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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 05.04.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-04-05
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192304054
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230405
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230405
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-04
- Tag 1923-04-05
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Monat
1923-04
-
Jahr
1923
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verlock Holmes würdige Vermutung so stolz, daß er sie bet einer nächsten Konferenz wiederholt. Eine klägliche Rolle bei der Konferenz spielt der italienische Ministerpräsident Musso lini. Er hat einen eigenen Reparationspla« nntgedracht, den sein Minister della Toretta über den grünen Klee anpreist, der aber von den Big Two nicht eine» Blick«» gewürdigt wird. Sein« Begeisterung für da» militärische Einschreiten gegen die wehrlosen Deutschen bringt Poincar6 nicht dazu, auf seine Ratschläge etwas zu geben. Er wird höflich, aber entschieden ab gelehnt. Vergleichsweise gemäßigt ist der fran zösische Reparationsplan, der aber in seiner jetziaen Form immer noch unannehmbar für Deutschland ist. Der englisch« Reparationsplan wird von den Franzosen in Grund und Boden kritisiert. Nicht ganz mit Unrecht, denn er be steht aus lauter Kautschukbestimmungen, gegen dje PoincarS berechtigte Einwendungen macht, die aber bei einem Wechsel der politischen Konjunktur ebenso für Deutschland verderblich werden konnten. Ganz schlecht schneidet nach den» Gelbbuch die deutsche Rcichsregierung ab. So sehr auch Poin- ear6 und Law persönlich zcrzankt sind, so scharf sie sich fast bei jedem Gegenstände auch in die Haare geraten, in der Verurteilung des Vor gehens der Deutschen sind sie vollkommen einig, die deutschen Anregungen fallen in fünf Minuten unter den Tisch und Law gebraucht sehr scharfe Worte gegen Deutschland, natürlich ebenso Theunls der Belgier und Mussolini. Theunis schiebt die aanze Schuld auf Stinnes, »dessen tragischer Schatten sich im Hintergrund der Re- gierung Luno abzeichnet*. Sünnes sei schon seinerzeit in Spaa durch freche Erklärungen hervorgetrcten, wobei ihn der sozialdenwkra- tische Bergarbeiter-Vertreter unterstützt habe. Die deutschen Industriellen hätten auf die Baisse der Mark spekuliert, und das Reich sei zu ihrem Prosit verarmt. Alle Entcnteminister, auch Lrw, bilden sich ein, daß die deutschen Industriellen im Auslande riesige Dcvisenguthaben hätten, die man für die Reparation heranziehen möchte, Poincarö mit Gewalt und Okkupation, Law durch gütliches Zureden. An diesen Vermutungen ist wahrscheinlich etwas Wahres. Die Auslands- Guthaben der Industriellen mögen sehr groß sein für private Unternchmunaen. So grcß ieda^- sind sie keinesfalls, am wcrn-'sten die baren Guthabun- gen, daß sie für die Reparation eine Rolle spielen könnten. In den ersten Tagen der Pariser Konferenz stimmt Poincarä ein herzbewegendes Klagelied über die Heiligkeit der Verträge an angesichts des englischen Vorschlages, daß der dubiose Zukunfts» wert der Londoner Konferenz von 132 Milliarden Goldmark für die deutsche Reparation auf etwa 46 Milliarden Ießtwert reduziert werden soll. „Wo ist die Heiligkeit der Verträge?* ruft Poi..