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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 09.05.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-05-09
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192305095
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230509
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230509
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-05
- Tag 1923-05-09
-
Monat
1923-05
-
Jahr
1923
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ÄUttvock, üea S. LLal wv. IM 8eite s L.L l.etprlger ^agedlstt ÜL»«lLt8reitu»g ^L^ebberickt Markthallen-Ztreik in Leipzig Die Standinhaber der Leipziger Markthalle traten am Dienstag früh in einen Verkaufs streik, da der Rat die Zentralmarkthalle erst um 8 Uhr morgens öffnen ließ. Der Rat wollte mit dieser Maßregel die Großhändler zwingen, ihren Handel in die neuerbaute Grobmarkthalle am Dösener Weg zu verlegen, wogegen sich die Mehrzahl der Großhändler bisher ablehnend verhielt. Ungünstige Lage zu verschiedenen Stadt teilen und verschiedene Mängel in der Einrich tung wurden als Gründe für die Weigerung an geführt. Als Protest gegen die neue Maßnahme des Rates führten die Standinhaber, und zwar so wohl die Groß- als auch die Kleinhändler, den Streik durch. Fast alle 'Stände der Zentral markthalle waren verlassen oder es wurde nichts verkauft. Trotzdem die Streikenden durch Posten, Nadfahrerpatrouillen usw. auch versucht hatten, die Zufuhr zu unterbinden, war es infolge ener gischer Gegenmaßregeln des Rates, wie Schutz durch die Polizei usw-, gelungen, eine große Menge Zufuhren nach Leipzig herein zubringen und auf dem neuen Großmarkt zum Verkauf zu stellen. Ladentnhaber und Straßenhändler deckten sich hier ein, so daß in der Versorgung der Bevölkerung keine Stockung eintreten dürfte. Dagegen ruhte der Verkauf in der Zentralmarkthalle fast völlig. Nur in den angrenzenden Straßen verkauften Händler und .Händlerinnen, die sich auch von den Streikposten nicht davon abhalten ließen. Zu größeren Zwischenfällen ist es, soweit bekannt, nicht ge kommen. Die streikenden Händler zogen auch ge schlossen vor die Kreishauptmannschaft und das Rathaus. Verhandlungen mit den städtischen Behörden haben aber bisher nicht stattgefunden. Für achtzig Millionen Mark Rauchwaren gestohlen. Aus einem Rauchwarengeschäft in der Ritterstraße in Leipzig sind am 8. Mai durch Einbruch gestohlen worden: zwei F. B. gezeichnete Fehwammensutter, neun braune Schmaschenfutter, dreißig gefärbte' Alaska-Füchse, zwei Bisamfvtter, zwanzig Seal- Bisamstreifcn, achtzig Skunks mit dem Stempel I. I., zweihundert australische Opossums und dreißig Schakale. Die Täter haben sich vermutlich am Abend zuvor im Grundstück einschließen lassen und haben dann die Nacht über die wertvollen Rauchwaren in einem Holzkoffer, der mitgestohlen wurve, verpackt. Schiedsspruch in der Metallindustrie. Der Schlichtungsausschuß fällte am Montag einen ein stimmigen Schiedsspruch, der die Mitglieder des Verbandes der Metallindustriellen im Bezirk Leip- zig verpflichtet, die am 13. März festgelegten Löhne für die Zeit vom 29. April bis zum 26. Mai um 12^ Prozent zu erhöhen. Demnach würde nunmehr in der höchsten Staffel die Zulage 179 Mark und somit der Mindestlohn 1616 Mark betragen. Am Dienstag und Mittwoch werden die Metallarbeiter durch eine Urabstimmung zu dem Schiedsspruch