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Morgen »Ausgabe —«««» sir L«tpztz »nd Dor»N» «,llch vkAUASP*"»"- tn« Hao» ,«dr«cht »o«aIUch M. 2^)6. »lerirlstbrllch M. 6.0V: für Adbolrr monatlich M. 1.7S: 6»rch >»I«rc aalmLrttt^n gtlialen in« Hau« gebracht monatlich M. 2LS. «t»r»«l- «ühritch M.6LV: durch di« Post innerhalb Deutlchland« V«samt-4lotaada monatlich 2L5. nieriellührlich M. 6.7S; Mor«en-Au«gab, M. 1^» Älbend-Auigade M. V,SV, Sonntaal-Äusgade M. VLV monatlich kaujschlleblich Postdestellgebühr). Hauplschriftleller: Dr. Erich Everkh, Leipzig. Nb »OS Han-els-IeUung /UrUsblatt des Rat« und des polireiamtes der Stadt telpPi- UL. Jahrgang Aazelgenpreis: L'lLVL'^^.L An^taa» »^Bahdrden Im anrll. Teil di« No!»n,l,«ll« 8V Pf, v. aut». l>S Pfl; klatn« Anieige» dl« K»l»n«li,ll« VV Pf, avtmLrt« :« Pf^ S*sch6st«aaj«igrn mit Platzoorichritten Im prelle «rddht. Vetlsqen: chrfamtauflaa, M. 7.— da« Inafend aa«lchl. PoftaedShr. Linzeinnmmer tv Pf. — Sonn- nnd geSia,« IS Pf. -««^proch-Anschlnb Rr. tlE «6« »ad l«1»< poft,checkt,--»,o 7Al»> Schriftleiinn, »ad Vefchüftspell«: (lohan»i«gas>e Nr. 6. Verlag: Dr. Reinhold L Eo., Leipzig. 1S18 Donnerstag, den 20. Juni Der Fosetta-Kanal überschritten Oesterr.-ungar. Heeresbericht Wien, 19. Juni. Amtlich wird mUgetellt: Der Sndflügel der Heeresgruppe Feldmarschall v. Boroevic erkämpfte in stetem Vordringen neue Vorteile. Der Kanal Fesetta wurde an einigen Punkten überschritten. Der Italiener ,etzt alles daran, unser Vordringen zu hemmen. Auf engen Räumen werden Gefangene zahlreicher zusammengewürfelter Ver bände eiugebracht. Heftige feindliche Angriffe, die namentlich beiderseits der Bahn Oderzo —Treviso mit großer Zähig keit geführt worden, brachen unter schweren Verlosten teils in unserem Feuer, teils im Nahkamof zusammen. D.e Divisionen des Generalobersten Erzherzog Joseph durch stießen bei Sevilla am Südfuhe des Montello mehrere italienische Linien. Die Zahl der Gefangenen erhöhte sich. An der Gebirgsfront waren die von uns am IS. genommenen Stellungen zwischen Piave und Brenta und südöstlich von Asiago abermals das Ziel erbitterter Anstürme. Der Feind ver mochte trotz großer Opfer nirgends Vorteile zu erringen. Auch auf dem Dosso Alte stießen die Italiener immer wieder vergeblich vor. An der Tiroler Westfront Artiveriekämpfe. Der Chef des GeneralfiaLes. „Der furchtbare Angriff Sesterreichs" Köln, IS. Juni. (E i g. D r a h l b e r i ch k.) Die «Köln. Dolksztg." meldet aus Basel: Außer den Heeresberichten bringen die italienischen Heilungen spaltenlang« Schilderungen über den furchtbaren An griff Oesterreichs und über die Wechselfälle der Schlacht. Be sonders im Brentalale und an der unteren Piave erneuere der Feind seine Angriffe unermüdlich. Der Kriegskorrespondent des «Se- colo' betont, dir italienischen Trappen seien sich bewußt, daß eS gelte, gegen einen Feind zu Kämpfen, der tief in da» Land eladringen wolle. Zn Rom wird die militärische Lage, nach dem Blatt zu urteilen, mit ge sundem Sinn für die Wirklichkeit and mit besonderer Seelenstärke be- lrachtet. Als mutmaßliche Ziele, meint «Corriere della Sera", seien Venedig und Treviso in Aussicht genommen. DaS Blatt bereitet die Bevölkertung auf lang andauernde Kämpfe und wiederholte Angriffe vor. ES beschwört die Bevölkerung, sich durch unvermeidlich« Wechsel ¬ fälle nicht einschüchlera zn kaffen. Für Oesterreich steh« die Existenz und für Italien die Zukunft auf dem Spiele. Basel, 19. Juni. (E i g. Dr a ht b e r i cht.) «Daily Lhronicle' meldet aus Mailand, daß im Gebiete zwischen Fassono nnd Vi- cenza mit der Forischosfung der Zivilbevölkernng begonnen wurde. Der «Temps" meldet von der italienischen Front: Der Oberbefehlshaber General Diaz sprach von der großen Aufgabe der Truppen, die