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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 16.05.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-05-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192305168
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230516
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230516
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-05
- Tag 1923-05-16
-
Monat
1923-05
-
Jahr
1923
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Sette L »1« Lnglischnvussische Entspannung London, IS. Mai. (Eigener Drahtbericht.) In hiesigen politischen Kreisen wird die heute mor gen im Wortlaut bekanntgewordene russische Ant wort als überraschend versöhnlich bezeich net und nicht ungünstig besprochen. Man weist dar auf hin, daß Lord Curzon, als er eine energische Note nach Moskau sandte, zugleich dem Chef der englischen Handelsvertretung die Anweisung erteilte, wenn Rußland binnen zehn Tagen keine oder nur eine un befriedigende Antwort gebe, mit der Delegation auch ohne Empfang näherer Instruktionen abzureisen. Die Tatsache, daß der englische Handelsvertreter die Note heute nacht nach London übermittelt "hat und vor- läufig in Moskau verbleibt, wird in Kreisen, die eine Verständigung mit Rußland befürworten, als ein Beweis dafür angeführt, daß die russische Note von der englischen Regierung nicht als unan- nchmbar angesehen wird. Eine Stellungnahme der englischen Regierung ist in der morgen stattfindenden großen Debatte im Unterhaus über die russische Po- litik zu erwarten. Vorher wird Krassin, der gestern von Dlissingcn hier eingetroffen ist, mit einem Minister Rücksprache nehmen. Das Kabinett hat bereits heute abend die russische Note erörtert. In der Debatte im Unterhause wird Ramsar; Macdonald für die Arbeiterpartei das Wort er greifen, Asquith für die freien Liberalen und wahrscheinlich Lloyd George für seine Fraktion, die Anschauungen der Opposition vertritt, während der Echatzkanzler Baldwin und der Handels minister die Regierungspolitik verteidigen werden. Auf die Anfrage eines Abgeordneten der Arbeiter partei des Unterhauses erklärte gestern nachmittag der Untcrstaatssekretär für auswärtige Angelegen heiten, die englische Regierung teile die Entrüstung des Hauses über das abscheu liche Verbrechen gegen den russischen Dele gierten Worowski. Die Regierung sei bereit, der Rückwirkung dieses Verbrechens auf die öffentliche Meinung in Rußland bei den bevorstehenden Ver handlungen mit der Moskauer Regierung Rechnung zu tragen. In hiesigen politischen Kreisen herrscht die Mei- nung, daß die Sowjetregierung durch ihre sehr ge schickten Vorschläge nicht nur die zwischen England und Rußland schwebenden Konflikte auf einer Kon ferenz zu erledigen gedenkt, sondern zugleich die eng lisch-russischen Beziehungen auf eine neue Grund- läge stellt. v e Einheitsfront der Entente Pari», 18. Mai. (EigenesTelegramm.) Die französischen Regierungskrcise sind bemüht, ihre Auf fassung von der voraussichtlichen Weiterentwicklung der Lage zu verheimlichen. Sie haben allerdings den Eindruck, daß die Klärung von außen kommen werde. Von Berlin wird, wie gestern schon gemeldet, für den Augenblick nichts erwartet, dagegen scheint man in Paris mit der Möglichkeit zu rechnen, daß die voll ständige Wiederherstellung der alliierten Einheits front gelingt. Man denkt dabei, wie yervorgchoben wird, nicht nur an die deutsche Frage, sondern auch an das Orientproblem. Der italienische Bot schafter soll sich gestern abend mit Poincarö über Deutschland und den Orient unterhalten