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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 27.02.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-02-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-192302274
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19230227
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19230227
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-02
- Tag 1923-02-27
-
Monat
1923-02
-
Jahr
1923
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^s^esberickt Zrachterhöhungen — dar einzige Mittel? Aus industriellen Kreisen wird uns geschrieben: Um das Durchhalten in dem erbitterten Kamps «n der Ruhr zu ermöglichen, ist das Reichskabinett mit Erfolg bemüht, durch Senkung des Dollarkursc» und Wucherbekämpfung die Kosten der Lebenshaltung aus einen vernünftigen Stand berabzudrücken. Der Reichsverkehrsminister kennt dagegen anscheinend lein andere» Ziel, al, dauernd die Frachten zu steigern. Seit dem 1. November 1921 sind die Gütertarife nicht weniger al» dreizehnmal erhöht worden. Wie Dr. Gothein im B. T. nachweist, hat der Frachten index im letzten Jahre den Ernährung», und Leben»- Haltungsindex ständig übertroffen. So betrug im April und Mai 1922 der Ernährungeindex 435«, der Lebcnohaltungsindex 91755 und der Güterfrachten index 5955. Anfang Januar 1923 belief sich der Ernährungsindex auf 80 702, der Lebenshaltung»-, index auf bl 156, der Güterfrachteninder auf 285 000. Der Güterfracktenindex ist dem Lebenshaltung», und Ernährungsinoex rapid vorausgeeilt. Hierdurch wurde zum Teil erst die stärkste Ursache für die wach» sende Teuerung geschaffen. Die letzte Verdoppelung der Frachten begründet der Reichsverkehrsminister damit, daß seine Aus naben für Kohlen, Eisen usw., ebenfalls gestiegen seien. Selbst wenn die Steigerungen für diese Pro dukte dieselbe Höhe erreicht hätten wie die Frachten übersieht er, daß andere sehr wesentliche Ausgaben (z. D. Löhne) lange nicht diese Höhe erklommen haben. Den wesentlichsten Umstand vergißt er aber, nämlich den, daß eine systematische Erhöhung der Frachten die Lebenshaltungskosten in die Höhe treibt und da durch Lohnforderungen ausgelöst werden, die ihrer seits wieder zu neuen Preissteigerungen führen. Wie sehr die Frachten auf die Lebenshaltung», kosten einwirken, zeigt, daß schon vor der letzten Tarifverdoppelung bei dem wichtigen Düngemittel Kaimt die Fracht für 15 Tonnen auf 250 Km. Ent- fernung 141 405 Mark, der Preis der Ware dagegen nur 131 391 Mark betrug. Für dieselbe Entfernung machte für Kalkmergel die Fracht mehr als das Doppelte des Warenpreises aus. Wegen der Frachten- steigerung hat im Dezember letzten Jahres di« deutsche Landwirtschaft nur 463 000 Doppelzentner Reinkali bezogen gegen 918 000 Doppelzentner i» Dezember 1921. Die Rcichseisenbahnoerwaltung sollte jetzt endlich diesen Weg einmal verlassen und ihre Aufmerksam- keit in höherem Maße dem großen Kapitel der De- tricbsverbesserung zuwenden, das für die Eisenbahn Ersparnisse in großem Umfange ermöglicht. Neue 10090-Mark, Note«. In den nächsten Tagen wird eine neue Serie der Reichsbanknoten zu 10500 Mark ausgegeben werden, und zwar in olivgrünem Druck mit einem orangcroten Faser streifen, der durch die Mitte der Banknote geht. Liu Bund republikanisch gesinnter Lehrer der höheren Schulen Sachsens. In Dresden ist kürz lich der Bund republikanisch gesinnter Lehrer an höheren Schulen Sachsens gegründet worden. Seine Ziele sind satzungsgemäß 1. die Pflege entschieden republikanischer Gesinnung inner- und außerhalb der Schule, die Erfüllung der Jugend, wie überhaupt des gesamten