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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 11.04.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-04-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192304115
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230411
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230411
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-04
- Tag 1923-04-11
-
Monat
1923-04
-
Jahr
1923
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einander aus der Grundlage des Recht» muß und wird die Oberhand gewinnen. Kollegen und Genossen! Im Namen der Arbeit nehmer der Zeche Gustav der Fried. Krupp A.-G.: Ruhet sanft! Werte Hinterbliebenen! Ich habe die Aufgabe, im Namen der Arbeitnehmer sämtlicher Krupp schen Werke, de» christlichen und deutschen Metall urbeiterverbandes, sowie der anderen Gewerk schaften, Korporationen und Einzelpersonen und Parteien weit über die Grenze Essens und des deut schen Reiches hinaus — jede einzelne zu nennen, würde zu weit führen — Ihnen unser herzlichste» Peileid auszusprechen. Wir werden bestrebt sein, so weit es in unserer Kraft steht, Ihr Los crleich- tcrn zu helfen. Ist der Schmerz um den Perlust auch noch so groß, wir dürfen nicht verzagen, denn das Leben ruft zu neuen Pflichten." Direktor Wendt. Mitglied des Direkto rium» der Friedrich Krupp A.-D., hielt folgende Rede: „Erschüttert rufe ich Eu<*> lieben Mitarbeitern, im Sinne der Leitung der Krupp-Werke ein letztes Lebe wohl zu. Harmlos, wie jeden Tag, gingt Ihr zur Schicht, ohne zu ahnen, welch furchtbares Geschick Euch erwartet. Mit der Werkeleitung wäret Ihr wie Eure Arbeitskollegen bestrebt, jeder an seinem Platze friedlich und ruhig mitzuhelfen an der Wieder- erstehung unserer Firma, die uns allen Brot und Nahrung gibt und damit auch Euer Teil dazu bei zutragen, daß unser armes deutsches Land nach dem furchtbaren Brand des Kriege» wieder emporblühe. Nun seit Ihr unserer Werkgemeinschaft entrissen worden. Ihr Jüngeren aus einem Leben von Lebensfreude und voller Hoffnung, Ihr Aeltereti aus einem Leben von Schaffensdrang und Sorge für Weib und Kind. Wir alle trauern um Euch: wir alle, die wir uns aus allen Teilen der Krupp-Unter nehmungen hier um Eure Särge versammelt haben, trauern mit Euren Familienangehörigen um Euch, denn auch uns wäret Ihr Familienangehörige. Um schloß uns doch mit Euch das enge Band der Zu sammengehörigkeit in gemeinsamer Arbeit wie ein Band eine große Familie eng umschlingt. Ihr fandet den Tod, weil Ihr Euch al» Deutsche fühltet, weil Ihr als Deutsche handeltet, so wie es gzrch unsere Freunde und Mitarbeiter taten, die jetzt" in der Gefangenschaft leiden und unsere Verwundeten, die ich gestern noch an ihren Schmerzenslagern be suchen durste. Sie sind heute mit ihren Gedanken bet uns. Ihre Namen werden in Krupps-Merken unvergeßlich bleiben, Euer werden wir Krupp- Werkleute stets in Ehren und Dankbarkeit gedenken wie der Helden aus unseren Werken, die im Kriege gefallen sind. Auch Ihr hieltet die Treue bis in den Tod. Habt Dank Ihr Freunde, ruhet sanft!" Für die Stadt Essen sprach der stellvertretende Oberbürgermeister Baasel. Darauf erfolgte im Beisein der Familienangehörigen die Beisetzung der Toten in drei Gräbern und die Einsegnung am Grabe. Die Trauerversammlung auf dem Ehren friedhof schritt nochmals an den offenen Gröbern vorüber. Um