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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 10.05.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-05-10
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192305108
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230510
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230510
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-05
- Tag 1923-05-10
-
Monat
1923-05
-
Jahr
1923
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. WL---^««-^. —V- »VV L.U.- Der Gondershäuser Sitberdiebstaht Schwere Vorwürfe eines Angeklagten — Oie Vernehmung -es Hofmarschalls v. Haler» ^agerderickt Sum Himmelfahrlsfeste Bon p»ul M»rNn N»a», ordentl. Professor der Marburger theolog. Fakultät Himmelfahrt! Das Fest mit dem schönsten Namen. Wer wollte nicht gern gen Himmel fahren? Wer hörte nicht gern, daß dec Weg ge funden und die Tür offen ist? Und doch ist es nicht das Fest, an dem die Kirchen am vollsten sind. Da kann es mit Weih nachten und Ostern nicht konkurrieren. Mitten in der Woche ein Feiertag, im wunderschönen Monat Mai: das lockt hinaus in die Natur, wo cs ebenso herrlich grünt und blüht. Und wenn die Sonne freundlich drein scheint, so gibt es da draußen das schönste Himmelfahrtsfest. Nur ist die Zeit zu ernst, als daß man von der Freude an der Natur allein recht fröhlich sein könnte Geouält von öffentlicher und persön licher Not, horcht man wohl auf, wenn man hört: „Himmelfahrt!" Ist erst jemand vorangegangen, so kommen wir andern wohl nach. „Der dunkle Weg, den Er betrat, geht in den Himmel aus, und wer nur hört auf seinen Rat,, kommt auch ins Vaterhaus." So singt Novalis. Es ist wie ein süßes Geheimnis, das uns da verraten wird. Es ist die Stillung einer tiefen Sehnsucht. Nun sind die Menschen ja heute viel zu auf geklärt, um sich vorzustellen, daß jemand, sei cs ein Lebendiger oder ein Toter, leibhaftig in den Himmel gefahren sei. Aber das verlangt ja auch die Kirche nicht, daß ihre Botschaft zum Fest so grob-materia- listisch aufgefaßt werde. Luther hatte gewiß einen massiven Glauben, aber er will nichts da von wissen, daß Jesus damals von einem Ort an den andern gewandert sei und „sitzet nun droben auf einem güldenen Stuhle und lasset die Engel vor ihm spielen und hofieren". Aber freilich, seine Herrschaft hat Christus nun an getreten; sein Reich, das nicht von dieser Welt ist, hat er aufgerichtet, ist nun ein Sieger über die ganze Welt. So ist Himmelfahrt wie ein Echlußpunkt zu alledem, was von Jesus be richtet, gehofft und geglaubt wird. Nun überliefert aber dieselbe Kirche, die das Himmelfahrtsfest Christi feiert, auch, daß er niedcrgefahren sei zurHölle. In der Bibel ist davon wenig die Rede, und wann und wie Jesus in der Hölle gewesen sei, was er dort getan habe, ob er gepredigt oder gerichtet, darüber sind die Kirchenlehrer alter und neuer Zeit ver schiedener Ansicht gewesen. Aber die Phantasie christlicher Künstler und Dichter hat dieser Be such des Totenreichs oder der Hölle durch Christus ost und mächtig erregt, wie auch seine Himmelfahrt. Es hat aber die Weisheit aus diesem Ge schichten einen Schluß gezogen, den zu beher zigen wir heute alle Ursache haben: daß es Dämlich keine Himmelfahrt gibt ohne vorherige Höllenfahrt. Dies will natürlich nicht sagen, daß, wer in den Himmel will, zuvor