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Xr. S8 117. Ooaaerslng, üe» 8. LLrr 1923 »«»»?«» wr die»«»a»1^Ttadt.u.Polt^«urlagc «rLzklgkNprLI». die etnsp. 24mw drww.ZeileM l-i). .itik oikSW. Inserent. M. 270.—. 2onoervretse:yamtlienan, v.Priv die mm-Aetle M. SO.-. Gelcoenyetts-Än,eigen cpriv. Naiur; und Lullrnangevotc, die mm-Z> tlc M. 75.-. Tlellcngesuche die mm-Zetle M. 60—.amtl. Bekannimackiungen, Doppel-mm-Zeile M. 300.—, fl!r auSw. M.54O.—. Reklame 72 mw vielt, die mm-Zetle M.75O —,für aus wär.ige vl.1200.-. AuSlandLanzctgen mn Valuia »Ausschlag. Bei Wtederholmig Nachlass. Platz- und Datenvorschristen ovne Ber- bindlichkeit. ErlüllungSort Leipzig. — Im Falle höherer Gewalt erlischt jede vervllichtung ans Erfüllung der Äluzeigen- aulträgc und Lkilttma von Schadenersatz. — Postscheckkonio Leipzig 3004 Druit und Verlag Leipziaer Aeriagtz- drutkerri G. m. v. H , Leipzig. Veriiner rchrtstleitung: Im Ullsteintzau». 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Oie Aussprache über die Kanztsr-M Oer tturs bleibt derselbe « e. e. Berlin, 7. März. Die gestrige Reichstagsrede des Reichskanzlers ist nach dem Anblick, den das Haus von außen und innen bot, im Auslände und im Inland« gleichermaßen mit Spannung erwartet worden. Sie war dann auch natürlich auf die Wirkung nach beiden Seiten angelegt, aber der Eindruck wird vermutlich im Dauern besser und stärker sein als draußen; denn leider war die Rede zunächst zu lang, als daß sie ungekürzt in die fremden Zeitungen kommen könnte, und die Kürzungen der Korrespondenten werden ihr schwerlich zugute kommen; außerdem wird manches hart in fremden Ohren klingen. Im Hause aber fand sie keinen ernsthaften Wider spruch, von einigen törichten Zwischenrufen der Kommunisten abgesehen, die schnell von der Mehrheit unterdrückt wurden und schließlich unterblieben. Diese Wirkung kam zum guten Teile durch die lange Einleitung zustande, die den französischen Terror im Ruhrgebiet so weit schilderte, daß nachher die Hörer sich den Kon» sequenzen, die der Kanzler zog, schwer entziehen konnten. Insofern war die Rede psychologisch ge schickt aufgebaut, aber wie gesagt, die Wirkung auf das eigene Volk ist nur die eine Seite der Sache. Im ganzen gab der Kanzler wenig Neues, weder Tatsachen noch einen Plan für die Zukunft. Das Bezeichnende war aber gerade die Festigkeit und die Ueberzeugtheit, mit der Dr. Luno erklärte, an seinen bisherigen Richt- linicn unbedingt festhalten zu wollen. Nach den mancherlei Diskussionen, die in den letzten Tagen rechts und links geführt worden sind, ist heükb besonder» klar geworden, daß der Kanzler, von der Stimmung des deutschen Volkes aus gesehen, eine Politik der Mitte verfolgt. Er hat keine der extremen Forderungen berücksichtigt; weder die nach dem Abbruch der Beziehungen mit Frankreich, noch die gegenteiligen nach einem neuen Angebot von Verhandlungen. Das erstere verbot sich für jeden besonnenen Menschen von selbst. Es hieße ja die Torheit unserer Kriegserklärungen von 1914 wieder- holen, wenn wir den Franzosen jetzt den Kriegs- Zustand böten. Nichts wäre ihnen vielleicht lieber. Wir aber wollen diesmal das Odium, den Friedenszustand formell beseitigt zu haben, den anderen überlassen, und nicht wie damals es der feindlichen Propaganda erleichtern, uns als die eigentlichen Friedensstörer darzustellen. Was die Franzosen im Ruhrgebiet verüben, wirkt auf die Meinung der Welt ander«, wenn es wäh- rend des angeblichen Friedenszustandes ge schieht, als wenn wir ihnen sozusagen eine« Freibrief ausstellten, indem wir die normalen und korrekten Beziehungen auch von unserer Seite lösten. Aber auch diejenigen sind enttäuscht worden, die von dieser Rede