- carL aus. „Man wird in Zukunft überhaupt keine Verträge mehr machen können! Man wird überhaupt keine internationalen Verhandlungen mehr führen können'.* Der gute PoincarL hat ganz vergessen, daß das Londoner Ultimatum kein heiliger Vertrag ist, sondern eine mit vor- gehaltenem Revolver abgeprcßte Unterschrift auf ein Schriftstück, das einen Bruch des Waffen- stillstandsvertrages darstellt. Mit kühler Ruhe antwortet der Engländer auf die patl)etischen Vorhalte des Franzosen. Er weist ihm nach, daß der Berichterstatter der französischen Kammer im Grunde die Zahlungsfähigkeit Deutschlands nicht höher einschätzt als Donar Law, und daß Poin- carS selber es nicht verschmäht, von solchen nie drigen Einschätzungen Gebrauch zu machen, wenn es ihm gerade einmal in den Kram paßt. Nachdem PoinearL seine Ieremiaden über die schlechte Welt beendet hat, konstatiert der ita- L^lprlger ^agedlstt lientsche Außenminister Dlarchese della Toretta, daß die Alliierten darin übereinstimmen, daß mehr als 50 Milliarden Goldmark aus Deutsch land kaum Hera »»zuschlagen sein werden. Und diese Konstatierung begegnet, soweit man es aus den Protokollen ersehen kann, kaum mehr einem Widerspruch. Am letzten Tag der Pariser Konferenz (4. Januar 1öS3) nähern sich die Diskussionen rasch dem Bruch. Es ist klar, daß ein Kom promiß ausgeschlossen ist, Poincars brennen schon die Marschbefehle nach der Ruhr auf den Finoern. Er will absolut einmarschieren. Law verabschiedet sich kühl ironisch, Mussolini ist, enttäuscht über den Mißerfolg in London, in Pari» oar nicht mehr erschienen. Lrw bittet am Schluß um die Zustimmung, die Konferenz Protokolle zu ver- öffentlichen. Poincarä stimmt zu unter der Ve- dinguna, daß die englischen Sekretäre ihren De- richt niit jenem der Franzosen kollationieren. Belagerungszustand über Hochhelm Sl-eaerTra-lSerlcyt de« LeipzigerTagedlatteS Frau.^-.t, 4. April. Heber Hochheim a. M. haben die Franzosen den Belagerungszustand verhängt. Bon abend« 8 Uhr ab ist jeder Nachtverkehr verboten. E« soll sich angeblich um eine Vergeltungsmaßnahme wegen eines Sabotageaktes auf einen Eiscnbahnzug handeln. Die der Stabtverwiktung in Bottrop offiziell bekanntgcworden ist, befindet sich Oberbürgermeister Dr. Dauer im Gefängnis in Zweibrücken. Nach den vorliegenden Mitteilungen werden die verhaf teten Bürgermeister in halbdunkler Zelle wie Ge fängnisinsassen behandelt, die «ine schwere Strafe zu verbüßen haben. Bürgermeister Dr. Mihm war auch im Gefängnis in Zweibrücken untergebracht: ob er sich noch dort befindet, entzieht sich der Kenntnis der Stadtverwaltung. Die Zahl der Opfer in Essen hat sich in- zwischen auf 13 erhöht. Die Erschossenen werden Ende der Woche in einem gemeinsamen Grabe auf dem während de» Krieges angelegten Essener Ehren, frirdhof beigesetzt werden. Die Kruppschen Werke, auf denen heute vormittag nach Beendigung des 2l- stiindigen Proteststreiks die Arbeit wieder aufgcnom- men wird, werden am Tage der Beerdigung abermals stilliegen. Für Verhaftung vr. Fschllnr Lrs-tSertcht «»lerer Bcrlt«er «artftleit»»« Berlin, 4. April. Die Verhaftung des Lcgationvrats Dr. gechlin fand, wie au« den bisher erhältlichen dürftigen Nach richten hervorgeht, im Anschluß an eine der Be sprechungen statt, die Dr. Zechlin regelmäßig mit den Berichterstattern der ausländischen Presse abhielt. Ucbcr da» Schicksal de« Verhafteten, über Ort und Art feiner Verhaftung ist bi» zur Stunde an hiesi;."r amtlicher