Stellung nehmen. Ergebnislose Wasfeusuche. Auf dem Greifen stein fand durch Chemnitzer Kriminalbeamte eine Waffensuche statt. Dort ist vor einiger Zeit eine Unterhöhlung zugemauert worden, die von den Beamten teilweise beseitigt wurde. Ferner fand eine Durchsuchung des alten Greifensteinhauses, das der Chemnitzer Skiklub und der Alpenverein bewohnen, statt. Auch der Kohlenkeller ist durch sucht worden. Die vermuteten Waffen wurden nicht gefunden. Si» interessanter Fund. In Hütten bei Königstein fand man beim Erweiterungsbau am Kohlenbunker der Papierfabrik von Hoesch mitten in einem Sandstetnfelsen einen versteinerten Fisch. Die Schuppenbildung ist noch vorzüglich erhalten. Nevotte im Zuchthaus Brandenburg Stiener Drahtbericht des Leipziger Tageblattes Die Insassen des Zuchthauses in Branden burg zertrümmerten am Montag abend gegen 10 Uhr, als ihnen eröffnet wurde, daß die neuen Forderungen über ihre Verpflegung vom Präsidenten des Strafvollzugsamtes abgelehnt seien, sämtliche Fensterscheiben ihrer Schlaf säle und sämtliches Mobiliar und zerrissen selbst die Betten. Dann durchbrachen sie das Dach und versuchten auszubrechen. Die inzwischen alarmierte städtische Polizei und die Mannschaften der Polizcischule Großberlin vereitelten diesen Ver such, indem sie das Dach dauernd unter Feuer hiel ten. Bisher sind etwa 175 Schüsse abgegeben wor- den. Ein Sträfling wurde durch einen Knieschuß verletzt. Die Zuchthäusler werden zurzeit in den Schlaf sälen festgehalten, um jedes Ausbrechen unmöglich zu machen. Die anliegenden Straßen und die Hum boldt-Promenade, von der aus die Zuchthäusler oft im Verkehr mit der Außenwelt standen, sind streng von Schutzpolizei abgesperrt. Nach einwandfreier Feststellung ist die Bekösti gung der Zuchthäusler besser, als sie sich 60 Prozent der Einwohner leisten können. Ausbruch des Aetna Aus Catania wird ein Ausbruch des Aetna gemeldet. Seit vergangenem Mittwoch strömt in südwestlicher Richtung ein sechs Meter breiter impo- sanier Lavastrom abwärts, der ungefähr sechs Kilo meter an einem Tage zurücklegt. Der Krater speit dröhnend Steine aus, die aber wieder in ihn zurück fallen. Das Schauspiel wird als sehr großartig ge schildert. Unmittelbare Gefahr für die Bewohner der Umgebung besteht zurzeit nicht. Von einem Schutzmann erschossen. In der Ham burger Helgoländerallee, nahe dem St. Pauli-Fähr- Haus, kam der nicht im Dienst und in Zivil befind liche Unterwachtmeister Schmidt mit einigen Passan ten in einen Wortwechsel, wobei er sich so erregte, daß er seinen privaten Revolver zog und mehrere Schüsse abfeuerte. Durch eine Kugel wurde dabei der Hafenarbeiter Wilhelm Harms so schwer verletzt, daß er auf dem Transport nach dem Hafenkranken hause starb. Der Unterwachtmeister wurde fest genommen. Schwindel mit Kokainrezepten. Aus Wien wird gemeldet: Die Wirtschaftspolizei ist einem Riesen schwindel mit Kokainrezepten auf die Spur g». kommen. Die Rezepte lauten durchweg auf klci.:e Dosen und tragen die Unterschrift eines gewissen Dr. Hans Stoinmann, der überhaupt nicht existiert. Drahtlose Filmübermittlung. Die General Ratio Compagny in London hat sich eine neue Erfindung patentieren lassen, mit der gleichzeitig mit draht losen telegraphischen oder telephonischen Berichten auch di« Bilder von unbelebten und belebten Wesen in ihren ursprünglichen Farben übermittelt werden können, so