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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 29.04.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-04-29
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192304290
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230429
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230429
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-04
- Tag 1923-04-29
-
Monat
1923-04
-
Jahr
1923
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I^elprlger "rsgedlstt unä HruiäelsreUiuig 8e!re 2 w. 101 pariser Trommelst uer Von »ukrrem Pariser Mitarbeiter p. Paris, 27. April. Mit großem Lärm hat nach dem gestrigen Mi- nisterrat, der jedoch keine entscheidenden Beschlüsse gefaßt hat, die nationalistische Presse die „Mai offensive" gegen Deutschland eröffnet. Vergleichen wir gleich tue bemerkenswertesten Symptome: das Trommelfeuer soll eine psychologische Wirkung auf das deutsche Volk haben, daran ist kein Zweifel; daher all die wüsten Drohungen am Vor- abend einer deutschen Note, von der man sachlich nicht das geringste weiß, die Spielereien mit Tanks und Bomben und offiziellem Kriegszustand. Einige mögen cs dabei insofern ernst meinen, als sie hoffen, durch solche Maßlosigkeit die deutsche Regierung zu einem Angstangcbot zu veranlassen. In der Mehr zahl aber wollen diese Stimmen die breiten Massen in Frankreich, die immer lauter nach einer befriedi genden Lösung des gegenwärtigen Konflikts ver langen, auf die lichtscheuen Pläne der Negierung vorberciten, indem sie von vornherein Unmögliches als für Frankreichs Sicherheit und Zukunft un bedingt notwendig verlangen, damit das deutsche Angebot, wie es auch beschaffen sei, ohne weiteres abgelchnt werden könne, ohne daß die innere Front erschüttert wird. Damit sind wir bei der Hauptsorge der Nationa listen angelangt: die innere Front. Poincars hat sich bemüßigt genlnden, dem „Märchen" ent- gegcnzutreten, als ob er leine innere Politik habe. Mehr und mehr war es Gemeingut des „Mannes ans der Straße" geworden, daß am gegenwärtigen Konflikt nicht so sehr er selber, gewisse Groß industrielle und Machtpolitiker interessiert wären. Immerhin war ihm der Respekt vor den führenden Männern in der Außenpolitik so in Fleisch und Blut übcrgkgangen, daß er die nun einmal begonnene Operation nicht weiter stören wollte, unter der Be dingung daß sie sobald wie möglich -zu einem guten Ende gebracht würde. Poincarö trug dieser Etim- mung Rechnung in einigen seiner Reden, wo neben den Kraftworten auch Sähe standen, die von den Massen in ihrem Sinne ausgclegt werden konnten. Durch Loucheurs Londoner Besuch, Curzons Rede und die Nachrichten von einem deutschen An gebot aber hat sich die Situation mit einem Male -ugcspitzt, und Poincarö sieht sich vor die Mahl ge stellt, zu biegen oder zu brechen. Noch ist seine .Haltung nicht entschieden, welches auch das Geschrei sei, das auf sein Geheiß die Stellungen verdeckt. In den lebten Togen hat der nationale Block ge waltige Anstrengungen gemacht, die rollenden Würfel in seiiuun Sinne zu beeinflussen. Ueber den Erfolg läßt sich in diesem Augenblicke noch nichts sagen. Die Lage ist verworrener als je, weil jede Partei mit gewohnter Meisterschaft ihre Ziele ver deckt. PoincarL soll geäußert haben, daß der Termin, an dem die Kammer wieder zusammentritt, zu früh angesetzt sei. Es scheint also, daß seiner Ansicht nach die endgültige Entscheidung bis zum 8. Mai noch nicht gefallen sein wird; denn