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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 06.03.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-03-06
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192303061
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230306
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230306
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-03
- Tag 1923-03-06
-
Monat
1923-03
-
Jahr
1923
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Teile 2 ölr. S6 d Haushaltsberatung werd« di« Sache noch Wetter zur Sprache kommen. Die Agence Hava» hat ihr Wiener Bureau in den Räumen der amtlichen Nachrichtenstelle. Um den Essener Hauptbahnhof Eigen« »Draht »er icht »es Leipziger r»O«hl»tieO Este», 8. Mär, Der Hauptbahnhof Efsen ist noch Unmer beseht. Heute vormittag find etwa 300 «Soldaten, die die große Anlage des Rangierbahnhofes bewachten, ab gerückt. Man nimmt an, daß der Bahnhof daraush'n bald freigegeben wird. Allerdings ist bi» zur Stunde noch ein kleines Kommando im Dahnhofsempfangs- gebäude stationiert, das niemanden hineinläßt. Da gegen ist heute vormittag die Telephonzentrale der Eisenbahndirekton besetzt worden. Die französische Feldeisenbahndirektion verlangt eine gemeinsame Be- Nutzung der Fernsprechanlage mit der deutschen Eisenbahndirektion. Die deutschen Eisenbahner haben diese Forderung abgelehnt. Es steht zu erwarten, daß in kürzester Frist die deutsche Eisenbahndirektion in Esten geschlossen wird und ihren Sitz vollkommen außerhalb des Gebietes verlegt. Ein Teil der Lisen- bahndircktion, mit dem Präsidenten an der Spitze, arbeitet bereits seit Wochen in Hamm. Die französischen Eisenbahner sind bemüht, die auf den Gleisen Vorgefundenen Wagen und Maschinen ab zufahren. Sie rangieren auf allen Gleisen, machen komplizierte Verschiebungen der Züge, und zwar so exakt und geschickt, daß die begründete Befürchtung besteht, daß es den Franzosen doch gelungen ist, orts- kundige und in den Betrieben eingeführtes Personal zu sich herüberzuziehen, setzen sie doch Löhne aus, die die geltenden Tarifsätze um ein Mehrfaches über steigen. Var polizeilose Esten — ein Paradies für Spitzbuben Eigener Drahtdericvt des Leipziger Tagedlntte» Esse», 5. März. Di« Unsicherheit in E sen und Umgebung nimmt immer schlimmere Folgen an. ES haben sich Banden von Verbrechern gebildet, die bei Ein. tritt der Dunkelheit in Stärke von 30—50 Mann in Geschäfte einbrechen und diese ausplündern Am Sonnabend wurde ein großes Herrengarde- robegeschäft vollkommen leer geplündert. Eine andere Bande versuchte in das große Warenhaus Althosf einzubrcchcn. Sie wurde schließlich von der alarmierten Feuerwehr Vertrieben, der es gelang, eine Anzahl Verbrecher festzunehmen. Sonnabend abend wurde das Weinlokal Troka- dero gestürmt. Dabei wurde die Garderobe der Gäste im Werte von etwa 15 Dtillionen Mark vollständig ausgeraubt. Die Feuerwehr ist in jeder Nacht Dutzende Male unterwegs, um gegen diese Banden einzuschreiten. Da Essen noch immer ohne Polizei ist, ble.bl die Feuerwehr die letzte Rettung, an die sich die Bürgerschaft klammert. Rach einer Meldung des Exchange Telegraph aus Kopenhagen wird auf Grund eines Abkommen» zwischen Dänemark und der Sowjetregie rung die dänische Regierung demnächst eine Delegation nach Moskau entsenden wird, die die Aufgabe hat, die wirtschaftlichen Beziehungen mit Rußland zu