daß es möglich sein wird, nicht nur den Sänger, den Vortragenden und das Orchester zu hören, sondern auch die Bewegungen der betreffen den Personen zu sehen. Wieder ein Bomben-Attentat in Warschau. Noch immer sind die Attentäter nicht gefunden, die jüngst das Privathaus des Krakauer Universitätsrek tors Nathanson mit Dynamitbomben belegt haben. Und schon explodierte wieder eine Dynamitbombe in dem Hause des dortigen extremsozialffiychen jiidi- schen Bundes. Das bombardierte Vereinshaus bildet nur noch einen Trümmerhaufen. Manschen wurden nicht verletzt. Der Sondershäuser Silber-iebstahl Bon unserem nach Sondershausen entsandten Sonderberichterstatter stif. R. Sondershausen, 8. Mai. Das am Ausläufer des Harzes gelegene kleine Bergstädtchen, ehemals die freundliche Residenz des Fürsten von Schwarzburg-Sondershausen, hat seine Sensation. Es ist plötzlich in den Mittelpunkt eines Prozesses gerückt, wie ihn die Stadt sei Jahren nicht erlebt hat. Der große Silberdiebstahl auf dem Schlosse des Fürsten Günther von Schwarzburg-Sondershausen steht zur Verhandlung. Oie Anklage Die Anklage richtet sich gegen insgesamt 11 Per sonen, und zwar gegen Hofsekretär Hermann Topf aus Sondershausen, seine Frau Auguste geborene Spange, den Goldschmied Siegfried Wiegleb, stine drei Söhne Otto, Ludwig und Willi, die ledige Verkäuferin Emma Rubesamen, sämtlich aus Nordhausen, den Kaufmann Heinrich Trapp aus Berlin, den Edelmetallaufkäufer Oskar Schönbrodt aus Berlin und den Restaurateur Alfred Schumann aus Berlin. Sämtliche An geklagten befinden sich bis auf die beiden letzt genannten in Untersuchungshaft. Die Anklage wirft ihnen vor, 109 silberne Teller und 25 silberne Schüsseln, sowie 24 vergoldete Kaffeelöffel dem Fürsten Günther entwendet zu haben, oder an der Hehlerei und Weiterveräußerung der Gegenstände beteiligt zu sein. Wie der Vorsitzende bei Eröffnung der Sitzung mitteilt, ist der Angeklagte Trapp aus Berlin nicht erschienen, da das Verfahren gegen ihn ab gezweigt ist. Topf unterstand dem Hofmarjchall von Halem. Zu seinen Obliegenheiten gehörte es, die Silberkammer zu betreuen. Er besaß auch die Schlüssel. Der An- geklagte erzählt, wie er mit dem Goldschmied Wieg leb aus Nordhausen ins Geschäft gekommen sei. Eines Tages habe er ihn dort getroffen. Wiegleb habe ihm gesagt, daß ein gewisser Hoffekretär Iser- stedt Eilbergeräte aus dem Kronschatz von Sonders hausen verkaufte. Er bat mich, so fährt der Ange klagte fort, doch zu vermitteln, daß auch er mit solchen Verkäufen beauftragt werde. Ich wunderte mich über die Notverkäufe des Fürsten nicht, denn Oie Schloßkasse war immer leer Da flüssiges Kapital und Einkommen fehlten, gab der, Hofmarschall von Halem wiederholt Auftrag, Silber-' zeug und andere Geräte zu verkaufen. Präsident: Welche Geschäfte haben' Sie mit Wiegleb gemacht? — Angekl.: Gar keine. Ich habe nur vor dem Diebstahl Silbersachen aus der Stiftung der Prinzessin Elisabeth an Wiegleb ver kauft. — Präs.: Sie haben aber in der Vorunter suchung zugegeben, daß Sie Sachen aus dem Eigen tum des Fürsten veräußert haben. Sie haben zu Protokoll gegeben, daß Wiegleb Sie gebeten hat, ihm Silberzeug zu überlassen. — Angekl.: Ich habe Wiegleb immer gebeten, mich mit solchen Geschäften aus dem Spiel lassen. — Präs.: Si« haben ferner zu Protokoll ausgesagt, daß Wiegleb Sie nach dem Inhalt des Schatzgewölbes befragt und