ita lienische Front unter allen Ilmständen zu halten. Zürich, 19. Juni. (Eig. Drahtbcricht.) Der Mailänder „Secolo* meldet aus Rom, Laß die Alliierten ihre schleunigste Hilfe für Italien zugesagt haken, und daß Hilfstruppen der Alli ierten auf dem Wege nach Italien seien. Abendbericht wtb. Berlin, 19. Juni, abends. (Amtlich.) Von den Kampffronten nichts Neues. * Bern, 19. Juni. (Lig. D r a h td e ri cht.) Der Militärkritiker des „Bund* weist auf die schwierige Lage General FochS hin und zweifelt nicht, daß dieser die Linie BeanfaiS—Tenlis—Meaur als rückwärtigen vertcldigungSabschnitt habe Herrichten taffen. Jeder Schritt rückwärts bringe ihn dem Saume des verschanzten Lagers von Paris näher, da« er seht schon bei Lompidgne und Billers-Eottereds ver teidigte, obwohl die Deutschen es weder direkt angriffen noch als geo graphisch-strategisches Ziel M erreichen suchten. Sobald Paris so hart an der Peripherie liege, daß die Nord- und Ostverbindungen der eng lisch-französischen Front im umkreise von Paris von der Schlacht ersaht würden, habe Hindenburgs Feldzug eines seiner wichtigsten Operationsziele erreicht. Fochs Gegenmaßnahmen können diese Ent wicklung nicht hemmen. Dazu bedürfe es anderer Mittel and völliger Zurückgewinnung der Initiative. Die Verteidigung von Paris Zürich, 19. Joni. (Eig. Drahlberichl.) Rach einer Pariser Meldung hat der neue Militärgovverneur von Paris am Montag nach mittag die Vertreter des Pariser Gemeinderatas «mpfaugen, nm mit ihnen über Maßnahme« für eine Verteidigung von Paris zu sprechen. Der General gab iste Erklärung ab, er bürge für die Sicherheit der Hauptstadt. Der Gemeinderat unterbreitete dem MiNtärgvnvernaar Las Ersuche«, die betonierten Festuagsanlage« im Falle einer Gefahr für die Bevölkerung zur Verfügung zu stellen. Die Wiener Brotkrife Keine Verpflichtung Deutschlands Oesterreich mit Mehl zu versorgen Berlin, 19. Juni. (Drahtdericht «aferer Berttaer Schrift! eitung.) Die «Norddeutsche Allg. Zig." schreibt offiziös: In der österreichischen Presse wird als Ursache der Kürzung der Brot ration vielfach angegeben, daß Deutschland sich verpflichtet Hobe die Mchloersorgung Oesterreich-Ungarns bis zur ueuen Ernte zu übernehmen, aber seinen vertraglichen Verpflichtungen nicht nach- gekommen s^. Das beruht auf emer völlig falschen Auffas sung. Bei den Verhandlungen, die unmittelbar vor Pfingsten in Berlin mit den Vertretern von Oesterreich-Ungarn über die Getreibe- einfuhr cmS der Ukraine stattfanden, ergab sich die Notwendig keit, eine einheitliche straffe Organisation des Getreideaufkcmss in der Ukraine herbeizuführen, da sich aus dem nicht immer ganz einheit lichen Nebeneinanderarbeiten verschiedener Organisationen Miß stände ergeben hallen, welche für den Gesamterfolg uachteilig wareu. Die Vertreter Oesterreich-Ungarns erklärten sich bereit, die Führung der ganzen Angelegenheit den beulschen Stellen zu überlasse«, wenn Gewähr dafür geboten werde, daß Oesterreich-Unaaru banu aus der Ukraine, oder wenn diese versagen sollte, aus Rumä«1e» ober Beßarabien die Mindestmenge erhalte, welche für die Versorgung des Heeres und der Bevölkerung in Ocsterreich-Ungarn bis zur neuen Erste nölig fei. Auf dieser Grundlage ist daS Abkommen ge- trosfeu worden. Eine Lieferung aus deutsches Bestände« ist dabei nicht vorgesehen worden. Sie hätte nur in Frage komme» können, wenn Deutschland Reservebestände hätte, welche über de» Be darf des Heeres und der Bevölkerung hinaus verfügbar gewesen wäre«. DaS ist aber in diesem Ernlesahre leider nicht der Fall. Daß jetzt die Gelreidellefernngen aus der Ukraine and Beßarabien so gering find, ist sehr bedauerliche daß aber die Ursachen völlig außerhalb des Verschuldens deutscher Stelle« liegen, wird auch von österreichischer