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Sonntags« Ausgabe Be»«as»r«Is: L M »NrNlsehrllch M. »00: sür Adholir «onaNIch NI. 1.7S; t«ch «y«r* «<»LrNa«» AIli«l»a I>« Hau« -ebrachl manotllch M. L2S^ IltzrNch M.SLÜ: durch dt« Post Innartzulb Drullchland» Vasa»t-A»«ä»d« miW«U» M. r^k, -i«rt«uad'llch M. s.75; M°kg.n-Aat^da sLua Stead-Aul-ud« M. V.SI^ Son»toat-A»«gad« M. V,Sli monakLch <au«schll«bltch P»std«stellg«d0hr). -aupkschrifileiter: Dr. Erich Everkh. Leipzig. Ab. Jahrgang « tE» chr^katpHtD «. U«H«S» ddu söu^Baa. «urz^»8krLprers. n»t—«i^u« «ö p,. / u/Batzlüd«« t« ««N. N«N dia X»I»u<lZ«lI« « Ps» ». «»0» »t P^; d«at»o Äu^I^u »»« H»I»n«I,»i>« i» Pf, M Pf^ LrlchaNda»,,«,«» »lt PlatzuarlchrlNun «m pr«t>« «h-tzt. DuNa^u: Dolonilaufla«« M. 7.— du« La»l«»d auts»!. Pog^SIHr. OtN^»«»»4r 10 Vs. — Sa»»- u»d Aost»«,« >d Pf- >«»hnach.A»stpt»d «r.1««»r. >«« mi» l«6»4—P-stschackd,«^»» vchrtfiialt»»« mch Vaschästlst«!»: Zrcha»iaUaff« >Nr.S» Verlag: Dr. Reinhold L Co^ Leipzig. Akr. 884 Sonntag, de« 14. 3utt 1818 Schutzzollsystem iw britischen Reich? Die auswärtige Politik in Oesterreich Bevorstehende Erklärungen Wien, 13. Juli. (Drahtbericht unseres Sonder- bertchterfiatter«.) Zu den bevorstehenden Erklärungen über bi« auswärtige Politik, die die Mialsterprädenien Setdl er nnd Wekerl« im Namen deS Grafen Durian im österreichisch-ungarischen Abgeordnetenhaus« abgeben werden, erfahre ich von unterrichteter Seile: Da gegenwärtig keine Aussicht besteht, die Delegationen eiazaberufen, so besitzt der Minister des Auswärtigen gegei cwärtig keine parlamentarische Tribüne. Da Graf Durian bisher noch keine Gelegenheit hatte, sein politisches Programm öffent lich zu entwickeln, so wählt er seht diesen indirekten Weg, um gewisser matzen «in Expose über die gesamte auswärtige Lage und die von ihm befolgten Richtlinien seiner Politik zu geben. Graf Durian wird alle schwärenden Fragen, insbesondere auch die der Dertiefang deS Bündnisses, die polnksche Frage sowie auch die Frie- denSfrage berühren. In parlamentarischen Kreisen sieht man den Erklärungen des neuen Leiters der auswärtigen Politik mit Spannung rntgegea. . , Seidler und die Sozialdemokraten Wien, 13. Juli. (Eigener Drahtbericht.) Vorgestern sand beim Ministerpräsidenten in Anwesenheit deS Ministers deä Innern nnd des Handeläministers eine mehrstündige Beratung statt, an weicher Abgeordnete der deutsch-nationalen, der christlich sozialen und der sozialdemokratischen Partei teilnahmen. Auch Bürgermeister WeiSkirchner war anwesend, lieber den Gegenstand der Beratung verlautet, daß eS sich darum handelte, durch welche Konzessionen die Sozialisten dafür gewonnen werden können, für das Budget zu stimmen. Aus der Anwesenheit des Bürgermeisters läßt sich schlichen, daß es sich um Konzessionen auf dem Gebiete des Gemeindewahlrechts handelt. Wien, 13. Juli. (Eigener Drahtbericht.) Minister präsident Dr- von Seidler wird die angekündigte Darstellung des Auswärtigen Almes über die auswärtige Lage am Dienstag gleich nach Beginn der Sitzung des Abgeordnetenhauses zur Verlesung dringen. Wien, 13. Juli. (Diahtberlchk.) Unter Führung von Mitgliedern der deutschen gewerkschaftlichen Vereinigung deS Abgeordnetenhauses sprachen gestern Vertreter der deutschen Arbeiterverbände und der deutsch-nationalen Arkeitergewerkschaflen beim Ministerpräsidenten non' Seidler vor. An der Konferenz nahmen noch der Eisenbahn minister BahnhanS', Handelsminister Wieser, Minister Paul nnd Sektionschef Galecki In Vertretung des Finanzministers teil. Im Verlaufs der Beratung, die den Ernährungsfragen galt, sagte Minister ii-anl zu, daß er die Verstaatlichung sämtlicher Lebensmiktelzentralen nnd deren Umwandlung in Unterstellen des Amtes für die Volksernäh- rung in kürzester Frist zur Durchführung bringen werd«. Die französischen Gewerkschaften fordern Frisdensbesprechungen Zürich. 