auf die Mög lichkeit eines Einbruchs hingewiesen hat. Der Angeklagte bestreitet das und meint, er habe solche Erklärungen in der Voruntersuchung nur ab gegeben, um seine Haft abzukürzen. Auch will er den wahren Sachverhalt über die dauernden heimlichen Verkäufe des Hofes nicht haben verraten wollen, um de Fürsten nicht zu belasten. Im weiteren Verlauf wird der dringende Geld bedarf des fürstlichen Hofes besprochen. Der Angeklagte erzählt, die finanzielle Bedrängnis sei so groß gewesen, daß die Hofhaltung in Sonders hausen schon aufgelöst werden sollte. Er habe mehr fach vom Hosmarschall von Halem Auftrag bekommen, Kostbarkeiten durch Wiegleb verkaufen zu lassen. Das Geld habe er dann an die „bekannte Stelle in Berlin" zur Verfügung des Hofes überwiesen. So einmal 40 000 '«4t und dann 114 000 «4t. — Staats anwalt: Mer ist denn die bekannte Stelle in Berlin? — Angekl.: Darüber verweigere ich die Auskunft. — Staatsanwalt: Dann glaube ich das Ihnen auch nicht. — Angekl. (sehr erregt): Ich bedauere das, aber ich kann es nicht ändern. Ls ist mir unmöglich, die Berliner Stelle zu verraten. Ich kann auch nichts darüber aussagen, ob die Gold- und Silbersachen von Sondershausen an den anhaltinischen Hof übergegangen sind. Herr von Halem mißachtete den Vertrag mit der thüringischen Regierung und hat -dauernd heimliche Verkäufe vornehmen lassen. Nunmekr folgt die Vernehmung des angeklagten Goldschmiedes Friedrich Wiegleb aus Nordhausen, der nach der Anklageschrift den Einbruch ausgeführt haben soll. Der Angeklagte ist gleich sehr erregt und erklärt mit fester Stimme: „Ich habe überhaupt nichts gestohlen. Oer Oiebfiahl wir- nur von -em Staats- anwalt konstruiert." (Lacken im Zuhörerraum.) Weiter erzählt er, daß Topf ibm 1920 silberne Teller übergeben habe, von denen oas Monogramm entfernt werden mußte, weil Topf die Teller seiner Tochter zur vochzeil schenken wollte. Dieser Auftrag habe dazu geführt, da5 er mit Topf dann weiter in geschäftliche Beziehungen kam. 1922 sei er von Topf aufgefordert worden, heimliche Verkäufe vorzunehmen. Da der Kastellan Winkler als Vertrauensmann der Regierung galt, sei es not wendig gewesen, den Transport nachts vorzunehmen. Topf habe ihm selbst geraten, von außen durch das Fenster einzudringen, und gemeint, daß dies niemals herauskommen werde, denn das der thüringischen Landesregierung übergebene In ventarverzeichnis sei gefälscht, so daß die Entwen dung der Edelwaren nicht bemerkt werden könnte. Präs.: War verabredet worden, wieviel Sie von den Sachen fortschaffen konnten? Angetl.: 9t«in, das war in mein Belieben gestellt. Ich hätte auch in fernerer Zukunft solche nächtlichen Aufträge ausgeführt, denn der- artig gute Geschäfte läßt man sich n?cht entgehen, (Lachen im Zuhörerraum.) Der Angeklagte erregt sich bei seinen weiteren Ausführungen darüber, daß in der Anklageschrift immer Las Wort Diebstahl gebraucht wird urkd rüst: (»Ich b/n ein ehrlicher Mann und lasse mich von Ltzm Staatsanwalt nicht grundlos verdächtigen. Der Einbruch ist nur fingiert worden, um die Re gierung irre zu führen". Die Angriffe, die der Angeklagte gegen den Staatsanwalt erhebt, werden so stark, daß der Vorsitzende für dessen Schutz ein treten und Wiegleb mit seiner Abführung -rohen muß, wenn er sich nicht mäßige. Wiegleb schildert dann, daß er seine drei Söhne zu dem nächtlichen Einbruch mitgenommen habe. Auch