die Mittagsstunde war die gewaltige, erhebende Trauerfeier beendet. Opposition qegen Landesverräter strafwürdig »Igener Drahtbertch« de» Leipziger Tageblattes Frankfurt a. M-, 10. April. Der Redakteur Reinhardt vom Mirtelrheini- schen Polksblatt in Boppard wurde von dem französischen Militärgericht zu 2)4 Jahren Gefängnis und 100 000 Geldstrafe verurteilt. Das Urteil drückt aus, daß durch die redaktionelle Tätigkeit Reinhardts nicht nur die Sicherheit der Desatzungs truppen gefährdet worden sei; es wird ihm auch die Aufreizung zu Demonstrationen gegen die Sonder- bündlep als besondere Straftat ausgelegt. Danach wird zugegeben, daß nach Ansicht der französischen Machthaber die Sonderbündler Smeets und Dorten ebenso vor der deutschen Kritik zu schützen sind, wie die Besatzungsbehörden selbst. Oasprogramm neuen Regierung Dregdeu, 10. April. (Drahtbericht unserer Dresdner Schrifleitung.) Di, heutige erste Sitzung des Landtage» nach Ostern stand im Zeichen de» großen Tage». Auf dem Schloßplatz vor dem Stände- hau» hatte sich lang, vor der Sitzung schon «ine große Menschenmenge angesammelt, die begierig auf die programmatische Regierungserklärung wartete und Einlaß begehrt«. Ein größere» Schutzmannsausgebot sorgte für die Ordnung. Da» Hau» und die Tri bünen sind voll besetzt. Di« Sitzung selbst beg mit einer Verspätung von einer Stunde. Den ein zigen Punkt der Tagesordnung bildet die Entgegen- nähme der neuen Regierungserklärung. Vor Eintritt in die Tagesordnung erhebt si^ Präsident Winkler und verließt ein« Erklärung, in der dem feierlichen Protest gegen die Essener Mord- tat das tiefste Mitgefühl gegen die Hinterbliebenen angefügt wird. Die Abgeordneten haben sich -um Ausdruck des Protestes und der Trauer von ihr-« Plätzen erhoben. Daraufhin gab Abg. Böttcher (Kommunist) «in« Erklärung namens seiner Partei ab. Diese wisse sich in ihrem Proteste gegen die Bluttat einig mit den revolutionär«! Arbeiter^ Frankreichs. (Oho-Ruje rechts.) Die Kommunisten müßten aber die Mitschuld der deutschen Provokateure feststellen. (Lebhaft» Pfui- rufe, viele Abgeordnete verlassen den Saal.) Der Kampf gegen den französischen Imperialismus könne nur durchgeführt werden mit dem gleichzeitigen Kampf gegen di, deutsch, Bourgeoisie. (Lebhafte Unruhe rechts.) Darauf ergreift Ministerpräsident Dr. Zeigner das Wort zur Verlesung seiner Regierungserklärung „Als Arbeitsminister für den ausgeschiedenen Mi nister Ristau ist Landtagsabgeordneter Graupe be stimmt. Die Minister Fleißner (Kultus), Held (Fi nanz) und Fellisch (Wirtschaft) werden in ihren bis- herigen Aemtern bleiben. Dao Justizministerium werde ich bi» auf weiteres selbst fortführen. Die neue Regierung bekennt sich ausdrücklich zu den am 12. Dezember v. I. angekündigten gesetzgeberischen Maßnahmen." Der Ministerpräsident geht dann vor allem auf den Abwchrkampf an der Ruhr ein. Die Regierung sei d«: Ansicht, daß die Politik der Abwehr, des passi ven Widerstandes, möglichst rasch durch eine aktive Politik positiver Vorschläge ergänzt werden müsse. Jede sich ernstlich bietende Möglichkeit zu Perhand- lungen mit den feindlichen Regierungen müsse von der Neichsregiernng entschlossen ausgenützt werden. Er fährt dann wörtlich weiter fort: „Meine Regierung legt aber weiter Ge» wicht darauf, feierlich zu erklären, datz nach ihrer Ansicht eine Berftändigung mit Frankreich ohne grotze Opfer