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Morgen-Ausgabe Bezugspreis: L M oierlellLdkIlch M. «LU: s«r Abholer «snakltch dl. I.7S; Lurch pnser« »»«»ariige» Filialen tu« Kaul gebracht awuatUch M. I^S. »lertel- Itbrltch Di. 6 SV: durch »t« Voll lnuekhalb Deotichlaubt Desamt-Autgab« »»»atlich Di. r2S> »lertellthrttch M. 6.7S: Moraeu-Aulgab« M. I/O, Adend-Aotgad« M. VLÜ, S»untag«-A»tgab« M. <U>0 »paatllch <au1Ichli«bUch Vostdesteltgebilhr). HanpffchrlfNetter: Dr. Erich Lverth, Leipzig. HmrdeLs-AeUung /UntsblaU des Rates und des poUzeüuntes der Stadt Leipzig UL. Jahrgang Anzeigettprels: LN Auzelgen o. Beddrben i« amll. Teil dl, KslonelzeU« 80 Pf. ». «,»» VL Pf.: bletue Anzeige» di« Ikolunelreil« Ui> Pfl, aassdrt« ZS Pf,» BelchSfUanzeigeu mit Platzuorfchritten Im Preise erhdht. Beilagen: Gesamtauflage M. 7.— dal Tausend aalschl. PaftgebShc. Etnzelnammer Ii> Pi. — Sa»»- und Icsttav« lS Ps. A«r»spr«ch-A»ichi»d Rr. I4SS2.148« uad 14«Ul. — Postsche<Stc»t» 7AN Schrifileilong »ad Seschlstlpele: Z»ha»»l4g«,e dr. 8. Verlag: Dr. Reinhold L Co^ Leipzig. Rr 2S0 Montag, den 10. 3uni 1S18 Sie Mener M Monte Perticn znMMlM Der deutsche Heeresbericht Amtlich. Grobes Hauptquartier, S. Juni 1918. Westlicher Kriegsschauplatz Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht. Der Arkilleriekampf lebte am Abend vielfach auf und nahm heule früh im Ke mmel-Gebiet, südlich von der Somme und au der Avre are Stärke zu. Teilaagriffe der Franzosen, südlich von Bpern, der Engländer nördlich von Beaumont —Hamel worden blutig abzewiesen. Heeresgruppe Deutscher Kronprinz An der Oise lebte die Gefechtskäligkeit auf. Oertliche Angriffe der Franzosen auf dem Südufer der Ais ne und südlich des Ourcq scheiterten. Eigener Dorstotz östlich von Lulry brachte 4S Gefangene ein. Amerikaner, di« nordwestlich von Chateau Thierry erneut anzugreifen versuchten, wurde» unter schweren Ver lusten und unter Einbuße von Gefangene« über ihre Aus gangsstellungen hinaus zurückgeworfen. Heeresgruppe Herzog Albrecht Bei erfolgreicher Unternehmung auf dem Ostufer der Mosel machten wir Gefangene. Leutnant Kroll errang seinen 24. und 25., Feldwebel Rumey feinen 23. Lustsieg. Der Erste GeneralquorNermeifier. Ludendorff. (W.T.B.) 7^—^' "» — — General Joch für die Offensive Haag, S. Juni. (E i g. D r a h l b « r r ch t.) Reuter gibt einen ArUi«: der englischen Wochenschrift .Iield" wieder, tu dem Generet <z o ch doü Thema .Der Soldat unterwegs mm Siege" bespricht und ». a. agt: .ES gibt im Krieg« nur ein Mittel, zom Ziele zu komme« und °>cm g«ird seinen Willen aufzuzwingen, nämlich die Vernichtung, der organisierten feindlichen Trnppenmassen. DaS wichtigste Streben motz dcchin aehen, dieses Ziel vollständig zu erreichen, waS durch die Defensive Ellern nicht geschehen kann. Eine Desensivschlachk gibt, selbst wenn sie icch so gut geleilet wird, keinen Sieg. So gibt eS nur eine Möglich- liei,: eS muh wieder von vorn angefaagen werden. Hier- .UÄ ergibt sich, dah keine Offensive zum Erfolg führen kann, mö^e sie iiiin zu Beginn des Kampfes cinsehen oder aus di« Defensive folgen. Wcnn wir unsere Stellungen behaupken» so bedeutet das noch nicht, ah wir Sieger find. Die gewonnene Defensivschlüchl wird zur Nieder lage. wenn wir dort bleiben, wo wir sind, und nicht zur Offensive übrr- qchen. llm die Richtung des Angriffs zu bestimmen und gegen die