Seite durchaus anerkaant. Forderungen der Wiener Arbeiter Wie«, 19. Juni. (Drahtbericht unseres Wiener Mitarbeiters.) Der WienerArbeiterrathat gestern abend folgende Beschlüsse gefaßt: Die baldige Wiederherstellung der vollen Brotration, Erhöhung der Arbeitslöhne, Kürzung der Arbeitszeit und Len baldigen Abschluß des allgemeinen Friedens. Der Arbeiterrat fordert, daß die österreichisch-ungarische Negierung sich nicht nur bereit zeige, jederzeit in Verhandlungen zur Herbei führung des allgemeinen Friedens ohne Annexionen und Ent schädigungen sowie der Gründung der Liga der Nationen einzu treten, sondern sich auch bereit erklärte, selbst möglichst bald d!« Einladung der feindlichen Länder zu Friedensverhan- langen zu übernehmen. Der Ardeiterrak fordert die Ein berufung des Parlaments. O Wie«, 19. I-ui. (Eigener Drahtdericht.) Der Er- »ähra»-sm1«ip«r Dr. Paul ist aus Berk« telegraphisch «ach Wie« z»rü«kgerofen wordeu und ist heule vormittag hier ein- getroffe». I« Parlament wird erklärt, daß Deutschland zwar KÄ» Brotgetreide, wohl aber Kartoffeln zur Verfügung stelle« wird. Auch au« Ungarn «ollen T r a n s p o r t e im Rolle» sein. Der seit gestern 11 Uhr nacht« mit kurzer Unterbrechung nieder- qeheab« Regen verhiaderle «ine Fortsetzung der gestrigen Demo»- strnttousversache, gegen die die Polizei eiagriff. E« find zwar auch heute vormittag einige Ituruhen m den äußere« Wiener Beerben vor gekommen. di« non nicht organisierten jugendliche« Ele mente« verauffullel wurde«, doch getan« es der Polizei, überall die Ordnung in Karzer Zell herzafielle«. Es ward«« eialge Verhaftungen vorgenommen. Der Aafraf der sozialdemokra tischen Parteileitang der Arbeiter der Lebensmittel-, Ver kehrs- and Bergbaubetriebs «ich! z» streike«, ist Überast be folgt worden. Wie«, 19. I««i. (E l g. Drahtdericht.) Bas Budapest wird gemeldet, daß bi« «agarische Regier«ag entschlossen ist, der Wiener Bevölkerang belzafiehea. Sine verspätete Maßregel Me Erfassung der österreichische« Ernte. Wien, 19. Juni. (Wiener Korr.-Bureau.) Durch eine heule mikgeteilte Verordnung wird die Bewirtschaftung der neuen Er n t'e ebenso wie im Deutschen Reiche künftig auch in Ungarn im Sinne einer straffen staatlichen Bewirtschaftung ge regelt. Der Plan für die Getreideaufbringung geht von der Tatsache aus, daß Oesterreich ohne irgendwelche Vorräte in Las neue Erntejahr eintritt und daher danach getrachtet werden muß, möglichst rasch in den Besitz der erforderlichen Getreidemenge zu gelangen. Me Erfassung der Ernte wird sich tn drei zeitlich auf einander folgenden Abschnitten vollziehen, in der Frühdruschauf bringung, in der Aufbringung des vorläufigen Kontingents, in der individuellen Ueberprüfung sowie der endgültigen Erfassung aller Ueberschüsse. Für die Aufbringung des vorläufigen Kontingents werden die Kronländer in Aufbringungsrayons und die politischen Bezirke in Aufbringungssprengel eingeteilt. Für jeden Sprengel wird eine Aufbringungskommission eingesetzt. Die Aufbringung des vorläufigen Kontingents, die dis Ende September abgeschlossen sein muh, erfolgt schon von der Dreschmaschine weg, worauf das Getreide unverzüglich in Mühlen oder Lagerräume übergeführt wird. Den Behörden stehen Zwangsmittel zur Be schleunigung des Drusches zu Gebote. Bet der individuellen Auf nahme, welche nach Ablauf der Feldbestellungsarbeiten von Haus zu Haus durch dieselben Kommissionen durchgeführt wird, wird für alle Landwirte die Menge der abzuliefernden Ueberschüsse end gültig festgestellt. Ungarischer Protest gegen „RittelmM" Babapest, 19. Juni. (Ungar. Telegr. Korresp.