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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 24.04.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-04-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192304241
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230424
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230424
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-04
- Tag 1923-04-24
-
Monat
1923-04
-
Jahr
1923
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^,e»p2iger iLgeoiLrr uva «Luaeisrenung Lene 2 «r. so verdächtiger Eifer Von Dresderf aus werden» Flugzettel ver schickt, in denen für eine sogenannte „Deutsch- Republikanisch« Bewegung im Freistaat Sachsen" geworben wird. Aus dem beigegebenen „Organi sation sstatut" ist zu ersehen, daß die Gründer dieser Bewegung republikanisch gesinnte Mit bürger verführen wollen, einen neuen „Selbst, schütz" nach Art der von den Sozialdemokraten und von den Kommunisten geplanten Organi- sationen zu bilden. Ein „militärisch reifer Re- publikaner" soll zum obersten Führer aller „republikanischen Hundertschaften" gewählt wer den. Der Aentralvorstand soll in Dresden sitzen und in allen „Bundesstaaten" — gemeint find die deutschen Länder — will man Gruppen er- richten. Ueber Uniform und Ausbildung der Hundertschaften wird gesagt: „Die vorläufige Ausrüstung besteht in hohen Schuhen, Wickelgamaschen und weichem Hut mit seitlich angebrachter Kokarde. Die republikanischen Hundertschaften werden vorerst im Straßen kampf und Dersammlunasschutz, sowie im Schutz ' von Staats- und Privateigentum ausgebildet." ' Um diese Soldatenspielerei harmlos er scheinen zu lassen, heißt es in dem Statut noch: „Alle akttoen Mitglieder müssen außerdem der Fahne (Schwarzrotgold) den Treueid leisten." Und die passiven Mitglieder, die Drahtzieher, die hinter den Kulissen verborgen bleiben? Die verzichten wohl auf Echwarzrotgold und stehen ungefähr so auf dem „Boden der Weimarer Verfassung", wie es Kapp, Lüttwitz, Ludendorff und Genossen im März 1920 taten? Die wahre Tendenz der angeblichen Republikaner zeigt sich in folgenden Worten des Flugblattes: „Exzellenz Zehner hat die Schaffung solcher „Abwehr"-Formatronen als daseinsberechtigt an erkannt und im übrigen unser Sachsenland zum Sowjetstaat degradiert." Das ganze Unternehmen macht den Eindruck politischer Unreife. Ob die Gründer bewußt das Ziel verfolgen, die Republikaner zu verwirren und gegeneinander zu Hetzen, läßt sich vorläufig nicht sicher erkennen, aber zweifellos würde das die Wirkung ihrer Agitation sein, wenn sie über haupt einen Erfolg haben sollte. Darum kann nicht eindringlich genug vor dieser dunkeln „Deutsch-Republikanischen Bewegung" gewarnt werden. 2) Lin sauberes Früchtchen Tralittcrillt unserer Berliner LchrtstleUuna Berlin, 23. April. Dor der ersten Strafkammer des Landgerichts ll hatte sich heute der mehrfach genannte Student Werner Flesch wegen versuchten Betruges zu ver antworten. Flesch ist dadurch in erd Oefsentlichkert bekannt geworden, daß er am Tage der Ermordung Rathenaus dem Abgeordneten Helffcrich im Reichs tag einen Blumenstrauß geben wollte. Bald darauf ist er in Haft genommen worden, da man vermutete, daß er an dem Nathenaumord irgendwie beteiligt wäre. Schließlich wurde er wieder aus freien Fuß gesetzt. Nach dem Attentat auf Maximilian Harden näherte sich Flesch zwei Studenten und erklärte, der Hauptschuldige