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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 27.03.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-03-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192303272
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230327
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230327
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-03
- Tag 1923-03-27
-
Monat
1923-03
-
Jahr
1923
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LO «p. 7» DLeartlttg, <tea 27. WLrr ^isektrag Lür äie kernauÜa^e Vie politische Lage in Sachsen Leipzig, 2V. März. Sonntag vormittag hatte sich eine große An zahl von Mitgliedern der Deutschen Demokratischen Partei Leipzig» zu einer Besprechung über die poli tische Lage in Sachsen zusammengefunden. Finanz minister a. D. Dr. Reinhold berichtete über dte letzten Vorgänge im Landtage, wie sie durch das Miß trauensvotum gegen Lipinski eingeleitet worden waren und die jetzt mit der kommunistisch-sozial demokratischen Einigung ihren vorläufigen Abschluß gefunden haben. Daß der kommunistische Vorstoß gegen Lipinski zum Rücktritt des Kabinette, Buck geftihrt habe, sei die eigene Schuld der Sozial demokraten, die eine Verständigung mit den Demo kraten noch in letzter Minute abgelehnt hatten. Erst nach dem Kabinettssturz hatte die sozialdemokratische Fraktion das ernste Streben, sich mit der demokra tischen über die Beseitigung der Krise zu einigen, und auch beute noch wissen die Führer der VSP. sehr wohl, daß eine Verständigung mn den Demokraten klüger gewesen wäre als die mit den Kommunisten- Aber der Parteitag der BSP. hat seinen Führern in diesem Punkte die Gefolgschaft versagt und unter Ernennung einer 7er-Kommission, die mit den Kom munisten Fühlung nehmen sollte, die künftige Marschroute ncit dem Kennwort crngeüeulet: Keine Koalition mit den Demokraten. Die nach langwierigen Verhandlungen schließlich doch noch zustande gekommene tommunisrisch-sozial- demokcatische Einigung hat in weiten Kreisen der VSP. eine Mßsiimmung hervorgorrnen, da sie viel fach als ein Fügen umcr das Diktat der Kommunisten ausgelegt wird. Rian kann darüber verschiedener Ansicht sein, ob die Punkiarion dieser Linigrrng gegen den Wortlaut der Verfassung verstößt, aber bestimmt verstößt sie gegen den Geist der Verfassung. Mit ihr ist der Rätegedanke in Sausten einen Schritt weirrr- gekommen, da künftig an der Vorbereitung der Ge setze eine Berufsorganisation der Arbeiter neben Regierung und Parlament mitberalend teil- nehmen soll- Bei der Wahl des neuen Ministerpräsidenten be fand sich die demokratische Landtagsfrattion insofern in einer schwierigen Lage, als die anderen bürger lichen Parteien einen bürgerlichen Kandidaten aus gestellt halten, dessen Kandidatur die Demokraten mit Rücksicht auf die feste Linie ihrer bisherigen Politik nicht unrerstützen zu können glaubten. Ein Versuch, anstatt Dr. Kaisers den Deuwtraren Dr.Külz al» Kandidaten der Bürgerlichen zu präsentieren, scheiterte am Widerstand der Deurschnarionalen. Es mußte der demokratischen Landragsfraltion weniger daran gelegen sein, eine bürgerliche Koalition zu stande Zu bringen, als eine Koalition aller aus dem Boden der Verfassung stehenden Republikaner. Auf Grund der vor dem Wahlakt abgegebenen Erklärung des Abg. Seyfert