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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 14.04.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-04-14
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192304149
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230414
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230414
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-04
- Tag 1923-04-14
-
Monat
1923-04
-
Jahr
1923
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8«tt« L « 8o«aal>«»6, cke« LpeS werden auch ausFrtedrtchedor bei Antouieu- Hütte gemeldet. In Kattowitz haben nationalistische Clemente ihre in der Abstimmungszeit geübte .malerisch,' Tätig keit wieder ausgenommen und wahrscheinlich zu dem für den 15. April vorgesehenen Empfang des Generals Lerond die Straßen „verziert'. Bon Hunderten von Schaufenstern und Schildern werden am Sonntag dem General Lerond Fratzen, Toten köpfe usw. anarinsen und einen unmittelbaren Ein druck des kulturellen Fortschritts des Landes seit seiner Polonisierung vermitteln, obwohl zu der malerischen Umwandlung der Grundmannstraße einige Stunden Zett erforderlich waren und dabei auch Leitern und Handwagen benutzt werden mußten, hat die Polizei „nichts bemerkt. Die polnischen Kattowitz« Stadtverordneten haben es für ratsam gehalten, für alle Fälle eine Besprechung dieser Bor gänge im Plenum zu unterbinden, weshalb sie da» Haus beschlußunfähig machten. Universttätsfragen im Preutzenparrament Berlin, 13. April. (Drahtbericht unserer Berliner Schriftleitung.) In der heu tigen Sitzung des Hauptausschusses des preußischen Landtages äußerte sich bei dem Haushaltungsplane der Universitäten und technischen Hochschulen Kultus minister Dr. Boelitz zunächst über den Ver- safsungsstreit in der Deutschen Studentenschaft. Der Minister bedauerte auf das lebhafteste den Streit und richtete die dringende Mahnung an die Studentenschaft, angesichts der politischen Lage sich zu einigen. Der Standpunkt der Regierung sei klar und unverändert. Die Regierung könne nicht dulden, daß in den Sitzungen staatlich anerkannter Studen tenschaften ein antisemitisches Prinzip zum Ausdruck käme. Die Regierung habe die ungeordnete Dei- tragssperre aufgehoben, da die beiden Vorstände sich nach den unter dem Vorsitz des Staatssekretärs Dr. Decker stattgefundenen Einigungsverhandlungen wenigstens zur gemeinsamen Behandlung nationaler Fragen zusammengeschlossen hätten. Die Regierung wolle im Einvernehmen mit den Regierungen der übrigen Länder die Entwicklung bis zum 1. Okto ber 1923 abwarten. Die Frage hänge mit der Universitätsre- sorm zusammen. Die Zusammensetzung der ein zelnen Studentenschaften werde in den Universitäts statuten geregelt werden. Die Schwierigkeit der ganzen Angelegenheit liege in Oesterreich. Die Re gierungen der deutschen Länder hätten daher der Deutschen Studentenschaft bereits wiederholt den Rat gegeben, sich, solange die Verhältnisse in Oester reich ungeklärt seien, auf das Reich zu beschränken. Dann kam Kultusminister Dr. Boelitz auf die Not der deutschen Studenten zu sprechen. Zwei Drittel aller deutschen Studenten rekrutierten sich von jeher aus den Reihen des Mittelstandes. Dieser Mittelstand könne die Kosten der Universitäts ausbildung nicht mehr tragen. Trotzdem entfalteten die Studenten eine bewundernswerte Energie. Es habe sich der Typus der Werkstudenten gebildet, die durch Nebenerwerb aller Art die notwendigen Mittel für das Studium selbst erwerben müssen. In der Zeit vom 1. Mai bis 