eine besondere Aktion zur Erleichterung, wenn nicht Anbahnung von Ver handlungen erwartet hatten. Daß sie das nicht bringen würde, erschien nach dem ersten, sehr scharf gehaltenen Teile klar, der manche glückliche polemische Wendung enthielt. Das Warnungs- signal zum Beispiel, das der Kanzler den an- deren Nationen, wie er sagte, aufstecken wollte, mit dem Hinweis, daß die letzten Wochen an dem deutschen Volk nicht spurlos vorüber gegangen seien, klang keineswegs demütig. Auch das Bedauern darüber, daß keiner der Garanten des Friedensvertrages einen Finger rühre, war keine Bitte um Vermittelung, wenn der Kanzler auch den Regierungen zu bedenken gab, daß das Achselzucken der Welt, als ginge sie das alles gar nichts an, höchst verfehlt sei, und daß die Lösung des Problems keinen langen Aufschub dulde. Auch der zweite Teil, der der Frage gewidmet war, was Frankreich denn erreicht habe, und zu der Feststellung führte, daß es heute überhaupt nur eine passive Seite und gar keine aktive Seite in seiner Bilanz habe, schließt mit d.- Versicherung, daß Frankreich eines doch erreicht habe: der deutsche Widerstand sei nur einmütiger und entschlossener geworden. Dor dritte Teil der Rede war der wichtigste. Er handelte von der Taktik der nächsten Zukunst und begann mit dem Satz: „Wir bekennen uns heute erneut zu dem passiven Widerstand mit dem Ziele einer ehrlichen, wirklich den Frieden sichernden Verständigung." Man hörte dem Kanzler an, daß hier jedes Wort aus fester Ueberzeugung kam. Er sprach mit Schwung und uellenweise mit Ergriffenheit, und so war dieser letzte Teil auch äußerlich der wirksamste. Es war sehr glücklich, wie Dr. Cuno die törichte Redensart erledigte, als sei der Widerstand erst von der Regierung geschaffen worden, und er Berlio. 7. Mürz. Dr»ht»ericht unserer verltncr SÄrtstlellung Nach der gestrigen starken äußeren Bewegung im Reichstage zeigt sich heute wieder das normale Bild. Die Sitzung ist der Aussprache über die gestrige Regierungserklärung gewidmet. Als kurz nach 1 Uhr die Sitzung bei stark be» letztem Saale eröffnet wird, sind auf der Regierungs bank der Reichskanzler und der Außen- minister zu sehen. Präsident Loebe macht vor- her die Mitteilung von der Ausweisung des demo- kratischrn Abgeordneten Korell durch die Inter alliierte Rheinlandkommission, die begründet wird mit einer angeblichen Hetze Korells im besetzten Ge biete, wodurch die Sicherheit der Besatzungstruppen gefährdet worden, sei. Die Mittelluna des Präsi denten wird von allen Parteien mit Pfuirufen aus genommen. Starke beifällige Zustimmung ist zu hören, als der Präsident hinzufügr: „Uns ist diese Ausweisung nur ein Zeugnis, daß Abg. Korell seine Pflichten gegenüber seinen Wählern und dem Vater- lande erfüllt hat". Es beginnt dann die Aussprache über die Regie rungserklärung. Abg. Dr. David (So-.) formuliert den Stand- punkt seiner Fraktion folgendermaßen: Die Kern- frage, um die es sich handele, sei, ob Frankreich nur Reparationen wolle oder ob es auf die Absprengung des Rheinlande» und de» Ruhrgebietes vom Reiche abzftle. Davon hänge die Beurteilung der ganzen Situation ab. Man habe zwar offizielle Erklärungen der französischen Regierung gehört, daß keine Annexion geplant sei, aber da» systematische Vor gehen der französischen Desatzungstruppen im Rhein land und im Ruhrgebiet beweise, daß Frankreich sich in den dauernden Besitz des Rheines setzen wolle und da müßten die Deutschen sagen: „Mit einem Frank reich, das nur Reparationen will, können wir uns jederzeit verständigen, mit einem Frankreich aber, das uns den Rhein und die Ruhr entreißen will, ist eine Verständigung nie und nimmer möglich!" David schildert sodann das französische