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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 08.05.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-05-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192305088
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230508
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230508
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-05
- Tag 1923-05-08
-
Monat
1923-05
-
Jahr
1923
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I» Museum für Buch und Schrift (geitzer Str ), das sich in dankenswerter Weise der Pflege der mo dernen Graphik annimmt, ist am Sonntag die Iosef-Hegenbarth-Ausstellung durch zwei kleinere Kollektionen abgelöst worden. Aus Dresden ist Kurt Wild-Wall gekommen mit Aquarellen, Zeichnungen und Graphik verschiedener Art. Be sonderes Vergnügen machen die Scherenschnitte von dem Leipziger Erich Eisbein. Schon aus meh reren Ausstellungen in der Akademie und bei den Kunstgewerbe-Messen im Neuen Rathaus bekannt, zeigt er hier an etwa fünfzig alteren und neueren Arbeiten sein poetisch wie zeichnerisch gleich reiz volles Können. Wir kommen auf die amüsanten Blätter noch zurück. Die Ausstellung bleibt den Mai über sichtbar. Ör ÄL. U, Don der Leipziger UniversttLt. In der Leiv- zig er philosophischen Fakultät habilitierte sich Dr. Andreas Rumpf, Assistent am archäologischen Institut mit einer Antrittsvorlesung über das Thema »Die Kunst der Kimonischen Zeit". Ei» schwedischer Wedekind-Skandal. Aus Stock holm wird uns gedrahtet: Die Aufführung von Wedekinds Schauspiel »Die Büchse der Pandora" im Svenskatheater, di« erste Aufführung de» Stückes in Schweden, wurde Anlaß zu einem Theaterskandal. Nach jedem Akt wurde das Pfeifen stärker, und ein großer Teil der Zuschauer verließ das Theater. Die Presse äußert sich sehr scharf gegen das Stück, das unter dem Niveau de» Theater» stände und fordert den Direktor auf, e» vom Spielplane abzusetzen. Der Direktor weigert sich jedoch, weil er glaubt, daß die Demonstration planmäßig herbeigeführt war. Der Direktor de» botanische» Garte»» i» Dr«»« be», Prof, an der Technischen Hochschule Dr. Neger, ist, wie unser Dre»dner Vertreter drahtet, tm Älter von 5» Jahren am Herzschlag gestorben. Da«-»»t. In den Bereinigten Staaten nimmt die Strömung zur Aufstellung neuer Tanzrekorde immer zu. Gegenwärtig hält den Rekord ein Fräulein au» Eleveland, oa» 52 Stunden 16 Min tanzte. Zn einer Ortschaft in Texas tanzten vier Frauen, um diesen Rekord zu Übertreffen. AIS die Polizei dagegen einschritt, war einer der Tänzer im Begriff, sich während de» Tanzes zu rasieren, während seine Partnerin den Spie gel hielt. In Baltimore konstatierte man bei einem Tänzer nach fünfzigstündigem Tanzen eine Geistesstörung. .In den verschiedenen Bundes staaten wird von feiten der Polizei nicht mit gleicher Strenge eingeschritten, wa» sich eine New Yorker Dauertänzerin zu nutze machte. M» bet ihrem Tanzen die Polizei erschien, stand vereit eln großes Prachtautomobil bereit. Da- Paar begab sich tanzend in den Wagen und fuhr tanzend von den Zeugen, Zeitungsberichterstattern, Photo graphen begleitet, nach Connecticut, 22 Meilen jenseits der New Aorker Staatsgrenze. Diese New Aorker Tänzerin hat den Schwur geleistet, den Rekord zu brechen oder zu sterben. Sie will- nötigenfalls tanzend durch die Ber einigten Staaten fahren. Jeden Morgen und jeden Abend ist ihr Partner ein Masseur, der sie während de» Tanzen- massiert