30. September 1922 waren in Deutschland 60 000 Werkstudenten gewesen, d. h. 45 Prozent bei den Universitäten, 45 bis 48 v. H. bei den Hochschulen. Und zwar arbeiteten: nur in den Ferien etwa 40 v. H., nur während der Semester etwa 25 v. H., in den Ferien und im Semester etwa 35 v.. H. In festen Nebenstellungen waren etwa 2500 Studenten, ohne Derucksichtigima der Haupt- beruflichen außerhalb der Universität stehenden Be amten usw. Am stärksten war die Beschäftigung in der Industrie und in der Landwirtschaft. Ueber die notleidenden Studenten sei die Be freiung von den Hochschulgcbühren an Stelle der Honorarstundung getreten. Die Stipendien wurden erhalten und die wirtschaftlichen Einrichtungen der Dcmtschen Studentenschaften von der Staatsregierung aufs wärmste unterstützt. Weitere Aussprache im Landtage Sine -weite Rede -es Ministerpräsidenten Drshtberichl unserer LreSdner «chrtstlettung Dresden, 13. April. Die weitere Aussprache über die Regierungs erklärung nimmt den gleichen temperamentvollen Verlaus wie gestern. Immer noch sind die Tribünen stark besetzt und fast alle Abgeordneten zur Stelle. Als Erster ergreift Ministerpräsident Dr. Zeigner das Wort zu einer Verteidigungsrede au» dem Steg reif, die stellenweise in dem Tumult der Parteien unter geht. Er verteidigt sich zunächst gegen die gestrigen Angriffe de» Abgeordneten Deutler und die ziemlich in der gesamten bürgerlichen Presse unverhohlen zum Ausdruck gekommene Meinung, er sei der Reichs regierung mit seinem Verlangen nach aktiven Vor schlägen an die Entente in den Rücken gefallen. Der Ministerpräsident versucht dann, seine außenpolitische Extratour in eine innerpolitische Harmlosigkeit umzubiegen, indem er sagt, seine Fragestellung in der Regierungserklärung habe lediglich gelautet: Werden die Reparationsleistungen in erster Linie von den Besitzenden oder von den Besitzlosen getragen? Aber was auch ein Ministerpräsident im Einverständnis mit den weiten Kreisen des Volkes fordere, sobald er ein sozialistischer Minister sei, bedeute das eben „Landesverrat*. Was er gefordert habe, sei sachlich begründet und notwendig gewesen. Der Minister präsident führt al» Kronzeugen für diese Behauptung den ehemaligen preußischen Ministerpräsidenten Stegerwald an, der da» gleich« vor einigen Tagen noch in seiner Zeitung Der Deutsche aus gesprochen habe. Dem Abgeordneten Dr. Seyfert (Dem.) gegenüber bemerkt er, die Regierung sei sich bewußt, daß nur die außergewöhnliche Lage außergewöhnliche Maß nahmen bedinge, wie die Einrichtung der Selbstschutzorganisationen. (Zuruf: Die Sie bewaffnenl) „Nein, wir bewaffnen sie nicht.* (Zuruf: Aber Böttcher hat es verlangt!) Allerdings seien in der letzten Zeit bedauerliche Üebergriffe vor gekommen. (Aha-Rufe auf der rechten Seite.) Es handle sich bei der ganzen Frage der Selbstschutz organisationen vor allem darum, welche Gesahr größer sei, die von rechts oder die von links. /Zwischenruf: Die Gefahr von Frankreich ist die größte!) Aber wie nahe die betreffenden Kreise seiner Negierung auch stehen möchten, gegen jede widerrechtliche Anmaßung der Exekutive werde er un- nachsichtlich einschreiten. Die gesamte Öffentlichkeit stehe aber augenblicklich unter der fortgesetzten Be- unruhiguna rechtsradikaler Mörderbanden. (Große Unruhe auf der rechten Seite; Rufe: Unerhört!) Sein Amnestie. Erlaß erstrecke sich haupt sächlich auf Delikte, die auf wirtschaftliche Not zu- rückzufllhren seien. Wenn politische Vergehen amnestiert worden seien, so seien es nur solche ge wesen, die in keinem