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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 30.06.1918
- Erscheinungsdatum
- 1918-06-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191806304
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19180630
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19180630
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- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- Text schlecht lesbar
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1918
-
Monat
1918-06
- Tag 1918-06-30
-
Monat
1918-06
-
Jahr
1918
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Sonnlags-Ausgabe «««»1««- sie Leipzig und Vorort« ,w«im«l !Z«li<d Vezugsprers. In« Han. ««bracht monatlich M. 2Lt'. otrrteliadrlich M. «.«>; s«r Abholer monatlich M. l.7S; darch -ns«r« »«roarNgv, F»ll«l«n in« Haut gtdrachi monatlich M. 2.25, »i«rt«l- tshrltch M.LÄ; darch dl« Post lnn«rhald D«ulschland« chrsamt-Aataad« »»atllch M. 2^5, vi«rl«ltShrlich M. 8.75; Morgrn-Aulgad« M . AbUtd-Ansgad« M. 0,90, Sanntaat-Auigad« M. 0^0 monatlich <au«schli«blich Poltdest'llgidührj. Haupkschriftleiker: Dr. Erich Everth, Leipzig. Rr. »28 hcmdels-IeUurrg /Urrtsblall des Rates und des PoUZeiarnLes der Stadt Leipzig 112. Jahrgang Anzeigenpreis: UW Anz«la«n ». V«hdrd«n im amtl. Teil di« Koloneizril« 80 Pf» ». aal», SS Pf.; dl«In« Tinz«ig«n di« »«lonelzeil« 30 Ps» aatiodrt« 3S PK <S«fchdf»««nj«la«a «>t Platz»»rschrift«n im Pr«ls« «rhddt. B«llag«n: Sefamtaufiaa« M. 7.— da« Taus«nd aalschl. Postgrddhr. Sinz«In»m»«r IS Df. — Sona- »ad Festtag lS Pf. S«r»ipr«ch-B»Ichl»b«r.I«»«. lddiU »nd ,««««. — Postfch«ckken», 72t». e<t>risll«lt»»g »nd vrschdftlft«!«: Iohanaitgaß« Rr. >. Verlag: Dr. Reinhold L Co., Leipzig. Sonntag, den 3Ü. 3uni 1918 Die Ergebniffe der Offensive in Italien Wekerle über die Lage in Venetien Budapest, 28. Juni. (Drahibericht.) 3m Abgeordnetenhause gab ,u Beginn der Sitzung Ministerpräsident Dr. Wekerle folgende Er- Klärung ab: In Verbindung mit der letzten Offensive, insbesondere mit unserer im Gebiete der Piave und Brenta erfolgten Vorrückung und unserem Rückzüge sind so weitgehende, unglaubliche Ausstreuungen im Umlauf, -aß ich mich zur richtigen Feststellung des Tat bestandes und, um die übertriebenen Nachrichten auf ihren wahren Wert zu reduzieren, zur Beruhigung der öffentlichen Meinung mit voller Aufrichtigkeit vor der Oeffentlichkeit zu Lustern wünsche. (Hört! Hört!) Ich hielt es für meine Pflicht, diesbezüglich von der Heeres leitung unmittelbar Informationen einzuholen, die ich dem Hause mrt- zuleilcn wünsche. Zunächst stelle ich jest, dast wir ,, mit voller Aufrichtigkeit ohne jede Schönfärberei alle Kriegsnachrichten veröffentlichen. Als Beweis dafür will ich nur darauf verweisen, dast unsere eigenen Berichte stets den wahren Tatbestand enthalten und daß wir die Veröffentlichung der feindlichen Berichte nicht cinschränken, ja, dast wir die von uns selbst festgestellten Verluste stets mit den von unseren Feinden veröffentlichten Berichten und Daten kontrollieren. Auf Grund dessen will ich den Tatbestand der Wahrheit entsprechend be leuchten. (Beifall.) DaS Haus weist, dast wir an der Piave und Brenta vorgedrungen sind, und, um Menschenleben zu schonen, nachdem di« Festhaltung unserer Positionen mit riesigen Verlusten verbunden gewesen wäre, uns an der Piave zurückgezogen haben und nur an der Brenta manche okkupierten Gebiete behielten. Bei diesem Rückzug sind insgesamt 12 000 Gefangene in die Hände des Feindes gelangt. Gegenüber d-n Riesenziffem, welche diesbezüglich