cs war von vornherein klar, daß die Volksvertretung vor vollendete Tatsachen gestellt würde. „Nur eine Diktatur kann Frankreich retten!" schrieb Tardieu. Er meinte damit ohne Zweifel eine Diktatur im clcmencistischcn Sinne. Sonst hat ja Poincarö nicht die Gewohnheit, sich von Tardieu in seinen Ent schlüssen bestimmen zu lassen, in diesem Punkte aber scheint er wirtlich zu den Methoden, wie sie im düstersten Stadium de» Krieges üblich waren, zurückkchren zu wollen. Die eine Parole lautet also: Festigung der inne ren Front, damit sic die Belastungsprobe, die in der Absicht der Nationalisten liegt, ohne Wanken tragen könne. Diesen Zweck sucht man durch eine Haß- und Verleumdungskampagne gegen Deutschland, wie sie seit Kriegsende unerhört ist, zu erreichen. Schwieriger noch ist die zweite Aufgabe: Erzielung einer alliierten Ein heitsfront. Don vornherein gibt man sich in dieser Hinsicht keinen Illusionen hin. Zu einer Aktion gegen Deutschland können weder England noch Ita lien gewonnen werden. Es handelt sich also led'g- lich darum, eine gewisse neutrale Haltung dieser Möchte zu erreichen. Was England angcht, so ist dieses Spiel nicht so ganz aussichtslos, wenn gewisse Pläne, die im Zusammenhang mit der Konferenz in Lausanne stehen, verwirllicht werden können; Ita lien ist an sich weniger zu fürchten. Und schließlich im Hintergrund Amerika: Ließe sich da nicht, im Hinblick auf die Chester-Affäre, ein großer „Coup" machen? Line amerikanische Botschafter« Konferenz in Washington Drahtbertcht unserer Berliner LchristleNun, Berlin, 28. April. Die amerikanischen Botschafter in Berlin, London und Madrid sind zur Bericht erstattung nach Washington berufen worden. Wie verlautet, steht dies im Zusammenhang mit dem kürzlichen Besuch der Vertreter amerikanischer Handelskammern in Europa. Diese Industriellen, Bankiers und Kaufleute, die auf dem Rückwege vom römischen Handelskammer-Kongreß Paris, Wien, Warschau und Berlin besuchten, haben nach ihrer Heimkehr die gesammelten Erfahrungen dem Staats sekretär Hughes übermittelt. In Deutschland haben sie in erster Linie die Feststellungen der bisherigen Leistungen Deutschlands aus dem Versailler Vertrag interessiert. In den Vereinigten Staaten war man vor allem nicht genügend unterrichtet von dem Strom der Sachleistungen, die den Alliierten, be sonders Frankreich, seit Jahren unentgeltlich zu fließen. Vermutlich haben die Berichte der amerika nischen Industriellen und Großkaufleute in Washing ton den Entschluß reifen lassen, die Entsendung des amerikanischen Staatssekretärs Mellon nach Europa zu beschleunigen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Sendung Mellons den Zweck ver folgt, mit europäischen Finanzleuten in Fühlung zu treten und das Problem der internationalen Ver schuldung mit europäischen Fachkreisen durch- zusprcchen. Gefängnisstrafe für den Oberbürgermeister von Bonn Eigener Drahtbericht de-Leipziger Tageblattes Köln, 28. April. Das französisch Kriegsgericht verurteilte den Donner Oberbürgermeister Dr. Falk zu 3 Jahren Gefängnis und 6 Millionen Mark Geldstrafe. Dr. Falk, der erst seit dem 20. Februar sein Donner Amt führt und am 27. März verhaftet worden ist, wird dafür vcranwortlich gemacht, daß das städtische Presseamt den Zeitungen einen Bericht über die Ver haftung des Beigeordneten Sieberger und über die Beschlagnahme von städtischen Diensträumen ge geben hat. Dom Militärpolizeigericht in Castrop wurde der Oberleutnant v. Eckell von der Schutzpolizei Münster