Verhältnis zu ihren Ursachen stünden. Man solle doch endlich aufhören, gegen die Regierung und die hinter ihr stehenden politischen Parteien in der jetzt üblichen Weise zu kämpfen. Wenn die Parteien in der Frage der Lösung der Probleme so verschiedener Meinung seien, so sehe er darin kein Zeichen von Uneinigkeit, sondern nur den Willen, die übergroßen Schwierigkeiten mit dem besten Vorsatz zu bewältigen. Nach ihm spricht der Abg. Dr. Schneider von der Deutschen Volkspartei: „Wir können es nicht billigen, daß Herr Dr. Zeigner eine Politik vertritt, die der Reichspolitik widerspricht. Welche Folgen daraus entstehen, beweist die erste ausländische Pressenotiz, die das Echo de Paris gestern brachte, in der bereits der Widerspruch zwischen Zeigner und der Reichsregierung quittiert ist.' Dr. Schnei der wendet sich sodann gegen die geforderten Ein richtungen der Regierung, wie die Kontrollaus schüsse und das Arbeitskammergesetz, das ihm ein verschleierter Detriebsrätekongreß zu sein scheint, und die proletarischen Hundertschaften, die man als neue russische rote Garde serviert bekomme. Das seien olle Kamellen, schon langst von Rußland her bekannt. Ein Allheilmittel gegen den Wucher sei bisher noch nicht gefunden worden. „Herr Böttcher wird streng auspassen auf Ihre Politik, Herr Zetg- ner, und er wird keinen Deut Nachlassen, wenn Sie nicht auf das Wort parieren. Wir werden den Tag segnen, an dem diese Regierung wieder geht. Leider haben die schlimmsten Mißgeburten manchmal da» längste Leben.' Abg. Arzt (Soz.) geht die einzelnen Punkte der Richtlinien durch, auf denen da» Regierung»- Programm basiert. Seine ganze Rede ist ein weitschweifiger Kommentar zu Dr. Zeigner» eigenen Worten. Abg. Sievert (Kom.) erklärt, daß seine Partei unentwegt an der Errichtung einer Arbeiterregie rung arbeiten werde. Das Ziel der Kommunisten sei, die Macht zu erlangen. Von der neuen Regie rung erwarte er, daß sie sich einer Ueberfllhrung des zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilten Max Hölz von Breslau nach Waldheim nicht widersetzen werde. Abg. Dr. Kastner (Dem.) erklärt: Die Ver fassung spreche von Republik und Bolksstaat, aber nie von einem sozialdemokratischem Staat. Mit den rein staatlichen Betrieben werde man schlechte Er fahrungen machen. In wirtschaftlichen Kämpfen der Zukunft wäre das Eingreifen der regierenden Stellen nicht wünschenswert. Ueber die Notwendigkeit der technischen Nothilfe könnte man keinen Augenblick im Zweifel sein. Die behördlichen Maßnahmen gegen den Wucher hätten bis jetzt noch nichts genützt, sie hätten nur Miksiimmigkeiten in die betreffenden Kreise getragen. (Während der kommunistische Redner seine Ausführungen ohne jede Störung machen konnte, wird der demokratische Redner von den Kom munisten durch fortwährende Zwischenrufe unter brochen.) Der Redner fragt zum Schluß, ob Vorsorge getroffen sei, solche Ausschreitungen künftig zu ver hindern, wie sie anläßlich der Dresdner Lrwervs- losendemonstrationen vorgekommen seien. Die nächste Sitzung des Landtages findet am nächsten Dienstag statt. Auf der Tagesordnung steht die Fortsetzung der Aussprache über die Regie rungserklärung, ferner eine Vorlage über die Er höhung der Gewerbesteuer, sowie mehrere Anträge betreffend die Notlage der freien Berufe usw. * Aus der Donnerstag-Sitzung des Landtags sind noch folgende Reden nachzutragen: Abg. Böttcher (Kom.) erklärt unverblümt, das kommunistische Ziel sei die Diktatur des Proletariats, die die Uebergangsepoche vom bürgerlichen zum