festigen und über den Abschluß eine» Wirtschaftsvertrages zwischen den beide» Ländern zu verhandeln. Deutsch-feindliche Propaganda in Sachsen Drahtdericht unserer Dresdner «Schrtfilettung Dresden, 5. März. Die Nachrichtenstelle der Staatskanzlei gibt bekannt: In Deutsch-Neudorf und vermutlich a uch in anderen Orten des Erzgebirges macht ein langer Brief die Nunde, der von einem in Westfalen befindlichen Sachsen, Oskar Pilz, aus Oberloch, mühle stammt und Erregung unter der Bevöl kerung verursacht. Der Brief ist, wie sein In« hcnt deutlich erkennen läßt, auf Veranlassung l-e!pr!ger Hgedlstt uaä ULadelsreiluag der deutsch.feindlichen Vropa- gandazentrale geschrieben worden, die mit reichlichen Mitteln sich ihr zugänglicher Menschen bedient, um mit deren Hilfe die Ruhr- front zu erschüttern. Nur so ist es zu deuten, wenn der Briefschreiber u. a. bHauptet, »der ganze Klamauk" laufe darauf hinaus, da» Proletentum wieder vollständig unterzukriegen und die eigene Herrschaft wieder aufzubauen unter der Fuchtel eine» Hohenzollern oder Ludendorffs, um der Welt wieder das allbeliebte Säbelgerassel oormachen zu können. Wie man sieht, sind das Wendungen, wie sie in deutsch, feindlichen Mattern," namentlich des Auslandes, alle Tage zu lesen sind. Vermutlich sind solche Briefe auch noch von anderen gekauften Krea- turen geschrieben woren. Ein Beweis, mit wel cher Deschicklichkeit und Skrubellostakeit die feindlich« Propaganda arbeitet! Erfreulicher- weise ist dieser Brief sofort der zuständigen Be hörde übermittelt worden. Die Bevölkerung wird gebeten, ähnliche Beispiele feindlicher Hetz- Propaganda ebenfalls den zuständigen Behörden mitzuteilen. Triumph der Parieipoliiik L4e sächsisch»» SaziakvoMskeate« laufe»» den Ko«« «niste» weiter nach Deesde», 8. März. Drahtbericht unserer Dresdner Vchrtftlettnng Der gestrige Parteitag der sächsischen Sozial demokratie hat keine Klärung des Regierung»- Problems gebracht, noch viel weniger hat er einen Weg dazu gewiesen. Was er gebracht hat, ist eine Bestätigung der kommunistischen Auffassung, daß die Mehrheit der sächsischen Sozialdemokratie nicht hinter ihren Führern steht. Es wurde auf diesem Parteitag nach langer und oft sehr erregter Debatte einn Entschließung angenommen, die fordert, daß mit den Kommunisten weiter verhandelt werde. Für dies« Verhandlungen wurde ein Ausschuß ein- gesetzt. Die Verhandlungen sollen zu einem Er- gebnis mit den Kommunisten führen, entweder zu einer gemeinsamen Regierungsbildung oder aber zu der Erlangung der Unterstützung der Kommunisten für die sozialdemokratische Minderheitsregierung. Wie die Mehrheit der Sozialdemokraten nach allem, was vorangegaugen ist, sich die Möglichkeit, ein solches Ergebnis zu erzielen, denkt, hat sie allerdings nicht gesagt. Die Konferenz währte den ganzen Tag über. Der Landesarbeitsausschuß hatte «ine Entschließung vorgelegt, in der es hieß: »Die Landesversammlung der DSPD stellt fest, daß alle Versuche, mit der Kommunistischen Partei zur Bildung einer rein so- zialistischen arbeitsfähigen Regierung zu gelangen, an den unerfüllbaren, lediglich den Agitations- bdürfnissn dr KPD dienenden Forderungen gefchei- tert sind. Die Landesversammlung lehnt die von der KPD. beantragte Einberufung eine« De- triebsrätekongrcsses ab. Die Landesversammlung sicht in diesem Verlangen der KPD. nur den Ver such, den politischen Kampf in die Gewerkschaften zu tragen und die