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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 10.05.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-05-10
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192305108
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230510
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230510
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-05
- Tag 1923-05-10
-
Monat
1923-05
-
Jahr
1923
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anstalter verbotener Glücksspiele vor. Bemerkens« wert sind zwei Urteile, die jetzt gefällt wurden. In dem ersten Fall wurde eine Wohnungs inhaberin, in deren Räucken der Sptelklub tagte, zu 500000 Mark Geldstrafe und im zweitenmal! ein Hausbesitzer, der das Spiel in seiner Woh nung duldete, »u vier Monaten Gefängnis verurteilt. Gleichzeitig wurden die Wohnungen beschlagnahmt und dem Wohnungsamt zur Ber- fügung gestellt. Vie Zarmerrtochter aus Südamerika Die Dollarmillionärin spielte eine Schwindle rin, die sich Ellen Franck oder Ellen Mtllke nannte und in Berlin wohlhabende Bekanntschaften suchte. Ihnen erzählte sie, ihre Eltern, die in Südamerika große Farmen besäßen, hätten sie zur Vollendung ihrer medizinischen Studien nach Berlin geschickt. Sie erwähnte da bei, daß sie einen Monatswechsel von 50000 Dollar beziehe, und ließ auch durchbltcken, daß eS ihren Eltern, die selbst aus Deutschland stammten, nicht unangenehm sein würde, wenn sie hier eine Ver bindung für das Leben schlösse. Die Dollarmillio närin, die natürlich elegant gekleidet ging, fand auch Heiratslustige genug. Plötzlich bekannte sie dann eines Tages ihrem jeweiligen Verehrer, sie habe sich verleiten lassen, einen Spielklub zu besuchen und dort 50 000 Dollar verloren. Sie befände sich daher in arger Verlegenheit. Allerdings sei ein neuer Wechsel von 50000 Dollar bereits unterwegs, aber es könne noch eine Weile dauern, bis er bet der Bank eingehe. Zum Beweise dafür legte sie-auch einige Schriftstücke vor, die sie sich zu diesem Zwecke zurecht gemacht hatte. Mehrere ver trauensselige Herren ließen sich im Hinblick auf die Millionenheirat auch bewegen, der Farmers tochter mit Darlehen von 100000 Mark bis zu einer halben Million auszuhelfen. Dann aber hörten und sahen sie nichts mehr von der Süd amerikanerin und wandten sich an die Kriminal- volizei. Beamte, die auf die Schwindlerin fahn deten, trafen sie im Westen von Berlin, nahmen sie fest und entlarvten sie als ein 23 Jahre altes Dienstmädchen Margarete Ebhardt aus Tempelhof. Seit geraumer Zeit ohne Stellung, lebte es von den Schwindeleien einen guten Tag Raffinierter Betrug. In Dresden wurden zwei Frauen vom Lande, die Reisig in die Stadt gebracht hatten und von dem Erlös Einkäufe be wirken wollten, durch zwei ganz raffinierte Be trüger um 200000 Mk. gebracht. Auf der Prager Straße traten an die Frauen zwei Unbekannte, die sich als Berliner Geschäftsleute ausgaben, heran und boten ihnen Stangenletnen zu einem äußerst billigen Preise an. Da sie merkten, daß die Frauen dem Angebot nicht abgeneigt waren, verschwand der eine und kam bald mit einem Paket, daß 12 Bettbezüge Stangenleinen enthalten sollte, zurück. In einer Hausflur wurde das Paket von den Gaunern an der einen Seite geöffnet, so daß man die 12 Bezüge sehen konnte. Die vollständige Oeffnung des Pakets wußten die Gauner durch Ueberredung zu Hintertreiben. Die Frauen legten ihre gesamte Barschaft zu sammen und kauften die Bettbezüge. Als sie das Paket am Hauptbahnhof öffneten, sanden sie zu ihrem Schrecken Lumpen