Stelle noch nicht» bekannt geworden. Es handelt sich bei dieser Verhaftung um einen besonders schroffen und rücksichtslosen Fall von Nichtachtung, da Dr. Zechlin seine Tätigkeit mit vollem Wissen d:c Franzosen im amtlichen Auftrag und in durchaus objektiver Weise aus übte, und zwar auf Wunsch der vielen ausländische» Journalisten im -....ruchs- gebiet, die natürlich Wett darauf legen, neben den tendenziös gefärbten „Kriegsberichten* der franzö sischen amtlichen Stellen eine deutsche Informations stelle verantwortlichen Charakter» zur Verfügung zu haben. Dr. Zechlin war für diese Tätigkeit durch längeren Aufenthalt im Ruhrgebiet und durch seine Eigenschaft als Sozialdemokrat, in der er mit den Arbeiterverhältnissen besonder» vertraut war, quali fiziert. uuä Nauäelsrettuug (vsterstille in Paris Berha»!l»ag»zerLchte — LZuheur« Lulaud- reise — P^s OrieutProttem E«,e»«,Drah »»«richt de» »«»p»l,r,ras»»kstt«» Pari», 4. April. In Patts dauert dl« politische Osterstille noch an. Zn amtlichen Kreise« erwartet »an auch für dl« nächste Zeit keine Acnderung der Gesamtlage. Die Gerüchte von der bevorstehenden Unterbreitung deutscher Vorschläge waren anscheinend durch angeb liche Erklärungen Maximilian Harden» in aus ländischen Plättern verursacht. Frankreichs Stand punkt ist nochmals durch Krlegsmin'ster Maginot in einer Rede auf dem Schlußbankett des Kongresses der Kriegsverstümmelten in Marseille dargelegt worden. Maginot betonte dabei nachdrücklich, daß Frankreich und Belgien ihr Versprechen der staffelweisen Räumung des Ruhrgebietes im Falle deutscher Zahlungen unbedingt befolgen werden, und nannte al« Ziel der französisches Ruhr- Politik einen gerechten und dauerhaften Frieden. Das Interesse für Loucheurs Reise nach England, wo der frühere Wiederaufbauminister seit Sonnabend weilt, halt an. Aber das Geheimnis wird streng gewahrt. Man weiß nicht einmal genau, wo Loucheur zurzeit sich aufhält. Eine Londoner Meldung de» Journal , »ach der er eine Zusammen kunft mit Lloyd George gehabt haben soll, muß mit großer Vorsicht ausgenommen werden. Lloyd Geo ge hat allerdings wiederholt besondere Sympathien für Loucheur gezeigt, doch ist e« wenig wahrscheinlich, daß Loucheur gegenwärtig seine ehrgeizigen Pläne durch einen Bestich beim früheren englischen Premier- Minister, der durch seine letzten Artikel mehr als je in Frankreich gehaßt wird, in Frage stellen will. Das Datum des Wiederbeginnes der Orient konferenz steht noch nicht fest. Die Franzosen haben kein Interesse an einer übermäßig schnellen Regelung der Orientfrage, da man am Quai d'Orsay davon überzeugt ist, daß England in der Nuhrsrage keinen für Frankreich unannehmbaren Beschluß fassen wird, solange es bestrebt sein muß, sich Frank reichs Unterstützung in der Orientfrage zu sichern. Der Temps hat nicht den französischen, sondern den belgischen Etandpunlt vertreten, wenn er in seinem Osterleitartikel auf eine Beschleunigung des Orient friedens hinwirkt. Damit soll allerdings nicht gesagt sein, daß extrem - nationalistische Blätter die Auf fassung der Regierung w'.edergcbcn, wenn sie die völlige Vertagung der Orientkonferenz bis nach Ab schluß der Nuhraltion oder jedenfalls bi» nach den bevorstehenden Wahlen in der Türkei verlangen. Die Auffassung der Regierungskreise durfte vielmehr dahin gehen, daß Frankreich sich der Wiederaufnahme der Verhandlungen in Lausanne in