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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 29.04.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-04-29
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192304290
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230429
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230429
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-04
- Tag 1923-04-29
-
Monat
1923-04
-
Jahr
1923
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Mso sprach von Sturz» iv»»»akerem»l«l»e»rsche,«rt»a,»«»<«>" v. R. Mailand, 26. April Don Eturzo, der Sekretär der italienischen Volkspartei oder der .Volkstribun Im Priester- rock", wie ihn seine Gegner zu benennen belieben, hat seine projektierte Reise nach Berlin und Wien behufs Fühlungnahme mit den Führern der deutschen Zentrumspartei und der öster reichischen Lhriftlichsozialen ausgeschoben, und die Anhänger der .Weißen Internationale" werden sich noch ein Weilchen gedulden müssen, weil ihr Protektor vorerst die endgültige Lösung der im Schoße seiner Gemeinde ausaebrochenen Krise abwarten will. Mit anderen Worten: der starke persönliche Erfolg, welcher Don Eturzo auf dem Turiner Popolari - Kongresse beschieden war, reichte nicht aus, um den Zwiespalt zu über- brücken, welcher seit längerem die einst gewaltige klerikale Dolkspartet zu zersprengen drohte. Aus dem erwarteten Triumphzuge durch die Hailpt- städte Europas ist nichts geworden, und Don Sturzo hat vorläufig alle Hände voll zu tun, um das Prestige seiner Partei in Italien zu retten und zu beweisen, daß der .lebende Leich- uam" seine Rolle noch immer nicht aus- gespielt hat. In Turin leitete er seine Ausführungen mit den hochtönenden Worten ein: .Zu einem Zeit- punkt, in welchem eine neue Strömung die Ober hand gewonnen hat und allmählich alle natio- nalen Parteien aufzusaugen droht, ist es doppelt wichtig, daß die italienische Volkspartei durch Bewahrung ihrer Einheit und Unabhängigkeit alle Kräfte zusammenfaste, um den höhnischen Angriffen der Gegner zum Trotz unbeirrt und unentwegt ihre historische Funktion weiter er füllen zu können." Im weiteren Verlaufe seiner Rede meinte er, daß es die Dolkspartei ihren falschen Freunden anheinistelle, ihr Ratschläge bezüglich einer Revision ihres Programms unter Anpassung an die veränderte innerpolttische Lage zu erteilen. In diesem siegesgewissen Tone ging es weiter, und nach etwa vierstiindiaer rednerischer Leistung entlockte er seinen Zu hörern die begeiwertsten Beifallsstürme. Inzwischen ist viel Wasser den Tiber hinab geflossen, und die bewegte Geschichte der letzten Tage hat mit der Annahme der Demission der Popolari - Minister ihr vorläufiges Finale ge funden. Die fein ausgedachte Formel von der bedingten Mitarbeit hat bei Mussolini keinen Anklang gefunden. Er hatte von den Vertretern der Volkspartei gefordert, daß sie durch energische Stellungnahme gegen die während des letzten Turiner Kongresses zutage getretenen anti- faschistischen Tendenzen ihr geistige» Oberhaupt desavouieren sollen. So lieb es aber auch manchen gewesen wäre, durch ein kluges Kom promiß ihr Mandat zu bewahren, so erschien es ihnen anderseits doch zu gewagt, sich mit Don Eturzo zu verfeinden, solange sich die vatika- nischen Kreise nicht offen von ihm losgesagt haben. Da eine Lösung der Krise in diesem Sinne nicht gefunden werden konnte, ist die innerpolttische Lage heute