in die Hölle müßte. Wohl aber will es daran erinnern, wie Jesus Christus zu seiner Sieges-Herrlichkeit nicht kam, ohne daß er zuvor durch Leisen und Tod mußte. So gibt es auch für uns kein Heimkommcn zum sengen Ziel, wenn wir nicht den rauhen, harten, vielleicht grausamen Weg gehen, der zu diesem Ziele führt. Das ganze Leben des Christen soll eine Himmelfahrt sein. Aber diese Himmelfahrt geht durch manche saure Stunde, jawohl, durch manche Hölle. Bedürfen wir weiter Zeugnis? Wir alle, wie es uns auch persönlich gehen mag. sind jetzt mit unserem Volke so tief unten, daß man wohl sagen darf: Das ist die Hölle. Nur der Kurzsichtige, der Leichtsinnige, nur der auf Kosten seines Volkes auf Vorteil Bedachte — es wird Ahm schwerlich gut bekommen! — tann sich der Furchtbarkeit unseres gegenwärtigen Schicksals entziehen. Wohl dem, der da mitten in der Höllenfahrt an eine Himmelfahrt glauben tann! Aber daß man sich das mit seiner Phantasie einbildet, das nützt nichts. Das hat keinen Wert. Ewige Gesetze walten über unseren Geschicken. Es gibt kein Hoffen und Harren, das „macht manchen zum Narren". Und es gibt Hoffnung, die „nicht läßt zuschanden werden". Ein großer Unterschied. Nicht auf jedes Leid folgt Freude, nicht auf jede Niederlage folgt Sieg, nicht auf jede Schmach folgt Ehre. Nicht auf jede Höllenfahrt folgt Himmelfahrt. Mancher bleibt in seiner Hölle. Nein, es muß eine rechtschaffene, mannhafte, ehrliche Höllenfahrt sein, die ^den Kampf mit dem Teufel aufnimmt. Und das wird kein Kampf mit äußeren Waffen sein, mit Klugheit oder mit Gewalt. Sondern die Höllen fahrt, die zur Himmelfahrt wird, das ist die Höllenfahrt der Selbsterkenntnis. Kein Ver- gnügen ist das, sich selbst zu erkennen, in all seiner Schwachheit, Torheit und Schuld. Es ist eine ganz schmerzhafte und ernste Operation. Aber es ist der Weg zur Genesung, die Be dingung, ohne deren Erfüllung wir nicht gesund werden. Es braucht nicht lange Beschreibung unserer Untugenden, und der Tugenden, die wir haben könnten und sollten. Wir sind reich genug an Gaben und Kräften. Verschulten und ver geuden wir die nicht! Halten wir Haus damit!, An dem Wort „Verantwortung" lieg: alles. Sich verantwortlich fühlen für sein privates Leben, für Geschäft und Beruf, für Familie und Nach barschaft, für Gemeinde, Staat, Kirche, für jedes Ganze, dem man als Glied angehöct, zuletzt für Volk und Menschheit. Leiden wir nicht Höllen- gualen, wenn wir bedenken, wie unr es da an uns Halen fehlen lassen, und noch an uns fehlen lassen? Kann, muß das nicht anders werden — wenn wir nicht verloren sein wollen, und die We.t mit uns?. Anfängen mit der einfachsten Redlichkeit und Wahrhaftigkeit sortfahrcn nsst der Bewährung eines vielleicht erst noch geringen, aber immer wachsenden G e - meinsinns. Und so heraus aus der Hölle! Mit vsremten Kräften. Wohin? In den Himmel hinein! Himmel auf Erden? Es soll mir schon recht sein. Aber wenn es nur Ubrrhrapt himmel an gel,t. Wie der Himmel aussieht, das werden v ir ja sehen, wenn wir mit unserer Reise ans Ziel kommen. Der Ankauf von Neichssilbermüuzen durch die Reichsbank und Post erfolgt bis auf weiteres zum 2000 fachen Betrage des Nennwertes. Der Streik in der Leipziger Markthalle dauerte auch am Mittwoch unverändert an. Verhandlungen mit dem Rate haben noch nicht stattgefunden. Die -streikenden