um sie am Einschlafen zu verhindern. (Diese Epidemie stellt die rasenden Tänze der Flagel lanten des Mittelalters in den Schatten.) Da» älteste v»ch der Welt entztLert hat der durch seine etruskischen SprachforMungen be rühmt gewordene Preisträger der Pariser Aka demie Pater Hilaire de Barenton, ein Kapuziner münch. Es handelt sich, wie die Umschau mit« teilt, um die sogenanten „G ou de a-Zylinder" des Louvre, das sind Inschristenwalzen chaldätfchen Ursprunges, die aus einer harten Substanz er zeugt sind, die von Assyrern und Chaldäern al» Stegelmaterial zum Eingraben ihrer Schrift-eichen verwendet wurde. Sie tragen ihren Namen nach Goudea, dem chaldätschen Priesterkönig, der um 2100—2080 vor Christi Geburt regierte. ES wird darin mit vielen Einzelheiten die Geschichte de» Baue» und der Organisation eine» Tempel» er zählt- Au- den Tertangaben wird ersichtlich, daß viele chaldäische Gebräuche in die Welt de» Westen» übergingen. Der vierjährige Synakologenta, findet vom 23. bi» 26. Mai al» 13. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie in Heidelbera statt. Im Anschluß daran tagt dann dort di« Deutsche Ge sellschaft für Röntgen-Kunde und Strahlenforschung, l'-r. 11-7 ... —M L-eipriger Tsgel-Iatt unü IranCLiLLLituttg llieuslsg, rleu 8, LsL — aekomme« und hat mir Au-tmsft über bi» Berhanvlnnaen mit Testa gegeben. Staatsanwalt: Wie konnten Sie in einem so wichtigen und kritischen Moment dieses Vormittag» den Ehkf des Personal» weggehen lassen? Krupp: Herr Klöpfer hatte nur etwa 10 Minuten nom Hauptverwaltungsgebäude bi» zum Dechanten Oyskirchen und war auch gleich wieder zurück gekommen. Verteidiger Moriaud zum Zeugen Greulich: Sie sind 26 Jahre bei der Firma Krupp tätig. Können Eie bezeugen, daß in dieser Zeit mehrfach die Sirenen gezogen worden sind und ob in den Bureaus weiter gearbeitet worden ist? Zeuge: Jawohl, da» geschah mehrfach, u. a. an den Tagen der Spartakistenherrschast und beim Kavp- Putsch, namentlich jedesmal, wenn das Herannahen sremder Spartakisten gemeldet wurde, die tn den Be trieb einzudrinaen drohten. Die Arbeit in den Bureaus hat dadurch keine Unterbrechung erlitten. Lokomotivführer Zimmermann ist Ler nächste Zeuge. Er ist mit der Lokomotive auf dem Schmalspurgleis hinter die Autohalle gefahren. Auf einem Plan zeigte er genau die Gleisanlage und erklärte, daß es seine Aufgabe ist, mit diesen Zügen Material zwischen Nordwerk und Südwerk zu be fördern. Er konnte an dem fraglichen Tage nicht nach den anderen Werken fahren und die Straße überqueren, weil sich dort eine Menge angesammelt hatte und er deshalb genötigt war, hinter der Halle zu warten. Der Photograph Weg mann gehört der gra phischen Anstalt der Kruppwerke an. Er hat von ter zweiten Etage des Gebäude» aus. in dem sich die Autohalle befindet, Aufnahmen qemacht Warum haben Sie die Aufnahmen gemacht und wer gab Ihnen den Auftrag dazu? Zeuge: Ich habe diese Aufnahmen au» eigenem Antrieb gemacht. Ich erfuhr durch Arbeiter von der Besetzung der Halle, holte meinen Apparat und machte Aufnahmen, wie ich das auch sonst bei wich tigen Geschehnissen im Werk mache. Im ganzen habe ich drei Aufnahmen gemacht. Die erste ist vor der Scksießcrei gemacht worden, die anderen etwa drei Minuten nach der Schießerei. — Ich stand über dein Eingang und konnte ganz genau all die Vor gänge auf der Altendorfer Straß« beobachten. Als geschossen wurde, fiel gleich auf einen der ersten Schüsse hin ein Junge, der auf dem Dache