haben. Was die französische Regierung im Grunde wünscht, wird heute vom Petit Bleu, der gelegentlich lich über die Ansichten PoincarLs gut unterrich tet ist, offen ausgesprochen-, England und Italien sollen sich an der Ruhraktion beteiligen oder mindestens die „Berechtigung" dieser Aktion an- erkennen und den deutschen Widerstand ausdrücklich „als Verstoß gegen den Versailler Vertrag mißbil ligen", da nur in diesem Falle ein baldiges Nach geben Deutschlands zu erwarten sei. Der Londoner Berichterstatter des Petit Journal meldet, daß England den Wünschen Frankreichs ent- gegenkommcn werde. Er drahtet seinem Blatte wört lich: „In den Wandelgängen des Unterhauses wurde Montag nachmittag die Meldung laut, daß der Augenblick gekommen ist, in dem man von Worten zu Taten übergehen muß. Man betont, daß England jetzt den Deutschen unzweideutig zu verstehen geben muß, daß sie ihre Verpflichtungen zu erfüllen Haden. I-elprlger IsgedlLtt uoä Ssodelsrkeltuag Man ergeht sich in London in Lobsprüchen über die Energie Frankreichs und Belgiens. Ueberall stellt man hier den Wunsch nach einer Einheitsfront fest. Alles in allem ist man der Ansicht, daß die Ant wort England» und Italiens im hohen Maße dazu beitrage, dir Solidarität unter den Verbündctn wie der herzustellen, denn alle Welt scheint jetzt dieses Ergebnis zu fordern." Deutscher Reichstag vor Den pfingstferien Berlin, 15. Mai. (Drahtbc richt unse rer Berliner Schriftleitung.) Die heu tige Sitzung des Reichstages hat schon um 11 Uhr vormittags begonnen. Da der Reichstag morgen in die Ferien gehen soll und in den zwei letzten Sitzungen vor den Ferien alle Etats in dritter Be ratung verabschiedet werden müssen, muß die Sitzungsdauer für heute und morgen verlängert werden. Der Eifer der Abgeordneten ist jedoch nicht sonderlich groß und während der Vormittags stunden ist der Sitzungssaal nur sehr schwach besetzt. Als es bei der dritten Beratung des Haushalts des Ministeriums des Innern zu der Abstimmung über den Antrag der Deutschnationnlen. der eine Unter suchung verlangt, ob die Organisatoin der sächsischen Landcspolizci den rcichsgcsetzlichen Bestimmungen entspricht, wird durch Hammelsprung fcstgeslellt, daß nur 129 Abgeordnete für diesen Antrag und 95 gegen ihn gestimmt haben, das Haus also be schlußunfähig sei. Die Sitzung mußte daraufhin ge schlossen werden. Die nächste Sitzung wurde eine Viertelstunde später anberäumt. Inzwischen wur den die in Berlin wohnenden und weilenden Abge ordneten teleponisch herbeigerufen. In der neuen Sitzung wird in einfacher Abstimmung die Ent schließung der Dcutschnationalen mit den Stimmen aller bürgerlichen Parteien gegen die der Sozial demokraten und Kommunisten angenommen, und der Etat selbst verabschiedet. Bei der Beratung des Etats des Rcichswirtschaflsministeriums entspinnt sich gleichfalls nur eine kürzere Aussprache. Es sollen in der heutigen Sitzung alle Etats der Reichs ministerien erledigt werden, bis auf den des Reichs- kanzlers und des Außenministeriums, die auf die morgige Tagesordnung gesetzt werden. Nach den bisherigen Dispositionen soll beim Etat dH Aue- wärtigen in dritter Beratung noch eine "außen politische Aussprache stattfinden. Es steht noch nicht ganz fest, aber sehr wahrscheinlich ist, daß der Reicheaußenminister Dr. v. Rosen berg morgen sprechen wird. * Vie Veutschvölkijchen Vertin, 14. Mai. Im Reichstage wurde heute die dritte Beratung des Reichshaushalts des Inneren in Verbindung mit den deutschnationalen Interpellatio nen über das Verbot der Deutschvölkischen Freiheitspartei und der Selbstschutz