Voltes mit einem lebendigen, republika nischen Staatsbewußtsein und der Schutz der Bundes mitglieder bei diesen Bestrebungen, 2. die Mitarbeit bei den Schulgesetzen, soweit sie auf das politische Gebiet übergrcifen. Weiter heißt es in einem Auf rufe des neuen Bundes, baß es nötig ist, daß unser Volk nicht kühl oder gar gleichgültig dem neuen Staate gegenübersteht, sondern mit Liebe an ihm büngt. Das Gefüllt und die Erkenntnis schicksal- Hafter Verbundenheit mit unserer deut-^en und un serer sächsischen Republik in der Jugend wie in un- screm gesamten Volke zu erwecken, ist oberstes Ziel des Bundes. Irgendwelche parteipolitische Ziele weist der Bund von sich. In seinen Reihen sei Platz für jeden aufrechten und ehrlichen Republika ner, auch für den, der an eine organische Fortent wicklung unserer heutigen Staatssorm glaubt und Der befohlene Ungar. Ein ungarischet Kaufmann lernte abends in einer Schankwirtschast in Berlin zwei jung» Männer kennen, mit denen er zechte. Schließlich ging er mit ihnen in sein Hotel, wo noch zwei Flaschen Wein geleert wurden. Als der Ungar den Dimsch nach weiblicher Gesellschaft äußerte, ent- lernte sich einer seiner Zechyenossen, kehrte aber bald darauf in de» Hotel mit einer Dame zurück, die er als seine Frau ausgab. Sie blieb bei dem Ungar, während die Männer das Hotel verkießen. Als der Ungar es sich bequem gemacht und Schuhe und Rock ausoezogen hatte, faßte seine Gesellschafterin in die Rocktasche, ergriff die Brieftasche und verließ das Zimmer und Hotel. Als der Bestohlene ihr nach fetzen wollte, hielt ihn der Portier fest, da er meinte, der Gast wolle ohne Bezahlung das Haus verlassen. Ebe das Mißverständni» aufgeklärt war, hatten die Diebe das Gepäck des Ungarn, das seine Einkäufe im Werte von drei Millionen Mark enthielt, vom Bahn- of abgeholt. Den Gepäckschein batten sie in der Brief- tasche oefunden. Sie enthielt für 18 Millionen Mark bares Geld nnd andere Wertsachen. Grober „Schwarze-Schmach'-Unfug. Das badisch« Innenministerium hat die Staatsanwaltschaft beauf tragt, gegen die Hersteller und Verbreiter einer „Schwarze - Schmach* - Medaille ein Strafverfahren wegen Vergehens gegen 8 184 des Str.-G.-D. an- hängig zu machen und dafür Sorge zu tragen, daß die beschlagnahmten Stücke eingezogen sowie die zu ihrer Herstellung bestimmten Formen unbrauchbar grmachr werden. Don Pforzheim au» wurde nämlich in letzter Zeit im Inland«, aber auch im neutralen Ausland«, eine Medaille gegen die „Schwarze Schmach* verbreitet, auf deren Vorderseite sich der Kovf eines schwarzen Soldaten mit Stahlhelm be findet; die Umschrift lautet: „Die Wacht am Rhein!! 1920. Liberty Egalit6, Fraternite.* Die Rückseite zeigt sine grob unzüchtige Darstellung mit der Unterschrift: „Die schwarze Schande.* — D'ese Art gewinnsüchtiger Ausbeutung der „schwarzen Schmach* ist nur geeignet, das deutsche Ansehen im Auslande allgemein zu schädigen und auch di« Wirkung unserer b—»^>tiat-r Beschwerden über die Verwendung farbiger Truppen im besetzten Gebiet zu beein- trächtigen. f nach einer neuen, einer deutschen Form der Republik ringt. In diesem rein staatopolitischen Sinn denken sich feine Mitglieder auch di« Mitarbeit an den Schulgesetzen. Eine Vertretung wirtschaftlicher IntereAn ist nicht beabsichtigt. Vorsitzender de» Vunde» ist Dr. Rob. Riemann, Leipzig, Moltke- straße 50, ferner gehören dem vorläufigen Vorstand u. a. an: Dr. Darg (Grimma) und Dr. Bäßler (Dresden). Plaliadlebflahl i« Thysien-Werk: Nu» dem Laboratorium der August-Dahssen Werke in Ha m» born wurde eine größere Menge Platin im Werte von etwa ISO Millionen Mark gestohlen. Der im