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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 28.04.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-04-28
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192304285
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230428
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230428
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-04
- Tag 1923-04-28
-
Monat
1923-04
-
Jahr
1923
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nehmen lassen müssen. Man steht die Macht Plan mäßiger Propaganda Da» deutsche Element muß auch vom Amerikaner al» besonders wertvoll nnd tüchtig anerkannt werden, der tägliche Augen schein überzeugt ihn davon, und dann kommen die Kriegsmärchen von den abge hackten ättnderhänden, von den deutschen Hunnen und Barbaren — und man fällt richtig darauf rein. Wenn doch Amerika, daß sich au» Bestandteilen aller Völker Europa» aufbaut, seine natürliche Bermtttleraufgabe während de» Welt kriege» richtig erkannt hätte! Welchen Segen hsttte e» dann in der Welt stiften und welch« große politische Führerrolle in der Welt spielen können! Je5t muß e» erst in sich selbst Krieg»- irrungen überwinden und die leidenden Völker drüben erwarten nur noch einen Bruchteil dessen, wa» sie früher von dem Lande der unbegrenzten Möglichkeit erhofften. Eine verpaßte Gelegenheit der Weltgeschichte! Leipziger Textil-Grotzhanöel in Hannover Uns wird berichtet: Am 23. und 24. April fand im großen AuS- stellungssaal der Stadthalle in Hannover die Hannoversche Textilausstellung, genannt Hatexa statt, zu welcher nur die Fabrikanten und Groß händler de» geschichtlichen Niedersachsen» (Han nover, Braunschweig, Bremen, Bielefeld, Herford, Göttingen usw.) tetlnehmen durften. Den Leipziger sowie anderen Grossisten War e» unmöglich, daselbst auszustellen, da die Leitung der Hatexa die von ihr m» Leben ge rufene Ausstellung nur örtlich begrenzt haben will. Durch die zentrale Lage, die gerade Han nover einnimmt, sahen sich die in ihrer Branche sthrenden Leipziger Grossisten, wie F. W. Munkelt, F. Albert Brandt, Emil Haeuber, I. D. Körnig, E. Mackenthun L Eo., Gebr. Feldmann, Hermann Samson,Selle LJrmscher u.a.genötigt,eine eigene Ausstellung im „Hotel König!. Hof" ins Leben zu rufen, um ihrer alten treuen Kundschaft Gelegen heit zu geben, ihren Bedarf nicht nur bei den niedersächsischen Firmen, sondern auch bet den nur Qualitätsware führenden und gern gesehenen Leipziger Großhändler.! zu decken. Durch groß zügige Reklame am Bahnhof, vor der großen Ausstellungshalle, in der Straßenbahn usw wurde die einkaufende Kundschaft auf die Ausstellung der Leipziger Grossisten hingewiesen. Erfreulicher weise übertrafen die getätigten Geschäfte alle Erwartungen. In den späten Vormittagsstunden war e» trotz vieler Hilfskräfte kaum möglich, den Andrang der Kundschaft in der Ausstellung der Leipziger Firmen zu bewältigen. Alle Firmen waren mit den Umsätzen sehr zu frieden, und e» sind jetzt schon Vorbereitungen getroffen, die Ausstellung bei der nächsten Hatexa zu wiederholen und bedeutend großzügiger zu gestalten. Sechzig Jahre Negerfreiheit iu Amerika. Im Jahre 1863 wurde den gewaltsam von Afrika nach Nordamerika verpflanzten Negern gegen Ende des amerikanischen Bürgerkriegs unter Vortritt des Prä sidenten Lincoln nach Aufhebung der Sklaverei die Freiheit und eine Art Gleichberechtigung mit der weißen Rasse gewährt. Seitdem sind 60 Jakre ver- gangen und die Neger haben in dieser verhältnis mäßig kurzen