versagten die Demokraten dann dem Abg. Dr. Kaiser ihre Stimme, ohne diese dem Kandidaten der Linksparteien zu geben. Die künftige Haltung der Demo'raten im Säch sischen Landtag wird von der Form abhängen, in die das Regierungsprogramm des neuen Minister präsidenten gekleidet sein wird. Sollte Dr. Zeigner sich hierin aus die Pimkration der kommunistisch- sozialdemokratischen Einigung stützen, so dürste er auf die schärfste Opposition der Demokraten stoßen; tut er da» mcbr, so werden legiere mir der. Kommunisten stimmen, sobald Staat ^Notwendigkeiten dies erfor dern. Gewiß werden Kommunisten und Sozial demokraten so lange zusammenzugehen suchen, als es nur irgend möglich ist. .Aber schon zeigen sich hier und dt» Gegensätze, die es immerhin wahrscheinlich sein la^en, daß sich mir dee Zeit der rechte Flügel der VSP. durchsetzen und die latente Regierungskrise in einem für die Demokraten günstigen Sinne endgültig lösen wird. An die uni starkem Beifall ausgenommen»!! Aus- führungen de« Referenten, schloß sich eine länger» Aussprache an, ia der die Haltung, die die demokra tische Landlagsfraktion bei der Bildung der neuen Regierung eingenommen hat, durchaus gebilligt wurde. ' tzs L . Osterferien ves Reichstages (Schluß de» Berichts über die Sonnabend-Sitzung.) Berlin, 24. März Im Reichstage kam man nach Erledigung von Petitionen dann zu der deutsch-völkischen Erklärung. Diese trug Abg. v. Graf» in der ihn so gut kleidenden aufreizendem Art vor, und es wäre. dabei um ein Haar zu einem tätlichen Zu sammenstoß mit radaulustigen kommunistischen Ver tretern gekommen, denen da» Bewußtsein der Mehr zahl den Mut gewaltig schwellen ließ. Abg. Hen ning sprang feinem Freunde btzi. Abg. Dulte, der auch sonst sehr vorsichtige blonde Held, war nicht im Toole. Di« deutsch-völkische Erklärung wendet sich mit großer Schärfe gegen das Verbot einer, poli tischen Partei als gegen.'einen Versaffungsbruch, kündigt an, daß die Parker sich um dieses Verbot nicht kümmern werde, und fordert von der Reichs regierung und dem Reichstage Unterstützung gegen die Vergewaltigung. Es wurde eine neue Sitzung des Reichstages gefordert, in der über da» Vor gehen Oes preußischen Innenministers debattiert werden .sollte. Dieser Forderung traten die Deutsch nationalen bei, und Abg. Schultz «Bromberg) kündigte eine Irttervellarion an die Reichsregierung an wegen der Auflösung der Deutsch-völkischen Frei- heitsplrrtei. - - Am die Anberaumung einer besonderen Sitzung gab es eine Geschäftsordnungsdebatte, in der dte Linke mit der zuvor von der Rechten herbeigeführ- tcn Vefchlußunfähsgkeit spezielle und in der Abg. Ledebour (Anabh. Soz.) sich gewaltig entrüstete, daß die Reichsregierung nicht von selbst sich äußern wolle. Dann blieb es bei der Vertagung über Ostern bis zum II. April. O Der Zusommcnrrüt des Auswärtigen Aus schusses, der für Montag nachmittag angesetzt war, mußte auf Dienstag verschoben werden, da Reichskanzler Dr. Euno an einer Erkältung leicht erkrank ist. - ' Uoustantinopel als Nonferenzort vorgesehen Lipeuer Dra-itir richt de» Letp-toerTaardlatte» Paris, 25. Mürz. Aus London wird gemeldet, daß Konstantinopel zurzeit die größte Aussicht als zukünftige Konferenz stadt für die Verhandlungen zwischen der Entente und der Türkei habe. Falls Lies Tatsache werden würde, so würden