darin, die so künstlich eingelegt und mit kleinen Leinwandstreifen ver packt waren, daß sie 12 Bettbezügen ähnelten. Von den beiden Gaunern hatte einer an beiden Seiten des Unterkiefers mehrere Narben. Mysteriöser Doppelselbstmord im Starnberger See. Auf dem Starnberger See wurde ein herren loser Kahn treibend angetroffen, in dem man einen grünen Herrenhut, einen Damenhut und eine Damenhandtasche fand. Die Erhebungen ergaben, daß die Gegenstände einem angeblichen Ehepaar aus Berlin gehören, das in einem Starnberger Hotel wohnte und sich als Ehrhard Waßmus mit Frau Margot gemeldet hatte. Die Gäste hatten am Nach mittag in Starnberg einen Kahn gemietet und waren auf den See hinausgefahren. Seile tz Hr, LUy , gebung von den Derkäufen nicht gesprochen? — Zeuge: Ich hielt das nicht für notwendig und für unzweckmäßig. Ich wollte zunächst einmal die Finanz operation durchführen, ehe ich davon sprach. Topf spielte dabei keine Nolle. Die Dividende des an gelegten Kapitals aus der gesellschaftlichen Be teiligung wurde Anfang 1V23 gezahlt. Ich hatte bet einer Berliner Firma ein laufendes Konto für den Fürsten einrichten lasten. — Prak.: Sind außerdem noch Verkäufe vorgenommen worden? — Zeuge: Im Herbst 1S21 wurde der größte Teil der Zimmer einrichtungen des Schlosse» Rudolstadt verkauft. — Präs.: Wir kommen nun zu den Silbersachen Zeuge: lieber Silberverkäufe ist zwischen mir und dem Fürstenpaar wiederholt gesprochen worden, denn die Silbersachen waren ein großer Bestandteil des Vermögens. — Präs.: Ist ein Inventar verzeichnis ausgenommen worden? — Zeuge: Nein. Ich bin in der Silberkammer nur dreimal in Be gleitung von Topf gewesen. Ich kann mich mit abso luter Sicherheit erinnern, daß ich niemals Topf be auftragt habe, Silberzeug zu verkaufen. Es ist nie in eine Prüfung darüber eingetreten worden, ob die Gegenstände im Gewölbe tatsächlich mit den im In ventar aufgeführten übereinstimmen. Ich gebe zu, daß ich zu Topf gesagt habe, daß es mit Rücksicht auf den Prozeß des Fürsten mit der thüringischen Regie rung wünschenswert wäre, wenn die Inventar verzeichnisse verschwänden, da sie eine Handhabe für die Regierung sein könnten. Die Sprache kommt dann auf den Diebstahl. Am 13. November sind im Auftrage der thüringischen Regierung zwei Herren im Schlosse erschienen, die die Silberkammer besichtigen wollten. Sie wurden ab gewiesen. Am nächsten Tage kam Hofsekretär Topf und meldete dem Zeugen, cs sei ein Einbruch geschehen. Der Zeuge will daraufhin mit Topf das Gewölbe be sichtigt haben und nach Schwarzburg gefahren sein. Nach seiner Rückkunft in Sondershausen wurde er verhaftet. Der Zeuge wird hierauf in ein Kreuzverhör von der Verteidigung genommen und bestreitet, daß Ver bindungen käuflicher Art mit dem Hof in Arnstadt be standen haben. Er stellt auch in Abrede, daß er den Hofmeister Winkler als Spitzel der Regierung angesehen und seine Handlungen deshalb vor ihm verheimlicht habe. — Vert. Warburg: Wie kommt es, daß der Zeuge trotz des Silberdiebstahls sofort nach Berlin gefahren ist, ohne erst die Auf klärung des Einbruchs abzuwarten? — Kruge: Meine Berliner Reise war schon vorher festgesetzt. Ich mußte einer Aufsichtsratssitzung beiwohnen. — Vert: Die entwendeten Silbersachen stellen heute Milliardenwerte dar. Es ist doch auffallend, daß der Zeuge sich um die Aufklärung nicht weiter gekümmert hat. — Zeuge: Ich habe gewiß im Unterbewußtsein an die Sache gedacht. Ich hielt aber die Berliner Geschäfte für wichtiger. — Vert. Warburg: Topf hat gesagt, Halem habe ihm am 13. oder !4. Oktober ausdrücklich den Auftrag