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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 01.04.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-04-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192304013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230401
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230401
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-04
- Tag 1923-04-01
-
Monat
1923-04
-
Jahr
1923
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Sonntagsbeilage ries beipriger Tageblattes kiuwwor 78 LouQtax, den 1. ^pril 1923 8eits 5 —MW^MW—-WW—»W—s—» ' ^-*s-SW———-SWW—W—s " 'S- I , - «, « I Gsterruf Do» »alnrlelZ Larkaui»« Brich auf, mein Herz, und glaube doch! Aus Schmerzen nur blllht neu die Welt, Die Osterglocken läuten ja: Lief ab, was dich gefangen hält! Brich auf. mein Herz, und hoffe doch! In Sonne lockt ein neuer Tag, Die Osterglocken läuten ja: Und Licht wird, was im Dunkel lag. ' Brich auf, mein Herz, und liebe doch! Verschwistert stehen Baum und Strauch, Die Osterglocken läuten ja: Nun liebe, Mensch, den Menschen auch! Der wagen Von frann «ssolnar (Personen: eine Dame und ein Mann. Ich sage nicht Frau, sondern .Dame", weil ich damit zugleich auch ihr Alter andeuten will. .Dame" wird die Frau nur in gewissen fünf Jahren des Lebens genannt. Der Mann aber ist ein — Mann. Auch er steht nämlich im Mannesalter.) Die Dame: Line Ewigkeit, daß ich Sie nicht gesehen habe. Der Mann: Das bedaure ich am meisten. Die Dame: Ich freue mich. Sie zu sehen: so können wir von vergangenen Zeiten plaudern. Pon längst, derart längst vergangenen Zeiten, daß Sie sich ihrer vielleicht schon gar nicht mehr erinnern werden Der Mann: Sonderbar, daß Sie mich schon zum zweitenmal so anreden, als wären wir beide bereits sechzig Jahre alt. Vorhin sagten Sie, daß wir uns eine Ewigkeit nicht gesehen hätten. Jetzt aber sprechen Sie von längst vergangenen Zeiten. Die Dame: Nun? Der Mann: Die Frauen betrachten die Der« gangenheit nur dann für längst vergangen, wenn sie etwas erzählen wollen, das einer Entschuldigung be darf. Und eine bessere Entschuldigung als die Zeit, gibt es vorläufig nicht. Die Dame: Interessant. Sehr interessant. Der Mann: Was ist interessant? Die Dame: Daß Sie es erraten haben. Daß Sie die Wahrheit erraten haben. Und dies tun die Männer nur dann, wenn sie selbst in der Erzählung der Frau vorkommen. Der Mann: Wie? Ich komme darin vor? Die Dame: Sogar sehr. (Pause. Der Mann zerbricht sich den Kopf.) Der Mann: Es fällt mir nichts ein. Die Dame: Ich werde Ihnen helfen. Ich will es Ihnen erzählen, aber ich bitte um Diskretion. Der Mann: Aber Die Dame: Meine Bitte bezieht sich nicht auf die Geschichte selbst. Die können Sie wem immer weiter erzählen. Jedoch bezüalich des Zeitpunktes derselben geben Sie mir Ihr Ehrenwort. Der Mann (reicht ibr wortlos die Hand). Die Dame: Die Geschichte hat sich nämlich vor zehn Jahren zugctragen. Hier, in Budapest, im Oktober. Der Mann: Icb erinnere mich nicht. Die Dame: Wir waren vor zehn Jahren im Oktober zusammen auf einer Soirse. Sie hatten kastanienbraunes Haar. Ich aber bin seit damals noch viel blonder geworden. Wir soupierten draußen !m Stadtwäldchen. Mein Mann war damals auf ,wei Wochen nach Berlin gefahren und ich war allein iur Soiree