der Schlosser Konrad hab« das Gitter durch sägt, um den Einbruch zu markieren. Durch ein Loch in der Jalousie sei es dann möglich gewesen, das Fenster von außen zu öffnen. Konrad stieg in das Gewölbe und packte 102 Teller und 24 Schüsseln, sowie vergoldete Löffel in die mitgebrachten Ruck säcke ein. In einer Viertelstunde war die ganze Sache erledigt und Wieglieb fuhr mit Konrad und seinen drei Söhnen per Rad wieder nach Nordhaufen zurück. „Den Verkauf der Sacken übernahm ich. Ich fragte telephonisch bei verschiedenen Firmen an, was sie ahlen, und trat dann mit der Firma Trapp in Berlin in Verbindung, die mir am meisten bot. Ich fuhr im ganzen dreimal nach Berlin und erhielt ins- gesamt über sechs Millionen Mark als Er lös. Ich habe dann das Hofmarschallamt von dem Verkauf benachrichtigt und zu Topf gesagt, daß ich mit ihm später abrechnen wolle. Ich bot ihm zu nächst s - conto - Zahlungen an, die er ablehnte. Bei einer späteren Zusammenkunft hatte ich ein Kuvert mit einer Million Mark bei mir, die ich Topf als Provision übergeben wollte. Topf lehnte aber die Annahme ab und sagte zu mir: „Gehen Sie an meiner Tür vorbei!" Infolgedessen übergab ich das Kuvert der Frau von Topf. Bors.: Haben Sie nicht dabei gesagt: „Hier ist das Milliönchen?" Angekl.: Das ist wieder solch eine Erfindung des Staatsanwalts. Staatsanwalt: Ich bitte, mich doch da gegen in Schutz zu nehmen. (Die Verhandlung dauert an.) Mauserung? Dresden, Anfang Mak. Im Staatlichen Schauspielhaus gab es eisten köstlichen Abend, der das Herz warm machte, wie draußen die Sonne den Dresdner Mai tag. Der Spielleiter W. B. I ltz darf sich zum Ver dienst rechnen, dem toten Dichter Emil Gött mit der Bühnenbearbeitung seines kultivierten Lustspiels „Mauserung" eine begeisterte Auferstehung be- reitet zu haben. Mauserung! Der Sekretär Roland liebt die schöne, kühle Gräfin Herlinde, und besucht deshalb nächtlicherweise ihre junge Magd. Und Gött, der Dichter, ruft aus: „Die Frau will lie ben, nicht begreifen!" (An seiner Sünde erkennt ein Mann seine Liebe; an ihrer Verzeihung ermißt eine Frau den Grad der Erwiderung dieser Liebe.) Alle funkelnde Sehnsucht seines Dichter- und Men schentums hat Emil Gött in dieses schmerzvoll-süße Lustspiel versenkt, allen Traum auf Erfüllung, den er doch nie erlebte. Aber: „Ich bring' doch manches ein, was lesbar bleibt," so hofft Roland aus Verzeihung. Und ein jubelndes „Ja!" sagt ihm und seinem Dich- ter Herlinde und unser Herz. — Willi Kleino- schegg zeichnete mit feinstem Instinkt als Roland die Selbstbiographie des Dichtere nach, von dem Hermann Bürk eine „Hausinschrtft" erfand: Hier lebte Emil Gött, Ein Sucher, Bauer und Dichter. Gemeinen ein Gespött, Dem Reinen eins der Lichter, Die brennend sich verschwenden. Den Menschen zu vollenden. Erich Ponto war ein prachtvoll satter Tristan Und Alice Verden voll Innigkeit die liebend Der- zeihende. Diesen Dreiklang weist im gleichen Haus der „Faust" keinesfalls auf. Man behalt den lichten Traum eine« dekorativ wundervollen Osterspazier- ganges in Erinnerung. Aber Bruno Deearli» nur erdhafter, uneleganter Mephisto und Friedrich Lindner« ach so wundervoll monoton deklamie- render Faust lockt kein Gretchen zu seligem Vergessen, auch Antonia Dietrich nicht. — Mauserung? , DasRussisch-Romantische Theater war »u vier Abenden auch in Dresden Künder einer neuen Kunstform, oder