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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 10.05.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-05-10
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192305108
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230510
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230510
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-05
- Tag 1923-05-10
-
Monat
1923-05
-
Jahr
1923
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8««« L Xe. ttS Lelpeiger Tageblatt uaä ULnäelsrertung VÄirlerslLg, Seo 10. 2L»! Oie landfremden Nationalisten Wer bei den Altbayern eine Rolle spielen will, muß darauf bedacht sein, sich in Mundart und Umgangsformen seiner Umgebung anzu passen. Spricht er mit norddeutschem oder sächsischen Akzent oder ißt er mit der Gabel, so gilt er ohne weiteres als „Saubreiß", wgs unge- fahr gleichbedeutend ist mit Erbfeind, und seine Stimme zählt nicht. Hitler und sein Anhang konnten nur dadurch so lange Volk und Regie rung in München terrorisieren, daß sie sich als Urbayern gebürdeten. Dem redegewandten Hit ler gelang das um so leichter, als er als Oester- reicher immerhin zum bajuvarischen Stamme ge hört. Seine Leute aber müssen sich bemühen, ihre außerbayrische Herkunft durch doppelt eifrige Bekundung bayrischer Gesinnung zu verdecken, und dabei begegnet ihnen zuweilen das Miß geschick,. daß sie im Uel>er»iser gerade ihr: Un kenntnis urbayerischer Einrichtungen verraten. So hat der Hitlersche Völkische Beobach ter, der überall Juden, Preußen und Franzosen wittert, im Münchner Adreßbuch einen Sous- brigadier a. D. entdeckt und sich durch diese Entdeckung zu folgendem Notschrei verleiten lassen: „Danach — nach dem Sous-Brigadier nämlich — diente er in der französischen Armee. Der Mann ist offenbar Jude, weshalb wir es ihm wirk lich nicht verübeln, daß er heute noch stolz darauf ist, einem Truppenkörper der weißen Neger angehört zu haben-, uns kümmert nur das eine: Ist (folgt der Name) französischer Staatsbürger? Wenn ja, welche Garantie hat die bayrische Regierung, daß er nicht Spionage treibt? Endlich, sitzt er zu Recht in dieser Wohnung?" Dazu bemerkt die München-Augsburger Abendzeitung, die zwar auch von einem Preußen, dem ehemaligen Pfarrer Traub, geleitet wird, aber doch auch einige Bayern in ihrer Redaktion zu haben scheint: „Wir sind in der Lage, die Besorgnisse des Völkischen Beobachters zu zerstreuen, und die Schrift leitung hätte sie gar nicht zu erheben brauchen, wenn darin ein einziger Münchner säße. Wenn der „Völkische" sich weiter im Adreßbuch umsicht, dann wird er sogar noch auf „Premier-Brigadier", „Cornels" und „Exempten" stoßen, offenbar lauter Franzosen und Juden. Im Hofbräuhaus wird sich ein großes Gelächter erheben: dort haben die ge fährlichen Knaben jahrelang verkehrt und im Bauern- girgl auch. Es waren die höheren Chargen der Königlich Bayrischen Leibgarde, der Hart schiere, die diese französischen Rang, bczcichnungen geführt haben; sicher also weder Franzosen noch Juden, sondern lauter ehrenwerte, tcrnbayrische und gutdcutsche, altgcdiente Soldaten. Wir möchten der Schriftleitung doch den Rat geben, sich für so schwierige Fragen einen Sachverständigen zuzulcgcn." Diese Entlarvung ihrer Landfremdheit wird dem Nimbus der Hitler-Partei in Altbayern mehr Abbruch