sozialistischen Staat bilden müsse. Die Regierungs- erklärung bleibe in der Ruhrfrage auf halbem Wege stehen. Sie verlange Opfer vom Besitz, vergesse ader zu sagen, daß die Regierung Luno nicht das In strument sei, diese Opfer vom Besitz zu erpressen. Abg. Dr. Seyfert (Dem.) weist zunächst darauf hin, daß es an warnenden Stimmen innerhalb der Sozialdemokratie vor einer Abmachung mit den Kommunisten nicht gefehlt habe. Die Sozialdemo kraten müßten sich jetzt den Befehlen von Moskau unterwerfen. Das Ziel der Kommunisten sei ganz klar: es sei die Zermürbung der Sozialdemokratie. Die Kommunisten würden es nie dulden, daß im demokratischen Sinne regiert werde. Man fühle es aus der Regierungserklärung deutlich heraus, datz künftig mehr als bisher vom Klassenstandpunkt aus regiert werden solle. Das sei tief bedauerlich. Seine Partei halte das, was jetzt geschehe, nur für eine Episode. Die Demokraten hätten nichts zu bedauern wegen ihrer bisherigen Haltung in der Regierungs krise. Die Haltung der Kommunisten in der Ruhr frage widerspreche den Arbeiterinteressen. Dos Amnesticgesetz sei überflüssig, denn in den letzten zwei Jahren seien von 77 000 Gnadengesuchen schon 20 000 genehmigt worden. Die Abwehrorganisationen lehne auch seine Partei ab, ebenso die außerparlamentari- scheu Instanzen der Gesetzgebung. Dann wird die Sitzung auf Freitag, den 13. April, vormittag» >410 Uhr, vertagt. Sprengpulver für Lie sächsische „proletarische Einheitsfront" Es muß nicht leicht sein, zu regieren, wenn man dabei auf ein Kompromiß zwischen Sozial demokraten und Kommunisten angewiesen ist. Dr. Zeigner, der am Dienstag als Minister- Präsident den Kommunisten die Bildung von Arbeiterabwehrorganisationen zugestand, hat chon zwei Tage darauf, am Donnerstag, die bit- ere Erfahrung nwchen müssen, daß die Presse einer eigenen Partei eindringlich vor den kom munistischen Selbstschutzverbänden warnt. Wäh rend noch im Landtag über das Programm der neuen Regierung verhandelt wurde, schrieb die Leipziger Volkszeitung: Vorsicht! In den Betrieben versuchen die Kommunisten die Arbeiter für einen gemeinsamen proletarischen Selbstschutz zu gewinnen. Die VSPD. lehnt es ab, mit den Kommunisten zusammen einen Selbst schutz zu bilden. Die schafft sich ihren eignen Selbstschutz. Falle also niemand auf die kommu nistische Agitation hinein. Das ist deutlich! Die Furcht vor dem kom munistischen Selbstschutz kann bei den ängstlichsten Gemütern der „Bourgeoisie" nicht ärger sein als bei den sozialdemokratischen Koalitionsgenossen. Die Kommunisten haben aber auch wirklich'recht unangenehme Kampfslitten: Sie verdächtigen die sächsischen sozialdemokratischen Führer, daß sie sich hinter die Reichsregierung steckten, um den „proletarischen Selbstschutz" zu hintertreiben, und dann drohen sie in der Sächsischen Arbeiter- zeitung: „Die proletarischen Hundertschaften müssen ge meinsam gebildet werden. Weicht die sächsische Arbeiterschaft hier zurück dann ist das Schicksal der Regierung Zeigner in Kürze ent schieden. Sie wird fallen an dem Dolchstoß der eigenen Partei.' Also der Ansatz zu einer neuen, einer sächsisch-proletarischen Dolchstoßlegende! Worauf die Leipziger Volkszeitung erwidert, auch diese Drohung werde die Sozialdemokraten nicht dem Willen der Kommunisten gefügig machen. Wenn aber in solchem Maße Mißtrauen und Argwohn zwischen den beiden Parteien herscht, die den parlamentarischen Unterbau für die Regierung bilden, wie soll dann iKe Regierung die zur Erfüllung ihrer Aufgabe notwendige Autorität aufbringen? Muß