-Bureau.) Im Laufe der Debatte über das Budgctprvvisorium ergriff al« Redner der oppo sitionellen Karolyi-Partei Graf Theodor Batthyani das Wort. Er beschäftigte sich meist mit Mitteleuropa und sagte, daß diese Schöpfung eine Gefährdung der politischen und wirtschaftlichen Seldständiakeit Ungarns bedeuten würde. Der Redner er örterte polemisG die Aeußerungen des Vizekanzlers von Payer, die, wie er sagte, auf eine völlige Vereinheitlichung de« Deutschen Reiches und der österreichisch-ungarischen Monarchie hinausliefen. Durch diese Mitteilung des Vizekanzlers, sagte der Redner, ist es nunmehr di« dringende Pflicht des Abgeordnetenhauses geworden, zur Frage des beabsichtigten wirtschaftlichen, politischen und militärischen Bündnisses Stellung zu nehmen. Batthyani beantragte die Ein- sctzung eines parlamentarischen Ausschusses aus 30 Mitgliedern, der dem Abgeordneten Hause wegen der mit dem Deutschen Reich«, den neuen nördlichen Staatsgebilden, mit Polen, Bulgarien, der Türkei and Rumänien zu regelnden politischen, wirt schaftlichen und militärischen Fragen, nach Zuziehung von Interessenten und Sachverständigen, Vorschläge machen soll. Gleichzeitig soll da« Ministerium aufgefordert werden, solang« ein Bericht des Ausschusses nicht voeliegt, an keinerlei diesbezüglichen Verhandlungen teilzu nehmen und keinerlei Vereinbarungen bindend betzutrefin. . Die Nahtstelle Nicht nur militärisch, auch politisch haben die deutschen Vor stöße im Westen die Nahtstelle zwischen den Franzosen und Eng ländern getroffen. Gerade der dritte Vorstoß zeigt, daß Hindere bürg in zweifacher Hinsicht mit meisterhafter Geschicklichkeit ge zielt hak. Das Bündnis zwischen England und Frankreich beruht ja nicht auf gemeinsamen Lebcnsinteressen, die mit Naturnotwendig keit zwei Völker zusammenführen müssen. ES war nur ein für einen bestimmten Fall geschlossener Vertrag, dessen letzter Beweg grund rein negativ, Furcht einem Dritten gegenüber, gewesen ist. Eine Lebensgemeinschaft beider Nationen gibt cs nicht, wenn sie auch auf dem Kontinent keine widerstreitenden Interessen haben. Beide aber sind Kolonialmächte, die sich so ziemlich in allen Erd teilen treffen und schneiden. Diese Gegensätze waren in der Ver gangenheit so stark, daß sie zu jahrhundertelangen Kriegen führten und erst überbrückt werden konnten, als Frankreich durch feine Niederlage von 1870 und die stetig zunehmende Entvölkerung von dem Rang einer Großmacht ersten Ranges herabsank. Darin besteht ja der wesentliche Unterschied zwischen dem Bündnis der Wcstmächte und der Verbindung der beiden Kaiserreiche. Nennenswerte Widersprüche in den politischen und und wirtschaft lichen Richtlinien Deutschlands und der Donaumonarchie finden sich bisher nicht. Bei Kricgsbcginn hatten sie ein gemeinsames Ziel, die Abwehr der slawischen Gefahr, darüber hinaus aber auch ein positives: die Neuordnung der Baikanverhältnisse und die wirtschaftliche Erschließung der Levante. Zwischen ihnen war und ist eine Arbeitsteilung möglich, da Oesterreich-Ungarn infolge seiner geographischen Lage die Vormacht auf dem Balkan werden mußte, das Deutsche Reich aber als Kolonial- und Seemacht auch die Ver tretung der habsburgischen Reiche in der Weltpolitik übernehme» ' kann und in Zukunft besonders auf dem Gebiet der Rohstoff versorgung durchführen wird. Dagegen ist daS Bündnis zwischen England und Frankreich einzig eine Folge der ausgezeichneten Politik -es Foreign Office und der taktischen Ungeschicklichkeit der Wilhelmstraße. Der ge waltige Fehler lag daran, daß mqn es nicht verstand, Frankreich, England und Rußland auseinander zu halten. Man beschränkte sich darauf, nach Art der Emporkömmlinge, bald um die An erkennung der alten Großmächte zu werben, bald laut und prah lerisch auf die eigene Stärke und den wachsenden Reichtum zu pochen. Gerade dieses Hin und Her hat zu der allgemeinen Un sicherheit wesentlich beigetragen. War eine andere Politik möglich, oder