Pläne des Feindes zn sichern, müssen wir zahlreiche Gefechte führen und durch- ! alten, jedes mit einem ganz bestimmten Ziel. Da jetzt kein Zweifel mehr i - steht, dah der entscheidende Angriff der Dorschlüsicl der Schlacht ist, muffen alle Operationen Teile der Schlacht bilden. Dieser entscheidende Angriff muh sich nuszelchnen durch Waffengewalt, durcy Ilebcrraschnng und durch Schnelligkeit. ES ist also von größter Wichtigkeit, dieRe - icroen für die große Offensive anfza sparen. Im Be- «^rngSkamps werde« die Reserven möglichst zurückgehaften, nm die PiUon des Kampfes vorzutereitcv, von der man den entscheidenden Angriff erwartet. Die Reserven werden so sparsam wie nur möglich 'crwcridet, damit sie beim Houplschlog so furchtbar wie nuv möglich in Erscheinung treten können. Die Reserven werden dann a« einem a«S- ,cwähliea bestimmten Punkt in de« Kampf geworfen, der all«, anderen Phasen des Kampfes übertrifft, in eine« Kampf mit devZelchen der U-berraschang, der llebermacht und der Schnelligkeit. Alle unsere Truppen nehmen an diesem letzten Kampfe teil, entweder bei der Vor- cverluag oder bei der Ausführung. Wir müssen mrS nicht durch Schein blenken lasten. Eine Waffe ist unbrauchbar, wenn sie sich in schwachen pttnde» befindet. Geschichte und Vernunft zekgen mrS, dah nur der entscheidende Angriff die Vernichtung des Feindes bewirken Han«.* Bern, 9. Juni. sEig. Drahkbericht.) Zn einem Rückblick auf :e drei Offensivstöße d e r D ent s ch eu i m W e st e n, die .cdesmal ein« Frist von 10 Tagen währten, schreibt der Milikärkritiker tes Berner «Bund*. Die drei großen Stöße haben die strategische Lage Alliierten sehr schwer beeinträchtigt und nicht nur alle englischen und französischen Reserven an die Front gerufen, sondern auch die ameri- : mischen Kontingente gezwungen, sich als AbschnittSreserven ins Feuer 'u werfen, so daß von der Bildung einer großen strategischen Reserve eis Manövriermaste auf seilen der Alliierten kaum noch gesprochen werden kann. Dazu bedarf eS einer Neugliederung und frischer Kräfte, - der die man sich wohl im S. KriegSrat in Versailles unterhalten hat. Wollte man die bisherige französische Front als einheitliche Wehrstel lung betrachten, als deren Ausfallwinkel der Raum von Verdun zu gelten hätte, so ist jetzt unleugbar eine Zweiteilung dieser mächtigen Kordonstellung sichtbar geworden, da die drei deutschen Offensivstöße zu drei deutlich sichtbaren und im Zusammenhang strategisch auswertbaren Erfolgen geführt haben. Die deutsche Heeresleitung ist in der Lag«, die Handlungsfreiheit voll aoSzunutzen, um den nächsten Offcnsivstoh nach Belieben anzusehen. Genf, 9. Juni. sDvahtberichk.) In der Pariser Presse behandelt man allgemein die zu erwartend« neue deutsche Offensive in wider sprechender Weise. Nach dem .Malin* sind neu« deutsche Angriffe vor- läutig nicht z« erwarten. Jedoch heben alle Blätter hervor, daß die der zeitigen Kämpfe eine ausgezeichnete Lehrzeit für die amerikanischen Truppen seien, die nunmehr auch im Bewegungskriege ausgebildet werden können. Rotterdam, 0. Juni. (Eig. Drahtbericht.) Wie der .Nieuwc Rotterdamscde Courant* auS London meldet, schreibt .Manchester Guardian', di« deutsche Offensive an der AiSne sei für die Alliierten viel bester ouSgegangen als erwartet wurde. Man könne jetzt einen neuen lleberraschungsversuch erwarten, der vielleicht etwas mehr im Osten unter nommen werden würde Wenn dies« Uederrascbung gelingen würde, dann würden die Dculschen an ricr StUlcn vor vitalen Punkten der Alliierten stehen. 