gegeben, Silber zu verkaufen. — Zeuge: Ich erinnere mich an diese ganze Besprechung nicht. — Vert. Warburg: Sie haben zu Topf gesagt: „Wir wollen Silber verkaufen und müssen eine ganz bestimmte Summe erzielen." — Zeuge: Ich erinnere mich nicht, daß dies jemals in Form eines Auftrages geschehen ist. — Angekl. Topf: Der Hofmarschall von Halem yat dem Zeugen Iserstedt den Auftrag gegeben, Geschirr zu verkaufen. Als dann ein Einspruch der thüringischen Regierung cintraf, waren die Geschirre schon fort. — Zeuge: Die Geschirrverkäufe waren für mich so unwesentlich, daß ich mich um sie nicht intensiv gekümmert habe. — Angekl. Topf: Halem hat mich beauftragt, die Schlüssel zum Silbergewölbe niemals Vertretern der Regierung zu geben. — Zeuge: Es kann sein, daß ich einmal angewiesen habe, ohne meine Erlaubnis keinen Regierungsvertreter das Schloß besichtigen zu lassen. Der Zeuge wird hierauf beurlaubt und beauf tragt, einige Exemplare der silbernen Teller und Schüsseln, wie sie sich noch im Besitze des Hofes be finden, dem Gericht vorzülegen. (Die Verhandlung dauert fort.) Deutsche Propaganda Da» eifrigste Bestreben unserer Krieg»- und Friedensgegner ist darauf gerichtet, in der Welt da^ Mißtrauen gegen Deutschland großzuziehen und wachzuhalten. Jahrelange geschickte Kleinarbeit in Wort und Schrift unserer, um mit Hamlet zu sprechen, im Gebärdenspähen und Geschichtentragen außerordentlich kundigem Feinde hat Lüge und Wahrheit schier unnachahmlich gewandt mit einander verwoben. Die mit riesigen Geldmitteln genährte, technisch glänzend organisierte, von geistvollen Männern der Feder, de» Stiftes und de« Pinsel» befruchtete antideutsche Propaganda geht heute wie im Kriege allenthalben auf Seelenfang au». Auf die Arten und Abarten dieser chronischen Hetze gegen Deutschland einzugehen, ist hier nicht der Platz. Der Zweck dieser geilen ist vielmehr der, die Zeit genossen darauf hinzuweisen (sonst merkten sie'» nicht), daß als Gegenzug auch eine, wenn auch vorläufig nur private deutsche Propaganda zur Beeinflussung der Gemüter, zumal der in Deutschland reisenden Aus- länder, im prodeutschen Sinne eingesetzt hat: und zwar eine kombinierte Propaganda der Schrift und des bildmäßigen. In den Eisenbahn zü gen, und zwar vornehmlich in der 1. und 2. Klasse (in der man die valutastarken reisenden Ausländer vermutet), werden jetzt ziemlich massenhaft kleine unscheinbare, 8 Seiten starke Heftchen verteilt, die aus das Deutschland im Ruhrgebiet angetane Unrecht Hinweisen. Diese Broschürchen zeichnen sich leider dadurch au», daß sie so schlecht gedruckt sind, daß nur Wenige sich die augenschmerzende Mühe machen, sie durchzulesen, ob wohl die Vorderseite die Mahnung trägt: Lesen! Weitergeben! Im übrigen zeigt sie in verwaschenem Braundruck eine in Hodlerscher Manier aneinander gereihte und etwa im Stile Kokoschkas gezeichnete Anzahl von Arbeitsmännern. Im Hintergründe sieht man ganz, ganz fragmentarisch ein Bergwerk. Das ganze Bild ist eingerahmt von dem Vers: „Trotz Leid und Tod klingt laut der Schwur: Fest bleibt und deutsch das Volk der Ruhr!" Auf den Innenseiten wird zunächst statistisch, und zwar durchaus nicht ungeschickt, jedoch kaum er kennbar und leserlich, dargetan, was das Ruhr gebiet, „das industrielle Herz Deutschlands", für das Reich wirtschaftlich bedeutet. Weiter werden unter Zuhilfenahme von z. T. sehr naiver bildlicher Illu strierung die „wahren und angeblichen Gründe" des französischen Militarismus und des französischen Wirtschaftsimperialismus für die Besetzung des Ruhrgebiets nebeneinandergestellt. Es