ist der Zusammenschluß unserer Gegner eine notwendige Folge der Einigung Les Reiches und der dadurch gewonnenen Stellung gewesen? Wenn man die «Deutsche Politik* des Fürsten Bülow liest, dann muß man fast an ein Fatum glauben, das mit der Unerbittlichkeit antiker Schlcksalsgoltheiken gewaltet hat. Bei kritischer Prüfung unserer Politik, besonders seit 1897, wird man aber zu dem entgegen gesetzten Urteil kommen. Schon der Frieden von Schimonoseki, den Deutschland Schulter an Schulter mit Frankreich und Rußland erzwang, während England geschickt die japanische Mißstimmung aosdeutete, ist ein grundlegender Fehler gewesen, für den aller dings noch Bülows Vorgänger, Marschall von Bieberstein, die Verantwortung zu kragen hat. Bülows eigene Sünden beginnen während des Burenkrieges, wo Deutschland wieder in Tuchfühlung mit seinen kontinentalen Nachbarn stand, dann aber unvermittelt eine Schwenkung nach England hinüber vornahm. Gewiß, dec vierte Kanzler hat oft, mehr in Andeutungen, als daß er es offen aussprach, die Schuld von sich abzuwälzen versucht. Es ist auch heute noch nicht möglich, diese Frage einwandfrei zu klären. Die Verantwortung aber hat ein Kanzler unter allen Umständen nicht nur für sein Tun, sondern auch für sein Lassen zu tragen, wobei eS ganz gleichgültig ist, ob er die eigene oder eine fremde Politik vertritt. Die Konferenz von Algeciras hat sämtliche europäischen Mächte gegen Deutschland und Oesterreich-Ungarn zusammen geschweißt und schon damals Italien, das durch ViSconti Venosta vertreten wurde, an die Seite der Entente geführt. Man braucht nur an die Haltung Bismarcks bei ähnlichen Gelegenheiten zu er innern, der es stets vermied, seine Gegner und die Neutralen an einem Tisch zusammenkommen zu lassen, bevor er sie nicht durch Sonderabmachungen von vornherein lahmgelegt hatte. 1883 und 1864 hatten England, Frankreich und Rußland als Leiter ihrer Außenpolitik ausgesprochene Feinde des aufstrebenden Preußens, Lord Palmerston. Drouyn de Lhuys und Gortschakow, die Bis marck meisterhaft auseinander hielt. Nur so war eS möglich, daß Preußen seine drei großen Elnheikskriegc ohne Einmischung fremder Staaten siegreich führen konnte. Die deutscl>e Politik im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts aber hat in dem gleichen Falle versagt. Nachdem England den marokkanischen Balsam auf Frankreichs ägyptische Wunde geträufelt hatte, fanden sich beide gegen die Zentralmächte zusammen. Ais Bethmann Hollweg dann die Erbschaft übernahm, war es sehr spät, aber in einer Richtung noch nicht zu spät: gelegentlich der Potsdamer Kaiser begegnung 1911 war es noch möglich, wenigstens Rußland aus die deutsche Seite herüberzuziehen. In der persiscl-en Frage wurde auch «in Einvernehmen erzielt, das sehr wohl Früchte tragen konnte. Aber das Bestreben, sich nach allen Seiten zn sichern, hat uns dann um den Erfolg dieser Begegnung gebracht. Die deutsch- englischen Verhandlungen über Persien erweckten in Rußland Mißtrauen gegen die deutsche Politik und ließen die englische Ver hetzung an der Newa reifen. Noch hält England Frankreich fest umklammert, aber die Nahtstelle wird sichtbar. So dringend nötig es auch ist, vor über triebenem Optimismus zu warnen und die Hoffnung auf eine englisch-französische Trennung zu nähren, die Politik muß mit einer solchen Möglichkeit nicht nur rechnen, sondern zum min desten den Versuch machen, die Nahtstelle aufzurcißen. (Nur nicht durch ungeschickte Sonderfrledensvorschläge.) Frankreich ist heute, und darin liegt die große Schwierigkeit, in der Zwangslage, auf eine selbständige Politik zu verzichten. Es muß eine enge An lehnung entweder an England oder an Deutschland suchen Noch ist es für diese zweite Möglichkeit nicht reif. Es wird ftch gegen