organisationen fortgesetzt. Im Namen des Zentrums bedauerte der Abg. Guörard, daß in dem Augenblick, wo das ganze Volk in einer Einheit hinter der Regierung stehen müsse, die Einheitsfront und der unentwegte Ab wehrkampf an der Ruhr durch innerpolitische Debüt- ten gefährdet werden. Der demokratische Abg. Koch (Weser) er klärte: „Wir fürchten keineswegs, daß durch Eingriffe der äußersten Rechten und Linken die Republik ge fährdet werden könnte. Sie steht heute fester denn je. Aber gerade in der jetzigen kritischen Zeit kann uns nichts mehr schaden als die Beeinträchti gung unserer Kreditfähigkeit durch die Propaganda der äußersten Rechten. Größe Aufmerksamkeit findet die Rede des deutschvölkischen Abgeordncien von Graefe, der in großer Erregung mit erhobener Stimme fol gende Frage an die Regierung richtet, die großes Aufsehen erregt: „Wie kann die Reichsregierung schweigend der Verfolgung unserer Organisation zu sehen, während wir doch schon vor dem Erlaß des Severingschen Verbotes mit dem Reichskanzler Cuno und seinem Kabinett ganz aufrichtig über alle unsere Organisationen gesprochen haben und da bei anerkannt worden ist, oaß sie als legale Organisationen im Interesse der Relchsregierunaliegen? (Lebhaftes hört, hört! bei den Soz.) Will tue Regierung sich länger schweigend verhalten, weil sie sich darauf verlassen hat, daß unsere Männer aus Rücksicht, vielleicht zu weitgehender Rücksicht, schweigen würden und daß sie die derzeitige Reichsregierung nicht in Verlegen heit bringen wollen?" Rcichsjustizminister Dr. Heinze: „Abz. von Graefe hat gar keinen Anlaß zu einer Anklagerede. Der Obcrreichsanwalt hat gegen gewisse Leute, die wegen schwerer Vergehen beschul- digr sind, ein Strafverfahren cingeleitet und diele» Strafverfahren schwebt. Der Reichsminister des Innncrn Oeser, der sich bei den verdächtigenden Andeutungen des Ab- groedneten von Graefe sofort erhoben und sehr leb haft das Wort verlangt hatte, mußte seinem schon früher zum Wort gemeldeten Kollegen Heinze den Vortritt lassen. Er kommt aber jetzt zum Worte und sagt: „Ich lege entschieden ft en Prote st ein gegen die Angriffe, die Abgeordnet er von Graefe gegen di e Reichsregierung gerichtet hat. Von alledem, was er vorbrachte, ist mir nichts bekannt (Hört, hört!), und ich glaube, den übrigen Reichsstellen wird es ebenso gehen. ? Abg. Ledcbour (Unabh.) beantragt, die Rednerliste zu um erbrechen, damit Herr von Graefe seine bisher nur angedcuteten schweren Beleidigungen gegen die Regierung erläutern könne. Wenn er dies ablehne, sei er als renommistischer Schwindler entlarvt. Der Antrag Ledcbour wird an genommen, aber Abb- von Graefe erklärt, er lasse sich das Maß seiner Ausführungen von nie mand vorschreiben. Mit dieser Ausflucht bringt er sich sehr rasch um seinen Sensationserfolg. Er führt aus, daß er über die Dinge, die er andeutete, in der nichtöffentlichen Sitzung des Staatsgerichtshoses in Leipzig Aussagen gemacht habe. Wenn die Regie rung also antworten wolle, so wisse sie, was er meine. Abg. von Graefe erklärt dann nochmals, daß die absolute Loyalität der deutschuöl- kischen Organisationen durch ganz andere Besprechungen als die vom Minister angeführten der Reichsregierung klargemacht worden sei. Diese Be sprechungen hatten aber in nichts dem Versailler Diktat oder der Verfassung widersprochen. Dann wurde die deutschnationale Ent schließung, die die Aufhebung des Staatsgerichtshofes und der republika nischen Schutzgesetze verlangte, gegen die Stimmen der Dcutschnationalen und eines Teiles der Deutschen Dolkspartei abgelehnt. Eine Zen