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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 10.04.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-04-10
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192304105
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230410
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230410
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-04
- Tag 1923-04-10
-
Monat
1923-04
-
Jahr
1923
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Sette 2 84 worden. In der Tat entspricht es den all. gemeinen diplomatischen Gepflogenheiten, wenn inan jetzt am Quai d'Orsay deutlich von dem Fühler, den Loucheur in London ausgestrcckt hat, »brückt, denn Poincare wird das Schicksal seines Kadwell» nicht an einen Versuchsballon knüpfen, dessen Erfolg noch ungewiß ist. Trotzdem deuten die Empfänge Loucheurs nach seiner Rückkehr bei MUlerand und Poincar< darauf hin, daß man am Quai d'Orsay sehr wohl um die Ab sichten des früheren Ministers in London gewußt hat, und daß dieser sogar in amtlicher Mission dorthin entsandt worden ist — trotz aller Dementis. Vas Disziplinarverfahren gegen Zreiherrn von ZmÄ Drahtbertcht unserer Dresdner ««rlstlettnu» Dresden, 9. April. Dor dem Disziplinarhos beim Landgericht Dresden fand die Verhandlung gegen den früheren Amtshauptmann von Leipzig, jetzigen Oberregie- rungsrat Freiherr» von Finck in Zwickau statt. Durch Urteil der Disziplinarkammer vom 20. Sep tember 1922 war dem Antrag der Regierung, gegen Oberregierungsrat von Finck auf Dienstentlassung zu erkennen, nicht stattgegeben worden. Legen diese Entscheidung hatte die Regierung Berufung ein gelegt. In der Derufungsverhandlung, in der Freiherr von Finck wiederum durch Rechtsanwalt Iustizrat Dr. Meding (Dresden) verteidigt wurde, wurde die Berufung verworfen, so daß also der Antrag auf D i e n st e n t l a s s u n g nunmehr end- gültig abgelehnt ist. Vie Putschgefahr in Thüringen tttgrncr Drahtbertcht de» Leipziger Tageblattes Weimar, 9. April. Die von vielen Seiten, besonders der rechts- stehenden Presse, immer wieder stark angczwc:selte Richtigkeit, und die von der thüringischen Staats regierung aufgcsundenen Dokumente zu einem von rechtsradikaler Seite geplanten Putsch, veranlaßten das Innenministerium für Thüringen, in diesen Tagen eine größere Pressekonferenz in Weimar einzuberufen. Der von zahlreichen Vertretern Thüringens und auswärtiger Zeitungen besuchten Versammlung wurden dabei aus dem überaus reich haltig vorliegenden Material besondere Beweis stücke zum Teil vertraulich mitgeteilt und vorgelegt, die keinen Zweifel darüber lassen, daß die vor- beugenden Maßnahmen der thüringischen Staats regierung durchaus gerechtfertigt sind. Trotz aller Einschränkungen, die dabei aus staatspolitischen Gründen oder mit Rücksicht auf schwebende Unter suchungsverfahren geboten waren, genügte diese Bekanntgabe, um erkennen zu lassen, wie die in engster Beziehung zur Reichswehr und bayerischen Schutzwchr stehenden Bestrebungen der Deut ch- völkischen Freiheitspartci und der Nationalsozialifti- schen Arbeiterpartei darauf abziclten, bereits ür Ende März oder Anfang April den Bür gerkrieg heraufzubeschwörcn. Die Hauptstützungs- punkte der Bewegung innerhalb Thüringens be- finden sich im Süden und Osten des Landes: Loburg und Neuenburg, die thüringischen Or- aanisationszcntren. Vormarsch- und Etappenvläne tagen bereits vor. Das nicht mitgeteilte preußische Material soll noch viel ausführlicher und schwer- wiegender als das thüringische sein. kln-st vor ver Verantwortung München, S. April. Dor dem süddeutschen Senat des Staatsgerichts hofes soll sich in den nächsten