gegangen. Um ein Uhr nach Mitternacht hatte ich die Unterhaltung satt und ich verabschiedete mich von der Hausfrau. Sie standen neben ihr und blickten mir fest in die Augen. Der Mann: Ich beginne . . . mich zu erinnern. Die Dame: Sie hatten mich während des ganzen Abends sehr gequält. Sie waren damals seit drei Wochen in mich verliebt. Sie sprachen wohl nicht davon, doch hatten Sie mich durch jene gewissen stum. men Grimassen gequält. Und durch Ihr Tun: sie gingen, kamen, standen auf, setzten sich, mit einem Wort, Sie benahmen sich, wie sich sehr ungeschickte, junge Pcrlicbte zu benehmen pflegen. D e r M a n n: Ab . . . . Die Dame: Und als ich der Hausfrau sagte: „Therese, ich gehe nach Hause," gingen Sie fort, und als ich aus dem Vestibül auf die Straße trat, standen Eie plötzlich neben mir. Der Mann: Ja. Die Dame: Und Sie sagten, Sie wollten mich nach Hause begleiten Der Mann: Ja. Die Dame: Ich lachte über diese Verrücktheit, denn ich hielt Ihr Anerbieten für grenzenlos un passend: dann willigte ich aber ein, und zwar aus zweierlei Gründen. Erstens, weil Sie sich so un schuldig, so naiv angeboten hatten, daß ich dachte: „Schauschau, er weiß ja gar nicht, welch schreckliche Sache er begehrt." Zweitens aber, weil ich in Sie.... fast verliebt war. (Große Pause.) Der Mann: Wiiiiie? Was? D i e D a m e: Ja. Der Mann (mit weit aufgerissenen Augen): Sie waren in mich verliebt? Die Dame: Nein. Aber fast. Wissen Sie. ich stand auf dem Punkte, wo das Weitere vom Mann abzuhängen beginnt. Die Frau duldet die Sache eine gewisse Zeit ruhig, plötztzlich fühlt sie dann aber: „Nun ist alles andere schon seine Sacke." Der Mann: Und Sie hatten dies gefühlt? Die Dame: Ja. Der Mann: Warum haben Sie es nicht gesagt? Die Dame: Weil gerade da« die Natur dieser ganzen Sache ist, daß es die Frau nicht sagt. Der Mann: O, ich Esel. Die Dame (seufzend): Lassen wir das. Als Sie sich anboten, wußte ich in der Eile nicht, was ich tun soll. Dann durchlief mich irgendein närrisches Fieber und ich sagte: gut. Darauf riefen Eie: „Ich hole einen Wagen?" Und das war Ihr erster Fehler. Der Mann: Welcher? Die Dame: Daß Sie einen Wagen holten und mich für zwei Minuten allein ließen. Sie können sich denken, wie sehr Eie mir gefallen haben, wenn ich selbst das erduldet habe. Denn nichts kann eine Frau mehr erzürnen, als wenn man ihre Glut erkalten läßt. Dann kam der Wagen. Der Mann: Eine Droschke. Die Dame: So ist's. Schön von Ihnen, daß Sie sich noch an die Gattung erinnern. Um dies dreht sich nämlich das Ganze. Es war eine Droschke und kein Fiaker, ein Einspänner und kein Zweispänner. Der Mann: Ich konnte keinen anderen Wagen bekommen Die Dame: Sie hätten einen bekommen müssen, Denn was geschah? Der Mann: Wir setzten uns in die Droschke. Die Dame: So ist's. Und wir fuhren fünfund zwanzig Minuten bis nach Hause. Kennen Sie d.n Unterschied zwischen einer Droschke und einem Fiaker? Der Mann: Nein. Die Dame: Erstens klappern bei der D.oschke die Fenster und man hört seine eigenen Worte nicht. Dann ist die Droschke im Oktober kalt und unfreund, lich. Beim Fiaker klappern nicht die Fenster und rasseln nicht die Näder. Die Räder sind mit Gummi- reifen, die Fenster mit Tuch überzogen. Im Fiaker herrscht also eine angenehme, dumpfe Stille, dort i lassen sich feine Nuancen