vielmehr Hüter einer alten Tradition. Wie man in diesen Tagen hier den selt sam vertrauten, schwermütigen Volksliedern und den ins Blut greifenden Rhythmen des russischen Balalaika-Orchesters willigste Aufnahme bereitete, so kühl nahm man des ehemalig kaiser- liehen Balletts Petersburg „Bojarenhochzeit" oder „Andalusiana" auf. Aber unseres Mozarts „Die Tänzerin und die Räuberin" ließ jubeln vor Begciste- rung und ließ hoffen, daß dieses Gastspiel nicht nur eine Episode für die Dresdner Oper möge sein. Das große Neue bringt dieses russische Theater nicht, es betont ja auch nicht umsonst das große Alte! Ob nicht hier die Mauserung einzusetzen hat? Wie sagt« doch der Graf zum Burschen und Bauer Roland: „Das schreibt sich seinen eigenen Adels brief!" Und die Sterne über dem Schloßplatz blitzen, und hinter den schwarzverhängten Galerien träumt des lieben Deutschen Ludwig Richter „Brautzug", hebt Rembrand hoch den funkelnden Becher seiner Lebenslust, da er Saskia umfängt — neigt Dürers „Christus" sein Haupt in blauer Nacht. Mauserung! Ob auch wir Menschen unserer tod- kranken Gegenwart sie nicht einzig finden in den hei meligen Schätzen unserer alten deutschen Kunst? Es ist doch manches noch, „was lesbar bleibt"; was wert bleibt, gelebt zu sein! Nvlnrlek r»rst«ul«n Die Entstehung des Leipziger «unfivereiu» behandelt Friedrich Schulze, der Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums, in- dem ersten Heft der von ihm herausgegebenen „Beiträge zur Stadtgeschichte." Die Gründung fällt in eine Zeit, wo derartige Vereinigungen allenthalben in Deutschland emporwuchsen. Bereits im Jahre 1825 waren in Leipzig private Bestrebungen auf ein solches Ziel gerichtet, führten aber zunächst nach Dresden, wo 1828 der „Sächsische Kunst verein" in« Leben trat. Im Herbst desselben Jahre» folgte dann bei uns die „Sonnabends gesellschaft", später „Verein der Kunstfreunde" genannt. Meinungsaustausch über Kunstsragen, kleine Ausstellungen von heimischen Künstlern und aus Privatbesitz waren der Zweck der winterlichen Zusammenkünfte. „Mit wenigen Ausnahmen bejahrtere Herren, die in den vor nehm-ruhigen Umgangsformen jener Zeit konver- sirren", lautet die anschauliche Charakteristik, die Schulze von dem Ton und den Teilnehmern dieses Zirkels gibt. Auf wesentlich breiterer Grundlage und von höherem Ehrgeiz getrieben entwickelt sich dann feit 1837 der „Leipziger Kunstverein", um dessen Zustandekommen und Leitung sich vor allem Carl Lampe und Hermann Härtel verdient ge macht haben. Eine seiner Hauptaufgaben sah er von Anfang an in der Veranstaltung großer Ausstellungen, die da» Schaffen der deutschen Kunstzentren, bald auch das der Zeitgenossen in Frankreich und Belgien den Leipzigern vor Augen führen sollten; mit ihm sind die Anfänge unserer Galerie aufs engste verknüpft. Schulze gibt von der ersten Vereinstätigkeit, der tragenden Gesell schaftsschicht, den führenden Persönlichkeiten in knappen Strichen ein lebhaftes Blid. Das artige Büchelchen wird den einheimischen Lesern eine amüsante Stunde bereiten. stik. S. Erhöhung der Schlüsselzahl. Der Börsenverein der deutschen Buchhändler hat die Schlüsselzahl mit sofortiger Wirkung von 2500 auf 3000 erhöht. Giolittis Denkwürdigkeit. Das Memoirenwerk Gioltttis wird jetzt auch im Deutschen erscheinen: die Deutsche Verlagsanstalt kündigt eine Ueber- setzung an, die der Senator Malagodi