trumsentschließung, die eine Prüfung verlangt, ob die republikanischen Schutzgesctze nicht zum Schutze der politischen Parteien und der Vereinsfreiheit qe- ändept werden könnten, wird mit 124 Stimmen der Sozialdemokraten, Kommunisten und Demokraten gegen 112 Stimmen abgelehnt, 27 Zentrumsabgeord nete enthielten sich der Stimme. Die Weiter beratung wird auf m o r g e n 11 U h r vertagt. Sächsischer Landtag Vie Negierung für Reichsmittel an Vie Nirche Dresden, 15. Mai. (Drahtbericht unserer Dresdner S ch r i f t l e i t u n g.) In der heu tigen letzten Sitzung des Landtages vor den Pfingst ferien nimmt die Beratung über die Gewährung eines Darlehens an die Landeskirche den breitesten Raum ein. Die Ausschußmehrheit beantragt, die nach dem Reichstaasbeschluß vom 14. Dezember 1920 vom Reich bereitgestellten Vorschüsse sofort anzu fordern. Weiter soll der Antrag, nachdem die in dem Haushalt eingestellten Summen entsprechend dem gegenwärtigen Besoldungsbedarf der evangelischen lutherischen Landeskirche erhöht und als feste Staats leistungen eingestellt werden sollen, abgelehnt werden. Jedenfalls soll der Antrag, die Pensioneverhältnisse der Geistlichen und deren Hinterbliebenen nach ein m Gutachten der juristischen Fakultät in Leipzig unver züglich gesetzlich zu regeln und die entsprechenden äea 16. Lul Mittel al» feste Staatsleistungen in den Staatshaus, halt einzustellen, abgelehnt werden. Die Deutsch, nationalen stellen zu dem Minderheitsantrag noch folgenden Zusatz: „Die gewährten Darlehen in feste Bewilligungen umzuändern, sowie die der Landes kirche bisher vorenthaltenen Staatsleistungen nach träglich zu gewähren." Gleichzeitig mit diesen Anträgen wird ebenfalls eine deutschnationale Anfrage verhandelt, betreffend eine Veröffentlichung der Staatskanzlei über Aus zahlung von Vorschüssen an die Religionsgesell schaften. Hierzu erklärt Abg. Gündel (Dnatl.), daß es sich um eine Irreführung der Öffentlichkeit handele, wenn in der Mitteilung der amtlichen Nach richtenstelle der Anschein erweckt wird, als ob cm Reichstagsbeschluß vorliege, keine Reichsmittel sür die Kirche zu bewilligest. Kultusminister Fleißner antwortet hierauf, daß für das Kultusministerium kein Anlaß vorgelegen habe, den amtlichen Quellen über einen etwaigen Reichsbeschluß nachzugehen. Auch aus dem Wortlaut des Berichtes im Reichs anzeiger sei etwas Näheres nicht zu erkennen ge wesen. Die sächsische Regierung werde aber nunmehr an der Uebermittlung von Reichsmitteln an die Kirche mitwirken, nachdem sich die sächsische Regie rung versichert habe, daß ihr gegenüber keine nach- träglichen Ansprüche erhoben werden-können. Dir Kirche wird die Vorschüsse mit 18 Pro- zent verzinsen und später an das Reich zurückzahlen müssen, tue sie dies nicht, dann könne sich der Staat an den Kirchensteuern schadlos halten. Dem Landtag wird demnächst eine Vorlage zugehen, die eine Aenderung des Eteuerrechts der Religionsgesell- schäft vorsehe, nach der es der Kirche frei steht, Kirchensteuern in beliebiger Höhe zu erheben. Abg. Bör.er (Dnatl.) begründet die Mindcr- heitsanträge und seinen Antrag auf Gewährung eines Darlehens an die Kirche. Abg. Wehrmann (Dem.) sagt, daß nicht nur die Notlage die Kirche zwinge, immer wieder vorstellig zu werden, sonvern auch das Bewußtsein ihres Rechts. Nachdem Abg. Ziller (Dnatl.) darauf hingewiesen hat, daß gerade der gegenwärtige Staat auf die Kirche nicht ver zichten könne, hält Abg. Schneller (Kom.) eine seiner kirchenfeindlichen Reden, während der die Ab geordneten nach und nach den Saal verlassen. Abg. Hickmann (Dtsch. Dp.) weist in