Markthallen-Standinhaber haben an die Kreishauptmannschaft eine Beschwerde gerichtet, in der sie um Aufhebung der einschränkenden Rats verfügung ersuchen. Im übrigen scheint auch der Rat nicht nachqeben zu wollen, denn er will die Zentralmarkthalle am Freitag und Sonnabend ebenfalls erst um 8 Uhr öffnen lassen. " Aschenregen in der Umgebung de» Vesuvs. Ein dichter Aschenregen hat die Bevölkerung der Ort schaften um den Vesuv in Aufregung versetzt. Es handelt sich indessen nur um alte, vom Sturm ab gewehte Aschenmengen, die seit 1906 in Mulden des Vesuvs aufgehäuft sind. Sachverständige versichern, daß vom Vesuv vorläufig nichts zu befürchten sei. Der Sturm, der die Asche fortführte und drei Tage anhielt, bat im Hafen von Neapel große Schäden an gerichtet. Ein Schleppdampfer und einige Boote sind gesunken. 36 Schiffe sind beschädigt worden. Don unserem Sonderberichterstatter ssss ».Sondershausen, S. Mai. In der weiteren Verhandlung wird der Bruder des angeklagten Goldschmieds Wiegleb, der Ma gistratsschreiber Ludwig Wiegleb, vernommen, ein 25jähriger Mann, der in saloppem Ton, seine Angaben macht, so daß er vom Vorsitzenden zu einer mehr respektvollen Haltung aufgefordert wird. W. will nur aus Liebe zum Fürsten gehandelt haben. Sein protokollarisches Geständnis widerrief er. Darauf kommt es zu einem Zwischenfall Der Angeklagte beklagt sich über die Behandlung in der Voruntersuchung. Der Kriminalkommissar Faul hauer und Staatsanwalt Kunze hätten ihn zu den Aussagen förmlich gepreßt. Er rüst mit lauter Stimme in den Saal, wobei er auf den Tisch schlägt: Beide Herren stehen ja mit der Schloßverwaltung unter einer Decke und gehen im Zylinder bei Herrn v. Halem aus und ein. Das Gericht wolle aber nicht zugebey, daß der Sachverhalt so ist, und wolle nicht wissen, daß der Staatsanwalt hinter dem Hofe steckt, lieber diese Worte entsteht eine große Be- wegung am Richtertisch und im Zuhörerraum, so daß der Vorsitzende den Angeklagten Wiegleb abführen läßt. Infolge dieser aufregenden Vorgänge wird dem Mitangeklagten Schönbrodt übel, und die Verhandlung muß auf 10 Minuten unter brochen werden. Nach Wiederaufnahme verkündet das Gericht, daß der Angeklagte Ludwig Wiegleb in eine sofort voll streckbare Ordnungsstrafe von "drei Tagen Haft genommen wird. Der dritte der Brüder, der 18jährige Uhrmacher lehrling Willy Wiegl.eb, bekundet, sein Pater habe ihm gesagt, es solle "ein Einbruch im Schlosse fingiert werden. Er habe selbst nicht mitgetan und will nur geholfen haben, die Teller nach Nordhausen und nach Berlin zu bringen. Seine Vernehmung ergibt die gleichen Widersprüche mit den protokolla rischen Angaben wie bei den übrigen Angeklagten. Der 62jährigen ledigen Verkäuferin Emma Rübe samen legt die Anklageschrift zur Last, die An- geklagten dadurch unterstützt zu haben, daß sie das Geld aus dem Verkauf des Silbers aufbewahrt habe. Fräulein Rübesamen ist eine Schwägerin Wieglebs. Bei der Haussuchung wurden in ihrer Wohnung 2 207 000 <^l gefunden. Die Angeklagte verfügt über eine außerordentliche Beredsamkeit, die vielfach Heiterkeit erregt. Sie ist stark nervös und bricht schließlich in Weinen aus, indem sie mit der Faust auf den Tisch schlägt und ruft: „Ich weiß von 'nichts, Herr Präsident, ich bin eine anständige Frau!" Mehr ist aus ihr nicht herauszubekommen. Angeklagter Oskar S ch