tue Verhandlungen sich auf. ein fache Besprechungen zwischen dem Oberiommistor zusammen mit den Sachverständigen einerseits und den Vertretern der türkischen Regierung anderseits beschränken. Der Tcmps weist darauf hin, daß man dabei große Ersparnisse erzielen würde und duß Sie deliküte Frage, die sich bei derarrigen Verhand lungen immer aufwerfe, nämlich die der Präsiden:- schäft der Konferenz, ausgeschaltet würde. Petit Parisien meldet aus London, daß dir alliierten Sachverständigen, die mit der Prüfung der türkischen Gegenvorschläge beauftragt sind, jetzt den ersten Teil ihper Ausgabe, gelöst haben. Man scheine auf alliierter Seite entschlossen, sich mit den Garan tien, dir die Nationalversammlung in Angora vor schlage, nicht zufrieden zu geben. Man vertrete die Ansicht, daß oie Angorarrgierung noch nicht lange genug in da» internationale politische Konzert ein- qetreten sei, und daß sie sich zuerst nach dem Muster der Regierungen zivilisierter Lander organisieren solle. Daten könne man später eine Einschränkung der Garantien ins Auge fassen, welche die alliierten Regierungen sirr ihre Staatsunzehörigen in -er Türkei gegenwärtig fordern zu müssen glauben. Höllein in Paris vernommen aioe»t»kDrahlb»richtde»Leiv»t»erDagrblatie» , Pari», 25. März. Der kommunistische deutsche Reichstagsabgeordnett Hol lein, der vor einigen Tagen in Paris ver- hastet wurde, stand gestern zum ersten Male vor oem Untersuchungsrichter. Wie Havas mitteilt, hat Höllein als internationaler Kommunist der deut schen Abteilung gegen den Tenüenzprozeß protestiert, den ihm die Franzosen machen. Er habe die Worte, die ihm jetzt in den Mund gelegt würden, in der Versammlung nicht gebraucht. Er erklärte, die bei ihm aufgefundenen Notizen seien ein Entwurf der Rede gewesen, die er habe halten wollen, aber in dieser Form nicht gehalten habe. Oer Mord am Wiesenhaus Zwickau, LS. März. (L i g. Drahtbericht.) sin der am Montag wieder ausgenommenen Ver handlung gegen ven unter Lwrdverdacht stehenden früheren Husaren!« utstbnt Köhn wird in der Zeugenvernehmung fortgcfahren. Zeuge Holzhänoler P-aul wird vom Vorsitzende» <""-?agt, ob "rrtritz ihm gegenüber gesagt habe, daß, wenn Köhn freikäme, ein Weinabend veranstaltet würde. Paul gibt an, daß diese Aeußcrung ihm gegenüber nicht von Puttritz gemacht sei, sondern, daß ihm diese angebliche Aeußerung von einem Be kannten mitgeteilt wäre. Rechtsanwalt Dr. Alsberg bittet, die Ver nehmung aller Zeugen schnellstens vorzunehmen, um zur baldigen Erledigung des Derfeahrens zu kommen, was bis Dienstag möglich sein könne. Der Verteidiger regt ferner an, von einer weiteren Ver nehmung der Schießsachverstandige» Abstand zu nehmen. Diesevi Antrag wird stattgegeben. Es folgt die Vernehmung des aus Berlin hinzu gezogenen Sachverständigen Dr. Straß mann. Er bezeugt, daß nach, der Untersuchung die in dem Anzug vorhandenen Flecke von Blutspuren Hx rühren. Im übrigen seien zehn solcher Flecke tn dem Röck vorhanden gewesen. An der Hose habe er neun Flecke festgestellt. Es sind nur vier Flecke chemisch untersucht worden, da die Untersuchung aller Flecke zu lange gedauert hätte. Es wurde fcst- gesiellt, daß es sich bei ihnen nicht um Men sch en blut handele. In längeren Ausluarungcn gibt Dr. Straßmann Aufklärungen darüber, wie er zu dieser Ueberzeugung gelangt