mit einem Charakterbilde des Menschen und Staatsmannes Gtolitti auSgestattet hat. Die Denkwürdigkeiten dieses italienischen Politikers sind übrigens keine der in erster Linie der eigenen Rechtfertigung dienenden „Erinnerungs-Werke" der letzten Jahre, sondern stellen ein abgeschlossenes Politisches Lebenswerk vor Augen, das streckenweise beinahe gleichbedeutend ist mit der Geschichte Ita liens selbst. «US den Tbeateedureau». (Kleines Theater.) Die nächste Ausführung von „Geständnis" ist Don nerstag, den 10. Mat. In Uorberettrmg: „Der Muster aalte", SDvant in S Alten von Hopwood und Pogson. Die Srstanfstldruna stndet Sonnabend, den 12. Mat, statt. An den übrigen Tagen: „Ltsst, die Kalotte" mit «nnalies Würtz. Der Geruch -er Menschen Ein japanischer Arzt, Burtar« Adacki. der Europa bereist hatte, veröffentlichte vor einiger Zeit einen Aufsatz über den Geruch der Weißen Völker, der nicht geringe» Erstaunen erregte. E» wurde darin behauptet, daß der Japaner zunächst an dem Europäer einen ihm ganz unerträglichen scharfen und ranzigen Geruch wahrnehme, und daß er sich erst nach einigen Wochen langsam daran gewöhnte. Adacki unterschied sogar ganz genau verschiedene Gerüche in verschiedenen Gegen den Europas; so rieche der Braunschweiger ganz anders als der Bayer, der Savoyarde anders als der Normanne. Den merkwürdigen Geruch, den der Europäer haben soll, definierte ein anderer ausländischer Beobachter als den „eines Gemisches von Kuhmist und Vanille". — Hein rich IV. von Frankreich ist auf den starken Geruch, den er ausströmte, sehr stolz gewesen. „Den habe ich von meinem Vater", sagte er, indem er sich an die Brust schlug. Auch Ludwig XIV. machte sich, wie sein Arzt Fagon berichtet, bei seinem Eintreten den Nasen der ihn Erwartenden sehr deutlich bemerkbar. Von zahlreichen Per sönlichkeiten wird berichtet, daß sie einen sehr wohlgefälligen Duft um sich verbreiten. Von Alexander dem Großen erzählt Plutarch, daß er nach Veilchen roch; Albrecht v. Haller stellte an sich selbst einen Moschusgeruch fest, und von dem Dichter Malherbe berichtet sein Biograph, daß er „groß war und wohlgebaut und von so aus gezeichneter Gesundheit, daß sein Schweiß einen ausgezeichneten Geruch hatte". Für einen Poeten ist das eine sehr passende und hübsche Gabe. Auch die Heiligen stehen viel fach „in einem guten Geruch". Der heilige Kajetan duftete nach Orangenblüten, die heilige Rosa von Viterbo strömte den Geruch einer Rose aus, die heilige Therese ein Parfüm von Lilien, Jasmin und Iris, die heilige Lydwina war von einem starken Zimmetduft umflossen und die heilige Katharina von Ricco duftete gar wie ein „Bukett von Rosen, Lilien, Balsam und Weih rauch", Görres, der sich in seiner Mystik ausführ lich mit diesem Geruch der Heiligen beschäftigt, will einen solchen Duft selbst bei hysterisch er regten Frauen bemerkt haben. Den Hexen da gegen sagte man nach, daß sie üblen Gestank ver breiten und besonders nach Ziegenböcken röchen, worin sich die Anwesenheit des teufltchen Dämons äußere. Auch da» Alter spielt bet der Stärke des von dem Menschen ausgehenden Geruch« eine Rolle. Bei dem Kinde, dessen Haut sehr zart und gepflegt ist, ist der Geruch gewöhnlich sehr schwach. Bei dem erwachsenen Menschen sind dann die Ausdünstungen viel stärker, und im Greisenalter nimmt der Geruch wieder ab.
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