sie nicht täglich den Zerfall ihrer Mehrheit und damit ihren Sturz gewür- tigen? S> Meine politische Nachrichten Wie schon berichtet, ist gegen den Schriftleiter Diettrich Eckart in München wegen Beleidigung von Regierungsmitgliedern und gegen Martin Wegener vom Mießbacher Anzeiger wegen Be leidigung des früheren Reichsjustizministers Rad bruch auf Antrag der Staatsanwaltschaft Haftbefehl erlassen worden, da sie am Mittwoch nicht vor dem Staatsgerichtshof erschienen sind. Hierzu erfährt nun unser Münchner Berichterstatter, daß weder der Polizeidirektion München noch dem dortigen Land gericht II ein Haftbefehl vorliegt. * Wie Aus Koblenz gemeldet wird, ist der Re gierungspräsident von Koblenz, Dr. Brand, in seiner Whonung von den Franzosen verhaftet und nach dem urckesetzten Gebiet au»gewiesen woÄen. * Nach einer Meldung aus Petersburg hat sich da« Befinden Lenins bei normaler Temperatur und ruhigem Puls derartig gebessert, daß von der regelmäßigen Ausgabe von Krankheitsberichten in Zukunft abgesehen wird. Einsame Frauen Von von Lodolttlr Im Kontertanz, wie er bis zum Populärwerden der Regertänze in jedem Ballsaal zu sehen war, gab es ein Kommando, das lautete: „Lv avant 1» daene ssule." Der Tanz ist verschollen, aber das Kom mando ist sozusagen Lebenswahlspruch geworden. „Vorwärts die Dame, allein!" Nun ist es im Leben aber so, daß die Dame, wenn sic ihre Schritte nach vorwärts, nach rechts und nach links absolviert hat und heimkehren will, meist keinen Kavalier mehr vorfindet, der ihr galant die Rechte hinhält, um sie zu einer „äomie-promenac!«" auf- zufordera. Nein, die Dame allein wird auch bald die einsame Dame sein. Hat sie das Geld dazu, so wird sie auegehen „wie ein Mann", aber sie wird sich nicht unterhalten wie ein Mann im gleichen Falle. Es ist sonderbar: ein einzelner Herr an einem Wirtshausnsch wirkt durchaus nicht bemitleidens wert und auch nicht unbeschäftigt, doch der allein speisenden Frau haftet etwas unendlich Verlorenes an. Besonders wenn es sich um die Abendmahlzeit handelt, die nickt hastig, nur der Sättigung wegen eingenommen wird, sondern nach des Tages Mühen den erquickenden Abschluß bilden soll. Das liegt nicht etwa am Ungewohnten des Anblicks, denn heut besteht wohl der dritte Teil aller einzelnen Restau- rantgäste aus Frauen. Lin boshafter Freund meinte: „Line einzelne Frau kann nickt reden, und wenn sie das nicht kann, ist st« eben nicht in ihrem Element. Da» merkt man schon an ihren Konversationsver suchen mit den Kellnern." L» mag etwa» daran sein, daß da» weibliche Mitteilungsbedürfnis sehr groß ist, und die Schwatzhaftigkeit gedeiht nicht nur in der Kleinstadt. klebrigen» besteht ein großer Teil unserer etnzellebenden Großstädterinnen an» zuge wanderten Kleinstädterinnen. Die große Stadt mit ihre» tausend Verdienst möglichkeiten und ihren abwechslungsreichen Ver gnügungen lockt die arbeitslustige Weiblichkeit aus der Provinz an wie da» Licht die Motte. Jede will mal wa» andere» kenne» lernen, will lieber viel verdienen, al» stch mit weniger daheim einrichten. Die Alltagsvfticht« find ihrer hohen Begabung un würdig. Die seidene» Strümvft der Tippfräulein» treten rasch« in Evidenz als ihr« abgemagert«n Glied«. Für di« Zugereiste vor allem, die nicht bei d«n Ihren wohnt, beginnt die Droßstadtkarrierr mit Ein- schränkunGin all« Art. Eis schlecht eingerich tetes Zimmer, unregelmäßige, kraftlose Mahlzeiten, und wenn man vom Bureau todmüde heimkommt, Plackereien mit der vor der Wirtin sorgsam verheim lichten Wäsche in der