kolportiert wurden, will ich aus den Berichten des Generals Diaz, also aus den italienischen Berichten, feststellen, dast insgesamt bloß 12 000 Gefangene beim Vordringen und Rückzug in Feindeshand ge fallen sind. Abg. Zlinszky: Wie hoch waren die Verluste? Mlnisterprädenk Dr. Wekerle: Ich will mich ganz aufrichtig äußern. Der Honved- minister sprach vor kurzem von 8000 Gefangenen. Als er hiervon sprach, hatten wir das aus den bis zum 22. Juni veröffentlichten Berichten des Generals Diaz festgestellt. Auf Grund der seither erschienenen Bericht« must ich dies richtigstellen und feststellen, daß X 12 000 Mann in italienische Gefangenschaft gerate« sind, während 50 000 italienische Gefangene in unsere Hände fielen. Diese Ziffer kann bet der Offensive und dem Rückzug nicht als überaus riesig bezeichnet werden, denn wenn wir in Betracht ziehen, wieviel Gefangene wir im Herbst bei der 10. nnd 11. italienischen Offensive am Isonzo machten und wieviel Gefangene unsererseits in Feindeshand fielen, kann ich feststellen, daß bei der 10. Isonzooffensive, wo die Italiener oorgedrungen sind, unsererseits 30 000 bis 35 000 Mann in Gefangen schaft geraten sind, während wir 22 000 Gefangene machten. Wenn ich nun hiermit vergleiche, dast jetzt, wo wir vorgedrungen sind, das Ver hältnis umgekehrt ist, daß von uns nur 12 000 Mann in Gefangenschaft geraten sind, während wir 50 000 Gefangene machten, so kann ich dieses Ergebnis vom strategischen Gesichtspunkt« als beruhigend bezeichnen. Viel trauriger ist der Verlust, den wir an Token, Verwundeten und Kranken erlitten haben. Ein groher Teil hiervon entfällt auf die Kranken. (Abg. FenyeS: und den Hunger?) Dr. Wekerle: Die Ziffer der Kranken und Verwundeten kann nicht strenge abgesondert werden, weil der Stand in -er Weise festgestellt zu Iverden pflegt, dast wir die Zahl heimkehrender Truppen zur Grund lage genommen haben. Wir haben einen riesigen sehr bedauerlichen Verlust erlitten, der aber im Vergleiche zu der 10. und 11. italienischen Offensive die damals erlittenen Verluste nicht überschreitet, ja hinter diesen znrückbleibt, denn in der 10. und 11. italienischen Offensive hatten wir einen Verlust von 80 000 bis 100 000 Mann, jetzt aber ist unser Verlust gleichfalls annähernd 100 000 Mann. (Bewegung.) Diesen bedauerlichen Umstand bin ich gezwungen zu konstatieren. In dieser Ziffer sind die Gefallenen, Leicht- und Schwerverwundeten und jene enthalten, die als marode zurückgebracht wurden. (Bewegung: Rufe: Lauter Ungarn?) Dr. Wekerle: «Ich führe diese Ziffern deshaltb an, um mit ganzer Aufrichtigkeit die Lage darzulegen (Zustimmung), ferner auch aus dem Grunde, weil unsere Feinde diese Verluste gewiß in übertriebener Werse schildern werden, und vielleicht auch unsere öffent- liche Meinung. Ich will nur noch bemerken, weil auch solche Gerüchte in Umlauf sind, daß auch diesmal wieder ungarische Truppen in übermäßig großer Zahl in Anspruch genommen worden seien, und daß der Verlust bloß diese treffe, -aß an der ganzen Offensiv* und am Rückzug 33 ungarische und 37 österreichische Regimenter tailgenommen haben, also 47 Prozent Ungarn und 53 Prozent Oesterreicher. (Abg. Laehne: «Wieviel Ungarn waren in österreichische Regimenter «»gereiht?') Wekerle: «Der Vereinst der Italiener betrug beim ganzen Vorrücken und Rückzug 150000 Mann. Er übersteigt somit weit unsere Verluste an Toten, Verwundeten und Kranken; dies stelle ich aus ihren eigenen Daten fest. Auch wurde die Nachricht verbreitet, daß der Verlust durch Munitionsmangel verursacht worden fei. (Ruf: Mangel an Proviant!) Wek-rlL. Mit