sagen. Dort kann man j gleichgültige Worte mit besonderer Betonung aus sprechen. Sie fragten mich: „Wie fühlen Sie sich?" Es war eine sehr geistreiche Frage und ick antwortete darauf: „Gut." Die Fenster klirrten, die Räder rasscl. ten, man wurde hin und her geschüttelt und ich mußte ! daher laut schreien: „Gut, gut, guut!" Während ich ! im molligen und ruhigen Fiaker die Augm nieder geschlagen und leise gesagt hätte: „Gut." Und ich ! hätte in meine Stimme eine verschämte Aufmunte- ! rung hineinlegen kov"n, eine stille Schamhaftigkeit, i wodurch Sie sofort hcrausgefühlt hätten, daß ick m ch ! in Ihrer Gesellschaft sehr wohl fühle, daß ich mich ein j wenig fürchte, daß mir dies aber wobltut undsoweitsr, nndsoweiter. Jenes „gut" wäre für Sie, wenn ich cs leise, mit meiner eigenen besonderen Nuance hätte sagen können, eine wahre Ausmunteri n z gewesen. So aber, da ich es sehr laut sagte, bedeutete es: „Ich fühle mich gut, gut, gut, lassen Sie mich in Ruh'!" Und dann schwiegen wir etwa fünf Minuten lang. Aber in der Droschke kann man nicht einmal schweigen. Denn in dem ruhigen, molligen Fia'er wäre mein Schweigen aufgefallen und Sie würden gefragt haben: „Warum schweigen Eie?" — Und dann hätte ich vielleicht zu weinen begonnen. Der Mann: Oh, oh! Die Dame: Aber in der Droschke fällt das Schweigen nicht auf. Denn es ist natürlich, daß man bei deren lautem Gepolter keine Lust zum Sprechen hat. Um mich fein auszudrückcn: in der Droschke kann man die Stille nicht hören. So fiel denn auch dies ins Wasser. Und dann fiel der Reihe nach alles ins Wasser, denn das kann man endlich auch nickt einmal von einer verliebten Frau verlangen, daß sie alles mit brutaler Offenheit eingestehen soll, — wie könnten Sie es also von einer Frau verlangen, die erst nur fast verliebt ist und die sich nur durch win- zige Seufzer und eine eigentümliche Betonung der Worte ve-sständlich macken kann .... Der Mann: So ist's, oh, ick Esel. Die Dame: Und von dem Moment an, wo ich aus dem W n stieg und Sie sich verabschiedeten, habe ich Sie nicht wieder gesehen. Sie taten gut daran, mir auszuweichcn, da Ihnen ja von meiner Seite nicht die geringste Aufmunterung zuteil gc- worden war. Nun sehe ick Sie seit damals zum ersten- mal wieder. Nehmen Sie denn zur Kenntnis, daß ich, wenn Sic damals einen Fiaker geholt hätten, wahrscheinlich .... Der Mann: Oh, oh! Die Dame: Pon solchen Kleinigkeiten hängen die schönsten Dinge ab. Und nun antworten Sie mir nicht und bedauern Sie weder sich, noch mich. Und zur Strafe begleiten Sie mich jetzt nach Hause zu meinem Mann. Der Mann: Ich gehe einen Wagen holen. Die Dame: Es wird gut sein, denn es beginnt zu regnen. Der Mann: Aber jetzt.... fetzt bringe ich schon bewußt, aus Achtung, eine Droschke. Die Dame: Nein, nein. Bringen Sie aus Achtung einen Fiaker. Zeigen Sie dadurch, wie es auch ich zeigen werde, daß nun auch schon der Fiaker vergebens ist. Schrecklich, daß ihr Männer nie das Richtige erraten könnt. Gehen Sie. Gehen Sie und merken Sie es sich: Wenn man eine Frau nach Hause begleitet, ist immer jener Wagen zu wählen, vor wel- chen die meisten Pferde gespannt sind. Gehen Sie. (Der Mann geht traurig, einen Wagen holen. Die bittere Erinnerung alter Eseleien verzieht sein Ge sicht zu einem Lächeln. Und es regnet, regnet leise.) Mrozik