der besitzen» den Klagen Deutschland- nicht denkbar ift. Der Besitz verpflichtet, und weil sich die sächsische Regierung ganz besonder- als da- VertrauenSorgan der besitzlosen Mas» sen fühlt, hält sie die von ihr geforderte aktive Politik nur für möglich, wenn die besitzende« Klagen grotze Opfer leiste«. Meine Regierung verlangt tunlichst bald einen Sanierung-plan. Ferner fordert sie, datz vor Beginn irgendwelcher Ver handlungen mit der Entente nicht wnr die grotzen Unternehmerorganifationen, son dern auch die der arbeitenden Magen «nd die Länder gehört würden." Der Ministerpräsident wendet sich dann zur wirt schaftlichen Lage und betont, daß es ihm vor allem am Herzen liege, di« Entwicklung von der Privatwirtschaft zur Gemeinwirtschaft vorwärts zu treiben. Ein Landwirtschastskammer- gesetz, das ein demokratisches Wahlrecht bringe und den Einfluß de» landwirtschaftlichen Kleinbesitzes gegenüber dem Großgrundbesitz wesentlich erweitern soll, werde dem Landtag« zugehen. Mit Rücksicht darauf, daß die wirtschaftliche Not meist auch die Ursache der Kriminalität sei, werde weiter dem Land- tage ein Amnestiegesetz vorgelegt werden. Die Mißwirtschaft bei der Bolksernäbrung und jede Preistreiberei hoffe er dadurch besonder» nachdrücklich bekämpfen zu können, daß zur Kontrolle der Preisbildung besonder, Ausschüsse bei den Preis- Prüfungsstellen eingerichtet würden, die au» Ver tretern der Arbeiter und Angestellten bestehen würden. Einem Abbau der Löhne und Ge hälter werde er sich mit aller Entschiedenheit widersetzen, solange nicht die Werterhöhung der deut- schen Mark im internationalen Verkehr eine erhebliche Preissenkung im innerdeutschen Wirtschaftsleben zur Folge habe. Der Minister wendet sich dann zu den Haupt fragen der Sozialpolitik, insbesondere zu dem Aus- bau der Erwerbslosenfürsorge. Dem Arbettsmarkt werde er die größte Aufmerksamkeit zuwenden und nichts unterlassen, ihn neu zu beleber. Schon mit Rücksicht darauf werde er jevem Versuch, den A ch t st u n d e n t a g anzutasten, entschieden ern- gegentreten. Auch auf die Volksbildung müsse größter Wert gelegt werden. Zu diesem Zwecke werde die Regierung die Reform der Lehrerbildung zielbewußt fördern und hoffe, in den zu begründen den pädagogischen Instituten akademische Pflanz stätten einer vorbildlichen Erziehungstheorie und -präzis zu schaffen. Gegen Schluß seiner Rede wendet sich dann der Ministerpräsident zu der nach seiner Ansicht be drohten Republik. Der Ehef des deutschen Heeres, General von Seeckt, habe am 23. März in einem Er- laß an die Reichswehr festgestellt, daß die Reichswehr für politische Ziele rechtsputschistischer Organisationen angegangen worden sei und daß diese Versuche leider nicht immer vergeblich gewesen seien. Die sächsische Regierung könne es darum, solange dieser Zustand dauere, nur dankbar begrützen, wenn sich die Ar beiter den Organen der Regierung zur Ver fügung stellten, um im Bedarfsfälle unter Leitung staatlicher Polizei mit ihrem Lebe« alle gewalttätigen und ungesetzlichen Angriffe gegen die Republik abzuwehren. Die Regierung habe aber das feste Ver trauen, datz sich kein Mitglied des Ord nungsdienste- an irgendeiner provokatori schen Handlung beteilige. Zum Schluß fordert der Minister dann allgemein zur Mitarbeit auf. Er und seine Kollegen hätten den Eid auf die sächsische Verfassung geleistet. (Zwischen- ruf rechts: Hoffentlich wird es kein Meineid.) Er betrachte es al» seine und seiner Kollegen Aufgabe, die Republik aufzubauen und nicht zu zerstören. Darauf wird die Sitzung geschlossen und die Er klärung der Parteien zur Regierungserklärung auf die nächste Tagesordnung am Donnerstag festgesetzt. Gleichzeitig wird an diesem Tagö eine Anfrage des Abg. Dr. Schneider und sämtlicher Mitglieder der Fraktion der Deutschen Dolkspartei an den Landtag gerichtet werden, in der es heißt: An verschiedenen Orten Sachsen» mehren sich die Fälle, daß politische Versammlungen durch kommunistische Hundertschaf, ten gesprengt und ihre schutzlosen Teilnehmer be- leidigt werden. Hat die Regierung ausreichende Maßnahmen zur Bestrafung der Schuldigen getroffen oder wird anderseits die Regierung verantworten, daß dann auch von der andern Seite mit allen zweck mäßigen Methoden ein Selbstschutz eingerichtet wer- den muß? Die auf diese Woche anacsetzte Verhandlung des Staatsgerichtshofes gegen Ti liessen ist auf un bestimmte Zeit verschoben worden, weil noch weitere Erhebungen notwendig sind. Vie rheinische Sozialdemokratie gegen einen Pufferstaat Eigener Drahigrrtchtve» «etpgiger Tageblatt«» «öl», 10. April. Gestern tagten in Köln Beauftragte der rheini- schen Sozialdemokratie au« der ganzen Provinz. Ein- stimmig wurde eine Entschließung gefaßt, in der es u. a. heißt: „Die rheinische Sozialdemokratie begrüßt die gegenseitigen Sicherungen, die einen neuen Krieg zwischen Frankreich und Deutschland unmöglich machen. Sie lehnt aber die als Sicherheit geforderte Errichtung eines rheinischen Bundesstaate» auf Be fehl Frankreichs unter fremder Kontrolle als eines freien Volkes unwürdig mit aller Entschiedenheit ab. Niemals werden sich die rheinischen Sozialdemokraten wie ein Kolonialstamm behandeln lassen. So sehr die Sozialdemokraten zu großen Opfern, den Folgen des verlorenen Krieges, bereit sind, so unermüdlich werden sie alle Versuche bekämpfen, das Land zu zer stückeln und die Hoheitsrechte der Deutschen Republik zu schmälern." Anpassung Ler Dehatter an die Teuerung Drahtbericht unserer Berliner rwrtstleitung Berlin, 10. April. In der vom WTB. ausgcgebenen Mitteilung über den Abschluß der Verhandlungen zwischen der Regie rung und den Führern der Spitzenorganisationcn war mitgeteilt worden, daß mit Rücksicht auf die Stützungsaktion der Illark und den notwendigen Preisstillstand und Preisabbau „von einer Teur- rungsaktion in der bisherigen Art Abstand genommen werde." Wie sich numehr ergibt, wird mit dieser vor sichtigen Ausdrucksweise nicht etwa der Ver zicht auf eine weitere Anpassung der Gehälter und Löhne an die Teuerung umschrieben, sondern es han delt sich in der Tat nur um eine Auioabe „der bisherigen Art" der Zulagen. Statt dessen ist nämlich im Reichsfinanzministerium vereinbart worden, daß den Beamten am IS. April drei Viertel, am 16. Mai ein weiteres Viertel der Monatsgehälter ausgezahlt, also für die vier Monate Februar bis Mai fünf Monats, gehälter ausgezahlt werden. Entsprechend werden den Reichsarbeitern vier Wochenlöhne, allen Gruppen also 25 v. H. Zulage ge währt. Oesterreich spart Wien, 10. April. Der außerordentliche Kabinettsrat hat die Ver ordnung der Bundesregierung betreffend Ver ringerung der Zahl der Ministerien mit den in den Parteiverhandlungen vereinbarten Ver änderungen angenommen, wonach es in Zukunft nur folgende Ministerien