des Schuppens auf der anderen Seite der Straße stand, tot herab. Es wurde aus dem Halleneingang fächer formartig von den Soldaten geschossen. Es bildete sich sofort eine Gasse. Oberingenieur Müller Leiter einer Produktivnsgruppe, war eine halbe Stunde nach der Katastrophe in seinem Bureau mit verschiedenen Herren versammelt. Das Bureau be findet sich etwa 200 Meter von der Autohalle ent fernt. Er hörte einen lauten Wortwechsel auf der Straße. Die Herren liefen ans Fenster, und der Zeuge sah, wie ein belgischer Motorradfahrer von seinerMaschine heruntergeholt und geschlagen wurde. Oberingenieur Müller und die versammelten Herren liefen sofort hinaus, um die Menge abzuhalten. Sie nahmen den Belgier mit sich, der stark im Gesiebt blutete. Er hatte eine Wunde an der Nase. Oberingcnieur Müller wusch die Wunde aus, ließ Verbandszeug holen und legte ihm einen Notverband an. Dann sorgte er dafür, daß der Belgier nach dem Krankenhaus gefahren wurde. Der belgische Motorradfahrer Dubiel wird ge rufen. Der Zeuge erkennt den Kraftfahrer wieder, rbenso wird der Zeuge von dem Belgier wieder- ernannt. Durch die in die Breite gehende Vernehmung der Zeugen zieht sich die Beweisaufnahme über den ganzen Vormittag hin und dürfte wahrscheinlich weit in die Nachmittagsstunden hineingehen. Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit, heute den Prozeß zu Enoe zu bringen, fast unmöglich geworden. (Die Sitzung dauert an.) Neues von Ludendorff General Ludendorff hat vor dem Hochschul ring deutscher Studenten in Würzburg eine Rede gehalten, die ein Musterbeispiel für die An schauungsweise diese» in seiner Einsichtslosigkeit innerlich völlig zerkrampsten Manne» ist. Um da» deutsch« Volk' da» Über diesen politisch Un- zulänglichen hinweggegangen ist, zu schmähen, gebraucht der General die abgebrauchte Redend art, die aber tn diesem Zusammenhang sehr kühn ist: „Die schwer« Zeil de» Weltkriege» fand em kleine» Geschlecht." Da» kommt davon, wenn man persönlich nie im Trichterfeld gestanden ist und — bei den Besuchen in der Heimat — im bequeme« Auto an den langen Rethen der „Schlangen stehen den" Hausfrauen vorbeiäesahren ist. So unwissend ist Ludendorff über di« Frontverhältnisse de» Herbste» 1S18 gewesen, dass er jetzt sagen kann: „Unser Heer stand noch furchtgebtetend in Feindes land." Eine Division batte damals BataillonS- kampsstärke! — Den einjährigen Dienst nennt Ludendorff „einen häßlichen Irrtum"; da» ist der Jargon, in dem unser auSbildender Herr Leut nant über un» Einjährige sprach. Ferner hat Ludendorff im kaiserlichen Heer „alle Klassen- gegensätze verschwinden sehen". In Wahrheit mußte ein Einjähriger, dessen Vater etwa Schneidermeister war, au» der OsstzierS-Asviran- tenstunde verschwinden. Die aktiven Unter offiziere waren nach Ludendorff „die Lehrer de» Volke» und die Vertreter der Sittenlehre". Es ist der Schmerz de» General» Ludendorff, daß das deutsche Volk über diese „Sittenlehre" uud seine „Lehrer" htnausgewachsen ist. Line provozierende Rede Hindenburgs Berlin, 7. Mai. (Drahtbertcht unserer Berliner Schriftleitung.) Gestern am Sonntag fand in Döberitz die Einweihung eines Denkmal« für die Gefallenen des 3. Garde regiments statt. Bet dieser Gelegenheit waren der Reichswehrminister Geßler, Feld marschall Hindenburg und Prinz Eitel Fried rich erschienen. Nachdem der protestantische Geist- liche, ein ehemaliger Divisionspfarrer, „des Geburts tages Seiner kaiserlichen Hoheit des Kronprinzen" gedacht