Zeit einen beispiellosen Aufstieg erlebt. Die Ncgcrbevölkerung wuchs von 8 auf 11 Millionen an. Die zunehmende Seßhaftigkeit erhöhte ihren Wohlstand: aus 32 000 Häusern wurden 1A> Millio nen Besitzungen und das Gesamtvermögen erhöhte sich von 20 Millionen auf 1480 Millionen Dollars. Auch die Bildung nahm zu: aus 3 höheren und 12 Mittelschulen, zu denen sie 1860 Zutritt hatten, sind heute KOO eigene geworden; in ihre Schulen gehen über 2000 060 Kinder. Auch beruflich treten sie in das öffentliche Leben Amerika» ein. Ueber 60000 Neger stehen heute in geistigen und akademischen Be rufen al» Geistliche, Lehrer, Richter, Acrzte, Schrift steller, Redakteure: über 2000 Patente sind Negern erteilt worden und zeugen von ihrer Erfkndergabe; es gibt 78 Negerbanken, dir nur von Negern geleitet werden. Ränder-Unwesen. Bet Kusey in der Näh« von Gardelegen überfiel eine bewaffnete Räuberbande nacht» die Kolonie Eichhorn, trieb die Kolonieiasasien mit vorgehaltenen Revolvern in ein große» ginimer zusammen und raubte alle 'Wertgegenstände, Kleider usw. im Gesamtwerte von 20 Millionen Mark. Selbst die Trauringe wurden den Urberfallenen von den Fingern gezogen. Neuerungen in der NngesteVten- Versicherung Durch die mit Wirkung vom 1. Mär» 1S23 ab in Kraft getretene »Fünfte Verordnung über Persiche rungspflicht in der Angestelltenversicherung* vom 17. März 1V23 ist die für die Versicherungspflicht maßgebende Grenze des Iahresarbeitsverdienstes auf 7 200 000 erhöht worden. Wer diese Grenze über schreitet, scheidet aber erst mit dem ersten Tage des vierten Monat» nach dem Ueberschreiten aus der Dersicherungspflicht aus. Seit dem 1. Januar 1923 hat die Behördenorganisation in der Angestellten versicherung eine grundlegende Aenderung erfahren. Der Rentenausschuß, das Schiedsgericht und das Oberschiedsgericht für Angestelltenversicherung in Berlin sind aufgehoben und dafür als Spruch behörden Dersicherungsämter, Oberversicherungs- ämter und das Reichsversicherungsamt eingesetzt worden. In Sachsen sind für die Angelegenheiten der An- gestelltenversicheruna al» zuständig erklärt: a) als untere Instanz die Dersicherungsämter bei den Amtshauptmannschaften Bautzen, Chemnitz, Dresden- Neustadt, Leipzig und Zwickau, und zwar jeweils für den Bezirk der Kreishauptmannschast, an deren Sitz sich das Dersicherungsamt befindet; d) als mittlere Instanz die Oberversicherungsämter in Dresden und Leipzig, und zwar ersteres für die Be zirke der Kreishauptmannschaften Bautzen und Dres- den und das Oberversicherunasamt Leipzig für die Bezirke der Kreishauptmannschaften Chemnitz, Leip zig und Zwickau. Anträge auf Leistungen aus der Angestelltenversicherung sind an das für den Wohn ort de» Versicherten zuständige Dersicherungsamt (siehe Punkt a) zu richten. Sie können aber auch rechtswirksam bei einem Organ der Reichsversiche- rungsanstalt für Angestellte gestellt werden. Organ der Reichsversicherungsanstalt sind u. a. die Der- trauensmänner, die für den Bezirk jeder Amtohaupt- Mannschaft und jeder revidierten Stadt gewählt stno. Da» Direktorium der Reichsversicherungsanstalt hat e« als erwünscht erklärt, daß solche Anträge auf Leistungen auch künftig bei den Vertrauensmännern und Lei den von diesen mancherorts gegründeten Ortsausschüssen angebracht werden, die sie dann an da» zuständige Dersicherungsamt weitergeben. Dem Dersicherungsamt steht auch die erstinstanzliche Ent scheidung bei Streit über Dersicherungspflicht und Beitragsleistung zu. Trauer um die Grobherzogin von Vaden Karlsruhe, 