Ankermann, der nicht ergriffen wer den konnte, halte sich in Berlin auf und brauche Mittel zur Flucht. Einer der beiden Studenten be nachrichtigte die politssche Polizei, worauf Flesch wieder verhaftet wurde. Er soll ferner zur Zeit des Prozesses gegen die wegen der Ermordung Rathenaus angeklagtcn Personen von dem Rechtsanwalt, der den Angeklagten Doß verteidigte, ein ausgefülltes For mular für Sprecherlaubnis entwendet und das Schriftstück gefälscht haben, indem er hinter den Namen Boß' noch die Namen Tilessen, Warnecke und Techow schrieb. Er steht weiterhin im Verdacht, den Angeklagten Günther während des Rathenau- Prozeß giftiges Konfekt zugesandt zu haben, nach dessen Genuß mehrere Angeklagte erkrankten. Als Motiv wird angenommen, daß Günther beseitigt werden sollte, damit er nicht durch weitere Geständ nisse die an dem Nathenaumord beteiligten Mit schuldigen verraten könnte. Der Angeklagte sagte, er sei nach der Revolution auf dem Flugplatz Johannisthal von Karl Liebknecht aufgefordert worden, mit nach Kiel zu reisen, um dort in revolutionärem Sinne tätig zu sein. Dieses Ansinnen habe er abgelehnt. Er habe später an der Baltikumbewegung teilgenommen, sei schließlich Hauptmann geworden und nach Südamerika ausgc- wandert, wo er am Fieber erkrankte. Hierauf sei cr nach Deutschland zurllckgekommen und habe sich nicht in intensiver Weise betätigt. Er wollte sich vor allen Dingen in Deutschland von den Folgen der Fieber erkrankung erholen. (Die Verhandlung dauert fort.) wachsende Besonnenheit (rigeaer Drahtbericht des Leipziger Tageblattes München, 23. April. Die Bayerische Volkspartei-Korrespondenz begrüßt die Bildung einer Arbeitsgemeinschaft der Vaterländischen Kampfverbände und der Bereinigten Vaterländischen Verbände als im Interesse der all gemeinen Staatspolitik gelegen. Dadurch würde am besten verhütet, daß einzelne Führer und Organisa tionen sich zu unüberlegten Schritten hinreißen ließen. Gerade im Hinblick auf das laute politische Vorgehen der Leitung der Arbeitsgemeinschaft der Kampfverbände, das ohne Rücksicht auf die Auffassung in einem großen Teile der vaterländischen Organisa tionen in Szene gesetzt worden sei, müsse es als ein Fortschritt angesehen werden, wenn künftighin vor wichtigen Aktionen, die als Ausdruck der politischen Willensmeinung der vaterländischen Bayern ange sehen werden könnten, auch die» Besonneneren unter den Vaterländischen gehört werden, die eine Kata- strophcnpolitik im Lande ablehnen. Eine gute Illustration dazu gibt eine Zuschrift, die die Münchner Post von einem angesehenen Mitglied der BVV. bekommen hat und heute ver öffentlicht. Darin wird darauf hingewiescn, daß man mit der Hitlerschen Gewaltpolitik unter stärkster Herausforderung durch die Leitung im Grunde herz lich wenig einverstanden sei. Von Demokratie inner halb der VDV. bemerke man wenig mehr. Die Führer, größtenteils verabschiedete Offiziere, machten alles unter sich-ab und stellten die Mitglieder vor vollzogene Tatsachen. So sei z. B. der Abschluß des Bündnisses mit Hitler erst mitgeteilt morden, als er schon in der Zeitung stand. Wozu die einzelnen Mitglieder verpflichtet seien, wisse niemand mehr. Man bekäme Posten übertragen, von deren Bedeu tung im Ernstfälle niemand eine Ahnung habe. Ab lehnung würde als Feigheit ausgelegt, Widerspruch in den Versammlungen wagL sich nicht mehr hervor. Die eingestreuten Hitlergardisten mischten sich ein und stellten die