Schüssel und allerlei Flickereien. Die ersehnte, kontrollose Freiheit ist da, aber sie kann nicht so recht ausgenutzt werden. Auf jedes Aus flugsgelüst leaen sich die Fahrkosten wie Meltau, von den Preisen für Theater, Kino oder Restaurant ganz zu schweigen. Die so unternehmungslustige Schwimmerin wird — wenn sie nicht zahlkräftigen Anschluß gefunden hat, und das Freigehaltenwerden ist auch nicht jedermanns Geschmack — langsam zur Hausunke, wie sie es früher nie für möglich gehalten hätte. Nehmen wir selbst an, sie findet etwas Fami- lienverkehr: die Großftadt-Entfernungen schrecken, und bald merkt sie auch, daß sie doch nur ein fünftes Rad am Wagen ist. Sie fühlt sich vielleicht nie ein- famer, als wenn sie in einer Familie sich aufhält, die voll inneren Zusammenhanges ist. Sie bleibt stets auf andere Einspänner angewie sen, die vom Zufall der Beschäftigung hin und her geweht werden wi» sie. Und sie merkt auch, daß es nicht immer „La avant la ckaws ssuls" heißt, son- dern „rstminreL L vos placss", wie ein späteres Kommando de» Kontertanzes lautet. Wo aber ist der Platz der einsamen Frau? .Die heutige Verkehr-Not würde sie am Besuch eine» nicht gerade in unmittelbarster Näh« gelegenen Klub lokals auch dann hindern, wenn nicht di« Wohnungs not und Teuerung jede Klubbildung verhinderte. Ist sie jung und nicht zu häßlich, so sind nunmehr dr« Bedingungen für den „Freund" gegeben, auch wenn sie weiß, daß er nicht immer nur der „Freund' wird bleiben wollen und an eine Heirat nicht zu renken ist. Ist sie über die Jahre de» Begehrtwer ren« hinaus, so gerät sie vielleicht in irgendeine ver- tiegene schwärmerische Richtung oder in tiefe Ver- ritterung hinein, die nicht selten in einem Nerven leiden endet. Anders der Mann. Im allaemeinen kommt er nie zum Bewußtsein des Alleinseins, wenn er voll beschäftigt ist. In den Abendstunden sind ihm Tabak und Bücher wirkliche Gefährten. Eine Frau empfin det am Tage, in voller Tätigkeit, vielleicht auch keine Leer«. Aber wenn sie dann abend» in die lieblosen vier Wände ihre» Iunggesellenquartiers kommt, dann hungert ihr Herz nach der Zweisamkeit. Sie kann ein Mtteinanderleben weniger entbehren al« der Mann, für den da» Beisammensein oft nur der Ausgangspunkt zur Trennung ist: EkSv^rsvo» tz I» «wa»! Kvoonckuis« 1» cksmsl" Die Zerstörung der Warschau« russischen Kathe drale. Der großartige Prunkbau der russischen Kathedrale in Warschau ist dem hochgeschwellten pol nischen Nationalgefühl ein peinlicher Anblick, denn dieses Bauwerk erinnert an die den Polen heute so verhaßte russische Herrschaft. Wie im Manchester Guardian berichtet wird, hat die polnische Regierung nunmehr beschlossen, dieses geschichtlich wie künstlerisch gleich bedeutsame Denkmal, das außerdem einen ge waltigen materiellen Wert darstellt, niederzulegen, „als Sinnbild des Verschwindens der alten russischen Gewalt". Die ersten Schritte zur Zerstörung der Kathedrale sollen mit besonderer Feierlichkeit am 3. Mai, dem polnischen Nationalfeiertag, unter nommen werden. Deutsche Schauspielerinnen im Ausland. Nach einer Meldung der Wiener Allgemeinen Zeitung be gibt sich Fritzi Massary nach Beendigung ihre» erfolgreichen Wiener Gastspiels im Mai nach Lon don, um auch dort in der englischen Uraufführung der „Madame Pompadour" ihre Glanzrolle zu kreieren. — Die bekannte Berliner Schauspielerin Irene Triesch, die sich gegenwärtig auf einer Amerikareisc befindet, hat in New Pork der Kolumbia-Universität und anderen Sälen Dibelvor- lesungen sowie Rezitationen klassischer