27. April. (Gig. Drahtbericht.) Der Präsident des badischen Landtages hat dem früherne Großherzogspaar ein Beileidstelegramm übersandt, in welchem die herzliche Anteilnahme de» badischen Landtages um den Heimgang der Groß herzogin Luise, deren Andenken wegen ihrer so über aus großen Verdienste um die Heimat ein unver geßliches und gesegnetes bleiben wird, ausgesprochen wird. Zn der gestrigen Staatsratesitzung widmete der Oberbürgermeister der badischen Landeshaupt stadt der Entschlafenen einen warmen Nachruf. Zahl- reiche Privatgebäude der Stadt haben halbmast ge flaggt. Der Kalsruher Stadtrat hat angeordnet, daß das Rathaus am Tage der Beisetzung halbmast flaggt. Ferner hat der evangelische Oberkirchenrat bestimmt, daß am nächsten Sonntag in allen evan- gMchen Kirchen des Landes beim Hauptgottesdienst eine Gedächtnisfeier für die Verstorbene gehal ten wird. Hofrat Rosenthal vor Gericht Dresden, 27. April. (Eig. Drahtbericht., Im weiteren Verlaufe des nunmehr fünf Tage dauernden Prozesses gegen Hoftat Fritz Rosenthal und Genoffen gibt -er al» Zeuge vernommene Land- gerichtsrat Dr. Echaffrath Auskunft über eine große Anzahl Fragen, die von der Verteidigung gestellt werden und das Vorgehen de» Preisprufungsamtes sowie die Tätigkeit ihre» ehemaligen juristischen Mit- arbeiter» betreffen. Verteidiger Dr. Schuberth: Ist der Zeuge Bär nicht oftmals weit über seine Befugnisse hinaus- gegangen? Zeuge: Bär hat sich große Mühe gegeben; es ist richtig, daß er mehrfach über die ihn erteilten Auf träge hinausgegangen ist. Iustizrat Dr. Drucker: Würden Sie jemals al» Richter in einer derartigen Untersuchungssache sich der Hilfe eines Landespreisamtes bedienen, um Er örterungen über da» Privatleben eines Beschuldigten, in diesem Falle des Hofrates Rosenthal oder der übrigen Angeklagten einzuziehen? Wurden Sie so etwas billigen? Zeuge: Nein! Das würde ich nicht getan haben. Ick habe selbst auch Beschwerde erhoben über Ver nehmung von Zeugen durch das Landespreisamt. Diese» war andererseits aber vor eine ganz neue Aufgabe gestellt worden. Es war in Dresden der erste derartige und vor allen Dingen sehr große Fall; es mußten seinerzeit gleichzeitig gegen 17 bi» 19 Ge schäfte und Firmen Ermittlungen angestellt werden. Verteidiger Dr. Samson: Don einer neuen Aufgabe kann hier nicht die Rede sein. Die Tätig keit des Landespreisamtes besteht eben darm, in solchen Angelegenheiten zu erörtern oder Ermitt lungen anzustellen. Es sind eine ganze Anzahl zum Teil sehr schwerer Uebergriffe vorgekommen unter Ueberschreitung der Befugnisse dieser Behörde. Verteidiger Dr. Graf: Nach der Aufrollung dieser Angelegenheit, nach der Verhaftung der An geklagten setzte eine regelrechte Preßhetze besonders in auswärtigen Blättern «in, es seien große Ge treideschiebungen mit dem Auslande vorgekommen. Erst wenige Tage vor Beginn dieses Prozesse» er schien in auswärtigen Blättern eine gleiche derartige erneute, bewußt falsche Meldung. Kann der Zeuge bestätigen, ob die WEG. bzw. die Angeklagten jemals irgend ein solches Geschäft gemacht oder daran be teiligt waren? Ist dem Zeugen bekannt, ob diese Falschmeldungen durch die mit der Erörterung be trauten Angestellten des Landespreisamte» an die Presse gegeben worden sind? Zeugte: Mir ist kein einziger derartiger Fall bekannt. Ob Meldungen durch Angestellte des Landespreisamte» in die Presse gelangt sind, ist mir unbekannt. Angeklagter Rosenthal: Erst heute erfahre ich, daß durch die mangelhaften geographischen Kenntnisse der Revisoren der Verdacht