Tagen der Schriftleiter des Miesbacher Anzeigers Weg er wegen eines Artikel» gegen den seinerzeitigen Reichejustiz» Minister Radbruch verantworten. Im Miesbacher Anzeiger wird nun erklärt, daß es Weger ab lehne, nach Leipzig zu gehen, selbst wenn dadurch ein Konflikt mit der bayrischen Regierung entstände. Das Blatt hofft, auf diese Weise die ganze Frage des Staatsgerichtshofes wieder aufzurollcn. Schlimmer als Landesverrat Die in Kassel verhafteten deutschvölkischen Hoch verräter Brüning und Genossen haben u. a. 4V zum Teil hochgestellte Personen in Hagen den l-elprlger Lagedlatt Franzosen fälschlich al« Angehörige der rechts- radikalen Organisationen bezeichnet. Die ahnungslos Verdächtigten sind von der Kasseler Kriminalpolizei benachrichtigt worden. Die Verhafteten haben sich gegen den Erlaß des Reichspräsidenten vom 3. März dieses Jahres vergangen, der eine Mindeststrafe von zehn Jahren Zuchthaus festsrtzt. Außer Brüning wurden der 22jährige Hage- mann, der 21jährige Waßmuth aus Cassel und der 31jährige Franz Wanderer aus Hann.- Münden verhaftet. Bayrische Justiz München, 9. April. In dem Landfriedensbruchprozeß wegen der na tionalistischen Ausschreitungen gegen die Münchner Poss sind die meisten Angeklagten zu je vier Monaten Gefängnis verurteilt worden. In zwei Fällen wurde auf Strafen von drei und fünf Monaten er kannt. Die Nationalsozialisten sind freigclassen worden. Sech-ehn der Verurteilten wird die fünf wöchige Untersuchungshaft ungerechnet. * Wie der Regensburger Anzeiger mitteilt, gibt der Regensburger Etadtrat und Oberbürgermeister Hipp bekannt, daß der Werkstcittengehilfc Fritz Wagcn- vfeil unter dem dringenden Verdacht der Täter schaft an der Tötung des Dahnarbeiters Stöckel auf Anordnung der Staatsanwaltschaft verhaftet worden ist. Es ist einwandfrei fcstgestellt worden, daß ein Angehöriger der Landespolizei als Täter nicht in Frage kommt. Sozialdemokraten und auswärtige Politik In einer öffentlichen Versammlung, die im Volks haus von der VSPD am Freitag abend abgehalten wurde, führte Reichstagsabg. Dr. Breittcheid über das Thema „Sozialdemokratie und auswärtige Politik" folgendes aus: Die ältesten Führer der deutschen Arbeiterschaft betrachteten die auswärtige Politik unter dem Ge sichtswinkel der Möglichkeit einer Revolution. Ls ist darum verständlich, daß das zaristische Rußland als der Erzfeind betrachtet wurde und daß man damals einen Krieg gegen Rußland als das Mittel betrachtete, zur Revolution zu kommen. Sogar noch bei Ausbruch des Weltkriege» ließ sich mancher von diesem Gedanken mitreißen, der von der Freiheir Europas träumte. Man vergaß aber, daß das Ver hältnis der Nationen zueinander anders geworden war. Wir Sozialisten wußten, daß einem kapitalisti schen Kriege auch ein kapitalistischer Frieden folgen muß. Trotzdem übertraf der Frieden von Versailles unsere Befürchtungen. Und trotzdem waren wir für Unterzeichnung dieses Friedensvertrages, weil leine erfreulichere Lösung gefunden werden konnte, und obwohl wir wußten, daß Deutschland niemals in der Lage sein würde, diese Forderungen zu erfüllllcn. Aber wir wollten wenigstens unfern ehrlichen Willen zur Wiedergutmachung kundtun in der Hoffnung, daß der Gegner im Laufe der Zeit uns bessere Be dingungen geben würde. Wir sind der Meinung, daß die Kapitalisten aller Länder, die für den Krieg ver antwortlich sind, die Lasten auf sich zu nehmen haben. Die Kommunistische Partei war damals gegen die Erfüllungspolitik', jetzt aber hat Klara Zetkrn ausge sprochen, daß nicht» andres übrigbleibe. Deutschland ist moralisch und juristisch zum Wiederaufbau ver pflichtet. Wir wollen offen erklären, daß Deutsch land wohl in der Lage gewesen wäre, die Tclezra- phenstangen an Frankreich zu liefern, wenn nicht die Unternehmer so horrende Preise gefordert hätten, daß die Regierung sich weigerte, die Lieferung abzu- nehmen. So ist mit dem Schicksal des deutschen Volke» gespielt worden. So kam es entweder durch Bureaukrotie oder Sabotage zur Ruhrbcsetzung. Trotz der Haltung der deutschen Kapitalisten muß es nun unsere Aufgabe sein, den Kampf gegen den französischen Militarismus aufzunchmen. Aber wir beschränken uns auf den passiven Widerstand. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, den französischen Kapitalisten entgegenzutreten, aber es ist nicht unsere Aufgabe, den deutschen Revanchepolitikern zu dienen. Auch darf die Passivität nicht das A und O unserer Abwehr sein. Wir können im Ernst nicht darauf rechnen, daß wir damit die Franzosen zum Abzug bewegen, denn das fran zösische Prestige ist engagiert. Drcitschcid erörterte sodann die Frag«, ob sich ein Staat finden werde, der zu unseren Gunsten interveniert. Diese Frage ist zu verneinen, es uaä Urmäelsrettung bleibe daher nur der Weg der Verhandlungen übrig. Unsere Passivität muß daher mit der Aktivität in der äußeren Politik gepaart sein. Die Regierung sollte endlich klar und deutlich sagen was sie will. Vie längste Nabeldepesche In dem Memoirenwerk des Präsidenten Wil son wird eingehend darüber berichtet, wie der Inhalt des Frredensvertrages von Versailles in die Welt verbreitet wurde. Gleichzeitig geht aus diesem Bericht hervor, daß diese „Friedens- botschaft die längste Kabeldepesche war, die jemals aufgegeben wurde. In den Memoiren heißt es: „Eine der schwierigsten Aufgaben für die Zei tungen der ganzen Welt bestand in der Uebermittelung des Hauptinhalt» des Friedensvertrage». Als der Vertrag sich seiner Beendigung näherte, wurde uns plötzlich sein ungeheurer Umfang klar. Er war fast so lang wie ein Dickenscher Roman. Falls man ihn gleichzeitig in alle Welt gekabelt hätte, würde das eine völlige Unterbrechung des gesamten Nachrichten dienste» auf Tage hinaus bedeutet haben. Baker, der Pressechef der amerikanischen Regierung auf der Konferenz, erörterte diese Angelegenheit eingehend mit Wilson, und schon ehe der Diererrat eine Enr» schcidung etroffen hatte, ob der Vertrag selbst sofort bckanntgegebrn werden sollte, oder nicht, wurde Baker angewiesen, augenblicklich eine gekürzte aber autorisierte Ausgabe des Friedensvertrages und der verschiedenen in ihn aufzunehmenden Klauseln aus- zuarbciten. Dieser Auszug umfaßte immer noch un gefähr 14 000 Worte, und die Frage seiner lieber- Mittelung nach den verschiedensten Teilen der Welt in einer Form, die den Zeitungen aller Nationen die gleichen Chancen bot und eine vorzeitige Veröffent lichung in keinem Lande ermöglichte, bereitete ganz besondere Schwierigkeiten. Baker berief daher eine Versammlung der Führer der amerikanischen, britischen und französischen Presse samt ihren Derkehrssachverständigen nach dem Hotel Dufayel ein, um diese Frage zu erörtern. Die zu bewältigenden technischen Probleme waren ganz un- gewöhnlich schwierig-, doch man einigte sich, die Welt ganz methodisch so cinzuteilcn, daß der Auszug jeden Teil der Erde mit Hilfe je einer Uebermittelung er reichen würde. Man richtete es z. B. so ein, daß die Vereinigten Staaten den Auszug für Nordamerika über Kanada senden sollten, wo er für die kanadische Presse ausgenommen wurde. Don dort ging er nach New Jork für die amerikanischen Zeitungen. In gleicher Weise sorgte man für die Weitergabe des Berichtes an die Westküste Südamerikas und an Japan und China. Die Engländer übernahmen rs, ihn ihren eigenen Besitzungen in aller Welt — Australien, Südafrika und Indien — ferner der Ost küste Südamerikas und den skandinavischen Ländern zu übermitteln. Die Franzosen endlich verpflichteten sich, nach entsprechender Mitteilung der zu benutzen den Wellenlänge, ihn von der großen Lyoner Station nach allen Himmelsrichtungen zu funken, wo er von allen drahtlosen Stationen des gesamten europäischen Kontinents ausgenommen werden konnte. Das Ganze war eine Leistung, wie sie nie zuvor in der Welt ver sucht worden war und bot ein lebendiges Beispiel der inoffiziellen Zusammenarbeit eines Völkerbundes." Ehrenerklärung für deutsche U-Voot-Nonnnandanten Der frühere amerikanische Admiral Sims er- klärte nach einer Meldung der New Pork Tribüne im City Club von Los Angeles am 3. April: „Es ist kein authentischer Bericht über Grausamkeiten vorhanden, die je von dem Kommandanten oder der Besatzung eines deutschen Unterseebootes ver übt worden wären. Die Preßbericht« über furchtbare Grausamkeiten dienten nur Propagandazwecken. Die britischen Marineberichte und unsere eigenen sind voll von Meldungen, aus denen hervorgeht, daß die Kom- Mandanten deutscher Unterseeboote sich bei der Rettung der Bemannungen und der Passagiere der von ihnen versenkten Schiffe hilfreich betä tigten. Wenn sie nicht imstande waren, die Schiffe in Sicherheit zu bringen, versuchten sic stets, durch Funkspruch andere Schiffe über die Lage des beschädigten feindlichen Schiffs zu benachrichtigen." vleostsg, üeu 10. Lpr!I Poet und Bürgermeister Zum Tode Georg Reicke» Nicht allzu oft hat sich in der deutschen Literatur Goethes äußerliches Vorbild wiederholt — Ver waltung und Poesie, Beamte und Dichter sind nur selten eine innige Ehe miteinander eingegangen. Der wenigen einer, in deren Wesen und Geistigkeit beide voneinander so verschiedenartige Anlagen verkörpert gewesen sind, war Georg Reicke, der Berliner Bürgermeister, der viel zu früh, noch nicht 60 Jahre alt (wie bereits in einem Teil der Auflage gemeldet) gestorben ist. Reicke war mehr denn nur ein schreibender Verwaltungsbeamter; er trug den Beruf des Dichters tief im Herzen, und er war doch ein genug aufs Reale gestellter Geist, um im Hauptberuf Amt und Würden auf seinen Schultern zu tragen. Und weil er ein Dichter war, legte der Aktensianb keinen Meltau auf seine feinempfindende Seele. Georg Rcickes dichterische Werke füllen keine impo- sante Gesamtausgabe. Aber seine Romane wie seine Dramen und die Bände seiner Lyrik tragen in sich das Vollgewickt einer Natur und die gereifte Form literarischen Könnens. Von der naturalistischen Be wegung, deren Zeitgenosse er war, erfüllt, an Ibsen scher Problematik geschärft, hat er mit seinen Büh- nenwerken an die Tiefen des modernen Lebens ge rührt und mit eindringlicher Beobachtung Charaktere gezeichnet, die den Kampf der Persönlichkeit kämpfen. In dem tragischen Dreiakterzyklus „Märtyrer" leuchtet der Dichter in die Heldentaten oder vielmehr in die Opferungen der vier Pfähle hinein, in jene Lebenskämvfe unserer Gesellschaft, die die Kräfte lähmen und den Daseinsmut zerbrechen. Den schwer sten Kampf einer Persönlichkeit, die um Befriedigung ihrer innersten Forderungen ringt, hat er in seinem Roman „Das grüne Huhn" mit stärkster Innerlichkeit behandelt. Eine feine, bisweilen subtile Beobachtungs gabe spricht auch aus seinem Roman „Im Spinnen winkel" und aus dem später erschienenen Buch „Der eigene Ton". Ais er gar in den Zeiten der lex Heinze mit führenden Männern des deutschen Geisteslebens zu sammen den Gocthebund ins Leben rief, da suchte man sich des unbequemen Konsistorialrals zu ent ledigen, indem man nach einer Reihe versteckter An griffe seine Versetzung nach Königsberg