Zweifler als Verräter hin. Von dem flotten kameradschaftlichen Geist der alten Einwohner wehren sei nichts mehr vorhanden. Eine Initiative der Negierung in der Richtung auf eine Einigung aller entschiedenen Staatsbürger würde von der Mehrzahl der in der DVD. organisierten Mitglieder mit Freuden begrüßt und als Erlösung empfunden werden. Fortsetzung der deuLsch-pornischsn Verhandlungen in Dresden Drahtbericht unserer Dresdner rchristleitung Dresden, 23. April. In den nächsten Tagen werden nach einer länge ren Osterpause die deutsch-polnischen Verhandlungen in Dresden wieder in ihrem vollen Umfange ausge nommen werden, nachdem einige kleine Verhand- lungspnnkte auch in der Zwischenzeit den Gegenstand von deutsch-polnischen Besprechungen gebildet haben. Der polnische Bevollmächtigte wird in den nächsten Tagen zurückerwartet. Im Vordergrund« der Be sprechungen stehen neben anderen Fragen die Ver handlungen übe? die Staatsangehöriglait und Op tion, Probleme, deren ganz besondere Schwierigkeit sich schon daraus ergibt, daß sie seit langer Zeit un unterbrochen verhandelt werden. Stärkung des Kabinetts Donar Law Eigcnrr Drahibrrichl de« Lripriorr Tageblattes London, 23. April. Die Aussprache innerhalb der konservativen Partei über die Umbildung des Kabinetts hat wiederum einen Wesentlichen Schritt nach vorwärts getan. Lord Curzon hat am Sonnabend in einer innerpvlitischen Rede noch einmal auf Grund einer Rücksprache mit Bonar Law erklärt, daß der eng lische Ministerpräsident nichr die Absicht habe, zu demissionieren, da die Wiederherstellung seiner Ge sundheit gute Fortschchritte mache. Der Außen minister hat aber zugleich in nicht mißzuvcrstehendcr Weise zu erkennen gegeben, daß die Regierung auf die Mitarbeit der Ehamberlaingruppe mit Ausnahme von Lord Birkenhead großen Wert lege. Unter außer ordentlicher Anerkennung der hervorragenden Be gabung der ehemaligen Minister erklärte Curzon, daß kein Grund zu Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen und der Regierung bestände. Lord Birkenhead hat gestern in einem Artikel der Sunday Times auseinandergesetzt, daß er eine wahrhaft fortschrittliche konservative Partei für not wendig halte und daß er seinen Kollegen Chamber lain, Harne und Worthington Evans nichts in den Weg legen werde, wenn sie den Zeitpunkt für ge kommen hielten, in das Kabinett einzutreten. Gleich zeitig kündigt Birkenhead an, daß er nach Beginn der Gerichtsferien im Juli auf mehrere Monate nach den Vereinigten Staaten gehen werde. Diese Ankündigung ist offenbar ein Hinweis darauf, daß Birkenhead während seiner Abwesenheit von London die allgemein für diesen Monat zu erwartende Umbildung des Kabinetts zu erleichtern gedenkt. Man wird im Auslande gut daran tun, in ab sehbarer Zeit weder mit einem Zusammenbruch der englischen Negierung noch mit einer Bonar Law-Kr se zu rechnen. Dagegen wird die Umbildung des Kabi netts wahrscheinlich sich in einigen Wochen ohne viel Lärm vollziehen. - * Die englische Negierung hat den Regierungen der Selbstverwaltungegebiete das Programm einer im Oktober zusammentretenden reinen Wirtschafts konferenz übermittelt. Die wichtigsten Gesichts punkte, die behandelt werden sollen, sind Eiedelungs- fragen, Verbesserung der Verkehrswege zwischen Mutterland und Kolonien, leichtere Ausnutzung der Naturschätze der Kolonien, Schaffung eines wirt schaftlichen Nachrichtendienstes und di? Festlegung einer Handelspolitik