stärkste Waffe des Proletariats im wirtschaftlichen Kampfe zu zerschlagen. Di« Landes versammlung sieht in der Auslosung de« Landtages nur dann eine Losung, wenn sie für die Regierung»- bildung wesentliche Veränderungen der Partei- Verhältnisse im Landtage ergibt. Angesichts di«s«r Sachlage beauftragt die Landesoersamlung den Landesarbeitsausschuß und die Landtagsftaktion, mit der demokratischen Partei auf der Grundlage der von der sozialdemokratischen Fraktion aufgestellten Richtlinien die Bildung einer Regierung vor- zunehmen.* Diese Entschließung wurde in namentlicher Ab stimmung mit 96 gegen 30 Stimmen abgelehnt. Kultusminister Fletßner hatte diese Entschließung des Landesarbeitsausschusses begründet und noch ein, mal auf die Unmöglichkeit hingewiesen, mit den Kommunisten zu einer Verständigung zu gelangen. Auch der Reichstagsabgeordnete Ditt- mann, der im Auftrag« des Partei- Vorstande» an den Verhandlungen teilnahm, hatte sich für die Annahme dieser Entschließung aus gesprochen. Er sprach gegen die Landtagsauflösung und gegen di« Einberufung enie» Detriebsräte-Kon- gresses und die Uebertragung der Arbeit der Regie rungsbildung an diesen Betriebsräte-Kongreß. Ditt- mann führte am Schluffe aus: »Im Auftrage des Parteivorstandes habe ra> zu erklären, daß da» Ver halten der Kommunisten die DSPD. zwingt, eine Koalition mit dm Demokraten zu suchen, nicht au» Vorliebe für die Demokraten, sondern weil keine andere Möglichkeit gegeben ist, solange die Kommu- nisten bei ihrer gegenwärtigen Unvernunft bleiben. Ls liegt an den Kommunisten, diesen Zustand zu be seitigen." Auch der ehemalige Minister Lipinski unter strich diese Seite der Sache mit Beweisgründen und mit dem Hinweis auf die kommunistischen Richtlinien, in denen die Unterstützung einer sozialistischen Minderheitsregierung nur zugesagt wird, sofern der Betriebsrätekongreß ein Regierungsprogromm aus stellt. Trotzdem hat der Parteitag mit Dreiviertelmehr heit diese Entschließung des Vorstandes und des Landesarbeitsausschusses abgelehnt. Dafür er folgende Entschließung mit 93 gegen 32 Stimmen angenommen: .1. Sine Koalition mit d«n Demokraten tst ab- gnkehnen. 2. Die Verhandlungen mit der KPD. sind fortzu- kithrrn mit dem Vcstreben, st« j»r Teilnahme an der tstrffteruna zu veranlagen. Z. Der LandeSparteitag betnaetzter di« neuen vor- schlage der KPD. al« geeignet« verdemdkun-gsgrund- lage für eine aenccinsame Regierung«divmng mit der KPD. In diesem Mime find die wetteren Vorhand- langen zu führen, 4. Um di« Verhandlungen der VDPD. mit der KPD. zürn Adscvlust zu bringen, wühlt der Landes- Parteitag einen stebenaliedrigen Ausschuß. 5. Komm« di« fozkUIstisch-komnnimsnsehe Regierung oder die soUaltsttscde Mtnderhetiseegrcrima zustande, ergeben grd Mhwieriäketten in der Zusammenarbeit der BVPD. und der KPD., so ist die VerhandlungSkom- mission sofort zu den venhandtmracn hinzuzwztehen. lveun ein Mitglied dieser Kommission diese Zuziehung verlangt.' Sin Zusatzantrag zu dieser Entschließung: .Falls keine Regierungsbildung mit der KPD. und keine sozialistisch« Mrnderheitsregierung zustande kommt, hat die Landtagsfraktion der VSPD. für die Auf lösung des Landtage« etnzutreten," wurde mit 68 - gegen 67 Stimmen abgelehnt. Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei und di« Press«, di« die Einigung mit den Kom munisten als unmöglich ansehen, stehen rat- und hilflos vor diesen Beschlüssen. Da es nur die drei Möglichkeiten gibt: Ueberlassung der Regierung au die bürgerlichen Parteien, Neuwahlen oder demo- kratisch-so-ialistische Koalition, bedeutet der Be schluß des Dresdner Parteitages ein kindische» Mätzchen von Parteipolitikern. Es birgt aber in sich die Gefahr, noch größer« Verwirrung tu de»r sächsischen Verhältnissen anzurichten. Die Kom- »unistea werden über den Erfolg, den fi« auf dem Dresdner Parteitag der Sozialdemokraten errungen haben, natürlich jubeln. Sollte es nun zu irgend einer Verständigung mit den Kommunisten kommen, so könnte dies nur erreicht werden durch Verletzung der Landes- und der Reichsverfassung. Eine solche Regierung würde aber von nur kurzer Dauer sein. Die Hoffnung de» radikalen Flügel» der Sozial- demokraten, daß die Kommunisten sich bereit finden werden, eine sozialdemokratische Minderheitsregie- rung zu unterstützen, wird sich auch al» trügerisch erweisen, denn es ist nicht daran zu zweifeln, daß die Kommunisten nach einigen Wochen bereits ihre alte Taktik der Zermürbung der Sozialdemokraten wieder aufnehmen werden. vteazrtLg, den 6. LLrr Lloyd George über die Siele der Ruhraktion Zn seinen Betrachtungen über die Zukunft Euro- pas verbreitet sich der ehemalige englische Premier- Minister über Frankreichs Ziele. Dem in der Neuen Zürcher Zeitung veröffentlichten Artikel entnehmen wir folgende Stellen: .Französische Truppen besetzen neue» deutsches Gebiet." .Weitere» Dorrücken in Deutschland." .Per stärkungen." .Die Franzosen schneiden den britischen Brückenkopf am Rhein ab." .Vorschläge betreffs einer neuen Währung für das Ruhrgebiet." Wohin soll dies alles führen? Handelt es sich wirklich um Reparationen? .Wenn die Franzosen wirklich meinen, was sie sagen, so beabsichtigen sie, das Ruhrgebiet zu be halten. Nicht auf dem Wege der Annektion. O nein! Das ist, wie Herr Barthou sagt, .eine törichte, ver leumderische Lüge". Aber Frankreich beabsichtigt, die Pfänder festzuhalten, bis die Reparation bezahlt ist. Was sind die Pfänder? Die Industrien des Ruhrgebistes. Wenn die französische Regierung die Kontrolle jener Industrien, die das Leben dieses blühenden Gebietes darstellen, auf 30 Jahre erlangt, so ist sie im Besitz einer größeren Macht über jene Gegend als derjenigen, die sie über das Bergwerks- revier des Pas de Calais ausübt. Eins der Pfänder soll in der Kontrolle über die deutschen Zölle bestehen. Wie kann Deutschland ohne Einnahmen sein Budget balancieren? Wie kann es Staatseinnahmen er langen ohne Zolltarif? Welcher Tarif ist ergiebiger als ein Zoll auf ausländische Kohlen und Metall- Produkte? So würden alle konkurrierenden Erzeug- nifle von den deutschen Märkten ferngehalten. Die Verbindung wäre vollkommen. Wenn dieser zynische Plan Erfolg hat, wird es zweifellos mit der Reparation zu Ende sein, denn dann ist die Unabhängigkeit der deutschen Industrie erstickt, und diese wird bald dahinschwinden. Es fehlt indessen nicht an Anzeichen, daß Frankreich die Absicht, Reparationen zu erlangen, längst aufgegebcn hat, und daß es nur danach trachtet, eine Plünderung von ungeheurem Umfange zu begehen. Es hat seine Bedeutung, daß die Bedingungen, die Deutschland bei seiner Unterwerfung annehmen soll, nie formuliert wurden. Dor dem Einbruch ist kein Ultimatum gestellt worden. Wenn Deutschland sich morgen unterwirft, welche Bedingungen wird cs dann erfüllen müssen? Wer kann dies sagen? Deutschland