großer Aus- lands-Getreideschiebungen entstanden und aufge kommen ist. Ich möchte dies hiermit festgestellt haben! Verteidiger Dr. Schilde: Auf wieviel Fälle erstreckte sich anfänglich die Untersuchung? War durch die ganz unfruchtbare Tätigkeit der ungeeig nete» Revisoren nicht sehr viel belangloses Material zusammengetraaen worden um gegen die Beschul digten Verwendung zu finden? Zeuge: Ungefähr zweihundert Einzelfälle waren zusammengetraaen worden. Ich war mir mit der Staatsanwaltschaft einig, daß die Angelegenheit be schnitten werden müßte. Da» Gericht befaßt sich hierauf mit der Krage des Fluchtverdachts Hierzu werden von der Verteidigung eine ganze An zahl Fragen an den Zeugen Landgerichtsrat Dr. Schaffrath gestellt. Staatsanwalt: Kommt es im Laufe der Untersuchung nicht auch vor, daß eine erst sehr be denklich aussehende Sacke sich später arg mindert als anfänglich vorausgcahnt worden ist? Zeuge: Gewiß, ich habe als Untersuchungs richter schon ost solche Beobachtungen gemacht. Das sind doch ganz allgemeine Erscheinungen! In der Voruntersuchung machen die Beschuldigten diese, in der Verhandlung ost ganz andere Angaben. Verteidiger Dr. Gras: Können Sie Angaben machen, ob Hofrat Rosenthal sich des Ketten ¬ standen die Handels schuldig gemacht ba- Leichen Ein druck hatten Sie bei der Unterlüßgewonnen? Zeuge: Ohne daß ich der Entscheidung des Gericht» vorgreisen möchte, kann ich sogen, daß mir kein Fall bekannt geworden ist, wo der Be- schuldigte an Kettenhandel beteiligt war! Das Gericht tritt dann in die Vernehmung der anderen Zeugen ein, die über die Einzelaeschäfte ver- nommen werden. Wie schon da« Wirtschaften,iniste- rium am 1. Februar 1921 ausgeführt, war es viel fach gar nicht möglich, gewisse Warenposten über- Haupt beispielsweise in Sachsen unterzubrinaen. Die Zeugen werden auch durchweg über den Leumund der Beschuldigten mit gehört. Ihre Aussagen sind für die Angeklagten günstig. Diese werden als tüch tige Kaufleute bezeichnet, die auf Erledigung geord- neter Geschäfte immer bedacht waren. Die Vernehmung der Zeugen zu den einzelnen Geschäften nahm ihren Fortgang. Dazwischen hin ein wurde der Stadtökonom Hähne einmal über ein mit unter Anklage stehendes Rübensaftgeschäft, und weiter als Leumundszeuge über Hofrat Rosenthal vernommen. Don der Staatsanwaltschaft befragt, erklärte der Zeuge, er müsse der WEG. nach jeder Richtung hin das denkbar beste Zeugnis ausstellen. Die Geschäfte seien einwandfrei und in jeder Be- ziehung korrekt gewesen. Verteidiger Dr. Schubert: Herr Zeuge! Sie haben während der langen Kriegssahre mit Rosen- thal zusammen im Lebensmittelamt gesessen. Was haben Sie über den Beschuldigten gehört und ge sehen? Wa» machte er aus Sie für einen Eindruck? Können Sie über ihn etwa» berichten? Zeuge: Ich könnte niemandem ein bessere« Zeugnis ausstellen. Unter größter Aufopferung und in der uneigennützigsten Weise selbstlos tätig, hat er mit bedeutendem Erfolge für da» allgemeine Wohl gearbeitet. Dors.: Trauen Sie Herrn Hofrat Rosenthal eine unlautere Handlungsweise zu? Zeuge: Ganz ausgeschlossen! Rosenthal hat häufig eine so übertriebene Korrektheit an den Tag gelegt, daß wir Beamten es beinahe lächerlich fanden. Durch die Vernehmung dieses Zeugen machte sich die Abhörung der von der Verteidigung beantragten Herren Oberbürgermeister Blüher und Geheimrat Schmidt überflüssig. Gegen zehn Zeugen wurden in den Vormittags stunden über die einzelnen Geschäfte oder ihre sonstigen geschäftlichen Beziehungen zu dem Be schuldigten