Englands und der Dominien gegenüber dem Ausland. Briand mahnt zur Einigkeit EigenerDrah«berichtdes LeipzigerTageblattes Paris, 23. April. Dee frühere Ministerpräsident Briand hat gestern in Nantes vor der patriotischen Gescll- jn>aft früherer Soldaten, bei deren Kongreß er den Vorsitz führte, eine Rede gehalten. Bei Besinn die ser Rede ereignete sich eine Anzahl stürmischer Zwi schenfälle. Einige Camelots du roi hatten sich in den Saal hereingeschmuggelt und störten durch be leidigende Zwischenrufe die Versammlung. Sie wur den ober schließlich von der Versammlung vor die Tür gesetzt. Ueber die Reparationen erklärte Briand, daß dabei nicht allein finanzielle Gründe, sondern auch der Gesichtspunkt der einfachen Gerechtigkeit mitspreche. Wenn man erst einmal die Nase in die Dinge hineinstccke, lege man sich Rechenschaft dar über ab, daß es nicht so einfach ist, wie gewisse Leute glauben. Man komme dazu, zu verstehen, daß, wen« man sich selber gegenüber nachgiebig sei, man cs auch gegen die anderen sein müsse. Man erhalte dann nach und nach die Sicherheit, daß man nicht L-iensrag, aen 24. Lpru fehlerfrei sei. und frage sich, ob nicht ein anderer mehr Glück Hal en werde. Alsdann müsse man die sem anderen den Plag überlassen. Aber man müsse auch nicht vergessen, daß man seiber einmal an der Sp'tze des Landes gestanden habe. Man dürfe vor allen Dingen dann nicht den sehr lebhaften Wunsch haben, dem anderen zum Trotz wieder an die Spitze des Lande» zu kommen. Es sei notwendig, daß der Poliiiker es verstehe, dem anderen einen Kredit zu geben, der ihm selber manchmal gefehlt habe. Er müsse sich der Schwierigkeiten gewisser Aufgaben er innern intd verstehen, daß, wenn die Verantwortung in die Hände anderer überaegangen sei, dies nichr dcr Augenblick sei, ihm Schwierigkeiten zu machen, unter denen man selber gelitten habe. Wenn man sich gegenüber Männern skhe, die das Gute tun sollen, wenn das Land über eine Aktion engagiert ist, über der die Flagge weht, dann dürfe es keine Diskussion mehr geben. Briand schloß mit einem Appell an die Einigkeit aller Franzosen um die nationale Flagge. Vsr piozss; gegen die Urupp-Vkektorerr Eigener Trahtvcrichtdrü Leipziger Tageblattes Essen, 23. April. Der ursprünglich ans Ende dieser Woche angcsetzte Termin gegen die Direktoren der Kruppschen Werke Hartwig, Osterlin und Bruhn ist plötzlich wieder ver schoben worden, und zwar, um dem weiteren Beweis antrag der Verteidigung nachzukommen und die Untersuchung nach diesem Bcweisantrag auszudehnen. Der Prozeß wird nun Mittwoch, den 2. Mai, be- ginnen und voraussichtlich drei Tage dauern. Die Anklage ist der Verteidigung bisher noch nicht zu gängig gemacht worden: es wurde ihr aber mitgeteilt, daß vier Tage vor dem Verhandlungstermin Einsicht in die Akten gegeben werden wird. Die Verteidigung hat den Eindruck, daß der ursprüngliche Plan, die Anklage wegen Komplotts gegen die Sicherheit der Besatznngstrnppen, fallen gelassen wurde und daß man jetzt nur die Kdllcktiv-Verantwortung der An geklagten für die Vorgänge am Ostersonntag unter Anklage stellen wird. Hetzer psinearö Eigener Drahtbcricht des Leipziger Tageblattes Paris, 23. April Bei der Enthüllung eines Kriegerdenkmals in Boid hielt PoincarL eine Rede, in der er auf die deutschen Kriegsgreuel hinwies, Deutschlands Hartherzigkeit nach 1871 beklagte und vor der „militärisch organisierten" Schupo warnte. SLreseinann zu Curzons Rede Elgc u