keiner Weise widersetzen darf, ober anderseits nichts zu tun braucht, um eine Verschleppung dieser Verhandlungen zu verhindern. Stelnbombardement auf deutsche Schiffe Eigener Drahtdericht de« Leipziger Tasediaitcs London, 4. April Zn Aberdeen haben sich gestern wieder heftige Unruhen abgespielt, die sich ausschließlich gegen aus fahrende deutsche Dampfer richteten. Es wur den deutsche Dampfer, die den Hafen passieren woll ten, und deren Besatzung an Bord tätig sein mußte, mit einem Hagel großer Steine überschüttet. Hierbei wurden mehrer« deutsche Matrosen verletzt. Diese unerhörte Haltung gegenüber deutschen Schis- fen, die ihren vertraglichen Lieferungs verpflichtungen gegenüber den englischen Fir- men Nachkommen müssen, findet leider keine nennenswerte Kritik in der englischen Presse. Die konservative Aberdeener Pall Mall Gazette ver suchte unter Auffrischung aller Propagandamel dungen der Kriegszeit über die moralische Minder wertigkeit deutscher Seeleute und angeblichen Grau- voouerslKg, 6ea S. LprN samkeiten im Unterseebootkrieg dl« Vorfälle tn Aberdeen als eine „gerechte Selbsthilfe* de» schotti schen Schisser gegenüber den deutschen darzustellen. Venn eia Blatt mit einer verhältnismäßig großen Auflage diese Haltung einnimmt, so scheint es nicht weiter verwunderlich, daß es den verhältnismäßig schwachen Kräfte» ein^r Provinzstadt nicht gelingt, die deutschen Matrosen und Schiss« «rrlscu» zu schützen. Englisch-russische Spannung EigenerDrahtdericht de» Leipziger Ts«e»lalt«s London, 4. April Die Vollstreckung de« Todesurteils gegen deo Ge hilfen des Erzbischofs von Petersburg tritt in ihrer politischen Bedeutung für die englische Oesfentlichieit völlig in den Hintergrund gegenüber der Heran», forderung an England in der Moskauer Antwortnote auf da» Londoner Gesuch um Begna digung beider Priester. Der englische Handels. Vertreter in Moskau hat nun die russisch« Antwort- note an die Räteregierung zurückgesandt mit einem Privatbrief, in dem er erklärt, er sei nicht in der Lage, die Note in ihrer gegenwärtigen Form an u- nehmcn, da sie die Aufrichtigkeit des Schritts der britischen Regierung anzweifle und zur Unterstützung ihrer Beschuldigung belanglose Aeußerungen eines unbekannten irischen Revolutionärs anführe. Ein englischer Fischdampfer ist am Lü. März v-n einem russischen Kanonenboot in der Nähe der Ins l Sem im Weißen Meer ausgebracht worden. Da eng lische Fischdampfer wiederholt den Angriffen russisch r Kriegsschiffe ausgesetzt waren, hat die bttt'sib« Ne gierung den Kreuzer Cordelia in» Mur- man-Meerentsandt. . , > < ' Der Neinsager Vsr kurzem hielt der Neichswirtschaftsminister Dr. Decker in Hamburg eine Rede, in der er er- klärte, es sei gut, daß endlich einmal „nein* getagt und mit der Erfüllungspolitik Schluß gemacht wor den sei. Wie gefährlich und schädlich solche „Zucker bäckerei* ist, zeigt der Hamburger Senator Dr. Stubmann in der von ihm herausgegebencn Wochenschrift Das Demokratische Deutschland, indem er schreibt: „Die Forderung der Einheitsfront wird zur hohlen Phrase, wenn ein führendes Kabinetts mitglied wie Herr Dr. Decker sich und seinen Kabi- nettsmitgliedern ein Verdienst aus dem „Neinsagen* konstruiert und die „Erfüllungspolitik* verw.rsr. Vielleicht schenkt er der Ocffentlichkeit einmal reinen Wein ein über die „Dorsch!"ge', die das Kab nett Cuno von Weihnachten 1922 für die