hatte, nahm Hindenburg das Wort und leistete sich einige Acußerungen, die von dem Feld marschall, der sich bisher stet» eine bemerkenswerte Reserve auferlegt hat, eine peinliche Ueberraschung bedeuten mußte. Er sagte folgendes: „Freudig und stolz bekennen wir, daß wir in dieser Stunde in Treue, Liebe und Ehrfurcht seiner Majestät, unseres allergnäbigsten Kaiser», Königs und Herrn, unseres erhabenen Führers tn dem fast über menschlichen Ringen für die Ehre und um den Be stand des Vaterlande» gedenken, und daß wir die in nigsten Wünsche hegen für Seine königliche Hoheit den Kronprinzen, der heute seinen Geburtstag be- acht. Dann erinnern wir uns mit warmen dank baren Herzen all der Vielen, die tn unseren Reihen freudig ihr Leben hingegeben haben tn dem festen Glauben an die Größe de» Vaterlandes. Sie ruhen in Frieden, denn sie haben ihre Pflicht treu getan gegen König und Vaterland. Nach diesr Rede, die mit einem überraschenden Schweigen ausgenommen wurde, begnügte sich Reichowehrmrnistrr Dr. Geßler mit einer kurzen Erwiderung, tn der er im Namen des Reichsfisku» da» Denkmal zu treuen Händen des Reiches übernahm, und zum Schluß erklärte: „Alles was uns heute das Herz bewegt, wollen wir zusammenfassen in dem Gelöbnis einer treuesten Pflichterfüllung für das deutsche Volk, für den deutschen Staat und für die deutsche Republik." Zum Schluß der Feier erfolgte ein Parademarsch einer Ebrenkompagnie und der au» ganz DeutstV land zusammengekommenen Angehörigen des frühe ren 3. Garderegiments vor Hindenburg und dem Prinzen Ettel Friedrich. Der Vorwärts, der diese Angelegenheit in seiner heutigen Abendausgabe zur Sprache bringt, erklärt, daß das Reichswehrministerium sich unbe dingt dazu äußern müsse. Das Blatt verlangt, daß mit dem ganzen Uniformrummel für die abgedank ten Offiziere endlich Schluß gemacht wird. Wenn cs nicht ander» gehe, muffe ein diesbezügliches Ge setz herbcigeführt werden. Die republikanisch« Be völkerung werde sich solche Provokationen auf keinen Fall länger bieten lassen. -k Und geht es Deutschland noch so schlecht, der Glanz der monarchischen Legende darf nicht ver bleichen! Al» 1806 Franz II. die deutsche Kaiser- kröne niederlegte und das Reich kurzerhand auf- gab, ließ er seinen Berzicht mit den Worten be- ginnen: „Wir, Franz II., römischer Kaiser deutscher Nation, allezeit Hüter und Mehrer des Reichs," Genau so grotesk ist es, wenn jemand den ehemaligen Kaiser Wilhelm II., der die Ehre Deutschlands nicht mehr mit seinem schwachen Willen tragen konnte, heute noch „unfern er habenen Führer" nennt. Zur selben Stunde verkündet Hindenburgs Stabschef Ludendorff, das deutsche Volk habe versagt. Es ist, als ob diese Herren sich gar nicht genug darin tun könnten, nachzuweisen, daß ihnen jedes Ver ständnis fllr die Jetztzeit fehlt, und daß sie mit Recht politisch ausgeschaltet sind. Vie Rommunisten als Regierungsstützen Der Kampf zwischen den Kommunisten und den Sozialdemokraten in Sachsen um den so genannten proletarischen Selbstschutz ist in ein neues Stadium getreten und bildet jetzt eine unmittelbare Gefahr für das Ka- binett Zeigner. Der Landesarbeisausschuß der Sozialdemokratischen Partei hat nämlich, wie man zuerst aus der kommunistischen Presse er fuhr, am 4. Mai gemeinsam mit der Siebener- kommission zur Frage des proletarischen Selbst- schütze» Stellung genommen, und dabei den Kommunisten großes Entgegenkommne gezeigt. In der Sozialdemokratischen Partei besteht, wie man