wegen Einreise in das besetzte Gebiet trotz Ausweisung und wegen eines falschen Passes zu einem Jahr Gefängnis und 1 Million Mark Geldstrafe verurteilt. Gegen das Urteil wurde sofort Berufung eingelegt. O Die Vertreter der im Deutschen Gewrrkschaftsbund organisierten christlich-nationalen Arbeitnehmer aus dem Einbruchsgebiet nahmen eine Entschließung an, in der sic fordern, daß die kommenden Verhand lungen die vorbehaltslose Räumung des Einbruchs- und des S a n k t io n s g e b i e t» zur Voraussetzung haben müssen. Ebenso müßte da» linksrheinische Deutschland beim Reiche verbleiben. Alle extremen Betätigungen, gleichviel welcher Art, welche die Einheit des passiven Widerstandes ge fährden und auf gewaltsame Lösungen oder schwäch liches Aufgeben der Gegenwehr drängen, werden ab gelchnt. Attentate im besetzten Gebiet Münster, 28. April. Die von den Franzosen in Betrieb gehaltene Süd strecke ist zwischen Vorbecke und Bommern an ver schiedenen Stellen von unbekannten Tätern ge sprengt worden, ebenso das Anschlußgleis der Zeche Waltrop. Weiter wurde nach einer Meldung aus Witten auf der militarisierten Strecke Hattingen- Dorballe eine der zwei großen Drücken in die Luft gesprengt. Die Franzosen haben über die Moseldörfer Winningen, Lay und Dülz den Belagerung»- »ustand verhängt. Als Grund wird ein angeb licher Sabotageakt an einem von Trier kommenden Zuge zwischen Gülz und Winningen anaeqeoen. Der Bürgermeister von Winningen und der Ortsvorstand von Gülz wurden verhaftet. Die Franzosen haben eine strenge Untersuchung des Vorfalls eingeleitet. Es ist bedauerlich, daß durch derartige Attentate den Franzosen immer wieder Gelegenheit zu ceuen Gewaltmaßnahmen geboten wird. Allem A.i.chein nach handelt es sich bei diesen sinnlosen Anschlägen um Streiche unverantwortlicher Elemente, die ent- weder sich der Tragweite ihrer „nationalen Taten" nicht bewußt sind oder — die gewaltsam neue Schwierigkeiten heraufbeschwören wollen. Die Strecke Koblenz—Limburg unterbrochen Eigener Drahtbericht de» Leipziger Tage blatte» Frantfurt a. M., 28. Aprck. Die Franzosen haben den Bahnhof Monta baur im Westerwald besetzt und den Bahnhofs vorsteher verhaftet. Damit ist die direkte Verbin dung mit dem unbesetzten Gebiet, nämlich die Strecke Koblenz—Limburg unterbunden. Die Ordonnanz der Rheinlandkommission, die für den Verkehr zwischen dem besetzten und unbe setzten Deutschland einen von Behörden der Ver bündeten ausgestellten Passierschein vor schreibt, wird nach Auskunft von britischer Seite erst in 14 Tagen in Kraft treten. Nach der Fassung der Havasmeldung muß man annehmen, daß der Beschluß der Rheinlandkommission am 26. April gefaßt worden ist. Das Datum des In krafttretens wäre danach der 9. Mai. Verschärfung der Lage in Syrien Eigener Drahtbericht de» Letpztger Tageblatt«» Lalxfaune, 28. April. Im Gegensatz zu dem gestern und heute ziem lich befriedigenden Gange der Lausanner Verhand lungen stehen Gerüchte, die heute hier — von der französischen Delegation ausgehend — Verbreitung finden, wonach die Türken an der syrischen Grenze stark- Truppenkrafte konzen- triert hatten. Diese bereits seit längerer Zeit umgehenden Gerüchte hätten sich derart verstärkt und ihre Bestätigung in bei der französischen Re gierung eingegangenen Nachrichten gefunden, daß die Pariser Regierung in Toulon ein Geschwa der von Kriegsschiffen versammele, das jeden Allgenblick zur Ausfahrt nach den türkischen Gewässern bereitstehe. Ferner verlautet, daß Frankreich eine