in ein neues Stadium getreten, das eine große Reihe von Unbekannten enthält. Wird Mussolini beweisen wollen, daß die von ihm geführte Revolution noch nicht br- endet ist, und wird er durch Bildung eines rein faschistischen Kabinette" einen weiteren Schritt zur Verwirklichung seines Programmes tun? Steht Italien vor einer Verfassungsänderung, die das Ende des parlamentarischen Regimes besiegelt? Nach Ansicht der nationalistischen Kreise ist darüber kein Zweifel mehr möglich, daß die kommende Entwicklung logischer- und fataler weise diesen Verlauf nehmen muß. Demnach wäre das Ausscheiden der liberalen und demo kratischen Minder aus dem Kabinett nur noch eine Frage der Zeit. Gegenwärtig ist vor allem die Beurteilung des künftigen Verhältnisses der Regierung zur Dolkspartei von größter Wichtigkeit. Mussolini hatte sofort di« lämsequenzen aus dem Turiner Kongresse gezogen, indem «r da» Entstehen einer neuen Partei, der .Nationalen Dolkspartei", begünstigte. Alles deutet darauf hin, daß der Italienische Ministerpräsident seine Bemühungen in dieser Richtung fortsetzen wird. Inzwischen unterscheidet die Regierung zwischen anti- und philofaschistischen Volksparteilern. Ist aber das Problem einmal in dieser Weise gestellt, so kann der Ausgang des Treffens nicht mehr zweifelhaft erscheinen. Schon jetzt erhält der Faschisten- führer von der Mehrheit der Abgeordneten der Volkspartei Versicherungen unverbrüchlicher Treue und Ergebenheit. Sie erklären, der Re- glerung wie bisher treu zur Seite stehen zu wollen ohne Rücksicht darauf, ob ihre Führer in der Negierung vertreten seien oder nicht. So bereitet sich allmählich die Isolierung des jenigen vor, dessen Politik darauf hinztelte, den Faschistenführer zu isolieren. Seine unverkenn- bare Absicht ist es gewesen, die Unzufriedenen aus dem Lager der Liberalen, der Demokraten, der Reformsozialisten sowie die wegen der un- vermeidlichen finanziellen Reformen Verstimmten unter seinem Banner zu sammeln und sich zum Hüter des Liberalismus aufzuspielen. Seine eigenen Heerscharen schienen ihm nicht aus- reichend, um den gewaltigen Schachzuq gegen seinen Erzfeind zu führen. Deshalb sah er sich nach Bundesgenossen um. Heute fällt bereits einer nach dem anderen seiner Ehemals Getreuen von ihm ab. Gewiß hat der schlaue sizilianische Priester seine letzte Karte noch nicht ausgespielt. Aber schon jetzt sieht man mit aller Deutlichkeit, welchen Ausgang das Duell Mussolini—Don Sturzo nehmen wird. Deutschland und die Tschechoslowakei Etße««, DrahtSertcht de» Leip»t»eera»e»Iatte» Prag, 26. April. Zn der heutigen Sitzung des Außcnausschusse» sagte Minister de» Aeußern Dr. Benesch über die Repressalien gegen Ungarn und die Ausweisung tschechoslowakischer Staatsangehöriger aus Deutsch land: „Wir waren gezwungen, zu einer Reihe un angenehmer Maßnahmen zu greifen, obwohl die Regierung sie ungern ergreift, weil sie prinzipiell gegen die Politik der Repressalien ist. Bei den Verhandlungen mit Deutschland haben beide Re- gierungen die Frage ruhig beurteilt und gesehen, daß es vor allem di» lokalen Behörden waren, welche unsere Angehörigen ausgewiesen haben. Wir machen darauf aufmerksam, daß ein solches Vorgehen zwei- schneidig und daß es notwendig ist, bamft einmal ein Ende zu machen." Rückgang der Arbeitslosigkeit in England atge>erD»«tzi»erratde» Lei»,t,eer«»«»latie» London, 27. Avril. Zm Unterhaus« erklärte der Arbeitsminister, daß die