13. Juli. (Eig Drahtbericht.) Me.Schweizerische Dep-Inform." meldet aus Paris: .Journal da Peupte" berichtet, bah die Sozialistcnführer in Frankreich mit den Gewerkschaften Beratungen einleiteien ,zn dem Zwecke, von der Regierung den Eintritt in vorläufig unverbindliche Verhandlungen zu verlangen Mr Be sprechung der Friedensfrage und einer baldigen ehrenvolllle« Kriegs beendigung. Das Murnranproblem Haag, 13. InN. (Eig. Drahtb'ericht.) Hollands RiemvS Bureau meldet: In London wird behauptet, daß auf ein besonderes Ersuchen der Russen eine ansehnliche Truppenmacht der En tente bestimmt wurde, um die Murmanküste vor den deutschen Ab sichten in jenem Gebiet za schützen. Weitere Streitkräfte werden folgen. Im Süden hälleu die Deutschen in der Näh« des MolgataleS Fort schritte gemacht. Moskau, 13. Just. (Petersburger Telegraphen-Aqentur.) Da< Kommissariat für die auswärtigen Angelegenheiten Hal an den Vertreter GrotzbrikannienS in Moskau eine Rote geächtet, in der die unver zügliche Zurücknahme der englischen Abteilung ver- ! ngk wird, die in Murman gelandet sei. Gleichzeitig erneuert das Kommissariat seinen Einspruch gegen den Aufenthalt englischer Kriegs schiffe in Murman. Trench gegen die Sinnfeiner Bern, 13. Juli. (Drahtbericht.) Zu dem von Lord French am 3. Juli erlassenen Verbot des SlnnfeinbundeS und verwandter Organisationen drahtet der Dubliner Berichterstatter der »Daily News": Das Verbot ist sehr weitgehend. Die in fast jeder Stadt und jedem Dorfe bestehenden SlnnfeinklubS sind der Hauptverbindungskanal zwischen der Sinnfeinzentrale und der Masse der Mitglieder. »Lu- maun Namban" ist eine Sinnfeinerfrauenorganisation. .Caeiie League", wiewohl ursprünglich keine Sinnfeingesellschaft, ist in den letzten Jahren fast gänzlich von der Eiunfeinbewegung ergriffen worden und beschäftigt sich mit ihrer kulturellen Seite. Me .DolunteerS', die eine große Roll« bei dem Osteraufstand spielten, sind aus den »Irish- VolunleerS' hervorgegangen, die von den Nationalisten gegen Earsons .Ulster-VolunteerS" ausgestellt wurden. Die Folgen der Proklamation, die diese Organisationen für ungesetzlich erklärt, werden sofortige und möglicherweise erstaunliche sein. All ihnen gehörig« Gebäude werden geschlossen, ihre Fonds und Schriften beschlagnahmt, ihre Versamm lungen verhindert, das Tragen von Abzeichen wird verboten werden. Die Mikgltederzahl dürfte einige hunderttausend betragen, so daß die Wirkung durchgreifend sein muß. Der von der Regierung unternommene Schritt trägt somit einen äußerst ernsten Charakter, der von der irischen Exekutive wohl gewürdigt wird- Es sind alle Maßnahmen getroffen, um bi« Proklamation durchzudrücken. Die Folgen werden mit dem größten, nicht von Sorgen freien Interesse erwartet. ES ist ein« Prob« auf das neue resolute Regime. * Bern, 13. Lüt (Etg. Drahtbericht.) In Glasgow ist eS am letzten Sonntag zu Stratz»H»»^»h«» gekommen. Die Volks meng«, die in der Hauptsache aus sogenannten Bolschewik! bestand, verlangte die Freilassung eines Bolschewisten Macleau, der kürzlich wegen Verletzung des LandesverteidtgungSgesetzes zu fünf Jahren Ge fängnis verurteilt worden war. Die Straßenbahnen wurden ange- halten, wobei eine Schlägerei mit