1. bei den Kanalhäfen, 2. b« Amiens und der Sommemündung, lt. bei dem Zugang nach Paris und 4. bei irgendeinem noch unbe kannte» Punkte im Osten. Die Deutschen würden dann <M einem dieser Punkt« eine Entscheidung Herbeizufahren suchen und » ir diele» Versuch bewahr«« dl« Deutschen l-viel Kräkk« uL» möglich Berlin, 9. Juni abends- (Amtlich.) Westlich drr Oise nahmen wir die Höhe von Cury und die an schließenden feindliche« Ünien. Oesterr.-ungar. Heeresbericht Wien, 9. Juns. Amtlich wird gemeldet: Die italienische Erkundungstäkigkeli erfuhr gestern eine weitere Steigerung. Sie blieb überall erfolglos. In den Iudi Karlen und bei Asiago trieb der Feind Abteilungen von Bataillons stärke gegen unsere Stellungen; sie wurden durch Feuer ab gewiesen- Sehr erbittert« Kämpfe entwickelten sich ans den wiederholten Angriffen auf den Monte Pertica. Der Feind stieß hier nach heftigem, um Mittag zu größter Kraft anwachsen- deu Geschühsener in ein Kilometer Fronkbreite vor. Seine An stürme scheiterten an der treffliche» Wirkung unserer Artillerie und an der Tapferkeit der Kämpfer im Schützengraben. In stark gelichteten Reihen flüchtete der Angreifer auf seine Linien zurück. Gefangene und Kriegsmittel blieben in unseren Händen. Be sondere Anführung verdient das bewährte Komaromerer Feld jäger-Bataillon Nr. 19. Es hat den größten Anteil am Erfolg. Auch an der P i a v e - Mündoug scheiterten alle Erkundaagsoer- fuche des Gegners. Der Chef des Generalstabes. (WTB.) Bulgarischer Heeresbericht Sofia, 7. Juai. Mazedonische Front: A« verschieden«« Stellen der Front, besonders in der Moglenagegcnd und südlich von Dsrran war dir beiderseitige Feuertätigkeit zeitweise lebhafter. Südlich von Gewgheli, östlich vom Wardor. bei den Dörfer« Malsämkowo and Krastali sowie an der Strumamündung versuchten feindliche ErkundmrgS- ableilungen unsere Vorposten zu erreichen. Sie wurden jedoch durch unser Feuer zerstreut. <urf. Wenn die deutsche Offensive im Westen Keses Jahr mißglückt, so würden sie sehr güt im Westen in der Defensive bleiben und sich nach dem Osten wenden können. England müsse die dieses Jehr im Osten erreichten Vorteile ausbouen und auf diese We.se vrrsuchrn. den Feind an Unternehmungen dort zu hindern. Rußland könne im Osten am besten dadurch erseht werden, dah man die Hilfe JapaaS nicht in Sibirien, sondern gcoen die Türkei verwende. ' . . -. . , " Die politische Offensive der Entente Wie«, 9. Juni. (E i g. D ra hkb ort ch t.) Die .ReichSpost* ver öffentlicht heute an leitender Stelle eine etwas abenteuerlich klingend«, aber — w e das Blatt versichert — absolut authentische Information, die ein grelles Licht auf die politische Offensiv« wirft, die di« Enken'« mit England an der Spitze innerhalb der österreichisch-ungari schen Monarchie zu entfalten beabsichtigt. Das Blatt schreibt: Es liegen uns. mitgeleM von bcsondevS vertrauenswürdiger Seite, Aousze- rungcn aus .Kreisen der Stockholmer englischen Gesandtschaft darüber vor, wie die Entente die Lage der Monarchie beurteilt. Die englische Auffassung geht, in Knappen Striche« gezeichnet, dahin: .Wir müssen unser Ziel auf dem Wege über die österreichische Oeffenklichkeit und die österreichische