seiner Antwort darauf hin, daß es sich hier lediglich um eine Rechts- frage handele, keineswegs aber um die persönliche Einstellung des einzelnen oder der Partei zur Kirche selbst. Abg. Pudor (So».) erklärt die Zustimmung seiner Freunde zu den Ausführungen des Kultusministers. Die Mehrheitsanträge werden darauf angenommen. Auch der Gesetzentwurf zur Aenderung der Besol- dungsovdnung wird einstimmig angenommen. Bei dem Antrag auf vierteljährliche Gehaltszahlung an Beamte und Lehrer entspinnt sich nach der Bericht erstattung des Abg. Claus (Dem.) eine längeer Aussprache, in die auch Finanzminister Hcldt ein- greift. Er betont, daß die vierteljährlich« Gehalts- zahlung für den sächsischen Staat die Summe von 30 Milliarden ausmacht und er nicht wisse, woher er die Summe nehmen solle. In seinem Schlußwort bedauert Abg. Claus, daß man keine Beamtenfragen mehr im Landtag« besprechen könne, ohne daß gleich zeitig die Arbeiterfrage damit verknüpft werde. Er bittet das Haus dringend, trotz der Ausführungen des Finanzministers, für den Antrag zu stimmen. Was anderen Landern im Reiche möglich sei, müsse man auch in Sachsen durchführen können. Bei der Geldentwertung spiele es für den Beamten eine große Rolle, wenn er nach dem bewilllligtcn Viertel, jahresgebalt sich mit dem Nötigen eindecken könne. Bei der Abstimmung wird das Gesetz daraufhin mit 36 gegen 34 Stimmen angenommen. Ferner wird beschlossen, die vom Ministerpräsidenten erlassenen Vorschriften über die Gewährung von Vergütungen für Nebenbeschäftigungen zur Kenntnis zu nehmen, gleichzeitig aber der Regierung zur Erwägung zu geben, diese Vergütung mehr als bisher der ein tretenden Geldentwertung anzupassen. Nächste Sitzung Dienstag, 29. Mai, nachmittags 1 Uhr: u. a. Kulturrentenbank, Eisenbahnpctitionen. Hatzbach Von * * * ricjcr Aussatz, den wir dem .ragebucv* eni- nehmen, rübrr von eincm Mitarbeiter der, der Robdacv am qcnug kennt, um ihm gerecht zu werden. Sr gibt ein psychologischer Bild, keine politische Wertung. Eine mittelgroße, schlanke Figur. Eigentlich slawisches Gesicht. Gebogene Nase, glänzende Augen. In dem Gesicht steht Schlauheit und Trotz geschrieben. Sein reger Hausverstand, durch über große Bildung nicht zu sehr beschwert, hemmt eine phantastische Soldatennatur. Auch als Redner ist er soldatisch, knapp, scharf, männlich, kein Phrasen- drcchslcr. Die Soldatenseele ist auch sanfterer Regungen fähig. Zuweilen dichtet er sogar. Man höre: Ein Landsknecht sei ich von Natur Und dächt' an Krieg und Wandern nur, Lchlüg' selbst mein Glück in Scherben, Hält' keinen Sinn fürs Elternhaus, Drum würd' ich auch — man sieht's voraus, — verderben. Ihr lieben Leut', Ihr habt ja recht. Ich hab' gekämpft, geliebt, gezecht. Von mir ist nichts zu erben; Ich schwur nie Treu vor dem Altar, Und doch würd' für mein Lieb fürwahr ich sterben. Es biß manch Stahl in meinen Leib, Diel heißer als manch glühend Weib, Tod? Ich spürt' keine Reue, Und wenn die Wunden kaum geheilt, Din, Brüder, ich zu Euch geeilt aufs neue. Nun werd' ich älter Jahr für Jahr, Bin nicht mehr dos, was ich «inst war, Mein Werkzeug rost't im Schranke, Laß, Gott, im Kampfe fallen mich, Glaub' mir », daß noch im Sterben ich dir's danke. So ist Roßbach. Ober vielmehr: So möchte er gesehen werden. Er kommt sich selbst romantisch vor. Sein Leben war abwechslungsreich. Lohn eines pommcrschen Domänenpächtcrs, etwa tzSVS geboren, kanz Gerhard Roßbach in dir Ka dettenanstalt, wird außerordentlich spät Offizier, weil er sich schon als Junge in den fest gefügten Rahmen nicht leicht einfügen ließ. Als junger