Division zur Verstärkung nach Syrien entsendet und General Weygand den Auftrag erhalten habe, auf der Ausreise nach Syrien in Lausanne Ismet Pascha Pascha zu erklären, daß die französische Regierung entschlossen sei, ihre Forderungen an die Türkei mit jedem Mittel durchzusetzen. Der griechische Außen minister Alexandrrw hat vor einigen Tagen Poinears in Paris besucht und sich dabei bereit er klärt, eine neu ausgerüstete Armee von 180 000 Mann den alliierten Regierungen gegen die Türkei zur Verfüg,lng stellen zu wollen. Kablirettsrat über die Devisen-Verorbnung Lrahebericht u«l«rer Berliner «chrtstleitung Berlin, 28. April. In der gestrigen Ressortsitzung im Reichewirt- schaftsministerium wurde die Devisenverord- nung nach ihrer juristischen Seite hin durch gearbeitet und fertiggestelltt. Hierbei erfuhr die ursprüngliche Fassung noch einige Aenderungen. Das Reichskabinett wird noch heute nachmittag zusammen treten, um einen endgültigen Beschluß über die Ver ordnung zu fassen. Wahrscheinlich wird die Ver ordnung spätestens umlhrogov uml hr dgmhlu mgdn ordnung spätestens am Dienstag oer kommenden Woche veröffentlicht und in Kraft ge setzt werden. 8ou»lLg, äea 29. Lprv Oer Unfug der Sturmtrupps Rattonalsozialisten und Sozialdemokraten rüsten zur Matferer. EigenerDrahtbertchtde» Leipziger Tageblatt«» München, 28. April. In München ist man besorgt wegen des kommen den sozialistischen Feiertages am 1. Mai, da die Nationalsozialisten eine Alarmbereitschaft ihrer Sturmtruppen verkündet haben und anderseits die Sozialdemokraten ihre Sicherungs abteilungen zum Schutze der Demonstrationen auf bieten werden. Während die Naitonalsozialistcn er klären, daß sie sich diese rote Feier nicht gefallen lasten wollen, zeigen sich anderseits die Sozialisten entschlossen, ihre Kundgebungen und Versammlungen gegen jedwede Angriffe zu verteidigen. So wächst die Gefahr, daß es am 1. Mai zu ernsten Zu - sammen flößen zwischen den beiden Parteien kommen wird. Die Münchner Polizei ist noch immer mit den Er mittlungen über die Schießerei am Donnerstag be schäftigt. Beide Parteien haben Darstellungen ge geben, die stark von einander abweichen. Der Ehren vorsitzende der Nationalsozialistischen Partei Drex ler will durch Schläge mit einer Eisenstange schwer verletzt worden sein. In einer nationalsozialistischen Versammlung erklärte gestern der Vorsitzende der Partei, die Partei müsse zur Selbsthilfe greise.. Hitler sprach gegen die EntwafsnungsverorG nungen der Regierung. Eine zeitlang hätten die Na tionalsozialisten das mitgemacht, jetzt aber sei Schlug damit. Sie würden von jetzt abj ede Dersamm- lung rücksichtslos mit Waffen schützen Das bedeutet also offene Kampfansage an die Ne gierung. * Die bayerische Staatsregierung hat es mit der Duldung der Hitler-Garden nun endlich soweit ge bracht, daß sie dem offenen Bürgerkrieg ln München ins Auge sehen muß, ohne ihm wirksam enrgegen- treten zu können. Die neuerliche Kampfansage de, Nationalsozialisten an die bayerische Negierung ist eine Drohung, die auch im übrigen Reich nicht un beachtet bleiben darf. Lin angeblicher Mtentatsplan gegen Hitler München, 2^. April. Nach einer Meldung des Völkischen Beobachters, des Organs der Nationalsozialisten, ist der Münch- ner Polizei gelungen, mehrere Personen zu verhaften, darunter einen Juden, namens Kupfer, der dringend verdächtig sei, 3 Millionen Mark für die Ermordung Hitlers geboten zu haben. Weitere Nachforschungen sollen in vollem Gange sein. Zu dem angeblichen