tun, als viele lange Reden des Ministers Schweyer im bayerischen Landtag. Dabei ist cs nicht ohne Reiz, daß gerade die dcutschnationale München-Augsburger Abend- zeitung die von ihr verhätschelten National sozialisten dem allgemeinen Gelächter preisgibt. Vielleicht auch ein Zeichen für die beginnende Umkehr in Bayern. „Der Faschismus in Deutschland" Unter diesem Titel bringt P. Kampffmeyer eine in ihrer Kürze aufs tiefste überzeugende und sehr nachdenkliche Zusammenstellung der aktivisti schen gegenrevolutionären Bestrebungen in Deutsch land. (Verlag Z. H., W. Dietz, Berlin—Stuttgart, 40 S.) Faschismus, d. i. die das Volk übergehende, völlig bcisciteschicbende Macht einer Gruppe, die zahlenmäßig gar. nicht bedeutend, dafür aber hem mungslos brutal ist. Mit Hilfe unternehmungs lustiger junger Leute, „die keinen Anhang haben und denen niemand nachtrauert" (aus dem Statut der Gcheimorganisation 0!) erstreben die Führer des Faschismus die „U n m ö g l i ch m a ch u n g von Personen" (Erzbcrger, Rathenau), um ihr Werk mit der Einsetzung des „Diktators" zu krönen. Sehr fein weist die kleine Broschüre die antinatio nale, unvölkische Tendenz des Fa schismus nach, der die nationale Idee in der großen Masse, wo sie allein leben kann, erstickt. Mit Ilcberwindung liest man die Gasscnausdrücke, in denen die Organe der deutschen Faschisten — also der Hiller, v. Graefe und Konsorten — auf ihre Gegner keifern, und man erbebt bei dem Gedanken, daß deutsches Leben und deutsche Kultur jemals von Kreisen mit so niedrigem Geschmack beherrscht werden könnten. Die unterirdischen, verbrecheri schen Umtriebe der Organisationen O und Oberland weiden schonungslos aufgedeckt, die oberirdischen, so gänzlich harmlosen Statute und Firmen richtig charakterisiert. So gibt es in Mün chen eine „Bayrische Holzverwertungsgesellschaft", dös glaabst! Aber es gibt fei nit eine Organi sation O! — Die Kampffmeyersche Schrift hat außer dem Verdienst der politischen Aufklärung vor allem einen großen Wert: Warnung an die Iugenül Was sie über die Gefahr für die leicht empfängliche Jugend sagt, erhielt seine volle Bestätigung in den „restlos ehrlichen" Ausführungen des Herrn v. Graefe, der vor dem Staatsgerichtshof das Vorhandensein der „Sturmtrupps" zugab. Kampffmeyer warnt dt« Eltern und Erzieher. Und er warnt die — Geld geber der Faschisten, wie z. B. Herrn Generaldirek- tor Hugenberg. Wer diese kleine Schrift liest, die in allem mit dem übereinstimmt, was der Staatsgrrichtshof auf gedeckt hat, wird erschüttert sein über di» frechen Schandtaten der vatepland»losen Gesellen, die mit unser» Deutschland ihr Spiel treiben, sehr geschickt darauf spekulierend, daß ein so nüchterne« Zeitalter wie das unsre an all dir Ungeheuerlichkeiten nur schwer glauben mag. Var Temperament in der Politik Im preußischen Landtag hat es am letzten Mon tag nicht weniger als fünf Sitzungen Ergeben. Vier mal mußte der Präsident die Sitzung schließen, um sein Verbot an die Kommunisten, der Sitzung weiter beizuwohnen, durchzusetzen. Hierbei hat kommu nistische Geschmacklosigkeit zu sehr unangenehmen Szenen geführt. Und zu einem großen Triumph geschrei der nationalistischen Kreise, die ihr verächt liches Urteil über den Parlamentarismus vollauf bestätigt finden; denn so etwas habe es früher denn doch nicht gegeben, weil — so schreibt die Kreuz zeitung — „Ordnung und Zucht von Staat« wegen eine gewisse Selbstdisziplin auch bei den notorischen Nörglern erzeugt hätten". Wer die Dinge in dieser Weise gegenllberstellt, verrät ein kurzes Gedächtnis. So wenig wir Radau szenen im Parlament wie auch sonstwo lieben, so ist doch zu bewirken, daß gerade das parlamentarische Leben eines gewissen Impulses nicht entbehren darf. In Paris, in Wien, ja selbst-in London sind die Ge müter oft genug mit äußerster Heftigkeit auf ein ander geplatzt. Wer möchte aber darin etwas anderes ersehen als den unbestechlichen Indikator der Kräfte, die in einem Volke nun einmal wechselseitig gegen einander treiben müssen, so lange nicht ein Utopien verwirklich ist? Temperament in den Parlamenten verrät pulsierende» politisches Leben im Volk und ist ganz gewiß der vornehmen Müdigkeit eines Herren hauses vorzuziehcn, von dem selbst ein Treitschke sagt „Wozu ist es eigentlich da?" Auch übersteigt gerade im Parlament die äußere Form des Widerspruchs oft den inneren Grad der Gereiztheit und kann nur politisch harmlosen Ge mütern Anlaß zu Sorge oder Ironie sein. So lag cs z. B. durchaus im parlamentarischen Rahmen, wenn bei der Beratung über das Versammlungs- Schutzgesetz die Gegner des Entwurfs den Saal ver ließen. Zu bedauern ist nur, daß selbst in einer demokratischen Zeitschrift jetzt diese Situation mit billigem Witz besprochen und der Wiedereintritt der Obstruktion in den Saal als Scheu vor der Furcht, die 12 000 Diäten zu verlieren, hingestellt wird. Solche Betrachtungsweise ist unpolitisch und wirklich dutzendmäßig. Was aber die sehr geräuschvolle Obstruktion der Kommunisten anbelangt, so ist zu bedenken, daß ein Parlament für das Benehmen dieser Gegner des Parlamentarismus überhaupt nicht verantwortlich gemacht werden kann. Und gar die Nationalisten sind die letzten, die einen Vorwurf erheben dürfen. War es doch eiern von ihnen, der den Reichstag zum Kampfplatz gegen das deutsche Volk machen wollte, auf dem sich »ein Leutnant mit zehn Mann" seine Lorbeeren holen sollte! Heute aber besorgen die Herr schaften ihre Arbeit selbst und bilden für den poli tischen Kampf ihre Sturmtrupp» aus. Einmütigkeit in England Eigener Drahtderlcht de« Leipziger Tageblattes London, S. Mai. Da der Meinungsaustausch zwischen England und Italien über gemeinsame Richtlinien der Antworten beider Regierungen auf die deutsche Re parationsnote noch nicht beendet ist, wird die eng lische Antwortnote der deutschen Botschaft nicht vor Donnerstag oder Freitag zur Uebermittlung nach Berlin überreicht werden. Die gestrige Regierung»- erklärung im Parlament wird von den maßgebenden Persönlichkeiten der englischen Parteien und auch heute morgen von sämtlichen Blättern der Regierung und der Opposition geradezu freudig begrüßt als Zeichen dafür, daß England entschlossen sei, sich die Freiheit des Handelns in der Repara tionsfrage wieder zu sichern, die es durch seine Untätigkeit gegenüber dem Ruhrabenteuer vorüber gehend verloren hatte. Die Times überschreibt ihren Leitartikel: „Großbritannien inter veniert". In diesem Artikel fordert die Times, die englische Note an Deutschland müßte von dem posi tiven Vorschlag der deutschen Regierung ausgehen und die Reparationsfrage einem Schiedsspruch inter nationaler Sachverständiger unterstellen. Der deutsche Vorschlag müsse durch eine möglichst