dem Publikum entstand. Das Schutzzollsystem in England? Bern, 13. Iyli. (EigenerDrahlbericht.) Nach einer vom «Temps' wiedergegebenen «Times'meldung ans Buenos Aires hak der argentinische Innenminister die Produzenten und Exporteure des Landes aufgeforderk, sich darauf vorzubereiten, daß Großbritannien seine Frelhandelspolitik aufgeben und zugunsten der englischen Kolonien Schutzzölle ein- führeu werde. Argentinien mutz sich also endgültig seinen Nach barländern zuwenden und sich seine ständigen Abnehmer anderswo für seine Erzeugnisse suchen. Lloyd George kündigt eine neue englische Heeresoermehrung an Gens, 13. Juli. (Eig.Drahtberichk.) .Echo b« Paris" meldet auS London: Lloyd George empfing am Dienstag die Führer -er Parteien and gab di« ded«utsame Erklärung ab, daß England zu einer noch weltgreifend «reu Heeres ergäuzung schrotten müsse, wenn eS- eatschlosseu bleibe, imIahrelSISdeuKriegzugeroiauen. Kohlenrationierung in England Haag, 13. Juli. (Eigener Drahtbericht.) Da die Ein ziehung von 75 000 Bergarbeitern «ine Verminderung der Förderung um 22 N Millionen Tonnen Steinkohlen für Großbritannien zur Folg« haben würde, hak die britische Regierung eine Rationierung ungeordnet, laut der dem Privatpublikum pro Jahr und Zimmer eine Tonne oder ein Minimum von zwei Tonnen und ein Maximum von 20 Tonnen für eine Wohnung zur Verfügung gestellt wirb. 15 000 Kubik fuß Gas oder 800 «lektrtsche Sinhetteu werd« ckizex LWM Lst»b>- kvhlen gleichgestellt. - » ' ' Doch ein Rorbanfchlag auf den Zaren Haag 13. Juli. (Eig. DrnhkbertchL) »Dally Expreß' er fährt aus Stockholm: Die Petersburger «Rowoja Wfedomop" ver öffentlichen einen Brief des Aare» an einen Freuud in Peters burg. Daraus ergibt sich, daß zwar ein Versuch unternommen wurde, dte Romanows zu ermorde«, daß ab«r die ganze Familie der Gefahr entronnen ist. Der Zar schreibt: Als wir auS Jekaterina ft aw abreifian, versuchte eia« Gruppe Banditen unS za bewältigen Dem Zarewitsch wurde dadurch «in großer Schreck eingejagt, von dem er sich noch nicht vollkommen erholt hat, so daß er «och immer daS Bett hüten mutz. ES ist nur der Ergebenheit des Volkskommissar» Iakowtek und Gottes Hand zu verdanken, daß wir am Leben g< bst eben stad. Nach richten aus anderen Blättern besagen, datz bl« Zarin t» et» Kloster gehen will. Sibiriens Abfichten Haag, 13. Juli. (Ltg. Drahtbericht.) »Dasty Matt' er fährt au« Lharbin vom 12. d. datz der russische General Horvak zum Provinzialregenten in Sibirien avsgerufeu wurde. Auf seinem Programm steht die Wiederherstellung der Verträge mit der Entente, die Bildung einer disziplinierten Armee und die Rückgabe des geraubten Eigentums. , Nolens mit der Bildung des holländischen Kabinetts betraut Haag, 13. Just. (Drahtbericht.) Das Korrefpondeuzbvreo« meldet: Heut« hat die Königin Monfignor Dr. W. H. NolenS, Mitglied der Zweiten Kammer der Generalstaaien, mit der Bildung des neuen Kabinetts betraut. Abendbericht vtd. Berlin, 13. Juli abends. (Amtlich.) Von den Kriegsschauplätzen nichts Neues. Oesterr.