Laboratorium anwesende Leiter wurde gelef elt und mit einem Revolver bedroht. Als Täter kommt ein etwa 25lährlger Mann in Frage, der mit den örtlichen Verhältnissen anscheinend der- traut war. Auf die Herbeischaffung des Platin» ist eine Belohnung von 8 Millionen Mark aus gesetzt worden. Lin Ueberschll auf paincarLo Neffen in Vorlin Die interessante Tatsache, daß der Nesee des Präsidenten Poinenrä in Berlin seinen ständigen Aufenthalt hat und sogar das Opfer eines Raub überfalles geworden ist. stellte sich in einem Straf verfahren heraus. Es handelt sich um den Diplom ingenieur Kesl, der bisher in Berlin im Esplanade- Hotel gewohnt hatte. Durch seinen Diener, den jetzt in Haft befindlichen Kellner Meinicke, war ihm ein« Wohnung in der Hauptstraße in Schöneberg verschafft worden, in der jetzt noch wohnt. Don Meinicke und einem gewissen Döring war der Plan gesoßt worden, Kesl zu überfallen und zu berauben. Kesl wurde zu diesem Zwecke in eine Wohnung gelockt, in der di« beiden über ihn h«rsiel«n und ihm ein mit Chlor- äthyl getränktes uch vor das Gesicht hielten. Döring bekam es jedoch mit der Angst zu tun. Er lief fort und beunchrichligte die Polizei, die Meinicke festnahm und ihm die ans etwa 100 000 -tt bestehende Beute wieder abnahm. Bei den Akten befinden sich mehrere Priese Poincarös, die dieser an seinen Reffen ge- schrieben hat. „Künstliche Kohle" lkin großer Schwindel un- seine Aufklärung — Zwei Zahre Gefängnis für -en Entdecker" Die Alchimisten der Neuzeit haben einen anderen Ehrgeiz al» ihre mittelalterlichen Vorgänger. Es ist nicht Gold, wa» sie au» Steinen machen wollen. Sie wollen mehr. Der schwarze Diamant, die Kohle, da» Leben»elixir für Hunderttausende und Millionen von Fabriken und für Millionen und Abermillionen fleißiger Menschen, soll aus ihren Mörsern und Re- tortrn und Pressen steigen! Künstliche Kohl«! Eine Hoffnung, eine Sehnsucht für un» alle. Und doch keine Sehnsucht mehr. Schon längst hat die Wissen schaft künstliche Kohle hergestellt. Aber die Wissen schaft ist zu wahr, um sich selber anzulügen. Sie konstatiert offen: di« künstlich« Kohle ist so teuer, wie der w«iß« Diamant. Wo der Arzt ohnmächtig ist, stellt sich der Kurpfuscher ein, und wenn der Chemiker vor Unmöglichkeiten die Segel streicht, da beginnt der chemische Quacksalber sein Werk. Und wohl stets mit untauglichen Mitteln, mit laienhaften Kenntnissen, mit geringem Kapital. Keiner von ihnen ist wohl vom Anfang an Betrüger. Aber vom Erfinder zum Betrüger ist nur ein kleines Schritt- chen. . . . In den ersten Tagen dieses Jahres flog aus München eine Nachricht hinaus, die die ganze Welt aufhorchcn ließ: „Die künstliche Kohle erfunden!" „Wieder einmal!* sagten die Wissenden. Aber die anderen lauschten. « Herr Apotheker Prückner macht seine Kohle aus den gewöhnlichsten Steinen. Aus Grauwacke und Dachschieser, und auch die Che mikalien, die er dazu braucht, sind außerordentlich billig. „Einundeinoiertcl Pfennig kostet der Liters hieß es in dem Artikel. Und aus aller Herren Län dern kamen die Briefe und die Fragen, aus 9torü- amerika und Schweden, aus Brasilien und ver Schweiz, und ein Engländer sandte dem Münchner Erfinder sogar Proben englischer Erde mit der Frage, ob man auch aus diesem Dreck Kohle machen könne. Mit der Berühmtheit kamen — selbstver ständlich! — die Photographen und Filmleute und trugen sein Bild in alle Welt. Herr Prückner aber sonnte sich im Glanze seines Ruhmes. Niemand, der ihn kannte, hatte ihm etne so erdenumwälzende Erfindung zugetraut, im Gegen teil, damals vor fünfundzwanzig Jahren, als er noch ein kleiner Drogistenlchrling war, nannte