Munition war unsere Armee nie so gut ve» sehen wie Mitte Ivni. Richtig ist, daß, nachdem von den über die Piave geschlagenen drei Brücken unglücklicher weise die oberste elnstürzke, dann die b-:td»n anderen mitgerissen wurden, wodurch in der Beförderung von MunMon und Proviant unüberwind- liche Schwierigkeiten entstanden. (Beilegung.) Gegenüber den Ge rüchten jedoch, als ob dort Fälle von tzungerstod vorgekommen seien, must ich konstatieren, daß auch nicht elr. einziger solcher Fall bei uns -vorgekommen ist. (Lärm links.) Der Rückzug erfolgte yarrz systematisch, und nur wenige Truppen, die zur Deckung des Rückzuges dort zurück-lieben, fielen in italienische Gefangenschaft. Im übrigen wurde der Rückzug so planmäßig vollzogen, daß die Italiener (Lärm links; Rufe: Wieso? H>t man vielleicht neue Brücken gedarrt?) Jawohl, auch beim Rückzug wrrden Brücken gebaut und die HeereSlietung hebt besonders hervor, dast unsere Sappeure wirklich bravouröse Leistungen vollbrachten, so da«; der Rückzug gelingen konnte und nur die zur Deckung des Rückzuges notwendigen Truppen jenseits der Piave gekästen wurden, welche dann natürlich in Gefangenschaft gerieten. Ich will daher konstatieren, daß der ganze Rückzug, wie dies auch der Honvedminrster feste« stellt hat, so planmäßig und ohne Auf- lehr« geschah, daß die Italiener selbst »ach dem Rückzug diesen nicht bemerkten, sondern noch die Angriffe gegen unsere Schützengräben und >tb«ha»pä -ege« unser« früheren PosiOcnen und gegen frühere Skel- lunger «sev« Turppe» sorljetztea. - - -n- - . Honvedminisler Szmrmay: -Der Angriff wurde auch zmückgeschlaqen durch unser« Artillerie. Dr. Wekerle: Wenn ich trotz dieser traurigen Ergebnisse vom ganzen die Folgerungen ableitc, so steht ohne Zweifel fest, dast wir den Italie nern bedeutende Verluste verursachten und sie verhinderten, einen er- hxblichen Teil ihrer Truppen an die Westfront zu senden, was im Inter esse der gemeinschasilichen Kriegführung ohne Zweifel ein Ziel ist, das zu erreichen ebenfalls unsere Pflicht war. Diesen Zweck haben wir auch erreicht. So traurig auch die Ergebniffe sind, so glaube ich doch, wenn wir die Geschehnisse in ihrer Gesamtheit in Betracht ziehen, können dieselben vom Gesichtspunkt der Kriegführung nicht als eine Niederlage bezeichnet werden, denn diese Operationen haben dem Feind; größeren Schaden verursacht als uns. Menn wir aber den Zweck nicht erreicht Haden, dast wir große Fortschritte hätten machen können, so haben wir doch keinerlei Ursache, unser Vertrauen zu verlieren. Sowohl die Armee wie das Land können beruhigt sein, dast uns hier größere Verluste nicht treffen werden, dast unsere Stellungen gesichert sind und dast wir, wenn wir auch keinen vollständigen Erfolg erzielt haben, jedenfalls den strategi schen Erfolg hatten, daß wir der Tätigkeit unserer Armee in der Zukunft und dem Ausgang des Krieges mit Vertrauen entgegensetzen können. (Zustimmung.) Wien, 29. Iutti. (Drahtbericht.) Zu den vom ungarischen Ministerpräsidenten im ungarischen Abgeordnetenhaus ab gegebenen Erklärungen über die Verlustziffern anläßlich der jüngsten Offensive gegen Italien wird dem Korrespondenz, bureau von maßgebender Stelle folgender Kommentar gegeben: 1. Die Zahl 100 000 bericht auf einer irrtümlichen Auf fassung der eiligst abgegebenen Teiephondepesche. Es wurde der ungarischen Regierung vom Armeeoberkommando mikgeteilk, daß die Verluste geringer als die in der zehnten und elften Isonzoschlacht seicir, die 80 0000 bis 100 000 Mann betrugen. Irgendwelche genauen Daten liegen über die in Rede stehende Einbuße an Mannschaft überhaupt nicht vor. 2. Die durch Vergleich mit der zehnten und elfte« Isonzoschlacht an- gedautete Verlustziffer bezieht sich nicht auf die Piavesront, noch weniger auf die vom Ministerpräsidenten angeführten 70 Infanterie- Regimenter allein, sondern aufdieganzeFront vom Stiffser Joch btS zur Adria und umfaßt -en Zeitraum vom 15. bis 20. Juni, also sechs Kampftage. 