betrieb. Aber Reicke, der diese Versetzung in ihren Motiven klar durchschaute, war nicht der Mann, eine solche Krän kung still hinzunchmcn; er war entschlossen, den Ab schied zu nehmen, und es bedurfte des klugen Ein greifens Bernhard Bülows, des damaligen Kanzlers, um Reicke, in der Eigenschaft als Regierungsrat im Reichsversicherungsamt, einen anderen Wirkungskreis in Berlin zu sichern. Als bald darauf das Amt des Zweiten Bürgermeisters von Berlin zu besetzen war, da war es wiederum Bülow, der der Berliner Stadt verwaltung Georg Reicke als einen Kandidaten vor schlug, der neben den unerläßlichen Fähigkeiten eines geschulten Derwaltungsbeamten auch die Eigen- schäften der freien, geistigen Persönlichkeit besaß, die Deutschland größtes Gemeinwesen mit Recht an seiner Spitze zu schon wünschte. Fast einstimmig gewählt, wurde Reicke auch rasch die königliche Bestätigung zuteil, die sein Vorgänger Kauffmann seiner frei sinnigen Anschauungen halber, vorcnthaltcn worden war. Als Bürgermeister von Berlin hat Reicke feine Persönlichkeit nie verleugnet. Er wußte innerhalb des gewaltigen Derwaltungsmechanismus da, wo cs am Platze war, künstlerischen und ästhetischen Be strebungen zur Geltung zu verhelfen; um die Aus- gestaltung des Märkischen Museums, der Stadt bibliothek, um die Schaffung neuer und die zerr gemäße Pflege alter Parkanlagen, hat er sich nach Kräften verdient gemacht. Erst die große Umwälzung am Ende des Krieges brachte seinen Rücktritt vom Amte, gewiß nicht zum Vorteil der Stadt Berlin. Wohl war ihm, der bis dahin nur in den Abend stunden und auf Urlaubsreifen den Musen zu diener: vermochte, nun Gelegenheit zu unbehinderter litera rischer Tätiakeit gegeben, und eine große Zahl er zählender wie dramatischer Enwürfe ist in diesen drei Jahren entstanden. Aber cs war ihm nicht vergönnt, diese Saat ausreifen zu sehen; eine Grippe, an die sich eine schwere, langwierige Lungenentzündung an schloß, zermürbte seine Kräfte und setzte mit ihren Folgen seinem Leben zu früh ein Ziel. 0r. T. Lueindes Heldentum Don 0»»lp Im dritten Monat ihrer Liebe zu Hippolyt sagte Lucinde: „Die Platanen sind schon kahl, und Oktober sonne hängt in den leeren Zweigen: es ist an der Zeit, mein Freund, daß ich mir einen neuen Winter hut kaufe." („Alles Unglück brachten Hüte," dachte Hippolyt bei sich.) Als tags daraus Lucinde zum Rendezvous kam, trug sie einen Hut von orangefarbenem Velvet, mit schwarzem Lackleder abgesctzt. („Dieser Hut ist abscheulich," dachte Hippolyt bei sich.) Dann gingen beide selbander in den herbstlichen Park spazieren. Ob seiner Schweigsamkeit befragt, sagte Hippolyt verdrießlich, es gefalle ihm der Hut nicht. Der Hut wäre sehr schön, erwiderte Lucinde. Hierauf meinte Hippolyt, der Hut wäre absolut viel leicht schön, aber man dürfe ihn nicht zu blondem Haar nagen. Lucinde erklärte diese Meinung für gesucht. Ter wuchtige, hochaufgebaute Samthut, sagte Hippo- lyt, erdrücke ihr zartes Gesicht, zerstöre die feinen, klaren und geraden Linien darin, zerreiße diese regelmäßigen, für den Unkundigen oft bis zur emp- flndlichen Kälte beherrschten Züge. (Und er wußte, wi? sehr er ihr schmeichelte.) Und er sagte: „Sofern du mich liebst, Lucinde, gehe hin und gib diesen Hut zurück und nimm einen anderen statt seiner." Lucinde liebte Hippolyt wahrhaft. Und sie ging hin und gab diesen Hut zurück und nahm an seiner Lkatt einen anderen, der war blau und so gearbeitet, daß er weder ihr zarte» Gesicht erdrückt», noch die feinen, klaren und geraden Linien darin zerstört», noch auch diese regelmäßigen, für den Unkundigen oft Li» zur empfindlichen Kälte beherrschten Züge zerriß, und gefiel Hippolyt wohl. Als Lucinde