folgt eine Aufzählung der französischen Bluttaten im Ruhr- gebiet, deren Scheußlichkeit durch die Abbildung eines schreckenerregenden Negersoldaten neben einer großen Kanone noch unterstrichen wird. Die Rück- feite wird eingenommen durch eine Aufzählung der deutschen Leistungen an die Entente vom 11. No vember 1918 bis 30. September 1922. Eingestreut sind offizielle Auslassungen der Regierung, des Kanzlers und des Reichepräsidenten zur Ruhrfrage. Das ist der tatgewordene Ausdruck des Versuchs einer Antihetzpropaganda in der Ruhr-Angelegenheit. Daß überhaupt der Gedanke einer deutschen Pro paganda Früchte gezeitigt hat, ist anzuerkennen; der Wille, der Feind-Propaganda das Wasser ab zugraben, ist zu loben. Aber die Verwirklichung dieses Willens ist denn doch zu kläglich, als daß man sich irgendeinen Erfolg von den kleinen, in An wendung gebrachten Mittelchen versprechen könnte. Wenn der glänzend organisierten Propaganda un serer Gegner ein Paroli geboten werden soll, wenn die Seelen der in Deutschland weilender Ausländer der deutschen Sache erobert werden sollen, dann muß da» deutsche Gegenmittel sich über die aller- ersten, ungeschickten Versuche der Propagierung des prodeutschen Gedankens doch ein wenig erheben. Sonst ist jede Geldsumme dafür, mag sie auch noch so bescheiden sein, unnütz vertan, — vielleicht gerade, weil sie allzu niedrig bemessen war. vr. RsiAefi»! Gefängnis für eine» Spielklub - Unternehmer. Die Berliner Kriminalpolizei und die Gerichte gehen jetzt mit größter Schärfe gegen die Ver« yoauerstsg, chru 10. Di« vrandenburger Suchthausrevolte Der Aufruhr in der Brandenburger Straf- anstatt, über den schon in einem Teile der gestrigen Nummer berichtet, konnte im Laufe de» Dienstag wenigstens insoweit beigelegt werden, als es der Polizei und den Beamten der Strafanstalt gelang, wieder die Oberhand über die revolutionierenden Sträflinge zu gewinnen. Da man zu der Annahme neigt, daß die Aufrührer mit außenstehenden Hel- fershelfern in Verbindung stehen, ist die Umgebung de« Zuchthauses streng abgesperrt. Im Hof der An stalt sah es wüst aus. Alles, was in den Schlaf sälen picht niet- und nagelfest war, wurde von den revoltierenden Zuchthäuslern durch die Gitterstäbe aus dem Fenster geschleudert. Die Betten waren kurz und klein gerissen, Tische, Schemel usw. völlig zertrümmert, selbst Mauerstücke waren losgerissen und auf den Hof geworfen. Ueber die Ursache der Revolte wird uns berichtet: Zn der Strafanstalt, die nur über sechzig Einzel- zellen verfügt, befinden sich gegen 700 Gefangene, darunter viele Russen und Polen und ein erheb licher Prozentsatz Schwerverbrecher. Da seit der Revolution das Sprechverbot aufgehoben wor- den ist und die Insassen zum größten Teil gruppen- weise in früheren Arbeiteräumen untergebracht sind, konnten die Sträflinge sehr leicht miteinander in engere Beziehungen treten. Als weiteres Moment kommt hinzu, daß die A n st a l t s p o l i z e i am Tage nur 25, in der Nacht nur 92 Äkann umfaßt. Durch eine neue Ko st Verordnung des Justizministeriums, wodurch vor allem Mittagessen von I^L auf I Liter reduziert wurde, ist nun die Aufsässigkeit der Sträflinge zum offenen Ausbruch gekommen. Bei einem kürzlichen Besuch des Prä- sidenten des Strafvollzugamtes über- reichte eine Abordnung der Gefangenen eine lange Liste, die nicht weniger als 36 Forderungen enthielt. Der Präsident genehmigte vorläufig einige Punkte dieses Wunschzettels, u. a. die Rauch- und Lesefrei, heit, den Spaziergang in Gruppen, die Ablegung der Waffen seitens der Beamten während der Hof