Novelle von Lvrslz Ich wünschte, daß mir Worte gehörten, die ich nach Macht setzen könnte. Ach, ich bin nichts als ein junger Arzt, verwendet hier an diesem Knappschafts lazarett, mein Handwerk an den Körpern und Seelen der Armen zu lernen, an Bergleuten, die uns ein geliefert werden wie Waren, die der Tod für sich ausgewählt hat im großen Warenhause des Lebens, oder derezi Empfang er verweis» c. Und abends, manchmal, wenn mir nicht Müdigkeit das Gehirn mit Lehm verschmiert, um mir noch Lebenszeichen von meinem Gerste zukommen zu lassen, schreibe ick etwas auf, was mich erregt, mir Gedanken in oie tiefe Seele treibt, mich in Abscheu oder Bewunde rung aufbrennen läßt, bis ich wieder einmal zitternd und ganz Nerv merke, daß ich doch noch ein mensch liche, Wesen bin, von Leidenschaften, Wonnen und Verzweiflungen de» Miterlebens, des Mitlebens, des menschlichen Leben» bebend. Drin, nebenan, im leichten Dunkel, liegt einer und wird sterben. Und ich, freiwillig Nachtwache heute bei ihm, schreibe von ihm auf, was ich ver standen habe — schwach nachzubilden in mir, was er getan hat, das Heldische, das ins Unerwar tete voraetriebene Stück großer Tat. Auf dem weißen Leinen der Laken liegt sein Kopf gelblich, entfleischt, nach der unbegreiflichen Anstrengung, die seine letzten Monate — ach, die sein ganzes kurzes Leben als Mann ausfüllte —, selig zu ruhn, das ist, zu sterben. Zwischen den harten Backenknochen und den Bögen seiner kurzen Stirn liegen dunkle Flecke, die Lider über den bewußtlosen Augen. Und er flieht schon nach innen, weg von dem grellen grausamen Wirbel der Existenz in das magisch leichte Reich des Aufhörens, kühle Erlösung weht ihn schon hin und her, das Band wird stcq lösen, das ihn noch hält, und die Angst des Sterbens, er wird sie vielleicht nicht einmal mehr spüren ... Er ist neun zehn Jahre alt, und fünf davon hat er in der Ar- beitsmaschine der Grube verbracht, zuletzt als Häuer — als Bergmann, der aus dem Schiefer das brenn bare, steinartige und glanzschwarze Mineral schlägt; als Bergmann im Flöz der Steinkohlcngrubr, die einen menschlichen Vornamen trägt — Fcrdinaud- grube heißt, als wäre sie kein atemlos in sich selbst rasender Dämon. Neunzehn Jahre, Michael Mrozik. kurzes fahles Knabenhaar über einem ausgekerbten Männergcsicht, das langsam wieder zu greisenhaftem Kindergcsicht sich verjüngt, ein schmaler Junge, der bald stirbt. Das ist seine Geschichte. Es fängt beim Pater an — alle Menschengcschicke fangen bei Vätern an. Der Monteur Mrozik, im Dienst der Oberschlesischcn Elektrizitätswerke, ein Auge hatte er schon früher drangegeben, wird schließ lich vom Starkstrom mal erschlagen. Die Witwe Mrozik zieht in eine kleinere Wohnung — Stube und Küche im Hinterhaus einer jener geschwärzten Kisten aus Ziegelsteinen. Die Unfallsrente eines Monteurs ist klein, ich weiß nicht, wie wenig GcldMenschcn brauchen, um am Hunger vorbcizukricchen. Die Tochter, hübsch und zu Burcauarbeiten ausgebildet, hat das Glück ihren Jugendfreund zu heiraten, einen technischen Beamten, und zieht mit ihm in eine andere Stadl. Der Mutter bleibt Michael Mrozik, noch Polksschüler, ein stiller Junge; mit Pierzehn geht er, schulent lassen, zur Grube und verdient. Ich weiß nicht, was Jungen dort für Arbeiten tun; schließlich rückt er zum