positive englische Antwort umgestaltet werden zu einem Vorschlag, wonach die Reparations frage zusammen mit den Fragen der internationalen Verschuldung und der Sicherheitsfrage auf einer in ternationalen Konferenz zu erledigen fei, auf der nicht nur alle beteiligten europäischen Län dern, sondern auch, wenn irgend möglich, die Ver einigten Staaten vertreten sein müßten. Die liberale Presse, die teilweise mit ge radezu begeisterten Worten die enzlisch«M?egierunys- erklärung feiert, spricht übereinstimnu»^ die Hoff nung aus, daß England nunmehr zu einer aktiven Reparationspolitik und zur wirksamen Ver tretung der englischen Interessen gegenüber Frank reich übergehen wird. England und Sowjetrutzland «tgrnerDradibertchtdr« Leipilger Tage» la lieg London, S. Mai. Gestern abend ist der amtliche Wortlaut der so lang« erwarteten englischen Rote an Moskau ver öffentlicht worden. Obwohl vorher halbamtlich be tont worden war, daß diese Rote noch kein Ulti matum darstelle, enthalt sie einen Satz, der besagt: „Wenn die verschiedenen englischen Entschuldigungs- und Entschädigungsforderungen nicht binnen zehn Tagen von Moskau angenommen und ausgeführt werden, so hält sich di« englische Regierung für be- rechtigt, die englisch-russischen Handelsverträge als beendet anzusehen." Die Note wird in politischen Kreisen lebhaft erörtert. Ein Teil der Arbeiterorganisationen, namentlich di« Kommunisten, veranstalteten Protest kundgebungen. E» verlautet jedoch, das Ziel der Regierung sei keineswegs, «inen Bruch in den englisch-russischen Beziehungen herbeizuführen. Die Note fordere Wiedergutmachung für Verbrechen an britischen Untertanen und Eingriffe in britisches Eigentum. Sir unterbreitet «ine längere Liste von Bewrismaterial für aggressive Handlungen dieser Art. Keine Aktion werde unternommen werdrn, bevor nicht die genannte Frage dem Parlament unterbreitet worden sei. Deutscher Reichstag Berlin, 8. Mai. (Drahtbericht unserer Berliner Schriftleitung.) Der Rechts ausschuß des Reichstage» hat heute gegen di« Stimmen der beiden Rechtsparteien beschlossen, den 11. August, den Tag de» Abschlusses der Wei marer republikanischen Verfassung, zum National feiertag zu erheben. Der Antrag der bürgerlichen Parteien auf Ver längerung des Notgesetzes vom Februar d. I. bis zum 31. Oktober 1V23 fand Widerspruch bet den Kommunisten, während die Sozialdemokraten Verkürzung der Geltungsdauer bi» zum 31. Juli ver- langten. Der Antrag wurde jedoch in seiner ur sprünglichen Form angenommen. Nun kam man zur dritten Lesung des Gesetz entwurfes, der durch Aenderung de» Strafgesetzbuches den Bersammlungsschutz verstärken soll. Als erster Redner bemängelte Abg. Warmuth (Dtschnatl.) das Kompromiß, durch das die Straf androhung gegen beabsichtigte Sprengung der -weiten Lesung aus dem Entwurf entfernt worden sei. Im Namen der Demokraten und des Zentrums stellt der Abg. Brodaus den Antrag, das Gesetz in folgender Fassung anzunehmen: „Wer nicht verbotene Ver sammlungen, Aufzüge oder Kundgebungen mit Ge walt oder gurch Bedrohungen mit einem Verbrechen verhindert oder sprengt, wird mit Gefängnis, neben dem auf Geldstrafen erkannt werden kann, bestraft." Das Gesetz wird daraus in einer Kam- promitzsassung aeaen die Stimmen der Sozialdemokraten und Kommunisten end- gültig angenommen. Darauf wird noch die zweite Beratung des Haus- Halts