sei. Professor Strauch teilt mit, daß er den Aus führungen Dr. Straßmanns nichts hinzuzufügen habe; diese seien absolut zuverlässig und sicher. Sanitätsrat Dr. Zschau wird befragt, was er für einen Eindruck bei der Sektion bzw. Auffindung der Leiche gehabt habe. Er erklärt, daß die Leiche feines Erachtens rmfgebcnu gewesen sei und jeder der beiden Schüsse tödlich gewesen wäre. Es sei unmög lich, daß sich Fräulein Müller nach Abfrueruny dee ersten Schusses einen zweiten habe beibrmgen können. Fräulein Müller habe auch beide Schüste nicht an der Fundstelle empfangen. Gr erkläre dies durch die Lage des bei der Ermordeten gefundenen Hutes. Dr. Zschau nimm: an, daß der erste Schuß an einer anderen Stelle erfolgte und der zweite ')r gewißermaßen als Streckschuß an der Fundstelle beigedracht worden sei. Der erste Schuß fei au» einer Entfernung von 3 bis 4 Meter erfolgt und als Nahschuß anznsehen. ' . Dr. Heilmann wird als Sachverständiger ver nommen und stellt fest, daß es ihm nicht möglich sei, aus der Lage der Leiche festzustellen, ob Mord oder Selbstmord oorliege. Professor Kockel erklärt, daß der zweite Schuß abgegeben sein könne, als Fräulein' Müller bereits am Boden lug. Daß -er Schuß (Ohrschuß) aus un mittelbarer Nähe abgegeben wurdest fei, sehe man an der Schwärze des Einschusses. Der Sachver ständige hält es auch für möglich, daß sich ein Selbst mörder mehrere Schüsse beibringt. Wenn man an nimmt, daß sich Fräulein Müller den ersten Er"u,; ins Ohr und den zweite» am linken Auge beiye- bracht habe, ist Selbstmord nicht ausgeschlossen; allerdings sei dies nicht alltäglich unü nach seiner Meinung auch nicht gut angängig. Den Schluß -er Dormittagsverhandlungen bilde ten noch längere Erörterungen der Saryverständiaen. Rach Ansicht der Verteidigung dürfte die Verband lung noch am Montag ihr Ende finden, voraussicht lich i» den spaten Abendstunden. Das Urteil würde dann am Dienstag gesprochen werden. Die Verhandlung wird fortgesetzt. Dom Landesverrats freigesprochen. Dor dem -ritz ten Strafsenate des Reichsgerichtes fand am Mon tag die Verhandlung gegen den Bahnc-rbeiter Martin P fliegensdorfer aus Lutzelseysen i. B. wegen Hoch- und Landesverrates statt. Sie endete mit einem Frei spruch des Angeklagten. Ueber Auslosung und außerordentliche Kün digung von Leipziger Stadtschnldscheinen erläßt der Rat heute eine amtliche Bekanntmachung. Tie außerordentliche Rückzahlung erstreckt sich auf ettva 100000 Stück der kleinsten Schuld verschreibungen der Stadtgemeinde Leipzig zum Nennwerte von je 100 M, 200 M. und 800 M. für die nächsten zulässigen Kündigungstermine. Sie ist im Interesse der Vereinfachung der Ver waltung unv der Herabminderung der Berwal- tungskosten notwendig. Tie Einlösung der kleinsten Zinsscheine von je 1,50 M., ' 1,75 M., 2,— M., 4,50 M., b,— M, 5^5 M. und 6,— M. bringt auch den Inhabern keinen Nutzen mehr. Wie notwendig diese Regelung ist, ergibt sich daraus, daß Papier und Neudruck der Zinsscheinbogen unter den jetzigen Verhältnissen mehr kosten würden, als das ganze Kapital beträgt, sür das der Zinsschein dient. Aber auch für die Schuld» scheininhaber selbst darf nicht außer acht gelassen werden, daß gerade bei den kleinen Stücken ein großer Teil des Zinsenertrages für Depot- unL sonstige Gebühren aufgeht, und das z. B. eins Einzahlung auf