Aktion«. Programm von 1617 und seinen Erfolg, mit dem sich wohl Poinearö zufrieden gab, Foch aber nicht. In dem Geheimbericht Dariacs wird sogar die Er klärung verlangt, die Frist für die Besetzung des Rheinlands werde überhaupt nicht ablaufen. Das französische Volk in seiner großen Mehrheit will das nicht. Dann muß es sich aber endlich dagegen auf lehnen. Mit der Besetzung des Ruhrgebietes und der Abtrennung der Rheinlande kann sich die Sozialdemokratie nie und nimmer einverstanden er- klären. Selbst der belgische Sozialdemokrat Van- dervelde, der keineswegs deutschfreundlich ist, hat kürzlich den Franzosen gesagt, daß diese Politik den Widerstand des deutschen Volkes bis zum Tode herausfordern muß. Die Erfllllungspolitik ist ge- scheitert. Aber trotzdem war sie richtig; denn sie hat 1916 verhindert, daß das Reich zertrümmert und das linke Rheinufer französisch würde. Deshalb be- grüßen wir es, daß sich der Reichskanzler gestern wieder sehr klar und deutlich auf den Vode« der SrfüHnng-politil gestellt hat. Wer die Erfüllungspolitik aufgeben will, arbeitet im Sinne der Franzosen. Gibt es in dieser Stunde wirklich Verrückte bei uns, die einen andern fand das schöne Wort dafür: „Dieser Wider- stand kam aus den Tiefen, die tiefer sind als die Schächte im Ruhrgebiet, nämlich aus dem Wissen des Volkes, um was es gehe, und aus seiner Treue zur Heimat." Daneben aber versicherte er, daß alle Kraft des Staates jetzt der Durch- führung des Kampfes gewidmet werden müsse und auch die Stützungsaktion der Mark fort- Scheffler Tagebl. Der Kurs bleibt derselbe 2 gesetzt werden solle. Dabei lehnte er aber mit deutlichem Bezug auf die nationalistischen Heber- treibungen der letzten Zeit eine großsnrecherflche Agitation entschiede« ad und fand damit bei der Linken besonderen Beifall. Bor allem ließ er die Verhandlungsmöglichkeiten keineswegs unerwähnt, sondern befaßte sich ausgiebig mit ihnen. Er betonte, daß nicht wir die Verhand- lungen unmöglich gemacht haben, daß wir die Verständigung gewollt haben und noch wollen, daß Frankreich aber nicht wolle und daß man sich deshalb mit dem Gerede von Verhandlungen an die französische Adresse wenden müsse. Wenn uns indessen ein Weg geöffnet werde, der uns Verhandlungen als Gleichberechtigte ermöglicht, so seien wir bereit dazu, nur würden wir nicht unterschreiben, was wir nicht halten könnten, and Kampf als den der passiven Resistenz wollen? Die Folge hiervor wäre nur, daß die französischen Im- perialisten sagen würden: Jetzt haben wir sie; jetzt können wir sie Niederschlagen! Wenn Hin den- bürg gesagt hat, wir müßten kämpfen, bis die letzte Klinge springt, so ist das, höflich gesagt, nur eine leere Redensart. Aber Hindenburg sollte sich doch die Wirkung seiner Worte im Aus- lande überlegen. Zur Wiedergutmachung sind wir bereit. Auch Ruhe und Sicherheit soll Frankreich ge- geben werden; aber dann muß das ganze besetzte Ge- biet geräumt werden. Unsere Steuervolitik muß so abgeändert werden, daß die Besitzenden wirklich Opfer bringen. Dem französischen Imperia lismus und Militarismus ist die wirtschaftliche und politische Macht der deutschen Arbeiterschaft ein Dorn im Auge. Der französische Militarismus hat der deutschen Arbeiterschaft den Fehdehandschuh hingeworfen. Er wird dabei auf einen Widerstand stoßen, an dem schon ein Kraftmensch wie Bismarck gescheitert ist. Die deutschen Arbeiter werden sich nicht zum Sklaven von Imperialismus und MM- tarismus machen lassen, am wenigsten zum Sklaven eines fremden Imperialismus und Militaris- mus. Poincarüs Gewaltpolitik wird scheitern an dem Felsen der deutschen Sozialdemokratie. (Leb hafter Beifall bei d-m SnrialdewakratenJ Darauf nimmt