ö n b r o d t - Berlin war Geschäftsführer bei Trapp und mit dem börsen mäßigen Austauf von Gold- und Silberwaren und Edelsteinen beauftragt. Er verbreitet sich ausführ lich über die Usancen der Berliner Goldaufkäufer und bespricht dann das mit Wiegleb abgeschlossene , Kaufgeschäft. Er habe sich dabei nichts Böses ge dacht und sei sich nicht der Hehlerei bewußt gewesen, weil er ja einen Händler vor sich gehabt hätte. Bors.: Der erste Kauf von Wiegleb ist doch gar nicht gebucht worden. — Angekl.: Ja, das ist sehr einfach. UnLere Bücher waren vom Finanzamt wegen einer kleinen Brillantgeschichte beschlagnahmt wor den, so daß wir keine Bücher hatten. Beim zweiten und dritten Geschäft mit Wiegleb ist mein Chef, Herr Trapp, mit -dabei gewesen. — Vors.: Sie wissen doch, daß gewisse Schlüsse daraus gezogen worden sind, daß Ihre Firma noch kurz vor dem Abschluß mit Wiegleb sich eine neue Silberschneide, maschine angeschafft hat. — Angell.: Jawohl. Das Zerschneiden des Silbers ist aber notwendig, ehe man es einschmelzt. Wir haben die Waren dann an die Firma Freiser in der Kupfergrabenstraße in Berlin verkauft. Eine ähnliche Darstellung gibt auch ber an- geklagte Restaurateur Alfred Schumann, der aushilfsweise tätig gewesen sein will, und jetzt wie der seinen eigenen Geschäftsbetrieb hat. Damit ist die Vernehmung der Angeklagten ab geschlossen, und es wird in die Beweisaufnahme eingetreten. Auf Antrag der Verteidigung wird der Angeklagte Ludwig Wiegleb wieder zür VÄ- handlung zugelassen. Als erster Zeuge kommt Kriminalkommissar Trettin aus Berlin zur Vernehmung. Der Zeuge sagt aus: In Berlin haben sich seit einigen Jahren Goldankaufsstellen in erschreckendem Maße aufgetan. Sie sind eine direkte Plage für das ganze Volk. Ich habe erst vor einigen Tagen dem Reichstag darüber referieren müssen. Die Aufkäufer machen die Gc- schäfte vielfach im geheimen und sind dadurch schwer zu kontrollieren. Um jedem Mißstand abzuhelfen, wird demnächst ein Gesetz herauskommen. Wir haben in Berlin eine sogenannte Edelmetallstreise eingerichtet und kontrollieren die Geschäfte. Ich habe aber noch kein Geschäft gefunden, das ganz ordnungsmäßig die Bücher führte. Die kleineren Aufkäufer veräußern ihre Edelmetalle an größere Firmen, im Umfange von Trapp, die dann wieder das eingeschmolzene Metall dem Großhandel zu führen. Ich bin der Meinung, daß die Aufkäufer die nötige Sorgfalt bei Prüfung der Personen der Verkäufer vermissen lassen. Um nicht mißverstanden zu werden, möchte ich betonen, daß die Firma Trapp einmal die Polizei von einer gestohlenen Kette im Werte von 650 Mill. Mark benachrichtigt hat. Iustizrat Dr. Landau-Berlin: Kommissar Trettin ist doch nur als Zeuge geladen, um über die Verhaftung auszusagen. Er äußert sich aber als Sachverständiger. Ich erkläre, daß er kein Sachvxr- ständiger ist und ich daher ablehne, ihn als solchen anzuerkennen. Präs.: So genau läßt sich das doch nicht trennen. Auch am zweiten Derhandlungstage ist der Au- Hörerraum überfüllt. Zu Beginn der Sitzung wer den drei Leumundszeugen vernommen, die über die Angeklagten Schönbrodt und Wiegleb sen. Zeugnis ablegen sollen. Pastor Deukcnstein - Nordhausen schätzt Wiegleb als einen aufrichtigen, religiös empfindenden Ehrenmann. Sodann wird Hofnrarschall von Halem als Zeuge aufgerufen. Der Zeuge, ein 53jühriger, elegant ge