3. In den Gesamkverlustziffern stnb immer auch die Ab« gänge an Kranken inbegriffen, wie dies ja der Minister präsident heute auch betonte. Diese betragen je nach der Witterung an der Südwestfront täglich 2000 bis 4000 Mann, ergeben also für sechs Niederschlag- und kältereiche Tage 20 000 bis 25 000 Mann. Die Ver- laste überstiegen demnach in keiner Weise das normale Maß und bieten der Oeffentlichkeit die Gewähr, daß di« KampffÄhvwng alles getan hat, um die Zahl der Opfer einzaschrSnken. Haag, 29. Juni. (DrahkberichknnsereS Sonderbericht erstatters.) Aus London meldet der «Haagsche Courant': Die britische Presse widmet den Vorgängen in Oesterreich, namentlich der Rede Wekerles im ungarischen Abgeordnetenhaus«, ausfallen lange Kommentare. Die «Morningpost' meint, daß die Vorgänge deut lich den Druck der Hochspannung dec innerpolitischen Lage unter dem wachsenden Einfluß der von russischen Ideen genährten Linken wider- spiegeln. Immerhin könne die Monarchie nicht mit Rußland verglichen werden. Ein inneres Einsinken wie bei Rußland könne nicht erwartet werden. Die «Times' warnen gleichfalls vor optimistischen Erwartungen. Sie schreiben, daß jede Schwächung Oesterreichs die Abhängigkeit des letzteren von Deutschland größer gestalte. Ium Handschreiben Kaiser Karls an Seidler Wie«, 29. Juni. (Drahibericht.) In Besprechung des Hand schreibens Kaiser Karls betreffend dos Weiterverbleiben des Kabinetts Seidler und die Einberufung des ReichSrates für -en 16. Juli hoben die Blätter hervor, daß das Handschreiben einen neuer lichen Beweis -es streng konstitutionellen Sinnes -es Monarchen bilde. Die Blätter begrüßen mit Genugtuung die Einberufung des Parlaments und betonen, -aß es Pflicht und Schuldigkeit -es österreichischen Parla ments sei, in dieser Zeit Oesterreich nicht im Stiche zu lassen. Sie drücken die Meinung aus, daß, wenn die Volksvertretung in solch einem historischen Augenblicke versage, sie selbst ihr Urteil sprechen würde. Den Blättern zufolge rief die Nachricht von -em Verbleiben v. Seidlers in den Kreisen der deutsch-nationalen Abgeordneten wie auch bei den Ukrainern lebhafte Befriedigung hervor, während die Polen vorerst noch auf ihrem streng ablehnenden Standpunkt verharren. Die Blätter -rücken jedoch die Hoffnung aus, dast das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. v. Seidler habe gestern mit den Parteien, mit Ausnahme der Polen, die Besprechungen wieder ausgenommen. Die italienische Gegenoffensive beendet Haag, 29. Juni. (Drahibericht unseres Sonder berichterstatters.) Reuter meldet halbamtlich, daß die Italiener «weitere Gegenangriffe' gegen die Oesterreicher einstellen werden, da sonst di« Schwierigkeiten für sie zu groß wür den. Reuter behauptet noch weiter, daß die Italiener 20 000 Gefangene gemacht hätte«. (?) Bern, 29. Juni. (Drahtbericht.) Stegemann schreibt im .Bund': Die Auffassung, daß die Oesterreicher die Offensive ab- gebrochen und die Armeegruppe Boroevie geordnet über die Piave zmückgenommen haben, ist durch die Entwicklung bestätigt worden. Die Italiener konnten, obwohl sie flott nachdrängten, Boroevie nicht schädigen. Daß Boroevie angesichts -es Feindes zweimal über -en Flnst ging, ohne in die Klemme zu kommen, spricht für -ie tüchtige Führung und gute Haltung der Truppe und gegen -en italienischen Sieg. Unzweifelhaft ist die österreichische Offensive weniger gescheitert als ab gebrochen worden, und Diaz war nicht imstande, Boroevie über die Piave zu folgen. Das ist für die Italiener unangenehm, denn es war die beste Gelegenheit, sich die Brückenköpfe auf -em linken Us«r zu sichern, deren sie bedürfen, wenn sie ihrerseits die Offensive gegen den Taglia- mento wieder aufnehmen. Oesterr.