Sparkassenbuch bei der Sparkasse Leipzig vorteilhafter ist. Oie vereitelte Novelle ös Bon Kari iVilln^sr »Hachdtuck verboten) Der Doktor hatte nicht zugehört. Er hatte bitter gevacht: „Und meine Novelle? Beginnt sie nun oder ist sie hier zu Ende, ehe etwas Eigentliches geschehen ist? Ach nein, Lisa ist kein Romanstoff. Es ist doch zu banal. Was wird nur meine Freundin zu allem sagen?" In diesem Augenblick gab es einen dumpfen Fall. Die junge'Lisa lag vor ihm auf den Knien, küßte seine kalten Hände, seinen Rock und sagte laut und deutlich: ' „Dich liebe ich, dich, nur dich. Alles andere ist mein Tod." Sie war erwacht, sie war verwandelt. Nicht länger durum und befangen, scheu und indolent, empörte sie sicy gegen das Geschick. „Bei dir!" rief sie, „bei dir will ich bleiben. Ich lebe ja nur vo» dir." Ihm schwindelte, er rauchte in alle süßen 4lb- gründe des Glücks und sagte sich, wie er sich so verloren im Glück fand, zugleich hart und mitleidlos: „Unmöglich! Ich und ehrbarer Hausvater, der Blumen auf dem Balkon zieht und den Kindern bei den Schularbeiten hilft! Oder soll ich sie entführen, sie als Geliebte be halten und ihrer übers Jahr überdrüssig sein, sie stehen lassen, fortjagen? Nein, sie soll es gut haben, einen braven Mann, Leine Sorgen. Ich werde ihre Kinder erziehen, sie wird mich ver gessen, er wird . . ." Aber alles in ihm verwirrte sich. Er sagte sanft: , - - - ,^Lisa, das hättest du nicht sagen sollen. Sieh', ich bin der Rechte nicht für dich. Mich darf man nicht lieb haben. Du mußt mich vergessen und den anderen heiraten. Glaube mir, das einzige, was mir am Herzen liegt, ist dein Glück. Ich rate dir gut. Ich, siehst du. ich darf mir eure Freuden nicht gönnen. Schließlich ist auch Liebe banal. And ein Künstler kann im Banalen nicht atmen, er braucht das ewige Abenteuer . . Da schämte er sich selbst und schwieg. And Lisa sah ihn unbeschreiblich innig an, als verstünde sie 'plötzlich, sehr weise, alles, alles, auch sein zerrissenes, ratloses Herz; sie legte sich sanft an seine Brust, einen Augenblick, küßte ihn da. wo sein Herz laut und weh schlug, und ging hinaus, hinauf und sagte Herrn Leisegang: „Ich bin Ihre Braut." Der Schriftsteller machte kein Licht an diesem Abend, ruhelos ging er Vie ganze Nacht auf und nieder. Erst in einem sehr viel späteren Roman hat er die bitteren Gedanken dieser Stunden ver wertet: aber da waren sie schon von dem schmerz lichen Gram gereinigt, der sie in dieser Nacht durchsetzte. Denn heute, heute litt er. Er.wollte hinaufeilen, sie holen, mit ihr fliehen. Was Banalität, was Bürgertum. — Liebe, Liebe war des Lebens Preis! Er legte sich nicht nieder, er ging und ging durch seine Stuben, ein armer unglücklicher Mensch, der sich selbst nicht riet und verstand. Sein eigenes Rätsel ängstigte ihn. Es wurde Tag nach einer schwülen Nacht, ein Heller, seliger Morgen, da läutete es im ersten Fcühlicht grell an der Tür. Herr Wupke stand draußen, lief verstört. „Ist Lieschen hier?" stöhnte er. „Lisa?" Ja, sie war nicht da, ihr Deti leer, sie mußte sich in der Nacht fortgeschlichen haben. Der über- nächtige Herr Doktor wankte. Da sah er einen Brief, der unten in die Türritze geschoben war. Er war von Lisa, und sie hatte geschrieben: „Ich möchte Ihnen so gern gehorchen, aber diesmal- geht es doch nicht. Denn ich kann