kleideter Herr, war bis zum Ausbruch der Revolu tion Landrat in Westpreußen und dann persönlich haftender Gesellschafter der Vereinigung wissen schaftlicher Verleger. Im Mai 1921 ist er in den Dienst des Fürsten getreten. Präs.: Welcher Art waren die Maßnahmen finanzieller Natur, die Sie trafen? — Zeuge: Zunächst mußte ich den ganzen Schloßbstrieb redu zieren, das Personal einschränken, den Marstall ver kleinern usw. Dann hatte ich auch Verkäufe vom Eigentum des Fürsten zu tätigen. — Präs.: Welche Personen wurden zu diesen Käufen hinzugezogen? — Zeuge: Es ist unmittelbar an die Aufkäufer herangetreten worden. Ein Herr von Reizenstein schrieb einmal, ob er ein Gemälde kaufen könnte. Der Fürst war damit einverstanden, daß der An frager das Schloß besuchte. Dabei sah von Reizen stein Kunstgegenstände, die er dann aufkaufte. Der Verkauf der zweiten Serie erfolgte dadurch, daß ein Hofmarschall des Kaisers, Graf Platen in Berlin, an mich schrieb und den Wunsch äußerte, Kunst gegenstände zu erwerben. Graf Platen besuchte mit dem Antiquitätenhändler Pollack die Schlösser Schwarzburg und Sondershausen, traf seine Wahl, und der Kauf wurde im Einverständnis mit dem Fürsten abgeschlossen. Präs.: Haben Sie absichtlich zu Ihrer Um- Vie Hochzeitsreise Don ^«rom» X. Meine furchtbarste Erfahrung auf dem Gebiet der Hoc^eitsreisenden erlebte ich im Süden Eng lands vor einigen Jahren. Ich war damals ein schüchterner, bescheidener junger Mann. Es gibt auch heute noch Leute, die sich über meine Zurück haltung beklagen, aber die modernen Mädchen ver langen wirklich zu viel von einem Mann. Aber selbst damals war ich nicht so schüchtern wie sie. Wir reisten von Lyndhurst nach Ventnor, was da mals eine recht mühselige Fahrt war. „Ich bin so froh, daß auch Sie diese Strecke fahren", sagte ihre Tante zu mir. „Minute ist immer so ängstlich, wenn sie allein ressen muß. Sie werden sich ihrer annehmen, und ich brauche mir keine Sorgen zu machen." Ich entgegnete, es sei für mich ein Ver gnügen, und in dem Augenblick meinte ich dies auf- richtig. Am Mittwoch besorgte ich zwei Plätze im Postwagen bis Lymington, von dort aus wollten wir den Dampfer benützen. Ich ahnte nicht, was mir bevorstand. Der Billettverkäufer, ein ältlicher Mann, sagte: „Eie können einen Platz auf dem Bock und einen ganz hinten in der Kutsche haben." „Gibt es nicht zwei Sitze nebeneinander?" fragte ich. Er war ein freundlicher alter Bursche, zwinkerte mir listig zu. Auf dem Heimweg fragte ich mich, weshalb er so verständnisinnig gelächelt habe. Er sprach: „Ich werde es schon arrangieren." „Das ist sehr freundlich von Ihnen." Er legte mir die Hand auf die Schulter, was ich etwas merkwürdig fand, und erklärte: „Wir waren alle einmal dort." Ich glaubte, daß er die Insel Wight meine und entgegnete: „Diese Jahreszeit soll die beste sein." Er erwiderte: „Der Sommer ist dafür gut, aber auch der Winter, solange es anhält. Nützen Sie die Zeit aus, junger Mann!", und er klopfte mir lachend auf den Rücken. Ich begann ärgerlich zu werden, bezahlte die Sitze und ging. Um halb neun Uhr morgens strebten Minnie und ich nach der Poststation. Ich nenne sie Minnie, nicht weil ich frech sein will, sondern weil ich ihren kamiliennamen vergessen habe. Ich sah sie seit zehn Jahren nicht mehr. Minnie war ein hübsches Mäd chen, hatte jene braunen Augen, die