Reparation^- Politik durch den Staatssekretär Bergmann gemacht hat. Waren diese Vorschläge etwa gleichbedeutend mit Neinsagen? Hat da» Neichskabinett im Falle Ingolstadt etwa „nein* gesagt? Und kann Herr Dr. Decker dem deutschen Volk in Aussicht stellen, daß eines Tages die Fran zosen zum Rückzug blasen und auf deutsche Leistungen und Zahlungen verzichten? Oder ist er im stillen nicht doch der Meinung, daß auch nach einem deutschen Erfolge in der Ruhrfrage, den wir mit leidenschaftlicher Vaterlands liebe alle erhoffen, Deutschland wieder zahlen muß, wenn auch vielleicht nur auf Grund von Anleibcn, die uns von dem französisch-» Gläubiger etwas frei machen. Auch der jetzige Neichswirtschaftsminister muß wissen, daß hinter der Nuhrbcsetzung von neuem Erfüll ungspolitik in irgendeiner Form stcheu wird.* Dm Mittwoch wurde die Straßburger Tagung der Zentralkommission für die Rhein- schiffahrt eröffnet, in der Deutschland, England, Belgien, die Schweiz, Frankreich und Holland ver treten sind. * Wie der demokratische Neichetagsabg. Korell, so ist jetzt auch der deutschnationale Landtagsabgeord- ncte Wallraf, der frühere Staatssekretär, von den Franzosen aus Bonn ausgewiesen worden. Oer UM Novelle von Saors Mr»eftr»ich Rechtsanwalt Schleudermeier riß die Tür seiner Kanzlei auf und blickt« aufgeregt tn das Vorzimmer. Nur eine Dame — das entsprach dem Temperament eines vielbeschäftigten Anwalts nicht. — „Ditte sehr!* — Die Dame trat ein, saß ihm gegenüber. Sce hatte einen verbogenen, breitkrämpigrn Plüschhut auf, an dem ein geblümter Schleier hing, ihr dunkclroter Alantel war geschmacklos. Sie hieß Limonius. Nun wußte Schleudermeier Bescheid. Er seufzte — schon die Briese dieser Frau waren ihm unangenehm gewesen. Line Malerin, die sich von ihrem Gatten, einem Geschäftsmann, nicht ver standen fühlte. Natürlich betrog der Gatte sie — er war der schuldige Teil, und so stand eine Schei dung bevor. Trotzdem begann Frau Limonius eine Viertel- stunde lang zu reden. Ihre Persönlichkeit entsprach den Driesen — mager, langgliedrlg, mit gebogener Nase — nur die Augen hatten ein Grau, das Rechtsanwalt Schleudermeier mochte. „Gnädige Frau — ich übersehe alle». Die Scher- düng ist selbstverständlich. Herr L moniu» wird schuldig gesprochen und muß die Kosten tragen. Aber Sie haben ein Kind, nicht wahr? Ein sieben jährige» Mädchen. — Ich darf e» der Sachlage nach al» selbstverständlich annehmen, daß da» Kind bei seiner Mutter bleibt?* Frau Limoniu» reckt« sich. „Herr Rechtsanwalt, da muß ich leider ganz gegen Ihr« traditionelle Erfahrung sprechen. Ich weiß, daß da» Kind a.ir rechtlich zukommt — aber — ich verzichte daraus!* „Sie — verzichten?* — „Jawohl, ich würde alle» umstoßen, wa» ich mir oufgebaut hab«, wenn ich e» weiterhin al» mein Kind anerkennen würde. Sehen Eie, Herr Rechtsanwalt, mit einem klaren Dort — ich hab« «inen De rein gegründet.* — Schleudermeier zündete sich mit sassunasloser Miene ein« Zigarr« an. „Er heißt .Unabhängig', and einer seiner ersten moralischen Grundsätze ist ee, di« Scheidung vom Mann», den ein« Fran nicht «ehr liebt, absolut zu gestatten. Sein Kind be balten, auch wenn «r oettchtlich schuldig gesprochen ist, beißt uv» munoralisch.* Rechtsanwalt Schleudermeier räusperte sich — der Tabak »ar stark. .Verzeihung, gnädige Fron — da »ächt« ich doch als Jurist den notwendigen. objektiven Standpunkt cinnehmen. Da» arme Kind. Es hat doch auch sein Recht. Das Recht auf die Mutter ist da» größte. Man kann noch so viele Vereine gründen — niemal» wird man die natür liche Bestimmung au» der Welt schaffen.