-ungar. Heeresbericht Wien, 13. Juli. Amtlich wird gemeldet: An der venezianischen Gebirgsfront Aofklarungsgeplänkel, sonst nichts vou Belang. Der Chef des Geueralstabes. (W. T.B.) * Genf, 13. Juli. (Eigener Drahtbericht.) Der .Temps' meldet von der italienischen Front: Der Oberbefehlshaber hat den Ausbau der Verteidigungswerke Venedigs befohlen. An der Gebirgsfront find amerikanische Schwergeschühe in Stellung ge bracht Lugano, 13. Juli. (Drahtbericht.) Die italienische Presse ver herrlicht die Einnahme von Berat als großen Sieg mit wichtigen strategischen Folge,». Wie«, 12. Juli. (Drahtbericht.) Aus dem KriegSpressequarNer wir- gemeldet: Gelegentlich einer Kreuzfahrt in der südlichen Adria brachtan gestern Einheiten unserer Torpedoflotttlle das italienische Flugzeug Nr. 12 samt seiner aus 2 Offizieren bestehende» Be satzung ein. Bulgarischer Heeresbericht »tk. Sofia, 13. Juli. (Generalstabsbericht vom 11. Juli.) Ma zedonisch« Front: In Gegeud Ditolia, zu deiden Seite« der östlichen Lerna war da« beiderseitig« Artlllerlefeuer zeitweise lebhafter. Oestlich des Ward ar beiberseilige Feuertätigkeit. AagrisfSgruppea drangen in di« feindlichen Gräben ein mid brachte« Gefangene zarück. Unsere Truppen zerstrenten durch Feuer mehrere verstärkte englisch« Sturmtrupps. Im Vorgelänbe südlich Barak ti Dschawa ja moch ten unser« ErkvndvnqSgruppen mehrere Gefangen« der griechische» Arme«. Gin 3ahr nach Bethmann Etn Jahr ist vergangen, seitdem die unruhcvollen Berliner Krisenlage zu einem Kanzlerwechsel führten. Warum wir auf diese Ereignisse zurückgreifen? Nicht wegen der mancherlei Aehn- lichkett, die in der Loge der letzten Tage zu spüren waren, son dern weil jene Krise vom Juli 1017 kennzeichnend für deutsches Wefxn und die Entwicklung unserer Politik war, so kennzeichnend, daß sie vielleicht einmal den Schlüssel zu der Ge schichte nicht nur dieses einen Jahres, sondern darüber hinaus unserer ganzen Generation bilden kann. Der jetzige Gutsherr von Hohenfinow war einer der typischsten Vertreter deutscher-Eigenart. Man hat Bethmann Hollwcg bis weilen eine Hamletnatur genannt, und zweifellos ist etwas Nichtiges daran. Auch ihm eignete jene Erdenschwere, die nicht vorwärts läßt. Der Mann, den eine Schicksalsfügung in ent scheidender Stunde an den entscheidenden Platz stellte, bat stets im schweren Kampfe mit sich selber gelegen. Jede seiner Reden gibt davon Kunde, und wer sie mit anhörtc, entzog sich nicht dem Ein druck einer ausgesprochen sittlichen Persönlichkeit. Er war ein ausgezeichneter Verwaltungsbeamter und Innenminister gewesen, und in der Tat, seine ganze Veranlagung wies ihn aus die innere Politik, gerade weil er nicht rasch zugriff, sondern, säst überängst lich, abwog und prüfte. Bei der Verbitterung unseres Partei lebens, die sachliche Gegnerschaft nur zu ost in persönliche Feind schaft hinübergleiten läßt, ist immer ein Kanzler vonnöten, der auszugleichen und zu beschwichtigen sucht. Ein Porteimann im eigentlichen Sinne des Wortes an leitender Stelle wird in Deutsch land immer eine Summe von Haß erregen, daß seine Arbeit zur Unfruchtbarkeit verurteilt ist. In der äußeren Politik aber wurde dem fünften Kanzler sein Zandern zum Verhängnis, weniger nach außen als nach innen, weil er sich keiner der inneren Kriegsziel- varteien klar genug entschied. Darin lag etwas Tragisches für diesen guten Innenpolitiker. Wie peinlich korrekt, wie vorsichtig gerecht ist er an die Frage der belgischen Schuld herangetreten. Verdachtsqründe lagen auch ihm in Fülle vor, aber die zwingenden Beweise schienen ihm noch zv fehlen. So nahm er lieber eine weltgeschichtliche Schuld aus sick und damit auf Deutschland, als daß er bedenkenlos zum Angriff überging. Tadeln mag man ibn, aber die persönlichen Ver unglimpfungen hätten fehlen sollen, denn gerade in diesem Fehler war er deutsch, zu deutsch. Vielleicht haben diejenigen nicht ganz unrecht, die annehmen, daß ihm von vornherein der rechte Glaube an unseren Sieg fehlte. Er sah eben die Macht, die sich gegen uns zusammenballte, kannte