Arbeitslosigkeit, di« im Jahre 1V2I rund 2 Mil lionen betrug, in steter Abnahme begriffen sei. Sie habe im Januar 1486 000 und Mitte April 1 240 000 Personen betragen. Zur Unterstützung der Arbeits losen sind in dem jetzigen Budget KO Millionen Pfund Sterling vorgesehen. Zum Stellvertreter de» sächsischen Ministerpräsi denten Dr. Zeigner ist der Minister de» Innern Liebmann ernannt worben. Zn der Angelegenheit der Zwischenfälle an der ungarisch - tschechoslowakischen Grenze nahm die tschechoslowakische Regierung einen Vorschlag der ungarischen Regieruna an, daß der wahre Sachverhalt durch eine von beiden Län- dern zu entsendende gemischt« Kommission festgestellt werden soll. Iuwelendiebstähle Der Bürger von hrut« ist wahrlich an „Außer- gewöhnliches" gewohnt. Die furchtbarsten Ereignisse hat er an sich vorübemiehen sehen, di« grauenvollsten Zustände hat er miterleben oder, wenn auch nicht am eigenen Leibe, so doch au» nächst« Nähe «rfahr«n müssen. Wa» sollte ihn da noch wundernehmenl? Und doch — wir können uns noch immer nicht über all die Geschehnisse, die beinah« Tag für Tag uaf uns eindringen, hmwegsetzen; wir zucken nicht gleichgültig mit der Achsel, wenn wir hören, daß wieder einmal ein gräßlicher Raubmord ausgeführt wurde, daß wieder einmal «in Rieseneinbruch ae- schab, bei dem Werte von Millionen und aber Millionen verlorenginyen... Am Freitag nachmittag verbreitete sich in Leipzig die Kunde von einem riesigen Iuwelendtebstahl, von einem Einbrecherstück, das seinesgleichen in der Chronik der Gaunereien suchen mag. Man sprach von Millionenverliisten, ja von einem Schaden, d«r gar weit in die Hundcrtmillion geht. Di« erst« Kunde Übertrieb nicht. Der Einbruch, der in eines der ersten Leipziger Iuweltergeschäfte verübt wurde, übertrifft an Dreistigkeit und auch — an Erkolg fast alles, was sich bisher in unserer Stadt zutrug. Am hellichten Tage räumten drei, vier Burschen — so viel mögen es gewesen sein — die Auslage de» Ladens aus. Nicht von der Straßen front, sondern vom Geschäftsraum selbst aus. Passanten merkten wohl den Vorgang: in dem Glauben jedoch, es handle sich um Schaufenster- dekorateure, gingen sie achtlos vorüber. Wie die Diebe in das um die Mittagszeit verschlossene Ge- schäft drangen, zeugt von einer — man möchte sagen silmmäßigen Kühnheit. Erst verschafften sie sich Ein- gang in den Hof de» Gebäudes, stiegen von dort, un gesehen, in einen der leeren Meßräume, die an das Iuweliergeschäft angrenzen, und durchbrachen die Mauer. Was weiter passierte, ist bereits bekannt. Das gute Leipzig ist erfreulicherweise arm an Dergleichen mit diesem Einbruch. Die „promi nentesten" und vielleicht auch kühnsten Fälle stammen zumeist aus den letzten Zahrer. Noch jedem wird -. B. der Einbruch in das Warn Haus Althoff in Erinnerung sein, wo die Diebe die waghalsigen Kletterkunststückchen machten, um den Diebstahl in Sicherheit ausführen zu können. Erinnert sei ferner an den Einbruch bei dem Juwelier Holtbuer am Markte, der vor einigen Jahrzehnten geschah. Hier bohrten die Diebe erst ein kleines Loch in die Decke und fingen dann mit einem durchgesteckten Schirm, den sie dann aufspannten, Steine und Mörtel bei der Vergrößerung des Loches auf. Aber warum soll man immer auf die hervor- ragenden, auf die aufsehenerregenden Ereignisse ab heben!? Es passieren bttnahe täglich Ueberfälle auf friedliche Straßengänger, es passieren täglich Dieb stähle und Betrügereien, di«, weil