des Neichsfinanzministeriums begonnen. Der Sozialdemokrat Heinze begründete seinen Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Fest stellung der Schuldigen am letzten Äarksturz. Dann wird die Weiterberatung vertagt. Der Krupp-Prozeß S«grnerDkaht»erichtde»Le«P»ig er Tageblatt«« Werden, 8. Mai. Ueber den letzten Akt der Tragödie teilen wir noch aus der Dienstag-Verhandlung mit: Die Eröffnung der Nachmittagssitzung beginnt wieder mit einer Warnung des Präsidenten an das zahlreich erschienene Publikum. Als Verteidiger der Angeklagten erhob sich dann der Genser Anwalt Moriaut, der Mitglied des Schweizerischen Ständerates und ein Vertreter der schweizerischen Rechtsanwalt schaft von großem Ruf weit über sein Vaterland hinaus ist. Er führte aus, die Firma Krupp habe durch seine Berufung dem Willen Ausdruck geben wollen, die Verteidigung in der objektivsten Art zu sichren, ohne Haß und Leidenschaft, nur mit dem Willen, die Wahrheit an den Tag zu bringen. Der Verteidiger bespricht sodann die Verantwort lichkeit, die der Staatsanwalt dem Betriebs ratsmitglied Müller zuschiebt und meint, daß sein ganze» Verhalten darauf hinausgelaufen fei, die Ruhe und Ordnung in der Menge aufrechtzu- erhalten. Auch die Direktoren Schräpler und Kunz hätten niemals vorsätzlich Unternehmungen begünstigt oder angeordnet, die einen Angriff gegen die Besatzungstruppen Hervorrufen sollten. Sie hätten sich lediglich einem Beschluß der Arbeiter an gepaßt, der darauf hinausgegangen sei, die Arbeiter zu friedlicher Demonstration aus den Be trieben herauszurufen. Herr Krupp von Bohlen sei vor der Er hebung der Anklage zweimal als Zeuge vernommen worden, und als er das dritte Mal vorgeladen sei, habe er sich in Berlin befunden und nicht gezögert, zurückzukehren, da er in jeder Beziehung ein reines Gewissen hatte. Er habe untersagt, daß wegen seiner Verhaftung Protest eingelegt werde. Aber man könne die Befürchtung nicht verbergen, daß diese Maßnahme in ganz Deutschland das grötzte Aufsehen erregt habe, wo der Name Krupp den besten Klang habe und gleichbedeutend sei mit Arbeit, Wohl- t u n und Ehre. Der Staatsanwalt Duvert erwiderte sofort auf die Plädoyers der Verteidiger: Es ist unbestreit bar, daß geheime Machenschaften bestanden haben, die Folgen davon sind öffentlich gewesen. Die Di rektion trägt allein dafür die Verantwortung. Krupp war der Mann der Arbeit, aber von Bohlen hat den Namen Krupp nur durch Heirat erworben. Die Mordkommission zur Beseitigung von Franzosen wird von einem Offizier befehligt, der in der Firma Krupp angestellt ist und von der Direktion bezahlt wird. Verteidiger Moriaut: „Wenn ein Franzose behauptet, daß ein Offizier von der Mordkommission von Krupp bezahlt werde, so ist da» eine Derleum- düng." Kapitän Duvert springt empor und pro testiert mit scharfen Worten gegen den Vorwurf der Lüge. Der Vorsitzende sucht zu vermitteln und der Verteidiger nimmt seinen Vorwurf zurück. Damit schließen die Plädoyers. Zum letzten Wort aufgerufen erklären alle Angeklagten mit lautem „Nein!", nichts weiter zu ihrer Verteidigung vorbringen zu wollen. Nachdem sich der Gerichts hof zurückgezogen hat, verläßt da» Publikum den Saal und findet da» Straßenviertel, in dem der Derhandlungssaal liegt, in weitem Umkreise durch starke Postenketten abgesperrt. Gegen bfj Uhr erscheint der Gerichtshof und ver