geben wird: das Bundeskanzler amt, die Ministerien für Unterricht, soziale Verwal tung, Finanzen, Land- und Forstwirtschaft, Handel, Verkehr und Heereswesen. Mit dem Bundeskanzler amt werden ide Geschäfte des Ministeriums sii-- wärtiges, des bisherigen Ministeriums des Innern und des bisherigen Justizministeriums verbunden. Die Führung der auswärtigen Angelegenheiten kann unbeschadet des Fortbestandes der Vereinigung des Ministeriums des Aeußern mit dem Bundeskanzler amt einem Minister ohne Portefeuille übertragen werden, der für seine Funktionen den Titel eines Ministers für auswärtige Angelegenheiten führt. Die englischen Blätter melden, daß die ameri- kanischeRegierungbei dem gemischten deutsch amerikanischen Schiedsgericht Ersatzansprüche an Deutschland auf Grund von Unterhandlun- gen in Höhe von 187 Millionen Dollar für 12 3IS Einzelansprüche geltend gemacht habe. Oie letzten Haberer Don E. kknrolü (München) Dor 25 Jahren haben die Gendarmen die letzten Haderer vor die Gerichte geschleppt oder in die Schweiz oder nach Amerika gejagt. Ein Brauch »ft damit ausgerottet worden, der in seinen Anfängen wohl bis auf Karl den Großen geht und uraltes Rechtsempfinden bis in unsere Tage hinein wach gehalten hat. In jenen großen oberbayerisch.'n Pro zessen der neunziger Jahre hat das juristisch« Recht den endgültigen Lieg über seine „Konkurrenz", das Dolksrccht, errungen und die letzte Massendokumcn- tation diese» Rechtsempfindens mit schweren Suu- fen belegt. Gebrochen sind die letzten Haderer an dern Zuchthaus gekommen, Haus und Hof war nie.eu verloren und niemand hatte mehr Lust, Märtyrer eines alten Brauches zu werden. Seit jener Z^t, die Hunderte von Bauern in» Gesänqnir^gebracht hat, hat man nichts mehr gehört von Haderern und Haberfeldtreiben; Telephon, Motorrad und Schein werfer wären jetzt ja auch Todfeinde jedes „Drei- bens" im alten Stil, und heute ist e» bereits Schau- stück geworden, das Fremdenorte ihren Gästen nächt licherweile von Debirgstrachten-Erhaltungsvereinen vorführen lassen. Diese Entwicklung war kein Wunder, denn au» dem alten Brauch war «in Mißbrauch geworden Seine Totengräber waren die Haberermeister selber. Einst war da» Haberfeldtreiben ein Recht, später die notwendige Ergänzung und Korrektur der Rechts pflege. Wo Richter versagten oder Gemeinheiten straflos blieben, weil e« keine Paragraphen gegen sie gab, kam in finsteren Nächten unter Böller schießen, Dewehraeknatter und Hussa und Hallo die wilde Jagd rußgeschwärzter Haderer, und unter dem Johlen der Meng« sagte der „Rugmeister" in derben Knüttelversen den ungestraften Sündern die Meinung der Allgemeinheit. Aber man tat die» nicht auf bloße» Gerede hin; erfahrene Grauköpfe, deren Leben selbst makello» sein mußte, hatten über die Angeschuldigten zu Gericht gesessen, ehe man zum Treiben lud. Mit dem Au»bau der Rechts pflege und des modernen Staate» mußten die Haderer mit den Behörden in Konflikt kommen. Ein langjähriger Kampf setzte ein. Erst als die Kirche ihren Bannstrahl gegen die Haderer richtere, waren sie wie weggefegt. Fast 30 Jahre gab» im Isarwtnkel kein Treiben mehr. Aber es lebten noch alte Haderer. Unter ihnen auch der Daxer von Wall, ein übles Subjekt, dem Notzucht und andere häßliche Dinge nicht» fremde» waren, ein Mann von ausgesuchter Roheit. Er machte sich zum Haberermeister und fand Gleich, gesinnte, die ihn