Offi zier machte er sich in seinem Graudenzer Regiment unbeliebt, aus eincm sehr anständigen Grunde, weil er sich mehr als Sitte vorschricb, privatim mit den „Kerls" befaßte. Er singt mit den Leuten, geht auf die kleinen und großen Privatsorgen ein und gilt deshalb als „rötlich angehaucht". Al» Infanterieoffizier hat er den Weltkrieg mit gemacht, und zwar mit Auszeichnung. Bereits in der Schlacht bei Tannenberg erhielt er als Führer einer Radfahrabteilung das Eiserne II, Als Füh- rer einer Maschinengewehr-Kompggnie tat er seine Pflicht, bis ihn in der Frühjahrsschlacht 1918 ein Lungenschuß aufs Krankenbett warf. Der „pour le mLrit« des kleinen Mannes" belohnte seine sicher beachtliche Tätigkeit als Unterführer. Genesend kommandierte er einen Lchrkursus. Nach Ausbruch der Novemberrevolution wirft er sich auf den Grenzschutz. Mit 40 Mann seines Kursus fängt er im Osten an, in ständiger Gefechtsfühluna mit pol nischen Banden, die Sturmabteilung Roßbach auf zustellen. Dies gelingt ihm in außerordentlich kurzer Zeit. Seine Leute schwören auf ihn. Er sieht mit Verachtung auf die seinem Empfinden nach viel zu zahmen obergeordneten Dienststellen und auf die „Civilschweine", die in Berlin so was wie Politik machen. Er führt Krieg auf eigene Faust und er hat Erfolge. In Danzig befreit er ein angsterfülltes General kommando aus revolutionsgewolltcn Abhängig keiten. In Lulmsee schlägt er mit harter Hand den aufkeimcnden Polenaufstand nieder. Die Sturm abteilung Roßbach war damals — eine Aus nahme — eine fest in der Hand ihre» Führers be findliche Truppe, in der cs noch Disziplin gab. Roßbach „siegte", aber das verhinderte nicht, daß der Frieden von Versailles ausbrach. Nun wurde es Roßbach zu eng im Daterlande. Er raffte im Herbst 1919 seine etwa 1500 Mann starke Schar, die nur auf seine Person vereidigt war, zusammen, und zog aus eigener Initiative, gegen den Willen seiner Vorgesetzten, nach dem Balti kum. Er führte noch immer Krieg. Rach einem Gewaltmarsch kommt er vor Riga an, greift in die Kämpfe der „Eisernen Division" und rettet, wie Augenzeugen berichten, die Situ ation. Er siegt, aber was hilft ihm sein Sieg? Da» Baltikumunternehmen muß liquidiert und die Truppe nach Hause befördert werden. Der Heim- marsch war tragisch, aber auch nicht ohne Komödien szenen. Roßbach, immer um seine Kerls besorgt, verfiel in verzweifelte Stimmungen, als seine Siedelungsprojekte ins Wasser fielen. Was anfangen mit den Leuten ohne Haus und Brot? Es gärte in ihm. In Mecklenburg wurde die Roß bachtruppe ausgelöst. Jetzt beginnt die Zeit der Verschleierungen, der Geheim-Organisa tion en, die Roßbach schuf, um seine Leute unter- zubringcn und um seine Macht nicht zu verlieren. Zunächst wurde eine Arbeitsgemeinschaft geschaffen, die in Gruppen auf Gütern zur Landarbeit ver teilt wurde; gleichzeitig gründete er — was? — ein Hotelunternehmen in Berlin. Ader Roß- bach war nicht lange Hotelier. Während des Kapp- Putsche» verkaufte er das Hotel, natürlich an einen Ausländer. Der Kapp-Putsch war eine Gelegenheit, noch einmal zu.siegen. Die Roßbachsche Arbeits gemeinschaft schloß sich auf Aufforderung Lettow- Dorbecks wieder zu einer Truppe zusammen. Sie kämpfte in Mecklenburg und im Ruhrgebiet. Dann die zweite Auflösung in Mecklenburg, aus der wiederum eine Arbeitsgemeinschaft hervorging, die diesmal in Hinterpommern Fuß faßte. Aber auch hier gab es Verdrießlichkeiten und Zwist, haupt sächlich wirtschaftlicher Art. Die pommerschen Grundbesitzer wollten von den Roßbachschen Sied lungsplänen nichts hören. Land für seine Leute? War das nicht