aber noch nicht die ungeheure Kraft, die im eigenen Volke lebendig wurde. Wie unendlich viele jedoch kannten sie lange Zeit auch nicht besser als er, kannten nur die feindliche Macht weit weniger als er. Aber an den hervorragenden Stel len brauchts nun einmal Männer, dte an ihren Stern glauben. Er gehört zu jenen, die in Einsamkeit auf geistigem Gebiet einem fernen Ziel entgegengehen, weniger zu denen, die in dieser unerhörten Weltlage Weltgeschichte formen. Man muß sich das alles klar vor Augen holten, nicht weil man etwa die Geschichte des fünften Kanzlers schreiben will, sondern weil es unsere gegen wärtige Lage verständlich machen hilft: Die Kriegszielerörterirng mit ihrer so deutschen Gründlichkeit redet eine deutliche Sprache. Wer die üentscl-e Seele kennt, konnte wissen, daß es nur so und nicht anders kommen konnte; denn jenes schauspielerische sich auf Gedankengänge Einstellen, die nicht im eigenen Blui begründet sind, nach außen hin eine Maske tragen, liegt den meisten von uns nicht, nnd daher jenes Bild der Selbstzerfleischung, das Deutschland im vierten Krlegssommer genau wie im dritten bictek. Ebenso selbstverständlich ist ober, daß mit dem Sturze Bekh- mann Hollweas nicyts Wesentliches geändert worden ist! ES konnte ja auch gar nicht anders sein. Denn dieser Kanzler war eben ein Ausdruck unserer Zeit,'genau wie der Reichstag mit seiner immer noch bescheidenen Willenskraft, oder wie unsere höhere Beamtenschaft, ja wie unser ganzes deutsches Volk. Jenes Wort, daß wir wohl siegen, aber nicht in ebenwürtiger Weife poli tisch Siege auszunutzen verständen, bleibt bisher bestehen. Nach Bethmann verföchte man es noch einmal, wie schon früher, mit einem pflichttreuen Beamten altpreußischer Schule, dessen Fähigkeiten vorwiegend oder ausschließlich organisatorischer' Art waren. Nach 105 Tagen trat er von -er Bühne ab- Der Ver such scheiterte und mußte scheitern, weil auch Dr. Michaelis im letzten Grunde, rein menschlich betrachtet, in dieselbe Gattung htn- eingehörte wie sein Vorgänger, wenn er auch etwas viel un laut von seiner Energie sprach, von seinem Witten zur Macht, dte ihm beide fehlten. Nach dem Philosophen von Hohenfinow kam dann fast unmittelbar -er Münchener Scholastiker. Und seltsam: dieser gelehrte Fachphilosoph bewies eine i Geschmeidigkeit, die vielleicht mehr an einem anderen als am i deutschen Geiste geschult ist, eine Wellgewandtheit, die sich so scharf abhebt von allem, was vorher in der Wilhelmstraße ge- I wesen ist: der Willensmensch Bismarck, der General Caprivi, der vornehme Aristokrat Hohenlohe, dessen Größe schon der Ver gangenheit angehörte, als er in den Reichsdienst trat, und der nur noch als Platzhalter wirkte, und dann Bülow, der Mann der fchönfärberischen Glätte und einer spielerischen Dialektik. (Wenn man di« Schuld an der völlig verfahrenen deutschen Politik nach prüfen will, dann soll man an diesem glänzenden Redner, aber leider nicht sehr zielbewußten Politiker nur ja nicht vorübergehen. Die Erbschaft, die er seinen Nachfolgern hinterließ, war nicht mehr zu liquidieren. Auch er ist ein typischer Vertreter unserer Zeit gewesen, über die ausführlich zu sprechen heute nicht möglich ist. Allzudnnkle Fragen würden sonst austauchen, Fragen, die gerade in diesem Augenblick nicht beantwortet werden dürfen.) Ob Hertfing aber mehr ist als ein innerer Beschwichtiger von Fall zu Fall, daS mutz sich immer noch erst zeigen? Was sich sonst in diesem Jahre vollendet hak? Der Ueber- gang M einem deutschen Parlamentarismus, die Anbahnung ge-