anerkannten. Al» Oberster de» Habererbundes tonnte er den verhaßten Beamten am besten die Hölle heiß machen. Die Erzählun- gen der Väter und Großväter von den geheimnis- vollen Schaudern der nächtlichen Treiben hatte die Sehnsucht der Jugend schon seit langem geweckt, und als 1893 zu einem neuen Treiben geladen wurde, gab» einen Zulauf wie noch nie. Man fand De- fallen an dem nächtlichen Geschieße und den zotigen Knittelversen, die schmutziger waren als da«, was man Len „Getriebenen" vorwarf. Das „Dehetm- komitee der Haderer" bestand nicht mehr aus Ehrenmännern. Im Oktober kam es dann zu dem großen Mieß- bacher Treiben, dem größten, da» man je ge- sehen. Tausend Haderer nahmen daran teil. Ader die Behörden konnten auf dem Postanger, dem vor- aussichtlichen Schauplatz, noch rechtzeitig eine ge heime Lichtanlage schaffen. Und Helle» Licht scheu ten die Haderer mehr als Kugeln. Aber auch st« erfuhren davon und wählten «inen anderen Platz. Al» es dunkel wurde, krachten in der Fern« Böllerschüsse und auf den Bergen flammten Holz stöße auf: das Signal zum Sammeln! Um Mitter nacht näherte sich der Habererhaufen dem Städtchen. Hunderte von Laternen wackelten durch die Nacht, ein unheimlich-schönes Bild. An einer Höhe macht» der Haufen halt. Und nun wurde die Stille der Nacht zu einer brüllenden und knatternden Hölle. Stürmende Gendarmen wurden mit scharfen Schüs sen empfangen. Einer wurde schwer verwundet. Aber auch sie schossen und trafen. Bei den ersten Schüssen waren die Lichter erloschen; schweigend und in völliger Ordnung zogen sich dir Haderer langsam zurück. Die Gendarmen folgten, ober st« konnten keinen erwischen. Dir Haderer frohlockten am nächsten Tag, al« ste erfuhren, daß ein« ihrer Kugeln einen Gendarmen entmannt hatte. Aber bald kam man auch auf die Spur eine« verwundeten Haderer», den der alte Daxer schon hatte nieder schießen wollen, um jeden Perrat zu verhindern. Aber der Verhaftete erklärte, er sei von Kartoffel dieben angeschossen worden, und so mußte man ihn freilaffen. Man ging nun gegen die Bauernbur- schen vor, die in der fraglichen Nacht nicht nach Hause gekommen waren. Aber nun opferten sich ihre Mädchen und nahmen lieber tapfer die Schande auf sich: ihre Burschen seien in der Nacht bei ihnen gewesen! Als auch das nichts half, griffen die Behörden zu einem drastischen Mittel. Sie fingen einfach wahllos zu verhaften an. In kurzer Zeit saßen über 300 Bauern im Gefängnis, schuldig und unschuldig. Jetzt kam Schrecken unter die Haderer. So viel Bauernburschen sind noch nie ausgewandert wie in diesen Tagen der „Habererverfolgung". End- lich machte man auch den Haberermeister dingfest. Der war nach dem Treiben im Land« umhergezogen und hatte die zotigen Rugverse, die er sich zu Tau- senden hatte drucken lassen, verhausiert. Ein gute» Geschäft! Al» aber die Oeffentlichkeit erfuhr, was der Meister für ein Subjekt gewesen, schwanden die Sympathien für die Haderer, und auch die Bauern sahen, wohin das Habern führte: in» Ge fängnis und Zuchthaus und von Lau» und Hof! Noch einmal erhoben die Haderer ihr Haupt. Der alte Daxer fand einen Nachfolger in seinem Sohn und dem Dauern Killt. Die brachten im Jahre 1897 noch zwei Treiben, in Poing und m Sauerlach, zustande. Aber dort hat man alle er wischt! Wieder gab» hohe Strafen, und wieder zeigte es sich, daß es diesen letzten Kaberern nicht darum zu tun war, straffreie