kann nicht die Kohlenlieferungen von zehn Jahren auf einmal leisten, und es kann nicht 50 Milliarden Goldmark bar hinlegen. Wsnn also Herrn Poincar^s Feststellung einen Sinn hat, soll die Kontrolle der Ruhrindustrien Frankreich zufallen, bis die ganze Schuld bezahlt ist. Daher der Plan der Ausbeutung Deutschlands und Europas durch Deutschland. Werden deutsche Staatsmänner sich bereit finden, ihr Land auf unbestimmte Zeit in politische und wirt schaftliche Knechtschaft zu verkaufen? Das kann man nicht glauben. Zweifellos hat ja einige Zeit vor dem Ruhreinbruch zwischen französischen und deutschen Kapitalisten eine Fühlungnahme statt- gesunden. Man nimmt an. daß Herr Loucheur und Herr Stinnes über die Frage der Verschmelzung der Interessen von lothringischem Erz und Ruhrkohle verhandelt haben. Aber der Einbruch ins Ruhr- gebiet hat den Patriotismus Deutschlands aus seiner Erstarrung geweckt. Außerdem muß mit dem deutschen Arbeiter ge- rechnet werden. Bergleute und Techniker sind in allen Ländern al» freiheitliebende Männer bekannt. Sie Men sich selbst von ihres Regierunge« nichts befehlen. Ls ist ein phantastischer Plan, entstanden aus einem Mißerfolg, und deshalb zum Mißersolz ver urteilt." Aus Madrid wird gemeldet, daß König Al so ns in einer ansäßlich der Errichtung einer Dibiliothek für ein« Malerschule gehaltenen Rede erklärt Kobe, die Gerüchte, die vor einiger Zeit durch gewisse Blätter gegangen seien und von seiner bevorstehenden Abdankung sprachen, seien völlig unbegründet, .»Ich würde mich" — so erklärte der König — .freiwillig zurückziehen, und man hatte nicht nötig, dies von mir zu verlangen. Aber ein König darf nicht Deserteur von feinem Posten werden." Lhapliniade Von Aoditrsatt Unglücklich und nervös stand Chaplin auf den Straße« von Paris und dachte noch absolut nicht daran, der populärste Filmschauspiclcr der Welt zu werden. Es war im Frühling, wohl des Jahres 1900, und er erlebte die peinlichste aller möglichen Situationen: die Armut. Der englische Wander zirkus, mit dem er als Akrobat nach Pari» gekom men war, hatte schlechte Geschäfte gemacht, falliert, — der kleine Artist trabte eines klaren Frühling». Vormittages ohne einen Sous, verlassen, hilflos durch die Straßen der großen, großen Stadt. Wahrhaftig, ein wunderb arer Frühlingsvormit- lag: die Sonne strahlte lustig und gelb, die schönen Frauen trugen Helle Kleider, die Kinder schon Halb strümpfe, — er allein versunken in Elend und be drückt. Er hat vielleicht nur bitter gelächelt und vor der harten Unabänderlichkeit der Fügung hilflos di« Schultern gezuckt. Die Hände in den leeren Taschen, bummelte er auf den Boulevards und ward traurig, schrecklich traurig. Denn er war unsagbar, wohnsinnig verliebt in eine idealschöne Schauspielerin und erkannte nun die schreckliche Gewißheit, wie sehr hoffnungslos und unglücklich seine Liebe sein mußte, die Liebe eines armen, kleinen, demütigen Clowns zu einer strahlenden, unnahbaren Frau. Sein schwaches Herz zerbrach, und er faßte an dem herrlichen Frühlingsvormittag den düsteren Ent schluß, seinem schlechten Leben ein Ende zu setzen. — Ais in der Rocht ein spät heimkehrender Herr über die Champs LlysÖes ging, bemerkte er am Eiffelturm einen kleinen, jungen Mann, der nicht Bessere» zu tun fand, als sich ju erhängen. Es war Eharli« Chaplin. Au« dem tiefblauen Himmel schaute der gute Mond, bleich vor Schreck dem fatalen Unter- nehmen