der äußere Erfolg nicht allzu bedeutend ist, von der Allgemeinheit auch nicht sehr beachtet werden. Aber gerade diese, schein- bar kleinen, Geschehnisse sind im Grunde nur der Auftakt zu b-n großen: sie sind gleichsam die An- Zeichen. Z n letzten Tagen haben wir viel solcher Anzeichen kennen vermocht. Möge sie die maß gebliche L.. .oe auch erkennen! * Zu dem im größten Teile unserer gestrigen Aus- gäbe mitgeteilten Suwclen-Diebstahl in Leipzig geht uns folgender Bericht der Polizei zu, der im wesent- lichen unsere Angaben bestätigt: Ein außerordentlich dreister Einbruch bei der Firma L. A. (bündel, Juwelen-, Gold- und Silberwarengeschäst, in der Petersstraße 20 ist am 27. d. M. zwischen 1 und 3 Ubr nachmittags verübt worden. Während dieser Zeit sind der Inhaber des Geschäfts und seine Angestellten vom Geschäft ab wesend. Die Täter sind zunächst, ohne Schwierig keiten gehabt zu haben, in das Hau», das lediglich Geschäftszwecken dient und offen stand, gelangt und sind von dort mittels Dietrichs oder Nachschlüssels in einen leeren, an die Geschäftsräume der Firma Gündel angrenzenden Raum einaedrungev der nur zur Messe besetzt ist, in der übrigen Zeit aber leer steht. Hier konnten die Einbrecher nun in aller Ruhe die nur zwei Ziegelsteine stark« Wand dur orechen. Mutmaßlich ist wahrend der Tat in dem Haui« niemand anwesend gewesen, da derjenige, d«r K2 Uhr dieses al» letzter verließ, bi» dahin keine verdo- uigen Geräusche gehört hat. Der angerichtete Schaden ist «in ganz rnormer. Er beträgt über 12600000 Mark Ts wird jeder, der verdächtige Wahrnehmungen zur Sache gemacht hat, wenn sie ihm auch noch so gering, fügig erscheinen mögen, gebeten, diese schnellstens der Kriminalpolizei oder der nächsten Polizeiwache mit zuteilen. Die geschädigte Firma hat in der amtlichen Bekanntmachung in diesem Blatt«, in der über die gestohlenen Gegenstände Näheres angegeben ist, .ein auf Ermittlung der Täter 1 Million und auf Wieder erlangung der gestohlenen Schmucksachen Prozent vom Werte des Wiedererlangten al» Belohnung ^«s- gesetzt. wagen mit Blumen Ein Bauernwagen fährt durch die Stadt, alt, grau, verwittert. An den Rädern braune Erde von den Landwegen, über die sie zur Stadt gelaufen. Zwei verrunzelt-derbe Frauen auf dem Bock, ein dürrer, ungepflegter Gaul an der Deichsel. Und doch — der Wagen bringt die Schönheit zur Stadt. Denn Blumen, nur Blumen sind seine Last. In glutendem Rot, keuschem Weiß, lieblichem Blau, sattem Gelb leuchten die vielen, vielen Blüten. Farbe, Freude überall, wo der Wagen fährt. Der graue Alltag zwischen den hohen Häusermauern ver schwindet für Augenblicke. Die Kinder lassen ab von ihren Spielen auf staubbedeckter Asphaltstraße. „Die vielen Blumen! Wie fein, wie schön!" jauchzen st« und laufen eilends nach; vielleicht fällt eine bunte Blüte für sie herab. Di« Freude der Großen ge messener — aber auch sie halten ein im eiligen Lauf. Aller Blicke wandern zu den Blumen, wo da» Gefährt vorüber rollt. Für Sekunden sind die Sorgen ver gessen, Freude und Schönheit zieht in die Herzen. Und ihr Abglanz leuchtet noch von den Gesichter», als das Klappern der Räder längst verhallt ist. Der alte, graue Wagen ist zum Paradies ge- worden inmitten des Häusermeeres. Aber auch über diesem Paradies thront ein Cherub. Sein Schwert ist die lange, schwitzende Peitsche. Sie saust nur allzu ost auf den müden Gaul — das Blumenwunder rührt nicht die Herzen der