vernommen. Mittags 12 Uhr erschien der bereits am 3. Derhandlungstage vernommene Zeuge Bär nochmals vor dem Gericht, um seine An gaben weiterhin zu ergänzen. Zeuge führte aus: Der Auftrag, in Dresden einzuschreiten, stamme von dem Staatsanwalt Dr. Weiland in Freiberg, und daß er ferner Erkundigungen über das Privatleben des Beschuldigten Rosenthal nur vorgenommen habe, weil ihn dazu der Untersuchungsrichter unter dem 12. Februar 1921 aufgefordert habe. Vie Welthandelrpalast-Gründer freigesprochen Vor der sechsten Strafkammer des Landegrichts Leipzig hatten sich der Kaufmann Robert Wilhelm Guthe, der Kaufmann Ernst Buch, dessen Ehefrau Elsa Helene Buch, der Maschinensetzer August Richard Kayser, der Gastwirt Siegfried Hahn, der Graveur Max Richard Schneider und dessen Frau Martha Margarete Schneider wegen Zuwiderhandlung gegen die Bestimmungen der Paragraphen 313 und 314 de» Handelsgesetzbuches zu verantworten. Im Herbst 1920 traten die Angeklagten mit dem Plan hervor, yuf dem Gelände des Schwanenteiches einen gewaltigen Welthandelspalast erstehen zu lassen. Für das Projekt wurde eine ungeheure Pro paganda gemacht. Aus der Sache wurde jedoch nichts. Die ganze Ange egenheit geriet in Vergessenheit. An der Sp tze des Unternehmens standen obengenannten Personen, die sich als Welthandels. palast-A.-G. in das Handelsregister hatten eintragen lassen. Es war ihnen zum Vorwurf gemacht worden, daß es sich in dem Unternehmen nur um eine Schein- gründung gehandelt habe, die den Zweck haben sollte Kapital aufzunehmen, um das die Geldgeber ge schädigt werden sollten. Die Verhandlung brachte aber keinerlei Beweis, daß die Annahmen berechtigt sind. Sämtliche Angeklagte wurden kostenlos frei gesprochen. Paule pieker Don Notv (Berlin) Sechs Fuß tief unter dem Sündenpflaster der Friedrichstraße lernte ick Paule Pieker in der »Lebensquelle* kennen. Wir wurden Freunde. Paule Pieker lebt den ganzen Tao unterirdisch, in der Kaschemme in der Friedrichstraße. Das Lokal wurde vor einiger Zeit ausgchoben, aber Paule Pieker war nickt dabei. Paule Pieker ist schlau: Während die Behörde drunten in der Kasch-mme nach Moralabnormitäten spürte, stand Paule Pieker, der aussieht wie ein verkörperte» Delikt, draußen vor der Tür und sah zu, wie die Polizei funktionierte. Er sah mit Spannung und vollkommener Kühle »u, als wäre ihm Polizei eine erstaunlich neue Erfin dung und eine Aushebung eine zum erstenmal er lebte Sensation. Nachdem die Polizei fort war. ging Paule Pieker in die Kaschemme, trank einen Kirsch und noch ein?»; Kirsch, denn er hatte gerade einer Dame in der Friedrichstraße das Hanotäschchen abgenommen. Es waren leider nur tausend Mark drin gewesen und eine Straßenbahnsammelkarte. Fünfhundert Mark kostete der Schnaps. Für Zigaretten braucht Paule Pieker keinen Pfennig auszugeben. Die bekommt er von mir. Seit einiger Zeit bin ich Stammgast in der Kneipe. Es ist ein bischen starker Dunst drin und die Zimmerdecke mit eurer Rauchwolkenschicht be strichen. Wie kleine Leuchtkäfer kämpfen sich ein paar armselige Glühbirnen durch das dichte Grau. Die kahlen Holztische stehen unordentlich im Weg. und die Stühle wackeln betrunken. Schweigsam und steif beobachtet ein eiserner Ofen vom Winkel au« seine gesetzlose Umwelt. Ein Pudel, triefäugig und in schäbigem Paletot fell, ist Wächter der Kass«. Er sitzt vor einer Py ramide aus Zigarrenkisten, Pflaumenkuchen und Sarottt-Schokolade und wedelt philosophisch mir seiner Echwanzquaste. Wenn sich Unberufene dcr Kasse nähern, erhebt er sich und