Presse erreichen. Das Ziel ist und bleibt: Oester reich-Ungarn vom Bierbund losznlösen. Die Lage Oesterreichs ist nach außen hin die günstigste unter allen Kriegführen den. Italien ist jetzt der einzige wirkliche Gegner der Monarch'«, und seine Ansprüche sind das einzig«, was Oesterreich hindert, den Frieden zu l;aben. Für England hingegen ergibt sich folgendes Bild: Während Italien Oesterreich-Ungarn auf di« Seite Deutschlands drängt, ist dieses Italien für die Entente ohne Wert. Es kostet die Entente viel Geld und ist nicht imstande, die Front in Frankreich und in Flandern zu entlasten und irgendwie zur Hauptentscheidung bcizutragen. Die Entente ist infolgedessen genötigt, die italienischen Interessen sollen zu lassen, um Oesterreich zu gewinnen. Gelingt dieser Wurf, so zerfällt der Daum von Mitteleuropa. Dieser Teil müßte sich okne Verbindung mit Deutschland dem Willen der Entente beugen, im Orient wäre die deutsche Macht auSgcschallet, und England und Frankreich behielten ihre Eroberungen in Mesopotamien und Palästina. Dieses Ziel ist zu erreichen durch entsprechende Einwirkung ans Oesterreich - Ungarn, die so eingestellt sein muß, daß es durch seine Abtrennung von Deutsch land geringere Gefahr zn laufen scheint, als es durch sein Verbleiben auf Deutschlands Seite auf sich nimmt.' Neue Sitzung des Entents-Kriegsrutes B as el, 9. Jovi. (E i x. D r a h l b e r r ch!.) Wie , HovaS* meldet, fand un KriegSmioisierinm <ine ausi»rsrdenilick« Sitzung des alliierten KriegsrateS statt, der bciivobnle«: Ltemenceau, Lord Milncr sowie die Generale Weygang, Sir Douglas Ha 1g und R a w l i s o n. Trotzki gegen die T checho-slowakrn Basel, 9. Juni. (Eig. D r a h t b c r i ch 1.) HavaS" berichte? auS Moskau: Der Voll»«Kommissar r«r Krieg Trotzki c-Ueh solgcube Proklamalion an ollr Regimenter, die sich aegrn die gegenrevoluliouare tschechoslowakische Brigcbe schlagen: Die Konzentration vnserer Truppen ist jetzt beendet, die Einbelt b«S Kommandos im Ural und an b« sibirischen Front ist gcsicberk. Unsere Armee, die sich völlig über die Tatsache Rechenschaft oksegt, daß die Tscyecha-Slowekcn direkte Vrr- düvbeto der Gegenreoolc ionäre sowie Verbündete der Kapitalisten sind, schlagen sich gegen diese mit He'dcnmut. Die Tsckecbo-Sicwnken, bi« von zwei Seite« gleichzeitig anaegriffen werden, weichen längs der EUen- bahm zurück. Di« klorsehcnden Element« unter ihnen legen sich Rechen- schäft ad über die Wertlosigkeit ihrer Angriffe. Man kann unter ihnen Versuch« feflstellcn, mit der Sowjetarmee in Unterhand- lasgen zv treten. Wir heben dem Kommandeur Befehl erteilt, die Parlamentäre z« empfangen, welche die Tschccko-Slovaken schicken. Vor allem wirb verlangt werden, baß alle diese Truppen ihre Waffen curSlikter«. DiescvigLn, die ihr« Wasf«" pickt friiwistig ebsietern. werden gemäß dem erkalten«« Befehl ans der Stelle füsiliert Die kriegerischen Op«rolimien, di» tänas drr Eisenbahn vor sich gcken, siören den LebenS- mittettrovsport beträchtlich. Wir ordne« deshalb an, mit gröfttmög- licher Energie z« handeln, damit der gegenwärtige Zustand der Dinge rasch seinem Ende zugeht. Haag, 9 Joni. (Eigener Draktbericht.t Reuter me^t aus Schanghai: Die Nachlichtenogeutm in Chardin meldet, haß Seme- now inlosge entstandener Meinungsverschiedenheiten am 29. Mai aas Chardin nach Sibirien obgereist sei. Wt« verlautet, wird