man ihn bloß das Prückner-Tcpperl. Die Berühmtheit aber wurde Herrn Prückner zum Verhängnis. Er war ein bißl eitel und ehrgeizig und je weniger man ihm zutraute, desto mehr hatte er wohl seine Scheinerfolge für Tatsachen gehalten. Und er diktiert« denn einem Bekannten etne kurze Notiz in die Schreibmaschine und sandte sie einem Münchener Blatt. Am nächsten Tage stand es schwarz auf weiß in der Zeitung, daß er die künstliche Kohl» erfunden hatte. Damit wäre seiner Eitelkeit wohl Genüge geleistet gewesen. Aber schon mancher, der eine Zeitung eingeseift hat, ist dann selber barbiert worden. Und so erging s auch Herrn Prückner. Bei der riesigen Bedeutung, di« eine solche Erfindung gerade für Deutschland haben mußte, sandte das Blatt sofort einen Interviewer zu dem Erfinder. Notgedrungen, wohl oder übel, mußte Herr Prückner den epochemachenden Erfinder auch in der großen Oeffentlichkeit nun weiter spielen. Das ist ihm zum Verhängnis geworden. Zunächst kam auf den Artikel hin ein Rechtsanwalt, der ihm sofort 200 000 Mark zum Ausbau seiner Erfindung gab, allerding« vorher eine Probeführung verlangte. Herr Prückner machte eine Probe. Machte vor den Augen des Rechtsanwalts und einiger Zeugen aus Grauwacke und Dachschiefer eine Kohle, die glänzend brannte. Daraufhin schloß der Anwalt mit ihm einen Vertrag. Kurze Zeit später wurde ein italienischer Marchese, der im Auftrag seine Regierung in Davern Vieh aufkaufte, auf die Erfindung aufmerksam ge- macht. Er ließ sofort 300 000 Lire dem Erfinder an bieten, wenn er sich bereit erklärte, einen Vertrag mit Italien zu schließen. Allerdings verlangte auch ec nicht nur eine Derbrennungsprobe, sondern auch ein» Fabrikationsprobe. Prückner wollte nicht recht ziehen, gab aber schließlich nach. Und nun wurde ein großartiger Schwindel in S-ene gesetzt, der auch durch die Verhandlung nicht restlos aufgeklärt werden konnte. Die Probe fand im Beisein eines Chemikers und eines Notars in der Wohnung eines Schrift stellers statt, der den italienischen Marchese vertrat. D'c aus Grauwacke und Schiefer in feinvermahlenem Zustand hergestellte, und mit einer chemischen Flüssig- kett — sie xoar das Geheimnis des Erfinders — an gerührte Masse wurde mit Lehm geknetet und dann einige Zeit in allerlei Formen in einer Gasbratrökrc er,,.„. und dann auf dem Küchenbalkon auf — Eis gelegt. Durch diesen Erkaltungsprozcß sollte Grau wacke und Schiefer zur geschichtlichen Steinkohle «mgeoildet w-rden. Nach etwa vier Stunden war der Prozeß — die Erde hat Jahrhunderte gebraucht, um aus Holz Kohlen zu machen — vollendet, unv die einzelnen Ver- suchsstücke wurden zur Verbrennung gebracht. Die Kunstkohle erwies sich als hervorragend gut. „So ein Feuer hab'ich noch nie im Ofen gehabt!" erklärte die Frau des Schriftstellers. Niemand hatte ge- merkt, daß irgendwie eine Unterschiebung stattge- fundcn hätte. Aber während die Ucberwachungs- kommission in der Küche dem Erfinder genau auf die Finger sah, damit er keine Zauberkunststücke machen konnte, müsse, so nahm, wenigstens bas Ge richt an, ein Zauberkunststück draußen auf dem Küchenbalkon vor sich gegangen sein. Man hat wahr scheinlich von der Straße her — es war Unterdessen Nacht geworden — die zur Abkühlung auf Eis liegenden Stücke mtt anderen ausgetauscht, die vor bereitet waren und im Innern einen Kern von Noturkohle hatten. Die äußere Schicht der unter geschobenen Stücke bestand wahrscheinlich aus mit Paraffin durchknetetem Lehm. Prückner konnte sein Spiel schon für gewonnen halten, da brach der junge Chemiker eines der zur Verbrennung hergerichteten Stücke durch und sagte zu den anderen Mitgliedern der Kommission, die sich noch in Verwunderungen ergingen über den wunder- baren Brand der künstlichen Kohle: „Hier hat mau einen fürchterlichen Schwindel mit uns ge trieben!