zu, streichelte mit kühlen Strahlen de» Un- glücklichen glühende Wangen. Vielleicht saß ihm der Tod schon im Nacken, und Chaplin lacht« vor seiner phatastischcn Fratze hell auf, fiel in eine ner- vöie, übertrieben« Lustigkeit, daß er wie ein Hampel- man an seinem langen, oh wirklich an einem sehr langen Seile pendelte , »« Der verspätet heim kehrend« Herr sprang hinzu, schnitt rasch mit de« Taschenmesser den Strick durch, und der junge Todes- kanüidat plumpste zu Boden. — Oh Gott, was hoben Sie gemacht, schrie Chaplin. Sie haben den Strick durchgeschnttten! Ja, zum Donnerwetter, um Sie zu retten! — Aber dieser Strick gehörte nicht mir, sagte Chaplin verzweifelt. Ach sehen Sie: ich brauchte einen Strick, um mich aufzuhängen. Da ich aber zu dieser letzten Erwerbung das nötige Geld nicht hatte, habe ich mir heute vormittag in einem Geschäft einen Knäuel starken Strickes genommen, geliehen, mit der festen Absicht, — ich bin kein Dieb! — ihn nach meinem Selbstmord -urück-ugeben. — Ihn nach Ihrem Selbstmord . . . ? — Zurückzugeben! — Wie wollten Eie das machen? Lhaplin war verdutzt. Dan» lachte er, kicherte, warf die Schultern hoch, lachte, lachte, über seine Dummheit, über das Glück, noch zu leben, — und wurde ernst, verzog den Mund: — Sie haben den Strick zerschnitten. Wie soll ich ihn nun zurückgeben? Bedenken Sie, damit ich den Knäuel nicht unbrauch bar machte, habe ich mich heimlich auf den Eiffelturm geschlichen und das Ende de» Strickes ganz oben an de Spitze festgemacht. — An der Spitze? — Ich mußte doch-, dieser Strick ist, daß heißt: er war (Chaplin lächelte verbindlich) dreihundert Meter lang. Wie sollte ich mich erhängen, ohne den Strick zu durchschneiden. L» gab nur eine Möglichkeit; am Eiffelturm. — Wie soll ich den Strick nun zurück- geben? Man wird mich für einen Dieb halten. (Er war dem Weinen nahe.) Sein Retter versprach ihm, die Agelegenhett zu ordnen und ihm auch weiter zu helfen. Eine An- stellung beim Darret» fand sich zwar nicht, aber, wenn er wollte, könnte er bei einer Beerdigungsanstalt Leichenträger werden ... O ja, gerne, antwortet« Lhaplin begeistert. Leichentrageri Das tst ja ein Shakespearischer Berns. Und einige Tage später debütierte er bei einer Be erdigung: die Direktion war außer sich. Lhaplin war als Leichenträger unmöglich: seine Art zu gehen, die Füße nach außen gesetzt und schwankend, springend, schlenkernd, hatte auf dem Wege -um Begräbnisplatz einen enormen Klamauk verusocht. Di« Beerdigung war eine wahre Iuxreise vom Trauerhaus -um Fried hof (die Erben konnten einmal offen und ehrlich lachen). Chaplin aber wurde nun Kutscher eines Leichenwagens. Man gebot ihm streng, unter An drohung der Entlassung, ans keinen Fall, unter keinem Vorwand vom Bock zu steigen. Zwei oder drei Monate hindurch war er das vollendete Muster eines Leichenwagenkutschers. Sein gefühlvoller Blick und die echte Trauer in seinem Gesicht machten ihn übcraus beliebt. Aber es war Lhaplin nicht be stimmt, bei der Beerdigungsanstalt große Karriere zu machen. Al» er eines Tages mit seinem Leichen wagen ergeben und verträumt vor der Kirche hielt, die Zeremonie abzuwarten, fuhr plötzlich in ihrem Auto di« große Schauspielerin vorbei, die er noch immer heimlich liebte. Seine Leidenschaft erwachte brüsk, er peitschte in wilder Freude auf die Pferde e«n und verfolgte das Auto seiner stillen Liebe. S«e fuhr zum Pferderennen. Lhaplin