Häuer auf und arbeitet unter Tage. Er Hal kräftige Iungsarme und eine zarte Lunge. Unter Tage — im Berg. Heiße Luft, unzureichend für den Durst nach Atem; vom Sruub feinster Kcb- lentcilchen flimmernd, die jeder Schlag der Hacke, jeder Schuß der Sprengkapseln vermehrt. Die Häuer arbeiten halbnackt in der Hitze, nnd alle Poren ihrer atmenden Haut werden verklebt von einem Fell aus Schweiß und Kohlenstaub. In dieser Höllenluft arbeitet Michael Mrozik acht Stunden oder mehr — arbeitet mit den Armen gegen Stein — stets in der Enge, oft kniend, kauernd, liegend, in grellem Lickt, stets durstig, stets gierig den dünnen Kaffee saufend, im Tempo unserer von der Kohle gepeitschten Zeit. Den Perdienst dieser Art menschlicher Arbeit teilt Michael Mrozik mit seiner Mutter, bei der er lebt. Sie kocht für ihn, sie geht znm Markt, wäscht und flickt seine Wäsche; er ist ihr Mann — Versorger, und doch, still und lenksam, zugleich ihr Sohn: im Kopfe, unter dem grauen Haardutt der Frau Mrozik dreht ein dumpfes bekümmertes Zufriedensein seine weiche Trommel. Bis zu jenem Sonntag, den sie verflucht. Zwischen Stadt und Wald liegt mit ein paar ftehngcbliebcnen Kiefern das Gasthaus zum Deutschen Kaiser; auf dem staubigen Holzboden eines Saales, unter Girlanden, aus Buntpapier geschnitten (ver staubt schon und von der Sonne ausgebleicht), die von einem Kronleuchter zum andern sich zieh», tanzen Sonntags junge Ladner, Arbeiter, Beamte mit den Mädeln ihrer Kaste an den Gipsbüsten unserer Herr scher vorbei zum Lärm von Trompete, Geige und altem Klavier Walzer, Polka und Krakowiak. Dort sieht Michael Mrozik die Berta Okonkowski und tanzt mit ihr, hübsche, schwarzhaarige Verkäuferin in Kleemanns Warenhaus. Seine Liebe schlägt so intensiv aus seinen Augen und so drohend steht sein Wille ihm um Mund und Backen, daß er Nivalen scheu zu weichen zwingt, sich geduckt zu drücken, und die Berta sich geschmeichelt an ihn legt. Er kann ihr Bier und Wurstbrot kaufen; seine Worte sind wenige, aber das Mädel fühlt hinter Stirn und Brust des Jungen etwas Maßloses, das ganz auf sie ge wartet hat und bereit ist, sich auf sic zu stürzen. Sie reden mitsammen zur Stadt heim wenig, die Felder schweigen unterm jungen Monde. Mittwoch abend verlieren sie sich gemeinsam in die erregenden Kino welten; seine Hand tastet sich um ihre breite Hütte. Den Sonntag drauf, nach der ersten Stunde Tanzens gehen Paare Luft zu trinken ins Freie; der Wald saugt sie im Sternenschein an. Michael Mrozik kennt ihn und seine Gehölze von Inngenspielcn her; indes ihre hungrigen Lippen im Fichtenschatten end lich einander erlösen, treiben zwanghafte Schritte ihn und die Berta an den einsamen Grasfleck in der Schonung, auf dem er dumpfselig an ihr zum Mann eratmet. Don da an ging er mit ihr — so nennt das Volk doch Liebcsbündnisse seiner Jugend. Die Mutter freilich fand sich in diesen neuen Zustand nicht — nicht darein, daß der Junge heim- ! kam, sich wusch, umkleidete, wieder ging; nicht darein, daß er die Abende und einen Teil der Nächte außer- i halb der Wohnung zubrachte, sie wußte, wo; nicht darein, daß sie die Sonntage nun auch, die alternde Frau, mit sich allein zubringen sollte. Um eines Weibes willen, das jünger war, jung, ganz jung, äß sie nun lautlos in den kahlen Wänden und sah tumpfblau den