aus der Hauptversammlung der Partei in Groß - Leipzig weiß, starke Abneigung gegen die Bildung gemeinsamer Abwehrverbanoe mit den Kommunisten. Trotzdem hat sich der Landes arbeitsausschuß der Partei grundsätzlich für gemeinsame Selbstschutzverbände er klärt. Von seinen übrigen Beschlüssen sind fol gende besonders wichtig: „Ucber Einsatz und Verwendung des prole tarischen Selbstschutzes entscheidet die politische Leitung. Die Zusammensetzung der politischen Leitung erfolgt nach dem Stärkeverhältnis der Parteiorganisationen der VSPD. und KPD. Dem proletarischen Selbstschutz können Mit glieder der VSPD. oder KPD. angehören, die mindestens 1 Jahr Mitglied einer dieser Parteien und mindestens 20 Jahre alt sind. Auf Antrag werden auch freigewerkschaftlich Organisierte in den proletarischen Selbstschutz ausgenommen, je doch nur mit Zustimmung der beiden Parteien." Wenn die „politische Leitung" nach dem „Stärkeverhältnis" der Parteiorganisationen der VSPD. und der KPD. zusammengesetzt wird, so bedeutet dies, daß in weitaus den meisten Be- zirken die Sozialdemokraten die Leitung in der Hand haben. Die Kommunisten batten eine „paritätische" Leitung verlangt und sind mit dieser Forderung abgewiesen worden. Auch das Mindestalter von 20 Jahren bedeutet einen Sieg der Sozialdemokratie; die Kommunisten, deren Anhängerschaft sich zu einem großen Teil aus Jugendlichen zusammensetzt, hatten das 17. Lebensjahr als unterste Grenze gefordert. Dagegen ist die Zulassung von Freigewerkschaft, lern, die weder Sozialdemokraten noch Kommu nisten find — also Anarchisten. Syndika listen usw. — ein Zugeständnis an die Kommu- nisten. Nach der Stimmung, die auf der Hauptver sammlung der Sozialdemokraten von Groß- Leipzig herrschte, muß die große Nachgiebigkeit der Sozialdemokraten überraschen. Aber die Kommunisten sind noch keineswegs zufrieden. In ihrer Presse veröffentlichen sie einen Aufruf an die sozialdemokratische Arbeiterschaft Sachsens, worin es heißt: „Klassengenoffen, Klaffengenosstnnen! Die Kommunistische Partei will nicht den Sturz der jetzigen Regierung . . . Die Feinde der jetzigen Regierung sitzen nicht in den Reihen der Kommu nistischen Partei, .sondern in den Reihen de» Bürgertums und eine» Teile» Eurer Füh- rer . , . Die proletarische Einheitsfront ist tn Gefahr. Verhindert den Sturz der jetzigen Regierung, fordert die genaue Einhaltung der Vereinbarungen, zwingt die Sie- benerkommisston zum aktiven Vorgehen gegen die rechten Saboteure." Ziemlich lahm erwidert darauf die Leipziger? Volkszeitung: „Die sozialistische Regierung ist nicht durch den sozialdemokratischen Landesarbettsausschutz und einen Teil der sozialdemokratischen Führer gefährdet, sondern durch die Kommunisten, die eine im Interesse ihrer Parteiagitation liegende For derung mit der Drohung, dem sozialistischen Ka binett die Unterstützung zu entziehen, zu einer ultimativen gegenüber der VSPD. erheben. Mit Ultimaten und Aufrufen an die Mitglieder der andern Partes, die Zwietracht in die Rethen de» Koalttionsbruders säen sollen, kann ein gedeih- liches Zusammenarbeiten nicht erreicht werden. Unsre Partei ist den Kommunisten bis an die äußerste Grenze des Möglichen und Ertäglichen entgegengekommen, sie können aber nicht erwarten, daß wir uns als Partei selbst aufgeben und ihnen den Boden für ihre weitergesteckten Parteiziele bereiten." Der Streit geht, wie man sieht, nur darum, wer das Kabinett Zeigner gefährdet. Daß es gefährdet ist, darüber