er Drahibericht des Leipziger Tageblattes Berlin, 23. April Bei einer Kundgebung für das deutsche Volks opfer nannte Abg. Strcsemann die Rede Cur zons eine geeignete Grundlage für die Wetterfüh rung der Politik. Aus Curzons Worten klinge der Respekt des Auslandes vor der deutschen Einheits- front wider. Der deutschen Politik komme es nicht darauf an, ob sie eine Goldmilliarde mehr oder weniger zahle; worauf es ihr ankomme, da» sei, daß Rhein und Ruhr deutsch bleiben. Eine Rheinlano- frage gebe cs für Deutschland nicht. kleine politische Nachrichten Der Bandenführcr Oberleutnant a. D. Roß bach ist nunmehr in die Leipziger Drfangenanstalt eingeliefert worden. * Die Nachricht von der Verhaftung des mutmaß lichen Erzberger Mörders Schulz ia Ge nua ist völlig aus der Luft gegriffen. Aus Oelsnltz i. E. wird berichtet, daß der dortige Gemeinderat die Bewaffnung des Kontroll aus schuss es, der sich aus je zehn Mitgliedern der KPD. und der SPD. zusammensctzt, beschlossen habe. Der Antrag auf Bewaffnung wurde mit zwölf gegen fünf Stimmen angenommen. * Zu Ehren des Reichstagsabgeordncten und früheren badischen Innenministers Staatsrates Dr. Haas fand am Sonntag auf dcr der deutschen Bot schaft in Moskau ein Essen statt. Erschienen waren u. a. vom Auswärtigen Ministerium Tschitscherin, Litwinow und Stange, außerdem der Berliner Botschafter Krestinski. Geladen waren Professor Förster und Bumke, Musikdirektor Brcchcr und Botschaftsmitgliedcr. Vie Nonnen vonNemnade Altes Theater Das Kloster Kemnade liegt im Westfälischen, un weit Paderborn, zur Kreuzsahrcrzeit. So im Mittel- alter. Ich weiß nicht, ob es wirklich ein Kloster Kem nade gegeben hat. Aber mannstolle Acbtissinnen hat es ja ganz bestimmt gegeben und trunksüchtige. Aebte. Wie Judith von Kemnade und ihren Bruder Heinrich, den Abt von Corvey. Und Päpste hat es gegeben, die schon vor Luther die Kirche reformieren wollten an Haupt undGliedern,oder jedenfalls doch an dcnGlie- dern. Die zur Fahrt in» Heilige Land aufriefen; das Grab de» Erlösers dcn Sarazenen wieder ab nehmen wollten. Und dem fröhlichen Heidentum, dem ritterlichen Leichtsinn auch innerhalb der Kirche Christi zu Leibe gingen. Die grauen Mönche, Bene diktiner sind «» wohl und Zisterzienser, kommen über die verderbten Klöster mit Feuer und Schwert. Auch Kardinal Thomas kommt, ein weiser, gütiger alter Mann, ein Diener Christi im Herzen, der nicht den ersten Stein aufheben will. Aber die Welle geht über ihn hin. Jugend hat nicht die Weisheit des Alters. Der Mönch Cyrill verfällt der süßen Verführung und umschlingt die schlanken Beine der Tcufelsäbtissin. Aber sein Bruder Ambrosius gerät noch tiefer in die Schlingen des Bösen. Die Geilheit seines Blutes schlagt in hcilig-unhciligen Eifer um. » Er tut dem Kardinal Gewalt an, der unter seinen Händen stirbt — vielleicht aber auch unter Gotte» Hand. Der Am- brosiu« hält selber Gericht, treibt di« Nonnen aus und jagt ihre Ritter ins Heilige Land «nd verurteilt die süße Judith zum Scheiterkaufen. Doch da» Urteil wird ange-weifelt und er scyeint selber auch an sich zu zweifeln. Da sticht er denn Judith, die Kloster-Hure, tot, und seinen Bruder Eyrill, der so unglücklich oder so glücklich war, ihr zu verfallen, den sticht er auch tot. Und sich selber sticht er beinahe tot. Al» dann die Knechte ihn greisen, äußert er irgend etwa, der- art, wie: „Er allein sei doch der wahr, Nachfolger de, Heiland«»." Genug, man wird