bellt. Im Hintergrund füllt ein weiblicher Fleisch- klumpen den Raum. E« ist Frau Berta, au» zehn Schritt Entfernung gesehen, ein undeutlicher, ae- bautrr Rebel. Je näher man kommt, desto deutlicher wird der Kern. Ein Antlitz, breit und kreidearau, . wie ein Klassentafelschwamm. Darunter künden über- I dimensionale Blusen und Röcke verhüllte Weibmasse. Wenn e» gelingt, durch eine Frage (zum Beispiel: wo die Toilette sei) Frau Berta zum Aufheben einer ihrer Schlagbaumarme zu bewegen, kann man sehen, welch eine Welt sich hinter ihr auftut. Eine Welt und Schachteln und Paketen. Frau Berta ist eigentlich als Verdächtiges verhüllende Fleischmauer engagiert. Gegen zwei Uhr nachmittags füllt sich da» Lokal. Da kommen zum Beispiel Frieda und Emma. Am Tisch in der Ecke link» sitzt Paule Picker und ein Mann mit Boxerfäusten. Diese Fäuste sind un- wahrscheinlich groß. Sie wachsen mit beunruhigender Plötzlichkeit, rot und blau geädert — die Adern sind dick wie Wäschestricke —, aus den blaugelb karierten, schottischen Aermeln hervor. Ich glaube, sie sind gar nicht natürlich gewachsen, sondern von einer Faust- fabrik hergestellt und geliefert. Gegen drei Uhr kommt ein Liebespärchen. Cr ist jung und ein bißchen zerzaust wegen der Liebe. Sie geht im Hemd und trägt die Bluse auf dem Arm. Beide machen Toilette. Sie kleiden (ich gegenseitig an, bestellen Klop» und küssen sich. Sie bindet ihm die Kravatt« und sagt »Bubichen. Sie essen beide mit einem Löffel. E» ist sehr niedlich. Sie sind ganz von sich eingenommen. Sie lieben sich ehrlich, über zeugt. Sie drängen an Ueberschwang in einen halben Tag, was andere über acht Flitterwochen dehnen E» sind komprimierte Flittertage, und die Welt ist ein Sommersest, ein Konigsbraten der Klop». Und Polizei ist überhaupt ein Märchen, mit dem man kleine Kinder schreckt. Während ich in der Zeitung lese, fällt ein Schatten auf mein Blatt. Der Schatten gehört dem Herrn Ruck. Herr Ruck stammt au» Bayern und war in früheren Jahren Ringkämpfer. Allein »wecklofts Kämpfen hatte für ihn keinen Sinn, und Herr Ruck ist jetzt ein bißchen Straßenräuber in Thüringen. Don Zeit zu Zelt kommt er nach Berlin. Er ist imposant und sein Körper setzt sich nicht au» Fleisch und Knochen, sondern aus Muskel- quadern zusammen. Herr Ruck ist ein wandelnde» Bauwerk. Er steht, daß ich fremd bin und er will me'n Gesicht agnoszieren. Da« bewirkt er, indem er. große« Ereigni», da» er ist, seinen Schatten auf mein« Fettung vorauswirst und mich zu einer Drehung de» Kopfe« veranlaßt. Da ich ihm nicht gefiel, macht« er Miene, sich an meinen Tisch zu setzen. Da kommt Paule Vieler, mein Freund, dazu und wir schwimmen in oas ruhige Fahrwasser eines Gesprächs. Paule Pieker erzählt, daß jetzt lauter »Pofel* mit ver Untergrundbahn fahre. Kein Mensch hat was bei sich, und die Zeiten sind so schwer. Dennoch ist, wie ich schon häufig erwähnte, Paule mein Freund. Und er wurde es eines Abends, als eine Gesellschaft von fünf oder sechs Männern Mund harmonika spielte. Es war eine billige Mundharmonika, und sie glitt von Hand zu Hand, von Mund zu Mund. Unter den Männern waren: ein Ungar, ein Russe, ein Italiener, ein Schwabe. Jeder von den vieren spielte Mundharmonika. Jeder in Lied, das man in seinem Lande singt. Alle vier spielten immer wieder dieselben Lieder. Das ging zwei Stunden so. Paule Pieker, der mir kurz vorher noch über- mütlg eine halbe Zigarette au» dem Munde weg- genommen hatte, stand sehr traurig da und lausckte. Er konnte nicht spielen und er war sehr nieder geschlagen. »Sie weinen?