er sein« Trupoen innerhalb einer Woche muh Hause schicken und selbst nach der Mongolei flüchte«. Innerpolitifche Umschau L. L. Die Präsidentenwahl im Reichstage hat neben dem Interesse, bas man an -en Persönlichkeiten nimmt, politische Be deutung. Dabei möchten wir den Ton weniger auf bie Tatsache legen, daß jetzt bie Mehrheit üeS Reichstages mit ihren brei Parteien und die ihr in manchem Betracht am nächsten stehende nakionalliberale Fraktion zusammen im Präsidium vertreten sind; diese Tatsache ist mehr Ausdruck eines bestehenden Verhältnisses, als daß sie für die Zukunft den Bestand der Mehrheit und bi« Beziehungen der Rationalliberalen zu ihr gegen Störungen sichern würde, wenn nicht andere Umstände Dauer verbürgten. Wichtiger erscheint es, daß die Sozialdemokratie nunmehr im Präsidium Fuß gefaßt hat und wahrscheinlich für die Folgezeit darin bleiben wird. Auch dadurch wird zunächst etwas bereits Bestehendes an erkannt, nämlich die wahrend des Krieges bewiesene grundsätzlich« Solidarität -er Partei mit dem eigenen Volk un- Staat; aber diese Anerkennung wird namentlich für die weitere Entwickelung von guter Wirkung sein. Die Partei kann sich immer weniger als Außenseiter in diesem Staat empfinden, und die innerpoli- tischen Kämpfe der Zukunft werden grundsätzlich in diesem Staat« nicht gegen ihn, allenfalls um ihn geführt werden. Dem Staate selber wird das in innerpolitischcr Hinsicht kaam viel schaden, un weiche Wege die äußere Politik -er nächsten Jahrzehnte ein schlagen wird, weiß heute noch niemand. Freilich denen, die bis her im Besitze der politischen Macht waren, mag mit Grund un behaglich zumute sein, und sie stehen denn auch diesmal wieder beiseite: die Konservativen haben allein mit den Unabbängigea zusammen nicht für Scheidemann gestimmt, und sie haben auch ab gelehnt, neben ihm eine Stelle im Präsidium zu übernehmen. Sie halten dadurch nichts auf, besondere Klugheit zeigt ihre Eclbstaus- schalkung nicht; es ist ihnen wohl auch vor allem Gefühlssache, und darüber läßt sich ja nicht streiken. Die Sorge um «das Porte monnaie der Besitzenden*, von dem Herr von Hcydebrand einmal sprach, als er gegen eine gründliche Wahlresorm eiferte, ist doch wohl etwas zurückgetreicn: der Krieg hak ja ganz andere Ver schiebungen und Umschichtungen des Besitzes, ganz andere Ent eignungen gebracht, als die Sozialdemokraten in cwsehbarer Zeit hatten durchsetzen können. Die gerade jetzt zrrr Beratung stehende neu« direkte Rerchsstcuer, über die im Abendblatt ausführlich ge sprochen werden soll, ist ja nur eine Station auf einem Wege, der noch recht lang ist. Der Krieg ist ein schlimmerer Revolutionär, als die Sozialdemokratie Schaidemannscber Richtung jemals sein wird, und ein mächtigerer, als die unabhängige Sozialdemokratie je werden wird. Herr Scheidemann ist zum zweiten Male auf den Sitz des Vizepräsidenten gekommen. Die Rationalliberalen haben für ihn gestimmt, so wie die Sozialdemokraten für Herrn Paasche ein getreten sind. Der Raine Scheidemann bedeutet für große Kreise so etwas wie den bösen Geist des deutschen Volkes. Gewisse Be dürfnisse, nicht nur partcitakkischc, haben dazu geführt, daß ein Phontasiegebildc mit dein Ramen Scheidemann zu den verhaß testen Vorstellungen in deutschen Landen gehört. Wäre der Mann so, wie ibn eine iadie conveuue hinstellt, so wären wir einer Meinung