kündet da» Urteil. Unter atemloser Stille verkündete Oberst Pcgronnel da» Urteil, da» nach französischem Kriegsrecht in Abwesenheit der Angeklagten ge sprochen wurde. Da» Urteil, da» vom größten Teil des Publi kum» nicht verstanden wurde, erregte, al» es bekannt wurde, lähmende» Entsetzen. In Essen, wo nach einer Stunde, al» die ersten Teilnehmer von der Verhandlung zurückkamen, die Schrecken»nachricht be kannt wurde, war man über die Verurteilung, wir über die Höhe der Strafen auf» höchste ent setzt. Wahrscheinlich wird eine Sympathiekund gebung der Essener Bürgerschaft für Krupp und die Direktoren etngeleitet werden. Di« Verurteilung erfolgte übrigen» bei allen An geklagten einstimmig, nur bei Krupp von Bohlen und Hallbach und bei Direktor Bruhn mit S gegen 2 Stimmen. Protest der Neichsregierung Berlin, V. Mai. Die Sieichsreaieruna wird aegen das Urteil «egen Krupp und die Direktoren der Kruppwerke duretz das franzöfische Kriegsgericht Protest erheben. Neichrkanzler und Nutzenminister an Nrripp Berlin, v. Mai. Reichskanzler Dr. Luno hat an das Direktorium und den Betriebsrat der Friedrich Krupp A.-G. in Essen folgendes Telegramm gerichtet: Der Werdener Spruch kann die Schuld am Essener Arbeitermorde nicht von den der Welt be kannten schuldigen französischen Gewalthabern ver rücken, an Heren Stelle nun Krupp und die Mitvcr- urteilten büßen sollen. Daß Unternehmer, Beamte und Arbeiter in gleicher Treue dem Recht der freien Arbeit, des freien Volkes dienen, ist Gewähr für den Sieg des deutschen Rechtes, sofern wir nur weiter in allen Ständen treu 'zusammenstehen. In den vom französischen Militarismus Vergewaltigten ehrt da» deutsche Volk die durch keinen Machtsvruch »u beugenden Vorkämpfer des deutschen Wider- standes." An Hörrn Krupp von Bohlen und Hal bach, Gefängnis Werden, telegraphierte der Reichskanzler: „Was heute in Werden verkündet wurde, ist ver ächtliche Verhöhnung der Namen von Recht und Urteil. So tief der Werdener Spruch das Volk er niedrigt, das solche Beschimpfung echter Treue in seinem Namen geschehen läßt, so hoch erhebt es Sie und Ihre Mitverurteilten. Mit mir neigt sich das deutsche Volk vor den Vorkämpfern für das edelste Recht des Mannes, Volk und Staat die Treue bis zum letzten zu halten. In gleicher Treue werden wir nicht müde werden, darauf hinzuwirken, daß den Verurteilten alsbald die Freiheit werde." * Der Reichsmini st er des Auswärtigen hat an Herrn Krupp von Bohlen und Halbach fol gendes Telegramm gerichtet: „In der Unbill, die Ihnen widerfährt, muß und wird Sie das stolze Bewußtsein trösten, daß fremde Willkür Sie in eherne Schicksalsgemeinschaft mit Ihren Arbeitern zusammenschweißt und so durch Unrecht und Gewalt nichts anderes erreicht, als ein neues Symbol der schönsten Tradition des Hauses Krupp zu schaffen." gez. von Rosenberg. Sächsischer Landtag Dresden, 8. Mai. Auf der Tagesordnung der sächsischen Landtags- sitzung steht als einziger Punkt der Entwurf der neuen Gemeindeordnung für den Frei staat Sachsen. Minister des Innern Liebmann, begründet die Vorlage, die nach seiner Meinung mit den weitgehenden Abänderungsvorschlägen eine we sentliche Verbesserung des bisherigen Entwurfes dar- stellt. Die Abänderungen entsprechen im wesentlichen den Beschlüssen, die im Ausschuß des Landtages nach Lipinski» Vorschlägen gefaßt worden sind. In einer Reihe