aufsicht und auch tzie Beibehaltung der alten Portionen. Der Iustizminister hob nun vor einigen Tagen diese Vergünstigungen wieder auf. Inzwischen war jedoch noch ein weiteres Moment zur Verschärfung der Situation hinzugetreten. Die verschiedenen Ar beitgeber, die laufende Lieferungsverträge mit der Anlastt abgeschlossen hatten, reduzierten die Löhne, von denen die Zuchthäusler die Hälfte zur eigenen Verwendung erhalten, derartig, daß weit unter dem Tarif, den das Ministerium festgesetzt hatte, gearbeitet werden mußte. Durch die regelrechten Versammlungen und Hetz reden auf dem Hofe waren die Gefangenen so erregt worden, daß die Entscheidung des Justizministeriums sofort mit dem Absingen der Internationale und einem wüsten Zerschlagen des Mobiliars beant wortet wurde. Durch das Dach suchten die Insassen der Strafanstalt zu entfliehen und nur das schnelle Eingreifen der Schupo, die eine völlige Absperrung vornahm, verhinderte einen gewaltsamen Ausbruch. Verletzt wurde bisher nur ein Sträfling durch einen Knieschuß. Nach den bisherigen Besprechungen mit de», Präsidenten des Strafvollzugamtes und dem Justiz» Ministerium sind sehr einschneidende Maßnahmen zu erwarten. ttarlMaq und Julesverne Von IRsx 0ro«1 Ueber die Stimmung meiner ersten Gymnasial jahre kann ich eine sehr präzise Angabe machen: es war die Zeit, in der die Iules-Verne-Bücher durch die neu aufkommenden Karl-May-Bände verdrängt wurden. Ich gehörte noch zur alteren Generation. Sehr deutlich schied ich mich von den Karl-May- Enthusiasten, blieb bei Jules Vernes Romanen stehen. Das gab einen nicht zu übersehenden Grenzstrich, der Gespräche, gemeinsame Interessen, Abenteuer, das ganze Leben zerschnitt. Karl May gefiel mir gar nicht. Weder für die berühmte Silberflinte, noch für den wackeren Sir David Lindsay konnte ich mich begeistern. Und zu den mit Fanatismus verehrten Winnetou-Bänden bin ick gar nicht mebr vorgedrungen. Ick las nur, auf dringende Empfehlung eines Freundes: „Don Bagdad nach Stambul." Dann einen Roman, der in Fortsetzungen im „Guten Kameraden" erschien: „Der schwarze Mustang". Die ewige Wiederholung gleich artiger Lebensgefahr-Situationen langweilte mich bis ins Mark. Ich suchte meinem Freunde klarzu machen, um wieviel schöner die immer überraschenden Erfindungen von Jules Verne seien. Vergebens! — Es war meine erste literarische Debatte. Und mit demselben Erfolg geführt wie die meisten späteren; mit der Schlußerkenntnis, daß die Existenz der gegne rischen Ansicht zwar zugegeben werben müsse, jedoch gänzlich unbegreiflich sei. Erst viel später habe ich das Wort Oscar Wildes erfassen gelernt: „Nur die verlorenen Seelen strei- ten." — Und ich fürchte, daß ich es auch heute noch nicht voll erfaßt habe. Erbittert, im Namen meines Lieblings gekränkt, dem die Welt Unrecht tat, versenkte ich mich mit ver doppeltem Eifer in die phantastischen Reisen Derne». Und wenig rührte es mich, daß damals Karl May in eigener Person nach Prag kam, in seinem Hotel- zimmer von unzähligen Gymnasiasten (meine Kol legen mit dabei) förmlich belagert wurde und schließ lich einigen der ungestümen Verehrer Photographien schenkte, auf denen er im Trapperkostüm nebst Silber- flinte zu sehen war. Den kostbaren Autogrammen, die in der Pause von Hand zu Hand gingen, und für den höchsten, unter Gymnasiasten üblichen Preis, für zwei Karl-May-Bände, verkauft wurden — diesen unschätzbaren Raritäten schenkte ich keine Beachtung. Ich la»: „Reise zum Mond", „Reise um den Mond". — Dann mit besonderer Vorliebe „Die ge heimnisvolle Insel". Ich hatte da» brennende