mit dieser populären Beurteilung seiner Persönlichkeit. Allein wir haben uns niemals zu der üoerzcugungsschwachcn Argumentation ans dem .Menschen .Bund der Jugend bekannt, die lautet: .Was so viele für richtig halten, das muß doch wabr sein." Wer sich zum Beispiel darum gekümmert hat, ob die Aus sprüche, die Scheidemann nachgcsagt werden, etwa über Elsoß- Lothringen, wirklich von ihm getan sind oder nicht, kann ruhig aussprcchen: Vieles, waS über ihn im Umlauf ist, ist falsch, er sonnen zum Teil in bewußter Entstellung von Leuten, die ein parteim.ißigeS Interesse trieb, und dann weiter wirkend mit der Kraft einer Massensuggestion- Dieser Wirkung kam, wie bereits angcdeuiet. ein bestimm-'es Bedürfnis entgegen. Es scheint näm lich. daß die Volker alle in der hohen Spannung dieser Zeiten irgendwelche Sündenböcke brauchen, aus die sic ihre ganze Un zufriedenheit mit der langen Kriegsdauer abladcn. Einer dieser Sündenböckc heißt in Deutschland Scheidemann (ein anderer hieß Bethmonn). Dabei sehen in ihm viele in erster Linie den Führer der Sozialdemokratie und suchen zugleich mit ihm die Partei .zu treffen. Das machen wir nicht mit. So war cs uns jetzt selbstverständlich, daß die Sozialdemokratie nicht bloß ihrer Zahl nach, sondern noch viel mehr entsprechend ihrer im Kriege bewährten Hallnnq einen wohlerworbenen, un bezweifelbaren Anspruch daraus batte, einen der Vizepräsidenten zu stellen. Daß sic dabei Scheidemann vorschlug, der seiner.zcii, unter ganz anderen Verhältnissen, als Vizepräsident nicht wieder- gewäklt worden mar, geschah natürlich nicht ohne bewußten Bezug auf jenen Vorgang. Dennoch konnten die bürgerlichen Parteien jetzt seine Kandidatur ohne Empfindlichkeit unterstützen, da der Mann heute ciu ganz anderer ist, als er damals war. und da seine Porlet sich ebenfalls gewaltig gewandelt hat. Konservativ ist sie allerdings immer noch nicht, darin haben die Konservativen recht, und wenn sic darauf warten wollen, möge ihnen die Zeit nicht lang werden. Aber anderen, weniger unheilbar verrannten Be- urtcilcrn, die etwa Reigung hoben, sich auch dieses Mai über den neuen Vizepräsidenten zu entrüsten, sollten schon die heftigen An griffe der Unabhängigen gegen Scheidemann und auf seine Fraktion zu denken geben. Manche unter uns vergessen an scheinend immer wieder, daß cs noch eine ganze Strecke links von Scheidemann weiter geht- Es ist bloß ein schlagwortartiger Schematismus, der den beiden Dioskuren Hindenburg nnd Lndendorfs ein anderes Dioskurenparr — Scheidemann - Erz berger — als äußersten Gegenpol gegenüberslcilt, wie den Licht- oiben die Schwarzalben qegenüberstehen. Das macht sich ganz effektvoll, aber diese politische Symmetrie ist zu hübsch, als daß sie stimmte; sic ist eine Konstruktion. Es gibt in Deutschland ganz andere Gegenpole zu Hindenburg als Scheidemann, und eS ist ledig lich Unkenntnis oder Gedankenlosigkeit, wenn man gerade ihn, offenbar deshalb, weil er der Führer der Sozialdemokratie ist, an daL andere Ende der Reihe rückt. Wir stimmen, überflüssig z» sagen, mit Herrn Scheidemann weder in inner-, noch in äußer politischen Auffassungen überein. 2lber wenn er auch nich! zu deu erstaunlichsten Umlernern von der Art des Dr. Lensch gehört, bei d«ssen Beurteilung dieses Krieges auch anderen Leuten als den Un abhängigen gelegentlich Uau vor den Augen werdqr kann, w hat