wiederum bemerkte, daß die Pla- tonen schon kahl waren und Oktobersonne in den leeren Zweigen hing, war es längst nicht mehr so, daß sie die» Hippolyt hatte sagen können. Dieser Kavalier batte sich, trotz seine« schönen Namen» (. . . wa« sind Romen! . . .), im siebenten Monat sehr schäbig ge zeigt und sie einfach verlassen. Nerven, hatte er vor geschützt, auf die sie ihm ginge. Lucinde hatte lang« und bitterlich geweint, ihr Herz in der Einsamkeit zu trösten, in Geselligkeit zu zerstreuen versucht, und alle» dieses vergebens. Kein Sommer am türkis- blauen Meere, kein Herbst im Gebirge hatte ihr vor Hippolyt den Frieden zu geben vermocht. Sie war in die Stadt zurückgekehrt, Oktober umfing ihr müdes Herz, sie saß am Fenster und blickte in den Park voll Rot und Gold. Sie blickte in die Allee der kahlen Platanen. Da überkam sie eines Tages jener Stolz, den die Frauen in ihrer größten Demut selbst nie ganz auf geben, den Lucinde in ihrem Schmerze zwar ver gessen, aber nicht verloren hatte. Sie schämte sich der Demut ihres Herzens, der vielen verweinten Nächte, der vielen langen Gebete um die Wiederkehr Hippolyts. Und sie ging hin und kaufte den Hut von orange farbenem Velvet, mit schwarzem Lackleder abgesetzt. (Er hatte bei der Modistin unberührt ein Jahr lang im Schranke gelegen.) Und Lucinde trug diesen Hut, obwohl er aus der Mode war, den ganzen Winter hindurch, und sie freute sich seiner, denn sie vermeinte, damit den vollendeten Ausdruck gefunden zu haben für ihre Entfremdung von Hippolyt. Hippolyt aber, der einmal wieder durch die Stadt kam, wo er sie geliebt, und der Lucinde nun so sah, erkannte daran, wie sehr sie ihn noch liebte. Er grüßte sie höflich, sie aber dankte kalt und nickte ein rmnig mit den» Kopfe, wobei der viel zu schwere Samthut etwas mehr auf die Augen herabdrückte. Holberg» „Politischer Kannegießer- wurde von dem Kulturhistorischen Liebhabertyeater der Leipziger Volksokademie im Schauspielhause Sonntag vor mittags gespielt. Professor Winde hat sich in diesem Jahre schon allerhand Mühe mit seinen jungen Leuten gegeben und manche» unbekanntere Stück aus der Vorzeit des modernen Theaters Herausgrholt. Hol- berg, der nicht Molidre für Europa ist, aber immerhin Möllere für Dänemark war, geht mit seinem be rühmten dramatischen Erstling, der im letzten Jahre zum 200. Jubiläum kam, über die Möglichkeiten einer Vereinigung junger Dilettanten doch schon recht weit hinaus, und es hieße weniger dem Geiste der Bühne al» der Eitelkeit der Mitwirkenden dienen, wenn ihnen jemand weismachrn wollt«, sie hätten mehr al« einen matten Abglanz des trocken-komischen und pedantisch - grotesken Meisterwerkes auf die Bretter gebracht, um das sie sich mit redlichem Eifer be mühten. Aber wenn sie das nur selber wissen, dann ist alles in Ordnung. Und wir wollen miteinander Holberg« kühle Weisheit in Ehren halten: das Bürgermeistern will gelernt sein — und das Schau- spielern will es auch ktze. Die Universität Lenin. Die Universität Kasan wurde, wie der Frkf. Ztg. mitgetcilt wird, in Uni versitär Lenin umgetauft, zur Erinnerung daran, daß vor kV Jahren Lenin, der damalige Student Oeljanof, wegen Teilnahme an einer verbotenen Vcr- sammlung von der Universität und aus Kasan aus gewiesen wurde. Die Moskauer Iswcstija erinnert daran, daß Lenin im Jahre 1887 das Gymnasium zu Simbirsk mit Auszeichnung verließ, und daß der Rektor ibm ein so glänzendes Zeugnis mitaab, daß er an der Universität Kasan zugelassen wurde, obgleich einer keiner Brüder kurz zuvor wegen eines Attentats auf Alexander III. angeklngt war. Der Rektor des Gymnasiums war der Vater Kerenskis, des Mannes der Märzrevolution, den Lenin