Be dürfnis, keine geile von Jule» Derne ungelesen zu lassen. Nur in der Jugend flammt die Liebe zu einem Licblingsautor so hoch auf. Seither habe ich nur Schopenhauer und Flaubert in Perioden von solch ausschließlicher Leidenschaft studiert. Daß es auch schwächere Bände im Werk des frucht baren Derne gab, wollte ick lange Zeit nicht zugeben. Es gehört zu meinen frühesten literarischen Ent täuschungen, daß ich dann schließlich doch in einem der wenigen bekannten Zules-Derne-Bücher stecken geblieben bin; es handelte, wenn ich mich recht ent sinne, von der Fahrt einer Zirkusgesellschaft durch Sibirien. — Aber wie reich entschädigte dann „Die Reise durch die Sonnenwelt", „Das Dampfhaus" und vieles andere. Ein merkwürdiges Behagen erfaßte mich, gleich wenn ich die erste Seite eines Derne-Bandes auf schlug. Dieses Behagen habe ich später bei keinem Autor mehr gefühlt. Es hatte etwas ganz Körper liches und hing vielleicht damit zusammen, daß die Figuren Dernes immer in einer so wohnlichen Um gebung leben. Auch sind sie nicht von Leidenschaften zerfetzt, sind eigentlich nie verliebt; auch ihre Seele ist wohnlich eingerichtet, auf eine einzige Angelegenheit konzentriert, auf eine Entdeckung oder, wie in den „Kindern des Kapitän Grant", auf Entziffert«^ des so geschickt unleserlichen Briefes, daß zur Aufklärung je einer der vielen Fehldeutungen immer ein Roman band und ein Erdteil nötig wird. — Wie wundervoll beruhigend wirkt z. D. dieser „Kapitän Hatteras", der nichts will als den Norpol erreichen. Ich habe so ziemlich alle Detail» de» Romans vergessen; und den, noch ist mir die einheitliche Grundrichtung als etwas Mächticfts im Gedächtnis geblieben. Und in schlaf losen Nächten weiß ich keinen besseren Trost, als mich in diese gesammelte Energie de» legendären „Hatte- ras' mit aller Kraft zu stürzen. Denke ich dann noch an seine warme Fellhütte, in der er sich so traulich verkroch und in einer Ecke zusammenrollte, wenn >raußen über die Eisschollen ein Wind Don unwahr- cheinlich vielen Fahrenheit-Kältegraden strich: so bin ch ziemlich sicher, trotz ärgster Aufregungen in ziem- scher Geborgenheit wieder einzuschlafen. Ich habe noch nicht gewagt, eine dieser schönen Zugenderinnerunaen kritisch zu überprüfen, indem ich ein Iules-Derne-Buch neuerlich lese. Diel besser ist es, die Erinnerungen in ihrem anheimelnd milden Goldglanz zu bewahren. Ich gedenke der stillen Zimmer, die „Kapitän Remo" in seinem Unterseeboot bewohnt. Manchmal greift er in die Tasten seines Harmoniums oder bewundert die Naturschätze der Tiefsee, die er in Vitrinen aufgestellt hat. Sein Museum fliegt mit ihm. Durch die dunkle Nacht zwanzigtausend Meilen unter dem Meeresspiegel, nur Rumkorff-Akkumulatoren (oder eine andere, längst nicht mehr gebräuchliche elektrische Apparatur) leuch- ten den Weg voran. — Und ebenso vorzüglich ein gerichtet ist „Robur der Sieger" in seinem Riesen- flugschiff. — Wundert man sich, daß der Film von den erfindungsreichen Geschehnissen Derncs noch sehr wenig Gebrauch gemacht hat? Man liebt es ja, Verne als Vorläufer unseres maschinellen Zeitalters darzustellen. Und so müßte keiner wie er zum Film, der Blüte mechanischer Schöpfungskräfte, passen. Doch das ist nur scheinbar so. In Wahrheit bietet Perne genau den entegegenacsetzten Bedürfnissen Nah rung wie da» Kino. Im Kino werden ja immer nur die allerüblichsten Leidenschaften verzapft, immer wie der dasselbe Entsetzen mit geweitetem Blick, dasselbe Lächeln mit Tränen im Auge. Nur werden diese Utensilien, einst Eigentum der Poesie, auf maschinel- lem