Abg. Hergt für die Deutschnatio- nalen das Wort, der von Kommunisten mit höhni schem Gelächter und Zurufen empfangen wird. Er bedauert zunächst, daß er der gestrigen Erklärung des Reichskanzlers nicht beiwohnen konnte, er habe auch die Auffassung seiner Fraktion nicht entgegcnnehmeu können, habe aber gleichwohl geglaubt, für seine Parteifreunde sprechen zu sollen, da er einer von jenen unter ihnen sei, die sich noch zu allerletzt an Ort und. Stelle im Ruhrgebiet sich umqelehen .hätten. Hergt fährt fort: „Was man bei den Franzosen sieht, ist ein reiner Sadismus. (Großer Lärm bei den Sozialdemokraten. Der Ruf einer weiblichen sozial- demokratischen Abgeordneten wird von rechts mit dem Rufe beantwortet: „Alte Megäre!" Daraus entwickelt sich noch mehr Lärm, und nur mit Mühe gelingt es dem Präsidenten Loebc, die Ruhe wieder hcrzustellen. Der kommunistische Abg. Mittwoch wird zur Ordnung gerufen.) Bei der Bevölkerung des Ruhrgebietes hört man nur einen Schrei nach Ver- gcltung, das Verlangen noch Kundgebungen der Re gierung und des Reichstags, freilich nicht solchen, wie wir sie hier (noch links gewendet) soeben erlebt haben." (Bei diesen Worten wird auf der Zuhörer tribüne lebhaft geklatscht und Bravo gerufen. Der Präsident erklärt, wenn die Tribüne die Kundgebun gen wiederhole, werde sie geräumt.) Abg. Hergt fährt fort: „Wir danken dem Reichskanzler flir seine mannhafte Rede. Freilich haben seine Ausführungen nicht alle unsere Wünsche erfüllt. Wir hätten den Ä b- nicht alle unsere Wünsche erfüllt. Wir hätten den Abbruch der diplomatischen Beziehungen Belgien gewünscht. Die Ehre Deutschlands verlangt solche Maßnahmen. Wir begrüßen die Worte des Reichskanzlers: Fort mit dem Gerede über Verhand- lungen, mit den Mahnungen zur Verständigung. Das müssen für das deutsche Volk Worte von Stahl sein. (Unruhe bei den Sozialisten.) In dieser schweren Zeit muß die Autorität der Regierung unbedingt ge schützt werden. Wir verlangen das schärfste Vorgehen gegen Landesverräter und Flaumacher." (Lärm links.) (Fortsetzung auf Seite 2.) weder das Ruhrgebiet, noch andere widerrechtlich besetzte Teile des Reiches im Stich lassen. Den Gedanken einer Kapitulation wies der Kanzler weit von sich, streifte aber noch einmal die Vorschläge, die wir in Paris gemacht haben, hinter denen unsere Wirtschaft stehe, die aber in Paris nicht einmal gehört worden seien. Er unterstrich, daß wir ein Diktat ohne Rücksicht auf unsere Leistungsfähigkeit nicht annehmen wür den, sondern daß unsere Kräfte von kundigen Sachve. stündigen abgeschätzt werden müßten, worin vielleicht die Bereitwilligkett angedeutet war, daß Deutschland sich einem solchen Gut achten von internationalen Wirtschaftskennern fügen würde. Man mag an dieser Rede je nach dem poli tischen Standpunkt, den man einnimmt, Kritik üben, aber es läßt sich nicht verkennen, daß sie sorgfältig durchdacht und abgewogen war, daß manches Bild in ihr auch auf die internationale Oeffentlichkeit wirken könnte und daß sie von einem Manne vorgetragen wurde, der auf seinem Standpunkt ficht und fällt. Ob dieser Stand punkt sich, wie wir alle hoffen müssen, behauptet oder noch viel furchtbarere Ereignisse ihn über rennen werden, das steht dahin. Anklage und Abwehr K. Sal.. Leipzig, <" März. Reichskanzler Dr. Luno ist kein hinreißender Redner, und doch hat die Rede, die er heule im Reichstage hielt, einen starken und guten K-'iN- druck gemacht. Hier war es nicht der Vortrag, der des Redners Glück machte, sondern die gute Sache, die er vertrat. Nach dein wenigen, was in der letzten Zeit von der Tätigkeit des Kabi- netts Luno in der Oeffentlichkeit zu beobachten war, konnten weite Kreise des Volkes der für heute angckündigten Rede nicht mit große:'. Er wartungen entgegensetzen. Um so erfreulicher ist cs, d..