e« zugeben, daß di« Vor gänge dunkel sind. Interessant, aber etwa« unklar. Und man fragt sich wohl: „Was geht e» un» an? Dds wird dadurch bewiesen? Wa» gilt diese» so beschaffene Damals für unser Heute?" Dazu kommt noch, daß einer, der erst Judiths Diener war, nach her als Gottseibeiuns (ein satanischer Mann) und als gleichfalls dämonischer Tempelritter erscheint. Es war derselbe Schauspieler (Fritz Wendel, recht tüchtig übrigens), demnach wohl dieselbe Person. Oder waren es Visionen der Judith? Oder einfach vierdimensionales Mittelalter? Denn das Buch ge druckt wäre, wüßten wir's vielleicht. Eine ziemlich rätselhafte Angelegenheit. Allmählich entsteht die Ueberzeugur.g, daß der Autor nicht so sehr dunkel sein wollte, als vielmehr der Begabung ermangelt; sein Borstellungsbild im Drama zu klären. Auch „Wadzecs Kampf mit der Dampfturbine" ist ein recht interessanter, aber psychologisch keineswegs eindeutiger Roman. (We nigstens, wenn man bedenkt, daß ein gelernter Irrenarzt ihn geschrieben hat.) So sind die Tugen den des brillanten Essayisten Alfred Döblin, der auch dcn „Deutschen Maskenball" als Linke Poot geschrieben hat, nicht eine bestimmte Meinung und Gesinnung, sondern die frohen Sprünge von einer Meinung zur andern. Er habe, sagt Linke Poot irgendwo von sich selber, noch keinem sein Recht ge geben, dem er nicht auch unrecht gegeben hätte. Sehr amüsant ist das wirklick, aber aus so etwas wird kein Drama. Theoretisch nickt. Praktisch ist kcins daraus geworden, weil dem Epiker und Zeitkritiker auf der Bühne der Atem ausging. Weil er infolge dessen anck dem Zuhörer ausgeht. Weil mindestens, nachdem Kardinal Thomas tot ist, nickts Neues mehr kommt, sondern schon Gesagtes wieder und abermals gesagt wird. Daß die kleinen Nonnen fromm und begehrlich sind und ihre große Aebtissin noch frömmer und noch begehrlicher, daß Eros und Christus zwar irgendwie feindlich, aber auch irgendwie vereinbar sind. Oder gar nicht feindlich, oder doch unvereinbar. Daß Lhristt Diener meist keine rechten Christen sind, und die Diener und Dienerinnen des Eros vielleicht ihrerseits möglicherweise die besseren Christen. Also: Was Gewisses weiß man nicht. Nur Theater. Im Grunde nnr Theater. Dieses war gut und gefiel. Die nackten, schlanken Beine der Anton gefielen. Wa» darauf wandelte und hüpfie, verdiente wohl den Beifall de» Publikum». Lin viel- farbig leuchtender Dämon mit süßester Schmeichel stimme. Daß sie zuviel kreischen muß, daß man des Kreischens endlich müde wird, ist kaum ihre Schuld. Die Judith ist keine Gestalt, so wenig wie der Mönch Ambrosius, den Schindler scharf und glänzend in den Umrissen spielte. (Die Rolle hat nur Umrisse.) Kardinal Thomas ist ein ganz alter, großer Mann. Der wirklichste Mensch im Stück: Lothar Körner. Engst der versoffene Abt. Die Otto und die Karsten Führerinnen der Nonnrn. Fernem, der Mönch Cyrill, wird bestimmt ein Homburg werden. Hübner, der Vogt, ist ein feiner Bkechskerl. Uebrigens waren die einzelnen Spieler nicht die Hauptsache. Sondern die Gruppen: Nonnen, Ritter, Mönche. Dazu das Licht. Hier bewährte sich,dcr neue Apparat. Kronacher hat ihn nun in dcr Gewalt und überschnittet die Szene mit Farbe und Licht- Benutzt das Licht als dramaturgische Hilfskraft. Auch Daranowskv hat ihm diesmal mit sehr glücklicher Hand geholfen: Räume gebildet und ein Kloster ge malt. das ein fröhlicher, heidnischer Liebeshof war. Dir erste Hälfte des Abends