sich vor dem Lachen verschleiern. Die Tante begleitete uns nicht, weil sie Kopfschmerzen hatte; sie erklärte, sie besäße zu mir volles Vertrauen. Der alte Billettverkäufer erblickte uns schon von weitem, machte den Kutscher auf uns aufmerksam, sowie die übrigen Fahrgäste. Alle verstummten und betrachteten uns. Aus ge heimnisvolle Art schien sich plötzlich alles um uns zu drehen. Der Billetteur half Minnie aus dem Wagen, einen Augenblick lang glaubte ich, er werde sie küssen. Der Kutscher grinste. Zwei Stuben mädchen und ein Kellner kamen aus dem benachbar ten Hotel gelaufen, und auch sie grinsten. Ich zog Minnie etwas abseits und flüsterte ihr zu: „Wir müssen irgendetwas Komisches an uns haben, alle Leute grinsen, wenn sie uns anschauen." Sie be- trachtete mich, und ich betrachtete sie, doch konnten wir nichts Komisches entdecken. Der Billettverkäu- fer kam zu mir und sagte: „Es ist alles in Ordnung. Ich habe für Sie zwei Plätze hinter dem Dock reser viert. Es macht Ihnen wohl nichts aus, recht nahe beieinander zu sitzen." Er zwinkerte dem Kutscher zu, dieser wiederum zwinkerte den Fahrgästen zu, alle zwinkerten und alle lachten; die beiden Stuben- Mädchen wurden schier hysterisch und mußten sich an einanderklammern. Noch nie hatte ich so heitere Fahrgäste gesehen. Wir setzten uns und dachten noch immer über das seltsame Benehmen der Leute nach, als eine fette Dame auftauchte und nach ihrem Platz fragte. Der Billettverkäufcr erklärt ihr, daß sie in der Mitte der Kutsche hinter dem Kutscher sitze. „Wir mußten fünf Leute dorthin setzen", sagte er. Die fette Dame schaute auf den Platz. „Da können keine fünf Leute sitzen." Fünf ihrer Art be stimmt nicht, selbst vier andere hätten neben ihr keinen Platz gehabt. „Gut", meinte der Billettvrrkäufer.. „Sie können aus der hintersten Dank den letzten Sitz haben." * „Fällt mir nicht ein", brummte die fette Dame. „Ich kaufte mein Billett am Montag und Sie ver sprachen mir einen Vordersitz." „Ich kann den Hinteren Sitz nehmen", erklärte ich. „Bleiben Sie, wo Sie sind, junger Mann", herrschte mich der Billcttvcrkäufer an. „Seien Sie kein Narr. Ich werde es schon regeln." «Lassen Sie mich dort sitzen", sprach Minnie. Der Kutscher legte ihr beide Hände auf die Schultern; er war ein starker Mann, und sie sank zurück. „Weshalb soll nicht einer von ihnen den Hinter sitz einnehmen?", fragte die fette Dame. „Sie er klären sich doch selbst damit einverstanden." Der Kutscher reckte sich hoch und wandte sich an alle: „Auf meiner Kutsche sind Mann und Frau noch nie getrennt worden, und ich fahre nun schon seit fünfzehn Jahren. Sie sollen auch heute nicht ge- trennt werden." Allgemeiner Beifall begrüßte seine Worte. Die fette Dame wurde als Fenid der jungen Liebe be trachtet und auf den Hintersitz gestoßen. Die Peitsche knallte. Wir fuhren los. Das also war die Er klärung. Wir befanden uns in einer bei allen Hoch zeitsreisenden beliebten Gegend, es war im Juni, dem besten Monat für Hochzeitsreisen. Wir trugen beide neue Kleider. Zufällig waren auch unsere Reisetaschen neu, ja sogar unsere Regenschirme. Und unser gesamtes Alter betrug siebenunddreißig Jahre. Es wäre ein Wunder gewesen, hätte man uns nicht für Hochzeitsreisende gehalten. Ich habe nie einen peinlicheren Tag verlebt. Minnie erzählte später ihrer Tante, diese Fahrt sei die