Mordplan auf Hitler meldet die Polizeidirektion München: Der Nationalist Weber hatte von dem Sohn des Lumpenhändlers Kupfer 12 000 Mark zur Besorgung eines Geschältes erhalten und dieses Geld unterschlagen. Zur An zeige gebracht, drohte er den Kindern Kupfers gegenüber, sich an Kupfer zu rächen. Diese Drohung hat er anscheinend dadurch ausgeführt, daß er an gab, Kupfer habe ihm 12—15 Millionen gebot n, wenn er den Kopf Hitlers brächte. Zur Klärung der Frage wurden die Beschuldigten vocrst dem Amtsgericht unterstellt. Keine sächsisch-thüringischen Verhandlungen Drahtbericht unserer Dresdner Tchriftkettn-.s Dresden, 28. April. In Anbetracht der Verhandlungen, die Sachsen mit Thüringen wegen der Regelung der Enklaven frage führt und wegen eines Dienstbesuches des sächsischen Ministerpräsidenten Dr. Zeig ner in Weimar sind Gerüchte entstanden, daß zwischen dein sächsischen und dem thüringischen Staate Verhand lungen schwebten, die auf eine Verschmel zung der beiden Staaten hinzielten. Diese Mit teilungen sind, wie die sächsische Staatskanzlei mit teilt, unrichtig. Sie entbehren schon deshalb jeder tatsächlichen Begründung, weil der staatliche Aufbau Thüringens noch nicht abgeschlossen ist. Eindrücke eines Autors bei seiner Premiere Von KUrvU vvbUn (Berlin) WaS der Dichter bei der UrausfiiHruno seines Werkes denk« und suhlt, danach Wird vier zu wenig geiracu. Deshalb freuen wir uns. die tLindrücke Msrcd DSblinS, die er an- läjuich der Uraussnhrung der Nonnen von Kem- ucux cinpsangen, zu wrüsicntlichcn; wir freuen uns um so mehr, als dabei nicht nur das stcidttscl>e Schauspiel, sondern auch die Stadt Leipzig gut absclncctdct. Da ich ein Stück — vor zwei Jahren — geschrieben hatte, mußte ich meine Sünde büßen und nachLeip- zig fahren. Ganz so war mein Gefühl: alle Fehler, Leichtfertigkeiten der Arbeit werden mir jetzt grell vor Augen gestellt werden. Und dann: sie können spielen, loben, tadeln, was sie wollen — an den vier Akten von acht Wochen, da ich daran schrieb, mein Herz, man kann cs gar nicht berühren. Ein Haiiptbahnho f, der mich beglückte; weite einfache Hallen, aber dieses Netzwerk der Eisenträger, spielerische Eleganz und strenge Sachlichkeit, Nüchtern heit zusammen. Ich blickte mir minutenlang den Bahnhof an; er war ein Geschenk. Ueber einen breiten Platz in die sehr lebendige Stadt. Ich kannte sie noch nicht, kenne ja überhaupt wenig Städte" teils ist cs Geschick, teils Wille; die Dinge sind sehr aufdringlich. Aber diese Stadt ist ein schönes Wesen. Eine Straße gleich an der Bahn heißt Goethestraße: ich bin ersichtlich nicht mehr in Preußen. Ich sah mit eigenen Augen das Bild des tiefen und reichen Weimarer Mannes in Bronze an einem Hauptplah; ich war nicht mehr in Berlin, wo man ihn im Tier garten zwischen Bäumen versteckt (ober er hätte diese Akazien vorgczogcn dem Anblick dieser Rudel Börsen- götter und Verdiener auf der Straße). Wer in Berlin zu Bronze oder Stein werden will, muß aus dem Kommiß stammen; also vom Major aufwärts. Schöne Boulevards sah ich in Leipzig, wohlgcpflegte Alleen. Prächtige Schaufenster, ganze Reihen moder ner Geschäftshäuser. In kleinen Seitenstraßen und auf dem und jenem Platz alte bemalte Bauwerke, und zahllose Durchgänge. Mitten zwischen dem Groß- städtischen gehen Idylle der kleinen Höfe mit Fässern. Man gibt hier gern und weitläufig Auskunft; mit der Richtigkeit steht es ebenso wie zu Hause. Ich pendelte kreuz und quer, bis ich an eine grüne Pro menade kam. Man zeigt mir