beinahe ein bolschewistischer Wunsch? Roßbach und seine Getreuen dürften e» daher freudig begrüßt haben, als im Mai 1921 in Ober schlesien der Selbstschutz in Tätigkeit trat. Roß bach zog mit einem Stamm seiner alten Leute au» und mit neugewonnenen Soldaten. Der Glückliche, nun konnte er wieder ein bißchen Krieg führen. Leider mischte sich die Entente in die Sache; auf ihren Wunsch wurde die Roßbachsche Selbstschutz. Organisation und die Arbeitsgemeinschaft Ende No vember 1921 aufgelöst. Jetzt erst politisiert« sich Roßbach. Um für seine Leute weiter sorgen zu können, spielte er zur Abwechselung auf einer an- deren Klaviatur, indem er nunmehr seine Organi- sationcn auf da» politische Gebiet schob. Er grün dete die „Vereinigungen deutscher Grenzmärker" und gleichzeitig die „nationale Sparvereinigung', die beide im Sommer 1982 durch den Minister Severing verboten wurden. Run erfolgte die letzte Umstellung. Roßbach wendet sich der neu gegründeten Deutschvöl kischen Freiheitspartei zu. Er wurde sogleich im Führerstab ausgenommen. Man hofft« dort auf sein wichtigste» Feldherrntalent, er hat oft die Kunst bewiesen, Geld heranzuschaffen. Alte Offizierskamcraden, Draufgänger und Landsknechts wie er selber, die in blindem Vertrauen an ihm hängen, unterstützten ihn. In Wannsee bei Berlin hatte sich Roßbach nach seiner Verheiratung im Jahre 1921 eine Zentrale geschaffen, von wo aus er seine „Operationen" lei tete. Die „deutsche Auskunft", ein politisches In formationsbureau, das er dort betreibt, gab nur eine notdürftige Fassade. Gewinne dürfte dieses Unternehmen nicht abwerfen. Die politische Einstellung Roßbach» hatte ihn von seinen bisherigen Geldgebern entfernt. Ls steckte in seinem politischen Denken ein Stück Re bel len tum, deshalb stieß er bei den mecklen burgischen und pommerschen Junkern auf Wider stand und Mißtrauen. Allmählich hatte sich heraus- gestellt, daß der an die deutsche Wand gemalte Bolschewismus nur ein Kindersschreck sei, da hörten nach und nach die Unterstützungen auf. Auch für die nationalen Bestrebungen in Oberschlesien, das heißt für seine Selbstschutzideen, die er nie, trotz aller Verbote und Auflösungen aufgegeben hat, tröp- felte nur mehr ganz wenig. Was blieb Roßbach übrig, als sich mit den Deutschvölkischen, sowohl den Hitlerleuten al» auch mit denen um Graefe, zu ver binden? Da Roßbach aber bei weitem die stärkste Natur unter ihnen ist, dürfte es wohl richtiger sein, von einem Aufgehen der Deutschvölkischen in den Roßbachorganisationen, al» von dem umgekehrten Vorgang zu sprechen. In diesen Prozeß platzte Roßbach» Verhaftung hinein. Die Leute um Graefe beklagten Roßbachs Schick sal (in der Oeffentlichkeit), aber sie trachten zu seinen Quellen zu dringen (im stillen). Im Ge fängnis zu Leipzig denkt Roßbach nicht ohne Sorgen und Bitterkeit an die Geschäftigkeit seiner Partei- freunde. Er sitzt und die andern grasen sein Re- vier ab. Stella David »ach Dresden engagiert. Au» Dres- den wird uns gemeldet: Die Leipziger Schauspielerin Frau Stella David ist nach erfolgreichem Gastspiel als Nachfolgerin für die kürzlich verstorbene Frau Maximiliane Bleibtreu vom Beginn der nächsten Spielzeit mit mehrjährigem Vertrag an da» Dresdner Staatstheater verpflichtet worden. — Wir haben nach den Dresdner Kritiken nicht daran gezweifelt, daß Stella David, wie sehr sie auch an Leipzig hängt, nicht zu halten sein wird. Hoffentlich wird Leipzig noch Gelegenheit haben die Künstlerin vor ihrem Scheiden in einer ihrer besten Rollen zu sehen. ' 'S - .
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