sind sich die beiden Par- teien, auf die es sich stützt, einig. Sonderbar und verdächtig zugleich aber ist der Eifer, mit dem sich die Kommunisten als die einzigen wahren Stützen der sozialdemokratischen Regierung emp fehlen, Deutscher Reichstag Drshedericht unserer Berliner «chrlstlettung Berlin, 7. Mai. Der Reichstag beschäftigte sich heute mit dem An trag der Deutschvöltischen Freiheitspartei wegen der Maßnahmen des Berliner Polizeipräsidenten gegen ihr Parteibureau. Der demokratische Abg. Brodaus erörterte als Berichterstatter des Ausschußantrages die Frage, ob eine Immunitätsverletzung vorliegt. Diese Frage sei zu verneinen. Der deutschvölkische Abg. Wulle sprach von der Bedeutung des Eingreifens für den Parlamentarismus. Der Abgeordnete brauche ein Bureau, damit er mit seinen Wählern in ständiger Fühlung bleiben könne. Er muß aber zugeben, daß die Polizei bei der Schließung de» deutschvölkischen Parteibureaus 8 Räume dem Abgeordneten belassen hat, und so muß sich sein Protest eigentlich in der) Klage erschöpfen, daß es mit der Würde de» Abge ordneten nicht in Einklang zu bringen seh wenn Leute, die ihn besuchen wollen, von Kriminalbeamten zum Polizeipräsidium gebracht werden. Der sozialdemokratische Abg. Dittmann glaubt, die Rechte darum verweisen zu sollen, daß st« sich nicht immer so sehr für den Schutz der Im munität der Abgeordneten eingesetzt hab«. Al» tm Jahre 1896 Minister Köller das sozialdemokratische Parteibüro geschlossen hatte, war di« Richte damit einverstanden, obwohl den sozialdemokratischen Ab geordneten nicht fünf Zimmer reserviert worden sind, wie die» jetzt für die Deutschoölkischen ge schehen ist. ' Während Aba. Dr. Bell dem Ausschußantrag zustimmt, stellt sich der Redner der Deutschen Volks partei, Abg. Dr. Kahl, auf den Standpunkt, daß das Polizeipräsidium kein Recht zu seinem Vor gehen gehabt habe. Seine Partei sei übrigens stet» ttir die Immunität «ingetreten. Dann erklärt noch der Kommunist Remmele, er sek in der ange nehmen Lage, mit Wulle Lbereinzustimmen. Damit ist die Aussprache erlediat. Die Ab stimmung, die auf Antrag des Abg. Grafe namentlich erfolgen soll, wird erst im spateren Verlauf der Sitzung vorgenommen. . § Das Hau« wendet sich hierauf der Wetterberatung des Haushalts de» Neichsarbeitsministerium« zu. (Die Sitzung dauert fort.) * I Der Ehefredakteur der Leipziger Volkszeitung Block ist al« Pressechef in die Nachrichtenabteilung der sächsischen Staatskanzlei berufen worden. Weitere politische Nachrichten siehe Seite 6. Wechsler und Händler Schauspielhaus tzs gehört heute zur guten Lebensart für einen, der sich Dichter fühlt, daß er an der Zeit leidet. Wie man früher <ünen Schillerkragen trug, so wird beute in weiten Krisen der Poesie an der Zeit gelitten. Die Poeten verkennen nur, daß auch dazu Talent ge hört, daß, wenn man denn schon wirklich leidet, cs nicht genügt, auf einer Bühne, die sich dazu hergibt, Leute auftretcn zu lassen, die immerfort davon schwafeln, daß ihnen mies ist vor der Zeit, vor der Welt, vor Gott und vor ihnen selber. Das wird dann zwar ein mieses Stück und wenn man's anhören muß, dann wird einem selber mies davor. Aber von dieser Art ist doch die Zustimmung nicht, welche die Poeten, die den schwarzen Schillerkragen der Buße prediger angelegt haben, sich erwarten. Es muß sich wohl so verhalten, daß diese lite rarischen Leute, die aus Begabungsmangel Buß- Prediger geworden sind, nur deshalb ihre schlechten Stücke schreiben, weil