Himmel über den Hof gespannt durch >ie kahlen Vierecke des Fensters. . . . Kam Michael heim, so machte sie wehleidige Worte — un kluge, das spürte sie, die aber auv ihr brachen wie unhemmbar; klagende Worte über sich, anklagend: gegen ihn, bissig stichelnde gegen die Berta, bis sie in wildem Schimpfen aufschrie und von Tränen ge beutelt endete. Und all das ohne Wirkung, denn weder gab ihr der Siebzehnjährige schroff Antwort, wie sie sie eigentlich erwartete und die ihr schließlich als Ruhe schaffend wohlgetan hätte — denn wer das Geld des täglichen Bedarfs verdiente, der durfte auch als Herr aufstehen und Vie Faust auf den Tisch donnernd das Heulwesen beenden — noch änderte er seine Lebensart. Und allwöchentlich legte er »hr auf den Tisch, um den diese Szenen sich begäbe:' jeden Sonnabend dieselbe Summe Geldes wie frühe:', vor jenem Unglück, als habe sich nichts verändert, und so fehlte der Frau zu alledem noch jeder sinn fällige Grund zur Klage, der ihr wenigstens das Mi: gefühl der Hausleute eingetragen hätte. Bis nach etwa einem Jahre ohne Anzeichen einen Krankheit der Junge immer magerer und verfallene aussah. Das Dunkle unter den Äugen ließ sich nick mehr wegwaschen, kein Essen füllte seine Backen ww der auf, und wenn er auch tagsüber immer länge vom Hause wegblieb, bis er überhaupt nur spät nach: noch heimkam, sah sie mit Angst und Ingrimm ick: nach wortlosem Essen schon fast am Tische einschlafen und ins Bett fallen, jäh ubwärrs in ein unheimlich tiefes Wegsein. Ah, das Frauenzimmer — es lutschte ihn aus, das unersättliche Aas, dachte sic. Sie dachte cs dceiviertel Jahr; dann blieb der Junge eines Nachts ganz und gar von Hause weg, und Frau Mro zik hörte erst auf, ihm und jener Dirne mit geballten Händen zu fluchen, als sic, am übernächsten Morgen, zu uns gerufen wurde, ins Lazarett der Knappschaft, an das Bett, von dem aus Michael verlangt hatte, sie zu sprechen. Und hier, von uns und von ihm, hörte sie, er sei wirklich völlig hohlgcfressen, aber nicht von dem Mädel, sondern von einem maßlosen, unverständlichen Grad von Arbeit bis zum Zusam menbruch gehetzt. Da lag graugelb und knochig auf dem Kissen der Kopf eines kleinen Jungen. Wort arm aus ganz zerstörter Lunge kam die Mitteilung zustande, daß er llcberstundcn gearbeitet habe seit der Bekanntschaft mit der Berta, weil er mehr Lohn brauchte, und endlich doppelte Schichten, als sie ihre Stellung aufgcben mußte, weil sie ihm einen Sohn gebar — zwölf bis sechzehn Stunden Arbeit unter Tag, um für beide, die alte Frau und die junge mit dem Kleinen, das Geld zum Leben zu schaffen. Und so Ungeheuerliches sagte das dem Tod zutreibende Kind mit der Selbstverständlichkeit eines Mannes, der nichts als das Alltägliche getan hat. Er hatte ihr das Gairze verschwiegen, sagte er weiter, weil sie ja doch nur Aerger und böses Gerede, und sonst nichts dazugetan hätte; jetzt ab?r, wenn er nicht m»hr aufkommc, möchte sie, wenn sie's übe'- sich brächte, an sein Kind denken. Die alte Mrozik ging zur Berta. Sie sand'das Mädel nicht gewöhnlicher als irgendeine und ver schüchtert vor der fremden Frau — kaum achtzehn Jahre, mit einem Kinde als Last auf ihrem Leben. Als sie dann fragte, ob denn die Berta auch das Kind behalten wolle oder lieber es ihr lasse, führte diese sie zu dem Waschcorb, in