Wege, sozusagen in Großindustrie, hergestellt. Das Kino ist die Maschine der Romantik. Derne aber gab: die Romantik der Maschine. Er steht in den kindlich arglosen Anfänge unserer Stahl-Konjunk- tur, für ihn ist alles neu, er geht niemals ausgefah rene Wege. Mit zärtlichem Blick wie ein Liebhaber streichelt er die von Schöpferglanz umstrahlten Auto» maten des modernen technischen Hochbetriebes. Während man auf amerikanischen Filmen immer wieder sehen kann, wie die blasierte Miß Millionärin ihren Liebhaber von oben herab, mit pauschaler Lei- stungsabschätzung wie einen technischen Automaten de« modernen Hochbetriebes mustert. Rücktritt des Ge«er«Iinte»da»t<» Gruft Hardt- Weimar. Die Nachricht von dem geplanten Rück tritt der Generalintendanten Ernst Hardt von der Leitung des Nationaltheaters in Weimar scheint den Tatsachen zu entsprechen. Wie die Zeitung Das Volk in Jena hört, befand sich unter den 69 Bewerbern um die Leitung der Berliner Volksbühne auch Ernst Hardt. Nachdem die Wahl zum Leiter der Berliner Volksbühne auf Regisseur Holl-Stuttgart fiel, hat Ernst Hardt — wie dieselbe Zeitung zuverlässig wissen will — weitere Schriite zur Uebernahme der Leitung eine» anderen Theater» übernommen. LenghelS „Taifun" als Oper. Der Professor Theodor Szanto ist in Dresden eingetroffen, um auf dem Weißen Hirsch seine Partitur zur Lpcr Taifun, Text von Lengyels, zu vollenden. Lenghe's Schauspiel hatte bekanntlich vor Jahren einen sensationellen Erfolg. Warn« sich Seeleute tätowiere«. Tas Tätowieren, das ja unter Seeleuten be sonder» beliebt ist, wird in einem neuen eng lischen Buch über Seemannsaberglauben von E F. Smith bis in ferne Vergangenheit zurück verfolgt. Nach der Ansicht des Verfassers diente die Tätowierung zunächst nicht abergläubischen Zwecken, sondern sie stellte etwa dasselbe dar, wa» die Erkennungsmarke bei den Soldaten des Weltkrieges war. Für den Fall eines Schiff bruch» wollte der Seemann durch diese schwer zerstörbaren Zeichen demjenigen, der seine Leiche fand, Anhaltspunkte für seine Herkunft usw. geben. Der katholische Matrose z. B., der sich ein Kruzifix auf seinen Arm tätowieren ließ, konnte sicher sein, daß er ein christliches Be gräbnis erhalten würde, wenn seine Leiche in irgend einem christlichen Land an die Küste ge spült wurde. Tie Anschauung, daß die Tätowie rung al» eine Art Amulett wirkt und Glück oder Schutz bringt, soll sich erst später entwickelt haben. Eine Bibliothek klassischer deutscher Literatur. Erich Schmidt, dessen Todestag sich jetzt zum zehnten Male gejährt hat, war nahe befreundet mit dem Regierung»rat Ernst Magnus in Berlin und sein ständiger Berater bet dem Aufbau der Bibliothek deutscher Literatur de» 18. und 19. Jahrhunderts, !die ihresgleichen nur ganz wenige hat. Diese Bücherei des 1910 verstorbenen Regierungsrate» Magnu» wird in der nächsten Woche bei Joseph Baer in Frankfurt a. M. zur Versteigerung kommen. Seit 10, 12 Jahren ist Wohl keine Bibliothek versteigert worden, die so viel Seltenheiten unserer klassischen Literatur ihr eigen nannte. «u» den Lheaterbureau». (Neues «Operetten theater.) Donnerstag, 10. Mai (HimrnelfahrtStag), findet im Operettentheater eine volkstümliche Nach mittagsvorstellung mit der Operette „Die Fledermaus" zu ermäßigten Preisen statt. — Das Ttitdtische Schauspiel wird aus eine Einladung hin in der Festwoche de« Verein» der Freunde der Warwurg in Eisenach al« erste Veranstaltung am Freitag, den 11. Mai, im dortigen Stadttdeater Goethe« „Lorm"') Lasso" ,ur Ausführung dringen.
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