beiden verrunzelt-derber» Wesen. Blumen und Peitsche — find es nicht zwei Sym bole unseres Lebens? Wie so selten beut uns aber das Leben Blumenl Die Mahnung de» ehrlichen Diebe». Vor einige« Tagen wurde einem Mechaniker sein Fahrrad, da» er in einem Hausgang in der Münchner Maillinger- straße unversperrt stehengelassen hatte, gestohlen. Nach drei Tagen erhielt er sein Fahrrad wieder zu gestellt mit folgendem Begleitschreiben: „Anbei Ihr Rad zurück mit der Warnung, dasselbe nicht mehr so lange in fremden Hausfluren unversperrt stehenzu lassen. Ein ehrlicher Dieb." Wie berechtigt die Warnung des „ehrlichen Diebes" ist, geht darau» hervor, daß seit dem I. April in München nicht weniger als 125 Fahrräder gestohlen worden sind. Zwar wurden 50 Fahrraddiebe festgenommen, doch konnten bisher nur 25 Fahrräder beigebracht werden, Sacharinschmuggel in Oberschlesien. Der ober- schlesischen Schutzpolizei gelana bei Schömberg di« Aufdeckung eines großen Sacharinschmuggel». In der Nacht entdeckte eine Streife des dortigen Kom- mandos eine Anzahl verdächtiger Gestalten, die teil» über die Grenze flüchteten, teils in die Wohnung des Artisten Ionas nach Schömberg abzogen. Eine Durchsuchung des Hause» förderte erst zwei groß« Pakete mit Sacharin zutage und eine spätere zweit« Durchsuchung insgesamt 32 Pakete mtt je hundert Schachteln, die von einer Magdeburger Firma stam« men. Iona» und sein« Frau wurden verhaftet. Kantate Der Tag der Abrechnung Da» ist, im Grunde genommen, die Bedeutung der Kantate der Deutschen Buchhändler. Der Ur sprung geht weit zurück. Der Leipziger Buchhändler Paul Gotthelf Kummer war der erste, der eine buchhändlerische Vereinigung zu dem Hauptzweck« gegenseitiger Abrechnung gründete. Zu diesem Zwecke mietet« er, es war im Jahre 17V2, ein Meß abrechnungslokal, auch wurde eine Geschäfts ordnung für di« Abrechnung aufgestellt. Die Einrichtung hatte aber nur ganz kurzen Be stand. Da war es der Potsdamer Buchhändler Lorvath, der I7S7 das Projekt von neuem auf nahm. Er faßte es großzügig an, denn er mietete al» Abrechnungslokal bas im Paulinum gelegene Theo- loaisch« Auditorium der Universität, dessen Lage in sofern günstig war, als damals um die Universität herum die Buchhändler ihre Stätten aufgeschlagen hatten. Ursprünglich war diese» Auditorium in der Sommerzeit der Speisesaal der Mönche des Pauliner- klosters gewesen. Run wurde der langgestreckte Saal in der Ostermesse -urBörsederBuchhändler. Au» Abbildungen wissen wir noch, wie es dort zu ging. Ja drei Reihen waren einzelne Tische hinter- einander aufgestellt, an denen die Buchhändler saßen und mit ihren Gänsekielfedern emsig die notigen Eintragungen in ihren großen Kontobüchern machten. „Gegen 300 fremde Buchhändler", so berichtet un» Dretschel über jene Zeiten, „kamen nach Leipzig, um die Geschäfte des verflossenen Jahres zu ordnen, ihre Zahlungen .bzumachen und sich über neue Geschäfte zu besprechen? Aber viele zurückgehende Geistes produkte, daher Zrebse genannt, zeugten auch damals schon von ebensoviel getäuschten Hoffnungen. Fast vier Jahrzehnte lang bildete diese» Lokal (das während der Neujahrs- und Mtchaeli»m«ffe auch der Ort der religiösen Dersammlunaen der refor- mierten oder sog. Hamburger Israeliten war) di« deutsche Buchhänolerbörs«. die sich nebenbei bemerkt, gegen jetzt eine Woche früher abwickelte und deshalb al» Iubilatemesse bezeichnet wurde. Da trat tm Jahre 1832 der Buchhändler