sand ich recht genuß reich. Rian dachte immer: es kann noch etwas Be sonderes werden. Dann merkte man, daß cs kein Drama war. Aber immerhin ein buntes, starkes Theater. Man ist nach diesem matten Winter auch dafür dankbar. Schließlich, solange cs leine neuen Dramatiker gibt, müssen wir wenigstens gut Theater spielen. Müssen uns mit Altem und Neuem die Zeit vertreiben, bis der nächst? kommt, der sich verlohnt. Lhakespcarc-Feier i« Loudon. Aus London wird uns gedrahtet: Am Sonnabend und Sonn tag ist in England der Geburtstag William Shakespeares und das OOOjükriae Jubiläum dcr Veröffentlichung der ersten FolioauSgade seiner Dramen feierlich begangen worden. Am Sonn abend sind in allen Londoner Theatern Szenen seiner Dramen aufgeMhrt worden. In Buckingham hat eine Theatergesellschaft, wie ein Kritiker be hauptet, den Versuch gemacht, ein Drama Shake speares in modernen Toiletten zu spielen. Bonar Law und Ramsah Macdonald haben das englische Volk aufgefordert, IVO 000 Pfund zu sammeln, um dem Gedächtnistheater In Stratford, dem Ge burtsort Shakespeares, finanzielle Unterstützung zu ermöglichen und dort eine Schauspielerschule zu gründen, dt« die Provinztheater mit Schau spielertrupps versehen soll, die die führenden Dramen Shakespeares aufführen können. In einem Leitartikel der Times wird daraus hin- acwicscn, daß nicht England, sondern Deutschland das Land ist, in dem der große Dichter am meisten ausgeführt wird. Im Höbepunkt des Kriege- haben, so wird berichtet, 1200 und jetzt ungefähr UM Shakespeare-Ausführungen auf deutschen Bühnen stattgefundcn Weiter heißt es, daß mindestens an drei Stellen in Deutschland Abend für Abend Shakespeare aufgeführt wird, was in England nicht der Fall sei. Ein Artikel des Obferver erklärt das damit, daß in den eng lischen Theatern Shakespeare dem modernen Publikum nicht gefalle. Mister Pringles Hut. Wenn im englischen Parlament ein Abgeordneter während einer Abstim mung das Wort ergreifen will, so muß er dies nack de: im Haus her Gemeinen herrschenden Vorschrift „sitzend und bedeckten Hauptes" tun. Nun begab es sich unlängst, daß der sehr ehrenwerte Mister Thomas just im Laufe einer Abstimmung das un überwindlich: Bedürfnis fühlte, seinem Vaterland mit einigen treffenden Bemerkungen zu dienen. Waber aber in der Geschwindigkeit den vorschrifts mäßigen Hut nehmen? Doch da taucht gerade dcr ehrenwerte Mister Pringle auf, der nie ohne seinen ZyUuderhut erscheint. Sogleich wird die ersehnte Kopfbedeckung dem ehrenwerten, ober schmächtigen Mister Thomas gereicht, dem sie, wie der Parla- mentrbcrichtcrstattcr verzeichnet, zum Entzücken aller anwesenden Volksvertreter fast bis zu den Schultern reichte. Dcr Spaß fand so großen Beifall, daß sich hernach noch eine ganze Anzahl von Mitgliedern eigens zum Worte meldeten, nur um sich Mister Pringles Hut auszuborqcn, untee ihnen auch Major Kenworthy, ein herkulisch gebauter Mann, der dcn vielbcgehrtcn Zylinder nur auf der Höhe des Schei tels zu balanzicrcn vermochte. Kurz, Mister Pringle, so schließt der schmunzelnde Berichterstatter, hat alle Mühe, wieder in den Besitz seines geliebten Hutes zu kommen, den cr im weiteren Verlauf dec Sitzung noch wiederholt herlcihen mußte. — Und da meint man auf dem Kontinent, mit wunder was für tiefernsten und feierlichen Angelegenheiten sich 0'^ englischen Parlamentarier andauernd be schäftigen. Hsv.
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