dem das Kleine ganz ordentlich an seinem Läppchen lutschte, und meinte: es sei bei der Großmutter doch besser aufgehoben als bei ihr. Und einfach wie einen Gegenstand, der ihr gehörte, nahm Frau Mrozik das Kleine mit sich, in ihres Sohnes Bett, in die nun wieder nicht mehr leere Stube. Michael aber, als sie's ihm sagen kam, nickte zufrieden und schloß die Augen — und nun, in dieser Nackt durchpulst vom fernen Dröhnen der Maschinen, liegt er und stirbt seinen Tod, den einfachen Tod eines Menst' , deck' seine Angelegenheiten in Ordnung weiß und nun hinsaust und hindämmert in das lösende flutstilllle Glück des großen Feierabends. Ich aber denke mir aus, wieviel tausend solch stiller, prunkloser Heldentode jeder Abend dieser Erde sicht, und zittere vor Trauer und Glück, weil ich dem Geschlechte der Menschen angehöre, und nahe genug der getretensten seiner Gilden wohne, ein Ohr zi: sein diesem lautlos Großen, es zu hören, ein Äug', .es zu sehen, eine Vernunft, cs zu erkennen, ein Her,, es ganz zu durchfühlcn; und eine Hand, helfend- hin einzutastcn oder auch nur, es vor dem großen Per geffcn zu bewahren. Umgang mit Men' ; Von ckuck>v.'§ kksvs Wir hatten dazumal in Berlin einen Z . :. ,d. :- kreis gebildet, iii den Zutritt zu finden den wenige.:, denen es gelang, als ein hoher Gewinn erschien. Di' Freunde waren Männer der verschiedensten Berufe: Schriftsteller, Maler, Musiker, Schauspieler, aber auch das praktische Leben hatte seine Vertreter. Es gab keine Fachsimpelei. Alles war allen interessant. Persönliche Angelegenheiten suchte jeder euszuschnl- ten. Geistigkeit verbreitete Hciterieit. Nach dem Kriege fanden sich die kleberlebendcn und nicht von Berlin Fortgezogenen allmählich wieder zusammen, aber nicht vollzählig und nicht für lange. Einzelne waren schon während des Krieges in den Ehestand ge- treten. Nach und nach entschlossen sich alle zur Heirat. Der eine wählte eine Zarte, der andere eine Mollige; dieser eine Heitere, jener eine Ernste. Karl nahm ein armes, Franz ein reiches Mädchen: Hans Entschied sich für blond, Fritz für schwarz. Bald zeigte es sich, daß die Frauen nicht zu- sammen stimmten. Und es verstimmte sie, daß die Männer das nicht wichtig genug nahmen. Die Zarte erklärte, nur ein gemeiner Geschmack könne Frauen nach dem Gewicht schätzen. Die Mollige entrüstete sich: Gefallen dir Hopfenstangen? Die Heitere schmollte: man vcrsaurc ja ganz. Die Ernste fand das ewige grundlose Lachen unerträglich. Die Arme widersetzte sich: sie gehe nicht mit, weil sie nichts an- zuziehen habe. Die Reiche sprach von Spießigkeit und gewöhnlichem Aussehen. Binnen kurzem wurde es den Mänern leid. Man will seinen Hausfrieden haben. Man hatte auch häusliche nnd berufliche Sorgen. Das Leben, das ehemals so billig und be quem war, ist schwer geworden, die eigenen Inter essen beschäftigen jeden viel mehr als früher. Man fühlte sich den anderen entfremdet, zog sich vonein ander zurück. Wenn man einander, meistens nur iwch zufällig, begegnete, gab es ein gleichgültiges, kurzes Gespräch. Ich bin ein unheilbarer Iungeselle. Nicht Ab neigung gegen das weibliche Geschlecht, sondern mein' allgemeine Liebe zum weiblichen Geschlecht verbteck mir, zu heiraten. Ich liebe die Zarten und d- '
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