Gemeinheit zu brand- marken, sondern Rache am Gegner zu üben. Und nicht einmal an eigenen Gegnern, sondern auf Bestellung und gegen Bezahlung!Und der Besteller diele» letzten Treiben» in Sauerlach war der — Bürgermeister von Sauerlach. (Anm. der Red.: Nachfahren der Mießbacher Haberer sind die Hitlerleute; auch unter diesen nationalisti schen Haderern ist ein hübscher Prozentsatz, wie die Münchner Dost kürzlich unter Belegen festgestellt hat, schon schwer bestraft.) Bach, wie ihn da» neue Rußland steht. Die Moskauer Iswestija würdigen gelegentlich der Auf führung de» ganzen „Wohltemperierten Klavier»" von Dach durch einen Moskauer Pianisten in einem „Bach und wir" überschriebenen Artikel die Bedeu tung Bachs für die Revolutionierung der Musik. Da» Blatt meint, Bach sei nur von Beruf formal Kirchenmusiker gewesen; in Wirklichkeit sei er der gigantisch« Revolutionär der Kunst, ein heidnischer Magier. Man müsse an Bach nicht in Andacht, son dern in Verwegenheit kftrantreten. Dies wäre zwar I ein« Verletzung der feststehenden Tradition, doch es I gelte eben, Bach der Erd« wiederzugewinnen, um seine ganz? Sonnigkeit und Lcbensfülle, seine nur ver hüllte, doch ungestüm hervorbrechende Sinnlichkeit in die Erscheinung treten zu lassen. Bach stehe unfern heutigen Stimmungen so nahe, daß erst letzt die Zeit gekommen sei, den Meister sinngemäß zu interpre tieren. Lin Dichter als Schöpfer einer Drucktype Stefan George ist nicht nur ein großer Dichter, sondern er hat sich auch noch auf einem andern Lebtet mit Glück betätigt, nämlich in der Schöpfung einer Druckschrift, in der die meisten seiner Werke und der Bücher seine» „Kreises" gedruckt sind. Ueber die Entstehung dieser sog ^TO-Schrift" macht Ludwig Sternaux in dein von ihm heran ^gegebenen „Sammler-Eabine:" interessante Mitteilungen. George, den schon die Erstausgabe de» seiner Handschrift nachgebildetcn Drucke seiner Tante-Uebertragungen al» nicht alltäglichen Schristkünstler zeigte, ließ zunächst für seine Werke eine römische Antiqua verwenden, gestaltete dann aber eine eigene Schrift, für die er das Alvhabet der bereit» vorhandenen sog „Akzidenz Grotesk" benutzte. Er zeichnete an Stelle der ibm nicht genehmen Lettern eigene Buchstaben hinein, die deutlich ihre Herkunft von der griechischen Schrift verraten, und zwar tat er dies selbst, nicht, wie vielfach an genommen, sein Buchkünstler Melchior Lechter, der im Gegenteil jede Mitarbeit al» gegen sein künstlerische» Gewissen rundweg abgelehnt haben soll Die Schrift, die so entstand, ist ein Zwitter, aber, sagt Sternaux, „was George da. mit vermutlich erreichen wollte, hat er er reicht: auf der einen Seite die noch stärkere Abgrenzung de» .^kreise»" gegen da» übrige Schrift tum und die profane Menge, auf der anderen da» klassisch kühle, fast starre Druckbild der Bücher, die au» dem Kreise hervorgtngen. — «Beneid n-werter Poet! Er ist in jedem Sinn» „Schrtftkünstler". Er zirkelt die Buchstaben für seinen aristokratischen Zirkel und läßt die Ver wirrung der Welt Verwirrung sein! Abscheuliche Zeitslucht, die sich „goethisch-abgeklärt" in ein weltverschlossene«, behaglich schmausende» Aesthe- tentum verkriecht; wie der Altmeister, der Weimaraner, getan, der, wenn auch die Zeit au» den Fugen ging, sich in seine Farbenlehre und in seine chinesischen Studien flüchtet«).
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