von Paragraphen wurden die Grenzen des staatlichen Aufsichtsrates enger gezogen und dadurch das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden erweitert. Das Genehmigungsverfahren wurde nach dem Bei spiel Thüringens in ein befristetes Einspruchsver- sahren umgcwandelt. Die Beisitzer des Landcsaus- schusses für Gcmeindeangelegenheiten sollen vom Landtag auf die Dauer von 3 Jahren gewählt wer den. Dieser Ausschuß erhält die Bezeichnung Gemein dekammer. Die Aufsicht über die gewerblichen Be triebe und den Schutz der Arbeiter verbleibt in Hän den der staatlichen Gewerbeaufsicht. Bei Anstellung eigener Sachverständiger im Hauptamt ist die Gench- migung des Ministeriums des Innern einzuholen. Besonders einschneidend sind die ebenfalls der Thü- ringischen Gemeindeordnung entnommenen Vorschrif ten, die in allen Angelegenheiten ein Referendum der Gemcindebürger herbeiführen können. Des be sonderen Befähigungsnachweises bedürfe es für tue Bürgermeister nicht. Die Reinigung des Beamten körpers sei nur möglich durch die Anstellung von Be amten auf Privatdienstvertraa. Von einer grundsätzlichen Aenderung der Amt s- und Kreishauptmannschaften habe man vorläufig noch abgesehen. Freie Bahn dem Tüchti gen, diesem Grundsatz diene auch die neue Vorlage (Gelächter). Abg. Dr. Eberle (DN) erinnert an das Wort Lipinskis an seine Freunde von dec IlSP. bei den ersten Beratungen über diese Gesetzesvorlage." Es ist leichter, Parteiprogramme zu machen, als eine brauchbare Gesetzesvorlage." Die Vorlage sei nichts weiter, als eine Anweisung zur Auflösung unserer Gemeindeverwaltungen, die man unter die Herrschaft der Sozialdemokratie stellen wolle. Den schlimmsten Einfluß aber werde die Vorlage auf unser Be amtenwesen haben. Mit der Abdrängung der Fach leute aus den leitenden Stellen und deren Ersatz durch politische Funktionäre würde das Interesse an der Gemeindepoutik vollkommen erlahmen. Abg. Dr. Hübschmann (DD) lehnt ebenfalls den Entwurf ab. Er bedeute eine Parlamentarisierung der Gemeinden, schwäche die Stellung des Reiches, schiebe den verantwortlichen Bürgermeister bei Seite und ziehe den Wahlbeamten groß. Abg. Dr. Dehne (Dem.) erklärt, auch für seine Partei sei die Vorlage in der jetzigen Form unan- nehmbar. Einem tüchtigen und energischen Manne werde jede Lust genommen, künftig noch in der Ge meindeverwaltung tätig zu sein. Die Üebertragung de« parlamentarischen Systems auf die Gemeinden könne ernstlich überhaupt nicht ia Frage kommen. Au» der Einführung de» Referendums entspringe ein neues Mißtrauen gegen die Gemeindevrrordncten. Abg. Granz (Komm.) betont, seine Partei werde alle» tun, um die Vorlage noch in diesem Jahre zum Gesetz werden zu lassen. Als Granz von der wah ren Demokratie spricht, ruft Abg. Eberle: „Das steht aber nicht in der Vorlage". Granz erwidert: „Ihr ethischer Dreck steht auch.'; nicht darin". Er erhält einen Ordnungsruf. Abg. Müller-Chemnitz (Soz.) erklärt die Zufriedenheit seiner Partei mit dem Entwurf und beantragt Verweisung an einen Sonderausschuß. Das Hau» erklärt sich hiermit einverstanden und wählt 21 Abgeordnete in den Ausschuß, dessen Vorsitzender Ab- geordneter Müller-Chemnitz und dessen stell- vertretender Vorsitzender Abg. Dr. Hübschmann werden. Nächste Sitzung Montag, den 14. Mai, vormittags U. Uh«.
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