ß die Aufklärungen, die Dr. Luno über seine Politik gab, wirklich geeignet sind, das Vertrauen zu ihm im In- und Auslände zu stär ken und die Geschlossenheit des deutschen Volkes zu festigen. Es waren gewiß nicht allein die neuesten Gewalttaten und Nechtsbrüchc der Fconzoien, die Dr. Luno veranlaßten, seine Retie nach München plötzlich abzusagen und vor den eilig zusammengcrufenen Reichstag zu treten; viel mehr scheint den letzten und dringendsten Anlaß dazu die Veröffentlichung des französischen Gelb buches geboten zu haben, jenes Getbbuchss, dos offensichtlich darauf angelegt war, in Deutsch land Mißtrauen gegen die Reichsregierung und Zwietracht zwischen Unternehmern und Aroci- reru zu säen. Aus diesem Gew'ouch erfuhr man, daß Poincarü am 2. Januar in der Pariser Kon- screnz behauptet hat, der deutsche Valfchcssier 'Dr. Mayer habe ihn im Dezember vorigen Jah res ersucht, 'die Großindustriellen Stinpcs und Sitvecbcrq zu empfangen; diese hätten bcabsich^ tigt, die Lieferung von Rnhrtoks gegen jrar-zö- siill)e Erze vorzuichlagcn. Die weiteren Bemcr- knnocn Voincares zu dieser Angelegenheit ließen nun" dir Deutung zu, das; die Schwenno.'ücie. von der Neichsregicrnng begünstigt, ein Geschäft auf Kesten des dentscsicn Volkes inactz^n wss'.te und Voß sie dadurch gewissermaßen den letzten Anstoß zur Besetzung des Ruhrgebiets gegeben habe. Als dreie Stesse des Gcidbuches hier be kannt wurde, wirsen wir sofort daraus hin, datt der darin cnttzalrenc schwere Vorwurf 'chleur.igc und volstte Aufklärung erforderte, und wir tön- neu s- tzt mit Genugtuung feMessen, daß der Reich-..'anzler oen Fall befriedigend aufgrkrärt hat. Rach seiner Darstellung, deren Richtigkeit zu bezweifeln kein Grund vorliegt, hatte der Schritt des Botschafters Dr. Mayer den Zwrck, Verhandlungen anzubieten, „um die Zusammen- arbeit der deutschen Wirtschaft mit der sranzö- sichen Wirtschaft und ihre gegenseitige Stärkung zu begründen und die beiden Systeme in ein enges, der Weltwirtschaft dienendes Verhältnis zu l.inaen." Dieser Vorschlag, der ebenso wie unser Neparationsptcrn in Paris nicht gehört wurde, ist etwas ganz anderes, als was Herr Potncar« aus dem Schritt Dr. Mayers entnom men haben will. Diese wotzlgelungene Abwehr des für die deutsche Eintracht gefährlichen Vorwurfes tritt in der Rede des Kanzlers äußerlich zurück hinter der wuchtigen, mit reichem Tatsachenmaterial be- legten Anklage gegen den französischen und bel gischen fortgesetzten Bruch des Völkerrechts und des Versailler Vertrages, einer Anklage, die gellend an die Ohren der ganzen Welt klingen und bei den Garanten des Versailler Vertrages wie bei den unbeteiligten Völkern die Gewissen aufrütteln möge. Diese Anklage war notwendig, wenn auch die Hoffnung, daß sie bald Erfolg haben werde, nur schwach ist. Wichtiger und ausfichtsvoller scheint uns das schon lange er wartete offene Bekenntnis des Reichskanzlers zu dem ehrlichen Willen, in den Reparationen bis an die Grenze der deutschen Leistungsfähigkeit« zu gehen, diese Leistungsfähigkeit von unpartei ischen Sachkundigen feststellen zu lassen und in offenen, loyalen Verhandlungen von Mann zu Mann unsere Verpflichtungen festzusetzen. Ob es nicht zweckmäßiger gewesen wäre, dieses Be kenntnis noch dadurch zu verstärken, daß der Kanzler einen positiven Reparationsplan be kanntgegeben hätte, ist eine Frage, die wir auch heute nicht verneinen möchten, obwohl wfl wünschten, daß seine Erklärung auch in ihrer allgemeinen Form den Erfolg haben möge, zu Verhandlungen zu führen und der Besetzung deutschen Landes durch fremde Muchäe ein Ende zu machen.