sich .lieber nach den soziologischen Ursachen, warum all den dramatischen Versuchen, au» dem gärenden Leib der Zeit einen Fetzen Geist zu reißen, «etwas t'ef Unbefriedigende» und Unzulängliches anhastet. Wo iß der Uebershakespeare, der der Aufgabe gewachsen wär», eine von ideellen und gesellschaftlichen Gegen- sätzen zerklüftete Zeit wie die unsere im Drama zu gestalten? Zu gestalten, nicht über sie zu diskutieren! Hinter Shakespeare stand eine große geschloffen« Epoche bestimmter Prägung, eine einheitlich« Gesell schaft in der der Graf und der Dockarbeiter ein ander verwandter waren al» beute der Bürger dem Vü'grr. Jene Zeit besäß das Bewußtsein nationaler Größe, sie war ihr naiver, unverrückbarer Gefühls besitz, ihre Menschen fanden sich wieder in der bnnten Welt de« Dichter«. Da» besitzt unsere Zeit, was ist ihre große Gemeinsamkeit, wo ist da» ver bindende, starke, ungebrochene Erlebni«, wo ist etwas, da» nicht angezweifelt, anhekränkelt. unter wühlt, relativiert witte? Wo ist unsere Naivität, Unser« Undifftren-iertheit, ohne die da« Theater ntMuls ein nationale«, ein Volks Theater sein kann? kW- Fragen enthaften «ch schbn di« Anftvart, warum die gegenwärtige Dramenproduktion im kümmerlichen oder im chaotischen Experiment stecken bleiben muß. * Der neue Dramatiker will Verkünder sein; aber er ist nicht einmal Gestalter, was er zu allererst sein müßte; er will Verkünder sein — und hat keinen Auftrag, ist kein Vollstrecker eines allgemeinen stummen Willens, der auf seinen Sprecher wartet. Seltsamer, höchst bezeichnender Widerspruch: zu keiner Zeit wurde das Theater so überschätzt und durch hohe Forderungen, die man an es stellt, so zum Problem wie in unserer Gegenwart; und d.ibei ist das heutige Theater im besten Fall nichts weiter als eine gebildete, gehobene Unterhaltung (mehr oder weniger snobbistisch betont), oder ein Literatur experiment für Kenner und Eingeweihte, die sich über «inen Kuliffen-Rcbue den Kopf zerbrechen; (vom häufigen Fall, wo es nur eine ungebildete und seichte Unterhaltung ist, ganz zu schweigen.) Zeiten eines gesunden Theaterinstinkts und naiver Thcater- freudigkeit haben es nicht nötig, um den Sinn des Theaters zu ringen; er erfüllt sich ganz von selbst, weil das Publikum fähig ist, im Drama etwas Ge meinsames zu erleben. Das jüngste Drama aller dings geht mit hochmütigem Naserümpfen über solche elementare Porauss-tzungen des dramat'k^en Erlebnisse« hinweg; kein Wunder, daß das Publikum seinerseits mit bestenfalls kritisch - ästhetischem Naserümpfen über da« junge Drama hinweggeht. * Aus einer gärenden Zeit kann schwerlich eine ausgegorene Gestaltung kommen. Dem Ringenden entspricht das Bekenntnis; er glarrbt, uns zu be- freien, wenn er sich selbst durch den Aufschrei befreit. Da« junge Drama ist lyrische Auseinandersetzung de» Dichter«, anstatt die dramatische Sprache der Tatsachen, hinter denen der Dichter zu verschwinden hat. Immer wieder: Passioneweg des Dichter» quer durch die au» den Fugest gegangene Zeit, immer wieder: „Kosmische» Pathos*, Aufschrei. Ekstase, Ich- Dekenntni», worauf es im Drama weniger ankommt. Lieber noch da» intellektuelle Thesen- und Tendenz stück, da» von Romain Rolland und Georg Kaiser kommen könnt«, al» die talentierten lnrischen Revo lution»- und Menschheits-Arien (Toller, Bronnen, Rolf Lauckner, Paul Kornfeld). Dem Dichter Fritz «. wusch fei, wiewohl auch er hierher gehört, ein« respektvolle Ausnahmestellung eingeräumt. Die Wandlung eines preußischen Offiziers in den Dichter von „Ein Geschlecht* und „Platz* rechtfertigt jede chaotische, von tellurischen Exzessen begleitete Um wälzung; ihr dichterisch und sprachlich imposantes Abbild liegt in der heute noch unvollendeten Trilogie vor. Was der Dichter hier auswarf aus gewaltiger Zerrissenheit, aber aus nicht minder ge waltiger Sehnsucht nach einer neuen, gereinigten Welt, ist vom Blut und Geist unserer Zeit. Dies fühlt man, wenn auch die Vorgänge aus dem Dämmerlicht der Abstraktion und des Symbols nicht heraustreten. Aber wie könnte auch eine Zeit- Trilogie sich