* Und er zeigte auf die Bruchfläche. „Schauen Sie, das Stück hat eine ovale Form, und die künstliche Kohle, die sich bei der Abkühlung als Kern geschichtet haben soll, hat sich nicht oval, sondern viereckig geschichtet. Das muß eingeschmuggelte Naturkohle sein.* Einige Zeit später hatte der Staatsanwalt die Uebcrreste der künstlichen Kohlcnfabrikation in der Hand. Und Herr Apotheker Prückner wurde vor geladen. Auch sein Apotyelerdiplom mußte er mit- bringen. Es war von dem Kultusminister Müller unterzeichnet. Der mußte cs aus der vierten Dimen sion herausgcschricben haben, denn er war am Tage der Tlusstellung längst gestorben. Das war der erste böse Hercinfall des Erfinders. Der Untersuchungs richter fühlte ihm nun etwas auf den Zahn, und der Erfinder der künstlichen Steinkohle erwies sich als völliger Ignorant auf chemischem Gebiete. Nicht einmal Kohlenstoff und Kohle konnte er unter scheiden, und als der Untersuchungsrichter ihn nach Art des Vorkommens der Koble in den ver- schiedencn Formationen fragte, erhielt er die klassische Gegenfrage als Antwort: „Ja, was verstehen Sie unter Formation?" Man übergab dann den Rest der Dcrsuchestücke den Wissenschaftlern. Und die stellten fest, daß die von Herrn Prückner erfundene künstlich« Steinkohle an Brennwert der Naturkohle völlig gleich kam. So nah an die Naturkohle kam Herr Prückner mit seinem Kunstprodukt, daß seine künstliche Steinkohle sogar — Versteinerungen auf wies. Für dieses Taschensprelerkunststück erhielt Herr Prückner zwei Jahre Gefängnis zudiktiert. k. tlerolE (München). Lilli Grün Kleine« Theater. Schließlich ist es doch wohl nur eine fixe Idee, wenn man das Drama lediglich nach ästhetischen Gesichtspunkten beurteilen will. Eine geschickte theakralische Mache ist kein üble» und eine anständige Gesinnung ein sehr gutes Ding. Vom gutin Ge schmack, ihr Freunde in Apoll, wird man nicht fett und auch nicht stark. Laßt bitte mit mir den Hand- festen Kitsch, den gutgemeinten Kitsch, den Kitsch, Len ein wohlgesinnter Mitmensch gemacht hat, laßt ihn gelten. Guten Geschmack, schließlich, den habe ich schon alleine. Warum müssen ihn denn die Autoren immer haben, dann wären sie vielleicht auch keine Autoren geworden. Bei dem Emmerich Földe« beispielsweise hätte es zu einem Kunstwerk mutmaßlich nicht gereicht. Sollte er deshalb die „Lilli Grün', di« er konnte, auch ungeschrieben lassen? Habt euch nicht mit der Aesthetik. Es wäre einfach schade darum. Also die kleine Jüdin will den arischen Zimmer herrn heiraten, der zu alt für sie ist, der sie nicht ernähren kann, der ein geborener Junggeselle ist. Den Kandidaten der Heiratsvermittlerin, der Eltern, will sie nicht. Wegen gar zu ausgesprochener Rasscnmcrkmale. Die kleine Aesthetin. Aber auch sie lernt einsehen, daß eine anständige Gesinnung in einer rauhen Schale stecken Cann. Ich komme, sagt sie sich, nun einmal in einem Stück vor, da» cdcn,o beschaffe» ist, wie mein Heiratskandidat, sagt sie sich, also nehme ich ihn nach einigen Wider ständen, sagt sie sich, denn es müssen drei Akte werden, sagt sie sich, und e» muß erst schief zu gehen scheinen, dann freuen die Leute sich mehr, wenn e« nachher so gut geht, sagt sie sich. Da» sagt sich auch der Autor. Der vermeidet e» mit gutem Geschmack — inso- fern hat er ihn doch —, ein Tendenzstück zu schreiben für Semiten oder für Arier. Gr schreibt nur ein Tendenzstück für alle Menschen, die guten Dillen« sind. Fried« sei