es ihnen ein Gott versagt hat, für sich zu behalten, was sie leiden. Ich glaube, wenn sic litten, was sie zu leiden sich schmeicheln, dann hielten sie auch den Mund. Ein paar Jahre lang wenigstens, dann trügen sie ihre Kinder aus. Aber sie legen immerzu — so kommt es mir vor — un befruchtete Eier. Wie gern würde ich mich noch gründlicher über meine Theorie von den unbefruchteten Eiern ver breiten, denn das Thema bat nur im allgemeinen seine Reize. Der Sonderfall hingegen ist immer schmerzlich. Da leidet der Kritiker an seinen Zeit genossen. Die Hühner wenigsten», die gackern selbst, wenn sie legen. Der Zeitgenosse hingegen — Hanns Iahst heißt der Sonderfall — legt sein Li tn Fritz Viehweg» Nest, und hat auf Grund dieser bedauer lichen Tatsache den gegründeten Anspruch, daß andere Leute darüber gackern. Bruder Jobst, auch mir gab es kein Gott, ver schweigen zu dürfen, wa» ich gelitten habe. Siehe da, cs gibt Leute, die Wein panschen und falsche Etiketten nufkleben. Da» ahnten schon die „Fliegenden Blätter' der Vorkriegszeit. Neuerding» munkelt man davon, daß mit dem Dollar die Preise steigen. Auch daß manche Leute dabei viel Geld verdienen. In deinem Stück ein ehemaliger Bcnzinfeldwebel, ein Steinmetz geselle und des Feldwebels kleines Mädchen. Diese» maust sogar. Wohingegen jener dämonische Russe, dessen Schloß die Bolschewisten verbrannt haben, zwar gern Geld verdienen möchte, aber die Ent- deckung macht, daß e» stinkt (reichlich spät) und sich daraufhin von einer franziskanischen Bruder- und Schwesternliebe sprunghaft zur Weißen Armee und zum Blutvergießen bekehrt. Da» alles ist in einer schauderhaften Weise zu fällig, unbegründet, unvertieft. Das Ding hcrßt Komödie, und es werden eine Anzahl billigster Schwankwitze darin gemacht. Zum Schluß aber tritt der gewesene Benzinfeldwebel scharf an die Rampe und erkundigt sich bei dem Publikum, das zwei Stunden lang durch eingestreute Kalauer unterhalten wurde, wo die seien, die reinen Herzen» die Wechsler und Händler richten. Es wird also gewissermaßen am Schluß des Stückes nach dem gefragt, der ein besseres zu schreiben willens und imstande wäre. Wenn diese Frage, Hanns Iahst, dir zum Selbstbekenntnis wird, dann werden wir einig. Zwar glaube ich nicht, daß die Bühne berufen oder geeignet ist, die Zeit zu richten, sondern sie zu gestalten. Nicht an ihr zu lewen, sondern mit ihr fertig zu werden. Bert Brecht mit feinen „Trommeln in der Nacht" ist mit ihr fertig geworden. Ihm wurde Gestalt, was in Jobst» letzten Stücken nur Redefiguren geworden sind: die Zeit, tn der wir leben. lieber deren Wert oder Unwert zu urteilen die Aufgabe derer bleibt, die nach uns kommen. Unausgetragene Geschöpf» kann man nicht spielen. Redefiguren auf zwei Beinen werden nie und nirgends Gestalt. Weber, der schwermütige Benzin feldwebel. der am Deldverdienen leidet; Balqutz, der bajuwarische Steinmetzjunge, dem'» Spaß macht, Kalkenhausen, der Kolportage-Russe, der, immerfort hochmütig lächelnd, den Spaß ein« Weile mitmacht. Endlich Lina Carstens, da» leichtsinnige Münchner Madel, die eine höchst unglaubwürdige Verbindung von Sentimentalität und kalter Hochstapelei durch ikr weibliche» Naturburschentum wenigsten» theatralisch genießbar macht. Frage an den Tbeaterdirektor: Wenn wir schon an der Zett leiden, wie Sann» Iohst versichert, warum ließest du un» auch an seinem Stück leiden, wa» doch nicht unumgänglich war-
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