ein sehr hohes rotes Dach; das war das Theater. Ich hatte wirklich einen Augenblick Scheu hineinzugchcn; mir taten die Leute leid, die mein Stück spielen sollten. Ich hatte Scham, dazu ein Mitgefühl mit ihnen, so wie vor sehr langen Jahren mit Fritz Mauthner, mit dem ich letzt oster Gruße tausche: ich schickte ihm als Student meinen ersten Roman, aber unter einem schamhaften Pseudo nym. Er bat mich, zu kommen — ich kam nicht, ich konnte nicht. Ich bat mein Manuskript zurück; er schickte es, postlagernd, unter dem falschen Namen. Die Post gab mir meine Handschrift nicht zurück, da ich mich nicht legitimieren konnte und wollte; die Handschrift ist verloren gegangen. Als ich in der Loge dieses Theaters saß und der Probe zuhörte, erschrak ich. So erschrak ich vor vier Wochen, als Tilln Durieux ein Kapitel meines neuen Romans öffentlich vorlas; es war mir schrecklich, pein voll, schnitt mir ins Herz; ich mußte mich langsam ge wöhnen. Man probierte eine Gruppenszene des 2. Aktes; die Stellungen, Bewegungen wurden immer von neuem so und so versucht; die Spielerinnen mußten jedesmal ihr vorgeschriebencs Entzücken frisch herausbringcn. Eine sonderbare und lehrreiche Sache. Hier sieht man, was der Großmeister ver langt; man muß die Poesie kommandieren können; gute Sachen werden getrennt und kalt gemacht Der Laie glaubt, wenn er etwas „gefühlvoll" nusdrückt, damit sei es geschehen. Man erkennt den Dilettanten an der Ueberschätzung des Gefühls. Mein tiefstes Er- staunen erlebte ich aber, als drei Pilger, am Schluß dieses Aktes, drei Hauptfiguren, auf die Bühne tre ten und langsam ihren Dialog abwickelten. In einem ganz jungen Einakter hatte ich eine tollgewordene Bühnensennerin geformt, die sich gegen den Dichter wendet, deren der Dichter vergeblich Herr zu werden sucht. Hier sah ich die drei Menschen ganz anders als sic mir vorgeschwebt hatten, und — sie waren gut, ja manchmal schien mir: besser als ich sie mir gedacht hatte. Eine lehrreiche Geschichte. Offenbar bin ich mit meinem Tert nur Materie für die Spie ler. Es ist ja im Prinzip mein Stück, anderseits auch nicht. Der eine der drei Herren (Ambrosius im Stück) hatte seine Rolle wirklich so vertieft, ver feinert, beseelt — daß er völlig seine Figur war, seine Dichtung, nicht meine. Er hatte eine Auffassung von der Rolle, die viel reicher und stärker durch adert war als ich vorsah; ich protestierte gar nicht, ließ sie ruhig spielen. Solch Stück ist beinahe nichts weiter als em Rahmen, ein Netzwerk vost verschiede ner Engigkeit, in dem sich die Schauspieler bewegen. Die bringen ihre Qualitäten mit; ein Narr, der sie hindert, ihre Qualitäten einzusetzen. Nach vielen Proben dann die Hauptprobe. Weiß man, was Prostitution ist? Und weiß man, was Zu sammenklang, Kameradschaftlichkeit ist? Ich schwebte bei der Hauptprobe zwischen diesen beiden Gefühlen: man fällt über mein Herz her, man stellt mich hin, stellt mich bloß, — und dann: wie sie sich mühen, wie der Regisseur unermüdlich, unerbittlich, mit fernster Feinheit als mein Kamerad wirkt, wie die Schau spieler alle kameradschaftlich an einem Gesamtwerk arbeiten, zu dem ich etwas geliefert habe, wie sie selbst etwas liefern. Der Bühnenarchitekt und der Regisseur hatten sich den Kopf zerbrechen müssen, wo ich leichtsinnig gehüpft war. Der letzte Akt dieses Stücks stellt eine mittelalterliche Gerichtsszene dar; ich hatte mir ein Gewühl von Menschen auf einem Markt gedacht; Tag und Nacht waren in meiner Phantasie Realitäten. Hier war