auf Erden. Paart euch, vermehrel euch. Daß Rasse besser tut, bei Rasse zu bleiben, wird nicht bestritten, aber auch nicht mit Applomb behauptet. Daß ein jüdischer Heiratskandidat, der ein bißchen mauschelt mit dem Mund und mit die Hand', deshalb noch kein krummer Hund zu sein braucht, da» ist am End« eine allgemein menschlich« Einsicht und läßt sich mit einigen Körnchen Salz, die dem verbohrteren Antisemiten gewöhnlich nicht zur Verfügung stehen, ebensogut auf die ästhetisch unangenehmen Merkmale anderer Rassen anwenden. Die Moral des netten, behaglichen Tkeaterstückchens au» dem Milieu der Budapester Mischpoche scheint mir also nicht so sehr die eine« Semiten und Phllo- semiten, als vielmehr die eines Philanthropen zu sein. Na, und Philanthropen san mer doch alle. Demgegenüber bleibt anzuerkennen, daß die farbensatteren Iargonstllcke de« Jiddischen Theaters ästhetisch vor „Lilli Grün* den Vorzug verdienen. Aber nicht etwa, weil sie so sehr viel größere Kunstwerke waren. Denn das sind sie ja zumeist über haupt nicht. Sondern wieder aus einem m'hr ethnologischen al« ästhetischen Grunde. Weil das ländliche und das kleinstädtische Ostjudentum bunttr, triebhafter und ursprünglicher ist als das von Buda pest. Und weil die alte deutsch-polnisch-hebräische Iudensprache uns arischen oder semitischen Westlern die seltsame Erlebnismöglichkeit bietet, Theaterstücke in einer zunächst völlig fremden Sprache zu Horen, die man trotzdem beinahe versteht. Uns geht es dabei wie dem Mann im Märchen, der sich gewün^ch! hatte, die Sprache der Vögel zu verstehen, und der aus dem Erstaunen nachher gar nicht herauskam, weil er verstand, was er nicht verstand. Außerdem spielte dos Wilnaer Künstlrrtheatcr sehr viel besser. Obwohl dos Kleine diesmal unter gurecka Leitung nicht schlecht war. Zureck selber al» Onkel Sami, der alt« verbogene, plopp-rnde, gute Engel, hätte sogar auf dem Niveau der Wilna»r noch mit Ehren bestanden. Lewitt und die Prasch- Greveaberg, Vater und Mutter, waren nicht so stark, aber an und für sich gut. Es haperte nur mit dem jungen Paar. Die lustige, pummelige, derbe Annoliese Würtz hat eimn entscheidenden Fehler. Sie ist, noch aus zwanzig Meter Abstand, ein« überzeugende Nichtsüd'n. Sie macht die Sache äußerst niedlich, ober sie stört, durch einen schlichten Tatbestand, den sie durch Schminke oder Iarqonandrntung abzustellen. immerhin Ver suchen müßte. Die Rille de» Heirot«kandidai n verlangt einen «roßen Schauspieler, der droHg. ästhetisch unmöglich und menschlich liebenswert lugkei-b wirken muß von Anfang bi» zu Ende. Sonst wird er psychologisch unmöglich. Ein so großer Schau spieler ist Herr Vogel nicht. Erster Mückentanz Don Bon den Dächern träufelt das Schneewasser klatschend aufs Straßenpflaster. kftimnl» voris und Schneeglöckchen sind über Nacht fast so aktuell ge worden wie die Ruhrfront. Und die zage März, sonne hat ein Ellen-Petz-Kainer-Dallett au» irgend einem Düngerhaufen gesogen und in die zart er- wärmte Luft geworfen. Meine Herrschaften, da« ist etne richtige Premiere. Sogar zwei stadtbekannte Kritiker stehen dabet und schauen sich das Tanzspiel an. Das veranlaßt einige Passanten, sich gleichfalls den luftigen Mückenreigen anzugucken und für einige Sekunden Kurse und Ge schäfte zu vergessen. Es ist also in der Tat wie bei einer richtigen künstlerischen Veranstaltung. Im Scheinwerferlicht der schrägen Nachmittags, sonne tummelt sich das zu früh ausgcschlüpfte Ellen- Petz-Kainer-Original-Luftballett nach dem Rhyth mus seine» eigensten Naturgesetzes: kaum geboren, tanzt es, paart sich und stirbt; zieht SGleifen, s^läot Pirouetten, schwingt