Friedrich Fleischer mit dem Gedanken hervor, ein eigene» Gebäude zu «richt«. Akt« zu 100 Taler« ward« auszegebea und nach kaum einundeinhalbjähriger Bauzeit kon.rte das nach den Plänen Geuteoruck» auvgesührtr Ge bäude, da» an der Ritterstrahe an Stelle der ein stigen Bursa Bavarica erstanoen «ar, am 1. Mai 1836 feierlich einaeweiht werden. Alle» wiederholt sich im Kreislauf der Zeiten. Wurde au» dem Speisesaal der Mönche eine Buch- händlerbörse, so wurde aus der Buchhändlerbörs« wieder ein Speiselokal der Studenten. Denn das Gebäude in der Ritterstraße wurde, weil es nicht mehr zureichte, »um heutigen Konvikt der Univer sität. Die Buchhändler erbauten sich aber an der Hospitalstraße ein neues, großes, stattliche» Lau», da» 1888 eingeweihte „DeutscheBuchhandler- Haus", das zusammen mit dem 18SV vollendeten „Deutschen Buchaewerbehaus" jenen im posanten Häuserblock im jetzigen Bucbhcinolrrvtertrl bildet, der, wie e» in einer Schrift der Bugra zu treffend heißt, „die Stellung Leipzig» al» Mittel punkt de« deutschen Buchhandel» anschaulich vor Augen führt". Der Sonntag Kantate aber ist zu einem Arbeits und Festtag in gleicher Wen« geworden. Allezeit mögen die deutschen Buchhändler gute Erinnerungen von Leipzig mit nach Hause nehmen. lo. Rußland im Such Kantate-Ausstellung in der Deut- schen Bücherei Die sehr reichhaltig«, von Dr. Arthur Rüther veranstaltete Ausstellung stellt sich zwei Aufgaben: eia Bild zu geben von dem großen Umfang, den der russische Berlagsbuchhanbel in Deutschland gewonnen hat, und zu zeigen, wie sich da» tn den letzten Jahren so sehr gewachsene Interesse für Ruß land, russische» Geistesleben, russische Kunst und Dichtung in der deutschen BUcherproduktion spiegelr. Dementsprechend zeigt die Ausstellung vor allem eine -roße Anzahl von Büchern in russischer Sprache, die in Deutschland erschienen find; vertreten sind über 20 Verleger und all« Literaturgattungen: Klassiker ausgaben, populärwissenschaftliche Schriften, Bilder- und Kinderbücher, Schulbücher, politisch« Broschüren; durch ihre glänzenden Reproduktionen russischer K 'nst» werk« fällt die Berliner Zeitschrift „Iar-Ptttze" (Der Feuervogel) auf. Mit zu den schönsten in Deutschland gedruckten Büchern tn russischer Sprach« gehören di« Ausgaben des Insel-Derlages in Leipzig (einzelne B>''nde der Serien „Pandora", „Libri Librorum", „Dibliotheca mundi"); interessant ist es, Bücher wie die Erinnerungen de» Kronprinzen Wilhelm, „Da» friedlose Europa" von Nitti, Borssel» „Indienfahrt", Meyrinck« „Golem", russisch in Berlin gedruckt, »u sehen. Die zweite Abteilung zeigt un» deutsche Bücher über Rußland, sein« Geschichte, sein Geistes leben, Rechts- und Wirtschaft-Verhältnisse, Literatur und Kunst; auch diese Abteilung ist überaus reich haltig, obwohl sie natürlich nur einen kleinen Aus schnitt au» der Menge de» tatsächlich Vorhandenen bieten kann; dabei handelt es sich durchweg um Schriften, di« nach dem Kriege erschienen sind; eine Vitrine ist ganz mit Propaganda- und Agitations schriften für und gegen den Bolschewismus ge füllt. Den Hauptteil der Ausstellung bilden die Aus gaben russischer Dichter tn deutschen uebersetzungen, hier f-blt koum einer der grösseren deutschen Verlaoe; vom bescheidensten Reklambändchen bis zu den kostbarsten Luxusausgaben der Mar4es-Gesellschaft, von Georg Müller, Kurt Wolff finden wir di« russische Dichtung vertreten. Einige jünger« Vorlage, wie der Münch«, ner