die Bühne und de: Geist des Stückes Realität: einfacher kantiger Auf bau, rechts die Verbrecherin, das Weib, links der Richter, der Mann; darüber wechselnd nicht das Licht des Tags und der Nacht, sondern die Farben der Stimmung. Ich habe in Berlin bei ununterbrochenem Theaterbesuch kaum eine so durchgeistigte Auffassung des Raumes und des Lichts gesehen (neben diesem Kronacher vielleicht Martin und Ießner). Die Aufführung brachte mir viel Leiden; es zeigte sich: ich bin mit dem Stück noch sehr verbunden, :s riß fatal an mir. Ueber die Bühne ging das Weib, die Aebtissin eines Kloster» (Läsare Borgia auf dem Papstthrvn), in immer neuen Gestalten, neuen Klei dern; eine wunderbare Spielerin. Das Weib und die Schönheit wollte ihren Triumph; der Mann und die Strenge stand gegen sie auf, warf sie nieder. Der Kampf der beiden ist noch heute nicht beendet. Ich war zufrieden mit mir. Nach dem Ausspruch de» kompetentesten Dramatikers kann der Stückeschreiber nicht« tun, als der Zeit einen Spiegel Vorhalten. Da» menschliche Schicksal kann man nur entfalten, ausbreiten. Der Neuruppiner Bilderbogen ist recht für meinesgleichen. Schwer zog ich auch aus dieser Stadt, in der ich Freunde und Freundinnen gefunden hatte. Sonder bar, daß ich mich am Abend vor klatschenden Leuten verbeugen mußte. Ich bin Euer Spiegel, Euer Herz; was soll das: sich verbeugen. Ich ging noch am Bachdenkmal vorbei. Ach, hobt ihr's gut m Leipzig. Ich muß wieder zu Ziethen und Scharnhorst. — Da» neue Röutgev-Iustitut iu Leipzig, so.. »inem Aufwano von 40 Millionen Mark, ü'e vom sächsischen Staat nud von der Sradt Leipzig je zur Hälfte bestritten werden, ist ein neues Röntgen- Institut im Leipziger Krankenhaus S. Jakob erbaut worden. Wie die Deutsche Medizinische Wochenschrift mitteilt, erfolat die Bestrahlung in Kabinen, dis 60 Millimeter starke Schwerspatwände haben. Fuß boden und Decken dieser Räume sind ebenfalls mit Schwerspat isoliert. Die Türen sind mit Walzblei einlage versehen, und die Beobachtungsfenster haben Bleiverglasung. Dor den Kabinen liegt der eben falls durch Schwerspat abgewölbte Gang, von dem aus die Schwestern die Kranken beobachten und die Apparate einschalten. Die schädigende Wirkung der Röntgenstrahlen ist auf diese Weise ausgeschaltet. Au» dem Nachlaß Ma; Webers. Im Winter- semcster 191S/20 hat Professor Max Weber, den Troeltsch als einen der mächtigsten deutschen Man schen und der umfassendsten, zugleich methodisch strengsten Gelehrten des Zeitalters charakterisiert hat, an der Heidelberger Universität eine bedeutsame Folge von Vorlesungen gehalten. Ihr Text soll dem nächst, von zwei berufenen Gelehrten, dem Münchener Geschichtsprofeffor S. Hellmann und Dr. M. Palyi, Dozenten an der Handelshochschule, Berlin, heraus gegeben, aus Webers Nachlaß bei Duncker und Hum- blot in München veröffentlicht werden. Die Bedeu tung dieser letzten Arbeit Webers liegt nicht im De tail der Forschungsergebnisse, sondern in der Kühn heit der Konzeptton und der Sprache. Das Werk trägt den Titel „Wirtschaftsgeschichte, Grundriß der universalen- Wirtschafte- und Sozialgcschichte". Eine nach den Hauptgebieten des Wirtschaftslebens (Land wirtschaft, Gewerbe, Bergbau, Güter- und Geldver- kehr, Sochkapitalismus) geordnete Typologie der Wirtschaftsgeschichte wird hier von Weber in souveräner Gedankenführung gegeben und mündet rin in die Darstellung der Vorbereitung und Ent faltung des modernen Kapitalismus —
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