graziöse Gazeflügel. Die schim mernden Kostüme stammen au» dem weltbekannten Atelier des lieben Gottes. Manche Tänzer — oder sind es Tänzerinnen? — haben einen fadendünnen, doppelzinkigcn Schmuck am Hintern Teil de» Körpers angelegt; gleichsam Fühler am Antipodex. Aehn- lichcn Zierrat kann man bisweilen an den von Lud wig Kainer entworfenen phantastischen Tanzkostümen bewundern. Mitunter schlägt da« Ballett ein wenig über die Stränge und läßt die letzten Hüllen fallen, die selbst das Cklly-de-Rheidt-Ball^tt nicht fallen laßt. Die Tanzdarbietung wird zum Liebesrausch; auf offener Straß«. Alle buhlen mit allen. Im Fluge vollzieht sich die Umarmung, spielerisch und graziös, ähnlich wie bei den Raucklckwalben. die dabei über- die«, wie die Naturforschung versichert, zarte pki- sende Töne auestoßen. Alle« im Fluge — da» sollen ihnen einmal die Menschen nachmachen! Der Scheinwerfer, schon halb hinter den Dächern, znckt im roten Erlöschen. Die Lllen-Petz-Kainer- Mücken steigern ihren Wirbel -um ekstatischen Bacchanale, als wollten sie den letzten Tropfen Lichte» «ustrinken. Die kalten Schatten de« Abend» sinken frostdrohend herab; das ganze Ballett tanzt tau- melnd in den Tod der Winternacht. Ein durchtanzt»! Dorfrühlingsnachmittag ist Lebenszweck genug. Nvr die Menschen sind so ge artet, daß sie die Höhepunkt« ihres Daseins durch immer neue Höhepunkte übergipfeln möchten. Mit solchen Gedanken, kalten Füßen und roten Nasen verlassen die beiden stadtbekannten Kritiker (Göttchen, was man so stadtbekannt nennt) den Schauplatz dieser frühzeitigen Mückenprcmiere. Ein Kaiserfilm? Die amerikanische Blätter berichten, ist ein Film, der mit Zustimmung des Exkaisers in Doorn ausgenommen wurde und Szenen aus dem häuslichen Leben des Exkaisers wiedergibt, nahezu vollendet, so daß er in der nächsten Zett öffentlich voraeführt werden kann. Da der Exkaiser bisher die Genehmigung zu pho- tograpischen Aufnahmen in Doorn verweigert Hot, weiß man nicht, ob es sich hier um eine Fiktion oder um wirkliche Aufnahmen handelt. Ma« sucht da» Gehirn Voltaire». Als der große Philosoph starb, wurde sein Gehirn dem Apotheker Mithouard anvertraut, der es in Weingeist oufbewahrte. Sein Sohn bot e» dem Staat al» Geschenk an, der es dankend ablehnte. ES ging dann in den Besitz eines gewissen Herrn Berdier über, der de - glücklichen Gedanken hatte, e» der Akademie anzubieten, die es aber ebenfalls kühl ablehnte. Das Gehirn Voltaires ging dann in den Besitz der Großnichte des Ar teS Mithouard über, reiste mit ihr in ihren zahlreichen Ver änderungen des Wohnsitze», die sie unternahm und ging endlich in den Besitz eine» Apotheler» Labrosse über. Man sand es plötzlich dann wieder bet einer öffentlichen Versteigerung im städtischen Berkau'Slokal der Rue Twouot in Paris, aber von da an hat man nicht- mehr davon gehört. Ter „Petit Partiten" stellt jetzt die Frage, wo das Gehirn de- großen Dichter und Philosophen hingekommen ist Wird man e- jemals wiedersinden? (Und wenn man e» fänve, würde e« den Franzosen nützen?) Li« Wettbewerb für »a» schmerzlose Schlachte«. Die amerikanische Gesellschaft zur Bekämpfung der Grausamkeit gegen Tie^e hat einen eigenartigen Wettbewerb ausgeschrieben Dieser große und rührige Lierschutzveretn setzt nämlich einen Preis von iOOOO Dollar an» für eine Vorrichtung, die die Tiere vor dem Schlachten völlig bewußtlos oder gefühllos macht, so daß da« Schlachten selbst schmerzlos vor sich gehen kann ES wird gefordert, naß dteier Apparat mechanisch sei und billig und daß er sicher, gefahrlos und rasch wirke.
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