* — „Und meine Kunst?!* — „Was hat Ihr Kind mit Ihrer Malerei zu tun? Geben Sie ihm zu essen und legen Sie es schlafen — dann können Sie malen.* Frau Limoniu» stand auf. Die Flügel ihrer ge- bogenen Nase bebten vor Entrüstung. „Herr Rechts anwalt, Sie sind mein Vertreter. Setzen Sie bitte die Scheidung durch — weiter erwarte ich nick-ts von Ihnen. Mein Standpunkt Margit gegenüber bleibt der genannte. Ich habe die Ehre, Herr Rechts- anwalt.* Der geschmacklose rote Mantel war fort. Rechts- anwalt Schleudermeier schlug mit der Faust aus den Tisch, daß die Akten flogen. Er überlegt« lange, wa» zu tun sei — dann glaubte er den Ausweg ge- funden zu haben. Gr telephonierte mit der Firma Limonius L Drettschneidcr und bat den Inhaber, Herrn Oskar Limoniu», zu sich. Bald saß der sau- bere, feine Drogenhändler Engrv» ihm g-genüber. Mit seinen erstaunten, blanken Augen lauschte er und strich sich verlegen den Schnurrbart. Dann entschloß er sich, mit rotem Kopf zu antworten: Herr Rechtsanwalt, Ihr gute» Herz in ollen Ehren — aber — wa» Sie da von mir verlangen, ist ganz »»möglich. Daß ich bei der Scheidung schuldig ge- sprachen werde — schön — da lass' ich mir nischt für, ich weiß schon, wa« die Schosc kostet. Meine Freiheit krieg' ich — daraus kommt'» mir an. Die Frau, die hat e« ja zu toll setrieben. Ab-r was Marjit betrifft — Marjlt gehört selbstverständlich zu ihr. Ich »erd' ihr doch nich da» Kind weg nehmen.* Rechtsanwalt Schleudermeier zündet« sich wieder «ine von den starken Zigarren an. „Sie hören doch. Herr Limoniu», daß Ihr« Frau da» A nd nicht will. Ihr Lebcnswerk und ibre L-be"«anscha'»'ng ver bieten ihr —* „Stu*. Herr R«cht«a"waltl* „Da* sind« ich auch. Aber sie ist kein». Vieren zu über- zeug-n. Und nun wollen Si« Margit auch n'cht — ebenfalls, verzeihen S!« mir, leicht durchschau, bare» Egoismus. Ich interessier« mich für die Kleine immer mehr — es ist eine Traaödi«, solch hin- und hergestoßen«», unglückliches Kind.* .Dann nehmen Sie'» doch, Herr Rechtsanwalt * „Ich danke Ihnen für Ihren freundlichen Vorschlag, aber ich habe schon vier Kinder. Nein, ich werde mir die Sache weiter überlegen. Adieu, Herr Limonius.* * Nach diesem zweiten Besuch hatte Rechtsanwalt Schleudermeier es noch schwerer, seinen Aerger hinunterzuzwingen. Vergeben» dachte er bi» zum Mend nach. Dann endlich kam ihn die Erleuchtung: „Pater und Mutter sind bei mir gewesen — jetzt muß aber auch noch da« Kind kommen!* Bald hatte er ausgrkundschastct, wann Margit mit ihrem Fräulein tm Tiergarten spazieren ging. Häufig traf er nun das hübsche, rotgelockt? Kind mrt dem perlweißcn Gesichtchen und den großen grauen Augen. Es entzückte ihn. Sie liebte, ein ahnungslos-», echtes Kind, ihre Eltern gleichmäß'g. Da nahm er in- stinktiv, noch nicht mit klarer Absicht, Margit eines Nachmittags in seine Kanzlei mit. Sie soß ibm fröhlich gegenüber, denn sie hatte den neuen Onkel lieb und fand alle» um sich herum außerordentlich interessant. Da plötzlich kam es vor diesen klaren, unschuldigen Kinderaugcn über den grübelnden Rechtsanwalt, das T-lephon zu ergreifen und erst Frau Limonius, dann Herrn Limonius anzurufen. Sie kamen. Rechtsanwalt Schleudermeier machte sich zum Herrn der Sachlage. „Endlich habe ich mal die ganze Familie bei- sammen. Ja. es ist noch eine Familie. Daran zweifle ich nicht. Herr Limonius — Frau Limonius — freuen Sie sich nicht über Ihr Kind?