schrecklichste Erfahrung ihres Lebens gewesen, freilich hatte sie noch nicht viele Erfahrungen hinter sich. Sie war mit einem jungen Geistlichen ver lobt, und ich liebte damals ein rundliches Mädchen, namens Cäcilie. Doch sind meine Erinnerungen an sie schmerzlich und ich möchte sie nicht länger aus- spinnen. Die Fahtgäste waren schlichte Leute, ihre Witze waren unzweideutig, wenn auch harmloser Matur. Ich hoffte, Minnie verstand sie nicht. Die Ansichten über mein Verhalten als junger Ehemann waren geteilt. „Er ist so steif ihr gegen über", bemerkte eine Frau zu ihrem Mann. „Mir persönlich gefällt cs besser, wenn sie zärtlicher sind." Eine junge Kellnerin bezeigte mehr vornehme Zurückhaltung: „Mir gefällt das", meinte sie. „Ich könnte es nicht vertragen, vor allen Menschen abge tätschelt zu werden." Keinem fiel es ein, leise zu sprechen. Wir hätten ebenso gut rin Paar Turtel tauben auf einer Ausstellung sein können, so offen wurde über uns geredet. Die meisten hielten uns für ein törichte» junges Paar, da» sein« Künste nicht zeigen wollte. Ich habe mich seither gefragt, wie sich wirkliche Hoch-eitsreisend« benommen haben »ürdra. Hätten wir „auf allgemeinen Wunsch" eheliche Gefühle, wenn auch nur für eine Weile, zur Schau getragen, wir wären vielleicht nachher in Ruhe gelassen worden. Unser Rnf war auch schon auf den Dampfer ge drungen. Minnie bat und flehte, ich möge den Leu ten sagen, daß wir nicht verheiratet seien. Wie aber sollte ich dies tun? Ich hätte höchstens den Kapitän bitten können, alle Passagiere auf Deck zu versam meln und ihnen eine Ansprache zu halten. Minnie erklärte, sie ertrage cs nicht länger, und floh weinend in die Damenkabinc. Passagiere und Matrosen mach, ten meine Kälte für ihre Tränen verantwortlich. Ein Trottel stellte sich breitbeinig vor mich hin und schüttelte mißbilligend den Kopf: „Gehen Sie hinunter und trösten Sie die arme Frau. Hören Sie auf den Rat eines alten Mannes. Nehmen Sie sie in die Arme, sagen Sie ihr, daß Sie sie lieben." Ich ersuchte ihn mit solcher Energie, zum Teufel zu gehen, daß er fast über Bord fiel. Aber er klam merte sich noch rechtzeitig an eine Latte. An jenem Tag hatte ich entschieden kein Glück. In Rhyde gelang es dem Schaffner durch über menschliche Anstrengung, uns ein Loup6 zu reser vieren. In Ventnor übergab ich Minnie ihrem Vater und reiste mit dem nächsten Zug nach London. Ich hatte das Gefühl, sie lange Zeit nicht mehr sehen zu wol- len und war überzeugt, daß es auch ihr so erging. Wir trafen uns eine Woche vor ihrer Hochzeit wieder. „Wo werden Sie die Flitterwochen verbringen?" fragte ich sie. „Nicht auf der Insel Wight", lautete die Antwort. (Uebertragung von Hermynia Zur Mühlen.) La» Leipziger Konservatorium für Musik feiert sein 80jLhrtges Bestehen durch zwei Konzerte (am 13. Mai, vorm. 11 Uhr und am 14. Mai, abends 6 Uhr) und ein geselliges Beisammensein <am 13. Mat, abends 7 Uhr im Palmengarten). Das erste Konzert bringt Chöre, Lieder und Werke mit Orchester, das zweite Kammermusik (von jetzigen Lehrern der Anstalt). Ein« Milliarde für da» Wiesbadener Staat»- theater. Für den Wiederaufbau des Staatsthcaters kN Wiesbaden hat die preußische Regierung, wie uns aus Wiesbaden gedrahtet wird, einen Betrag von einer Milliarde Mark »nr Verfügung gestellt.
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