-ungar. Heeresbericht Wien, 29. Juni. Amtlich wird mltgeteilt: Bei Zinsen und Rov « nta di Piave vrrsuchten feind lich« Erkundungsabteilunqen den Floh za übersetzen. Sonst überall Artilleriekampf wechselnder Stürtz«. ^-.Berlin, 29. Joni abends (Amtlich.) Bon den Kriegtschanplüßea nichts Neues. „ Politik und Strategie Das bekannte, bis zum Ueberdruß zitierte Wort von Clause witz über die Beziehungen zwischen Krieg und Politik stellt eine Verwandtschaft zwischen beiden Formen staatlicher Be tätigung auf. Erseht man darin «Krieg' durch «Strategie', so scheinen die Achnlichkeiten noch schärfer hervorzutreten: Hier wie dort ein planmäßiges, groß angelegtes Vorgehen (im Idealfall natürlich) mit dem Ziel, die Ueberlegenheit, sei es auf dem Schlacht felde, sei es in der diplomatischen Konstellation, zu erringen oder zu behaupten. Und doch liegt in dieser Parallele nicht nur der Fehler jeder Analogie, daß gewisse Vergleichspunkte allzu stark in den Vor dergrund geschoben werden, sondern sie ist sogar geeignet, grund sätzliche Gegensätze zu vertuschen- Wenn man den Krieg als die Ultima ratio in den internationalen Beziehungen auffaßt, darf man sich doch darüber nicht täuschen, daß Politik und Strategie in ihrem Wesen verschieden sind, daß ihre Methoden und ihre Ziele grundsätzlich voneinander ab weichen. Sich dies einmal klarzumachen, ist in einer Zeit, in der bis in den täglichen Sprachgebrauch hinein der Krieg die Vorstellungswelt beherrscht, wohl am Platze. Der erste Hauptunterschied .zwischen Strategie und Politik liegt in ihren Mitteln nnd den daraus folgenden Methoden. Gewiß muß auch der Stratege einen einheit lichen, auf längere Zeit vorausberechnetcn Plan haben. Aber die Störungsmomente, die die unmittelbare feindliche Gegen wirkung vorstellt, zwingen ihn, jederzeit auf eine unter um ständen radikale Aenderung seines Feldzugplanes gefaßt und vorbereitet zu sein. Unsere Mobilmachung und der Zug bis an die Marne waren sicherlich jahrelang theoretisch ausgearbeitet. Dann aber zwang die militärische Lage, insbesondere die Gefahr im Osten, zu völlig neuen Kombinationen. Politik ist demgegenüber ein viel langfristigeres Geschäft. In Jahrzehnten erst reift eine Frucht wie die englisch-französische Annäherung oder die japani schen Anschläge auf China. Gewiß nötigt auch den Diplomaten die veränderte Situation zu neuen «Manöver», Diversionen', Rückzügen oder Vorstößen. Aber — und das ist das Wesent liche — der Politiker kann warten. Die entblößte Flanke zwingt den Feldherrn zum augenblicklichen Entschluß. Durchbrechung der Front kann einen nicht wieder gutzumachenden Verlust an Menschen, Material, Gebiet bedeuten. Der Politiker dagegen kann einen Fehlschlag im einzelnen leichter parieren, weil er seine Gegenschachzüge in Ruhe führen kann. Dieser Unterschied im Tempo, der Strategie und Politik etwa wie Fechtkunst und Schachspiel unterscheidet, ist durch die Langwierigkeit des modernen Stellungskrieges wohl etwas abgemildert, aber bei wei tem nicht beseitigt worden, zumal ja der Stellungskrieg gerade