Orchis-Berlag, der Berliner Rewa-D«rlag, sind ganz auf russische Literatur eingestellt; sehr schön und eigenartig ssn^ die illustrierten Bnsaoben de« O--«di« Verlags: Puschkin» romantisch« Dichtung „Rußland und Ludmilla" mit handkolorierten Lithographien von W. Masjutin, Karl Rössing» ganz eigenartig« .Holzschnitte zu Le tows Novelle „Vawlin", Rudolf Schlichters phantasttsch^roteske Lithographien zu der „Familie de» Vampirs" von Alexis Tolstoj. Unter den Veröffentlichungen des Newa-Verlag, fallen di« monumentalen Holzschnitte Masjutin» zu Puschkin» Gedicht „Der Antiar" auf; in diesem Verlag er schien auch die beste deutsche Uebersetzung der be rühmten Dichtung von Alexander Block „Die Zwölf" (von Wolfgang E. Droeger), auch sie mtt Holzschnitten von Masjutin. Von deutschen Künstlern, die sich al» Illustratoren russischer Dichtwerk« versucht haben, möge noch Rudolf Großmann mit seinen zarten Steinzeichnunaen zu Tschechow» „Kirschgarten" (Mün chen, D. Müller) und Dostojewski» „Dumme Ge schichte" (Mar4e»-Des«llschaft), Kurt Thylmann» kühn« Holzschnitte zu Gogol» „Zauberer" (München, Kurt Wolff) genannt werden. Line Sonderausstellung ist endlich Dostojewsky gewidmet: fast alle lein« Werk« sind hier in mehreren Uebersetzungen zu sehen, „Raskolnikow" und „Die Brüder Karamasow" sogar als „FUmroman" mtt grell bunten Umschlagzeich- nungen; sehr zahlreich sind di« illustrierten Ausgaben von Werken Dostoiewikns, unter denen Alfred Kubin» unheimlich-genial« Zeichnungen zum „Doppelgänger" aufiallen. —kt— „Waschzettel." Waschzettel nennt man bekannt lich heute di« empfehlenden Worte, di, die verlege« ihren Neuerscheinungen beifügen. E» ist nun ei» Streit darüber entbrannt, woher diese» merkwürdig» Wort kommt. Im „Börsenblatt für den Deutsche» Buchhandel" äußerte Otto Riebecke die Ansicht, daß da« Wort Waschzettel auf dir Goethe-Rachlaß- Echnüffler zurückgehe. Unter den Haushaltszetteln, die die Philologen veröffentlichten, hatten die Nocizen über die Hemden und Strumpfwasche de» Olympier» einen nicht kleinen Raum eingenommen, und von diesen durch die Wissenschaft geheiligten „Wasch zetteln" sei dann da» Wort allmählich in den all gemeinen Sprachgebrauch übergegangen. Die Un richtigkeit dieser Behauptung wesst nun der bekannte Prof. Georg W i t k o w »k»-Leipzig in einer Zu schrift an da» Börsenblatt nach. Zunächst betont er. daß man zwar die verschiedenartigsten Schriftstücke von Goethes Land aufgefunden habe, aber zu öll^a noch niemals «men — Waschzettel. Das Wort selbst bat erst in der zweiten Hälfte de» IS. Jahrhundert» Vie übertragene Bedeutung erhalten, und zwar wur- den so zunächst die regelmäßigen offiziellen Mit teilungen genannt, die von Amtswegen in der offi ziösen Presse erschienen und nur scheinbar eine eigen« Meinung ausdruckten, tn Wirklichkeit aber die An schauung der Regierung vertraten. Da man dies« Nachrichten, die sich nicht immer gerade mit den wichtigsten Dingen beschäftigen, wohl verächtlich al» „Gewäsch" bezeichnete, so erhielten sie allmählich den Titel „Waschzettel". Al« den frühesten literariscken Beleg für emr solche Verwendung de« Worte» wird ein Satz au» dem 1861 erschienenen Roman „Neues Leben" von Derthckld Auerbach angeführt: „Ihr Vor gänger, der sich in letzter Zeit so verrannte, daß er lieber die ganze Welt zugrunde gerichtet hatte, ehe er seinen politischen Waschzettel ändert»"
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