anders formen als im expressionistischen Nebel, den manche für monumental und andere für blutleer halten?! Ich glaube, daß man dieser Form nur gerecht wird, wenn man sie als ein berechttgtes Versagen, als eine notwendige Unzulänglichkeit be greift. Die Materie ist noch nicht durch Sach lichkeit zu gestalten, die alles aussagen könnte, auch das, was hinter den Dingen ist. E» mußten einige hundert Jahre vergehen, ehe der Wallenstein und seine Zeit reif wurden für die Trilogie. Kein zeitgenössischer Dramatiker, falls es einen gegeben hätte, hätte das Miterlebte gestalten können. Keiner der Mitlebenden wird den Weltkrieg, die Revo lution, wird Ludendorff und «Lenin, Wilson oder Liebknecht in ihrer Leiblichkeit dramatisch zu fassen wagen. Die Shakespeare, Büchner, Kleist, Schiller, die es tun werden, schlummern noch in der un geborenen Ewigkeit. * Da« Theater ist seiner ganzen Natur nach stock konservativ, und was es braucht, sind immer noch Theaterstücke, Stücke für das Theater, geschrieben von Stückcschreibern (plsz^vritars, wie Shakespeare einer war) mit möglichst guten Rollen für die Schauspieler. (Franz Werfel bemüht sich mit literarischen, allzu literarischen Mitteln um ein märchenbunte« Zauber theater voll Wechsel und Ueberraschungen.) Die Etnckeschreiber dürfen auch Dichter, müssen es aber nicht sein. Die Theaterleiter überschätzen das Text buch. die Kritik überschätzt e»; au« Mangel an Instinkt. Kein Wunder, daß die jungen Dramatiker die Gesetze des Theater» unterschätzen und vernach- lässigen. Man hat sie verhätschelt genug. Sie -er- schlagen die dramatische Form, sie lieferten monströse Bücher. Sic wähne", das Theater sei dazu da, l ihren Selbstoffenbarungen zu dienen. E» ist nicht Aufgabe de» Theater», über die letzte« Frage« de» i Seins metaphysisch zu grübeln, cs ist nicht seins Aufgabe, unverständlich zu sein oder zu predigen, oder die aufgerissene Brust eines Dichters (der mit unter nur «in Sohn mit einem „Daterkomplex" und durchgefallener Gymnasiast ist) lyrisch zu cxhibi- tionieren, es ist es nicht . . . sondern Aufgabe des Theater» ist es . . . Statt allgemeiner Forderungen lieber ein realer Fall dieser Spielzeit. Ihr neuer Mann und ihr größter Erfolg ist Bert Brechts „Trommeln in der Nacht*. (Mit den Szenenfetzen seines zweiten Dramas „Baal* wird das Theater nicht viel an fangen können.) Ich überschätze die „Trommeln* nicht; das Stück har nur zwei starke Bilder. Dos Ganze eine Volksballade: Heimkehr des totgeglaubten Landsers und die ungetreue Soldatenbraut, instru mentiert auf den Totentanz-Trommelwirbel der Spartakistenkämpfe und den Lebensschrei der Krea tur. Wie einfach, wie banal, wie uralt; das Enoch- Arden-Motiv. Ja, das eben ist'e; dem Dramatiker genügt es, dem Theater erst recht. Nur Dilettanten haben Angst vor der Trivialität und Verbrauchtheit des Stoffes. In diesem Stück ist Theaterinstinkt, es hat die Lebenefülle des Dolksstückes. Es beschränkt sich auf einen einfachen Konflikt, der aber eine Ge meinsamkeit des Erlebens hcrstcllt zwischen dein Mann auf der Galerie und dem Herrn im Parkett. Man übersehe doch nicht, daß das Theater im Publikum erst anfängt, zumindest in ihm seine Grenzen hat. Die Ausgabe der Bühne ist, die hohen Forderungen, die die Literatur an sie stellt, und die gemischten Erwartungen, mit denen das Publikum kommt, aus eigenen Mitteln und eigener Machtvollkommenheit im goldenen Schnitt dr» Theaterrrlebnifles auszugleichen. Vo der Leipziger Universität. Professor Dr. I. H. Rille, Direktor der Leipziger Universitätsklinik für Hautkrankheiten, wurde zum Ehrenmitglieds der Dermatologischen Gesellschaft in Moskau gewäylt. Ei» Mozartftmd. Wie der bekannte Dresdner Mozartforscher Prof. Lewicki mitteilt, ist in der Nähe Dresden« ein wichtiger Mozartfund, nämlich die Ori g tn a lp a r t itu r eine« Duett» au» .Titus*, das lange vermißt war, gefunden worden. E» handelt sich um eine Handschrift von zwei Blättern mit drei beschriebenen Seiten Ouerformat, zwölszeilig i« rotem Papp«msch»ag.
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