vom strategischen Gesichtspunkte aus den Nachteil hat, daß er zu keiner unmittelbaren Entscheidung führt. Noch deutlicher tritt der Gegensatz zwischen Strategie und Politik hervor in ihren verschiedenen Zielen. Der Stratege muß ausgehen auf die Vernichtung deS Feindes: die unmittelbare physische Macht über ihn zu gewinnen, muß sein Bestreben sein. Ganz anders der Politiker. Soweit seine Tätigkeit überhaupt eine feindselige, negative ist, kann es ihm genügen, einen gefähr lichen Gegner in Schach zu halten und irgendwie unschädlich zu machen. Viel wichtiger aber wird ihm das positive Ziel sein. Sympathien und Interessengemeinschaften zu schaffen, ja, nach Möglichkeit selbst mit dem Gegner einen Vioäus vivenäi zu finden oder einen Vergleich einzugehen. Wie sehr dieses friedliche Ziel der Politik in das allgemeine RechtSbewußtscin übergegangen ist, zeigt sich darin, daß in der Regel niemand wird zuqeben wollen, politische Föderationen zum Zwecke eines Angriffskrieges be trieben zu haben, während für den Feldherrn die planmäßige Zerschmetterung des Gegners Pflicht nnd Ruhm bedeutet. Daß diese wesensverschiedenen Richtlinien sich in der Praxis kreuzen können, hat mehr als ein Friedensschluß gezeigt: als Schulbei spiel ist der Nikolsburger Friede bekannt. Aus den Wesensverschiedenheiten zwischen Politik und Strategie erklären sich aber noch weitere Unterschiede. Obwohl Diplomaten und aktive Offziere bei unS größtenteils den selben Kreisen entstammen, wird der Offizier, der einen siegreichen Feldzug hinter sich hat, leicht geneigt sein, auf den ihn ablösen den Diplomaten kritisch und geringschätzig zu blicken. Er war gewöhnt, zu befehlen, jeden Widerstand mit starker Hand zu be wältigen, den Gegner zu schlagen, wo er ihn fasten konnte: Der Diplomat verhandelt auch mit dem geschlagenen, militärisch viel leicht nicht einmal mehr widerstandsfähigen Feind. An Stelle deS VernichtungswillenS tritt bei ihm die Berechnung auf kom mende friedliche Verhältnisse, wobei unter Umständen sogar der bis herige Gegner als künftiger Bundesgenosse in Rechnung gesetzt wird. Schon diese ganz anders gerichtete Denkweise muß dem Militär seltsam, ja schwächlich erscheinen. Tritt dazu noch das Gefühl, daß mit solchem diplomatischen Verhandeln die eigenen, schwer errungenen militärischen Erfolge prcisgegebcn werden, so ist der Boden für die schärfste Kritik bereitet. .Der erste beste Kammerunteroffizier würde die Sache besser machen als dieser Reichskanzler', sagte dem Schreiber dieser Bemerkungen einmal im Kasino ein Major kurz vor Betbmann Hollwegs Sturz, un fein Urteil war weder in Inhalt noch in Form vereinzelt. Wie unter dem Eindruck der eigenen Waffenerfolge das klare Urteil für die Verschiedenartigkeit von Strategie und Politik verloren gegangen ist, zeigt die sonderbare Forderung, die Diplomatie ganz allgemein verwundeten Offizieren zu übertragen. Aber auch die weniger weitgehende Forderung, statt der poli tischen Reichsleitung den führenden Männern der Obersten Heeresleitung den ausschlaggebenden Einfluß aus die Frie densverhandlungen zuzugcstehen, geht von falschen Voraus setzungen aus. Denn auS allem, was wir darlegten, er- gibt sich die Schlußfolgerung, daß auch die glänzendsten militärischen Erfolge noch nicht ohne weiteres zum Diplo maten qualifizieren. Die Hochachtung vor den Verdiensten unserer großen Heerführer sollte im Gegenteil fordern, diese Männer nicht in eine ihnen fremde Arena zu ziehen oder gar ihrs Autorität zu politischen SonderMecken z« rchßbrmpcher^
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