Dichtung ad- gehalten, die großen Erfolg erzielten. Statistik der Liebeserklärung«». Die Statistiker sind gefährliche Menschen. So hat sich ein Fanatiker der Zahlen sogar dazu aufgeschwungen, da, Be nehmen von Mann und Frau bei einer Liebeserklärung systematisch zu ordnen. Zu nächst das stärkere Geschlecht im entscheidenden Moment: 36 Prozent drücken die Holde ve^ückt cm sich, 24 Prozent besiegeln die Liebeserklärung mit einem herzhaften Kuß, 4 Prozent hauchen auf» Haar einen Kuß, 2 Prozent küssen die Hände, die sie für „ewig" ihr eigen nennen wollen, 2 Prozent sinken in die Knie, 20 Prozent stottern, 10 Prozent bringen überhaupt keinen Laut hervor und 2 Prozent er klären sich schweigend! Das schwache Geschlecht bc- nimmt sich weit klüger und resoluter. 60 Prozent sinken wortlos in die Arme des Ritt«». 20 Prozent erröten und verbergen zart das Angesicht, 1 Prozent stürzt ohnmächtig zu Boden, 4 Prozent stellen stch überrascht, 14 Prozent blicken dem Geliebten stumm und dennoch beredt ins Auge und 1 Prozent läuft davon, um der wartenden Mama da» groß« Er eignis unverzüglich mitzutellen. verliner Theater Di« Buckstaben W. U. R. brüllte» seit Wochen von allen Plakatsäulen. Jetzt wissen wir es. Es sind Verstands Universal Robots, Maschinenmenschen der Zukunft, die Werstand konstruiert hat (in dem uto- pistischen Drama, ein Vorspiel, drei Akte von Karel Eapek). Das Theater am Kurfürstendann führt es auf. Eia Werk, dessen Stärke in dem Lustigen, Abenteuerlichen, Sattrischen liegt. Seine Gefahr das Bloßkonstruierte, diesmal der dramatischen Situationen. Le läßt sich vom Vorspiel an alles be rechnen: der Autor weicht keinen Finger breit vom logischen Weg« ab. Die Robot« werden zu Arbei tern, Soldaten benutzt, macken sich selbständig, revo lutionieren, erobern die Fabrik. Und da sie in zomnzig Jahren nicht mehr funktionieren, muß zum Schluß die Liebe auf der Bildfläche erscheinen, teil» der Logik, teils der Ethik wegen, aber nicht zu unser« Freude. Ein spannendes, knalliges, etwas langes Werk. Die Konsequenzen des uralten Stoffes werden zeitgemäß durchdacht. Etwas meist recht Dücherwirksames wird hier hingestellt. Drohend steigt das Arbeiterproblem auf. Ein Menetekel wird dem Großindustrialismu» an die Wand gemalt. Im Grunde hätte es mit d« Vernichtung der Produk- tionsstätt« enden sollen: die Menschheit durch die Technik ausgerottet: Thema Selbstmord der Technik. Statt des starken Schlusses ein sentimentales Ende. Man streiche den letzten Akt, kürze besonders das Vorspiel (zu viel Erzählung!). Im „Leben der In sekten" haben die Eapek» das Arbeiterproblem im Ameisenakt angegriffen. Hier ist darau» ei» ganzes Stück geworden. Die Aufführung wurde durch die Mitwirkung de» Maler» Friedrich Kiesler sehr interessant. Das „technische Zeitalter" fing er mit eigenen Mitteln, geschult an denen der Konstruktivisten, ein. Es war ein verblüffende« Blitzen. Hin und Ler, Schimmern von Apparaten, Tönen von unterirdischen Stimme» besonder» im Vorspiel. Die Roberibühne ist klein, ohne Hiaterbühn«. Schade, daß Kiesler nicht eine wirkliche große Bühne mit Ausstattungsmöglich, leiten gegeben wurde. Diese erschreckenden Roboter» im schwarzen Kostüm, eine Schult« und ein Arm nackt. Vielleicht nimmt sich noch eine wirkliche (nicht Bonbonieren-) Bühne mit diesem Dekorateur de» phantastischen Werk» an, kürzt es robust. Ls müßte als übermodernes Gegenstück zu Toller» lyrisch pathetischem „Maschinenstürmer" hingebaut werden. Attr—1 vovUa.
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