Sie nicht vergeben und ihn nicht heiraten. Ich weis; nicht, wohin mit mir. Ich sehe wohl ein, daß Sie mich nicht lieben dürfen. Was bin ich? Ich gehe nach der Luisenbrücke. Laßt mich nicht zu lange im Wasser liegen. Sie ''ollen sich vor meiner Leiche nicht grauen. Wercn Sie es können, so geben Sie mir im Sarg einen einzigen Kuß. Solange ich lebte, batte ich nie den Mut, Sie darum zu bitten. Bitten Sie für mich bei den Eltern, un-erem Pastor und dem lieben Gott. Ich kann an keinen sonst schreiben. Denn ich war, ich bin nur Ihre, Ihre Lisa." Der Herr Doktor kam von Lisa Wupkes Be gräbnis zurück, sehr blaß, das Geächt tief ge furcht. Er real in ''eine Wohnung, die von neuer Leere schauerte. Aber seine kluge Freundin wartete hier auf ihn, hatte ihren Stammplatz wieder eingenommen und trat nun gütig auf ihn zu. „So ein schwaches Kind," sagte sie tröstend. „Stirbt aus Liebe, statt aus ihrem Glück und Schmerz etwas zu machen. Was hätte sie sich für ein tje-es und reiches Leben gestalten können aus ihrem Kummer! Statt dessen macht sie sich's bequem und stirbt." „Ach bitte," sagte der Schriftsteller müde und setzte sich, „nicht diese weisen Betrachtungen. Nur nicht diese ewige Vernunft. Gott sei Dank, daß es noch Impulse gibt." Er versank in Ge danken. „And Ihre Novelle?" fragte die Dame spo- tisch. „Ist das alles? Recht banal! Oder hat dieser Tod sie vereitelt? Sehen Sie. ich sagte Ihnen gleich. Sie hätten da eine R"lle mit- spielen müssen. Statt dessen Ihre passive Hal tung, Ihre Herzenskülte . . Er sah sie verächtlich an. „Das weißt du?" dachte er. „Alles, alles ist vorgefaßte Meinung. Alle Spiegel sind falsch. Wir selbst sehen uns verzerrt. Das Echte, Wahre, Lebendige kommt unverhofft, heimlich, überwältigend — Lisa..." Aber in diesem Augenblick schien ihn auch dis alte Freundin zu verstehen, wie wenige Tage vorher Lisa sein ratloses Herz verstanden hatte. Unglückliche Männer werden besser als glückliche von Frauen verstanden. Und der Schmerz des Geliebten macht die Frau hellseherisch. Sie trat an ihn heran, legte leicht ihre Han aus sein Haar und sagte — zum erstenmal mit du: ^Sei ruhig, sei ruhig. Alles wird gut. Und es kommt ein Tag, wo selbst das Leid wohltui." Da nahm er ihre Hand und sagte ver zweifelt: „Ia, verstehst du mich? Kannst du mein Herz raten? Ich begreife es nicht. Warum wollte ich sie nicht lieben, warum schickte ich sie fort, der ich sie doch sehr liebte, sie, die mich über alles liebte? Warum? Warum?" „Vielleicht, weil du diesen Kummer brauchtest, um nun ein rechter Mensch zu werden. Denn du wirst an ihm nicht sterben, du wirst dich an ihm entwickeln. Und so hat Lisa ihr Frauengeschick erfüll:: sie starb nicht aus Schwäche, sie starb für dich und orderte ihr Leben deiner Zukunft. Sie sei gesegnet." Ende. Vcrantwort'lch für den redaktionellen Teil (anker sandel): Eb.fredaktenr Dr. Kurs «Schmidt; für Anzeigen: vcinr. Balser: beide in Leipzig. — Berliner Dienst: Epcfrelxrkienr Dr. Sri» Evertd, Berlin. UllsteinbanS. — Dresdner Dienst: Ehm Welk. Dresden. Gabeisberger- straste 24. Ferrnpr. 34 793. — Druck n. Verlag: Leipsta-r VrrlagSdrnSerek, V. m. b. H.. Leipzig IohanniSgafse 8. Unverlangte BeitrSge ok»ne Rückporto werden nicht zu- rückgcsandt. Die vorliegende Ausgabe vmfaht 12 Sellen
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