stürzte. „Arzt oder Sbamm?" In der Pfalz macht fol gendes wahre Erlebnis die Runde, das in der Nacht ein Kaufmann in Ludwigshafen hatte: Dort ist von den Franzosen als Strafmaßnahme wegen angeb licher Sabotageakte deutscher Eisenbahner eine vier tägige Derkehrssperre verhängt. Der Verkehr auf den Straßen ist in der Zeit von 9 Uhr abends bis 6 Uhr morgens verboten. Der Kaufmann, der keinen Nachtpoß hatte, den nur Personen des öffentlichen Dienstes, Aerzte, Geistliche und Hebammen, erhalten, hatte sich auf dem Heimweg verspätet und begegnete einer au» Marokkanern bestehenden Nachtpatrouille, die den „Nachtschwärmer" anhielt. Geistesgegen wärtig zeigte der Kaufmann seinen Pcrsonalausw'is vor, den di« des Lesen« unkundigen Marokkaner eifrig studierten und ihn in gebrochenem Deutsch mit der Frag« zurückgaben: »Arzt oder Cbamm?" „Hebamme", erwiderte der Pfälzer, worauf die Marokkaner sag ten: „Gut, Passer!" Di« humorlose Frau. Warum haben Frauen keinen Humor? Diese Frage sucht Gordon Street in einem Londoner Blatt zu beantworten, indem er von der auffälligen Tatsache ausgeht, daß es unter den großen Humoristen der Weltliteratur keinen weiblichen Vertreter gibt. Er führt auch die Aeu- ßerung der Herausgeberin einer Frauenzeitschrift an, die ihm au» langjähriger Erfahrung mitteilte: „Ich bringe niemals eine humoristische Geschichte oder einen komischen Aufsatz. Frauen lieben Humor nicht. (?) Sie würdigen ihn nicht oder sie verstehen ihn nicht. Sie wollen nichts komisch nehmen, son dern alles ernst. Sie sind am glücklichsten, wenn sic meinen, daß sie unglücklich sind. Sie werden viel lieber in ein Stück gehen, in dem sie aus dem Weinen nicht herauskommen, als daß sie bei einem Lustspiel aus Leibeskräften lachen." Mag man nun diese Aeußerunaen für übertrieben halten, so steht doch das eine fest, daß die Frauen nicht einen so ausgesprochenen Sinn für Humor haben wie die Männer. Ein Amerikaner fragte einmal die be- rühmte Schauspielerin Mrs. Patrick Campbell: „Wissen Sie, warum Gott den Frauen keinen Stnn für Humor gegeben hat?", und erhielt die schla gende Antwort: „Damit wir die Männer lieben können, anstatt nur über sie zu lachen." Avenartu«. neue Zeitschrift: „Schriften für echten Frieden, zwanglose Beiträge zur Verständigung", gibt Ferdinand Avcnarius nunmehr in Zeitschriften form als Flugschriftensammlung heraus, nachdem er die Leitung des Kunstwarts in die Hand von Wolf gang Schumann gelegt hat. Eine neue Hlnrichtuugsform in Deutschlano. Dor kurzem wurde aus Nürnberg und Augsburg gemeldet, daß dort das Todesurteil an fünf Raub mördern durch Erschießen vollstreckt wurde. Diese Art der Hinrichtung war bisher bei den deut schen Zivilgcrichten unbekannt. Nur die militärisch erkannte Todesstrafe konnte in Deutschland durch Erschießen vollzogen werden. Wie Landgerichts- Präsident Rudolf Ziel in .Reclam» Universum' ausführt, ist denn auch das Erschießen, dar jetzt in Bayern geübt wird, eine Nachahmung der Militär- gerichte und stammt aus der Zeit der Revolution, eine Errungenschaft, die sich merkwürdigerweise ge rade in Bayern erhalten hat. Der Rat der Volks- beauftragten, an deren Spitze Kurt Eisner stand, ordnete 1918 die Vollstreckung der Todesstrafe durch Erschießen an. Dieser Befehl, der in der Zeit des Bürgerkrieges als eine militärische Maßregel auf- zufaffen war und auch sonst während des Ausnahme zustandes hier und da gegeben wurde, ist nun in Bayern bestehen geblieben, so daß dort allein in Deutschland heute die Hinrichtung durch Erschießen erfolgt. Die Todesstrafe, die durch das Reichsstraf gesetzbuch angeordnet wird, ist die Enthauptung
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