* Der Drogenb"nkl"r Enaros kam arbeitsmüde aus seinem Geschäft. Er fühlte sich zwar h'nters Lici't geführt, aber er war zum Zorn zu schwach und wußte dumpf nicht» mehr von seinem früheren Standpunkt. Verlegen blickte er auf Margit. Frau Limoniu» wollte sprechen, vermochte es aber nicht. Es war. al« ob sie nach lanaer Zeit ihr wirkliche» Kind erblickt". Mit herber Miene, aber unsicheren Augen stieß sie hervor: „Da» ist doch ein Komvlott. Herr Rechtsanwalt... Ich möchte mich wirklich nicht sentimental moch-n lassen.* „Nein, gnädige Frau — ke'n Komplott — nur die Nat-"-st'mme — endliche Loelösunq von einer inrbeg—iflicbea Derblendimg. Frau Limonius? Herr Limoniu»? Was ist denn Ihr Kind? Ihr Kind ist Ihre Ehe. D-s Kind ist die V-ranttvottung durck, gemeinsam»» Dollen — da» Klnd ist da» mnstisch« B'ndealk-d. d'* immer noch möaliche Ver söhnung. Womit soll ich denn zusammeusassen. wa« hier vor Ihnen steht? Run, sagen wir, das ist Ihr Kitt! Nicht wahr — Ihr Kitt — das ist und bleibt das Kind! Verstehen Sie mich?' Die blanken Augen des Drogenhändlers standen voll Tränen: „Ja, das versteh' ich! Kitt! Iutcr, fester Kitt! Das ist wahr!* — „Dann halten Sie sich daran, und Sie werden auch für die nötige Treue in der Ehe sorgen. Sie aber, Frau Limonius — malen Sie mit diesem Kitt — modellieren Sie damit, da» geht wohl besser — aber treten Sie aus dem Verein aus! Verstehen Sie die einzig mög liche Lösung?* Frau Limoniu» zuckt« heftig die Achseln und blickte mit vcrschwimmenden Augen aus Margit. „Selbstverständlich! Halten Sie mich für so dumm und herzensroh? Margit, warum weinst du?* Herr Limonius zog das plötzlich schluchzende Kind an sich. Er hob die Kleine empor, und Frau Limonius sagte bei diesem Anblick erstaunt: „Soviel Seele hätt' ich dir nicht zugetraut.' Sic gingen. Zu dreien gingen sie sott. Rechts- anwalt Schleudermeier trat an» Fenster und sah ihnen nach. „Ja, sa, der Kitt ... Es ist kcin schöner Vergleich, ein schiefer Vergleich sogar . , , Aber es stimmt.' Vie Neuregelung am Operettentheater Ais künftiger Leiter und Pächter wird oller Wahrscheinlichkeit nach James Klein, der Tirektor der Komischen Oper tn Berlin, in da- Neue Overcttentbeater in Leip.ig ein ziehen. James Klein steht bereit- tn Verband« l'ingen mit dem Solopersonal. da« -um größten Teil mit dieser Regelung einverstanden ist. Sollten die Verhandlungen, wie -u erwarten, zu einem positiven Ergebnis führen, würde die Stadt noch vor Ablauf des bi» tt'24 gültigen Pachtvertrags mit der Zentral-Zheater-A G o,,-scheiden. Durch die Erhöhung der Pocht ist die städtische Operette bekanntlich ein Teslzltunternehmen geworden, da« auch nnr einen Tag länger al- nötig zu hakten, dl« ?tadt kein Interesse hat Diese Lösung würde, als man un« an masgebender Stell« mittttlt, sowohl für die Stadt, die damit ihr« Verbind- itchketten ans die neue Direktion übertragen kann, w « auch für da» Theater von Vorteil sein Durch vi« Liierung mit einer großen, angesehene» Berliner Bühne würden dem Operettentheot«r - Fundus, Dekorationen, Kostüme — neue Krä'te Zuströmen. Vor der endgültigen Lösung wird aber noch der Rat der Stadt Leipzig zu hören sein
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