* — fragte ich ihn. »Nee!* sagte Pieker — »aber nu — nu wein ick.* Und Paule Pieker weinte wirklich. — So wurde er mein Freund. Sechs Fuß tief unter dem Sündenpslaster Berlin» lebt mein Freund, Paule Pieker. — Bon der Universität Leipzig. Die ordentliche Professur für mittlere und neuere Geschichte an der Universität Kiel ist dem planmäßigen a. o. Professor Dr. Fritz Rörig in Leipzig angeboten worden. — Als Nachfolger Wengers auf dem Lehrstuhl für Geo physik ist der Privatdozent der Universität München Dr. Ludwig Weickmann berufen worden. — Der Nachfolger Stiedas, Professor Dr. Kurt Wiedenfeld, wird heute (Sonnabend), mittag» 12 Uhr, im Hör saal 36 seine öffentliche Antrittsvorlesung über da» Thema: »Arbeiterschaft und Unternehmertum in Wirtschaft und Staat* halten. Der Nachfolger Einstein« i« Bölkerbuvdsrat. Der Dölkerbundsrat hat an Stelle Einstein», der aus geschieden ist, den holländischen Physiker Prof. H. A. Lorentz in Leiden zum Mitglied der Kommission für geistige Zusammenarbeit gewählt. — Di« schwe dische Akademie der Wissenschaften ernannte zum Mitglied der Akademie den Professor an der Univer sität Berlin Dr. Eduard Meyer. Stuttgarter Uraufführung. Dem Stuttgarter Landestheater verdanken wir die eindrucks volle Uraufführung der »deutschen Tragödie* »Ge schlagen* von Han» Franck, (die auch vom Alten Theater erworben wurde). Die Handlung wird getragen von Friedrich dem Großen (dargestellt von Herrn Junker), der seinem Bruder nach der Niederlage bei Koltn schweres Unrecht zufügt, das er zuletzt einsieht, ohne ihm am Leben zu erhalten und seine Bitte um friedliche Regierung erfüllen zu können. Zweifellos reiht der Dichter vaterländisch empfundene packende Szenen aneinander (köstlich ist z. B. die Gestalt des Generals Winterfeldt getroffen). Die Begabung des Dichters tritt entschieden und er freulich genug hervor, um den Erfolg zu rechtfertigen Weltkongreß der Schriftsteller. Im Mai findet in London die diesjährige Zusammenkunft der Mit- glieder der größten Schriststmervereinigung der Welt statt: es ist dies der »Federklub* (englisch: Pen Club), eine internationale Vereinigung der Schrift teller, die 1921 gegründet wurde und deren Vor- itzender John Galsworthy ist. Zu dem dies- ährigen Meeting haben ihr Erscheinen zugesagt u. a. Gerhart Hauptmann und Romain Rol land. Fast sämtliche Nationen der Welt werden durch einige ihrer geistigen Führer vertreten sein. Der Klub leitete seinen Namen (Pen) von den ersten Buchstaben folgender Worte her: poet», essayist» und novelists. Swift auf Reisen. Der berühmte englische Sati riker Swift machte mit seinem Bedienten eine Reise. Sie übernachteten in einem Wirtshaus, und am Morgen forderte Swift seine Stiefel. »Die Stiefel sind ja schmutzig. Thoma»*, sagte er vorwurfsvoll. »Ich dachte, weu Sie reiten, werden sie doch gleich wieder schmutzig.* »Nun gut, sattle die Pferde!^ Unterdessen ordnete Swift an, dem Bedienten kein Frühstück zu geben. Al» dieser wiederkam, befahl ihm Swift, die Pferde vorzuführen. »Ich habe aber noch kein Frühstück bekommen*, bemerkte Thoma». »Da« macht nichts*, erwiderte sein Herr. »Du wärst ja doch gleich wieder hungrig geworden.* Nun rit ten sie weiter. Swift nahm ein Buch au» der Tasche und la». Ein Reisender, der ihnen begegnete, fragte den Bedienten, wer der Herr sei. »E« ist mein Herr*, sagte Thoma«. »Das weiß ich, Dummkopf, aber wo wollt ihr hin?* »In den Himmel!* »Wie- so?* »Ich fast« und «ein Herr betrt.*
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