hieb auf die Pferde «in, der Leichenwagen rast« und kam nur wenige Minuten später al» das Auto auf dem Renn platz an. Keine Polizeivorschrift verbietet einem Leichenwagen die Einfahrt zum Rennplatz. Dieser Fall »rar nicht vorgesehen. Also fuhr Lhaplin stolz vor den Polizeileutrn vorbei und konnte während de» ganzen Rennen», verzückt und schwärmerisch, die Hand am Herzen, mit verliebtem Blick, sein Ideal an- storren. Und al» der Abend kam, fuhr, zum großen Er staunen aller Gaffer, in der langen Reihe der Auto» und Equipagen freundlich lächelnd Chaplin mit seinem Leichenwagen nach Pari» zurück. Rach dieser Spazierfahrt, die in den Annalen der Beerdigung»- antlvcten einzig dasteht, wurde Lhaplin natürlich frist- loe entlassen. Doch mit seinen Ersparnissen konnte ec nach Amerika zurückfahren, dort ist er dann bald zum Kino gekommen, — nun lacht und schluchzt die ganze Welt über ihn, den ewig lächelnden, lieben, netten Bruder aller, die unglücklich und beladen find. Knltnrstist»ri»che» Aheater. Die «Sonntaa-Vor mittagsvorstellung der Leipziger BolkSakademte tm Schauspielhaus erhielt einen gewissen Reiz durch die Uraufführung eine» Lustspiel» in drei Akten von Friedrich dem Großen. «Die Schule der Welt" in einem Akt, zusammen- gezogen und von Professor Adolf Winds in Szene gesetzt, tst eine harmlose Angelegenheit. Zn leichtem Plauderton wird da» Schicksal -Weier Liebenden geschildert, die sich nach Ueberwindung des elterlichen Widerstandes glücküberströmt in die Arme finken Ab und zu blitzt die Ironie des Einsamen von Sanssouci auf, und es gibt da eine bissige Bemerkung über den Byzantinismus, die man nicht so leicht vergißt- Im übrigen ging di« Aufführung, die noch MolidreS: „Liebtaber als Arzt" brachte, nirgends über das Niveau des Dilettantismus hinaus. Der gute Wille der Mit wirkenden versöhnte einigermaßen mit den Schwächen der Darstellung. Die Begleitmusik wurde von dem Orchester des ReformghmnastumS unter der Leitung von Albert Scharf sauber ausgeführt. Der Beifall der zahlreich erschienenen Zuschauer war herzlich. A. Bon der Universität Leipzig. Da» sächsische Kultusministerium hat den Oberarzt am Zahnärzt lichen Institut der Universität Leipzig, Privatdozent Dr. med. Adolf Hille, vom 1. April 1923 ob »um planmäßigen außerordentlichen Pro- fessor der konservierenden Zahnheil kunde ernannt. Durch Hilles Ernennung ist eine Dreiteilung de» zahnärztlichen Unterrichts an der Universität Leipzig etngeführt worden. BiMerS Dank. Carl William Büller bittet un» um die Aufnahme der folgenden Zeilen: Anläßlich meine» 70jäbrigen Geburtstage» sind mir fetten» der Presse, von Freundes- und Kollegenkretsen so unendlich viele Zeichen herz licher Sympathien entgegengebracht, daß ich nur auf diesem Wege Gelegenheit finde, allen meinen wärmsten Dank auszusprechen. — Rittergut DvDtz. Carl William Büller. Kleine Aheaternotiz. Herbert Weißmann, die jugendliche Charge de« Leipziger Schau- spielhauses, hat -um 1. Mat einen Ruf an da» Berliner Metropoltheater erhalten. »«» de» Tdeaterdnreans («lies Theater.) Nachdem Margarete «nwn von ihrer längeren Sr- krankuna wieder beryestkll« ift, wird Wedekinds Zfran , iska' Dienswg, den S. Mär, wieder in den Spielvdm ausgenommen. Wegen der vordere«tuen»n ,nr veninsi^nleruna von «oethe» .Fang ll. Teil' kann sffran,l«a »unäcchr »irr am 10. und tt. Mörz wiederholt werden.
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